Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Mai 2013 - 2 StR 58/13

bei uns veröffentlicht am21.05.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 58/13
vom
21. Mai 2013
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer sexueller Nötigung u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 21. Mai 2013 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 23. Oktober 2012 1. im Schuldspruch dahin geändert, dass die Verurteilung wegen tateinheitlich begangener Geiselnahme entfällt, 2. im Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die dazu getroffenen Feststellungen aufrecht erhalten. II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. III. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer sexueller Nötigung in Tateinheit mit Geiselnahme und in weiterer Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachbeschwerde. Das Rechtsmittel führt zur Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen ist es unbegründet.
2
Nach den Feststellungen bedrohte der Angeklagte die Nebenklägerin mit einem Messer, zwang sie – unter Verletzung ihrer Hand bei einer Abwehrbewegung – mit der Drohung sie zu töten dazu, rund 40 Meter abseits des Weges auf ein von Büschen und Bäumen gesäumtes Gelände zu gehen, wo er sie fesselte und ihr die Duldung verschiedener sexueller Handlungen abnötigte, bis sie sich befreien und fliehen konnte.
3
Dieser Sachverhalt erfüllt unter Beachtung der vom Großen Senat des Bundesgerichtshofs für Strafsachen (Beschluss vom 22. November 1994 – GSSt1/94, BGHSt 40, 350, 359) zur Auslegung des § 239b StGB im ZweiPersonen -Verhältnis aufgestellten Grundsätze nicht den Tatbestand der Geiselnahme. Wenn die qualifizierte Drohung – wie hier das Vorhalten des Messers – zugleich dazu dient, sich des Opfers zu bemächtigen und es in unmittelbarem Zusammenhang damit zu weitergehenden Handlungen zu nötigen,wird die abgenötigte Handlung ausschließlich durch die Bedrohung mit der Waffe im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 Nr. 1 StGB durchgesetzt, ohne dass der Bemächtigungssituation die in § 239b StGB vorausgesetzte eigenständige Bedeutung zukommt (vgl. auch BGH, Beschluss vom 22. November 2005 – 4 StR 459/05, StV 2006, 693 f.).
4
Der Senat ändert den Schuldspruch dementsprechend ab. § 265 Abs. 1 StPO steht der Änderung nicht entgegen, weil der Angeklagte sich nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
5
Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Ausspruchs über die Freiheitsstrafe, die vom neuen Tatrichter nochmals zugemessen wer- den muss. Der Maßregelausspruch bleibt hiervon unberührt. Die Feststellungen auch zur Strafzumessung sind rechtsfehlerfrei und können aufrecht erhalten bleiben. Ergänzende Feststellungen sind möglich.
Fischer Appl Berger Eschelbach Ott

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Strafgesetzbuch - StGB | § 239b Geiselnahme


(1) Wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um ihn oder einen Dritten durch die Drohung mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung (§ 226) des Opfers oder mit dessen Freiheitsentziehung von über einer Woche Dauer zu ein

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Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Nov. 2005 - 4 StR 459/05

bei uns veröffentlicht am 22.11.2005

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 459/05 vom 22. November 2005 in der Strafsache gegen wegen Nötigung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 22. November 2005 gemäß § 3

Referenzen

(1) Wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um ihn oder einen Dritten durch die Drohung mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung (§ 226) des Opfers oder mit dessen Freiheitsentziehung von über einer Woche Dauer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen, oder wer die von ihm durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Nötigung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) § 239a Abs. 2 bis 4 gilt entsprechend.

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um ihn oder einen Dritten durch die Drohung mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung (§ 226) des Opfers oder mit dessen Freiheitsentziehung von über einer Woche Dauer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen, oder wer die von ihm durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Nötigung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) § 239a Abs. 2 bis 4 gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 459/05
vom
22. November 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Nötigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 22. November 2005 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau vom 14. Juni 2005
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Nötigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung schuldig ist;
b) im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Geiselnahme zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
Der Verfahrensrüge bleibt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts der Erfolg versagt. Das Rechtsmittel hat jedoch mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
Die Verurteilung wegen Geiselnahme (§ 239 b StGB) hat keinen Bestand.
Der Angeklagte hat sich seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau zwar bemächtigt, als er sie mittels Drohung mit einer von der Geschädigten für echt gehaltenen Bombenattrappe in seine Gewalt brachte, und sie so vom Verlassen ihrer Wohnung abhielt. Er hat diese von ihm geschaffene Lage auch über mehrere Stunden hinweg aufrechterhalten und auf diese Weise sein Ziel, seine Ehefrau an der Wahrnehmung eines für den Tattag anberaumten Scheidungstermins vor dem Familiengericht zu hindern, erreicht.
Er hat die Bemächtigungslage jedoch nicht, wie dies die im Zweipersonenverhältnis gebotene einschränkende Auslegung des § 239 b StGB voraussetzt , zu einer weiteren Nötigung durch qualifizierte Drohung ausgenutzt (vgl. BGHSt 40, 350, 359; BGH NJW 1997, 1082; BGH NStZ-RR 2005, 173; BGH, Beschluss vom 27. September 1996 - 1 StR 576/96). Dem Angeklagten ging es darum, seine Ehefrau über einen bestimmten Zeitraum hinweg am Verlassen der Wohnung zu hindern. Dieses Ziel hatte er erreicht, indem er sich des Opfers bemächtigte und die Bemächtigungslage unter Einsatz der qualifizierten Drohung aufrecht erhielt. Seinem darüber hinaus erstrebten Handlungsziel, auf diese Weise die Teilnahme seiner Ehefrau an dem Scheidungstermin zu vereiteln, kam demgegenüber keine eigenständige Bedeutung im Sinne eines über das Sichbemächtigen hinaus gehenden Nötigungserfolges zu. Vielmehr war dieses Ziel lediglich das Motiv des Angeklagten, seine Ehefrau über einen längeren
Zeitraum in seine Gewalt zu bringen. Mithin standen das Sichbemächtigen und das abgenötigte Handeln bzw. Unterlassen - die Hinderung am Verlassen der Wohnung - in einem unmittelbaren Zusammenhang. In einem solchen Fall ist § 239 b StGB nicht anwendbar (vgl. BGHSt 40, 350, 359).
Jedoch erfüllt das Verhalten des Angeklagten den Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) sowie - tateinheitlich - den Tatbestand der Freiheitsbraubung (§ 239 Abs. 1 StGB). Demgemäß war der Schuldspruch zu ändern. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte nicht anders hätte verteidigen können. Die Änderung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.