Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Aug. 2010 - 3 StR 265/10

bei uns veröffentlicht am17.08.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 265/10
vom
17. August 2010
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 17. August 2010 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 23. Februar 2010 - mit Ausnahme der Adhäsionsentscheidungen - mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zur Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie Entscheidungen im Adhäsionsverfahren getroffen. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit Rügen der Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensbeanstandung kommt es daher nicht an.
2
1. Der Schuldspruch wegen besonders schwerer Vergewaltigung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Feststellungen belegen nicht, dass der Angeklagte bei dieser Tat ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB verwendet hat.
3
a) Danach zwang der Angeklagte die Nebenklägerin - nachdem er diese geschlagen, beleidigt und vom Bett heruntergeschleudert hatte - unter Vorhalt eines abgebrochenen, scharfkantigen Sektglasstieles vor ihr Gesicht dazu, sich eine Spraydose vaginal selbst einzuführen. Als die Geschädigte diesen Gegenstand wieder aus ihrem Körper entfernt hatte, warf der Angeklagte sie erneut auf das Bett und riss ihr den String-Tanga vom Körper. Er setzte sich auf die Geschädigte und führte diesmal eigenhändig die Spraydose für wenige Sekunden gewaltsam in deren Vagina ein.
4
b) Diese Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung nicht. Durch die Nötigung der Nebenklägerin , sich die Spraydose selbst einzuführen, hat der Angeklagte den Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB nicht verwirklicht; denn taugliche Nötigungserfolge des § 177 StGB sind allein sexuelle Handlungen des Täters oder eines Dritten an dem Opfer sowie sexuelle Handlungen des Opfers am Täter oder einer dritten Person. Sexuelle Handlungen vor dem Täter (oder einem Ditten) sind hingegen von diesem Tatbestand nicht erfasst (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl., § 177 Rn. 48). In solchen Fällen kommt (lediglich) die Begehung einer Nötigung im besonders schweren Fall gemäß § 240 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 1. Alt. StGB in Betracht. Soweit der Angeklagte im weiteren Fortgang die Dose selbst gewaltsam eingeführt und damit eine Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB) begangen hat, fehlt es an der Feststellung, dass er bei der Tat - also bei dieser Vergewaltigung - als Nötigungsmittel ein gefährliches Werkzeug verwendet hat. Es lässt sich auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen, dass der Angeklagte, als er die Geschädigte zwang, sich den Gegenstand selbst einzuführen, bereits den Vorsatz zu der nachfolgenden Handlung hatte und deshalb mit der Drohung mit dem abgebrochenen Sektglasstiel bereits zur Begehung der sich anschließenden Vergewaltigung ansetzte; ebenso wenig ist zu erkennen, dass der Angeklagte bei diesem zweiten Übergriff zumindest konkludent erneut mit dem Einsatz des gefährlichen Werkzeugs drohte. Letztlich bleibt auch offen, ob die Geschädigte das Einführen der Dose durch den Angeklagten aufgrund der ursprünglichen oder einer erneuter Drohung mit dem Glasstiel duldete. Dies versteht sich angesichts der zahlreichen Nötigungshandlungen des Angeklagten und der nach der ersten Handlung veränderten Begleitumstände auch nicht von selbst.
5
Der Senat hält es für möglich, dass in einem neuen Verfahren unter diesen Gesichtspunkten weitere Feststellungen getroffen werden können. Er sieht sich daher gehindert, lediglich den Schuldspruch abzuändern. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt deshalb zur Aufhebung der Verurteilung - auch wegen der tateinheitlich begangenen gefährlichen Körperverletzung. Die - ersichtlich nicht angefochtenen, auf der Grundlage eines Anerkenntnisses des Angeklagten - getroffenen Adhäsionsentscheidungen bleiben hiervon unberührt (vgl. BGH, Urteil vom 28. November 2007 - 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96; Beschluss vom 2. Februar 2006 - 4 StR 570/05, NJW 2006, 1890 f.; Urteil vom 8. April 2009 - 5 StR 65/09; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 406a Rn. 8).
Becker Pfister Sost-Scheible Hubert Mayer

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Strafgesetzbuch - StGB | § 177 Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung


(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freihei

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Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Feb. 2006 - 4 StR 570/05

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 570/05 vom 2. Februar 2006 Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja __________________ StGB § 176 Abs. 3 Nr. 2 i.d.F. des 6. StrRG, § 176 Abs. 4 Nr. 2 n.F. § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB i.d.F. des 6. StrRG setz

Bundesgerichtshof Urteil, 08. Apr. 2009 - 5 StR 65/09

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Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Apr. 2017 - 4 StR 581/16

bei uns veröffentlicht am 13.04.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 581/16 vom 13. April 2017 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u.a. ECLI:DE:BGH:2017:130417B4STR581.16.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und de

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(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 570/05
vom
2. Februar 2006
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
__________________
StGB § 176 Abs. 3 Nr. 2 i.d.F. des 6. StrRG, § 176 Abs. 4 Nr. 2 n.F.
