vorgehend
Verwaltungsgericht Augsburg, Au 1 K 17.31077, 09.11.2018

Gericht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Der von dem Kläger allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor bzw. ist nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.

Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 - 11 ZB 17.31711 - juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 21.11.2017 - 1 B 148.17 u.a. - juris Rn. 4 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 - 11 ZB 17.31711 - juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 30.9.2015 - 1 B 42.15 - juris Rn. 3). Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Klägers nicht.

1. Bezüglich der als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Frage,

„ob hinsichtlich äthiopischen Staatsangehörigen wie dem Kläger die Teilnahme an einer Demonstration gegen die äthiopische Regierung und eine anschließende Verhaftung zu einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund Vorverfolgung wegen einer im Sinn des § 3b Abs. 2 AsylG jedenfalls zugeschriebenen politischen Überzeugung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, hilfsweise ob dieser Umstand ausreichend wahrscheinlich einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG begründet und somit subsidiärer Schutz zuzuerkennen sein muss“, 6 hat der Kläger schon die Entscheidungserheblichkeit nicht aufgezeigt. Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung nämlich nicht nur darauf gestützt, dass - aufgrund der der aktuellen Entwicklungen in Äthiopien im Jahr 2018 - nicht davon auszugehen sei, dass es bei Rückkehrern, die aus Anlass der Massenproteste der letzten Jahre verhaftet wurden und geflohen seien, beachtlich wahrscheinlich zu Verfolgungshandlungen komme (vgl. Urteilsabdruck Seite 10 f.). Vielmehr hat es in erster Linie auch darauf abgestellt, dass die Verfolgungsgeschichte des Klägers nicht glaubhaft sei (vgl. Urteilsabdruck Seite 7). Hiergegen hat der Kläger keine Einwände erhoben. Ist aber das angefochtene Urteil entscheidungstragend auf mehrere selbständige Begründungen gestützt (sog. kumulative Mehrfachbegründung), kann die Berufung nur dann zugelassen werden, wenn im Hinblick auf jede dieser Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht ist und vorliegt (vgl. BVerwG, B.v. 31.5.2017 - 5 PB 12.16 - juris Rn. 2; B.v. 3.12.2018 - 7 BN 4.18 - juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 15.12.2017 - 8 ZB 16.1806 - NVwZ 2018, 511 = juris Rn. 30 m.w.N.; B.v. 18.12.2017 - 15 ZB 17.31757 - juris Rn. 7). Dem genügt das Vorbringen des Klägers nicht.

Abgesehen davon wäre diese Frage auch für den Verwaltungsgerichtshof in einem Berufungsverfahren nicht (mehr) von Bedeutung. Denn infolge der grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien seit April 2018 und der daraus folgenden Situation für (frühere) Oppositionelle sprechen stichhaltige Gründe dagegen, dass sich die behauptete politische Verfolgung wiederholt und eine Person allein aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Überzeugung oder ihrer früheren regierungskritischen Handlungen wie der Teilnahme an einer Demonstration (noch) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen nach § 3a AsylG oder einen ernsthaften Schaden im Sinn des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG befürchten muss (vgl. BayVGH, U.v. 13.2.2019 - 8 B 17.31645 - juris Rn. 27 ff.; U.v. 13.2.2019 - 8 B 18.30257 - juris Rn. 32 ff.; U.v. 12.3.2019 - 8 B 18.30274 - juris Rn. 25 ff.; U.v. 12.3.2019 - 8 B 18.30252 - juris Rn. 24 ff.). Kommt es aber, gleichgültig aus welchem Grund, auf eine Frage, die das Verwaltungsgericht möglicherweise fehlerhaft beantwortet hat, für die Berufungsentscheidung nicht (mehr) an, darf die Berufung wegen dieses Fehlers nicht zugelassen werden. Das gilt für alle Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 VwGO bzw. § 78 Abs. 3 AsylG gleichermaßen und somit auch für den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG (vgl. BayVGH, B.v. 28.6.2010 - 1 ZB 08.2292 - juris Rn. 8; Seibert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 151 und 154). Denn nach dem die gesetzliche Regelung des Berufungszulassungsverfahrens beherrschenden Grundgedanken soll ein Berufungsverfahren nur eröffnet werden, wenn die angeführten Zulassungsgründe für die Entscheidung in der Hauptsache erheblich sind (vgl. BayVGH, B.v. 1.8.2011 - 8 ZB 11.345 - BayVBl. 2012, 287 m.w.N., B.v. 24.4.2017 - 12 ZB 13.2094 - juris Rn. 28).

2. Die vom Kläger weiter aufgeworfene Frage,

„ob die allgemeine humanitäre Lage in Äthiopien auch mit Stand Ende 2018 trotz der urteilsweise dargebrachten harten Existenzbedingungen die Annahme eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG weiterhin nicht rechtfertigen, oder ob ein solches Abschiebungsverbot äthiopischen Staatsangehörigen aus diesem Grund zugesprochen werden muss“, 10 ist einer grundsätzlichen Klärung i.S. von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht zugänglich. Sie entzieht sich einer generellen, fallübergreifenden Klärung, weil sie nicht losgelöst von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls beantwortet werden kann.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Schlechte humanitäre Verhältnisse im Herkunftsland können nach gefestigter Rechtsprechung im Ausnahmefall ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung begründen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 - 13a B 14.30285 - AuAS 2015, 43 = juris LS und Rn. 17; BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 Rn. 23, 25; B.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - juris Rn. 8). Dies setzt aber voraus, dass im Zielstaat der Abschiebung das für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erforderliche Mindestmaß an Schwere erreicht wird. Das kann der Fall sein, wenn ein Ausländer im Zielstaat seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält. Einer weitergehenden abstrakten Konkretisierung ist das Erfordernis, dass ein gewisses Mindestmaß an Schwere erreicht sein muss, nicht zugänglich. Vielmehr bedarf es insoweit der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - juris LS 1 und Rn. 9, 11).

Nichts anderes gilt für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Auch die Frage, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG erfüllt sind und insbesondere eine Extremgefahr gegeben ist, ob der betreffende Ausländer also bei einer Rückführung in das Heimatland gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert oder von erheblichen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit bedroht ist (vgl. BayVGH, B.v. 2.11.2017 - 15 ZB 17.31494 - juris Rn. 19; B.v. 9.8.2018 - 8 ZB 18.31801 - juris Rn. 8 f.; BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 Rn. 38; U.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - juris Rn. 13), hängt von einer Vielzahl von Faktoren und Einzelumständen ab, wie etwa der Erwerbsfähigkeit oder den familiären Bindungen und finanziellen Verhältnissen der Betroffenen. Sie kann daher nicht verallgemeinernd, sondern nur nach jeweiliger Würdigung der Verhältnisse im Einzelfall beurteilt werden (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013, a.a.O. Rn. 38).

Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen solcher schlechten humanitärer Verhältnisse mit Blick auf die Volljährigkeit, Gesundheit und die Erwerbsfähigkeit des Klägers sowie seine verwandtschaftlichen Beziehungen und den landwirtschaftlichen Besitz seiner Familie in Äthiopien verneint (vgl. Urteilsabdruck Rn. 35). Hiergegen hat der Kläger keinerlei Einwände geltend gemacht.

3. Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen der vom Kläger für grundsätzlich bedeutsam gehaltenen Frage,

„ob das Verwaltungsgericht hier zutreffend davon ausgehen durfte, dass für den Kläger keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer drohenden politischen Verfolgung besteht“,

zuzulassen. Es bedarf keiner näheren Erläuterung, dass auch diese Frage keiner generellen Klärung zugänglich ist, sondern sich allein nach den gegebenen Umständen des (vorliegenden) Einzelfalls beurteilen lässt.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124


(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. (2) Die B

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 132


(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulas

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 4 Subsidiärer Schutz


(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt: 1. die Verhängung oder Vollstreckung der To

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3 Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft


(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich1.aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 83b Gerichtskosten, Gegenstandswert


Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 78 Rechtsmittel


(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen di

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3a Verfolgungshandlungen


(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen n

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3b Verfolgungsgründe


(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen: 1. der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;2. der Begrif

Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG | § 30 Gegenstandswert in gerichtlichen Verfahren nach dem Asylgesetz


(1) In Klageverfahren nach dem Asylgesetz beträgt der Gegenstandswert 5 000 Euro, in den Fällen des § 77 Absatz 4 Satz 1 des Asylgesetzes 10 000 Euro, in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes 2 500 Euro. Sind mehrere natürliche Personen an demselb

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Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gründe Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. 1. Der vom Kläg

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(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 AsylG) hinreichend dargelegt ist.

1. Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Happ in Eyermann, a.a.O. § 124a Rn. 72). Ist die angegriffene Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, setzt die Zulassung der Berufung voraus, dass für jeden dieser Gründe die Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sind (Kopp/ Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 124a Rn. 7).

Diese Voraussetzungen erfüllt der Zulassungsantrag nicht. Die Klägerin hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob auf eine inländische Fluchtalternative verwiesen werden kann, wenn die Verfolgung von staatlichen Strafverfolgungsbehörden ausgeht. Das Verwaltungsgericht hat die Entscheidung jedoch auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt und ist unter Bezugnahme auf den streitgegenständlichen Bescheid gemäß § 77 Abs. 2 AsylG zum einen davon ausgegangen, dass der Vortrag der Klägerin nicht glaubhaft sei und ihr keine Verfolgung in ihrem Heimatland drohe. Zum anderen hat es angenommen, dass selbst wenn die geschilderten Vorkommnisse tatsächlich passiert wären, es sich dabei nicht um eine Verfolgung aufgrund eines in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Anknüpfungsmerkmal handeln würde. Darüber hinaus ist das Verwaltungsgericht auch noch davon ausgegangen, dass die Klägerin jedenfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative i.S.d. § 3e AsylG innerhalb der Russischen Föderation habe. Hinsichtlich der beiden ersten Begründungen greift kein Berufungszulassungsgrund durch. Auf die Frage der inländischen Fluchtalternative kommt es daher nicht entscheidungserheblich an.

Auch die von der Klägerin als grundsätzlich angesehene Frage, ob die von der Organisation „ROO“ und vom „Kulturverein für Tschetschenen und Inguschen in Österreich“ ausgestellten Urkunden als Beweis und als Ersatz für eine Selbstauskunft des Betroffenen bzw. eines Bevollmächtigten bei der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation verwendet werden können, kann nicht zur Zulassung der Berufung führen. Die Klägerin hat schon nicht dargelegt, dass es sich dabei um eine Frage handelt, die im Interesse der Einheitlichkeit und Fortentwicklung des Rechts einer Klärung bedarf. Es handelt sich in Wahrheit um eine Frage der Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung im Einzelfall, die einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist.

2. Das erstinstanzliche Urteil weicht auch nicht von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder Bundesverwaltungsgerichts ab.

Eine Divergenz im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht in Anwendung derselben Vorschrift (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2004 – 6 PB 15.03 – NVwZ 2004, 889/890) mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz oder einem verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz von einem in der Rechtsprechung der genannten übergeordneten Gerichte aufgestellten Rechts- oder Tatsachensatz oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abweicht und die Entscheidung darauf beruht (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2016, § 124 Rn. 42; Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 73 m.w.N.). Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2014 – 2 B 52.14 – juris Rn. 5). Es genügt nicht, wenn in der angegriffenen Entscheidung ein in der Rechtsprechung der übergeordneten Gerichte aufgestellter Grundsatz lediglich übersehen, übergangen oder in sonstiger Weise nicht richtig angewandt worden ist (BVerwG, B.v. 20.7.2016 – 6 B 35.16 – juris Rn. 12 m.w.N.; Happ a.a.O.; Rudisile a.a.O.).

Soweit die Klägerin vorträgt, das erstinstanzliche Urteil weiche vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 mit dem Aktenzeichen 2 BvR 1616.93 ab, meint sie wohl das Urteil mit dem Aktenzeichen 2 BvR 1516.93. Welchen Rechtssatz das Verwaltungsgericht aufgestellt haben soll, der von einem Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts abweicht, bezeichnet die Klägerin aber nicht, sondern führt nur aus, die Beweiswürdigung genüge nicht den vom Bundesverfassungsgericht in diesem Urteil entwickelten Grundsätzen. Damit ist eine Divergenzrüge nicht hinreichend dargelegt.

In Bezug auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juli 1989 (9 B 239.89 – InfAuslR 1989, 349) ist eine Abweichung ebenfalls nicht dargelegt, denn auch insoweit führt die Klägerin nur aus, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts weiche von den vom Bundesverwaltungsgericht erarbeiteten Grundsätzen der Beweiswürdigung ab. Dies reicht für eine Divergenzrüge nicht aus.

3. Auch ein Verfahrensfehler nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO in Form der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht hinreichend dargelegt. Die Klägerin macht geltend, das Verwaltungsgericht habe gegen den Amtsermittlungsgrundsatz verstoßen, da es nicht weiter bei ihr nachgefragt und ihren Ehemann nicht als Zeugen vernommen habe. Bei einem (hier nicht ersichtlichen) Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO handelt es sich schon nicht um einen absoluten Revisionsgrund nach § 138 VwGO, der von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG erfasst wäre (vgl. BayVGH, B.v. 18.5.2015 – 11 ZB 15.30091 – juris Rn. 2; B.v. 13.4.2015 – 13a ZB 14.30047 – juris Rn. 4; OVG NRW, B.v. 25.3.2015 – 13 A 493/15.A – juris).

Die Würdigung von der Klägerin vorgelegten Unterlagen durch das Verwaltungsgericht verstößt auch nicht gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt bei gerichtlichen Entscheidungen nur dann vor, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfG, B.v. 23.1.2017 – 2 BvR 2584/12 – NJW 2017, 1731 = juris Rn. 27 m.w.N.). Dieser Maßstab gilt auch für die verfassungsrechtliche Überprüfung der von den Fachgerichten vorgenommenen Beweiswürdigung und den von ihnen getroffenen tatsächlichen Feststellungen (vgl. BVerfG a.a.O.). Danach sind die Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden. Es hat sich mit der vorgelegten Bescheinigung der Organisation „ROO“ und dem Schreiben des Kulturvereins befasst und ist unter Würdigung einer Auskunft des Auswärtigen Amts zu dem Ergebnis gekommen, dass sich daraus keine politische Verfolgung der Klägerin in ihrem Heimatland ableiten lässt. Dem setzt die Klägerin nichts entgegen, sondern behauptet nur, die Rechtsanwendung sei willkürlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Dieser Beschluss, mit dem das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 AsylG) hinreichend dargelegt ist.

1. Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Happ in Eyermann, a.a.O. § 124a Rn. 72). Ist die angegriffene Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, setzt die Zulassung der Berufung voraus, dass für jeden dieser Gründe die Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sind (Kopp/ Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 124a Rn. 7).

Diese Voraussetzungen erfüllt der Zulassungsantrag nicht. Die Klägerin hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob auf eine inländische Fluchtalternative verwiesen werden kann, wenn die Verfolgung von staatlichen Strafverfolgungsbehörden ausgeht. Das Verwaltungsgericht hat die Entscheidung jedoch auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt und ist unter Bezugnahme auf den streitgegenständlichen Bescheid gemäß § 77 Abs. 2 AsylG zum einen davon ausgegangen, dass der Vortrag der Klägerin nicht glaubhaft sei und ihr keine Verfolgung in ihrem Heimatland drohe. Zum anderen hat es angenommen, dass selbst wenn die geschilderten Vorkommnisse tatsächlich passiert wären, es sich dabei nicht um eine Verfolgung aufgrund eines in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Anknüpfungsmerkmal handeln würde. Darüber hinaus ist das Verwaltungsgericht auch noch davon ausgegangen, dass die Klägerin jedenfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative i.S.d. § 3e AsylG innerhalb der Russischen Föderation habe. Hinsichtlich der beiden ersten Begründungen greift kein Berufungszulassungsgrund durch. Auf die Frage der inländischen Fluchtalternative kommt es daher nicht entscheidungserheblich an.

Auch die von der Klägerin als grundsätzlich angesehene Frage, ob die von der Organisation „ROO“ und vom „Kulturverein für Tschetschenen und Inguschen in Österreich“ ausgestellten Urkunden als Beweis und als Ersatz für eine Selbstauskunft des Betroffenen bzw. eines Bevollmächtigten bei der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation verwendet werden können, kann nicht zur Zulassung der Berufung führen. Die Klägerin hat schon nicht dargelegt, dass es sich dabei um eine Frage handelt, die im Interesse der Einheitlichkeit und Fortentwicklung des Rechts einer Klärung bedarf. Es handelt sich in Wahrheit um eine Frage der Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung im Einzelfall, die einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist.

2. Das erstinstanzliche Urteil weicht auch nicht von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder Bundesverwaltungsgerichts ab.

Eine Divergenz im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht in Anwendung derselben Vorschrift (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2004 – 6 PB 15.03 – NVwZ 2004, 889/890) mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz oder einem verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz von einem in der Rechtsprechung der genannten übergeordneten Gerichte aufgestellten Rechts- oder Tatsachensatz oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abweicht und die Entscheidung darauf beruht (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2016, § 124 Rn. 42; Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 73 m.w.N.). Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2014 – 2 B 52.14 – juris Rn. 5). Es genügt nicht, wenn in der angegriffenen Entscheidung ein in der Rechtsprechung der übergeordneten Gerichte aufgestellter Grundsatz lediglich übersehen, übergangen oder in sonstiger Weise nicht richtig angewandt worden ist (BVerwG, B.v. 20.7.2016 – 6 B 35.16 – juris Rn. 12 m.w.N.; Happ a.a.O.; Rudisile a.a.O.).

