Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Feb. 2012 - 1 StR 647/11

published on 22/02/2012 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Feb. 2012 - 1 StR 647/11
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 647/11
vom
22. Februar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Februar 2012 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Mosbach vom 5. September 2011 wird als unbegründet verworfen
, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten
ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
1. Die durch den Verteidiger Rechtsanwalt H. erhobene Verfahrensrüge
der Ablehnung eines aus dem Schriftsatz vom 17. August 2011 gestellten
Beweisantrages auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur
Sitzposition des Zeugen K. im Computerzimmer der Wohnung des
Angeklagten ist bereits unzulässig. Der Vortrag der Revision genügt nicht den
Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
Rügt der Revisionsführer die Verletzung des Beweisantragsrechts,
muss er - neben dem abgelehnten Beweisantrag und dem Ablehnungsbeschluss
- auch für die Prüfung der Rüge etwaig notwendige, weitere Verfahrenstatsachen
vollständig vortragen (BGHSt 37, 168, 174; Kuckein in Karlsruher
Kommentar zur StPO, 6. Aufl., § 344 Rn. 38, 43 mwN). Der Revisionsführer
hat jedoch nicht mitgeteilt, dass der abgelehnte Beweisantrag - bei identischem
Inhalt und nur minimal abweichendem Wortlaut - unter Ziffer 6 eines Schriftsatzes
vom 3. September 2011 erneut gestellt und im Hauptverhandlungstermin
vom 5. September 2011 neu beschieden worden ist. Dieser Vortrag wäre jedoch
notwendig gewesen; die neue Bescheidung eines wiederholt gestellten
Beweisantrages kann etwaige Fehler der ersten Ablehnung heilen, weil - anders
als beim Nachschieben von Ablehnungsgründen in den schriftlichen Urteilsgründen
(dazu BGHSt 19, 24, 26; BGH NStZ 2000, 437, 438) - der Angeklagte
seine Verteidigung auf die neue Beurteilung einstellen kann.
Unbeachtlich bleibt, dass der geschilderte Verfahrensablauf in der bezeichneten
Revisionsrechtfertigungsschrift den Gegenstand einer weiteren
- ihrerseits unzulässigen - Rüge bildet; auch ein Rückgriff auf das Revisionsvorbringen
des weiteren Verteidigers, Rechtsanwalt G. , scheidet aus. Es
ist nicht die Aufgabe des Revisionsgerichts, den Revisionsvortrag innerhalb
eines umfangreichen Revisionsvorbringens oder aus anderen Unterlagen zusammenzufügen
oder zu ergänzen (BGH, Beschluss vom 25. September 1986
- 4 StR 496/86, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Formerfordernis 1; Urteil vom
30. April 1999 - 3 StR 215/98; Beschluss vom 7. April 2005 - 5 StR 532/04,
NStZ 2005, 463).
2. Soweit der Verteidiger Rechtsanwalt H. die Nichteinhaltung einer
von der Kammer konstatierten Wahrunterstellung rügt, ist auch diese Rüge
unzulässig erhoben. Auch hier genügt der Vortrag nicht den Anforderungen des
§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, weil zwar der Ablehnungsbeschluss der Jugendschutzkammer
vom 5. September 2011 mitgeteilt wird, vom zugrunde liegenden
Beweisantrag aus dem Schriftsatz vom 3. September 2011 jedoch nur Beweisbehauptung
und Beweismittel, nicht aber die zum Verständnis des Antrags
bedeutsame Antragsbegründung. Zwar kann der Umfang des notwendigen Vortrages
- insbesondere zum Beweisantrag - beim Vorwurf der Nichteinhaltung
einer Wahrunterstellung je nach Angriffsrichtung der Rüge divergieren; bei der
Rüge der Verletzung des Beweisantragsrechts ist die (vollständige) Mitteilung
des Beweisantrages jedoch erforderlich (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juli 1983
- 2 StR 222/83, BGHSt 32, 44, 46). Bei der hier vorliegenden Fallgestaltung
hätte der Revisionsführer auch die Begründung des Beweisantrages bereits
deshalb vortragen müssen, weil sich allein aus der angegebenen Beweistatsache
keine sichere Zuordnung des Beweisbegehrens zu einem der verschiedenen
, gleichartigen Tatgeschehen - wiederholter Oralverkehr des Angeklagten
an einem Jugendlichen - treffen lässt. Auf dieser Basis kann das Revisionsgericht
nicht überprüfen, ob der behauptete Widerspruch der Wahrunterstellung
zu den späteren Urteilsfeststellungen tatsächlich besteht, zumal hinsichtlich der
unter Beweis gestellten Tatsache bei den einzelnen Fällen unterschiedliche
Feststellungen getroffen worden sind.
3. Die von beiden Verteidigern erhobenen Rügen betreffend die Ablehnung
mehrerer, auf eine psychologische Begutachtung der Zeugen
P. , S. und K. sowie auf eine psychiatrische Begutachtung
des Zeugen K. gerichteter Beweisanträge ist bereits deshalb
unzulässig, weil nicht mitgeteilt wird, ob die Zeugen oder gegebenenfalls
deren gesetzliche Vertreter (vgl. dazu Senge in Karlsruher Kommentar zur
StPO, 6. Aufl., § 81c Rn. 8) sich mit einer solchen Untersuchung einverstanden
erklärt haben. Ohne Einverständniserklärung wären die beantragten Untersuchungen
bereits wegen Unzulässigkeit der Beweiserhebung abzulehnen gewesen
(vgl. dazu BGH, Urteil vom 18. September 1990 - 5 StR 184/90, BGHR
StPO § 244 Abs. 3 Satz 1 Unzulässigkeit 5; Beschluss vom 25. September
1990 - 5 StR 401/90, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 1 Unzulässigkeit 6).
4. Im Übrigen verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen
des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 5. Januar 2012. Vor
dem Hintergrund mehrfach unrichtigen Vortrags in der Revisionsrechtfertigungsschrift
des Verteidigers Rechtsanwalt H. haben die mustergültige
Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft (vgl. dazu Drescher, NStZ 2003, 296)
und die dienstliche Stellungnahme des Kammervorsitzenden zu den erhobenen
Verfahrensrügen mit Leseabschriften handschriftlicher Beschlüsse und dem
Hinweis auf unrichtig wiedergegebene Beschlüsse die revisionsgerichtliche Prüfung
deutlich erleichtert.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.