Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Aug. 2016 - 3 StR 119/16

bei uns veröffentlicht am23.08.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 119/16
vom
23. August 2016
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern
ECLI:DE:BGH:2016:230816B3STR119.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 23. August 2016 einstimmig
beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 26. November 2015 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2, § 354 Abs. 1a StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Ob – wie der Angeklagte meint – das Landgericht niedrigere Strafen verhängt hätte, wenn es den langen zeitlichen Abstand zwischen den Taten und der Verurteilung in gleichem Maße berücksichtigt hätte, wie bei anderen Straftaten auch (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2015 - 3 StR 342/15, NStZ 2016, 277), ist für die Frage, ob der Senat nach § 354 Abs. 1a StPO entscheiden kann, irrelevant, denn bei dieser Entscheidung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung des Revisionsgerichts; darauf, wie der Tatrichter entschieden hätte, kommt es nicht an (BT-Drucks. 15/3482 S. 22; BGH, Beschluss vom 22. August 2006 - 1 StR 293/06, BGHSt 51, 84, 86).
Dass der Angeklagte mit Schriftsatz vom 19. August 2016 hat vorbringen lassen, die „erhebliche Belastung der familiären Situation (…), insbesondere zu seiner Ehefrau (…)“ sei „mitursächlich für die erheblichen, nach Durchführung der Hauptverhandlung zwischenzeitlich eingetretenen psychischen Probleme des Angeklagten“, steht einer Entscheidung des Senats nach § 354 Abs. 1a StPO ebenfalls nicht entgegen. Der Vortrag neuer Tatsachen führt lediglich dazu , dass das Revisionsgericht solche neuen Umstände bei seiner Entscheidung , ob die in dem angefochtenen Urteil verhängte Strafe angemessen ist, zu berücksichtigen hat (BGH, Beschluss vom 11. August 2009 - 3 StR 175/09, JR 2011, 177, 179 f. mit zust. Anmerkung Peglau; vgl. auch BeckOK StPO/Wiedner, § 354 Rn. 79; LR/Franke, StPO, 26. Aufl. § 354 Rn. 55; aA Gaede, StV 2011, 139, 141; Dehne-Niemann, StV 2016, 601). Auch unter Berücksichtigung der genannten Umstände erweisen sich die in dem angefochtenen Urteil verhängten Einzelstrafen sowie die Gesamtfreiheitsstrafe als angemessen. Schäfer Hubert Gericke Spaniol Tiemann

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 342/15
vom
29. Oktober 2015
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes
hier: Anfragebeschluss
ECLI:DE:BGH:2015:291015B3STR342.15.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 29. Oktober 2015 beschlossen:
Der Senat beabsichtigt zu entscheiden: Dem zeitlichen Abstand zwischen Tat und Urteil kommt im Rahmen der Strafzumessung bei Taten des sexuellen Missbrauchs eines Kindes die gleiche Bedeutung zu wie bei anderen Straftaten.
Der Senat fragt bei den anderen Strafsenaten an, ob an (gegebenenfalls ) entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.

Gründe:

1
I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 35 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Der Angeklagte wendet sich mit verfahrens- und materiellrechtlichen Beanstandungen gegen seine Verurteilung.
2
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen entblößte der Angeklagte in dem Zeitraum vom 1. März 1990 bis zum 1. März 1994 in mindestens 35 Fällen beim Zubettbringen seiner am 1. März 1985 geborenen Tochter sein Geschlechtsteil vor dem Kind und veranlasste dieses, seinen Penis zu berühren. Das Mädchen nahm hierbei das Glied des Angeklagten in eine oder beide Hände, warf dieses zwischen den Händen hin und her oder umschloss es mit der ganzen Hand. Der Penis des Angeklagten war nicht in allen Fällen erigiert ; in mindestens einem Fall kam es jedoch zu einem Samenerguss. Wenigstens einmal berührte der Angeklagte mit dem Finger die entblößte Scheide des Kindes; in einem weiteren Fall demonstrierte er den Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau, indem er sein Geschlechtsteil an der Scheide des Mädchens rieb. Während der Taten erklärte der einen offenen und liberalen Erziehungsstil pflegende Angeklagte, dass dies "dazu gehöre" und eine "gute Tochter das so mache". Allerdings schärfte er seiner Tochter auch ein, sie dürfe niemandem von den Geschehnissen berichten, da er sonst "ins Gefängnis müsse".
3
Nach Auffassung des Senats dringen die Verfahrensbeanstandungen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ausgeführten Gründen nicht durch. Der Schuldspruch hält materiellrechtlicher Überprüfung stand. Die Feststellungen beruhen auf einer nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung ; gegen die rechtliche Würdigung des Geschehens ist ebenfalls nichts zu erinnern. Der Senat beabsichtigt allerdings, auf die Sachrüge den gesamten Strafausspruch aufzuheben. Anlass hierzu sowie zu dem Anfrageverfahren gibt die unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Rechtsprechung des 1. Strafsenats (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2006 - 1 StR 7/06, NStZ 2006, 393) vorgenommene Wertung des Landgerichts, zu Gunsten des Angeklagten spreche zwar, dass die Taten inzwischen sehr lange zurück lägen; jedoch könne dieser Umstand vorliegend nicht in gleicher Weise Berücksichtigung finden wie bei anderen Straftaten, da der sexuelle Kindesmissbrauch im familiären Umfeld geschehen und die späte Anzeige der Tat hierdurch mitbedingt gewesen sei, so dass die gesetzgeberische Wertung des § 78b StGB tangiert werde. Es ist nicht auszuschließen, dass sowohl die Einzelstrafen als auch die Gesamtstrafe nied- riger ausgefallen wären, hätte das Tatgericht diesen Gesichtspunkt nicht in die Abwägung eingestellt.
4
II. Der 1. Strafsenat hat in der genannten Entscheidung ausgeführt, dem langen Abstand zwischen Tat und Urteil komme bei Fällen sexuellen Kindesmissbrauchs nicht eine gleich hohe Bedeutung wie in anderen Fällen zu. Dies gelte insbesondere in den Fällen, in denen ein Kind vom im selben Familienverband lebenden (Stief-)Vater missbraucht werde und erst im Erwachsenenalter die Kraft zu einer Aufarbeitung des Geschehens mit Hilfe einer Strafanzeige finde. Deshalb habe der Gesetzgeber auch die besondere Verjährungsregelung in § 78b StGB getroffen.
5
Demgegenüber hatte der 5. Strafsenat zuvor in einem Fall, der die Vergewaltigung eines zur Tatzeit 14 Jahre alten Mädchens betraf, - nicht tragend - darauf hingewiesen, der Umstand, dass der Angeklagte erst 18 Jahre nach der Tat strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden sei, stelle einen strafmildernd zu berücksichtigenden Gesichtspunkt dar, auch wenn Fälle der vorliegenden Art aus tatsächlichen Gründen vielfach lange Jahre unbekannt blieben und der Gesetzgeber diesem Umstand durch § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB dadurch Rechnung getragen habe, dass die Verjährung bei diesen Delikten bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Opfers ruhe (BGH, Beschluss vom 29. September 1997 - 5 StR 363/97, NStZ-RR 1998, 207).