Soweit die Klägerin vorträgt, das erstinstanzliche Urteil weiche vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 mit dem Aktenzeichen 2 BvR 1616.93 ab, meint sie wohl das Urteil mit dem Aktenzeichen 2 BvR 1516.93. Welchen Rechtssatz das Verwaltungsgericht aufgestellt haben soll, der von einem Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts abweicht, bezeichnet die Klägerin aber nicht, sondern führt nur aus, die Beweiswürdigung genüge nicht den vom Bundesverfassungsgericht in diesem Urteil entwickelten Grundsätzen. Damit ist eine Divergenzrüge nicht hinreichend dargelegt.

In Bezug auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juli 1989 (9 B 239.89 – InfAuslR 1989, 349) ist eine Abweichung ebenfalls nicht dargelegt, denn auch insoweit führt die Klägerin nur aus, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts weiche von den vom Bundesverwaltungsgericht erarbeiteten Grundsätzen der Beweiswürdigung ab. Dies reicht für eine Divergenzrüge nicht aus.

3. Auch ein Verfahrensfehler nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO in Form der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht hinreichend dargelegt. Die Klägerin macht geltend, das Verwaltungsgericht habe gegen den Amtsermittlungsgrundsatz verstoßen, da es nicht weiter bei ihr nachgefragt und ihren Ehemann nicht als Zeugen vernommen habe. Bei einem (hier nicht ersichtlichen) Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO handelt es sich schon nicht um einen absoluten Revisionsgrund nach § 138 VwGO, der von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG erfasst wäre (vgl. BayVGH, B.v. 18.5.2015 – 11 ZB 15.30091 – juris Rn. 2; B.v. 13.4.2015 – 13a ZB 14.30047 – juris Rn. 4; OVG NRW, B.v. 25.3.2015 – 13 A 493/15.A – juris).

Die Würdigung von der Klägerin vorgelegten Unterlagen durch das Verwaltungsgericht verstößt auch nicht gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt bei gerichtlichen Entscheidungen nur dann vor, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfG, B.v. 23.1.2017 – 2 BvR 2584/12 – NJW 2017, 1731 = juris Rn. 27 m.w.N.). Dieser Maßstab gilt auch für die verfassungsrechtliche Überprüfung der von den Fachgerichten vorgenommenen Beweiswürdigung und den von ihnen getroffenen tatsächlichen Feststellungen (vgl. BVerfG a.a.O.). Danach sind die Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden. Es hat sich mit der vorgelegten Bescheinigung der Organisation „ROO“ und dem Schreiben des Kulturvereins befasst und ist unter Würdigung einer Auskunft des Auswärtigen Amts zu dem Ergebnis gekommen, dass sich daraus keine politische Verfolgung der Klägerin in ihrem Heimatland ableiten lässt. Dem setzt die Klägerin nichts entgegen, sondern behauptet nur, die Rechtsanwendung sei willkürlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Dieser Beschluss, mit dem das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis für die Verlegung (und den Verbleib) eines „Stolpersteins“ des Künstlers G. D., den er in den Gehweg der als Orts Straße gewidmeten und im Eigentum der Beklagten stehenden H Straße einbauen will.

Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 30. Juli 2015 durch seinen Prozessbevollmächtigten bei der Beklagten die „Erlaubnis zur Verlegung von Stolpersteinen als erlaubte Sondernutzung“. Dabei wies er darauf hin, dass die Steine niveaugleich in das Pflaster bzw. in den Belag des jeweiligen Gehwegs eingelassen würden und dass die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs in keiner Weise beeinträchtigt werde. Zudem erklärte er die Bereitschaft, sämtliche Modalitäten der Verlegung im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Vertrags zu regeln. Mit Bescheid vom 3. November 2015 lehnte die Beklagte den Antrag ab.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger Verpflichtungsklage mit den Anträgen erhoben, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 3. November 2015 zu verpflichten, die Erlaubnis zur Verlegung eines Stolpersteins an der H straße ... zu erteilen, hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung dieses Bescheids zu verpflichten, den Antrag vom 30. Juli 2015 unter Berücksichtigung der Auffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Die Verlegung von Stolpersteinen sei dem kommunikativen Gemeingebrauch zuzurechnen. Insoweit sei es auch möglich, einen Antrag auf Feststellung einzureichen. Das Gericht werde um richterlichen Hinweis gebeten, wenn es sich dieser Ansicht anschließe. Jedenfalls stelle die Verlegung eine gemeinverträgliche Sondernutzung dar. Der Gemeingebrauch werde nicht beeinträchtigt. Weiterhin hat der Kläger ein Rechtsgutachten vorgelegt, das er zu seinem Vortrag gemacht hat. Darin ist unter anderem ausgeführt, dass durch die Verlegung von Stolpersteinen ein Substanzeingriff in den Straßenkörper stattfinde, der die Grenzen der Widmung überschreite. Die Veränderung des Straßenkörpers durch Stolpersteine sei daher nicht als Gemeingebrauch anzusehen. Darüber hinaus wird ausgeführt, dass sich Stolpersteine nicht „über der Straßenoberfläche“ im Sinn des § 1 Abs. 3 der Sondernutzungsgebührensatzung der Beklagten befänden.

In der mündlichen Verhandlung am 31. Mai 2016 hat das Verwaltungsgericht die Frage erörtert, ob eine öffentlich-rechtliche Sondernutzungserlaubnis oder eine privatrechtliche Vereinbarung erforderlich ist. Dabei hat es den Kläger darauf hingewiesen, dass nach Einschätzung des Gerichts für Stolpersteine in öffentliche Verkehrsflächen der Beklagten bürgerlich-rechtliche Vereinbarungen erforderlich sein dürften. Der Klägerbevollmächtigte hat daraufhin erklärt, dass die Beklagte entsprechende Vertragsangebote des Klägers stets abgelehnt habe. Nach einem weiteren gerichtlichen Hinweis, dass für Klagen auf Abschluss von Gestattungsverträgen der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben sei, hat der Kläger davon abgesehen, die Klage um einen weiteren Hilfsantrag zu erweitern.

Mit Urteil vom 31. Mai 2016 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erteilung der Sondernutzungserlaubnis, weil keine öffentlich-rechtliche Sondernutzungserlaubnis, sondern eine bürgerlich-rechtliche Vereinbarung erforderlich sei. Der Einbau eines Stolpersteins in den als öffentliche Verkehrsfläche gewidmeten Gehweg stelle zwar eine Sondernutzung dar, er beeinträchtige aber nicht den Gemeingebrauch. Als gemeingebrauchsverträgliche Sondernutzung werde der Einbau auch nicht durch Satzung der Beklagten dem öffentlichen Recht unterstellt. Weil der beantragte Erlass der Sondernutzungserlaubnis für das beabsichtigte Vorhaben daher nicht notwendig sei, fehle dem Kläger das Sachbescheidungsinteresse. Eine Verweisung des Rechtsstreits an ein für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten zuständiges Gericht sei nicht veranlasst, weil der Kläger keinen Klageantrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer privatrechtlichen Gestattung gestellt habe. Selbst wenn die Verlegung eines Stolpersteins im öffentlichen Straßengrund aber eine nach öffentlichem Recht zu beurteilende Sondernutzung darstelle, bleibe die Klage erfolglos, weil die Beklagte bei Erlass der ablehnenden Entscheidung ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt habe und sich auch aus den vom Kläger geltend gemachten Grundrechten kein Anspruch auf Erteilung der Sondernutzungserlaubnis ergebe.

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung wendet sich der Kläger gegen das Urteil. Er macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten sowie eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Zudem rügt er in der Sache auch die Verletzung von Verfahrensrecht.

II.

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe wurden nicht hinreichend dargelegt oder liegen nicht vor (vgl. § 124 Abs. 2, § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).

1. Aus dem Vorbringen des Klägers ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nur, wenn einzelne tragende Rechtssätze oder einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts durch schlüssige Gegenargumente infrage gestellt werden (vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 = juris Rn. 16; B.v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057/11 – BVerfGE 134, 106 = juris Rn. 36). Sie sind nicht erst dann gegeben, wenn bei der im Zulassungsverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als der Misserfolg (vgl. BVerfG, B.v. 16.1.2017 – 2 BvR 2615/14 – IÖD 2017, 52 = juris Rn. 19; B.v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – BVerfGE 110, 77/83). Schlüssige Gegenargumente liegen vor, wenn der Antragsteller substanziiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546/548 = juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 12.10.2017 – 14 ZB 16.280 – juris Rn. 2 m.w.N.). Dabei kommt es grundsätzlich nicht auf einzelne Elemente der Urteilsbegründung an, sondern auf das Ergebnis der Entscheidung, also auf die Richtigkeit des Urteils nach dem Sachausspruch in der Urteilsformel (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838 = juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 19.3.2013 – 20 ZB 12.1881 – juris Rn. 2).

Nach diesem Maßstab bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht mit der Begründung abgewiesen, dass dem Kläger kein Anspruch auf Erteilung der beantragten Sondernutzungserlaubnis zusteht, weil es für den beantragten Stolperstein im Gehweg der dem öffentlichen Verkehr gewidmeten H straße (Art. 1 Satz 1 BayStrWG) keiner Sondernutzungserlaubnis bedarf und der Kläger daher kein Sachbescheidungsinteresse an der Erteilung dieser Erlaubnis hat.

Nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG bedarf die Benutzung der Straßen über den Gemeingebrauch hinaus (Sondernutzung) der Erlaubnis der Straßenbaubehörde, wenn durch die Benutzung der Gemeingebrauch beeinträchtigt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Verlegung und der dauerhafte Verbleib eines Stolpersteins im öffentlichen Straßengrund stellen zwar eine straßenrechtliche Sondernutzung dar (vgl. dazu unten Nr. 1.1). Diese ist aber nicht erlaubnispflichtig, weil nicht erkennbar ist, dass durch einen einzelnen Stolperstein der Gemeingebrauch beeinträchtigt werden kann (vgl. dazu unten Nr. 1.2). Aus der auf der Grundlage von Art. 22a Satz 1 BayStrWG erlassenen Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 1 der Satzung über die Gebühren für Sondernutzungen auf öffentlichen Straßen in der … der Beklagten vom 25. Juni 2014 (ABl. S. 614), zuletzt geändert am 13. Juli 2015 (ABl. S. 247) – SoNuGebS – folgt nichts Anderes (vgl. dazu unten Nr. 1.3). Auf die Frage, ob die Klage auch dann keinen Erfolg hätte, wenn die Verlegung des Stolpersteins eine erlaubnispflichtige Sondernutzung wäre, wovon das Verwaltungsgericht in seiner weiteren Begründung ausgegangen ist, kommt es nicht mehr an (vgl. dazu unten Nr. 1.4).

1.1 Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die Verlegung eines Stolpersteins in den Gehweg der H straße und der dauerhafte Verbleib darin eine Sondernutzung darstellen und nicht vom Gemeingebrauch erfasst sind.

Der Begriff der Sondernutzung ist in Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG gesetzlich definiert als Benutzung der Straße über den Gemeingebrauch hinaus. Gemeingebrauch ist nach der Legaldefinition des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG die Benutzung der Straße im Rahmen ihrer Widmung für den Verkehr. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG stellt klar, dass kein Gemeingebrauch vorliegt, wenn jemand die Straße nicht vorwiegend zum Verkehr, sondern zu anderen Zwecken benutzt. Danach stellen die Verlegung und der Verbleib eines Stolpersteins im Gehweg einer öffentlichen Straße eine Sondernutzung dar, weil die Benutzung der Straße (vgl. unten Nr. 1.1.1) hierdurch nicht zum Verkehr, sondern zu anderen Zwecken (vgl. unten Nr. 1.1.2) erfolgt.

1.1.1 Die Verlegung und der dauerhafte Verbleib eines Stolpersteins im öffentlichen Straßengrund sind als „Benutzung“ der Straße im Sinn der Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG einzustufen. Dies gilt insbesondere auch für den Verlegungsvorgang selbst, also die Einbringung eines Stolpersteins in die öffentliche Straße. Mit der Einbringung wird in die Substanz des Straßenkörpers eingegriffen, zu dem auch ein unselbständiger Gehweg mit Gehwegdecke, Unterbau und Grund gehören (Art. 2 Nr. 1 Buchst. a und b BayStrWG; vgl. auch Häußler in Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Stand Mai 2017, Art. 2 Rn. 15, 41). Dieser Eingriff stellt eine Straßenbenutzung dar. Dies folgt bereits aus dem allgemeinen Sprachgebrauch des Wortes „Benutzung“, das so viel wie „Verwenden“ oder „Gebrauchmachen“ von einer Sache bedeutet (vgl. BayVGH, B.v. 25.7.2000 – 8 B 99.3497 – VGH n.F. 54, 37/39 f. = juris Rn. 21 zu § 50 Abs. 1 TKG a.F.), und wird durch die Gesetzesmaterialien zum Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes bestätigt, in denen das „Aufgraben“ einer Straße ausdrücklich als Beispiel für die „Benützung der Straße“ angeführt wird (vgl. LT-Beil. 3/2832, S. 30).

Auf die Eigentumsverhältnisse an der H straße und auf die mit der Verlegung verbundenen Eigentumseingriffe kommt es insoweit nicht an. Aufgrund der Widmung steht gemäß Art. 13 Abs. 1 BayStrWG dem Straßenbaulastträger und damit der Beklagten (Art. 47 Abs. 1 BayStrWG) in jedem Fall die Ausübung der Rechte und Pflichten des Eigentümers in dem Umfang zu, wie es die Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs erfordert, einschließlich der Befugnisse aus Art. 22 BayStrWG. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt (BayVGH, B.v. 19.2.1997 – 8 CE 96.3960 – BayVBl 1998, 469 = juris Rn. 8 f.; B.v. 5.11.2012 – 8 CS 12.802 – juris Rn. 10), dass sich die Widmung mit ihren Rechtswirkungen in einer solchen Tiefe in das Straßengrundstück erstreckt, wie der Straßenbaulastträger ein Interesse an der Sicherstellung der öffentlichen Zweckbestimmung des Straßengrundstücks haben kann. In diesem Umfang übt er zur Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs die Rechte und Pflichten aus, die sonst dem Eigentümer zustehen. Die Frage, ob, in welcher Form und in welchem Umfang an dem Straßenkörper Veränderungen zugelassen werden, berührt die Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs, auf die es gemäß Art. 13 Abs. 1 BayStrWG ankommt (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 19.2.1997 – 8 CE 96.3960 – BayVBl 1998, 469 = juris Rn. 9 f.; bestätigt durch B.v. 5.11.2012 – 8 CS 12.802 – juris Rn. 11 f.; Wiesinger/Markuske, Straßenrecht, 2003, S. 254).

1.1.2 Die Verlegung und der Verbleib eines Stolpersteins in öffentlichen Straßen gehen über den Gemeingebrauch hinaus, weil sie nicht für Zwecke des Verkehrs erfolgen, und zwar weder im engeren Sinn eines auf Ortsveränderung gerichteten Fortbewegungsverkehrs noch im weiteren Sinn eines auf Begegnung und Kommunikation mit anderen Verkehrsteilnehmern gerichteten sog. kommunikativen Verkehrs (vgl. zum Verkehrsbegriff Wiget in Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Art. 14 Rn. 19 ff. und 38 ff.; BVerwG, U.v. 9.11.1989 – 7 C 81.88 – BVerwGE 84, 71/73 = juris Rn. 7; BayVGH, U.v. 22.6.2010 – 8 BV 10.182 – BayVBl 2011, 176 = juris Rn. 16). Vielmehr handelt es sich dabei um ein in den öffentlichen Straßenkörper verlegtes Kunstprojekt des Künstlers G. D., mit dem im Sinn eines „gedanklichen Stolperns“ die Erinnerung an die Vertreibung und Vernichtung der Opfer des Nationalsozialismus lebendig erhalten werden soll (vgl. http://www...eu/...pdf; vgl. auch UA S. 18). Das Vorbringen im Zulassungsantrag gibt keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung.

Soweit der Klägerbevollmächtigte erstmals im Zulassungsverfahren mit Schriftsatz vom 10. April 2017 (S. 141 der Gerichtsakte) geltend macht, Stolpersteine seien Teil des „kommunikativen Gemeingebrauchs“ (und damit keine Sondernutzung), ist dieses Vorbringen nicht nur verspätet (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO), sondern auch widersprüchlich im Hinblick auf seinen Vortrag im Schriftsatz vom 10. Oktober 2016, bei dem Einbau eines Stolpersteins handle es sich um eine Sondernutzung (S. 52, 57 der Gerichtsakte). Auch das vom Kläger in erster Instanz vorgelegte Rechtsgutachten kommt zum Ergebnis, dass eine Sondernutzung im Sinn des Straßenrechts gegeben sei (S. 128 f. der Akte des Verwaltungsgerichts). Im Übrigen setzt ein kommunikativer Verkehr grundsätzlich ein objektiv-verkehrsmäßiges Verhalten voraus (Papier in Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2013, Band 2, § 43 Rn. 64). Zum kommunikativen Verkehr zwischen Verkehrsteilnehmern gehört die Inanspruchnahme der Straße durch Personen zum Aufenthalt – gleichgültig aus welchem Grund – oder zur Fortbewegung, nicht jedoch das Einbringen von Gegenständen in den Straßenkörper (vgl. BVerwG, U.v. 7.6.1978 – 7 C 6.78 – BVerwGE 56, 63/65 f. = juris Rn. 12; Papier in Ehlers/Fehling/Pünder, a.a.O., § 43 Rn. 60; Stahlhut in Kodal/Krämer, Straßenrecht, Handbuch, 7. Aufl. 2010, Kap. 27 Rn. 4.1).