§ 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB i.d.F. des 6. StrRG setzt voraus, dass der Täter das
Kind dazu bestimmt, dass es an seinem eigenen Körper sexuelle Handlungen
vornimmt; es reicht nicht aus, dass der Täter das Kind lediglich dazu bestimmt,
vor ihm in sexuell aufreizender Weise zu posieren.
BGH, Beschluss vom 2. Februar 2006 - 4 StR 570/05 - LG Hagen
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 2. Februar 2006 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 10. Mai 2005 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen Sichverschaffens kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern in fünf Fällen verurteilt worden ist,
b) in den Aussprüchen über die Gesamtstrafe und über die Einziehung des Dia-Projektors. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen und wegen Sichverschaffens kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es die Einziehung des Dia-Projektors des Angeklagten angeordnet und den Angeklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 3.000 Euro an den Nebenkläger verurteilt.
2
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
1. Soweit der Angeklagte wegen Sichverschaffens kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern in fünf Fällen (II. 4 bis 8 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist, hält das Urteil rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
4
a) Nach den Feststellungen veranlasste der Angeklagte den am 10. Oktober 1995 geborenen Nebenkläger an drei nicht näher bestimmbaren Tagen im Jahre 2004, jedoch vor dem 17. März, sich vollständig zu entkleiden und Stellungen einzunehmen, die es ermöglichten, Penis und Gesäß des Jungen zu fotografieren (Fälle II. 4 und 6 der Urteilsgründe); in einem weiteren Fall (II. 5 der Urteilsgründe) veranlasste er den Jungen, die Unterhose herunter zu ziehen , und fotografierte Gesäß und Penis des Jungen. An zwei nicht näher bestimmbaren Tagen in den Jahren 2002 oder 2003 veranlasste der Angeklagte ein am 24. August 1994 geborenes Mädchen, sich teilweise zu entblößen, und fotografierte Gesäß und Genitalbereich des Kindes (Fälle II. 7 und 8).
5
b) Im Ansatz zutreffend ist das Landgericht gemäß § 2 Abs. 1 und 3 StGB von der Anwendbarkeit der §§ 176 Abs. 3 Nr. 2 und 184 Abs. 5 StGB in den zur Zeit der Taten geltenden Fassungen des Sechsten Strafrechtsreformgesetzes (6. StrRG) ausgegangen, denn die diesen Vorschriften im Übrigen entsprechenden §§ 176 Abs. 4 Nr. 2 und 184 b Abs. 4 StGB i.d.F. des am 1. April 2004 in Kraft getretenen Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung vom 27. Dezember 2003 (BGBl I 3007) sehen jeweils höhere Strafandrohungen vor. Entgegen der Auffassung des Landgerichts liegen nach den bisher getroffenen Feststellungen die Voraussetzungen der §§ 176 Abs. 3 Nr. 2 und 184 Abs. 5 StGB i.d.F. des 6. StrRG in keinem der fünf Fälle vor:
6
aa) Der Angeklagte hat die Kinder danach zwar dazu bestimmt, vor ihm sexuelle Handlungen vorzunehmen, denn das Posieren der Kinder, um Genitalien und Gesäß unbedeckt zur Schau zu stellen, ist eine - nicht unerhebliche (§ 184 f Nr. 1 StGB) - sexuelle Handlung, durch die der Betrachter sexuell provoziert werden soll (vgl. BGHSt 43, 366, 368 m.N.). Das Bestimmen eines Kindes zur Vornahme einer nicht mit Manipulationen an seinem Körper verbundenen sexuellen Handlung wird aber von dem Tatbestand des § 176 Abs. 3 Nr. 2 i.d.F. des 6. StrRG nicht erfasst. Im Gegensatz zu § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB i.d.F. des 4. StrRG, der das Bestimmen eines Kindes zur Vornahme sexueller Handlungen "vor" dem Täter "oder einem Dritten" unter Strafe stellte und demgemäß auch solche sexuellen Handlungen erfasste (vgl. BGHSt 43, 366, 368; BGHR StGB § 176 Abs. 5 sexuelle Handlungen 1 und § 184 c Nr. 1 Erheblichkeit 5), setzt § 176 Abs. 3 Nr. 2 i.d.F. des 6. StrRG - ebenso wie § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB n.F. - voraus, dass der Täter ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an sich vornimmt.