6
Der Senat vermag sich der Ansicht des 1. Strafsenats, der ein Teil der Literatur gefolgt ist (SK-StGB/Wolters, 135. Lfg., § 176 Rn. 13; LK/Hörnle, StGB, 12. Aufl., § 176 Rn. 55; S/S-Eisele, StGB, 29. Aufl., § 176 Rn. 29; aA Fischer, StGB, 63. Aufl., § 46 Rn. 61; § 176 Rn. 35; MüKoStGB/Renzikowski, 2. Aufl., § 176 Rn. 66), nicht anzuschließen; denn sie vermischt in sachlich nicht gerechtfertigter Weise Gesichtspunkte der Strafzumessung mit solchen der Verjährung.
7
1. Die Strafe soll eine angemessene staatliche Reaktion auf die Begehung einer Straftat sein. Ihre Bemessung erfordert eine einzelfallorientierte Abwägung der strafzumessungsrelevanten Umstände. Grundlagen der Strafzumessung sind dabei die Schwere der Tat in ihrer Bedeutung für die verletzte Rechtsordnung und der Grad der persönlichen Schuld des Täters, § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB (BGH, Urteil vom 4. August 1965 - 2 StR 282/65, BGHSt 20, 264, 266). Daneben ist die Resozialisierung des Täters der zentrale Gesichtspunkt der Strafzumessung, denn das Tatgericht hat bei der konkreten Strafbemessung die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB. Nach diesen Maßgaben kann ein langer zeitlicher Abstand zwischen Tat und Urteil eine Strafmilderung gebieten. Der Ablauf der Zeit mindert zwar nicht die Tatschuld, doch kann er Tat und Täter in einem günstigeren Licht erscheinen lassen, als es bei schneller Ahndung der Fall gewesen wäre; dies gilt insbesondere , wenn sich die Tat durch den Zeitablauf als einmalige Verfehlung des Täters erwiesen, er sich inzwischen jahrelang einwandfrei geführt und der Verletzte die Folgen der Tat überwunden hat (LK/Theune, StGB, 12. Aufl., § 46 Rn. 240). Ein langer Zeitablauf nach der Tat führt deshalb nicht nur zu einer Minderung des Sühneanspruchs, weil das Strafbedürfnis allgemein abnimmt (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 141 f.), sondern erfordert auch eine gesteigerte Prüfung der Wirkungen der Strafe für den Täter (BGH, Beschluss vom 20. Februar 1998 - 2 StR 20/98, BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 35).
8
2. Demgegenüber betreffen die Vorschriften über die Verfolgungsverjährung ausschließlich die Verfolgbarkeit der Tat (BVerfG, Beschluss vom 31. Januar 2000 - 2 BvR 104/00, NStZ 2000, 251); nach Ablauf der Verjährungsfrist ist die Ahndung der Tat und die Anordnung von Maßnahmen nicht mehr möglich, § 78 Abs. 1 Satz 1 StGB. Das Rechtsinstitut der Verjährung soll dem Rechtsfrieden dienen und einer etwaigen Untätigkeit der Behörden in jedem Abschnitt des Verfahrens entgegenwirken (BGH, Urteil vom 26. Juni 1958 - 4 StR 145/58, BGHSt 11, 393, 396; Beschluss vom 23. Januar 1959 - 4 StR 428/58, BGHSt 12, 335, 337 f.). Zur Erreichung dieser Ziele hat der Gesetzgeber in den §§ 78 ff. StGB ein differenziert ausgestaltetes System normiert, innerhalb dessen die Dauer der Verjährungsfrist im Ausgangspunkt unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalles maßgeblich vom Höchstmaß der durch die betreffende Strafvorschrift allgemein angedrohten Strafe bestimmt wird, vgl. § 78 Abs. 3 StGB.
9
3. Aus diesen unterschiedlichen Zwecken und Ausgestaltungen der Strafzumessung und der Verfolgungsverjährung folgt einerseits, dass für die Frage der Verjährung nicht von Bedeutung ist, ob mit Blick auf die Strafzumessungsmaximen Schuld und Spezialprävention eine staatliche Reaktion auf die Begehung einer Straftat in Form einer Sanktionierung des Täters (noch) notwendig und gegebenenfalls welche angemessen erschiene. Andererseits spielt die Dauer der Verjährungsfrist für die Strafzumessung und die dort zu bewertenden Umstände keine Rolle. Das Gewicht, mit dem der zeitliche Abstand zwischen einer noch verfolgbaren Tat und dem Urteil in die Bemessung der Strafe einzustellen ist, hängt nicht von der Länge der zunächst nach §§ 78, 78a StGB zu bestimmenden Verjährungsfrist ab. Es wird auch nicht dadurch beeinflusst, dass die Tat gegebenenfalls länger verfolgbar ist, weil die Voraussetzungen eines der Tatbestände gegeben sind, bei deren Erfüllung die Verjährung nach § 78b StGB ruht oder gemäß § 78c StGB unterbrochen wird. Dies gilt etwa auch für die Ruhensregelung des § 78b Abs. 4 StGB, die an die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Landgericht und das Bestehen besonders schwerer Fälle anknüpft, die bei bestimmten Delikten als strafschärfende Umstände gesetzlich normiert sind.
10
Gründe dafür, hiervon für die Fälle des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB abzuweichen und dem zeitlichen Abstand zwischen Tat und Urteil dort generell ein geringeres Gewicht zuzumessen, sind nicht ersichtlich. In § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB hat der Gesetzgeber - erstmals mit dem 30. Strafrechtsänderungsgesetz vom 23. Juni 1994 (BGBl. I S. 1310) - eine deliktsspezifische Bestimmung zum Ruhen der Verfolgungsverjährung getroffen, die den Besonderheiten bei zum Nachteil von jungen Menschen begangenen Sexualstraftaten Rechnung tragen soll. Der Gesetzgeber hat hierzu in der Gesetzesbegründung ausgeführt, Sexualstraftaten an Kindern und Jugendlichen würden den Strafverfolgungsbehörden häufig erst bekannt, wenn die Taten bereits viele Jahre zurückliegen, weil sie überwiegend von Familienangehörigen begangen und die Opfer von den Tätern häufig dahin beeinflusst würden, die Übergriffe zu verschweigen. Wenn die Opfer erst lange Zeit nach der Tat in der Lage seien, Strafanzeige zu erstatten , sei eine Strafverfolgung wegen Verjährung der Taten in vielen Fällen nicht mehr möglich (vgl. BT-Drucks. 12/2975 S. 1; 12/3825 S. 1; 12/6980 S. 1; Hervorhebung nicht im Original). Deshalb solle die Verjährung bis zu dem Zeitpunkt ruhen, bis zu dem das Opfer in der Lage sei, das Erlebte in seiner gesamten Dimension zu erfassen und auf dieser Grundlage über das Für und Wider einer Strafanzeige zu entscheiden (vgl. BT-Drucks. 12/6980 S. 4). Diese Erwägungen belegen eindeutig, dass der Gesetzgeber lediglich den Willen hatte , die Verfolgbarkeit von bestimmten Straftaten auch über die bis dahin geltenden Verjährungsregelungen hinaus zu ermöglichen. Den Gesetzesmateria- lien ist demgegenüber an keiner Stelle zu entnehmen, dass es ihm auch darauf ankam, über diesen Gesichtspunkt hinaus die in den §§ 46 ff. StGB geregelten und von Rechtsprechung und Literatur entwickelten Strafzumessungskriterien sowie deren Gewichtung zu modifizieren. Dies gilt auch für die nachfolgenden Änderungen der Vorschrift, durch die der Deliktskatalog erweitert und das Ruhen der Verjährung bis mittlerweile zur Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers angeordnet worden ist (vgl. etwa BT-Drucks. 15/350 S. 13; 16/13671 S. 24; 18/2601 S. 14, 22 f.).