1.2 Die Sondernutzung unterliegt jedoch keiner Erlaubnispflicht nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG. Es fehlt, wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, daran, dass durch den Stolperstein in der H straße der Gemeingebrauch beeinträchtigt werden kann.

Der Gemeingebrauch wird beeinträchtigt, wenn die tatsächliche Benutzung des öffentlichen Verkehrsraums durch andere Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen oder nicht unerheblich erschwert wird, mithin die Straße den gewöhnlichen Bedürfnissen des Verkehrs (im Sinn des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG, also einschließlich des kommunikativen Verkehrs) sowie den Anforderungen der Sicherheit und Leichtigkeit nicht so genügen kann, wie dies ohne das störende Ereignis der Fall wäre (vgl. BayVGH, B.v. 27.9.2010 – 8 CS 10.1720 – BayVBl 2011, 729 = juris Rn. 14 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, U.v. 14.3.1957 – I C 16.55 – BVerwGE 4, 342/344 f. = juris Rn. 17; Wiget in Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Art. 18 Rn. 15). Wie sich aus dem Wort „kann“ ergibt, ist es im Rahmen des Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG nicht erforderlich, dass nach der anzustellenden Prognose eine Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs tatsächlich unvermeidbar eintritt. Vielmehr reicht es aus, dass eine derartige Störung abstrakt zu erwarten ist. Ganz entfernte und aller Voraussicht nach unwahrscheinliche Möglichkeiten, aber auch nach den Erwartungen der Verkehrsteilnehmer unbedeutende Wirkungen bleiben außer Betracht (Wiget a.a.O., Art. 18 Rn. 15; Art. 22 Rn. 29 m.w.N.). Liegt keine abstrakte Gefährdung vor und wird daher das öffentliche Interesse aus straßenrechtlicher Sicht nicht berührt (vgl. BGH, U.v. 28.9.1982 – KZR 17/81 – NVwZ 1983, 499 f. = juris Rn. 12), richtet sich die Sondernutzung nach Art. 22 BayStrWG mit der Folge, dass für die Einräumung von Sonderrechten zur Benutzung der Straße keine öffentliche Sondernutzungserlaubnis erforderlich ist, sondern eine privatrechtliche Gestattung der Straßenbaubehörde (Art. 58 Abs. 2 BayStrWG), die nach bürgerlichem Recht eingeholt werden muss (zu Ausnahmeregelungen aufgrund einer Satzung gemäß Art. 22a BayStrWG vgl. unten Nr. 1.3).

Nach diesen Maßstäben scheidet die Möglichkeit einer Gemeingebrauchsbeeinträchtigung durch einen in der Gehwegdecke der H straße verlegten Stolperstein hier aus. Das Verwaltungsgericht geht zutreffend davon aus, dass ein bündig im Gehweg befindlicher Stolperstein die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs nicht beeinträchtigen kann. Auch das kurzzeitige Stehenbleiben von Passanten zum Lesen der Inschrift auf der rund 100 cm² großen Messingplatte oder das Vorbeilenken der Schritte aus Respekt vor den Opfern des Holocaust kann zu keiner solchen Beeinträchtigung führen. Dies und die Feststellung, dass insoweit eine gemeingebrauchsverträgliche Sondernutzung vorliege, stellt auch der Kläger nicht ernstlich infrage (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Bereits im Antrag auf Erteilung der Sondernutzungserlaubnis vom 30. Juli 2015 ist ausgeführt, dass Stolpersteine „niveaugleich in das Pflaster bzw. in den Belag des jeweiligen Gehwegs eingelassen“ werden (S. 2 der Behördenakte). Auch in seiner Stellungnahme vom 10. April 2017 bestätigt der Klägerbevollmächtigte, dass Stolpersteine die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs nicht beeinträchtigten, weil sie „fast niveaugleich mit der Straßendecke“ verlegt würden (S. 140 der Gerichtsakte). Soweit er geltend macht, dass jede Verlegungssituation einzigartig sei und sich Stolpersteine zwischen 1 mm und 10 mm über der Straßenoberfläche befinden könnten (S. 140 f. der Gerichtsakte), folgt daraus nichts Anderes. Denn Unebenheiten in der Straßenoberfläche im Bereich von bis zu 10 mm können die Sicherheit und Leichtigkeit des Fußgängerverkehrs und damit den Gemeingebrauch des Gehwegs nicht beeinträchtigen, wie sich etwa ohne Weiteres am Beispiel eines Kopfsteinpflasters nachvollziehen lässt. Insoweit kann auf die Rechtsprechung zu Verkehrssicherungspflichten für Gehwege und Fußgängerbereiche verwiesen werden, wonach in der Regel geringfügige Unebenheiten bis zu einer Grenze sogar von 2,0 cm bis 2,5 cm als unwesentlich anzusehen sind (vgl. OLG Hamm, U.v. 13.9.2016 – 9 U 158/15 u.a. – RuS 2017, 271 = juris Rn. 15; SaarlOLG, U.v. 16.10.2014 – 4 U 168/13 – juris Rn. 51; ThürOLG, B.v. 20.3.2012 – 4 W 134/12 – MDR 2012, 645 = juris Rn. 12; OLG München, B.v. 21.6.2010 – 1 U 2653/10 – juris Rn. 9 jeweils m.w.N.; vgl. auch OLG München, B.v. 4.5.2012 – 1 U 992/12 – juris Rn. 6 f.).

Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass auch der eigentliche Verlegungsvorgang (Öffnung des Gehwegbelags auf wenigen Quadratdezimetern ohne Einsatz von Baumaschinen, Setzen des Stolpersteins und anschließende Verfüllung der Fugen) die Gemeingebrauchsverträglichkeit der Sondernutzung nicht infrage stellt, hat der Kläger nicht angegriffen (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Er geht selbst von einer „gemeinverträglichen“ bzw. einer nicht gemeingebrauchsbeeinträchtigenden Sondernutzung aus (S. 52, 66, 140 der Gerichtsakte). Soweit er kritisiert, das Verwaltungsgericht habe jede Verlegung von Stolpersteinen zu Unrecht generell den bürgerlich-rechtlichen Sondernutzungen zugeordnet, kann daraus nicht abgeleitet werden, dass der hier streitgegenständliche Verlegevorgang eines einzelnen Stolpersteins im Gehwegbereich der H straße den Gemeingebrauch beeinträchtigen könnte. Insoweit wären substanziierte Darlegungen erforderlich gewesen. Allein mit einem pauschalen Verweis auf die Besonderheiten jedes Einzelfalls kann nicht begründet werden, dass insoweit die Voraussetzungen des Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG hier gegeben sind. Abgesehen davon legt auch die im Internet veröffentlichte allgemeine Beschreibung des Verlegevorgangs von Stolpersteinen mit einer Dauer von in der Regel maximal 20 Minuten dies nicht nahe (vgl. http:// www...eu/...pdf).

1.3 Eine Erlaubnispflicht nach öffentlichem Recht lässt sich entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht aus § 1 Abs. 3 Satz 1 SoNuGebS entnehmen.

Nach dieser Bestimmung unterliegen ausnahmsweise auch Sondernutzungen an öffentlichen Straßen der Beklagten, die den Gemeingebrauch nicht beeinträchtigen können, dem öffentlichen Recht (Art. 18 BayStrWG), sofern die Sondernutzung eine Benutzung des Straßenraums über der Straßenoberfläche darstellt. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Das Verwaltungsgericht hat das Vorliegen einer Benutzung des Straßenraums über der Straßenoberfläche durch einen Stolperstein im Gehweg der H straße zu Recht verneint. Die Straße wird insoweit nicht über, sondern an und unterhalb der Oberfläche benutzt. Ein Stolperstein ist ein würfelförmiger Betonstein mit einer Kantenlänge von 96 x 96 x 100 mm, auf dessen Oberseite sich eine individuell beschriftete Messingplatte befindet (vgl. die Nachweise im Ausgangsbescheid S. 2). Der Stein wird, wie oben ausgeführt, bündig in das Pflaster bzw. in den Belag der jeweiligen Straße eingelassen. Nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 1 SoNuGebS, der als Ausnahmevorschrift bereits aus allgemeinen systematischen Erwägungen heraus grundsätzlich eng auszulegen ist, ist zu differenzieren, wo die Benutzung stattfindet. Nur Nutzungen über der Straßenoberfläche unterliegen der Erlaubnispflicht nach öffentlichem Recht. Gegenstände unterhalb der Straßendecke oder bündig in die Fahrbahn- oder Gehwegdecke eingelassene Gegenstände sind hiervon nicht erfasst. Diese Alternative wird aber durch die Verlegung eines Stolpersteins verwirklicht, wenn der Gehwegbelag geöffnet und der Stein beispielsweise durch Einbetonieren fest im Gehweg verankert wird. Nichts Anderes gilt für den dauerhaften Verbleib eines Stolpersteins im Straßenkörper. Auch in dem vom Kläger vorgelegten Rechtsgutachten wird im Übrigen ausgeführt, dass sich Stolpersteine nicht über der Straßenoberfläche im Sinn des § 1 Abs. 3 Satz 1 SoNuGebS befänden (S. 130 der Akte des Verwaltungsgerichts).

Soweit der Kläger nunmehr einwendet, Stolpersteine würden bis zu 10 mm über die Straßenoberfläche hinausragen und befänden sich daher über ihr, verkennt er, dass die Straßenoberfläche gerade im Bereich von Gehwegen keine absolut ebene, niveaugleiche Fläche darstellt, sondern von Natur aus gewisse Unebenheiten aufweist. Auch insoweit kann auf die oben angeführte Rechtsprechung zu Verkehrssicherungspflichten verwiesen werden, wonach geringfügige Unebenheiten als unwesentlich anzusehen sind (vgl. oben Nr. 1.2). Selbst wenn dem nicht gefolgt wird, liegt aber jedenfalls der Nutzungsschwerpunkt – nach der hier maßgeblichen straßenrechtlichen Sichtweise – im Straßenbelag bzw. im Straßenunterbau und nicht über der Straßenoberfläche. Hierauf kommt es entscheidend an. Die wesentliche Benutzung durch einen Stolperstein findet an und unterhalb, nicht über der Straßendecke statt. In § 1 Abs. 3 Satz 1 SoNuGebS finden sich keine Anhaltspunkte dafür, einen einheitlichen Benutzungsvorgang rechtlich aufzuspalten oder eine öffentlich-rechtliche Erlaubnispflicht bereits dann anzunehmen, wenn die Benutzung im Wesentlichen unterhalb der Straßenoberfläche und nur zu einem äußerst geringfügigen Teil darüber stattfindet.

Etwas Anderes ergibt sich entgegen der Annahme des Klägers nicht daraus, dass ein Stolperstein von der Straßenoberfläche aus sichtbar in den Bereich über der Straßenoberfläche hineinwirkt. Die immaterielle Ausstrahlungswirkung von Stolpersteinen ist für die öffentlich-rechtliche Erlaubnispflicht nach § 1 Abs. 3 Satz 1 SoNuGebS ohne Belang. Aus der maßgeblichen straßenrechtlichen Sicht ist allein der Eingriff in den Straßenkörper bzw. in die Substanz der Straße und nicht die Ausstrahlungswirkung entscheidend, die hier den Gemeingebrauch ohnehin nicht beeinträchtigen kann (vgl. oben Nr. 1.2). Dass ein derartiger Substanzeingriff dem zivilrechtlichen Regelungsregime unterfallen soll, orientiert sich am gesetzlichen Leitbild der Art. 18 ff. BayStrWG (vgl. dazu BayVGH, U.v. 20.1.2004 – 8 N 02.3211 – NVwZ-RR 2004, 879 = juris Rn. 75). Der Gesetzgeber hat die Benutzung für Zwecke der öffentlichen Versorgung, die in der Regel Eingriffe in den Straßenkörper bzw. in die Substanz der Straße zum Gegenstand haben, im Grundsatz dem bürgerlichen Recht zugewiesen (Art. 22 Abs. 2 BayStrWG), was gemäß Art. 22a Satz 3 BayStrWG nicht durch Satzung geändert werden kann. Dem entsprechend kann davon ausgegangen werden, dass auch das Tatbestandsmerkmal „über der Straßenoberfläche“ in § 1 Abs. 3 Satz 1 SoNuGebS dazu dient, Eingriffe in die Substanz der Straße bzw. in den Bereich des Straßengrundes (soweit diese den Gemeingebrauch nicht beeinträchtigen können) dem bürgerlichen Recht zu unterstellen. Das Zivilrecht erscheint auch besser geeignet, sich typischerweise stellende Probleme wie etwa Haftungsfragen bei einer Beschädigung der Straßendecke oder des Straßenunterbaus zu lösen. Zudem dürften Sondernutzungen an und unter der Straßenoberfläche in der Regel auf eine längere Dauer angelegt sein, sodass die Bestimmung des Art. 18 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG, wonach eine Erlaubnis nur auf Zeit oder auf Widerruf erteilt werden darf, weniger interessengerecht erscheint als eine bürgerlich-rechtliche Einräumung von Nutzungsrechten, die die Erteilung einer dauerhaften Gestattung ermöglicht, etwa in Form einer Dienstbarkeit.

Entgegen der Auffassung des Klägers spricht für diese Auslegung auch das Gebührenverzeichnis in Anlage I der Sondernutzungsgebührensatzung. Dieses ist sowohl auf erlaubte als auch auf unerlaubte Sondernutzungen nach Art. 18 und 18a BayStrWG (ggf. auch i.V.m. § 1 Abs. 3 Satz 1 SoNuGebS) anzuwenden (vgl. dazu auch BayVGH, U.v. 22.11.2006 – 8 BV 05.1918 – VGH n.F. 59, 222/224 f.), nicht jedoch auf Sondernutzungen, die sich nach bürgerlichem Recht richten und auch nicht durch Satzung dem öffentlich-rechtlichen Rechtsregime unterworfen wurden (§ 1 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 SoNuGebS). Daher können die einzelnen Gebührentatbestände Anhaltspunkte für die Abgrenzung der Benutzungen bieten, die nach dem Willen des Satzungsgebers dem öffentlichen Regelungsregime unterliegen sollen. Dem Verwaltungsgericht ist darin zuzustimmen, dass dort keine Gebührentatbestände aufgeführt werden, in denen die Sondernutzung den Gemeingebrauch nicht beeinträchtigen kann und in denen zugleich die wesentliche Benutzung an und unter der Straßendecke stattfindet. Soweit der Kläger auf Nr. 3 der Anlage I (Werbeanlagen) verweist, ist ihm entgegenzuhalten, dass hiervon lediglich Nutzungen „auf und über dem Straßengrund“ erfasst werden, nicht dagegen solche in der Fahrbahn- oder Gehwegdecke. Entsprechendes gilt für Nr. 5 (Warenauslagen). Eine Vergleichbarkeit mit Zufahrtserlaubnissen für Fußgängerbereiche (Nr. 27) besteht ebenfalls nicht, weil diese keine Eingriffe in die Straßensubstanz mit sich bringen.

Ob der Vorgang der Verlegung eines Stolpersteins, der den Gemeingebrauch hier nicht beeinträchtigen kann (vgl. oben Nr. 1.2), eine eigenständige Benutzung über der Straßenoberfläche im Sinn des § 1 Abs. 3 Satz 1 SoNuGebS darstellt, kann dahinstehen. Insofern fehlt es schon an einem substanziierten klägerischen Vortrag im Zulassungsverfahren (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).

Soweit der Kläger aus der Bestimmung des Art. 22 Abs. 2 BayStrWG, wonach sich die Benutzung von Straßen für Zwecke der öffentlichen Versorgung stets nach bürgerlichem Recht richtet, es sei denn, dass der Gemeingebrauch nicht nur für kurze Dauer beeinträchtigt wird, ableiten will, dass die Verlegung von Stolpersteinen nach öffentlichem Recht zu beurteilen ist, weil dauerhafte Kunstwerke fest installiert werden, geht das schon deswegen fehl, weil die Verlegung des Stolpersteins hier den Gemeingebrauch gerade nicht beeinträchtigen kann, sondern gemeingebrauchsverträglich ist (vgl. oben Nr. 1.2).

Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte bei der Beurteilung, ob Sondernutzungen sich nach bürgerlichem Recht richten oder dem öffentlich-rechtlichen Rechtsregime unterworfen sind, keinen Ermessensspielraum. Daher kommt es – entgegen des klägerischen Einwands – nicht auf mögliche Bezugsfälle an. Die Beklagte kann die normative Bindung durch das Straßen- und Wegegesetz sowie ihre Sondernutzungssatzung nicht im Wege einer Einzelentscheidung aufheben.

1.4 Soweit sich der Kläger gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts wendet, dass die Klage auch dann keinen Erfolg haben würde, wenn die Verlegung eines Stolpersteins nicht nach bürgerlichem, sondern nach öffentlichem Recht zu beurteilen wäre, da die von der Beklagten vorsorglich ausgeübten Ermessenserwägungen nicht zu beanstanden seien und auch aus den vom Kläger geltend gemachten Grundrechten kein Anspruch auf Erteilung der beantragen Sondernutzungserlaubnis folge, kann er damit schon deswegen nicht durchdringen, weil es für das Verwaltungsgericht auf diese (Hilfs-)Begründung nicht entscheidungserheblich ankam. Vielmehr hat es einen Anspruch des Klägers auf Erteilung der beantragten öffentlich-rechtlichen Sondernutzungserlaubnis unabhängig hiervon („Selbst wenn….“) in erster Linie deswegen verneint, weil eine öffentlich-rechtliche Erlaubnis nicht erforderlich ist. Ist aber das angefochtene Urteil auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt (sog. kumulative Mehrfachbegründung), kann die Berufung nur dann zugelassen werden, wenn im Hinblick auf jede dieser Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht ist und vorliegt (vgl. BVerwG, B.v. 1.8.2011 – 7 BN 2.11 – KommJur 2011, 436 = juris Rn. 4; B.v. 31.5.2017 – 5 PB 12.16 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 21.1.2013 – 8 ZB 11.2030 – ZfW 2013, 176 = juris Rn. 15; B.v. 8.6.2017 – 15 ZB 16.2504 – juris Rn. 21). Das ist hier nicht der Fall, weil die geltend gemachten ernstlichen Zweifel hinsichtlich der (Haupt-)Begründung des Verwaltungsgerichts aus den oben genannten Gründen nicht bestehen.

