Bundesgerichtshof Urteil, 28. Feb. 2013 - 4 StR 357/12
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen. Hinsichtlich des Rechtsmittels des Angeklagten wird von der Auferlegung der im Revisionsverfahren entstandenen Kosten und Auslagen abgesehen; er hat jedoch die den Nebenklägern durch sein Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Die Nebenkläger tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel und die dem Angeklagten hierdurch erwachsenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die hinsichtlich der Sachrüge vom Generalbundesanwalt vertreten wird, beanstandet, dass das Landgericht keinen Tötungsvorsatz angenommen hat. Die Nebenkläger streben eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes (Heimtücke) an. Der Angeklagte wendet sich mit mehreren Verfahrensrügen und der ausgeführten Sachrüge gegen seine Verurteilung.
- 2
- Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
I.
- 3
- Nach den Feststellungen des Landgerichts fand in der Nacht vom 28. Januar auf den 29. Januar 2011 in der Gaststätte „A. “ in S. eine „Vorabifete“ statt, an welcher der später Geschädigte T. K. teilnahm. Spätestens um 01.00 Uhr trafen dort auch der Angeklagte, sein Bruder E. B. und der Zeuge B. G. ein. Gegen 01.25 Uhr wollten T. K. und der Zeuge D. , die sich am Rand der Tanzfläche aufhielten , noch etwas zu trinken holen. Auf dem Weg zur Theke rempelte T. K. versehentlich eine Person aus der Gruppe um den Angeklagten an, wobei er umgehend mit der Hand eine entschuldigende Geste machte. Die angerempelte Person, deren Identität nicht geklärt werden konnte, wollte die Angelegenheit nicht auf sich beruhen lassen und T. K. zur Rede stellen. Im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang wurde der Zeuge D. von mehreren – mindestens zwei – Personen aus der Gruppe des Angeklagten von hinten zur Seite geschubst. Sodann rempelten die Personen T. K. von hinten an. In der Folgezeit entwickelte sich eine „gegen- seitige Schubserei“ zwischen T. K. auf der einen Seite und dem An- geklagten sowie seinen Begleitern E. B. und B. G. auf der anderen Seite. Die Auseinandersetzung wurde von einem Wortgefecht begleitet , ohne dass es zu Faustschlägen oder Tritten zwischen den Kontrahenten kam. Dem Zeugen S. gelang es nicht, beruhigend auf T. K. einzuwirken. Der Zeuge C. K. , der Bruder des Geschädigten, versuchte , diesen aus der Situation herauszuholen, indem er ihn von hinten packte und schräg links hinter sich stellte. Der Geschädigte riss sich jedoch los. In diesem Moment sah der Zeuge C. K. einen blitzenden Gegen- stand, der von einer unbekannt gebliebenen Person stichartig von unten gegen seinen Körper geführt wurde. Der Zeuge wich aus, verlor das Gleichgewicht und fiel zu Boden. Auch die Zeugin Ki. zog den T. K. von hinten am rechten Arm, um eine Eskalation der Auseinandersetzung zu vermeiden.
- 4
- Der Angeklagte erregte sich nunmehr über T. K. . Zudem wurde die Situation für ihn durch das Eingreifen der vorgenannten Zeugen unübersichtlich , zumal sich inzwischen – ausgelöst durch die geschilderte Schubserei – weitere Rangeleien entwickelt hatten, bei denen auch Faustschläge ausgeteilt wurden. Spätestens während des Festhaltens des T. K. durch die Zeugin Ki. nahm der Angeklagte mit der rechten Hand ein mitgeführtes Klappmesser mit einschneidiger scharfer Klinge und einer Klingenlänge von mindestens 14 cm aus seiner Jackentasche, öffnete das Messer mit der linken Hand und hielt es sodann mit der rechten Hand erhoben in Höhe seines Kopfes. Ob T. K. , der sich das Verhalten des Angeklagten und seiner Begleiter nicht gefallen lassen wollte, das Messer bemerkte, konnte nicht geklärt werden. Er bewegte sich, nachdem er sich jeweils von seinem Bruder bzw. der Zeugin Ki. ruckartig losgerissen hatte, in Richtung auf den Ange- klagten, „um sich weiter zu schubsen“, wobei er seine Hände nicht zu Fäusten geballt hatte. Unmittelbare Körperverletzungshandlungen von Seiten des unbewaffneten und dem Angeklagten körperlich nicht überlegenen T. K. standen nicht bevor. Auch der Angeklagte befürchtete nicht ernsthaft, nunmehr – über das bisherige Schubsen hinaus – tätlich angegriffen zu werden. Um sich das Tatopfer vom Leib zu halten, stach nunmehr der Angeklagte in seiner Erregung mit einer einzigen Stichbewegung in Richtung von T. K. , wobei er diesen treffen und verletzen wollte, ohne jedoch auf eine bestimmte Körperstelle zu zielen. Der Stich hatte eine Wucht von mindestens drei Kilopond und drang im Bereich der linken oberen seitlichen Brustwand, in der Nähe des Schlüsselbeines, in den Körper ein. Der Stichkanal verlief etwas absteigend nach innen gerichtet und war insgesamt 16,5 cm bis 17 cm lang. Das Messer durchstach den linken Lungenoberlappen und drang in den Herzbeutel und die Lungenschlagader ein. Das Tatopfer taumelte ein paar Schritte zurück und sackte nach einigen Sekunden zu Boden. T. K. verstarb um 04.55 Uhr im Krankenhaus nach mehreren erfolglosen Wiederbelebungsversuchen.