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Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die letzte Erhöhung der Altersgrenze bewirkt, dass schwere Sexualdelikte frühestens mit Vollendung des 50. Lebensjahres des Opfers verjähren, wobei sich diese Frist durch Unterbrechungshandlungen bis zur Vollendung des 70. Lebensjahres des Opfers verlängern kann (BT-Drucks. 18/2601 S. 23). Diese Wertung des Gesetzgebers ist zwar trotz der sich hieraus für die Rechtspraxis ergebenden Probleme hinzunehmen. Der Senat würde es jedoch - ungeachtet der bereits dargelegten Bedenken - in solchen Fällen für regelmäßig als in der Sache unangemessen erachten , den Abstand zwischen Tat und Urteil von gegebenenfalls mehreren Jahrzehnten bei der Strafzumessung nur eingeschränkt zu Gunsten eines möglicherweise in der Zwischenzeit straflosen Täters zu gewichten.
12
III. Der Senat fragt deshalb an beim 1. Strafsenat, ob an der entgegen stehenden Rechtsprechung festgehalten wird, und bei den anderen Strafsenaten , ob ggf. an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird, § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG.
Becker Hubert Schäfer Mayer Spaniol

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 293/06
vom
22. August 2006
in der Strafsache
gegen
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________________
Zur Anwendbarkeit von § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO bei einer Urteilsabsprache,
die eine "Punktstrafe" zum Gegenstand hatte.
BGH, Beschl. vom 22. August 2006 - 1 StR 293/06 - LG Stuttgart
wegen unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
in nicht geringer Menge
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. August 2006 beschlossen
:
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag gegen die Versäumung
der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil
des Landgerichts Stuttgart vom 31. Januar 2006 Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand gewährt.
Damit ist der Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom
12. April 2006, mit dem die Revision des Angeklagten gegen
das vorbezeichnete Urteil als unzulässig verworfen worden ist,
gegenstandslos.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil
wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels
und der Wiedereinsetzung.
Gründe (zu 2.):
1 Der Angeklagte gehörte einer Bande an, die in erheblichem Umfang mit
großen, aus den Niederlanden eingeschmuggelten Rauschgiftmengen Handel
getrieben hat. Die abgeurteilten Taten beziehen sich auf insgesamt mehr als
25 kg Marihuana sowie in geringerem Umfang auch auf Kokain. Deshalb wurde
er zu acht Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, wobei das Strafmaß auf einer
verfahrensbeendenden Absprache beruht.
I.
2 Dem liegt, so die Revision, folgender Verfahrensgang zu Grunde: Nach
mehrtägiger Beweisaufnahme hatte das Gericht erstmals im Verfahren die Möglichkeit
einer verfahrensbeendenden Absprache angesprochen. Bei einem danach
außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gespräch lagen „die Vorstellungen
über das mögliche Strafmaß … zunächst erheblich auseinander“. Der
„Vorschlag“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren kam seitens des
Gerichts. In der Hauptverhandlung wurde der Inhalt dieses Gesprächs bekannt
gegeben; ausweislich der Niederschrift der Hauptverhandlung bezeichnete das
Gericht die genannte Strafe als „angemessen“, was unter Abwägung für und
gegen den Angeklagten sprechender Umstände näher begründet wurde. Anschließend
fand nur noch in sehr geringem Umfang Beweisaufnahme statt.
Letztlich waren alle Verfahrensbeteiligten mit dem Vorschlag des Gerichts einverstanden.
In seinen Schlussausführungen stellte der Verteidiger des Angeklagten
keinen konkreten Antrag zur Strafhöhe.
3 Mit seiner auf den Strafausspruch beschränkten Revision macht der Angeklagte
geltend, das Gericht habe sich bereits vor der Urteilsberatung auf eine
exakte Strafhöhe („Punktstrafe“) festgelegt.
II.
4 1. Ob der geschilderte Protokollinhalt den Revisionsvortrag, das Gericht
habe sich schon vor der Urteilsberatung letztlich unwiderruflich auf eine bestimmte
Strafe festgelegt, zwingend belegt, mag dahinstehen. Immerhin könnte
der Umstand, dass der Verteidiger in seinen Schlussausführungen keinen kon-
kreten Antrag zur Strafhöhe gestellt hat, dahin deuten, dass er die Strafe in das
seiner Ansicht nach noch bestehende Ermessen des Gerichts stellen wollte.
Der Senat sieht jedoch von an sich möglichen freibeweislichen Ermittlungen
(vgl. BGH NStZ 1999, 571, 572) ab. Er geht, ebenso wie die Generalbundesanwältin
, vom Vorbringen der Revision aus: Die Staatsanwaltschaft hat in ihrer
Revisionsgegenerklärung (§ 347 Abs. 1 Satz 2 StPO) dem Vorbringen der Revision
nicht widersprochen, und auch das Gericht hat sich zu keiner dienstlichen
Erklärung veranlasst gesehen (vgl. BGH StV 2000, 652, 653; StraFo 2003, 379,
380).
5 2. Revision und Generalbundesanwältin legen zutreffend dar, dass nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hier § 261 StPO ebenso verletzt
ist wie § 46 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StGB. Das Gericht kann zwar bei verfahrensbeendenden
Absprachen eine Strafobergrenze nennen, es darf sich
aber nicht auf eine exakte Strafhöhe („Punktstrafe“) festlegen (BGHSt 50, 40,
51 ; 43, 195, 206 f.; NStZ 1999, 571, 572; ebenso KG NStZ-RR
2004, 175, 178); in der Regel wird auch nicht völlig auszuschließen sein, dass
der Strafausspruch auf einer solchen schon vor den Schlussvorträgen der Verfahrensbeteiligten
(§ 258 StPO) und der nachfolgenden Urteilsberatung (§ 260
Abs. 1 StPO) vorgenommenen Selbstbindung des Gerichts beruht (vgl. BGHSt
43, 195, 211). Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn, wie hier, der Absprache
eine längere Beweisaufnahme voranging und, wie hier ebenfalls, ihr Ergebnis
mit abwägenden Erwägungen näher begründet wurde. Schließlich ändert
sich auch nicht dadurch etwas, dass hier die Strafzumessungserwägungen des
Urteils, die im Kern der Begründung des gerichtlichen Vorschlags entsprechen,
so auch die Revision „für sich allein gesehen … wohl nicht beanstandet werden“
können (vgl. BGHSt 43, 195, 211; KG aaO).