2. Ein Berufungszulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt ebenfalls nicht vor.

Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten im Sinn dieser Bestimmung weist eine Rechtssache auf, wenn die Beantwortung der für die Entscheidung erheblichen Fragen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich das durchschnittliche Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten bereitet, wenn sich diese also wegen ihrer Komplexität und abstrakten Fehleranfälligkeit aus der Mehrzahl der verwaltungsgerichtlichen Verfahren heraushebt (vgl. BayVGH, B.v. 3.11.2011 – 8 ZB 10.2931 – BayVBl 2012, 147/149 = juris Rn. 28; B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.673 – juris Rn. 42 jeweils m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall. Die auftretenden Rechtsfragen (vgl. oben Nr. 1.) lassen sich bei Heranziehung der gängigen Auslegungsmethoden ohne Weiteres aus dem Gesetz sowie aus der Sondernutzungsgebührensatzung der Beklagten lösen. Dies gilt vor allem auch für die Einordnung der hier streitgegenständlichen Eingriffe in den Straßenbelag als Benutzung der Straße an und unter der Straßenoberfläche (vgl. oben Nr. 1.3). Ob sich aus den Ausführungen des Verwaltungsgerichts für den Fall, dass die Verlegung eine nach öffentlichem Recht zu beurteilende Sondernutzung darstellt, derartige Schwierigkeiten ergeben würden, kann wiederum dahingestellt bleiben, weil der Zulassungsgrund der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten hinsichtlich der Hauptbegründung nicht gegeben ist (vgl. oben Nr. 1.4).

Auch unter Berücksichtigung des Begründungsaufwands des erstinstanzlichen Urteils lassen sich keine tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache erkennen. Aus dem klägerischen Vortrag wird nicht ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht auf bestimmte tatsächliche Aspekte nicht eingegangen wäre oder notwendige Rechtsfragen nicht oder unzutreffend beantwortet hätte. Hierfür wäre Voraussetzung, dass ein Rechtsmittelführer diese Gesichtspunkte in nachvollziehbarer Weise darstellt und ihren Schwierigkeitsgrad plausibel macht (vgl. dazu BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163 = juris Rn. 17). Daran fehlt es. Aus der bloßen Beteiligung der Landesanwaltschaft Bayern als Vertreter des öffentlichen Interesses und aus dem Umfang eines Erwiderungsschriftsatzes der Beklagten lassen sich dagegen keine Rückschlüsse auf besondere rechtliche und tatsächliche Schwierigkeiten ziehen.

3. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 = juris Rn. 20; BVerwG, B.v. 4.8.2017 – 6 B 34.17 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.673 – juris Rn. 33 jeweils m.w.N.). Die grundsätzliche Bedeutung ist zu verneinen, wenn eine Rechtsfrage sich ohne Weiteres aus der Anwendung anerkannter Auslegungsmethoden beantworten lässt (vgl. BVerfG, B.v. 29.7.2010 – 1 BvR 1634/04 – NVwZ 2010, 1482 = juris Rn. 62). Auf Gesichtspunkte des öffentlichen Interesses oder des Medieninteresses am Ausgang eines Verwaltungsstreitverfahrens ist dagegen nicht abzustellen.

Nach diesen Maßstäben ergibt sich aus den vom Kläger bezeichneten Rechtsfragen keine grundsätzliche Bedeutung. Sie bedürfen entweder keiner Klärung oder betreffen nicht die die Entscheidung tragende Begründung (vgl. oben Nr. 1.4).

Soweit der Kläger die Frage aufwirft, „ob ein Kunstwerk, das immateriell in den Raum über der Straßenoberfläche ausstrahlt, § 1 Abs. 3 SoNuGebS unterfällt“, kann diese Frage ohne Weiteres unter Anwendung anerkannter Auslegungsmethoden beantwortet werden (vgl. oben Nr. 1.3). Dabei kommt es auf grundrechtliche Bezüge nicht an, weil die Beklagte auch bei Einräumung von Rechten gemäß Art. 22 Abs. 1 BayStrWG gleichermaßen die Grundrechte zu beachten hat (vgl. Wiget in Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Art. 22 Rn. 5 m.w.N.). Die Fragestellung, „ob ein Freiheits- oder Abwehrrecht wie Art. 5 GG im Rahmen eines präventiven Verbots mit Erlaubnistatbestand einen Leistungsanspruch begründen kann“, ist nicht entscheidungserheblich, weil diese lediglich die Hilfsbegründung des erstinstanzlichen Urteils betrifft. Es kann daher dahinstehen, ob es sich insoweit um eine hinreichend konkret formulierte, den Darlegungsanforderungen genügende Frage (vgl. BVerwG, B.v. 16.11.2010 – 6 B 58.10 – juris Rn. 3; B.v. 31.5.2016 – 8 B 13.16 – juris Rn. 4 und 8) handelt. Entsprechendes gilt, soweit der Kläger einen Klärungsbedarf in Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) sieht. Nach der tragenden Begründung des erstinstanzlichen Urteils spielt es keine Rolle, ob er sich überhaupt auf eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung aufgrund der Zulassung von Stelen berufen kann und wenn ja, ab wann, d.h. erst nach Genehmigung der ersten Stele oder bereits zu einem früheren Zeitpunkt. Schließlich stellen sich nach der tragenden Begründung auch keine Fragen nach dem persönlichen Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 GG sowie nach dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht im Zusammenhang mit der Zulassung bestimmter Gedenkformen.

4. Der Kläger hat schließlich keinen Verfahrensfehler in einer dem § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise geltend gemacht, auf dem das Urteil beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Ein solcher muss nach höchstrichtlicher Rechtsprechung sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substanziiert dargetan werden (vgl. BVerwG, B.v. 19.8.1997 – 7 B 261.97 – NJW 1997, 3328 = juris Rn. 4 m.w.N.). Das ist nicht geschehen.

Zwar ist unschädlich, dass der Kläger Verfahrensfehler nicht ausdrücklich als solche gerügt und sich auch nicht ausdrücklich auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO berufen hat. Nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung darf der Zugang zu einem Rechtsmittel nicht durch Auslegung und Anwendung der einschlägigen Verfahrensvorschriften in einer sachlich nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert werden. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Anforderungen an die Darlegung im Zulassungsverfahren als auch für die Auslegung und Anwendung der Zulassungsgründe (BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 = juris Rn. 14 m.w.N.). Daher ist es grundsätzlich unschädlich, wenn ein Antragsteller sein Vorbringen dem falschen Berufungszulassungsgrund zuordnet oder verschiedene Gesichtspunkte, die bei unterschiedlichen Zulassungsgründen im Sinn von § 124 Abs. 2 VwGO relevant sein können, miteinander vermengt (BVerfG, B.v. 24.8.2010 – 1 BvR 2309/09 – BVerfGK 17, 508 = juris Rn. 13). Das den Zulassungsantrag prüfende Gericht ist gemäß Art. 19 Abs. 4 GG verpflichtet, den Vortrag des jeweiligen Antragstellers angemessen zu würdigen und durch sachgerechte Auslegung selbstständig zu ermitteln, welche Zulassungsgründe der Sache nach geltend gemacht werden und welche Einwände welchen Zulassungsgründen zuzuordnen sind (BVerfG, B.v. 24.8.2010 – 1 BvR 2309/09 – BVerfGK 17, 508 = juris Rn. 13). Auch dürfen die Darlegungsanforderungen nicht derart erschwert werden, dass sie von einem durchschnittlichen, nicht auf das gerade einschlägige Rechtsgebiet spezialisierten Rechtsanwalt mit zumutbarem Aufwand nicht mehr erfüllt werden können (vgl. BVerfG, B.v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057/11 – BVerfGE 134, 106 = juris Rn. 34). Es bleibt aber dabei, dass das Zulassungsverfahren auf der Obliegenheit der antragstellenden Person basiert, die Zulassungsgründe im Einzelnen darzulegen (vgl. BVerfG, B.v. 19.4.2017 – 1 BvR 1994/13 – juris Rn. 16). Daran fehlt es hier.

4.1 Soweit der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht habe fehlerhaft entschieden, weil es aufgrund seiner Annahme, dass für die begehrte Sondernutzung keine öffentlich-rechtliche Sondernutzungserlaubnis, sondern eine bürgerlich-rechtliche Vereinbarung erforderlich sei, den Rechtsstreit an die Zivilgerichtsbarkeit hätte verweisen müssen, liegt darin der Sache nach eine auf einen Verstoß gegen § 17a Abs. 2 GVG zielende Einwendung. Er beruft sich auch auf diese Norm. Damit wird jedoch kein vom Senat zu prüfender Verfahrensmangel geltend gemacht (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Nach § 17a Abs. 5 GVG prüft das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, grundsätzlich nicht mehr, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Zwar gilt dies ausnahmsweise dann nicht, wenn ein Gericht die Verfahrensgrundsätze des § 17a Abs. 2 oder Abs. 3 GVG verletzt hat (vgl. BVerwG, B.v. 22.11.1997 – 2 B 104.97 – BayVBl 1998, 603 = juris Rn. 7 m.w.N.; BayVGH, B.v. 11.10.2011 – 22 ZB 10.1259 – juris Rn. 5; B.v. 1.2.2013 – 3 B 12.1754 – juris Rn. 15; Kissel/Mayer, GVG, 8. Aufl. 2015, § 17 Rn. 53). Ein solcher Verfahrensfehler ist dem Verwaltungsgericht aber nicht unterlaufen.

Eine Verpflichtung zu einer Entscheidung über den Rechtsweg bestand weder wegen der Unzulässigkeit des Rechtswegs nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG noch aufgrund einer Zulässigkeitsrüge durch einen Beteiligten nach § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG. Das Verwaltungsgericht ist – entgegen der klägerischen Einwendung – keineswegs von einer zivilrechtlichen Streitigkeit ausgegangen, sondern ausschließlich von einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis (UA S. 20). Es hat daher zutreffend den Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO als gegeben angesehen. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung (vgl. S. 183 ff. der Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts) wurde der Klägerbevollmächtigte vor seiner Antragstellung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine bürgerlich-rechtliche Vereinbarung erforderlich sein dürfte und dass für Klagen auf Abschluss eines solchen Gestattungsvertrags der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben sei. Dennoch hat er davon abgesehen, einen entsprechenden Hilfsantrag zu stellen. Dem entsprechend hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung ausschließlich den geltenden gemachten Anspruch auf Erteilung einer öffentlich-rechtlichen Sondernutzungserlaubnis nach Art. 18 Abs. 1 BayStrWG zugrunde gelegt.

Dass ein Beteiligter eine Rüge in Bezug auf die Zulässigkeit des Rechtswegs gemäß § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG erhoben habe, hat der Kläger weder dargelegt noch ist dies sonst ersichtlich. Soweit im Urteil davon die Rede ist, dass eine Verweisung angeregt worden sei (UA S. 20), betrifft das den nicht gestellten (Hilfs-)Antrag auf Erteilung einer privatrechtlichen Gestattung und nicht das vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegte Rechtsschutzbegehren.

Zu einer Vorabentscheidung nach § 17a Abs. 3 Satz 1 GVG war das Verwaltungsgericht nicht verpflichtet. Die Entscheidung darüber, ob ein Beschluss über die Rechtswegzuständigkeit gefasst wird, wenn das Gericht den beschrittenen Rechtsweg für gegeben hält und dessen Zulässigkeit von keiner Partei gerügt worden ist, erfolgt nach pflichtgemäßem richterlichem Ermessen. Sie unterliegt keiner Rechtskontrolle durch die übergeordnete Instanz (vgl. BVerwG, B.v. 22.11.1997 – 2 B 104.97 – BayVBl 1998, 603 = juris Rn. 8; Kissel/Mayer, GVG, § 17 Rn. 38 m.w.N.).

4.2 Eine den Darlegungserfordernissen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Rüge der Verletzung des § 88 VwGO kann dem Vorbringen des Klägers im Zulassungsantrag nicht entnommen werden.

Nach § 88 VwGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden (vgl. zum Ganzen BVerwG, B.v. 18.7.2014 – 3 B 74.13 – juris Rn. 6 m.w.N.). Vielmehr hat es das tatsächliche Rechtsschutzbegehren zu ermitteln. Maßgebend für dessen Umfang ist das aus dem gesamten Parteivorbringen, vor allem der Klagebegründung, zu entnehmende wirkliche Rechtsschutzziel. Der Antragsformulierung kommt eine gesteigerte Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlich Gewollten zu, wenn der Kläger bei der Fassung des Klageantrages anwaltlich vertreten wird (BVerwG, B.v. 12.3.2012 – 9 B 7.12 – juris Rn. 6; B.v. 18.7.2014 – 3 B 74.13 – juris Rn. 6). Auch wenn ein derartiger Verfahrensfehler in einem Berufungs- oder Revisionsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen wäre, muss er in einem Berufungszulassungsverfahren vom Rechtsmittelführer geltend gemacht werden (BVerwG, B.v. 30.1.1985 – 9 B 10679.83 – juris Rn. 12; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124 Rn. 217 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, B.v. 22.11.1997 – 2 B 104.97 – BayVBl 1998, 603 = juris Rn. 2; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl. 2010, Rn. 490). Will sich ein Rechtsmittelführer auf einen solchen Mangel berufen, hat er substanziiert darzulegen, welche seiner Äußerungen vom Erstgericht unbeachtet geblieben oder missverstanden worden ist, so dass der verfahrensrechtliche Anspruch auf umfassende Entscheidung über das Sachbegehren verletzt wurde (BVerwG, B.v. 22.11.1997 – 2 B 104.97 – BayVBl 1998, 603 = juris Rn. 2; vgl. auch Rudisile in Schoch/Schmidt-Aßmann, VwGO, Stand Oktober 2015, § 124a Rn. 110). Für die Darlegung der rechtlichen Wirkung ist zumindest die Schilderung der verfahrensrechtlichen Verhaltensnorm, auf die die Rüge gestützt werden soll, erforderlich (vgl. Rudisile a.a.O.).

Diesen Darlegungserfordernissen genügt der Zulassungsvortrag nicht. Die knappe Argumentation bezieht sich lediglich auf eine Verletzung von § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG. Auf die Frage, ob das Verwaltungsgericht über das Klagebegehren erschöpfend entschieden hat oder ob es das Begehren unter Verstoß gegen § 88 VwGO zu eng gefasst hat, geht die Zulassungsbegründung nicht ein. Insbesondere wird auch nicht zwischen dem zugrunde gelegten Klagebegehren (Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis) und einer möglicherweise darüber hinausgehenden Zielsetzung (Erteilung einer zivilrechtlichen Gestattung) differenziert. Dem Vortrag im Zulassungsverfahren kann ein derartiges, weitergehendes Rechtsschutzbegehren mit der notwendigen Deutlichkeit nicht entnommen werden, trotz der richterlichen Hinweise und der eindeutigen Ausführungen im angefochtenen Urteil. Der Klägerbevollmächtigte hat ausdrücklich davon abgesehen, einen Hilfsantrag zu stellen, etwa auf Verpflichtung zum Abschluss eines bürgerlich-rechtlichen Gestattungsvertrags oder zu einer zivilrechtlichen Zustimmung zur Gestattung der Sondernutzung. Bereits dies spricht gegen eine erweiternde Auslegung oder eine Umdeutung seiner Anträge. Zudem hat der Klägerbevollmächtigte selbst – in Kenntnis der erstinstanzlichen Entscheidung – im Zulassungsverfahren ausgeführt, dass der Kläger „keinen privaten Gestattungsvertrag, sondern eine öffentlich-rechtliche Erlaubnis“ wolle (Schriftsatz vom 28. September 2017, S. 197 der Gerichtsakte). Spätestens durch die Darlegung dieses klägerischen „Wollens“ bringt er klar zum Ausdruck, dass es nicht um eine abweichende Rechtsansicht geht, über die letztlich ein Gericht entscheiden kann, sondern um ein voluntatives Element, die Intention des Klägers, über die nur die Klägerpartei selbst bestimmt. Die Wesensgrenze der Auslegung wäre aber überschritten, wenn an die Stelle dessen, was eine Partei will, das gesetzt wird, was diese nach Ansicht des Gerichts wollen sollte (BVerwG, B.v. 29.8.1989 – 8 B 9.89 – juris Rn. 2; OVG LSA, B.v. 19.8.2009 – 3 L 41/08 – juris Rn. 12; Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 88 Rn. 3 m.w.N.). Der Kläger muss sich insofern an seinem Vortrag festhalten lassen, dessen Wortlaut einer erweiternden Auslegung oder Umdeutung seiner Anträge entgegensteht.