- 5
- Die Jugendkammer konnte nicht klären, ob der Angeklagte unmittelbar vor dem Stich das Messer noch über dem Kopf erhoben hatte und vor dem Stich ausholte. Feststellungen zum exakten Verlauf der Stichbewegung sowie zu den genauen Körperhaltungen des Angeklagten und des Tatopfers konnten nicht getroffen werden.
- 6
- Der Angeklagte, der von vornherein nur einmal zustechen wollte, zog das Messer nach dem Stich aus dem Körper des Geschädigten heraus und ergriff gemeinsam mit seinem Bruder E. B. die Flucht, indem sie schnellen Schrittes – ohne aber zu rennen – über die Tanzfläche der Gaststätte zum Ausgang gingen. Unterwegs entledigte sich der Angeklagte des bei der Tat verwendeten Messers, das unauffindbar blieb. Telefonisch verabredete er mit dem Zeugen G. ein Treffen an einem Spielplatz in S. . Dort zeigte sich der Angeklagte von seiner Tat sichtlich geschockt. Er war verwirrt und zappelte hin und her. Gegenüber dem Zeugen G. erklärte er, „er sei im ‚A. ‘ total aus- gerastet, weil da so viele Personen gewesen seien“ und „sei zu weit gegangen und habe jemanden mit einem Messer gestochen, was in der Situation nicht hätte sein müssen. Er wisse aber nicht, wohin und wie tief er gestochen habe“ (UA S. 13).
- 7
- Das Landgericht hat direkten Körperverletzungsvorsatz angenommen, sich hingegen von einem (auch nur bedingten) Tötungsvorsatz nicht überzeugen können. Der Angeklagte sei sich zwar der potentiellen Lebensgefährlichkeit seiner Handlungsweise bewusst gewesen. Der Todeseintritt sei von ihm aber nicht in seinen Willen aufgenommen und gebilligt worden. Die Einlassung des Angeklagten, der Messerstich sei ungezielt gewesen, sei letztlich nicht zu widerlegen. Da das Tatgeschehen hinsichtlich der genauen Körperhaltung des Angeklagten und des Geschädigten, des exakten Verlaufs der Stichbewegung und der genauen Messerhalteposition unklar geblieben sei, fehlten wesentliche Anknüpfungspunkte für die Feststellung einer Zielgerichtetheit des Messerstichs. Gegen das voluntative Element des Tötungsvorsatzes spreche insbesondere , dass es sich bei dem Messerstich um eine einzige, spontane, unüberlegte und in angeheizter Stimmung ausgeführte Handlung im Verlauf einer (gruppen-)dynamischen gegenseitigen Auseinandersetzung inmitten einer größeren , unübersichtlichen Menschenmenge gehandelt habe. Ein Tötungsmotiv sei nicht ersichtlich, zumal der Angeklagte und der Geschädigte sich vor der Tat nicht gekannt hätten. Gegen einen Tötungsvorsatz lasse sich auch anführen, dass die Tat vor zahlreichen Zeugen stattgefunden habe und der Angeklagte nicht davon habe ausgehen können, dass letztlich niemand den Messerstich beobachten werde. Die nach der Tat gegenüber dem Zeugen G. gezeigte Erschütterung deute darauf hin, dass dem Angeklagten der Tod des Tatopfers nicht „mindestens gleichgültig“ gewesen sei (UA S. 44).
- 8
- Die Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei zur Tatzeit nicht vermindert gewesen. Das Vorliegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung im Sinne der §§ 20, 21 StGB könne nach einer Gesamtwürdigung der für und gegen die Annahme eines hochgradigen Affekts sprechenden Umstände ausgeschlossen werden. Es habe zwar eine gewisse affektive Erregung, jedoch keineswegs eine außergewöhnliche körperliche oder seelische Belastung des Angeklagten vorgelegen.