6 3. Gleichwohl hat der Strafausspruch Bestand (§ 349 Abs. 2 StPO), da
der Senat, entsprechend dem Antrag der Generalbundesanwältin, die Strafe
trotz des aufgezeigten Mangels für angemessen hält, § 354 Abs. 1a Satz 1
7 a) Die Revision macht demgegenüber geltend, hier stünden schon
grundsätzliche Erwägungen einer Anwendbarkeit von § 354 Abs. 1a Satz 1
StPO entgegen.
8 (1) So meint sie, wenn der Tatrichter „das ihm obliegende abschließende
Beurteilungsermessen nicht ausgeübt“ habe, sei „es grundsätzlich erforderlich,
die Sache an ihn zur Nachholung der rechtlich gebotenen Entscheidung zurückzugeben“.
9 Einen derartigen Rechtsgrundsatz gibt es nicht. Der Anwendung von
§ 354 Abs. 1a Satz 1 StPO steht nicht entgegen, dass nicht festgestellt werden
kann, dass der Tatrichter ohne den Fehler auf dieselbe Strafe erkannt hätte
(vgl. BTDrucks. 15/3482 S. 21 f.; BGH NJW 2005, 913, 914; BGH, Beschluss
vom 17. März 2006 - 1 StR 577/05 m.w.N.). Dementsprechend kommt es nicht
darauf an, ob hier die Strafkammer, hätte sie ihr „abschließendes Beurteilungsermessen“
ausgeübt, zu demselben oder zu einem anderen Ergebnis gekommen
wäre. Deshalb ist es auch nicht erforderlich, die Sache zur Nachholung
dieses Ermessens an den Tatrichter zurückzuverweisen.
10 (2) In ihrer Erwiderung auf den Antrag der Generalbundesanwältin (§ 349
Abs. 3 Satz 2 StPO) führt die Revision aus, obwohl die Entscheidung des Großen
Senats für Strafsachen (BGHSt 50, 40) „Gegenstand intensivster rechtlicher
Diskussion (war,) … verhält sich die … Strafkammer …, als habe es den
Beschluss des Großen Senats (und die vorangegangene Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs …) überhaupt nicht gegeben. Unter solchen Umständen
verbietet sich die ‚alles verzeihende’ Anwendung von § 354 Abs. 1a Satz 1
StPO.“
11 Der Senat kann dem nicht folgen.
12 Einen Rechtssatz, dass § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO nicht anwendbar wäre
, wenn der Tatrichter revisionsgerichtliche Rechtsprechung außer Betracht
gelassen hat, gibt es nicht. Daran ändert sich auch nicht dadurch etwas, dass
diese Rechtsprechung (ebenso wie ihre zu erwartende Übernahme in eine künftige
gesetzliche Regelung, wie die Revision im Einzelnen dargelegt hat) in der
Fachöffentlichkeit breit diskutiert wird.
13 Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof wiederholt und in unterschiedlichen
Zusammenhängen ausgesprochen, dass das Revisionsgericht den Tatrichter
nicht zu „sanktionieren“ (BGH StV 2004, 196) oder zu „maßregeln“ (BGH
NStZ-RR 2006, 112, 114 f.) hat. Dies gilt auch hier. Dementsprechend kann es
für die Anwendbarkeit von § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO auch nicht darauf ankommen
, ob der dem Tatrichter bei der Rechtsfolgenbestimmung unterlaufene
Rechtsfehler „verzeihlich“ erscheint oder nicht.
14 b) Auch sonst steht einer Entscheidung gemäß § 354 Abs. 1a Satz 1
StPO nichts entgegen. Die im Urteil mitgeteilten Strafzumessungsumstände
sind nicht lückenhaft oder unklar und ermöglichen dem Revisionsgericht die
Prüfung und Beantwortung der Frage, ob die Rechtsfolge angemessen ist (vgl.
Senge in FS für Hans Dahs 2005, 475, 486). Ebenso wenig ist erkennbar, dass
es hier im Einzelfall besonders auf den persönlichen Eindruck vom Angeklagten
ankäme (vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 2006 - 1 StR 577/05; BGH NJW
2005, 1813, 1814). Schließlich gibt es auch keine Anhaltspunkte für erst nach
der Hauptverhandlung eingetretene und dementsprechend bisher nicht berücksichtigte
Entwicklungen oder Ereignisse, die ein neuer Tatrichter nahe liegend
feststellen und zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigen würde (vgl. BGH
StV 2005, 426).
15 c) Unter Abwägung aller für die Strafzumessung bedeutender Urteilsfeststellungen
und unter Berücksichtigung des gesamten hierauf bezogenen Vorbringens
der Verfahrensbeteiligten hält der Senat aus den von der Generalbundesanwältin
zutreffend im Einzelnen dargelegten Gründen sowohl die von der
Strafkammer verhängten Einzelstrafen als auch die daraus von ihr gebildete
Gesamtstrafe für angemessen.
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(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 175/09
vom
11. August 2009
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 11. August 2009 gemäß
§ 349 Abs. 2, § 354 Abs. 1 a StPO einstimmig beschlossen:
1. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 9. September 2008 werden verworfen.
2. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils der gefährlichen Körperverletzung schuldig gesprochen und gegen den Angeklagten H. eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten, gegen den Angeklagten N. eine solche von sechs Jahren verhängt. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren auf Rügen der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revisionen. Beide Rechtsmittel sind unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts wurden die Angeklagten von dem rechtskräftig verurteilten früheren Mitangeklagten vor dem Hintergrund eines Nachbarschaftsstreits dazu angestiftet, den Nebenkläger gemeinsam zusammenzuschlagen und ihn dabei erheblich zu verletzen. In Ausführung dieses Planes versteckten sich die Angeklagten am Morgen des Tattages in der Nähe des Carports des Nebenklägers hinter einer Hecke und stürmten auf diesen zu, als er - den beiden Angreifern den Rücken zuwendend - am Kofferraum seines Autos stand und sich keines Angriffs versah. Die Angeklagten drangen sogleich mit ihren beiden mitgeführten Schlagwerkzeugen - einer 60 bis 80 cm langen Eisenstange mit vier bis fünf Zentimeter Durchmesser sowie einem einer Stange ähnlichen Schlagwerkzeug aus hartem Material mit etwa gleicher Größe - auf den völlig überraschten und zu keiner Reaktion mehr fähigen Nebenkläger ein. Die Angeklagten schlugen diesem zunächst beinahe gleichzeitig von beiden Seiten kraftvoll gegen den Kopf, so dass der Angegriffene schwer verletzt zu Boden stürzte. Während der Nebenkläger zu einem Graben robbte, um den Angeklagten zu entkommen, schlugen diese weiter auf ihn ein. Das Opfer erlitt lebensgefährliche Verletzungen, u. a. eine Impressionsfraktur des rechten Schläfenbeines sowie einen Bruch des rechten Jochbeinbogens mit Zerreißung der harten Hirnhaut und Beschädigung der rechten, im Schädelinneren oberhalb der harten Hirnhaut verlaufenden Schlagader. Die Gewalthandlungen der Angeklagten hatten bleibende physische und psychische Schädigungen des Nebenklägers zur Folge. Das Landgericht hat die Tat der Angeklagten als gefährliche Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2, 3, 4 und 5 StGB gewürdigt.