7
Diese Neufassung des Tatbestands durch das 6. StrRG, die den Anwendungsbereich über die bis dahin geregelten Fälle (Vornahme sexueller Handlungen vor dem Täter oder einem Dritten) hinaus "allgemein" auf sexuelle Handlungen erstrecken sollte, die das Kind "an sich selbst" vornimmt, und damit auch auf den von § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB a.F. nicht erfassten Fall (vgl. BGHSt 41, 285), dass sog. Verbalerotiker Kinder durch Telefonanrufe zu "derartigen Manipulationen" veranlassen (BTDrucks. 13/9064 S. 10 f.), hat zugleich zu einer Einschränkung des bisherigen Anwendungsbereichs geführt. Erfasst werden nach dem eindeutigen Wortlaut des § 176 Abs. 3 Nr. 2 i.d.F. des 6. StrRG nur sexuelle Handlungen, die ein Kind an, also nicht lediglich mit seinem Körper (zu dieser Differenzierung vgl. Laufhütte in LK 11. Aufl. § 184 c Rdn. 5; Wolters /Horn SK § 184 f Rdn. 8) vornimmt. Nur wer mit Berührungen verbundene Manipulationen am eigenen Körper vornimmt, nimmt nach allgemeinem Sprachverständnis Handlungen an sich selbst vor. Auch der Sinnzusammenhang der Tatbestandsvarianten des § 176 StGB und der anderen Straftatbestände zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung spricht für diese Auslegung. Soweit diese Tatbestände auf die Vornahme sexueller Handlungen an einem anderen, nämlich des Täters an dem Tatopfer (vgl. §§ 174 Abs. 1, 176 Abs. 1 StGB), eines Dritten an dem Tatopfer (vgl. § 176 Abs. 2 StGB), des Tatopfers an dem Täter (vgl. §§ 174 Abs. 1, 176 Abs. 1 StGB) oder an einem Dritten (vgl. § 176 Abs. 2 StGB), abstellen, setzen sie stets Manipulationen am Körper, d.h. ein Berühren des Körpers voraus (vgl. Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 184 f Rdn. 8; Wolters/Horn SK § 184 f Rdn. 6 jew. m.w.N.).
8
Ob die mit der Neufassung des § 176 StGB durch das 6. Strafrechtsreformgesetz erfolgte Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB rechtspolitisch gewollt war, kann dahinstehen. Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Vorschrift auf die Vornahme auch solcher Handlungen , bei denen es nicht zu Manipulationen am eigenen Körper kommt, ist mit dem Wortsinn der Vorschrift, wie er sich aus den genannten Gründen aus dem Sinnzusammenhang des Gesetzes ergibt (vgl. dazu BGHSt 41, 285, 286; 48, 354, 357), nicht zu vereinbaren. Der mögliche Wortsinn eines Gesetzes mar- kiert die äußerste Grenze der Auslegung strafrechtlicher Bestimmungen zum Nachteil des Angeklagten (BVerfGE 105, 135, 152 ff., jew. m.w.N.).
9
bb) Damit sind auch die Schuldsprüche wegen jeweils tateinheitlich begangenen Sichverschaffens kinderpornographischer Schriften i. S. des § 184 Abs. 5 StGB i.d.F. des 6. StrRG nicht belegt, weil diese Vorschrift nur solche Schriften erfasst, die den sexuellen Missbrauch eines Kindes i. S. der §§ 176 bis 176 b StGB zum Gegenstand haben (vgl. BGHSt 43, 366, 368; 45, 41, 42 f.; vgl. auch § 184 b Abs. 1 n.F.).
10
cc) Da nach den bisherigen Feststellungen nicht auszuschließen ist, dass zum Tathergang ergänzende Feststellungen zu den sexuellen Handlungen getroffen werden können, die ein tatbestandsmäßiges Verhalten im aufgezeigten Sinne des § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB i.d.F. des 6. StrRG belegen, bedarf die Sache insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Der neue Tatrichter wird auch zu prüfen haben, ob der Angeklagte aufeines der Kinder bei der Fertigung der Aufnahmen im Sinne des § 176 Abs. 3 Nr. 3 StGB, der § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB n.F. entspricht, durch Reden pornographischen Inhalts eingewirkt hat.
11
2. Die Aufhebung der Verurteilung in den vorgenannten fünf Fällen und der damit verbundene Wegfall der jeweils verhängten Einzelstrafen nötigt zur Aufhebung auch des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe.
