Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Juli 2014 - 3 StR 232/14

bei uns veröffentlicht am10.07.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 2 3 2 / 1 4
vom
10. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 10. Juli
2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 11. November 2013, soweit es ihn betrifft, mit den zughörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung abgelehnt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Auf die Sachrüge hat das Rechtsmittel des Angeklagten den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
Das Landgericht hat die Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung abgelehnt, da eine Strafaussetzung "im Hinblick darauf, dass der Angeklagte H. die Tat während einer laufenden Bewährung - und dies nicht aus einer Notlage heraus - begangen hat, nicht in Betracht" komme.
3
Diese Begründung genügt den rechtlichen Anforderungen nicht. § 56 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 StGB ermöglicht es dem Gericht, bei Vorliegen einer günstigen Sozialprognose und besonderer, in der Tat oder der Persönlichkeit des Angeklagten liegender Umstände auch die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren zur Bewährung auszusetzen. Dabei sind die Voraussetzungen des Abs.1 stets vorrangig zu prüfen. Dies gilt schon deshalb , weil zu den nach Abs. 2 zu berücksichtigenden Faktoren nicht allein, aber auch solche gehören, die schon für die Prognose nach Abs. 1 von Belang sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 28. August 2012 - 3 StR 305/12, StV 2013, 85).
4
Vorliegend lässt sich den Urteilsgründen schon nicht entnehmen, ob das Landgericht eine Strafaussetzung zur Bewährung mangels günstiger Sozialprognose nach § 56 Abs. 1 StGB oder aber wegen Fehlens besonderer Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB abgelehnt hat. Der Senat vermag deshalb nicht zu beurteilen, ob das Landgericht die geforderte Prüfungsreihenfolge eingehalten und unter Zugrundelegung des jeweils richtigen Maßstabes entschieden hat.
5
Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil auch. Der Umstand, dass der Angeklagte die abgeurteilte Tat wenige Tage vor Ablauf der Bewährungszeit, die eine nicht einschlägige Straftat betraf, begangen hat, steht einer günstigen Sozialprognose nicht ohne Weiteres entgegen. Die Tatbegehung während des Laufs einer Bewährungszeit schließt die erneute Strafaussetzung zur Bewährung nicht grundsätzlich aus (BGH, Urteil vom 10. November 2004 - 1 StR 339/04, NStZ-RR 2005, 38). Vielmehr ist bei der zu treffenden Prognoseentscheidung eine Gesamtwürdigung vorzunehmen, bei der namentlich die Persönlichkeit des Täters, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen sind, die von der Strafaussetzung für ihn zu erwarten sind (§ 56 Abs. 1 Satz 2 StGB; vgl. BGH, Beschluss vom 15. Mai 2001 - 4 StR 306/00, BGHSt 47, 32, 36). Dem Urteil kann indes nicht entnommen werden, ob das Landgericht nach der gebotenen Gesamtwürdigung aller wesentlichen negativen sowie positiven Prognosekriterien eine günstige Sozialprognose verneint hat.
6
Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.
Becker Schäfer Mayer RiBGH Gericke befindet sich Spaniol im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafgesetzbuch - StGB | § 56 Strafaussetzung