3
1. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen hat zum Schuldspruch keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten erbracht. Allerdings ist die Annahme des Landgerichts rechtsfehlerhaft , die Angeklagten hätten den Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB (mittels eines hinterlistigen Überfalls) verwirklicht. Die getroffenen Feststellungen belegen lediglich einen plötzlichen Angriff von hinten sowie das bloße Ausnutzen des Überraschungsmomentes durch die Angeklagten. Dies reicht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für sich al- lein zur Verwirklichung des § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB aber nicht aus (vgl. Fischer , StGB 56. Aufl. § 224 Rdn. 10 m. w. N.). Dieser Rechtsfehler berührt indes den Schuldspruch wegen der rechtlich zutreffend angenommenen Verwirklichung der Tatbestandsalternativen des § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB nicht.
4
Gleiches gilt allerdings nicht für den Strafausspruch; denn die Strafkammer hat bei ihrer Strafzumessung zu Lasten beider Angeklagten berücksichtigt, dass sie vier Tatbestandsalternativen des § 224 Abs. 1 StGB verwirklicht hätten. Dies führt aus den oben dargelegten Gründen dazu, dass der Strafausspruch bei beiden Angeklagten rechtsfehlerhaft ist. Der Senat kann nicht ausschließen , dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Beurteilung mildere Freiheitsstrafen verhängt hätte. Gleichwohl können die vom Landgericht verhängten Strafen bestehen bleiben, weil sie angemessen sind (§ 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO).
5
a) Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer kann der Senat von der Aufhebung des Strafausspruchs nach dieser Vorschrift absehen und ist nicht gehindert, über den Strafausspruch selbst abschließend zu entscheiden.
6
§ 354 Abs. 1 a StPO wurde mit dem am 1. September 2004 in Kraft getretenen "1. Justizmodernisierungsgesetz" vom 24. August 2004 (BGBl I 2198, 2203) eingeführt. Ziel der - auch einer langjährigen Forderung der richterlichen Praxis folgenden - gesetzlichen Änderung war es, Zurückverweisungen an die Vorinstanz wegen solcher Fehler zu vermeiden, die ohne neue Tatsachenfeststellungen unschwer in der Revisionsinstanz behoben werden können. Die bereits durch § 337 Abs. 1 StPO unter bestimmten, engen Voraussetzungen eröffnete Möglichkeit, ein (an sich rechtsfehlerhaftes) Urteil nicht aufzuheben, sollte durch § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO "behutsam" dahin erweitert werden, dass das Revisionsgericht bereits dann von einer Aufhebung absehen kann, wenn die verhängte Rechtsfolge nach seiner Meinung angemessen ist (BTDrucks. 15/3482 S. 21 f.; vgl. Kuckein in KK 6. Aufl. § 354 Rdn. 26 a f.).
7
In der Folgezeit entwickelte der Bundesgerichtshof eine Rechtsprechung zu dieser Verfahrensweise, die von einem sehr weiten Anwendungsbereich der Norm ausging (vgl. Kuckein aaO Rdn. 26 d m. w. N.). Dabei wurde § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO auch bei einer Änderung des Schuldspruchs angewandt (vgl. BGHSt 49, 371). Diese Rechtsprechung hat der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts durch seinen Beschluss vom 14. Juni 2007 (BVerfGE 118, 212 = NStZ 2007, 598) einschränkend korrigiert. Dazu hat er unter anderem ausgeführt :
8
§ 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO verstoße nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Vorschrift sei im Ergebnis auch nicht wegen Verstoßes gegen den Anspruch eines Angeklagten auf ein faires Verfahren verfassungswidrig und damit nichtig, weil sie sich verfassungskonform auslegen und handhaben lasse. Verfassungskonform sei § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO ausgelegt, wenn die Kompetenz der Revisionsgerichte zu eigener Strafzumessung davon abhänge, dass ihnen für die Sachentscheidung ein zutreffend ermittelter (wahrer), vollständiger und aktueller Strafzumessungssachverhalt zur Verfügung stehe. Unter dieser Voraussetzung lasse sich die Strafzumessung nach dieser Vorschrift auch in der Revisionsinstanz verfassungskonform handhaben. Demgegenüber habe das Revisionsgericht von einer eigenen Entscheidung abzusehen und die Festsetzung der Rechtsfolgen dem Tatgericht zu überlassen, wenn ihm ein solcher Sachverhalt nicht vorliege oder wenn nicht auszuschließen sei, dass die tatsächliche Grundlage der Strafzumessung unzureichend sein könnte. Auf Grund der Fehleranfälligkeit jeglicher Strafzumessung anhand eines vorinstanzlichen Urteils könne das Revisionsgericht jedoch nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass ihm ein Sachverhalt zur Verfügung stehe, der für eine fehlerfreie Strafzumessung hinreiche. Von Ausnahmen abgesehen, werde es sich deshalb über das Vorliegen einer vollständigen und verlässlichen Entscheidungsgrundlage Gewissheit verschaffen müssen. Dies könne nicht im Wege einer Beweisaufnahme geschehen; denn diese habe der Gesetzgeber für das Revisionsverfahren aus guten Gründen nicht vorgesehen. Die Möglichkeit, Beweise zu erheben, lasse sich auch nicht im Wege verfassungskonformer Interpretation in § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO hineinlesen.
9
Das Revisionsgericht könne sich aber auf andere Weise als durch eine förmliche Beweisaufnahme über die tatsächliche Grundlage seiner Strafzumessung ins Bild setzen. Dies könne dadurch geschehen, dass das Gericht dem Angeklagten die Gelegenheit zur Stellungnahme im Revisionsverfahren einräume. Erhalte ein Angeklagter Kenntnis von einer beabsichtigten Entscheidung nach § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO, könne er - sofern er Einwände gegen eine solche Entscheidung hege - die Möglichkeit ergreifen, gegen diese vorzutragen. Über einen möglicherweise unzureichenden oder nicht mehr aktuellen Strafzumessungssachverhalt würde das Revisionsgericht damit informiert.
10
Aus diesem Grund habe das Revisionsgericht den Angeklagten auf die aus seiner Sicht für eine Sachentscheidung nach § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO sprechenden Gründe hinzuweisen. Eines derartigen Hinweises bedürfe es nur dann nicht, wenn - etwa wegen eines mit Gründen versehenen Antrags der Staatsanwaltschaft, auf den das Revisionsgericht seine Entscheidung stützen wolle - angenommen werden könne, dass der Angeklagte Kenntnis von einer im Raum stehenden Strafzumessungsentscheidung des Revisionsgerichts erlangt habe.