12
3. Die Anordnung der Einziehung des Dia-Projektors des Angeklagten gemäß § 74 StGB kann wegen der Aufhebung der Verurteilung in den vorgenannten Fällen ebenfalls nicht bestehen bleiben. Der Senat weist für den Fall, dass es erneut zu einer Verurteilung des Angeklagten wegen einer Straftat gemäß § 184 Abs. 5 StGB i.d.F. des 6. StrRG kommt, vorsorglich darauf hin, dass ein Dia-Projektor kein Beziehungsgegenstand im Sinne des Abs. 7 Satz 2 dieser Vorschrift ist. Eine Einziehung gemäß § 74 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der Dia-Projektor zur Begehung oder Vorbereitung der Straftat gebraucht worden ist.
13
4. Der Adhäsionsausspruch, der von der Revision ersichtlich nicht angegriffen wird, kann bestehen bleiben, obwohl die Verurteilung auf die Revision des Angeklagten wegen der Taten zum Nachteil des Nebenklägers teilweise aufgehoben wird. Ein nicht angefochtener Adhäsionsausspruch bleibt grundsätzlich unberührt, wenn das zum strafrechtlichen Teil eingelegte Rechtsmittel – wie hier - nur eine (teilweise) Aufhebung und Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zur Folge hat (vgl. BGHSt 3, 210, 211). Der Adhäsionsausspruch hat hier im Übrigen auch deshalb Bestand, weil der Angeklagte in der Hauptverhandlung den vom Nebenkläger geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 3.000 Euro anerkannt (§ 406 Abs. 2 StPO) und die Wirksamkeit des Anerkenntnisses auch nicht in Frage gestellt hat. Zudem hat der Nebenkläger auf die Geltendmachung seiner darüber hinausgehender Ansprüche gegen den Angeklagten verzichtet.
14
5. Zur Abfassung der Urteilsgründe bemerkt der Senat ergänzend zu den zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 12. Dezember 2005, dass es sich aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes verbietet, Kopien von Lichtbildern pornographischen Inhalts in die Urteilsgründe aufzunehmen. Darüber hinaus begegnet ein solches Vorgehen auch deshalb Bedenken, weil der Angeklagte notwendigerweise in den Besitz zumindest einer Abschrift des Urteils einschließlich der darin wiedergegebenen Aufnahmen gelangt. Sollte es auf Einzelheiten der Abbildungen ankommen, sieht § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO die Möglichkeit vor, auf bei den Akten befindliche Lichtbilder zu verweisen.
Maatz Kuckein Athing
Solin-Stojanović Ernemann
5 StR 65/09

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 8. April 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. April
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König
alsbeisitzendeRichter,
Bundesanwalt
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt P.
alsVerteidiger,
Rechtsanwalt V.
alsVertreterderNebenkläger,
Justizhauptsekretärin
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 15. Oktober 2008 – mit Ausnahme der Adhäsionsentscheidung – mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und den Schmerzensgeldanspruch der Eltern des Getöteten, die sich als Nebenkläger dem Verfahren angeschlossen haben, als dem Grunde nach gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Nebenkläger erstrebt eine Verurteilung wegen Mordes. Das Rechtsmittel hat – in Übereinstimmung mit dem Antrag des Generalbundesanwalts – Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
a) Der 1975 geborene Angeklagte stammt von den Kiribati-Inseln und übte im Jahr 2007 seinen Beruf als Vollmatrose auf dem unter deutscher Flagge fahrenden Motorschiff „H. I. “ aus.
4
Mit der als Stewardess an Bord beschäftigten A. vereinbarte er entsprechend den Gebräuchen ihrer gemeinsamen Heimat ein formelles Verwandtschaftsverhältnis als seine Schwester. Dies umfasste seine Berechtigung, der Frau Anweisungen zu erteilen und sie zu züchtigen.
5
Der als Auszubildender zum Schiffsmechaniker an Bord beschäftigte Sohn der Nebenkläger K. ging mit A. ein intimes Verhältnis ein. Damit war der Angeklagte einverstanden. Es entwickelte sich sogar eine Freundschaft zwischen dem Angeklagten und K. , der in seiner Freizeit den Kampfsport Taek Wan Do betrieb. Während eines gemeinsamen Landgangs am 2. November 2007 kam es zum Streit zwischen dem Angeklagten und A. , in den sich K. auf Seiten seiner Freundin einmischte. Der Angeklagte untersagte A. den Umgang mit dem K. und lehnte dessen mehrfach geäußerten Wunsch nach einem klärenden Gespräch ab. K. traf sich fortan heimlich mit seiner Freundin, was der Angeklagte vermutete. Er drohte A. unter Vorhalt eines Taschenmessers (des späteren Tatmessers) und sagte ihr, wenn sie so weitermache, würde ihr oder ihrem Freund etwas passieren. Dies verstand die Zeugin als Todesdrohung.