(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig au

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 305/12
vom
28. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Wohnungseinbruchdiebstahls
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 28. August 2012 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 13. März 2012, soweit es den Angeklagten P. betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung abgelehnt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Wohnungseinbruchdiebstahls zur Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die wirksam auf die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkte Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel ist begründet.
2
Das Landgericht hat die Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung abgelehnt, da es "in der Person des Angeklagten P. oder in der Tat keine besonderen Umstände zu erkennen" vermochte, "aus denen sich ergeben würde, dass eine Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr geboten wäre".
3
Diese Begründung hält der rechtlichen Prüfung nicht stand. § 56 Abs. 2 StGB ermöglicht dem Gericht, besondere, in der Tat oder der Persönlichkeit des Angeklagten vorliegende Umstände zu berücksichtigen. Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1, also bei Vorliegen einer günstigen Sozialprognose , die stets vorrangig zu prüfen ist, und wenn der Ausschlussgrund des Abs. 3 nicht gegeben ist, auch die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren zur Bewährung aussetzen. Besondere Umstände in diesem Sinne sind Milderungsgründe von besonderem Gewicht, die eine Strafaussetzung trotz des sich in der Strafhöhe widerspiegelnden Unrechts- und Schuldgehalts als nicht unangebracht erscheinen lassen (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 56 Rn. 19 f. mwN).
4
Diesen Maßstäben wird die Ablehnung durch das Landgericht nicht gerecht. Sie lässt bereits die Prüfung der Sozialprognose des Angeklagten gemäß § 56 Abs. 1 StGB vermissen. Es ist aber schon im Ansatz rechtsfehlerhaft, besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB zu verneinen, ohne sich mit der Frage zu befassen, ob dem Angeklagten eine günstige Sozialprognose nach § 56 Abs. 1 StGB zu stellen ist. Dies gilt schon deshalb, weil zu den nach Abs. 2 zu berücksichtigenden Faktoren auch solche gehören, die schon für die Prognose nach Abs. 1 von Belang sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 30. April 2009 - 2 StR 112/09, NStZ 2009, 441). Die Erwägung, dass "keine besonderen Umstände zu erkennen" seien, nach denen eine Strafaussetzung "geboten wäre", gibt zudem Anlass zu der Besorgnis, dass das Landgericht bei seiner versagenden Entscheidung zu hohe Anforderungen an das Vorliegen besonderer Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB gestellt haben könnte.
Zu den danach zu berücksichtigenden Umständen können - neben denen, die schon für eine günstige Prognose nach Abs. 1 von Bedeutung waren - auch solche gehören, die bei der Findung des Strafrahmens oder der Festsetzung der konkreten Strafhöhe von Bedeutung sind, hier etwa der Umstand, dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist sowie der Umfang der bereits durch Anrechnung der Untersuchungshaft als verbüßt geltenden Freiheitsstrafe (vgl. Fischer, aaO, Rn. 20 mwN).
5
Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.
Schäfer Pfister Hubert Mayer Gericke

(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.

(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.

(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.

(4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 339/04
vom
10. November 2004
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. November
2004, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 31. März 2004 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten unter Stafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Davon hat er mehr als neun Monate durch Untersuchungshaft verbüßt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Strafaussetzung zur Bewährung beschränkten Revision. Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung materiellen Rechts. Sie hält die Vollstreckung der Strafe zur Verteidigung der Rechtsordnung für geboten. Die Revision wird vom Generalbundesanwalt vertreten. Er meint, die Annahme einer günstigen Sozialprognose werde nicht durch Tatsachen belegt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts griff der Angeklagte am 14. Juni 2003 der damals 8jährigen Geschädigten in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang im Schwimmbad insgesamt dreimal unter dem Badeanzug an die Scheide. Der Angeklagte wurde 1995 wegen einer exhibitionistischen Handlung (Tatzeit Oktober 1994) zu einer Geldstrafe und im Jahre 2000 wegen sexueller Handlungen vor einem Kind in vier Fällen (Tatzeiten Februar bis Mai 1999) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Der Therapieweisung im Bewährungsbeschluß folgte er und begab sich ca. ein Jahr lang in eine abgeschlossene psychotherapeutische Behandlung. Wenige Tage vor Ablauf der Bewährungszeit beging er die hier abgeurteilte Tat, nachdem er bereits in den Tagen zuvor Mädchen heimlich beim Umziehen in Schwimmbädern fotografiert und deren nackte Geschlechtsteile aufgenommen hatte. Die durch einen psychiatrischen Sachverständigen beratene Kammer hat festgestellt, daß beim Angeklagten eine sexuelle Deviation in Form einer heterosexuellen Pädophilie vorliegt, so daß von einer "schweren anderen seelischen Abartigkeit" auszugehen ist, die jedoch zu keiner Einschränkung der Schuldfähigkeit bei der Tat geführt hat.

II.