II.
- 9
- Die von der Staatsanwaltschaft, den Nebenklägern und dem Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen haben aus den Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts vom 7. November 2012 keinen Erfolg. Sie sind jedenfalls unbegründet.
- 10
- Zu den Rügen der Staatsanwaltschaft, der Nebenkläger und des Angeklagten , das Landgericht habe die in den Beweisanträgen der Staatsanwaltschaft vom 12. Oktober 2011 enthaltenen Beweisbehauptungen über die Angaben des Zeugen E. B. , die dieser in den später ausgesetzten Hauptverhandlungen am 8. Juni 2011 und 24. August 2011 gemacht habe, nicht gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO als wahr unterstellen dürfen, bemerkt der Senat ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts:
- 11
- Der Umstand, dass das Landgericht die behaupteten Angaben des Zeugen E. B. , die dieser gegenüber den als Zeugen benannten Richternin den beiden vorangegangenen und später ausgesetzten Hauptverhandlungen gemacht haben soll, als wahr unterstellt hat, gibt keinen Anlass zu der Besorgnis , das Landgericht habe Sinn und Zweck der Beweisanträge unzulässig eingeengt oder umgedeutet. Denn die Beweisanträge der Staatsanwaltschaft beinhalteten die Tatsachenbehauptung, dass der Zeuge B. bestimmte inhaltliche Äußerungen gemacht hat. Es ging der Staatsanwaltschaft allein um die Tatsache des Bekundens und nicht um die objektive Richtigkeit des Inhalts der Aussage (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 1990 – 3 StR 109/89, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Wahrunterstellung 20).
- 12
- Es ist unschädlich, dass das Landgericht die als wahr unterstellten Aussagen des Zeugen E. B. in den Urteilsgründen als unerheblich angesehen hat (UA S. 31). Zwar dürfen nur erhebliche Tatsachen, die zu Gunsten des Angeklagten wirken und zu seiner Entlastung behauptet werden, als wahr unterstellt werden (KK-Fischer, StPO, 6. Aufl., § 244 Rn. 185). Da Beweisthema und damit Gegenstand der Wahrunterstellung jedoch – wie bereits ausgeführt – nicht die unmittelbar beweiserheblichen Tatsachen (tätlicher Angriff auf den Zeugen G. , wechselseitige Faustschläge, Angeklagter nicht im Besitz eines Messers), sondern die hierzu gemachten Angaben des Zeugen B. betrafen , war die Kammer nicht gehalten, davon auszugehen, das tatsächliche Geschehen habe diesen Bekundungen entsprochen. Die Bewertung und Einstellung der Aussageinhalte in das Beweisgefüge war vielmehr Sache der Strafkammer (BGH, Urteil vom 20. April 1993 – 1 StR 886/92, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Wahrunterstellung 25). Im Hinblick auf die sonstige Beweislage, insbesondere die Einlassung des Angeklagten, der den tödlichen Messerstich eingeräumt hat, sowie die glaubhaften Aussagen der Zeugen Ki. und D. , musste die Strafkammer aus den als wahr unterstellten Angaben des Zeugen B. nicht die von der Antragstellerin bzw. dem Angeklagten angestrebten Schlussfolgerungen ziehen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2006 – 5 StR 410/05, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Wahrunterstellung 37; Meyer- Goßner, StPO, 55. Aufl., § 244 Rn. 71a). Der Tatrichter braucht den Angeklagten in der Regel nicht vom Wechsel der Bewertung einer Beweisbehauptung zu unterrichten, wenn eine als wahr unterstellte Indiztatsache sich nach dem Ergebnis der Urteilsberatung als bedeutungslos erweist. Umstände, die eine Ausnahme von dieser Regel gebieten können, liegen nicht vor (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 1990 – 3 StR 109/89, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Wahrunterstellung
20).
III.
- 13
- Zur Sachrüge der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger
- 14
- 1. Die Beweiswürdigung, auf welche die Überzeugung der Strafkammer gründet, es sei lediglich ein Körperverletzungs-, nicht aber ein – auch nur bedingter – Tötungsvorsatz festzustellen, weist nach den Maßstäben sachlichrechtlicher Prüfung durch das Revisionsgericht keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
- 15
- Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinanderliegen , müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 28. Januar 2010 – 3 StR 533/09, NStZ-RR 2010, 144, 145; vom 20. September 2012 – 3 StR 158/12). Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne durch diese zu Tode kommen und – weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt – auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Deshalb ist in derartigen Fällen ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des Täters auf bedingten Tötungsvor- satz grundsätzlich möglich. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalls, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage mit einzubeziehen sind (BGH, Urteile vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444; vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524, 1525 f.; vom 20. September 2012 – 3 StR 158/12). Insbesondere bei einer spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlung kann aus dem Wissen um einen möglichen Erfolgseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das – selbständig neben dem Wissenselement stehende – voluntative Vorsatzelement gegeben ist (BGH, Urteile vom 17. Dezember 2009 – 4 StR 424/09, NStZ 2010, 571, 572; vom 28. Januar 2010 – 3 StR 533/09, NStZ-RR 2010, 144).
