Bundesfinanzhof Urteil, 27. Feb. 2014 - III R 47/13

Gericht
Tatbestand
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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Vater einer im Juli 1989 geborenen Tochter, die seit Februar 2012 verheiratet ist. Sie befindet sich im Erststudium und erhält seit Herbst 2011 ein Deutschlandstipendium in Höhe von monatlich 300 €.
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Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) hob die Kindergeldfestsetzung ab März 2012 auf und wies den fristgemäß eingelegten Einspruch als unbegründet zurück, weil unter Berücksichtigung der eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes sowie des verfügbaren Nettoeinkommens des Ehegatten kein Mangelfall vorliege. Unter Einbeziehung des Unterhaltsanspruchs gegenüber dem Ehemann belaufe sich das verfügbare Nettoeinkommen der Tochter auf 8.876,87 €. Der anteilige Grenzbetrag von 6.670 € --10/12 von 8.004 €-- werde somit überschritten.
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Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, nach der seit 2012 geltenden Rechtslage komme es auf die Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes sowie etwaiger Unterhaltsansprüche gegen einen Ehegatten nicht mehr an.
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Die Familienkasse rügt die Verletzung materiellen Rechts.
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Sie beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Tochter trotz ihrer Verheiratung zu berücksichtigen ist.
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1. Dem Kläger steht nach dem Wortlaut der §§ 32, 62 ff. des Einkommensteuergesetzes (EStG) für die Monate ab März 2012 weiterhin Kindergeld für seine Tochter zu, die das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, mittels ihres Studiums für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) und noch keine erstmalige Berufsausbildung oder ein Erststudium abgeschlossen hat (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG i.d.F. des Steuervereinfachungsgesetzes 2011, BGBl I 2011, 2131). Die Höhe ihrer Einkünfte und Bezüge ist nach dem Gesetzeswortlaut --im Gegensatz zu der bis Ende 2011 geltenden Rechtslage-- ohne Bedeutung.
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2. Ihre Verheiratung steht der Berücksichtigung --entgegen der Verwaltungsansicht (DA-FamEStG 2013 Abschn. 31.2.2)-- nicht entgegen. Zur Begründung verweist der Senat auf sein Urteil vom 17. Oktober 2013 III R 22/13 (BFHE 243, 246, BStBl II 2014, 257). Weder bildet die Verheiratung des Kindes einen Ausschlusstatbestand i.S. von § 32 Abs. 4 EStG noch erfordert seine Berücksichtigung eine "typische Unterhaltssituation" (Senatsurteil vom 17. Juni 2010 III R 34/09, BFHE 230, 61, BStBl II 2010, 982). Die von der Familienkasse befürwortete Fortführung einer Einkünfte- und Bezügegrenze, die sich zwecks Prüfung eines Mangelfalles allein auf verheiratete Kinder beschränkt, würde der mit der Abschaffung der Grenzbetragsregelung bei volljährigen Kindern vom Gesetzgeber bezweckten Entlastung der Eltern von Erklärungsaufwand und der Entlastung der Verwaltung von der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge der Kinder widersprechen und wäre im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes bedenklich.

Annotations
(1) Ist die Revision unzulässig, so verwirft der Bundesfinanzhof sie durch Beschluss.
(2) Ist die Revision unbegründet, so weist der Bundesfinanzhof sie zurück.
(3) Ist die Revision begründet, so kann der Bundesfinanzhof
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in der Sache selbst entscheiden oder - 2.
das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
(4) Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Verletzung des bestehenden Rechts, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen.
(5) Das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Bundesfinanzhofs zugrunde zu legen.
(6) Die Entscheidung über die Revision bedarf keiner Begründung, soweit der Bundesfinanzhof Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Das gilt nicht für Rügen nach § 119 und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.
(1) Kinder sind
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im ersten Grad mit dem Steuerpflichtigen verwandte Kinder, - 2.
Pflegekinder (Personen, mit denen der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie nicht zu Erwerbszwecken in seinen Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht).