6
b) A. erzählte hiervon ihrem Freund. K. nahm die Drohung ernst und bekam Angst. Er berichtete darüber seinem Vorgesetzten, einem deutschen Chefingenieur, der seinerseits den deutschen Kapitän informierte. Auf dessen Weisung forderte der erste Offizier am 6. November 2007 gegen 10.00 Uhr vom Angeklagten die Herausgabe von dessen Pass. Der Angeklagte befragte mehrere Besatzungsmitglieder, deren Pässe indes nicht herausverlangt worden waren. Hieraus schloss der Angeklagte auf die Absicht des Kapitäns, das Seemannsverhältnis zu kündigen, weil der Angeklagte den K. bedroht hatte.
7
c) Der Angeklagte suchte anschließend nach K. . Er wollte mit ihm reden und erhoffte sich, dass dieser bei dem Kapitän die Dinge aus seiner Sicht richtig stellen würde. Er sah K. im Maschinenkontrollraum. „Er klopfte. K. ging seiner Arbeit nach, las die Instrumente ab und zeichnete Daten auf. Er hatte deshalb einen Kugelschreiber in der Hand. (…) (Der Angeklagte) fragte K. , ob er dem Kapitän Bericht erstattet habe. K. antwortete ihm, es treffe zu; er habe mit dem Chefingenieur gesprochen und dieser mit dem Kapitän. T. war schlagartig klar, dass er keine Chance mehr hatte und es keinen Sinn mehr machte, mit K. über die Kündigung zu reden. Er drehte sich deshalb um, um zu gehen. In diesem Moment hörte er K. kurz lachen und sinngemäß sagen: ‚T. , Du bist fertig, Du bist fertig. Siehst Du T. , von Deutsch zu Deutsch ist alles einfach.’ T. fühlte sich von dieser Äußerung tief getroffen, so dass sich seine unterdrückte Wut schlagartig entlud. Innerhalb kürzester Zeit geschah Folgendes: T. drehte sich um, trat an K. heran und drückte wutentbrannt sein Gesicht an das Gesicht von K. . Er wollte K. als entlarvten Urheber der Kündigung, der ihn dazu noch herabwürdigte , jetzt töten. K. schubste T. von sich weg und rief ,Raus’. Es kam zu einer kurzen Rangelei. (…) Der Angeklagte zog das Taschenmesser (…) und öffnete es per Druckknopf. T. stach sofort mehrfach zu. Dabei hielt er K. fest, der infolge der Stiche zu Boden ging. Insgesamt fügte T. dem Opfer in kürzester Zeit 19 Stiche und Schnittverletzungen zu. Zweimal stach er in den Brustkorb, fünfmal in den linken Arm des Opfers, dreimal in dessen Gesäß und sechsmal in seinen Rücken. Die genaue Reihenfolge der Stiche steht nicht fest, jedoch führte T. die Stiche in Brustkorb und Gesäß unwiderlegt zuerst aus. Bei allen Stichen stand T. vor dem Opfer und hielt es fest. Dabei ist unwiderlegt, dass T. die Stiche in den Rücken des Opfers ebenfalls ausführte, als er vor ihm stand. Die beiden Stiche in den Brustkorb eröffneten die linke Brustkorbhöhle; einer der Stiche verletzte auch den Herzbeutel. (…) Bei den Stichen in den Rücken bewegte er zum Teil mehrfach das Messer in einer Wunde. Drei der Stiche in den Rücken waren oberflächlich, drei Stiche tiefergehend. Einer dieser Stiche war ca. 12 cm tief, eröffnete den Brustkorb, verletzte die Lunge, die Brustschlagader (…) und endete im Brustwirbel. Diese Stichverletzung führte zum Verbluten des Opfers und nach kurzer Zeit zu dessen Tod.“ (UA S. 10 bis 12)
8
2. Das Schwurgericht stützt die Feststellungen zum eigentlichen Tatgeschehen in allen wesentlichen Punkten auf die als unwiderlegt erachteten Angaben des Angeklagten. Es hat indes das weitergehende Verteidigungsvorbringen des Angeklagten, dass er in stark alkoholisiertem Zustand einen Angriff des K. abgewehrt hätte, als unzutreffend beweiswürdigend widerlegt. Die Bekundungen des Angeklagten, A. habe ihm von der Kündigung und deren Grund berichtet, hat das Landgericht ebenfalls nicht geglaubt. Die Schwurgerichtskammer nimmt an, dass die vom Angeklagten angegebene Reihenfolge der Stiche mit dem Verletzungsbild übereinstimme. Zwar habe der rechtsmedizinische Sachverständige hierzu nichts sagen können; er habe es aber für möglich gehalten, dass die vom Angeklagten geschilderte Version – Einstechen auf das durch Umklammern fixierte Opfer im Stehen von vorne – möglich sei.