11
Das Informations- und Anhörungsverfahren müsse kein mündliches sein. Das Revisionsgericht sei nicht gehalten, eine eigene Rechtsfolgenentscheidung nur nach Durchführung einer zeitintensiven Revisionshauptverhandlung zu treffen. Hinweis und Anhörung könnten - entsprechend der Möglichkeit des Revisionsgerichts , außerhalb einer Hauptverhandlung im Schriftwege durch Beschluss zu entscheiden - schriftlich erfolgen. Allerdings müsse aus dem Hinweis für den Angeklagten deutlich werden, warum das Revisionsgericht der Auffassung sei, nach § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO verfahren zu können.
12
Unerlässlich seien insoweit konkrete Ausführungen zur "Angemessenheit" der Strafe trotz der im tatrichterlichen Urteil festgestellten Rechtsfolgenzumessungsfehler ; denn nur dann sei gewährleistet, dass sich der Angeklagte umfassend verteidigen könne. Er könne zum einen rechtliche Gründe gegen eine Strafzumessungsentscheidung des Revisionsgerichts vorbringen, indem er mit Blick auf den vom Tatgericht begangenen Strafzumessungsfehler die Angemessenheit der aufrechtzuerhaltenden Strafe in Abrede stelle. Er könne aber auch gegen die Strafzumessungsgrundlage vortragen. Einwände, die der Angeklagte gegen die Richtigkeit und Aktualität des Strafzumessungssachverhalts erhebe, habe das Revisionsgericht zu berücksichtigen.
13
Die Verpflichtung, dem Angeklagten ein konkretes Äußerungsrecht einzuräumen , sei nicht der einzige Aspekt, den die Revisionsgerichte beachten müssten, um § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO verfassungsgemäß zu handhaben. Mache das Revisionsgericht von der ihm in der genannten Vorschrift eingeräumten Strafzumessungskompetenz Gebrauch, müsse es seine Entscheidung jedenfalls dann begründen, wenn sich aus den zu Grunde liegenden Feststellungen und Wertungen der Tatsachengerichte, einer etwaigen Stellungnahme der Staatsanwaltschaft oder des Angeklagten sowie eines möglichen Hinweises des Revisionsgerichtes selbst die für die Strafzumessung relevanten Umstände und deren konkretes Gewicht nicht schon in einer Weise ergäben, die es dem Angeklagten ermögliche, die Gründe für die Strafzumessung und damit die Wahrung des rechtsstaatlichen Gebots schuldangemessenen Strafens nachzuvollziehen.
14
Eine Anwendung von § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO sei indes "nur" bei einer Gesetzesverletzung anlässlich der Zumessung der Rechtsfolgen zulässig. Dies schließe eine Strafzumessungsentscheidung des Revisionsgerichts aus, wenn zugleich eine Neuentscheidung über einen - fehlerhaften - Schuldspruch erfolgen müsse.
15
b) Die sich danach ergebenden Grundsätze für die (verfassungskonforme ) Anwendung des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO des Revisionsgerichts hat der Senat - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer - beachtet. Auch die sonstigen Voraussetzungen für eine eigene Strafzumessungsentscheidung des Senats sind gegeben.
16
aa) Mit Schreiben vom 28. Juli 2009 hat der Senat die Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass er die Begründung des Strafausspruches des angefochtenen Urteils für rechtsfehlerhaft hält, weil das Landgericht bei der Strafzumessung zu Lasten beider Angeklagter berücksichtigt hat, dass diese (auch) den Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB (Tatbegehung mittels eines hinterlistigen Überfalls) verwirklicht habe. Zugleich wurde den Beschwerdeführern eröffnet, dass der Senat erwägt, von der Aufhebung des Strafausspruches abzusehen, weil die verhängten Rechtsfolgen angesichts der übrigen Strafzumessungserwägungen und der sonstigen Feststellungen des Landgerichts angemessen sind (§ 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO). Die Beschwerdeführer hatten Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen. Diese haben sie auch genutzt.
17
bb) Der Angeklagte H. hat vorgetragen, dass der insoweit (lediglich ) pauschale Hinweis des Senats - entgegen der verpflichtenden Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts - den Beschwerdeführer nicht in die Lage versetze , sein Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG effektiv wahrzunehmen, da er sich nicht inhaltlich zu denjenigen Erwägungen verhalte, aus denen sich für den Senat bei vorläufiger Betrachtungsweise die Angemessenheit der tatrichterlich "ausgeworfenen" Strafe ergebe. Im Übrigen ergäben sich Bedenken gegen die vom Senat beabsichtigte Verfahrensweise - neben der bisherigen Dauer des Revisionsverfahrens - daraus, dass die Strafzumessung des Tatgerichts vorliegend nicht unwesentlich auch von einer an der Anzahl der verwirklichten Alternativen des § 224 StGB orientierten Abstufung der Strafhöhe hinsichtlich der Mitangeklagten bestimmt gewesen sei und der Tatrichter den Strafrahmen des § 224 Abs. 1 StGB recht weitgehend ausgeschöpft habe. Der Wegfall einer Alternative des § 224 Abs. 1 StGB sei einer Schuldspruchänderung zumindest vergleichbar, so dass das Verfahren gemäß § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO dem Revisionsgericht nicht eröffnet sei. Weiterhin hat der Beschwerdeführer eingewandt , dass das Tatgericht unter dem Blickwinkel des § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB bzw. der besonderen Strafempfindlichkeit des Angeklagten dessen Verhältnis zu seiner Lebensgefährtin ungewürdigt gelassen habe. Diese kümmere sich als Alleinerziehende um ihre fünf und acht Jahre alten Kinder, zu denen der Angeklagte eine intensive Beziehung als Vaterersatz gehabt habe. Nach den Plänen der Lebenspartner hätten beide den Bauernhof des deutlich vorgealterten Stiefvaters und ihrer im Herbst 2008 an einem Mammakarzinom erkrankten und deshalb für die Haushaltsführung sowie die bäuerliche Mithilfe ausgefallene Mutter der Lebensgefährtin des Angeklagten übernehmen wollen. Nunmehr laste die gesamte Arbeit auf dieser und deren Schwiegervater (richtig wohl: Stiefvater).
18
cc) Der Angeklagte N. hat mitgeteilt, dass er der Erwägung des Senats , von der Aufhebung des Strafausspruchs abzusehen, weil die verhängte Rechtsfolge angesichts der übrigen Strafzumessungserwägungen und der sonstigen Feststellungen des Landgerichts angemessen sei, entgegentrete. Eine solche Entscheidung durch das Revisionsgericht sei schon deshalb nicht unbedenklich, weil eine Entscheidung des Revisionsgerichts gestattet werde, obwohl nicht auszuschließen sei, dass die rechtsfehlerhafte Erwägung des Tatrichters bei der Festsetzung der Rechtsfolge für diesen gerade bestimmend gewesen sei. Ferner werde die Mitteilung des Senats der durch das Bundesverfassungsgericht festgelegten Informationsverpflichtung nicht gerecht, insbesondere sei die Mitteilung zur Angemessenheit der verhängten Strafe unzureichend. Sie versetze den Beschwerdeführer nicht in die Lage, gegen die eigenen Strafzumessungserwägungen des Revisionsgerichts gezielt vorzutragen und sich damit umfassend zu verteidigen.