- 16
- 2. Den sich daraus ergebenden Anforderungen entspricht das angefochtene Urteil.
- 17
- a) Das Landgericht hat die gebotene Gesamtschau der bedeutsamen objektiven und subjektiven Tatumstände vorgenommen und dabei insbesondere die objektive Gefährlichkeit der Verletzungshandlung (Messerstich in den Herzbereich ), den Tathergang (spontane, unüberlegte Tat im Rahmen eines unübersichtlichen , dynamischen Geschehens) und die psychische Verfassung des Angeklagten (angeheizte Stimmung, nicht alkoholisiert, voll schuldfähig) umfassend bedacht (UA S. 38 – 44). Bei seiner Bewertung der Beweistatsachen hat es sich nicht mit allgemeinen, formelhaften Wendungen begnügt; vielmehr hat es seine Überzeugung, der Vorsatz des Angeklagten habe sich nur auf die Verwirklichung des Tatbestandes der gefährlichen Körperverletzung bezogen, mit auf den konkreten Fall abgestellten Erwägungen begründet.
- 18
- b) Dass das Landgericht sich keine Überzeugung davon verschaffen konnte, der Angeklagte habe gezielt auf den Herzbereich des Tatopfers eingestochen , ist das Ergebnis einer vollständigen, das Revisionsgericht bindenden Beweiswürdigung. Die Jugendkammer hat dabei auch bedacht, dass „ein zum Herzen hin führender Stichkanal“ ein Indiz für die Zielgerichtetheit des Stichs sein kann (UA S. 40). Da das genaue Kampfgeschehen trotz Vernehmung zahlreicher Zeugen auf Grund der eingeschränkten Sichtverhältnisse, der festgestellten Bewegungsdynamik und der Unübersichtlichkeit der Auseinandersetzung hinsichtlich der genauen Körperhaltung des Tatopfers und des Angeklagten , des exakten Ablaufs der Stichbewegung und der Messerhalteposition zur Zeit der Tatausführung nicht weiter aufklärbar war, fehlen wesentliche Anknüpfungspunkte für die Annahme einer Zielgerichtetheit des dem Geschädigten beigebrachten tödlichen Herzstiches, zumal aus der Länge des Stichkanals – wie das sachverständig beratene Landgericht näher ausgeführt hat – nicht ohne weiteres auf eine „enorme Wucht“ geschlossen werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. September 2001 – 4 StR 353/01; vom 22. Februar 2006 – 5 StR 583/05). Die Schlussfolgerungen des Tatrichters brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Das ist hier der Fall. Der Senat ist zu einer abweichenden Würdigung nicht befugt.
- 19
- c) Die sorgfältige Beweiswürdigung durch die Strafkammer begründet nicht die Besorgnis, das Tatgericht habe zu hohe Anforderungen an seine für eine Verurteilung wegen Totschlags notwendige Überzeugung gestellt. Das Landgericht hat gesehen, dass auch bei einem nicht gezielten Stich in den Brustbereich bedingter Tötungsvorsatz gegeben sein kann (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2009 – 4 StR 424/09, NStZ 2010, 571, 572). Die Kammer hat in ihre Beweiserwägungen zu Recht diejenigen Umstände einbezogen, welche ein Handeln mit bedingtem Tötungsvorsatz in Frage stellten (UA S. 43/44). Denn selbst die offen zu Tage tretende Lebensgefährlichkeit zugefügter Verletzungen bedeutet zwar ein gewichtiges Indiz für einen (bedingten) Tötungsvorsatz , stellt aber keinen zwingenden Beweisgrund dar. Da das Landgericht sich mit diesem Beweisanzeichen ausführlich auseinandergesetzt hat, ist nicht zu besorgen, es habe diesem Umstand ein zu geringes Gewicht beigemessen (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524, 1525).
- 20
- 3. Soweit die Nebenkläger sich gegen die Höhe der Jugendstrafe wenden , steht dem § 400 Abs. 1 StPO entgegen. Das Rechtsmittel der Nebenkläger kann nicht dazu führen, die Strafzumessung zu korrigieren (Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 400 Rn. 7).
