Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Dez. 2018 - 1 StR 597/18
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführer und des Generalbundesanwalts – zu 2. und 4. auf dessen Antrag – am 19. Dezember 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten Mu. wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit schwerem Raub zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und den AngeklagtenM. wegen Beihilfe zum versuchten Totschlag in Tateinheit mit Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt.
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- Hiergegen richten sich die jeweils auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten. Die Revision des Angeklagten M. führt auf die Sachrüge im aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang zur Aufhebung des Urteils (§ 349 Abs. 4 StPO). Dagegen ist die Revision des Angeklagten Mu. aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I.
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- 1. Die Revision des Angeklagten M. deckt keinen Verfahrensfehler zu dessen Lasten auf.
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- 2. Das Urteil hält jedoch, soweit der Angeklagte M. verurteilt wurde, sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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- a) Der Schuldspruch wegen Beihilfe zum versuchten Totschlag wird von den Feststellungen des Landgerichts nicht getragen, weil sich aus diesen nicht ergibt, dass der Angeklagte M. das als versuchten Totschlag zu bewertende Verhalten des Angeklagten Mu. vorsätzlich in irgendeiner Form aktiv gefördert hat.
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- aa) Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts erkannte der Angeklagte M. zwar und fand sich damit ab, dass der durch die vorangegangenen Misshandlungen durch den Angeklagten Mu. bereits stark beeinträchtigte Geschädigte P. aufgrund der weiteren Misshandlungen durch Mu. auf dem Parkplatz in S. an seinen Verletzungen versterben könnte, nachdem ihn dieser in den Wald gezogen und dort – nur mit Hemd und Hose bekleidet – in der Nacht bei 10 Grad Celsius ohne Geldbeutel und Mobiltelefon zurückgelassen hatte. Es fehlt aber an Feststellungen zu einer aktiven Unterstützungshandlung des Angeklagten M. für das als versuchten Totschlag zu wertende Verhalten des Angeklagten Mu. nach Erkennen der von diesem herbeigeführten Lebensgefahr für den Geschädigten und dessen zumindest bedingten Tötungsvorsatz. In dem bloßen Steuern des Fahrzeugs , mit dem die Angeklagten und die Zeugin D. den abgelegenen Parkplatz in S. verließen, von dem aus der Angeklagte Mu. den von ihm schwer verletzten, kaum noch bewegungsfähigen Geschädigten in den Wald gezogen und dort zurückgelassen hatte, ist eine aktive Unterstützungshandlung des Angeklagten M. nicht zu sehen. Denn der Schwerpunkt dieses Verhaltens des Angeklagten M. liegt im Unterlassen von Hilfeleistungen zu Gunsten des Geschädigten und nicht in aktivem Tun (vgl. zur Abgrenzung von Tun und Unterlassen BGH, Urteil vom 12. Juli 2005 – 1 StR 65/05, NStZ-RR 2006, 174, 175 mwN).
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- Auch für die Annahme einer psychischen Beihilfe des Angeklagten M. zu dem vom Angeklagten Mu. begangenen versuchten Totschlag zu Lasten des Geschädigten P. bieten die Feststellungen des Landgerichts keine tragfähige Grundlage. Die bloße Anwesenheit am Tatort reicht hierfür nicht aus; vielmehr bedarf es insoweit konkreter Feststellungen, inwieweit der mögliche Gehilfe hierdurch den Tatentschluss des Haupttäters bestärkt oder ihn bei der Tatausführung unterstützt hat, indem er ihm durch seine Anwesenheit ein Gefühl der Sicherheit bei der Tatausführung verschafft hat (BGH, Beschluss vom 13. September 2018 – 1 StR 439/18, juris Rn. 5 [insoweit nicht abgedruckt in NStZ-RR 2019, 29] mwN). Hieran fehlt es.
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- bb) Nach den Feststellungen des Landgerichts kommt allerdings eine Strafbarkeit des Angeklagten M. wegen Beihilfe durch Unterlassen zum versuchten Totschlag (§ 212 Abs. 1, §§ 22, 23, 27, 13 StGB) in Betracht, wobei auch eine Garantenstellung des Angeklagten M. nicht fern liegt, nachdem dieser den Angeklagten Mu. mit seinem Fahrzeug zunächst nach Ma. zum Wohnanwesen des Geschädigten und dann – mit dem Geschädigten im Fond des Fahrzeugs – nach S. gefahren hatte, wobei er wusste, dass dieser den Geschädigten körperlich misshandeln wollte und dieses Vorhaben auch – bereits im Fahrzeug auf dem Weg nach S. – umsetzte.
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- Eine Berichtigung des Schuldspruchs durch den Senat ist nicht möglich, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich der Angeklagte M. gegen den Vorwurf der Beihilfe durch Unterlassen zum versuchten Totschlag anders als geschehen hätte verteidigen können.
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- b) Der Rechtsfehler führt angesichts der tateinheitlichen Verwirklichung der – für sich genommen rechtsfehlerfrei ausgeurteilten – Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung zur Aufhebung des Schuldspruchs insgesamt, soweit dieser den Angeklagten M. betrifft.
- 11
- c) Die Aufhebung des Schuldspruchs entzieht der ausgeurteilten Strafe die Grundlage, weshalb das Urteil, soweit es den Angeklagten M. betrifft, aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen ist. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bleiben aufrecht erhalten, weil sie von dem Rechtsfehler nicht betrof- fen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.
II.
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- Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass das neue Tatgericht im Falle einer Verurteilung des Angeklagten M. wegen dessen Beitrags zur Aufklärung der Tat des Angeklagten Mu. (UA S. 33) gegebenenfalls gemäß § 46b Abs. 1 StGB zu prüfen haben wird, ob eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB in Betracht kommt.
Bär Pernice
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.
(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.
(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).
(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).
(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.
(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.
(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.
(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Wenn der Täter einer Straftat, die mit einer im Mindestmaß erhöhten Freiheitsstrafe oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist,
- 1.
durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, dass eine Tat nach § 100a Abs. 2 der Strafprozessordnung, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht, aufgedeckt werden konnte, oder - 2.
freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, dass eine Tat nach § 100a Abs. 2 der Strafprozessordnung, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht und von deren Planung er weiß, noch verhindert werden kann,
(2) Bei der Entscheidung nach Absatz 1 hat das Gericht insbesondere zu berücksichtigen:
- 1.
die Art und den Umfang der offenbarten Tatsachen und deren Bedeutung für die Aufklärung oder Verhinderung der Tat, den Zeitpunkt der Offenbarung, das Ausmaß der Unterstützung der Strafverfolgungsbehörden durch den Täter und die Schwere der Tat, auf die sich seine Angaben beziehen, sowie - 2.
das Verhältnis der in Nummer 1 genannten Umstände zur Schwere der Straftat und Schuld des Täters.
(3) Eine Milderung sowie das Absehen von Strafe nach Absatz 1 sind ausgeschlossen, wenn der Täter sein Wissen erst offenbart, nachdem die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 207 der Strafprozessordnung) gegen ihn beschlossen worden ist.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.