Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Nov. 2018 - 1 StR 560/18
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 20. November 2018 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten G. wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Weiter wurden die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB sowie ein Vorwegvollzug von einem Jahr Freiheitsstrafe angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten G. . Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
I.
- 2
- Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
- 3
- 1. Am 12. Februar 2017 gegen 6.40 Uhr trafen in einer Tabledance-Bar der spätere Geschädigte R. und der Mitangeklagte L. im Durchgang zu den Toiletten aufeinander. Es kam zu einer verbalen Auseinandersetzung , in deren Verlauf der Mitangeklagte L. den Geschädigten schubste. Dies bemerkten der Mitangeklagte E. und der Angeklagte G. . Beide mischten sich auf Seiten des Mitangeklagten L. in dieses Geschehen ein und sie begannen zu dritt, auf den Geschädigten einzuschlagen bzw. zu treten. Der Geschädigte ging hierdurch zunächst zu Boden, konnte aber sogleich wieder aufstehen und sich gegen die körperlichen Übergriffe der drei Angeklagten zur Wehr setzen. Kurz darauf zog der Angeklagte G. auf Grund der heftigen und so von den Angeklagten nicht erwarteten Gegenwehr des Geschädigten ein Messer mit einer Klingenlänge von nicht ausschließbar nur drei Zentimetern. Damit stach er dem Geschädigten unmittelbar und ohne Vorwarnung zweimal in den Bauch und fügte ihm einen Schnitt am Arm zu, wobei diese Verletzung nicht ausschließbar im Zuge einer der Stiche in den Bauch entstand. Der Angeklagte G. rechnete angesichts seiner äußerst gefährlichen Vorgehensweise mit der Möglichkeit, dass der Geschädigte an den zugefügten Verletzungen versterben könnte und nahm dessen Tod jedenfalls billigend in Kauf. Der Geschädigte erlitt auf Grund der Messerstiche eine zwei bis vier Zentimeter lange Schnitt-/Stichwunde im linken Unterbauch mit einer Tiefe von einem Zentimeter sowie eine entsprechende Verletzung im rechten Oberbauch mit einer Tiefe von zwei Zentimetern, wobei es zu Lufteinschlüssen im subkutanen Gewebe kam.
- 4
- 2. Das Landgericht geht (UA S. 64 f.) davon aus, dass der Angeklagte G. mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte, da es allgemein bekannt sei, dass Stiche in den Oberkörper einer Person zu tödlichen Verletzungen führen können. Dies gelte auch für das bei der Tat verwendete Messer mit einer nicht ausschließbaren Klingenlänge von nur drei Zentimetern, da die Klinge nahezu vollständig in den Körper des Geschädigten eindrang. Selbst bei der Verwendung eines Messers mit einer relativ kurzen Klingenlänge seien Stiche in besonders sensible Körperregionen geeignet, die Bauchhöhle zu eröffnen und lebenswichtige Organe zu verletzen oder solche Verletzungen zu verursachen.
II.
- 5
- Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist begründet. Die Verurteilung des Angeklagten hat insgesamt keinen Bestand.
- 6
- 1. Der Schuldspruch des versuchten Totschlags hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Feststellungen des Landgerichts tragen nicht die rechtliche Würdigung eines bedingten Tötungsvorsatzes.
- 7
- a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinanderliegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 28. Februar 2013 – 4 StR 357/12, NStZ 2013, 538; vom 28. Januar 2010 – 3 StR 533/09, NStZ-RR 2010, 144, 145 und vom 20. September 2012 – 3StR 158/12, NStZ-RR 2013, 89). Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne durch diese zu Tode kommen und – weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt –auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Deshalb ist in derartigen Fällen ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des Täters auf bedingten Tötungsvorsatz zwar grundsätzlich möglich. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalls, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung , die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage mit einzubeziehen sind (vgl. BGH, Urteile vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444; vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524, 1525 f. und vom 20. September 2012 – 3 StR 158/12, NStZ-RR 2013, 89).
- 8
- b) Diesen Anforderungen entspricht das angefochtene Urteil nicht.
- 9
- Das Landgericht hat die gebotene Gesamtschau der bedeutsamen objektiven und subjektiven Tatumstände nicht vorgenommen, sondern zur Bejahung des bedingten Tötungsvorsatzes allein auf die objektive Gefährlichkeit von Messerstichen in sensible Körperregionen abgestellt und sich dabei allgemeiner, formelhafter Wendungen bedient, ohne weitergehende Feststellungen zur konkreten Angriffsweise des Angeklagten mit der Stichbewegung, zur konkreten Lage der Verletzungen im Bauchbereich sowie zur Größe und zur Konstitution des Geschädigten und des Angeklagten zu treffen. Derartige Feststellungen waren hier angesichts des eingesetzten Messers mit einer Klingenlänge von nur drei Zentimetern sowie der Einlassung des Angeklagten, dem Geschädigten nur einen Denkzettel verpassen zu wollen und ihn zur Aufgabe der Auseinandersetzung zu bewegen (UA S. 25), erforderlich, um bei diesem konkreten Tatgeschehen im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau einen bedingten Tötungsvorsatz – sowohl was das Wissens- als auch das Willenselement betrifft – tragfähig begründen zu können. Dies drängte sich hier umso mehr auf, als nach den Angaben des rechtsmedizinischen Sachverständigen die zwei Stiche nur zu Läsionen des Fettgewebes im Bauchbereich führten, ohne das Bauchfell zu verletzen, und der Geschädigte selbst angibt, seine Verletzungen erst später bemerkt zu haben (UA S. 31).
- 10
- 2. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt auch zur Aufhebung des an sich rechtsfehlerfreien Schuldspruchs wegen tateinheitlich verwirklichter gefährlicher Körperverletzung.
- 11
- 3. Die bisher getroffenen Feststellungen sind aufzuheben, um dem neuen Tatrichter insgesamt widerspruchsfreie eigene Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO).
- 12
- Die gebotene Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten G. ist nicht gemäß § 357 StPO auf die Mitangeklagten E. und L. zu erstrecken, da sich der aufgezeigte Rechtsfehler nicht auf deren Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung auswirken kann.
Hohoff Pernice
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Erfolgt zugunsten eines Angeklagten die Aufhebung des Urteils wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Strafgesetzes und erstreckt sich das Urteil, soweit es aufgehoben wird, noch auf andere Angeklagte, die nicht Revision eingelegt haben, so ist zu erkennen, als ob sie gleichfalls Revision eingelegt hätten. § 47 Abs. 3 gilt entsprechend.