9
Soweit der Angeklagte unmittelbar nach der Tat der Zeugin Ke. einen anderen Tatablauf – drei bis vier Stiche in den Rücken, Drehen des Opfers und Stiche in den Bauch und das Bein – geschildert hatte, könne auf die insoweit verlesene richterliche Aussage dieser Zeugin nichts gestützt werden. Es handele sich um eine Zeugin vom Hörensagen. Die vom Angeklagten in der Hauptverhandlung angegebene Version stimme mit dem Verletzungsbild überein. Daher hat es das Landgericht für möglich gehalten, dass die Zeugin eine falsche Erinnerung gehabt haben könnte.
10
Das Landgericht hat es als naheliegend bewertet, dass der neben dem von K. normalerweise benutzten Stuhl des Maschinenkontrollraums aufgefundene „kaputte Gehörschutz“ (UA S. 26) derjenige des Getöteten gewesen war. Davon, dass K. diesen Gehörschutz auch getragen hatte und deshalb nicht bemerkt haben könnte, wie sich der Angeklagte ihm genähert hatte, hat sich das Landgericht beweiswürdigend nicht überzeugt.
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3. Auf der Grundlage der auf diese Weise getroffenen Feststellungen hat das Landgericht eine heimtückische Tötung verneint. Der Angeklagte habe nach einem Streitgespräch und nach einem kurzen Gerangel auf das um die zuvor erfolgte Drohung wissende, ängstliche Opfer von vorne eingestochen. Das Landgericht hat unter Anwendung des Zweifelssatzes ohne Anhörung eines Sachverständigen eine affektbedingte tiefgreifende Bewusstseinsstörung im Umfang des § 21 StGB nicht ausgeschlossen.
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4. Die mit der Sachrüge geführte Revision der Nebenkläger dringt durch. Die Beweiswürdigung des Schwurgerichts zum Tatablauf, der ganz wesentlich für die Beurteilung der Voraussetzungen des Mordmerkmals der Heimtücke ist, hält der sachlichrechtlichen Prüfung nicht stand.
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a) Das Revisionsgericht muss es zwar grundsätzlich hinnehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht oder – wie hier – sich beweiswürdigend nicht vom Vorliegen eines Mordmerkmals zu überzeugen vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob diesem Fehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (BGH NJW 2006, 925, 928 m.w.N., insoweit in BGHSt 50, 299 nicht abgedruckt).
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Ein Rechtsfehler kann auch darin liegen, dass der Tatrichter einer Einlassung kritiklos gefolgt ist (vgl. BGHSt 50, 80, 85) oder dass entlastende Angaben eines Angeklagten, für die keine zureichenden Anhaltspunkte bestehen und deren Wahrheitsgehalt fraglich ist, mit anderen Beweismitteln in Bezug gesetzt worden sind, deren Beweiswert indes nach unzutreffenden Maßstäben (vgl. BGH NStZ 2001, 491, 492) oder lückenhafter oder wer- tungsfehlerhafter Würdigung bestimmt worden ist (vgl. BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33; BGH, Urteil vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08 Rdn. 12 ff., teilweise abgedruckt in BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung , unzureichende 20). So liegt es hier.
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b) Die Würdigung der Einlassung des Angeklagten durch das Landgericht lässt nicht erkennen, dass sich das Schwurgericht in jeder Beziehung des schuldmindernden Charakters der Angaben des Angeklagten bewusst war. Das Landgericht hat wesentliche Angaben des Angeklagten zutreffend als widerlegt angesehen, nämlich dass er erheblich alkoholisiert gewesen sei und sich nur verteidigt habe. Die so vollzogene Bewertung zentralen Verteidigungsvorbringens als Schutzbehauptung hätte es indes erfordert, auch bei der Würdigung weiterer vom Angeklagten vorgetragener Umstände deren Charakter als kritisch zu betrachtendes Verteidigungsvorbringen zu beachten. Erst danach hätte von dessen partieller Glaubhaftigkeit – wie es das Landgericht indes durchgehend wie selbstverständlich getan hat – ausgegangen werden dürfen (vgl. BGH NStZ 2001, 491, 492).
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c) Dabei offenbaren Beweiserwägungen des Landgerichts, mit denen es Angaben des Angeklagten als mit fehlerfrei festgestellten Umständen in Einklang stehend angesehen hat, Lücken und Wertungsfehler.
