Bundesfinanzhof Beschluss, 22. Dez. 2011 - XI B 17/11


Gericht
Tatbestand
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I. Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist ein eingetragener Verein, dessen Zweck die Förderung des Tourismus im Kreis X ist. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) finanzierte er sich im Streitjahr 2004 im Wesentlichen aus Beiträgen seiner Mitglieder (darunter 27 Gemeinden, acht Verkehrsvereine sowie der D…) in Höhe von 198.422 €; der Landkreis X leistete zudem eine Zahlung (Zuschuss) in Höhe von 210.000 €.
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Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) ging davon aus, der Kläger habe an seine Mitglieder Sonderleistungen bspw. in Form von Beratungen und Unterstützung bei Veranstaltungen erbracht, die durch die Mitgliedsbeiträge pauschal abgegolten worden seien. Das entsprechende Entgelt schätzte das FA auf 25 % der Mitgliedsbeiträge. Die vom Kläger geltend gemachten Vorsteuerbeträge teilte es im Verhältnis der "unternehmerischen" zu den "nichtunternehmerischen" Einnahmen auf, wobei es die Zahlung des Landkreises den nichtunternehmerischen Einnahmen zuschlug. Den Vorsteuerabzug kürzte es im Ergebnis auf 5.150 €.
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Das FG wies die Klage unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 29. Oktober 2008 XI R 59/07 (BFHE 223, 493, BFH/NV 2009, 324) ab. Der Verein habe --der Umsatzsteuer unterliegende-- Leistungen an die Gebietskörperschaften, an die D und in den Fällen einer tatsächlichen Beratung an die jeweiligen Einzelmitglieder erbracht. Selbst wenn die Zahlung des Kreises als Zuschuss einzuordnen und kein Entgelt sein sollte, sei der vom FA der angefochtenen Steuerfestsetzung zugrunde gelegte Ansatz des Entgelts mit 25 % der Mitgliedsbeiträge noch zu gering.
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Der Kläger begründet seine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision u.a. damit, das FG habe sein Urteil auf Tatsachen gestützt, die es nicht festgestellt habe und denen er ausdrücklich widersprochen habe. Das Urteil habe nicht den Inhalt der ihm vorliegenden Akten vollständig und einwandfrei berücksichtigt. Er verweist hierzu auch auf seinen Antrag auf Tatbestandsberichtigung.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt nach § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Zu Recht macht der Kläger geltend, das FG habe sein Urteil nicht auf das Gesamtergebnis des Verfahrens gestützt (§ 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO). Das Urteil kann auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen.
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1. Die Klägerin rügt als Verfahrensmangel u.a. die Nichtbeachtung des § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO, wonach das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheidet. Diese Vorschrift verpflichtet das FG, den Inhalt der ihm vorliegenden Akten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 19. August 2004 II B 79/03, BFH/NV 2004, 1670; vom 13. April 2011 IX B 180/10, BFH/NV 2011, 1375).
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2. Ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten i.S. einer Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO ist gegeben, wenn das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht, oder wenn es eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen hat und die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 21. November 2002 X B 86/02, BFH/NV 2003, 337, m.w.N.; vom 2. November 2010 II B 61/10, BFH/NV 2011, 307; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 96 Rz 11, m.w.N.).
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a) Der Kläger hat in seinem Schriftsatz an das FG vom 29. Oktober 2010 vorgetragen, die Annahme des FA, dass ein Leistungsaustausch vorliege, beruhe auf Satzungsbestimmungen. Diese Satzungsbestimmungen entsprächen aber nicht der tatsächlichen Vereinstätigkeit. Soweit gastronomische Betriebe von Aktivitäten des Klägers profitieren sollten, gebe es zudem keine Beziehung zu den Mitgliedsbeiträgen.
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b) Die allein auf den Wortlaut der Satzung gestützte Annahme des FG, der Verein habe an seine Mitglieder individuelle entgeltliche Beratungsleistungen erbracht, widerspricht dem klaren schriftlichen Vorbringen des Klägers im Klageverfahren.
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Das hat das FG in seinem Beschluss vom 8. Februar 2011 16 K 238/07, mit dem es den Antrag des Klägers auf Berichtigung des Tatbestands des angefochtenen Urteils abgelehnt hat, selbst ausgeführt. Es heißt dort u.a., zwar habe der Prozessbevollmächtigte (des Klägers) in dem von ihm zitierten Schriftsatz vorgetragen, dass die Satzungsformulierungen nicht der tatsächlichen Vereinstätigkeit entsprächen; Feststellungen dazu habe das Gericht jedoch nicht getroffen.
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Das FG durfte bei seiner Entscheidung nicht ohne weiteres den Vortrag des Klägers unberücksichtigt lassen und vom Gegenteil ausgehen, ohne eigene entsprechende Feststellungen zu treffen.
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c) Die Vorentscheidung kann auf dem Verfahrensfehler beruhen.
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Das FG geht zwar davon aus, der Verein habe durch seine tatsächlichen Marketingmaßnahmen und seine werbende Tätigkeit auf den von ihm im Interesse der Mitglieder besuchten Messen Leistungen erbracht, die zumindest denjenigen Vereinsmitgliedern zugutekamen, die als Gebietskörperschaften in der beworbenen Region belegen sind. Was der Kläger insoweit im Einzelnen geleistet hat und wie hoch das hierfür zu veranschlagende Entgelt war, wird in dem Urteil des FG jedoch nicht festgestellt.
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Zudem macht der Kläger in diesem Zusammenhang geltend, dass er bei Annahme eines höheren Anteils entgeltlicher Leistungen ggf. auch in höherem Maße Vorsteuern abziehen könnte.
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3. Es erscheint sachgerecht, nach § 116 Abs. 6 FGO die Vorentscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
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Das FG wird unter Beachtung der neueren Rechtsprechung des BFH (vgl. etwa Urteile in BFHE 223, 493, BFH/NV 2009, 324; vom 18. Juni 2009 V R 77/07, BFHE 226, 187, BFH/NV 2009, 1912; vom 7. Oktober 2010 V R 12/10, BFHE 231, 349, BStBl II 2011, 303, unter II.1.) prüfen müssen, welche Leistungen der Verein gegenüber seinen Mitgliedern konkret erbracht hat, ob dafür ein Entgelt bezahlt worden ist und wie hoch Letzteres ggf. war. Ausgangspunkt ist danach stets die Frage, inwieweit entgeltliche Vorteile der Mitglieder jeweils konkret festzustellen sind.


Annotations
(1) Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.
(2) Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder Abschrift des Urteils, gegen das Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht im Falle der elektronischen Beschwerdeeinlegung.
(3) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. In der Begründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 dargelegt werden. Die Begründungsfrist kann von dem Vorsitzenden auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag um einen weiteren Monat verlängert werden.
(4) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.
(5) Der Bundesfinanzhof entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch den Bundesfinanzhof wird das Urteil rechtskräftig.
(6) Liegen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann der Bundesfinanzhof in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
(7) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt, wenn nicht der Bundesfinanzhof das angefochtene Urteil nach Absatz 6 aufhebt; der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt für den Beschwerdeführer die Revisionsbegründungsfrist, für die übrigen Beteiligten die Revisions- und die Revisionsbegründungsfrist. Auf Satz 1 und 2 ist in dem Beschluss hinzuweisen.