(2)1Besteht bei einem angenommenen Kind das Kindschaftsverhältnis zu den leiblichen Eltern weiter, ist es vorrangig als angenommenes Kind zu berücksichtigen.2Ist ein im ersten Grad mit dem Steuerpflichtigen verwandtes Kind zugleich ein Pflegekind, ist es vorrangig als Pflegekind zu berücksichtigen.
(3) Ein Kind wird in dem Kalendermonat, in dem es lebend geboren wurde, und in jedem folgenden Kalendermonat, zu dessen Beginn es das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, berücksichtigt.
(4)1Ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, wird berücksichtigt, wenn es
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noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat, nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und bei einer Agentur für Arbeit im Inland als Arbeitsuchender gemeldet ist oder - 2.
noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat und - a)
für einen Beruf ausgebildet wird oder - b)
sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten befindet, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes, einer vom Wehr- oder Zivildienst befreienden Tätigkeit als Entwicklungshelfer oder als Dienstleistender im Ausland nach § 14b des Zivildienstgesetzes oder der Ableistung des freiwilligen Wehrdienstes nach § 58b des Soldatengesetzes oder der Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne des Buchstaben d liegt, oder - c)
eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann oder - d)
einen der folgenden freiwilligen Dienste leistet: - aa)
ein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Jugendfreiwilligendienstegesetzes, - bb)
ein freiwilliges ökologisches Jahr im Sinne des Jugendfreiwilligendienstegesetzes, - cc)
einen Bundesfreiwilligendienst im Sinne des Bundesfreiwilligendienstgesetzes, - dd)
eine Freiwilligentätigkeit im Rahmen des Europäischen Solidaritätskorps im Sinne der Verordnung (EU) 2021/888 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2021 zur Aufstellung des Programms für das Europäische Solidaritätskorps und zur Aufhebung der Verordnungen (EU) 2018/1475 und (EU) Nr. 375/2014 (ABl. L 202 vom 8.6.2021, S. 32), - ee)
einen anderen Dienst im Ausland im Sinne von § 5 des Bundesfreiwilligendienstgesetzes, - ff)
einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts“ im Sinne der Förderleitlinie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vom 1. Januar 2016, - gg)
einen Freiwilligendienst aller Generationen im Sinne von § 2 Absatz 1a des Siebten Buches Sozialgesetzbuch oder - hh)
einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst im Sinne der Richtlinie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 4. Januar 2021 (GMBl S. 77) oder
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wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten; Voraussetzung ist, dass die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist.
(5)1In den Fällen des Absatzes 4 Satz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 Buchstabe a und b wird ein Kind, das
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den gesetzlichen Grundwehrdienst oder Zivildienst geleistet hat, oder - 2.
sich anstelle des gesetzlichen Grundwehrdienstes freiwillig für die Dauer von nicht mehr als drei Jahren zum Wehrdienst verpflichtet hat, oder - 3.
eine vom gesetzlichen Grundwehrdienst oder Zivildienst befreiende Tätigkeit als Entwicklungshelfer im Sinne des § 1 Absatz 1 des Entwicklungshelfer-Gesetzes ausgeübt hat,
(6)1Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer wird für jedes zu berücksichtigende Kind des Steuerpflichtigen ein Freibetrag von 3 012 Euro für das sächliche Existenzminimum des Kindes (Kinderfreibetrag) sowie ein Freibetrag von 1 464 Euro für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes vom Einkommen abgezogen.2Bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, verdoppeln sich die Beträge nach Satz 1, wenn das Kind zu beiden Ehegatten in einem Kindschaftsverhältnis steht.3Die Beträge nach Satz 2 stehen dem Steuerpflichtigen auch dann zu, wenn
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der andere Elternteil verstorben oder nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist oder - 2.
der Steuerpflichtige allein das Kind angenommen hat oder das Kind nur zu ihm in einem Pflegekindschaftsverhältnis steht.