19
c) Diese Einwendungen der Beschwerdeführer sind teilweise unzutreffend und stehen im Übrigen der Strafzumessungsentscheidung im Revisionsverfahren nicht entgegen.
20
aa) Sinn und Zweck von § 354 Abs. 1 Satz 1 a StPO ist es, dem Revisionsgericht zu ermöglichen, wegen Rechtsfehlern bei der Zumessung der Rechtsfolgen von der Aufhebung des Urteils abzusehen und eine eigene - die verhängten Rechtsfolgen als angemessen bewertende - Strafzumessungsentscheidung zu treffen. Daraus folgt ohne weiteres, dass eine verhängte Strafe, die auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht, auch ohne Berücksichtigung dieser rechtsfehlerhaften Strafzumessungserwägungen des Tatrichters angemessen sein kann und dem Revisionsgericht die Möglichkeit eröffnet ist, trotz des Wegfalls von zu Lasten eines Beschwerdeführers berücksichtigten Straf- zumessungserwägungen die vom Tatgericht festgesetzte Strafe als angemessen zu bestätigen.
21
bb) Dem Senat steht ein zutreffend ermittelter, vollständiger und aktueller Strafzumessungssachverhalt zur Verfügung. Der Senat hat sich über das Vorliegen einer vollständigen und verlässlichen Entscheidungsgrundlage Gewissheit dadurch verschafft, dass er den Angeklagten die Gelegenheit zur Stellungnahme im Revisionsverfahren eingeräumt hat. Dabei wurden die Beschwerdeführer in schriftlicher Form auf die aus Sicht des Senats für eine Sachentscheidung nach § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO sprechenden Gründe hingewiesen. Infolge der Bezugnahme auf die schriftlichen Urteilsgründe war dieser Hinweis entgegen der Ansicht der Angeklagten hier auch ausreichend konkret und machte (weitere) Ausführungen zur "Angemessenheit" der verhängten Strafen trotz des festgestellten Rechtsfolgenzumessungsfehlers entbehrlich. Da der Senat nach der ersten Beratung der Sache beabsichtigte, - vorbehaltlich eventueller Stellungnahmen der Angeklagten - auf die Angemessenheit der Strafen allein auf der Grundlage der im Übrigen rechtsfehlerfreien Strafzumessung des Landgerichts zu erkennen, hätte die Darlegung der bereits im angefochtenen Urteil enthaltenen, im Rahmen der Strafzumessung durch das Landgericht angestellten Erwägungen lediglich zu deren Wiederholung geführt. Da schon die Bezugnahme auf die Strafzumessung des Landgerichts sowie die entsprechenden landgerichtlichen Feststellungen die Beschwerdeführer in ausreichender Art und Weise in die Lage versetzte, sich gegen die beabsichtigte Strafzumessungsentscheidung des Revisionsgerichts umfassend zu verteidigen, waren weitere Ausführungen zur Angemessenheit der Strafen hier entbehrlich; denn das schriftliche Urteil lag den Angeklagten und ihren Verteidigern seit langem vor, so dass die in Bezug genommenen Teile des angefochtenen Urteils im Detail und konkret bekannt waren. In dieser Situation reichte daher der erteilte Hinweis zur Erfüllung der Anforderungen an eine verfassungskonforme Handhabung der Vorschrift aus. Das Revisionsgericht hat damit nämlich konkret zu erkennen gegeben, dass es - mit Ausnahme des aufgezeigten und erläuterten Rechtsfehlers - die gesamte Strafzumessung des Landgerichts mit den darin enthaltenen Wertungen und Gewichtungen ihrer eigenen Strafzumessungsentscheidung zu Grunde legen will und dass es unter Berücksichtigung der rechtsfehlerfreien Feststellungen und Erwägungen des Landgerichts die verhängten Strafen für angemessen hält.
22
Nur ergänzend bemerkt der Senat daher, dass ein derartiger, vor der eigentlichen Entscheidung vorzunehmender schriftlicher Hinweis auf die - an sich der endgültigen Beratung vorbehaltenen - Erwägungen zur Strafzumessung eine dem geschriebenen Verfahrensrecht fremde und - soweit ersichtlich - jedenfalls den Tatgerichten auch verfassungsrechtlich nicht obliegende Verpflichtung darstellt.
23
cc) Der Umstand, dass der Angeklagte H. nach dem Hinweis neue Tatsachen vorgebracht hat, die im Rahmen der Strafzumessung zu seinen Gunsten wirken könnten, hindert die eigene Entscheidung des Senats ebenfalls nicht; denn nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts führt die Erhebung von Einwänden des Angeklagten gegen die Richtigkeit oder die Aktualität des Strafzumessungssachverhalts nicht dazu, dass das Revisionsgericht keine eigene Entscheidung mehr treffen kann. Vielmehr hat das Revisionsgericht solche Einwände (lediglich) zu berücksichtigen. Dies bedeutet zugleich - nachdem das Revisionsgericht nach § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO keine neue Strafe festsetzen, sondern nur entscheiden kann, dass die verhängte Rechtsfolge angemessen ist -, dass diese Berücksichtigung neuer, strafmildernder Zumessungsumstände nicht dazu führen muss, dass die im angefoch- tenen Urteil festgesetzte Strafe schon deshalb ohne weiteres unangemessen (hoch) sein müsste. Für dieses Ergebnis spricht auch, dass eine Strafzumessung stets nach der vom Bundesgerichtshof entwickelten Spielraumtheorie zu erfolgen hat, die - ausgehend vom gesetzlichen Strafrahmen - durch das Gericht innerhalb eines konkreten Schuldrahmens in richterlicher Wertung die schuldangemessene Strafe für die konkrete Tat unter Berücksichtigung der anerkannten Strafzwecke zuzumessen ist (vgl. Fischer aaO § 46 Rdn. 20 m. w. N.). Der Vortrag neuer, für den Angeklagten günstiger Strafzumessungstatsachen zwingt damit - wie auch der Wegfall einer rechtsfehlerhaften Strafzumessungserwägung - für sich nicht stets zur Aufhebung des Strafausspruchs und Zurückverweisung der Sache zur Entscheidung durch einen neuen Tatrichter. Solches ist nur dann der Fall, wenn der Vortrag des Beschwerdeführers im Revisionsverfahren eine weitere, nur durch eine gerichtliche Beweisaufnahme zu bewirkende Sachaufklärung oder die neue Bewertung der gesamten Strafzumessungskriterien durch einen Tatrichter unumgänglich macht. So ist es hier indes nicht.