Dies begegnet auch vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG keinen Bedenken. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dient die Darlegungspflicht des § 124a VwGO dazu, dem Verwaltungsgerichtshof ohne weitere Ermittlungen die Feststellung zu ermöglichen, ob der geltend gemachte Zulassungsgrund vorliegt oder nicht (BVerfG, B.v. 30.6.2005 – 1 BvR 2615/04 – NVwZ 2005, 1176 = juris Rn. 20). Angesichts des defizitären Vorbringens zu einem möglicherweise weitergehenden Klageziel im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht und der Ausführungen im Zulassungsverfahren kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger eine Verletzung seines verfahrensrechtlichen Anspruchs auf eine umfassende Entscheidung über das Sachbegehren hinreichend substanziiert hat. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass er anwaltlich vertreten ist, selbst wenn dies nicht zu einem Ausschluss einer wohlwollenden Auslegung führt (vgl. BVerfG, B.v. 23.10.2007 – 2 BvR 542/07 – NVwZ 2008, 417 = juris Rn. 17). Die geforderte Darlegung wäre einem durchschnittlichen, auf das gerade einschlägige Rechtsgebiet nicht spezialisierten Rechtsanwalt aber mit zumutbarem Aufwand möglich gewesen (vgl. zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 – juris Rn. 14).

4.3 Soweit der Kläger ausführt, das Verwaltungsgericht habe einen rechtlichen Hinweis dahingehend erteilen müssen (§ 86 Abs. 3 VwGO), dass nicht eine Versagungsgegenklage vorrangig sei, sondern nach vorläufiger Einschätzung eine Verpflichtung zum Abschluss eines Vertrags (S. 144 f. der Gerichtsakte), erfolgt diese Rüge erstmals mit Schriftsatz vom 10. April 2017 und damit verspätet (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Im Übrigen verkennt der Kläger, dass das Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung nach Erörterung der Problematik der Sondernutzungserlaubnis darauf hingewiesen hat, dass für Stolpersteine in öffentlichen Verkehrsflächen der Beklagten bürgerlich-rechtliche Vereinbarungen erforderlich sein dürften (S. 184 der Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts). Zur weiteren Verdeutlichung hat das Gericht dargelegt, dass für Klagen auf Abschluss von Gestattungsverträgen der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben wäre. Damit hat es gerade den vom Kläger vermissten Hinweis in der mündlichen Verhandlung gegeben. Dass eine Versagungsgegenklage nicht auf eine Verpflichtung zum Abschluss eines bürgerlich-rechtlichen Vertrages gerichtet sein kann, bedarf keiner näheren Erörterung.

Das klägerische Vorbringen kann auch nicht dahingehend ausgelegt werden, dass gerügt wird, das Gericht habe es unterlassen, auf eine Erweiterung des Klageantrags hinzuwirken. Hierfür finden sich keine Anhaltspunkte. Zudem wäre die Unterlassung nur dann verfahrensfehlerhaft, wenn sich dem Vorsitzenden nach der Sach- und Rechtslage ein solcher Hinweis hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.1991 – 2 BvR 170/85 – NVwZ 1992, 259 = juris Rn. 12). Das ist angesichts der erfolgten Hinweise sowie der protokollierten Erklärung, der Klägerbevollmächtigte sehe davon ab, die Klage um einen weiteren Hilfsantrag zu erweitern, nicht der Fall. Von einem durchschnittlichen, auch auf das einschlägige Rechtsgebiet nicht spezialisierten Rechtsanwalt konnte in dieser Situation ohne Weiteres eine interessengerechte Antragstellung erwartet werden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 sowie § 52 Abs. 1 GKG.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

I.

Der Kläger – ein palästinensischer Volkszugehöriger ungeklärter Staatsangehörigkeit, der nach eigenen Angaben im Gazastreifen geboren ist und sich dort bis zu seiner Ausreise im Jahr 2015 aufgehalten hat – wendet sich gegen einen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 31. März 2017, mit dem ihm die Flüchtlingseigenschaft sowie der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wurden (Nr. 1 und Nr. 3), festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 3), er unter Androhung der Abschiebung in die palästinensischen Autonomiegebiete oder einen anderen aufnahmebereiten Staat aufgefordert wurde, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheids bzw. im Falle der Anfechtung nach unanfechtbarem Verfahrensabschluss zu verlassen (Nr. 4). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde gem. Nr. 5 des Bescheids auf 30 Tage ab dem Tag der Abschiebung befristet. Seine Klage mit dem Antrag, den Bescheid vom 31. März 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) zuzuerkennen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihm den subsidiären Schutzstatus (§ 4 AsylG) zuzuerkennen, sowie weiter hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots gem. § 60 Abs. 5 und / oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, wies das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 6. Oktober 2017 ab. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter.

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg.

1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor bzw. ist vom Kläger nicht in einer Weise dargelegt worden, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.

Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 7.11.2017 – 15 ZB 17.31475 – juris Rn. 7 m.w.N.).

Der Kläger wendet sich gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, sein Vortrag habe nicht die erforderliche Intensität von Verfolgungshandlungen i.S. von § 3a AsylG erreicht bzw. sein weiterer Vortrag in der mündlichen Verhandlung sei nicht glaubhaft. Als grundsätzlich bedeutsam hebt er sinngemäß die Frage hervor, ob und inwiefern die Annahme einer Gefährdungslage durch die Unterstellung beantwortet werden könne, der Gazastreifen sei als „staatsähnliches“ Gebiet anzusehen, der einem fiktiven Gewaltmonopol der Hamas unterliege. Die Zulassungsbegründung geht davon aus, dass gerade dann, wenn von einer „etablierten Staatsgewalt“ der Hamas ausgegangen werde, der Vortrag des Klägers weniger glaubhaft erscheine. Die Frage sei von fallübergreifender Bedeutung, da die Gefahr bestehe, dass der diesbezügliche, aus klägerischer Sicht fehlerhafte Gedankengang sich in weiteren gerichtlichen Urteilen verfestige („multipliziere“).

Der Kläger vermag hiermit die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht zu begründen. Dass der Gazastreifen – obwohl ein neuer Palästinenserstaat noch nicht entstanden ist – als „staatsähnliches“ Gebiet angesehen werden könne, in dem die Hamas das Gewaltmonopol besitze und in dem der Hamas asylerhebliche Verfolgungstätigkeit hinsichtlich der in ihrem Gebiet aufhältigen Bevölkerung beizumessen sei, hat das Verwaltungsgericht auf Seite 9 des angegriffenen Urteils vom 6. Oktober 2017 „unterstellt“; es hat damit diese Frage in der Sache gerade offen gelassen, mithin nicht als entscheidungstragend angesehen. Das Verwaltungsgericht hat einen asylbzw. flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsbzw. Gefährdungstatbestand entscheidungstragend vielmehr – unabhängig von der vorgenannten „Unterstellung“ – abgelehnt, weil die vom Kläger gegenüber dem Bundesamt geschilderte Bedrohungssituation schon nicht die Intensität von Verfolgungsmaßnahmen nach § 3a AsylG erreicht habe und weil es sein neues Vorbringen in der mündlichen Verhandlung wegen Steigerung im Vergleich zur Anhörung vor dem Bundesamt und wegen inhaltlicher Widersprüche als nicht glaubhaft bewertet hat (vgl. im Einzelnen Seiten 10 bis 14 des erstinstanzlichen Urteils vom 6. Oktober 2017). Die vom Kläger erhobenen Fragen sind daher mangels Entscheidungserheblichkeit keiner grundsätzlichen Klärung i.S. von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zugänglich.

Im Übrigen ist das Verwaltungsgericht ebenso entscheidungstragend davon ausgegangen, dass für den Kläger im Hinblick auf seine individuellen Umstände gemäß § 3e Abs. 1 AsylG, Art. 8 Abs. 1 QualRL eine sogenannte interne Schutzalternative innerhalb des palästinensischen Autonomiegebiets besteht (Seite 14 des Urteils). Bei einer sog. kumulativen Mehrfachbegründung muss aber hinsichtlich jedes Begründungsstranges ein Zulassungsgrund dargelegt sein und vorliegen, um dem Antrag auf Zulassung der Berufung zum Erfolg zu verhelfen (vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2017 – 20 ZB 17.31538 – juris Rn. 2 m.w.N.). Hinsichtlich der vom Erstgericht angenommenen inländischen Fluchtalternative hat der Kläger aber weder einen Zulassungsgrund geltend gemacht noch substanziierte Einwendungen erhoben.

2. Soweit der Kläger vorbringt, die Berufung sei zuzulassen, „da das Urteil offensichtlich rechtsfehlerhaft“ sei, fehlt es an der Geltendmachung eines Berufungszulassungsgrunds gem. § 78 Abs. 3, Abs. 4 Satz 4 AsylG. Auf ernstliche Zweifel an der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kann der Zulassungsantrag nicht gestützt werden, da nach der eindeutigen Regelung des § 78 Abs. 3 AsylG dieser Zulassungsgrund in asylrechtlichen Streitigkeiten nicht zur Verfügung steht (BayVGH, B.v. 20.9.2017 – 15 ZB 17.31105 – juris Rn. 5 m.w.N.). Sollte der ergänzende Hinweis in der Zulassungsbegründung, wonach das Verwaltungsgericht den Kläger darauf hätte hinweisen müssen, dass sein bisheriger Vortrag als Schutzbehauptung gewertet werde, und ihm weitere Nachweismöglichkeiten hätte aufzeigen müssen, als konkludente Rüge eines Verfahrensfehlers i.S. von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V. mit § 138 Nr. 3 VwGO anzusehen sein, wendet sich der Klägerbevollmächtigte insoweit lediglich in unsubstanziierter Weise gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Sachverhalts- und Beweiswürdigung. Er macht damit jedoch – auch in der Sache – keinen Verfahrensfehler im vorgenannten Sinne geltend (vgl. auch BayVGH, B.v. 1.12.2017 – 15 ZB 17.31727).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt im Folgeverfahren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutzes sowie die Feststellung von Abschiebungsschutz.

Der am 15. November 1989 geborene Kläger ist äthiopischer Staatsangehöriger vom Volk der Oromo. Vor seiner Ausreise lebte er in A. Ab. (Yeka), wo er als Berufssportler aktiv war. Er reiste am 8. August 2010 mit einem Schengen-Visum auf dem Luftweg in das Bundesgebiet ein. Seinen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 14. Februar 2011 ab; zugleich stellte es fest, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht Bayreuth mit rechtskräftigem Urteil vom 22. November 2012 ab.

Am 19. Juni 2013 stellte der Kläger einen Asylfolgeantrag, den er im Wesentlichen auf exilpolitische Aktivitäten für die UOSG stützte. Am 16. Februar 2013 sei er in den Bundesvorstand der UOSG gewählt worden und dort als Schatzmeister aktiv. Er wirke weiterhin an Protest- und Informationsveranstaltungen der oromischen Exilopposition mit; in der Ausgabe der UOSG-Zeitschrift „B. Bi.“ vom April 2013 habe er einen regimekritischen Beitrag verfasst. Mit dem Folgeantrag wurden diverse Unterlagen vorgelegt, darunter Mitgliedsbestätigungen der TBOJ/UOSG vom 28. März 2013 sowie der Oromo Liberation Front (OLF - Foreign Affairs Department/European Regional Office) vom 14. November 2011 und 4. März 2013, ein Auszug aus der April-Ausgabe der Zeitschrift „B. Bi.“, eine Stellungnahme des Dr. T1. T2. vom 3. Mai 2013 und ein Schreiben der „Oromia Support Group Australia“ vom 20. März 2013. Bei seiner informatorischen Anhörung am 30. Oktober 2013 durch das Bundesamt gab der Kläger an, seit Ende 2011 in den Vorstand der UOSG gewählt worden zu sein, regelmäßig an Versammlungen teilzunehmen und eine Demonstration in Würzburg 2013 mitorganisiert zu haben.

Mit Bescheid vom 22. Dezember 2015 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Asylanerkennung (Nr. 2) sowie auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) bzw. subsidiären Schutzes (Nr. 3) ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung und im Falle einer Klageerhebung innerhalb von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen; andernfalls werde er nach Äthiopien abgeschoben (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate befristet (Nr. 6). Zur Begründung wurde ausgeführt, die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens seien zwar gegeben. Der Antragsteller habe sich seit Abschluss des Erstverfahrens am 6. März 2013 aber weiterhin nicht nennenswert exilpolitisch betätigt. Seit über zwei Jahren habe er keinerlei exilpolitische Aktivitäten unternommen; seine Tätigkeit als Kassierer der UOSG habe er nicht näher konkretisiert. Das Gutachten des Dr. T2., den der Kläger nicht persönlich kenne, enthalte nur allgemeine Feststellungen zur Lage in Äthiopien; das Gleiche gelte für die Bescheinigung aus Australien. Der angeblich vom Kläger verfasste Artikel belege keine überzeugte Regimegegnerschaft, sondern sei ein Massenphänomen, um eine Regimefeindlichkeit für das Asylverfahren nach außen zu dokumentieren.

Mit seiner beim Verwaltungsgericht Bayreuth erhobenen Klage hat der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung dieses Bescheids zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, subsidiären Schutz zu gewähren und festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, 7 AufenthG vorliegen. Im erstinstanzlichen Klageverfahren ließ er vortragen, das Bundesamt sei irrig davon ausgegangen, er habe zu seinen weiteren exilpolitischen Tätigkeiten nichts vorgetragen. Seine Funktion als Schatzmeister im Bundesvorstand der UOSG habe er im Mai 2016 aus Zeitgründen aufgegeben; seitdem sei er als Redakteur (Leiter des Editorial-Teams) der Zeitschrift „B. Bi.“ tätig. In der Mai-Ausgabe 2016 sei sein Beitrag über den Protest der Oromo gegen die Diktatur in Äthiopien veröffentlicht worden. Den europaweiten Kongress der UOSG zum Märtyrertag am 9. Januar 2016 in Nürnberg habe er vorbereitet und mit geleitet. Laut einer Bestätigung der TBOJ/UOSG vom 6. August 2016 hat sich der Kläger seit April 2014 an der Organisation mehrerer (Protest-)Veranstaltungen beteiligt; zudem wurde ihm darin die aktive Teilnahme an diversen weiteren exilpolitischen Veranstaltungen bescheinigt.

Das Verwaltungsgericht Bayreuth hat die Klage mit Urteil vom 11. August 2016 abgewiesen. Der Kläger sei nicht als exponierter, ernsthafter Oppositionsangehöriger anzusehen. Die bis Mai 2016 ausgeübte Tätigkeit im Vorstand der UOSG und seine Redaktionstätigkeit und Veröffentlichungen im Magazin „B. Bi.“ ließen kein eigenständiges exilpolitisches Profil als ernsthafter Oppositioneller erkennen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil mit Beschluss vom 29. Januar 2018 wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Durch Beschluss vom 26. März 2018 hat der Senat zu verschiedenen Fragen Beweis erhoben durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amts bzw. schriftlicher Gutachten von Amnesty International, des GIGA-Instituts für Afrika-Studien und der Schweizerische Flüchtlingshilfe.

Mit der Berufung beantragt der Kläger,

die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger unter Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 11. August 2016 sowie unter entsprechender Aufhebung des Bescheids vom 22. Dezember 2015 die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise ihm subsidiären Schutz zuzusprechen und hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG bestehen.

Zur Begründung wird ausgeführt: Die Annahme des Verwaltungsgerichts, exilpolitische Aktivitäten könnten nur dann eine (beachtliche) Verfolgungsgefahr begründen, wenn sie ein eigenständiges politisches Profil aufwiesen und der Betroffene somit als ernsthafter Oppositioneller anzusehen sei, treffe nicht zu. Die These, der äthiopische Staat überziehe nur tatsächlich überzeugte Akteure (vermeintlich) oppositioneller Handlungen mit Verfolgung, sei nicht belegt. Die Praxis der äthiopischen Sicherheitsbehörden zeige vielmehr, dass der bloße, nicht verifizierte Schein oder die bloße Unterstellung ausreichten, um Verfolgungsmaßnahmen auszulösen. Die innenpolitische Lage Äthiopiens habe sich seit der Wahl Abiy Ahmeds zwar erheblich verändert. Die Einladung des Ministerpräsidenten an die Oppositionsgruppen zur Rückkehr und Zusammenarbeit sowie die Aufhebung des Terrorismusverdikts für OLF und Ginbot7 bedeute aber keine Entwarnung für im Exil tätige Unterstützer der oromischen Bewegung. Die Oromos und deren Vertreter seien keine Einheit; neben den eher wenigen kooperativ und föderalistisch orientierten Politikern sei die Mehrheit der oromischen Aktivisten militant. Letztere seien vom Angebot zur Zusammenarbeit mit der Regierung Abiy Ahmeds ausgenommen; gegen sie würden Massenverhaftungen, „Brainwashing“ oder militärisches Vorgehen weiterhin angewandt. Aus Deutschland zurückkehrende aktive Unterstützer der OLF würden als potenzielle Unterstützer einer separatistischen Bewegung mit Sicherheit festgenommen, für unbestimmte Zeit inhaftiert und misshandelt, um eine befürchtete und unterstellte Haltung zu brechen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Die TBOJ/UOSG stehe der OLF nahe, die der äthiopische Staat inzwischen von der Terrorliste gestrichen habe. Exilpolitische Aktivitäten wie diejenigen des Klägers hätten bereits früher nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer Verfolgung geführt; seit dem politischen Umbruch in Äthiopien gelte dies umso mehr. Das staatliche Vorgehen gegen gewaltsamen Separatismus könne nicht gleichgesetzt werden mit der Verfolgung exilpolitischer Tätigkeiten.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakten und auf die Gerichtsakten verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG zwar gegeben sind, der Kläger in dem für die Sach- und Rechtslage maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 12. Februar 2019 (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) aber weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG noch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG hat; auch ein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG steht ihm nicht zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

I.

Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG, die trotz der positiven Zulässigkeitsprüfung des Bundesamts zu überprüfen sind (vgl. BVerwG, U.v. 15.12.1987 - 9 C 285.86 - BVerwGE 78, 332 = juris Rn. 17 zu § 14 AsylVfG; OVG NW, B.v. 3.2.1997 - 25 A 353/97.A - AuAS 1997, 141 = juris Rn. 5; vgl. auch Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 71 Rn. 115), sind gegeben. Die Wahl des Klägers in den Bundesvorstand der TBOJ/UOSG (16.2.2013) wurde zwar nicht innerhalb von drei Monaten nach Kenntniserlangung (vgl. § 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG) geltend gemacht. Allerdings begründet zumindest die Veröffentlichung des Klägers unter eigenem Namen in der Zeitschrift „B. Bi.“ vom April 2013 eine nachträgliche Änderung der Sachlage nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG, die sich mit Blick auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu seinen Gunsten auswirken kann und die innerhalb der Dreimonatsfrist des § 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG geltend gemacht worden ist (vgl. auch BVerwG, U.v. 18.12.2008 - 10 C 27.07 - BVerwGE 133, 31 = juris Rn. 10).

Ist festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen und der Antragsteller deshalb einen Anspruch auf eine erneute Sachprüfung hat, besteht im Rahmen der dann vorzunehmenden Asylerfolgsprüfung die Pflicht, den Sachverhalt umfassend aufzuklären und die erforderlichen Beweise zu erheben (vgl. BVerfG, B.v. 3.3.2000 - 2 BvR 39/98 - DVBl. 2000, 1048 = juris Rn. 33; vgl. auch Marx, AsylG, § 71 Rn. 26; Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 71 Rn. 103).

II.

Offen bleiben kann, ob der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG hier bereits § 28 Abs. 2 AsylG entgegensteht.

1. Nach dieser Vorschrift kann in einem Folgeverfahren die Flüchtlingseigenschaft in der Regel nicht zuerkannt werden, wenn der Ausländer nach unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrags erneut einen Asylantrag stellt und diesen auf Umstände stützt, die er nach unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrags selbst geschaffen hat. Mit § 28 Abs. 2 AsylG hat der Gesetzgeber die risikolose Verfolgungsprovokation durch Nachfluchtgründe, die der Betreffende nach Abschluss des ersten Asylverfahrens selbst geschaffen hat, regelhaft unter Missbrauchsverdacht gestellt. Die Substantiierungssowie die objektive Beweislast werden damit auf den Asylbewerber verlagert, der die gesetzliche Missbrauchsvermutung widerlegen muss (vgl. BVerwG, U.v. 18.12.2008 - 10 C 27.07 - BVerwGE 133, 31 = juris Rn. 14; U.v. 24.9.2009 - 10 C 25.08 - BVerwGE 135, 49 = juris Rn. 21).

Da jedenfalls die nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens unter eigenem Namen publizierten Beiträge des Klägers in der Zeitschrift „B. Bi.“ unter den Tatbestand des § 28 Abs. 2 AsylG fallen, greift die gesetzliche Rechtsfolge, derzufolge die Flüchtlingseigenschaft in einem Folgeverfahren in der Regel nicht zuerkannt wird (vgl. BVerwG, U.v. 18.12.2008 - 10 C 27.07 - BVerwGE 133, 31 = juris Rn. 13).

2. Die gesetzliche Missbrauchsvermutung ist dann widerlegt, wenn der Asylbewerber den Verdacht ausräumen kann, er habe Nachfluchtaktivitäten nur oder aber hauptsächlich mit Blick auf die erstrebte Flüchtlingsanerkennung entwickelt oder intensiviert. Bleibt das Betätigungsprofil des Betroffenen nach Abschluss des Erstverfahrens unverändert, liegt die Annahme einer missbräuchlichen Verknüpfung von Nachfluchtaktivitäten und begehrtem Status eher fern. Wird der Asylbewerber jedoch nach einem erfolglosen Asylverfahren erstmals exilpolitisch aktiv oder intensiviert er seine bisherigen Aktivitäten, muss er dafür gute Gründe anführen, um den Verdacht auszuräumen, dies geschehe in erster Linie, um die Voraussetzungen für eine Flüchtlingsanerkennung zu schaffen (vgl. BVerwG, B.v. 31.1.2014 - 10 B 5.14 - juris Rn. 5; U.v. 24.9.2009 - 10 C 25.08 - BVerwGE 135, 49 = juris Rn. 26). Dazu hat der Tatrichter die Persönlichkeit des Asylbewerbers und dessen Motive für seine erstmalig aufgenommenen oder intensivierten Aktivitäten vor dem Hintergrund seines bisherigen Vorbringens und seines Vorfluchtschicksals einer Gesamtwürdigung zu unterziehen (vgl. BVerwG, U.v. 18.12.2008 - 10 C 27.07 - BVerwGE 133, 31 = juris Rn. 16; B.v. 31.1.2014 - 10 B 5.14 - juris Rn. 6).

Gemessen an diesen Maßstäben spricht viel dafür, dass der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hier § 28 Abs. 2 AsylG entgegensteht. Der Kläger hat bei seiner Anhörung durch das Bundesamt am 27. Januar 2011 noch keine exilpolitische Betätigung angeführt (vgl. S. 143 ff. der Erstverfahrensakte). Am 14. August 2011, also mehr als ein Jahr nach seiner Einreise in das Bundesgebiet (8.8.2010) und nach Ablehnung seines Asylantrags durch das Bundesamt (14.2.2011), ist er Mitglied der UOSG geworden (vgl. S. 206 der Erstverfahrensakte). Die Wahl in den Bundesvorstand der TBOJ/UOSG (16.2.2013) erfolgte kurz nach Zustellung des klageabweisenden Urteils des Verwaltungsgerichts (14.1.2013). Der erste unter seinem Namen erschienene Artikel in der Zeitschrift „B. Bi.“ (April 2013) wurde wiederum kurz nach der rechtskräftigen Ablehnung seines Erstantrags (5.3.2013) veröffentlicht. Die Chronologie seiner exilpolitischen Aktivitäten deutet insgesamt darauf hin, dass der Kläger die nach außen sichtbare Betätigung seines politischen Willens immer dann steigert, wenn es die aufenthaltsrechtliche Situation erfordert. Hierfür spricht auch seine Einlassung (auf die Frage, weshalb man für die Aufgabe als Kassiers das Amt eines Vorsitzenden innehaben müsse), es sei wichtig, dass man einer von den Fünfen (Vorstandsmitgliedern) sei und vom Regime in dieser Funktion überwacht werde (vgl. S. 167 der Folgeantragsakte). Demgegenüber ist nicht zu erkennen, dass die Nachfluchtaktivitäten des Klägers auf einer kontinuierlich gewachsenen und nach außen betätigten politischen Überzeugung beruhen. Seine Antworten auf die Fragen des Bundesamts nach den Hintergründen seiner exilpolitischen Tätigkeit blieben auffallend kurz und allgemein; z.B. konnte der Kläger auf die Frage, weshalb er erst im April 2013 einen Beitrag über die Inhaftierung Unschuldiger veröffentlicht habe, keine plausible Antwort geben (vgl. S. 166 der Folgeantragsakte).

III.

Jedenfalls hat der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG.

1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründe) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

Als Verfolgung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Diese Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (ABl. L 337 S. 9 - im Folgenden: RL 2011/95/EU) umsetzende Legaldefinition der Verfolgungshandlung erfährt in § 3a Abs. 2 AsylG im Einklang mit Art. 9 Abs. 2 RL 2011/95/EU eine Ausgestaltung durch einen nicht abschließenden Katalog von Regelbeispielen. Die Annahme einer Verfolgungshandlung setzt einen gezielten Eingriff in ein nach Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU geschütztes Rechtsgut voraus (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 11). Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind unter anderem gemäß § 3c Nr. 1 und 2 AsylG der Staat und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen. Zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den genannten Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG), wobei es unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).

Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Für die Verfolgungsprognose gilt ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, auch wenn der Antragsteller Vorverfolgung erlitten hat. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchst. d RL 2011/95/EU enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) auf die tatsächliche Gefahr („real risk“) abstellt; das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 14; U.v. 1.6.2011 - 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 = juris Rn. 22).

Vorverfolgte bzw. geschädigte Asylantragsteller werden aber durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU privilegiert. Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Handlungen oder Bedrohungen eine Beweiskraft für die Wiederholung in der Zukunft bei, wenn sie eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 15; EuGH, U.v. 2.3.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - NVwZ 2010, 505 = juris Rn. 94). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungshandlungen entkräften (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 = juris Rn. 23).

Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert die Prüfung, ob bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann 30 (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 14; U.v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 = juris Rn. 32). Damit kommt dem qualitativen Kriterium der Zumutbarkeit maßgebliche Bedeutung zu. Eine Verfolgung ist danach beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (vgl. BVerwG, B.v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 - DVBl 2008, 1255 = juris Rn. 37).)

2. Nach diesen Maßstäben ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen.

Infolge des den in das Berufungsverfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen zu entnehmenden grundlegenden Wandels der politischen Verhältnisse seit April 2018 und der daraus folgenden Situation für Oppositionelle in Äthiopien kann im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weder angenommen werden, dass dem Kläger aufgrund der behaupteten früheren Ereignisse in Äthiopien (vgl. dazu unten III.2.1) noch infolge seiner exilpolitischen Tätigkeit in Deutschland (vgl. dazu unten III.2.2) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an den Merkmalen des § 3 Abs. 1 AsylG ausgerichtete, flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht.

2.1 Es kann offen bleiben, ob der Kläger aufgrund einer Vorverfolgung die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU für sich in Anspruch nehmen kann.

2.1.1 Bei der Frage, ob der Kläger vor seiner Ausreise bereits verfolgt wurde, ist der Senat zwar nicht an die - dies ablehnende - Feststellung des Verwaltungsgerichts im ersten Asylurteil gebunden (vgl. SächsOVG, U.v. 22.11.2014 - A 3 A 519/12 -Asylmagazin 2015, 208 = juris Rn. 39; so auch betreffend ein den Asyl- und Flüchtlingsschutz zusprechendes Urteil BVerwG, U.v. 7.9.2010 - 10 C 11.09 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 42 = juris Rn. 19). Die Gesamtwürdigung aller Umstände - auch der mit dem Folgeantrag vorgelegten Unterlagen - spricht aber (weiterhin) nicht dafür, dass der Kläger sein Heimatland vorverfolgt verlassen hat. Insbesondere stützen die im Folgeantragsverfahren vorgelegten Unterlagen keine gegenüber dem Asylerstverfahren abweichende Einschätzung. Die Aussage im Schreiben der „Oromia Support Group Australia“ vom 20. März 2013 („Support Letter“), der Kläger habe aktiv an Schülerprotesten teilgenommen, bei denen viele seiner Mitschüler getötet worden seien (vgl. S. 34 der Folgeantragsakte), besitzt keinen Beweiswert, weil nicht erkennbar ist, woher die in Australien ansässige Exilorganisation belastbare Erkenntnisse zur individuellen Verfolgungssituation des Klägers in Äthiopien erlangt haben sollte. Die Stellungnahme des Dr. Trevor Trueman vom 3. Mai 2013, den der Kläger nicht kennt (vgl. S. 167 der Folgeantragsakte), bezieht sich allein auf die exilpolitischen Tätigkeiten des Klägers in Deutschland.

2.1.2 Selbst wenn man zugunsten des Klägers annimmt, dass er bereits verfolgt wurde oder von Verfolgung bedroht war, sprechen infolge der grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien nunmehr stichhaltige Gründe gegen die Wiederholung einer solchen Verfolgung, sodass die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EG nicht greift. Dies ergibt sich aus Folgendem:

2.1.2.1 Die politische Situation in Äthiopien hat sich für Regierungsgegner und Oppositionelle bereits seit Anfang 2018 deutlich entspannt. Anfang des Jahres kündigte der damalige Premierminister Heilemariam Desalegn nach zweijährigen andauernden Protesten Reformmaßnahmen und die Freilassung von politischen Gefangenen an. Am 15. Februar 2018 gab er bekannt, sein Amt als Regierungschef und Parteivorsitzender der regierenden EPRDF (Ethiopian People‘s Revolutionary Demokratic Front) niederzulegen, um den Weg für Reformen freizumachen. Dennoch verhängte die äthiopische Regierung am 16. Februar 2018 einen sechsmonatigen Ausnahmezustand mit der Begründung, Proteste und Unruhen verhindern zu wollen. Nachdem der Rat der EPRDF, die sich aus den vier regionalen Parteien TPLF (Tigray People's Liberation Front), ANDM (Amhara National Democratic Movement), OPDO (Oromo People’s Democratic Organisation) und SEPDM (Southern Ethiopian Peoples’ Democratic Movement) zusammensetzt, Abiy Ahmed mit 108 von 180 Stimmen zum Premierminister gewählt hatte (vgl. Stiftung Wissenschaft und Politik/Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, SWP-Aktuell von Juni 2018, „Abiy Superstar - Reformer oder Revolutionär“ [im Folgenden: SWP-Aktuell von Juni 2018]; Ministry of Immigration and Integration, The Danish Immigration Service, Ethiopia: Political situation and treatment of opposition, September 2018, Deutsche (Teil-)Übersetzung [im Folgenden: The Danish Immigration Service] S. 11), wurde dieser am 2. April 2018 als neuer Premierminister vereidigt. Zwar kommt Abiy Ahmed ebenfalls aus dem Regierungsbündnis der EPRDF, ist aber der Erste in diesem Amt, der in Äthiopien der Ethnie der Oromo angehört (vgl. Amnesty International, Stellungnahme vom 11.7.2018 zum Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 26.3.2018 S. 1), der größten ethnischen Gruppe Äthiopiens, die sich jahrzehntelang gegen wirtschaftliche, kulturelle und politische Marginalisierung wehrte (vgl. Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe - Länderanalyse vom 26.9.2018 zum Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 26.3.2018 [im Folgenden: Schweizerische Flüchtlingshilfe] S. 5).

Seit seinem Amtsantritt hat Premierminister Abiy Ahmed eine Vielzahl tiefgreifender Reformen in Äthiopien umgesetzt. Mitte Mai 2018 wurden das Kabinett umgebildet und altgediente EPRDF-Funktionsträger abgesetzt; die Mehrheit des Kabinetts besteht nun aus Oromo. Die bisher einflussreiche TPLF, die zentrale Stellen des Machtapparates und der Wirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht hatte (vgl. Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 17.10.2018 [im Folgenden: AA, Ad-hoc-Bericht] S. 8), stellt nur noch zwei Minister (vgl. SWP-Aktuell von Juni 2018). Auch der bisherige Nachrichten- und Sicherheitsdienstchef und der Generalstabschef wurden ausgewechselt (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 14.6.2018 S. 1). Die renommierte Menschenrechtsanwältin Meaza Ashenafi wurde zur ranghöchsten Richterin des Landes ernannt (vgl. Republik Österreich, Länderinformationsblatt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Äthiopien vom 8.1.2019 [im Folgenden: BFA Länderinformationsblatt], S. 6). Am 5. Juni 2018 wurde der am 16. Februar 2018 verhängte sechsmonatige Ausnahmezustand vorzeitig beendet. Mit dem benachbarten Eritrea wurde ein Friedensabkommen geschlossen und Oppositionsparteien eingeladen, aus dem Exil zurückzukehren (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 5 f.; The Danish Immigration Service S. 5, 10).

Gerade auch für (frühere) Oppositionelle hat sich die Situation deutlich und mit asylrechtlicher Relevanz verbessert. Bereits unmittelbar nach dem Amtsantritt von Premierminister Abiy Ahmed im April 2018 wurde das berüchtigte „Maekelawi-Gefängnis“ in Addis Abeba geschlossen, in dem offenbar insbesondere auch aus politischen Gründen verhaftete Gefangene verhört worden waren (vgl. The Danish Immigration Service S. 5, 14; BFA Länderinformationsblatt S. 24; AA, Ad-hoc-Bericht S. 17). Im August 2018 wurde auch das bis dahin für Folter berüchtigte „Jail Ogaden“ in der Region Somali geschlossen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 24 f.). In der ersten Jahreshälfte 2018 sind ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte Personen vorzeitig entlassen worden. Seit Anfang des Jahres sind über 7.000 politische Gefangene freigelassen worden, darunter führende Oppositionspolitiker wie der Oppositionsführer der Region Oromia, Merera Gudina, und sein Stellvertreter Bekele Gerba (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 9 f.), weiterhin der Anführer von Ginbot7, Berghane Nega, der unter dem früheren Regime zum Tode verurteilt worden war, und der Kommandant der ONLF, Abdikarim Muse Qalbi Dhagah (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 6). Am 26. Mai 2018 wurde Andargachew Tsige, ein Führungsmitglied von Ginbot7, begnadigt, der sich kurz nach seiner Entlassung öffentlichwirksam mit Premierminister Abiy Ahmed getroffen hatte (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 11). Neben führenden Politikern befinden sich unter den Freigelassenen auch Journalisten und Menschenrechtsaktivisten (The Danish Immigration Service S. 13).

Am 20. Juli 2018 wurde zudem ein allgemeines Amnestiegesetz erlassen, nach welchem Personen, die bis zum 7. Juni 2018 wegen Verstoßes gegen bestimmte Artikel des äthiopischen Strafgesetzbuches sowie weiterer Gesetze, insbesondere wegen begangener politischer Vergehen, strafrechtlich verfolgt wurden, innerhalb von sechs Monaten einen Antrag auf Amnestie stellen konnten (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 7.2.2019 [im Folgenden: AA, Stellungnahme vom 7.2.2019]; AA, Ad-hoc-Bericht S. 11; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 5; The Danish Immigration Service S. 14).