1. Die Annahme einer günstigen Prognose (§ 56 Abs. 1 StGB) durch das Landgericht begegnet keinen durchgreifenden Bedenken.
Das Landgericht hat die gebotene Gesamtwürdigung vorgenommen und dabei alle wesentlichen negativen sowie positiven Prognosekriterien in seine Würdigung einbezogen (UA S. 20 bis 23). Es kommt bei einer Zusammenschau der Kriterien im Anschluß an den Sachverständigen zu dem Ergebnis, "daß bei dem Angeklagten zwar grundsätzlich ein gewisses Maß an Wiederholungsgefahr gegeben sei, daß jedoch zeitnah nur eine geringe Gefahr neuerlicher Übergriffe zu erwarten sein wird. Das weiterhin bestehende Risiko für eine Wiederholung ähnlicher oder gleichartiger Sexualstraftaten sei gegenwärtig als eher gering anzusehen". Insoweit geht das Tatgericht von einem zutreffenden Maßstab aus. Die Erwartung im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB setzt nicht eine sichere Gewähr für künftiges straffreies Leben voraus. Ausreichend ist, daß die Wahrscheinlichkeit künftigen straffreien Verhaltens größer ist als diejenige neuer Straftaten (BGH NStZ 1997, 594). Das Landgericht hat nicht verkannt, daß der Angeklagte die Tat unter offener einschlägiger Bewährung begangen hat und dabei einer handlungsbestimmenden pädophilen, bislang therapieresistenten Sexualpräferenz gefolgt ist. Dabei hat es die Umstände der Tat in jeder Form sowie die Vortaten und das Vorleben des Angeklagten berücksichtigt. Die Tatbegehung während des Laufs einer Bewährungszeit schließt aber die erneute Strafaussetzung zur Bewährung nicht grundsätzlich aus (BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 15). Bei der prognostischen Gesamtwürdigung der früheren Taten und der neuen Tat hat die dem Sachverständigen folgende Kammer aus den Zeitabständen zwischen ihnen rechtsfehlerfrei geschlossen, daß der Angeklagte seine devianten sexuellen Bedürfnisse über längere Zeiträume ausreichend kontrollieren könne und keine sehr schwere Persönlichkeitsstörung aufweise. Das Landgericht hat maßgeblich darauf abgestellt, daß der Angeklagte mehr als neun Monate Untersuchungshaft verbüßt und dort wegen der Beschuldigung des sexu-
ellen Mißbrauchs eines Kindes derart negative Erfahrungen gemacht hat, daß er "froh sei, daß er noch lebe". Diese Erfahrungen haben bei dem Angeklagten zu einer über das Geständnis hinausgehenden in der Hauptverhandlung geäußerten Schuld- und Unrechtseinsicht geführt. Ihm sei klar geworden, welche Folgen derartige Delikte für die kindliche Entwicklung haben können, wenn solche auch im konkreten Fall jedenfalls nicht aktenkundig geworden sind. Er meint, er hätte sich jemandem anvertrauen müssen, um so Hilfe zu erlangen. Das Gericht geht daher davon aus, die erfahrene Untersuchungshaft werde den Angeklagten davon abhalten, wieder auftretenden pädophilen Neigungen nachzugehen, er werde ihnen vielmehr durch Inanspruchnahme fremder Hilfe zu begegnen wissen. Diese Erwägungen zur Nachreifung und Stabilisierung des Angeklagten in der Untersuchungshaft tragen die positive Prognoseentscheidung (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 11). Auch die übrigen Schlußfolgerungen des Landgerichts hinsichtlich eines festen Arbeitsplatzes und einer gewissen Aussicht auf eine feste Bindung sind möglich, zwingend brauchen sie nicht zu sein. 2. Das Landgericht hat die Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 StGB ebenfalls ohne Rechtsfehler bejaht. Es geht davon aus, daß der Angeklagte aufgrund der in besonderem Maße gezeigten Schuldeinsicht und Reue sich nicht nur - wie nach der letzten Verurteilung - in Therapie begeben werde, wozu er bereit ist und was erneut als Bewährungsweisung erteilt wurde, sondern auch ernsthaft an sich arbeiten werde. Das lasse bei der Gesamtbetrachtung und der positiven Sozialprognose die Bewährungschance noch einmal zulässig erscheinen. Diese Wertung liegt innerhalb des dem Tatrichter zustehenden Beurteilungsspielraums und ist vom Revisionsgericht hinzunehmen, selbst wenn eine zum umgekehrten Ergebnis
führende Würdigung ebenfalls rechtlich möglich gewesen wäre (BGH NStZ 1981, 389, 390). 3. Entgegen der Auffassung der Revision gebietet auch die Verteidigung der Rechtsordnung nicht die Vollstreckung der erkannten Strafe. Zutreffend geht die Strafkammer davon aus, daß die Möglichkeit der Strafaussetzung keinesfalls für bestimmte Deliktsgruppen - sexueller Mißbrauch von Kindern - generell ausgeschlossen werden kann (BGHR StGB § 56 Abs. 3 Verteidigung 2). Mit Rücksicht auf die vom Landgericht angestellten Erwägungen ist auszuschließen , daß durch die Strafaussetzung zur Bewährung im vorliegenden Fall die Rechtstreue der Bevölkerung ernsthaft beeinträchtigt und sie von der Allgemeinheit als ungerechtfertigtes Zurückweichen vor der Kriminalität angesehen wird (BGHR StGB § 56 Abs. 3 Verteidigung 7 und 9). Wahl Kolz Hebenstreit Elf Graf

(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.

(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.

(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.

(4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.