24
dd) Auch die bisherige Dauer des Revisionsverfahrens hindert die eigene Entscheidung des Senats nicht. Insbesondere ist dadurch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Entscheidung des Senats auf einem aktuellen Strafzumessungssachverhalt beruht. Die Beschwerdeführer wurden durch den Hinweis des Senats in die Lage versetzt, bis zur Beschlussfassung durch eigenen Vortrag die bis zum Erlass des angefochtenen Urteils vorliegenden Feststellungen um neue Tatsachen zu ergänzen und damit dazu beizutragen, dass das Revisionsgericht seiner Entscheidung einen aktuellen Strafzumessungssachverhalt zu Grunde legt. Dies hat der Angeklagte H. auch getan. Hinsichtlich des Angeklagten N. ist aufgrund der abgegebenen Stellungnahme davon auszugehen, dass sich seit der Verkündung des angefochtenen Urteils kei- ne neuen, für die Entscheidung des Senats relevanten Strafzumessungstatsachen ergeben haben. Im Übrigen dauert das Revisionsverfahren noch nicht so lange an, dass die dadurch bewirkte Verlängerung der Gesamtdauer des Verfahrens ohne weiteres zu niedrigeren Strafen führen und damit zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache zwingen müsste, zumal diese Verfahrensweise zweifellos einen (noch) späteren Abschluss des Verfahrens zur Folge hätte.
25
ee) Unzutreffend ist der Einwand des Angeklagten H. , die (rechtsfehlerhafte ) Annahme des Landgerichts, die Angeklagten hätten insgesamt vier Qualifikationstatbestände des § 224 Abs. 1 StGB verwirklicht, habe zu der gegebenen Abstufung der beiden verhängten Strafen geführt; denn dieser Umstand wurde bei beiden Angeklagten gleichermaßen zu ihren Lasten gewürdigt, was dafür spricht, dass der Unterschied der Strafen darauf nicht zurückzuführen ist. Nach den Urteilsgründen waren vielmehr ersichtlich andere Umstände hierfür maßgeblich, insbesondere auch, dass der Angeklagte N. in einem geringeren Umfang als der Angeklagte H. (eigenhändig) auf den Nebenkläger eingewirkt hat.
26
Der Wegfall der Tatbestandsalternative des § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB bedingt keine Schuldspruchänderung und ist einer solchen auch nicht vergleichbar. Der Rechtsfehler wirkt sich auf den Schuldspruch vielmehr in keiner Weise aus. Er führt insbesondere nicht dazu, dass der Senat den Schuldspruch ändern müsste. Vielmehr ist er vorliegend allein für den Strafausspruch bedeutsam , weil das Landgericht die Verwirklichung von vier Tatbestandsalternativen des § 224 Abs. 1 StGB ausdrücklich als bestimmenden Zumessungsgrund in seine Strafzumessung zu Lasten der Angeklagten eingestellt hat. Danach liegt allein eine Gesetzesverletzung anlässlich der Zumessung der Rechtsfolgen im Sinne von § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO vor, so dass der Anwendung dieser Vorschrift und damit einer eigenen Strafzumessungsentscheidung des Senats unter den gegebenen Umständen weder der Gesetzeswortlaut noch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entgegensteht.
27
ff) Auch die Höhe der vom Landgericht verhängten Strafen hindert eine eigene Rechtsfolgenentscheidung des Revisionsgerichts im Sinne von § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO nicht; denn auch eine - gemessen am gesetzlichen Strafrahmen mit Blick auf die Höchststrafe - relativ hohe Strafe kann zweifellos angemessen sein. Dass dies im gegebenen Fall anders zu beurteilen wäre, ist nicht ersichtlich.
28
2. Bei seiner Entscheidung, dass die vom Landgericht verhängten Strafen von sechs Jahren und sechs Monaten (H. ) bzw. sechs Jahren (N. ) angemessen sind, hat der Senat folgende - soweit vor der angefochtenen Entscheidung schon vorliegend bereits vom Landgericht für die Strafbemessung herangezogene - Umstände berücksichtigt:
29
Ausgehend vom Regelstrafrahmen des § 224 Abs. 1 StGB - minder schwere Fälle im Sinne dieser Vorschrift liegen angesichts der Feststellungen zur Tat und der Person der beiden Angeklagten, insbesondere mit Blick auf die Intensität des Unrechts und der Schuld, offensichtlich nicht vor - hat der Senat zu Gunsten der beiden Angeklagten berücksichtigt, dass die vom Landgericht zu ihren Lasten angestellte, rechtsfehlerhafte Erwägung, sie hätten vier Tatbestandsalternativen des § 224 Abs. 1 StGB verwirklicht, weggefallen ist. Strafmildernd wirkt sich ferner aus, dass die Angeklagten sich in der Hauptverhandlung beim Nebenkläger entschuldigt haben und die Dauer des Verfahrens zum Zeitpunkt der Senatsentscheidung länger ist, als sie es beim Erlass des angefochtenen Urteils war.
30
Für den Angeklagten H. spricht zusätzlich, dass Triebfeder der Tat der frühere Mitangeklagte war, den der Angeklagte bewunderte und als eine Art Ziehvater ansah. Auch die im Revisionsverfahren vom Angeklagten H. neu vorgetragenen Umstände zu den Auswirkungen seiner Verurteilung auf seine Lebensplanung und die Lebensverhältnisse seiner Lebensgefährtin hat der Senat zu Gunsten dieses Angeklagten berücksichtigt. Dies führt indes (ebenfalls) nicht dazu, dass die verhängte Strafe unangemessen (hoch) ist, zumal es sich hierbei um einen bestimmenden Strafzumessungsgrund im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO ohnehin nicht handelt.
31
Zu Gunsten des Angeklagten N. hat der Senat gesondert zusätzlich berücksichtigt, dass er seine aktive Tatbeteiligung teilweise eingeräumt und er - ungeachtet der Zurechnung auch der Schläge des Mittäters - in geringerem Umfang als der Angeklagte H. auf den Nebenkläger eingewirkt hat.
32
Strafschärfend hat sich bei beiden Angeklagten ausgewirkt, dass es sich um eine über längere Zeit geplante Tat mit drei Anläufen gehandelt hat. Der Nebenkläger sollte von vornherein erhebliche Verletzungen davontragen und hat tatsächlich zahlreiche Gesundheitsschäden erlitten, darunter auch eine akut und konkret lebensgefährliche Verletzung. Der Geschädigte leidet bis heute erheblich unter den physischen und psychischen Folgen der Tat. Die Angeklagten haben insgesamt drei Tatbestandsalternativen des § 224 Abs. 1 StGB verwirklicht. Beide Angeklagte sind wegen Körperverletzung vorbestraft.
33
Hinzu kommt beim Angeklagten H. , dass er den Angeklagten N. in die Tat hinein gezogen hat. Allein zu Lasten des Angeklagten N. wirkt sich zusätzlich aus, dass er die Tat während des Laufs einer Bewährungszeit begangen hat und sein Motiv für die Tatbegehung Gewinnstreben war, wobei der Senat nicht außer acht gelassen hat, dass sich der Angeklagte - auch wegen seines Kokainkonsums - in beengten finanziellen Verhältnissen befand.
Becker Pfister Sost-Scheible Hubert Mayer