Weiterhin wurde am 5. Juli 2018 die Einstufung der Untergrund- und Auslands-Oppositionsgruppierungen Ginbot7 (auch Patriotic Ginbot7 oder PG7), OLF und ONLF (Ogaden National Liberation Front) als terroristische Organisationen durch das Parlament von der Terrorliste gestrichen und die Oppositionsgruppen wurden eingeladen, nach Äthiopien zurückzukehren, um am politischen Diskurs teilzunehmen (vgl. AA, Stellungnahme vom 7.2.2019; AA, Ad-hoc-Bericht S. 18 f.; The Danish Immigration Service S. 5, 14 f.; VG Bayreuth, U. v. 31.10.2018 - B 7 K 17.32826 - juris Rn. 44 m.w.N.). Daraufhin sind sowohl Vertreter der OLF (Jawar Mohammed) als auch der Ginbot7 (Andargachew Tsige) aus der Diaspora nach Äthiopien zurückgekehrt (vgl. The Danish Immigration Service S. 5, 14 f.). Nach einem Treffen des Gründers und Vorsitzenden der Ginbot7 (Berhanu Nega) mit Premierminister Abiy Ahmed im Mai 2018 hat die Ginbot7 der Gewalt abgeschworen. Die ONLF verkündete am 12. August 2018 einen einseitigen Waffenstillstand (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 6, 22). 1.700 Rebellen der ONLF in Äthiopien haben inzwischen ihre Waffen niedergelegt (vgl. Neue Züricher Zeitung vom 9.2.2019 „Separatisten in Äthiopien legen Waffen nieder“). Am 7. August 2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der OLF in Asmara (Eritrea) ein Versöhnungsabkommen. Am 15. September 2018 wurde in Addis Abeba die Rückkehr der OLF unter der Führung von Dawud Ibsa gefeiert. Die Führung der OLF kündigte an, nach einer Aussöhnung mit der Regierung fortan einen friedlichen Kampf für Reformen führen zu wollen (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes vom 17.9.2018 - Äthiopien; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 5; WELT vom 15.9.2018, „Zehntausende begrüßen Rückkehr der Oromo-Rebellen in Äthiopiens Hauptstadt“). In den vergangenen sechs Monaten sind verschiedene herausgehobene äthiopische Exilpolitiker nach Äthiopien zurückgekehrt, die nunmehr teilweise aktive Rollen im politischen Geschehen haben (vgl. AA, Stellungahme vom 7.2.2019). So wurde etwa die Oppositionspolitikerin Birtukan Mideksa, die Anfang November 2018 nach sieben Jahren Exil in den Vereinigten Staaten zurückkehrte, am 23. November 2018 zur Vorsitzenden der nationalen Wahlkommission gewählt (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 23).

Schließlich wurden Verbote für soziale Medien aufgehoben. Im Juni 2018 hat die Regierung beschlossen, eine Reihe von Webseiten, Blogs, Radio- und TV-Sendern zu entsperren, die für die Bevölkerung vorher nicht zugänglich gewesen sind. Dies betraf nach Bericht eines nationalen Beobachters auch die beiden in der Diaspora angesiedelten TV-Sender ESAT und OMN (vgl. The Danish Immigration Service S. 12); die Anklage gegen den Leiter des OMN, Jawar Mohammed, wurde fallengelassen (vgl. BFA Länderinformationsblatt, S. 22).

Unter Zugrundelegung dieser positiven Entwicklungen ist nicht anzunehmen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Klägers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund der von ihm angegebenen früheren oppositionellen Tätigkeit noch Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Kläger für den Fall einer früheren Unterstützung der OLF in Äthiopien verfolgt werden könnte. Vor allem aufgrund der Tatsache, dass auch die OLF von der Terrorliste gestrichen wurde, tausende von politischen Gefangenen freigelassen wurden und in den vergangenen Monaten sogar ehemals führende Oppositionspolitiker unbehelligt nach Äthiopien zurückgekehrt sind, spricht alles dafür, dass auch der Kläger trotz einer eventuellen früheren Verfolgung im Falle seiner Rückkehr keiner der in § 3a AsylG aufgeführten Verfolgungshandlungen (mehr) ausgesetzt sein wird.

2.1.2.2 Zwar haben die Reformbestrebungen des neuen Premierministers auch Rückschläge erlitten. So ist es in Äthiopien in den vergangenen Monaten mehrfach zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen der Regierung und der Bevölkerung gekommen. Auch leidet das Land mehr denn je unter ethnischen Konflikten (vgl. The Danish Immigration Service S. 11). Am 15. September 2018 kam es nach Rückkehr der Führung der OLF zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten verschiedener Lager sowie zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, die zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert haben. Zu weiteren Todesopfern kam es, als tausende Menschen gegen diese Gewaltwelle protestierten (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 8, 19; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 7). Bei einer Demonstration gegen die Untätigkeit der Regierung bezüglich der ethnisch motivierten Zusammenstöße im ganzen Land vertrieb die Polizei die Demonstranten gewaltsam und erschoss dabei 5 Personen. Insgesamt 28 Menschen fanden bei den Zusammenstößen angeblich den Tod. Kurz darauf wurden mehr als 3.000 junge Personen festgenommen, davon 1.200 wegen ihrer Teilnahme an der Demonstration gegen ethnische Gewalt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 7), die laut Angaben der Polizei nach „Resozialisierungstrainings“ allerdings wieder entlassen wurden (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 11). Auch soll die äthiopische Luftwaffe bei Angriffen im Regionalstaat Oromia am 12./13. Januar 2019 sieben Zivilisten getötet haben. Die Regierung räumte hierzu ein, Soldaten in die Region verlegt zu haben, warf der OLF aber kriminelle Handlungen vor. Mit einer Militäroffensive sollte die Lage wieder stabilisiert werden (vgl. BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien).

Auch in den Regionen sind Gewaltkonflikte nach wie vor nicht unter Kontrolle (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 6 f.). In den Regionen Oromia, SNNPR, Somali, Benishangul Gumuz, Amhara und Tigray werden immer mehr Menschen durch Gewalt vertrieben. Aufgrund der Ende September 2018 in der Region Benishangul Gumuz einsetzenden Gewalt wurden schätzungsweise 240.000 Menschen vertrieben (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 8 f.). Rund um den Grenzübergang Moyale kam es mehrfach, zuletzt Mitte Dezember 2018, zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Volksgruppen der Somali- und Oromia-Region sowie den Sicherheitskräften, bei denen zahlreiche Todesopfer zu beklagen waren. Über 200.000 Menschen sind seit Juli 2018 vor ethnischen Konflikten in der Somali-Region geflohen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 9 f.). Auch in der Region Benishangul Gumuz sind bewaffnete Oppositionsgruppen und Banden aktiv und es bestehen Konflikte zwischen verfeindeten Ethnien, welche regelmäßig zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Trotz des Einsatzes von Sicherheitskräften des Bundes zur Unterdrückung der Gewalt dauern die Konflikte weiterhin an. Ebenso gibt es an der Grenze zwischen der Region Oromia und der SNNPR bewaffnete Auseinandersetzungen. Insgesamt erhöhte sich die Zahl an Binnenflüchtlingen in Äthiopien deswegen allein in der ersten Jahreshälfte 2018 auf etwa 1,4 Millionen Menschen (vgl. Neue Züricher Zeitung vom 27.12.2018, „Äthiopiens schmaler Grat zwischen Demokratie und Chaos“).

Bei diesen Ereignissen handelt es sich nach Überzeugung des Senats auf der Grundlage der angeführten Erkenntnismittel aber nicht um gezielte staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen Oppositionelle wegen ihrer politischen Überzeugung, sondern um Vorfälle in der Umbruchsphase des Landes bzw. um Geschehnisse, die sich nicht als Ausdruck willentlicher und zielgerichteter staatlicher Rechtsverletzungen, sondern als Maßnahmen zur Ahndung kriminellen Unrechts oder als Abwehr allgemeiner Gefahrensituationen darstellen. Dies zeigt etwa auch die Tatsache, dass das äthiopische Parlament am 24. Dezember 2018 ein Gesetz zur Einrichtung einer Versöhnungskommission verabschiedet hat, deren Hauptaufgabe es ist, der innergemeinschaftlichen Gewalt ein Ende zu setzen und Menschenrechtsverletzungen im Land zu dokumentieren (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 20).

2.1.2.3 Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, die Situation in Äthiopien bleibe trotz der Änderung der politischen Verhältnisse unübersichtlich und instabil, ist dies tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Dem kommt nach Auffassung des Senats aber asylrechtlich keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Dem Kläger ist zuzugestehen, dass trotz der tiefgreifenden Veränderungen in Äthiopien seit der Machtübernahme von Premierminister Abiy Ahmed die Verhältnisse noch nicht als gefestigt gewertet werden können. Dafür dürfte vor allem der Umstand sprechen, dass sich nach dem Machtantritt des neuen Premierministers, der vor allem mit den Stimmen aus Oromia und Amhara, aber gegen die Stimmen der Tigray und der Vertreter der Region der südlichen Nationen gewählt wurde, die Spannungen zwischen der regierenden EPRDF, die bislang von der Ethnie ihrer Gründungsgruppe TPLF dominiert wurde, welche die Tigray repräsentiert, und der Region Tigray in jüngster Zeit verschärft haben, offenbar nachdem die Regierung gegen Mitglieder der TPLF vorgegangen war. Als Folge der veränderten Machtverhältnisse innerhalb der Führung der EPDRF sind neue Formen der ethnisch motivierten Gewalt aufgetreten (vgl. The Danish Immigration Service S. 9, 11), die vor allem in den Regionen nach wie vor nicht unter Kontrolle sind. Hierdurch ist die Zahl der Binnenflüchtlinge erheblich gestiegen und die Gefahr einer Teilung des Landes bleibt nicht ausgeschlossen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 7; Neue Züricher Zeitung vom 27.12.2018, „Äthiopiens schmaler Grat zwischen Demokratie und Chaos“). Auch auf Premierminister Abiy Ahmed selbst wurde bereits ein Anschlag verübt (nordbayern.de vom 18.11.2018 „Für eine Rückkehr nach Äthiopien ist es viel zu früh“; vgl. SWP-Aktuell Nr. 32 von Juni 2018, „Abiy-Superstar - Reformer oder Revolutionär“).

Für das Vorliegen „stichhaltiger Gründe“ im Sinn des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU, durch die die Vermutung der Wiederholung einer Vorverfolgung widerlegt wird, ist es aber nicht erforderlich, dass die Gründe, die die Wiederholungsträchtigkeit einer Vorverfolgung entkräften, dauerhaft beseitigt sind. Soweit in Teilen der Literatur und der Rechtsprechung - ohne genauere Auseinandersetzung mit der insoweit einschlägigen Bestimmung des Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU - die Auffassung vertreten wird, dass die nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU maßgebenden stichhaltigen Gründe keine anderen Gründe sein könnten als die, die im Rahmen der „Wegfall der Umstände-Klausel“ des Art. 11 Abs. 1 Buchstabe e und f RL 2011/95/EU maßgebend sind (vgl. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, § 29 Rn. 58; VGH BW, U.v. 27.8.2014 - A 11 S 1128/14 - Asylmagazin 2014, 389 = juris Rn. 34; U.v. 3.11.2016 - A 9 S 303/15 - juris Rn. 35; U.v. 30.5.2017 - A 9 S 991/15 - juris Rn. 28), vermag dem der Senat nicht zu folgen. Anders als im Rahmen der Prüfung eines nachträglichen Grundes für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 11 Abs. 1 Buchstabe e und f RL 2011/95/EU, bei der nach Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU zu untersuchen ist, ob die Veränderung der Umstände, aufgrund derer ein Drittstaatangehöriger oder ein Staatenloser als Flüchtling anerkannt wurde, erheblich und nicht nur vorübergehend ist, sieht die Regelung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU eine solche Untersuchung nicht vor.

Eine entsprechende Heranziehung des Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU im Rahmen der Prüfung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU scheidet nach Auffassung des Senats aus, weil die Sach- und Interessenlage in beiden Fällen nicht vergleichbar ist. Während es im Rahmen des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU nämlich um eine Beweiserleichterung für die erstmalige Anerkennung eines Asylsuchenden als Flüchtling geht, betrifft Art. 11 RL 2011/95/EU, der seine Umsetzung in den §§ 72 ff. AsylG erfahren hat, die Beendigung und das Erlöschen des Flüchtlingsstatus nach einer bereits erfolgten Anerkennung. Im letzteren Fall hat der Betroffene also bereits einen gesicherten Rechtsstatus erhalten, der ihm nach dem Willen des Richtliniengebers aus Gründen des Vertrauensschutzes nur unter engen Voraussetzungen wieder entzogen können werden soll (vgl. zur gleichlautenden (Vorgänger-)Regelung des Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG: Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates, KOM(2001) 510 endgültig, S. 26 f., wonach „der Mitgliedstaat, der sich auf die Beendigungsklausel beruft, sicherstellen muss, dass Personen, die das Land aus zwingenden, auf früheren Verfolgungen oder dem Erleiden eines ernsthaften nicht gerechtfertigten Schadens beruhenden Gründen nicht verlassen wollen, ein angemessener Status zuerkannt wird und sie die erworbenen Rechte behalten“; vgl. auch zum Erlöschen des subsidiären Schutzes nach Art. 16 RL 2011/95/EU die Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot vom 24.1.2019 zur Rechtssache C-720/17, wonach „nach dem Willen des Unionsgesetzgebers die Veränderung so wesentlich und nicht nur vorübergehend sein muss, dass zuerkannte Status nicht ständig in Frage gestellt werden, wenn sich die Lage im Herkunftsland der Begünstigten kurzfristig ändert, was diesen die Stabilität ihrer Situation garantiert“). An einem entsprechenden Vertrauensschutz fehlt es, wenn ein Kläger sein Heimatland zwar vorverfolgt im Sinn des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU verlassen hat, ihm jedoch noch kein Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Etwas anderes lässt sich auch nicht dem von der zitierten Rechtsprechung und Literatur in Bezug genommenen Urteil des EuGH vom 2. März 2010 (Az. C-175/08 u.a. - NVwZ 2010, 505 - Abdullah) entnehmen, zumal auch diese Entscheidung lediglich das Erlöschen des Flüchtlingsstatus betrifft.

2.2 Ebenso wenig ergibt sich nach aktueller Auskunftslage die Gefahr politischer Verfolgung aufgrund der exilpolitischen Betätigung des Klägers in Deutschland für die der OLF nahestehenden TBOJ/UOSG. Infolge der Veränderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien ist diese nicht (mehr) geeignet, eine begründete Furcht vor Verfolgung nach § 3 Abs. 1 i.V.m. § 28 Abs. 1a AsylG zu begründen.

2.2.1 Insoweit gelten die obigen Ausführungen (vgl. unter III.2.1.2.1 und III.2.1.2.2) entsprechend. Aufgrund der jüngsten gesetzlichen Regelungen und der Maßnahmen der Regierung unter Führung von Premierminister Abiy Ahmed, insbesondere der Streichung der OLF von der Terrorliste und der Rückkehr namhafter Exilpolitiker der OLF, kann nicht (mehr) angenommen werden, dass äthiopische Staatsangehörige aufgrund ihrer exilpolitischen Tätigkeit, etwa weil sie - wie der Kläger - Mitglied der TBOJ/UOSG sind oder waren, diese Organisation durch die Teilnahme an Demonstrationen oder Versammlungen (zum Teil unter Mitorganisation) oder durch andere Unterstützeraktivitäten wie die Mitarbeit bei einer exilpolitischen Zeitschrift (Leiter Editorial-Team) oder auch durch regierungskritische Äußerungen oder Veröffentlichungen in exilpolitischen Zeitschriften oder sonstigen Medien unterstützt haben, im Fall ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen bedroht sind (vgl. ebenso VG Bayreuth, U.v. 31.10.2018 - B 7 K 17.32826 - juris Rn. 48; VG Regensburg, U.v. 13.11.2018 - RO 2 K 17.32132 - juris Leitsatz und Rn. 34; VG Düsseldorf, U.v. 13.12.2018 - 6 K 4004/17.A - juris Rn. 54). Dies bestätigt auch die Einschätzung des Auswärtigen Amts, wonach aktuell nicht davon auszugehen ist, dass eine (einfache) Mitgliedschaft in einer in Deutschland exilpolitisch tätigen Organisation, die in Äthiopien nicht (mehr) als Terrororganisation eingestuft ist, bzw. in einer ihr nahestehenden Organisation bei aktueller Rückkehr nach Äthiopien negative Auswirkungen nach sich zieht (vgl. AA, Stellungnahme vom 7.2.2019 S. 2). Ähnlich äußerte sich ein Vertreter der Britischen Botschaft, nach dessen Einschätzung es Mitgliedern der Diaspora, die sich entscheiden, nach Äthiopien zurückzukehren, erlaubt ist, sich wieder als Bürger in die Gesellschaft zu integrieren und etwa auch Privatunternehmen zu gründen (vgl. The Danish Immigration Service S. 19).