IV.
- 21
- Zur Sachrüge des Angeklagten
- 22
- Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hat einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler nicht ergeben. Die Ausführungen , mit denen das Landgericht zur Verneinung einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten gelangt ist, halten revisionsrechtlicher Prüfung stand. Die Jugendkammer hat sich bei der Prüfung der Frage, ob die Schuldfähigkeit auf Grund einer affektbedingten tiefgreifenden Bewusstseinsstörung beeinträchtigt war, mit allen maßgeblichen Umständen in einer auf den konkreten Fall bezogenen Gesamtwürdigung auseinandergesetzt.
- 23
- 1. Die affektive Erregung stellt bei vorsätzlichen Tötungsdelikten, bei denen gefühlsmäßige Regungen eine Rolle spielen, eher den Normalfall dar. Ob die affektive Erregung einen solchen Grad erreicht hat, dass sie zu einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung und damit zu einem Eingangsmerkmal im Sinne von § 20 StGB geführt hat, ist anhand von tat- und täterbezogenen Merkmalen zu beurteilen, die als Indizien für und gegen die Annahme eines schuldrelevanten Affekts sprechen können. Diese Indizien sind dabei im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung zu beurteilen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. Februar 2008 – 2 StR 603/07, NStZ 2008, 510, 512; Beschluss vom 7. August 2012 – 2 StR 218/12).
- 24
- 2. Das sachverständig beratene Landgericht hat die wesentlichen Grundlagen , an die die Schlussfolgerungen des Gutachters anknüpfen, im Urteil mitgeteilt (UA S. 45/46). Es hat sich diesen nicht lediglich angeschlossen, sondern die gebotene Gesamtwürdigung selbst vorgenommen. Die sorgfältigen Urteilsausführungen lassen nicht besorgen, dass das Landgericht sich nur unvollständig mit den festgestellten Tatsachen auseinandergesetzt und für die Annahme eines schuldrelevanten Affekts möglicherweise sprechende Umstände außer Acht gelassen hat. Das Gericht hat insbesondere die Gesichtspunkte bedacht, die für einen Affekt sprechen können (Tatablauf ohne besondere vorherige Sicherungstendenzen, Missverhältnis zwischen Tatanstoß und Reaktion des Angeklagten, „Erschütterung“ des Angeklagten nach geglückter Flucht), und gesehen, dass es auch ohne spezifische Partnerbeziehung und Vorgeschichte zu Affektdelikten kommen kann (vgl. Nedopil/Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl., S. 281). Wenn die Jugendkammer mit Blick auf die Tatvorgeschichte (keine Provokation durch das Tatopfer, von der Gruppe um den Angeklagten ausgehende Aggressionen) und das Tatgeschehen, das nicht durch eine außergewöhnliche körperliche oder seelische Belastung des Angeklagten ge- kennzeichnet war, unter zusätzlicher Berücksichtigung des umsichtigen, von Sicherungstendenzen begleiteten Nachtatverhaltens (koordinierte, geordnete Flucht mit dem Bruder und Entsorgung des Tatmessers) einen relevanten (asthenischen) Affekt verneint hat, lässt dies einen Rechtsfehler nicht erkennen.
- 25
- Für eine Anwendung des § 33 StGB war schon deshalb kein Raum, weil das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, dass der Angeklagte sich zu keinem Zeitpunkt in einer Notwehrlage befunden hat (vgl. BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 5 StR 384/08, NStZ-RR 2009, 70, 71).
V.
- 26
- Die Kostenentscheidung folgt aus § 74 JGG und § 473 Abs. 1 und 2 StPO.
Quentin Reiter
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Annotations
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.
(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn
- 1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist, - 2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist, - 3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist, - 4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist, - 5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder - 6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.
(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.
(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.
(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.
(1) Der Nebenkläger kann das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, daß eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird oder daß der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluß des Nebenklägers berechtigt.
(2) Dem Nebenkläger steht die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß zu, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder das Verfahren nach den §§ 206a und 206b eingestellt wird, soweit er die Tat betrifft, auf Grund deren der Nebenkläger zum Anschluß befugt ist. Im übrigen ist der Beschluß, durch den das Verfahren eingestellt wird, für den Nebenkläger unanfechtbar.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.
Im Verfahren gegen einen Jugendlichen kann davon abgesehen werden, dem Angeklagten Kosten und Auslagen aufzuerlegen.
(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.
(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.
(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.
(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.
(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.
(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag
- 1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder - 2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.