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aa) Das Landgericht hat aus der vom rechtsmedizinischen Sachverständigen übernommenen Wertung, die vom Angeklagten in der Hauptverhandlung geschilderte Tatversion – ein Angriff von vorn – sei möglich, eine Wahrscheinlichkeit eines solchen Tatablaufs entnommen und diese Version seinen Feststellungen zugrunde gelegt. Diese Würdigung wäre indes nur fehlerfrei, wenn die gegenteilige Tatversion – Angriff von hinten – auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts als nicht genauso wahrscheinlich zu erachten gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08 Rdn. 13 m.w.N.). Letzteres ist indes vorliegend der Fall. Dass ein Beginn des Angriffs von hinten medizinisch nicht weniger plau- sibel erscheint als ein solcher von vorn, versteht sich angesichts des festgestellten Verletzungsbildes von selbst.
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Die Vereinbarkeit der jetzigen Tatversion des Angeklagten mit dem Verletzungsbild konnte daher die von der Zeugin Ke. wiedergegebene Bekundung des Angeklagten nach der Tat, er habe K. drei- oder viermal in den Rücken gestochen, dann gedreht und noch oft in den Bauch sowie ins Bein gestochen, nicht in Zweifel ziehen. Soweit das Landgericht der Zeugin, deren richterliche Vernehmung insofern verlesen worden ist, wegen möglicher falscher Erinnerung nicht gefolgt ist, offenbart auch dies durchgreifende Wertungsfehler. Das Landgericht hat die verlesene Aussage der Zeugin Ke. in anderen Zusammenhängen als uneingeschränkt glaubhaft angesehen. Danach fehlt es für die Annahme einer möglichen unzutreffenden Erinnerung an einer genügenden Tatsachengrundlage (vgl. BGHSt 51, 324, 325 m.w.N.). Allein der Hinweis, es habe sich um eine Zeugin vom Hörensagen gehandelt, macht die Möglichkeit einer falschen Erinnerung an eine von ihr gehörte, zumal durchaus markante Tatschilderung nicht wahrscheinlich.
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Bei Bewertung der Glaubhaftigkeit von Bekundungen des Angeklagten , zum einen seiner in der Hauptverhandlung behaupteten Version – Angriff von vorn –, zum anderen der nach Angabe der Zeugin ihr gegenüber vom Angeklagten unmittelbar nach der Tat bekundete Tatablauf – Beginn des Angriffs von hinten – wäre bei abweichender Würdigung der Zeugenaussage zu bedenken gewesen, dass Äußerungen eines Täters unmittelbar nach der Tat – zumal wie hier in aufgewühltem Gemütszustand – weniger von Verteidigungsinteressen geprägt gewesen sein mögen und ihnen deshalb eine höhere Wahrscheinlichkeit innewohnt, mit der Wirklichkeit übereinzustimmen , als dies für eine viele Monate später erfolgte Einlassung in der Hauptverhandlung anzunehmen ist (vgl. auch BGH NJW 2003, 2692, 2694). Diesem Ansatz ist das Landgericht selbst gefolgt, soweit es aufgrund von Bekundungen des Angeklagten nach der Tat gegenüber dem Bordpersonal ausgeschlossen hat, dass der Angeklagte in (Putativ-)Notwehr gehandelt haben könnte.
20
bb) Die Wertung des Landgerichts, der vom Angeklagten in der Hauptverhandlung geschilderte Tatablauf – Angriff von vorn – sei nicht zu widerlegen, beruht hinsichtlich weiterer Umstände auf einer lückenhaften Beweiswürdigung.
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Das Landgericht hat bei dem angenommenen offenen Kampf für die Bewertung der Kampfeslage nicht alle festgestellten Umstände in die Betrachtung einbezogen (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 18 und 20). Für die der Tatausführung als vorausgegangen angenommene Rangelei und die Fähigkeit des Angeklagten, K. festzuhalten, fehlt eine Betrachtung des Umstandes, dass das Opfer Kampfsportler war und sich naheliegend gegen einen offenen Angriff durch Einsatz von durch Kampftechniken geleiteten Körperkräften hätte verteidigen können. Ferner bleibt unerörtert, in welchem Zusammenhang des Kampfgeschehens der Gehörschutz des Opfers zerstört worden sein konnte.
22
cc) Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei durch die Provokation des Opfers zur Tat gedrängt worden, stößt auf Bedenken, weil sie ausschließlich auf der ersichtlich nicht kritisch hinterfragten Einlassung des Angeklagten beruht (vgl. BGHSt 50, 80, 85). Darüber hinaus fußt sie ebenfalls auf einer lückenhaften Würdigung festgestellter Umstände.
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Das Landgericht ist der in der Hauptverhandlung abgegebenen Einlassung des Angeklagten gefolgt, die Äußerung des Opfers habe ihn maßlos geärgert und er habe sich tief getroffen gefühlt. Dieser Umstand wäre aus Sicht des Angeklagten naheliegend als genauso wichtig zu bewerten gewesen wie ein vorhergegangener Angriff des Opfers. Der Angeklagte hat ihn indes bei seinen Äußerungen zum Tatgeschehen gegenüber den Besatzungsmitgliedern ausweislich des Urteils genauso wenig erwähnt wie den in der Hauptverhandlung behaupteten Angriff. Das Landgericht hätte deshalb zur Prüfung der Glaubhaftigkeit der Provokation – aus den gleichen zutreffenden Erwägungen, wie es dies bei dem Angriff getan hat – kritisch erwägen müssen, dass der Angeklagte unmittelbar nach der Tatbegehung sich hierüber ebenfalls nicht geäußert hatte. Hinzu tritt, dass – auch wenn sich ein Angriff durch das Opfer und eine Provokation durch dieses nicht zwingend gegenseitig ausschließen müssen – die Grundlagen dieser Verteidigungsvarianten eher selten zusammentreffen werden und wenigstens nach Widerlegung einer Variante die Plausibilität der Einlassung insgesamt zu prüfen gewesen wäre (vgl. BGHR StPO § 261 Einlassung 6).
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dd) Soweit das Landgericht aus vom Angeklagten geschilderten Erwägungen zum Zweck der von ihm gesuchten Aussprache mit K. in der Sache auch eine Plausibilität des vom Angeklagten geschilderten Tatablaufs unmittelbar vor der Provokation angenommen hat, beruht dies ebenfalls auf einer lückenhaften Würdigung festgestellter Umstände.
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Der Angeklagte will das Gespräch mit K. gesucht haben , damit dieser ihm durch eine spätere Vorsprache beim Kapitän helfen könne. Zu diesem Zeitpunkt war dem Angeklagten aber der Kündigungsgrund , die Bedrohung K. s, bereits bekannt; er wusste auch, dass A. den Kapitän hierüber nicht informiert hatte. Damit kam für den Angeklagten das Opfer als nächstliegender, wenn nicht einziger Informant der Schiffsleitung in Frage. Die vom Landgericht dem Angeklagten auf die Mitteilung K. s, er habe über den Chefingenieur den Kapitän informiert, zugebilligte überraschende Erkenntnis, K. könne ihm nicht mehr helfen, und das daraus abgeleitete Motiv des Angeklagten , den Maschinenkontrollraum nun wieder zu verlassen, beruhen demnach insoweit auf einer unvollständigen Auswertung der die Kenntnis des Angeklagten begründenden Umstände.
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ee) Schließlich wäre zu problematisieren gewesen, ob die angenommene Provokation des Angeklagten durch K. nicht auch deshalb eher unwahrscheinlich war, weil K. gewisse Angst vor dem Angeklagten empfand (UA S. 8, 9, 26, 39).
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5. Die Sache bedarf insgesamt neuer Aufklärung und Bewertung. Die für die Annahme des Mordmerkmals Heimtücke maßgeblichen Umstände werden ganz wesentlich von der Art der Tatausführung bestimmt. Deshalb war der Senat genötigt, die Feststellungen insgesamt aufzuheben. Nach den auch hier geltenden Grundsätzen von BGHSt 52, 96 ist die Adhäsionsentscheidung von der Aufhebung auszunehmen (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 406a Rdn. 8).
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6. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
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Das aufgrund der bisherigen Feststellungen belegte Motiv des Angeklagten , Rache für die als unberechtigt empfundene, von K. durch Information eines Vorgesetzten geförderte Kündigung zu üben, wäre nicht geeignet, das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe zu begründen. Unter Berücksichtigung der Heimlichkeit der zudem als ungerecht empfundenen Kündigungsvorbereitungen und seiner tief empfundenen Kränkung über das Verhalten der A. entbehrte das Rachemotiv noch nicht jeglichen nachvollziehbaren Grundes (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 147, 149 m.w.N.).
30
Der Versuch einer liquiden psychiatrischen Begutachtung des Angeklagten sollte bei der Schwere des Tatvorwurfs trotz der vom Schwurgericht benannten Schwierigkeiten in Vorbereitung der erneuten Hauptverhandlung beschritten werden. In jedem Fall sollte das neue Tatgericht seine Sachkunde zumindest durch einen Sachverständigen verbreitern, der die in der Beweisaufnahme getroffenen Feststellungen bewertet.
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