2.2.2 Auch aufgrund seiner (früheren) Vorstandstätigkeit im Bundes- bzw. Landesvorstand der TBOJ/UOSG drohen dem Kläger bei einer Rückkehr nach Äthiopien nicht (mehr) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlungen. Infolge der grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien seit April 2018 begründet allein die Tatsache, dass sich äthiopische Asylbewerber in Deutschland exponiert (vgl. zu diesem Kriterium BayVGH, B.v. 14.11.2017 - 21 ZB 17.31340 - juris Rn. 2; B.v. 14.7.2015 - 21 ZB 15.30119 - juris Rn. 5; U.v. 25.2.2008 - 21 B 07.30363 - juris Rn. 16) exilpolitisch betätigt haben, grundsätzlich nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine relevante Verfolgungsgefahr; eine Rückkehrgefährdung erscheint auf Basis der aktuellen Auskunftslage allenfalls noch in besonders gelagerten Ausnahmefällen denkbar (vgl. ebenso VG Bayreuth, U.v. 5.9.2018 - B 7 K 17.33349 - juris Rn. 64; ähnlich VG Regensburg, B.v. 19.6.2018 - RO 2 E 18.31617 - juris Rn. 25; VG Ansbach, B.v. 11.10.2018 - AN 3 E 18.31175 - juris Rn. 36). Diese Einschätzung wird insbesondere dadurch belegt, dass inzwischen namhafte Vertreter der äthiopischen Exilopposition der Einladung des neuen Premierministers gefolgt und zurückgekehrt sind, um sich am politischen Diskurs in Äthiopien zu beteiligen (vgl. The Danish Immigration Service S. 5; BFA Länderinformationsblatt S. 5; vgl. eingehend hierzu oben unter III.2.1.2.1).

2.2.3 Soweit der Kläger die Befürchtung geäußert hat, dass alle Angehörigen der oromischen Opposition wegen einer vom Staat unterstellten separatistischen Haltung in Äthiopien weiterhin verfolgt würden, entbehrt dies jeder Grundlage. Richtig ist zwar, dass die OLF in der Vergangenheit für die Unabhängigkeit der Region Oromia, der bevölkerungsreichsten Region Äthiopiens mit ungefähr 35 Prozent der Einwohner, gekämpft hat und zumindest ein Teil ihrer Anhänger diese wohl auch heute noch anstrebt (vgl. The Danish Immigration Service S. 15, 20). Trotz der separatistischen Bestrebungen wurde die OLF aber von der Terrorliste gestrichen und von der Regierung eingeladen, zum Dialog nach Äthiopien zurückzukehren. Diesem Aufruf sind führende Mitglieder der OLF wie Jawar Mohammed aus dem Exil in den USA und Dawud Ibsa aus dem Exil in Eritrea gefolgt (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 6; WELT vom 15.9.2018, „Zehntausende begrüßen Rückkehr der Oromo-Rebellen in Äthiopiens Hauptstadt“). Allein dies spricht gegen die Besorgnis des Klägers.

Die Ursache dafür, dass sich in letzter Zeit der Konflikt zwischen Regierung und OLF verschärft hat und es nach ethnischen Auseinandersetzungen zwischen Oromo und ethnischen Minderheiten zu gewalttätigen Zusammenstößen mit der Regierung gekommen ist (vgl. BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien), liegt nach Überzeugung des Senats nicht in den separatistischen Bestrebungen der OLF begründet, sondern in dem Umstand, dass militante Teile der OLF entgegen ihrer Ankündigung ihre Ziele teilweise weiterhin mit Waffengewalt verfolgen (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 18). So hat etwa der äthiopische Sender Fana berichtet, die Einsatzkräfte der Regierung hätten nach einer Militäroffensive im Regionalstaat Oromia am 12./13. Januar 2019 über 800 militante Mitglieder der OLF inhaftiert (vgl. BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien). Der Regierung geht es nach aktueller Auskunftslage mit ihren Einsätzen vor allem darum, bewaffnete Oppositionsgruppen und Banden sowie bestehende Konflikte zwischen verfeindeten Ethnien zu bekämpfen und durch hohe Präsenz von Regierungstruppen und Sicherheitskräften und gegebenenfalls durch militärisches Eingreifen die Lage zu beruhigen (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 9; BFA Länderinformationsblatt S. 11, 15; BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien). Auch insoweit handelt es sich aber nicht um gezielte staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen oppositionelle Oromo, sondern um die Ahndung kriminellen Unrechts und die Abwehr allgemeiner Gefahren.

2.2.4 Auch für die Annahme des Klägers, nur prominente Oppositionspolitiker würden vom Staat verschont, unbekannte Personen, die sich gegen die Politik der regierenden EPRDF gestellt hätten oder stellten, seien hingegen weiterhin von Verfolgung bedroht, gibt es keine Anhaltpunkte. Insbesondere rechtfertigt der Umstand, dass nach dem Amtsantritt von Premierminister Abiy Ahmed weiterhin zahlreiche Personen ohne Anklage in Haft verblieben sind (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 6, 9), nicht die Annahme, dass Rückkehrer aus dem Exil mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen müssten, zumal nach Angaben eines nationalen Beobachters eine Reihe von Gefangenen schlichtweg „vergessen wurde“ (vgl. The Danish Immigration Service S. 13 f.). Darüber hinaus spricht auch der generelle Erlass des Amnestiegesetzes gegen die Annahme, nur herausgehobene politische Gegner könnten hiervon betroffen sein. Schließlich sind keine Fälle bekannt, in denen zurückgekehrte Äthiopier, die in Deutschland exilpolitisch tätig waren, wegen ihrer exilpolitischen Tätigkeit durch die äthiopischen Behörden inhaftiert oder misshandelt wurden (vgl. AA, Stellungnahme vom 14.6.018 S. 4; AA, Ad-hoc-Bericht S. 25).

IV.

Mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 4 AsylG steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes in Deutschland zu.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

1. Dass dem Kläger bei seiner Rückkehr die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), macht er selbst nicht geltend.

2. Ebenso wenig kann angesichts der oben genannten grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien angenommen werden, dass dem Kläger in Äthiopien Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohen. Unter dem Gesichtspunkt der schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien scheidet die Gewährung subsidiären Schutzes schon deswegen aus, weil die Gefahr eines ernsthaften Schadens insoweit nicht von einem der in § 3c AsylG genannten Akteure ausgeht, also vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens zu bieten, § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3c AsylG (zu diesem Erfordernis vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 54 ff. m.w.N.).

3. Schließlich steht dem Kläger auch kein Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu.

Nach dieser Vorschrift gilt als ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Ein innerstaatlich bewaffneter Konflikt liegt vor, wenn die Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist. Die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens für jedermann aufgrund eines solchen Konflikts ist erst dann gegeben, wenn der bewaffnete Konflikt eine solche Gefahrendichte für Zivilpersonen mit sich bringt, dass alle Bewohner des maßgeblichen, betroffenen Gebiets ernsthaft individuell bedroht sind. Das Vorherrschen eines so hohen Niveaus willkürlicher Gewalt, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, bleibt außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind. Eine Individualisierung kann sich insbesondere aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) gegeben sein muss. So kann die notwendige Individualisierung ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird (zum Ganzen vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 82 ff. m.w.N.)

Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG beim Kläger, der keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände aufweist, nicht vor. Zwar werden, wie vorstehend ausgeführt, in Äthiopien zunehmend ethnische Konflikte mit Waffengewalt ausgetragen, die erhebliche Binnenvertreibungen zur Folge haben. Es gibt nach aktueller Erkenntnislage aber in keiner Region Äthiopiens bürgerkriegsähnliche Zustände. Die Konflikte zwischen Ethnien, wie sie etwa in der Südregion von Gambella oder im Grenzgebiet der Siedlungsgebiete von Oromo und Somali vorkommen, oder die Auseinandersetzungen der Regierung mit bewaffneten Oppositionsbewegungen, insbesondere Ogaden, haben trotz begrenzten Einflusses und Kontrolle der Zentralregierung in der Somali-Region keine derartige Intensität (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 20). Jedenfalls lässt sich für die äthiopische Hauptstadt, wo sich der Kläger die letzten zwei bis drei Jahre bis zu seiner Ausreise aufgehalten hat (vgl. S. 250 f. der Erstverfahrensakte), nicht feststellen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass jede Zivilperson im Fall einer Rückkehr dorthin allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Das Gleiche gilt für die Stadt Ambo, in der der Kläger aufgewachsen ist.

V.

Die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor.

1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aufgrund schlechter humanitärer Bedingungen ist nicht gegeben.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 - EMRK - (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Schlechte humanitäre Verhältnisse im Herkunftsland können nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung begründen (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - juris Rn. 9). Sind Armut und staatliche Mittel ursächlich für schlechte humanitäre Bedingungen, kann dies nur in „ganz außergewöhnlichen Fällen“ zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen, nämlich dann, wenn die humanitären Gründe „zwingend“ sind (vgl. EGMR, U. v. 28.6.2011 - 8319/07 - NVwZ 2012, 681 Rn. 278, 282 f.; BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167 Leitsatz 3 und Rn. 23; VGH BW, U. v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 82 ff. m.w.N.).

Dass sich der Kläger in einer derartigen besonders gravierenden Lage befände, macht er weder geltend noch ist dies sonst ersichtlich. Zwar ist Äthiopien bei etwa 92,7 Millionen Einwohnern mit einem jährlichen Brutto-National-Einkommen von etwa 927 US-Dollar pro Kopf eines der ärmsten Länder der Welt. Auch wenn das Wirtschaftswachstum in den letzten zehn Jahren wesentlich über dem regionalen und internationalen Durchschnitt lag, lebt ein signifikanter Teil der Bevölkerung unter der absoluten Armutsgrenze. Derzeit leiden fast 8 Millionen Menschen an einer unsicheren Nahrungsmittelversorgung und benötigen humanitäre Hilfe. Hinzu kommt eine hohe Arbeitslosigkeit, die durch die Schwäche des modernen Wirtschaftssektors und die anhaltend hohe Zuwanderung aus dem ländlichen Raum verstärkt wird (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 33 f.).

Trotz dieser schwierigen Bedingungen ist aber nicht ersichtlich, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt in Äthiopien nicht bestreiten könnte. Er ist 29 Jahre alt, gesund, arbeitsfähig und hat eine Schulausbildung. In Deutschland ist er seit 2013 erwerbstätig und hat hieraus zuletzt einen Bruttoarbeitslohn von monatlich ca. 1.770 Euro erwirtschaftet. Aus diesem Grund ist anzunehmen, dass er über das für eine (bescheidene) Existenzgründung in Äthiopien notwendige Startkapital verfügt. Unter Zugrundelegung dieser Umstände ist nicht ersichtlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage bzw. unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre.

2. Ebenso wenig besteht wegen der schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Nach dieser Bestimmung soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach dieser Bestimmung setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt. Allerdings kann ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (vgl. BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 = juris Rn. 31 f. m.w.N.). Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und - wie bei § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK - zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen.

Nach diesen Maßstäben ist beim Kläger ein nationales Abschiebungsverbot im Hinblick auf die schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien zu verneinen. Die obigen Ausführungen gelten insoweit entsprechend (vgl. oben V.1).

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die nach eigenen Angaben am ... Juli 1988 in W. geborene Klägerin ist äthiopische Staatsangehörige vom Volke der Gurage. Sie gab an, am 12. Januar 2013 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein. Am 16. Januar 2013 stellte sie einen Asylantrag.

Bei der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 8. April 2014 gab die Klägerin an, ihr Vater habe sich für die EPPF engagiert und sei von der Polizei festgenommen worden. Zur Finanzierung ihres eigenen Lebensunterhalts habe sie verschiedene Schreibtätigkeiten ausgeübt. Dabei habe sie unter anderem auch politische Schriftstücke auf ihrem Computer geschrieben oder kopiert und weitergegeben. Am 15. September 2012 sei sie von einem Freund ihres Vaters informiert worden, dass ihr Laden aufgebrochen und durchsucht worden sei. Sie sei daraufhin nicht nach Hause, sondern zu einer Kirche gelaufen. Am nächsten Morgen habe ihre Mutter ihr erzählt, dass Leute nach ihr gefragt hätten. Die Klägerin habe sich daraufhin vier Monate bei Freunden in Gurage versteckt und sei dann mithilfe eines Schleppers ausgereist.

In Deutschland sei sie exilpolitisch tätig. Seit dem 9. Februar 2013 sei sie Mitglied bei EPCOU und seit dem 1. Januar 2014 Mitglied der EPPF Germany. Sie nehme regelmäßig an Versammlungen und Demonstrationen dieser Organisationen teil. Zudem sei sie seit dem 14. September 2013 für EPCOU als Head of Media and Communication tätig sowie Executive Editor of M1. Magazine, eine Zeitschrift der EPCOU. In dieser Zeitschrift sowie in zwei anderen habe sie unter namentlicher Nennung auch Artikel veröffentlicht. Bei der EPPF Gemany sei sie Deputy Editor of Netsanet Le Ethiopia Radio und betätige sich bei diesem Internetradio auch als Nachrichtensprecherin.

Mit Bescheid vom 1. Februar 2016 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Asylanerkennung ab (Nr. 2), erkannte die Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) und den subsidiären Schutzstatus (Nr. 3) nicht zu und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Die Klägerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung und im Falle einer Klageerhebung innerhalb von 30 Tagen nach unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen; andernfalls werde sie nach Äthiopien abgeschoben (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung wurde im Wesentlichen angeführt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigte nicht vorlägen. Der Sachvortrag der Klägerin reiche nicht aus, um eine Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen. Die Klägerin habe keine plausiblen Angaben zur Gefährdung ihrer Person machen können. Auch der Verfolgungsakteur sei von der Klägerin nicht konkretisiert worden. Sie habe während der Anhörung immer wieder von Leuten erzählt, die ihren Laden durchsucht und ihre Mutter besucht hätten. Es sei nicht nachvollziehbar, ob es sich bei den Verfolgern um private oder staatliche Personen gehandelt habe. Ferne führe das Vorbringen der Klägerin, sie sei Mitglied der EPPF und EPCOU in Deutschland, ebenso wenig wie die exilpolitische Betätigung der Klägerin zu einem Anspruch auf Flüchtlingsschutz oder Asyl. Im Falle der Klägerin bewege sich die exilpolitische Tätigkeit in dem Rahmen, den äthiopische Asylbewerber regelmäßig ausfüllten. Ihre vorgetragene Teilnahme an Veranstaltungen und Demonstrationen in Deutschland sowie Veröffentlichungen von Artikeln seien nicht geeignet, eine andere Entscheidung herbeizuführen. Die Klägerin sei allenfalls als politische Mitläuferin einzuschätzen. Sonstige Hinweise dafür, dass ihr Verhalten als gegen die äthiopische Regierung gerichtet aufgefasst werden könne und ihr daher Verfolgung drohe, seien nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes oder Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor.

Die gegen den Bescheid erhobene Klage hat das Verwaltungsgerichts Würzburg mit Urteil vom 29. April 2016 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden könne, da ihr Vorbringen nicht glaubhaft sei. Die Darstellung ihres individuellen Verfolgungsschicksals sei in wesentlichen Punkten oberflächlich, widersprüchlich und in sich unstimmig. Damit sei das Gericht davon überzeugt, dass die Klägerin in Äthiopien keiner politischen Verfolgung ausgesetzt gewesen sei. Wegen ihrer exilpolitischen Tätigkeiten drohten der Klägerin ebenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen der äthiopischen Sicherheitskräfte. Zwar habe sie nachgewiesen, Mitglied der EPPFG und der EPCOU zu sein, diverse Versammlungen und Demonstrationen dieser Organisationen zu besuchen und Texte in Exilzeitschriften veröffentlicht zu haben. Auch sei sie in verschiedenen Funktionen bei diesen Organisationen tätig. Dennoch erweise sich die Klägerin nicht als exilpolitisch exponierte Person. Aufgrund ihrer Angaben zur ihren politischen Aktivitäten in der mündlichen Verhandlung zeige sich die Klägerin als weitgehend unpolitischer Mensch, der sich trotz der vorgetragenen exilpolitischen Aktivitäten dem äthiopischen Staat nicht als ernst zu nehmende Regimegegnerin gegenüberstehe. Die exilpolitischen Tätigkeiten der Klägerin bewegten sich vielmehr in dem Rahmen, den äthiopische Asylbewerber nach den Erkenntnissen des Gerichts regelmäßig ausfüllten. Die Angaben der Klägerin ließen nicht darauf schließen, dass es sich bei ihren Posten und Tätigkeiten um real ausgefüllte Funktionen mit echtem politischem Profil jenseits einfacher Verwaltungs-, Koordinations- und Layout-Aufgaben handele. In ihrer Funktion als Bayer Media and communication head der EDFM sei die Klägerin bislang nicht oder jedenfalls kaum nach außen in Erscheinung getreten. Angesichts der inzwischen massenhaft stattfindenden exilpolitischen Veranstaltungen vermöge ihr all dies auch in der Gesamtschau keine exponierte Stellung im Vergleich zu anderen äthiopischen Asylsuchenden zu verschaffen. Nichts anderes gelte im Hinblick auf die Tätigkeit der Klägerin als Executive Editor eine exilpolitischen Zeitung bzw. bezüglich der Veröffentlichung eigener Beiträge in dieser Zeitschrift. In diesem Gesamtkontext begründe auch die Tätigkeit der Klägerin beim Radio keine exponierte Stellung der Klägerin. Soweit die Klägerin subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG und die Feststellung von Abschiebeverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG begehre, sei die Klage ebenfalls nicht begründet.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer durch Beschluss des Senats vom 31. Januar 2018 (Az. 8 ZB 16.30118) wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Berufung. Zur Begründung macht sie im Wesentlichen geltend, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts vorverfolgt ausgereist zu sein. Jedenfalls drohe ihr aufgrund ihrer vielfältigen exilpolitischen Aktivitäten eine Verfolgung in ihrem Heimatland. Insoweit werde unter Vorlage von Nachweisen zur Betätigung bei der EDFM auf die bereits im Vor- als auch im Klageverfahren vorgelegten Nachweise zu den weiteren Tätigkeiten verwiesen. Das Verwaltungsgericht habe in seinem angefochtenen Urteil die mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestehende Gefährdung der Klägerin aufgrund ihrer langjährigen und umfangreichen exilpolitischen Aktivitäten vollkommen verkannt. Ungeachtet der Streichung von OLF, Ginbot7 und ONLF von der Terrorliste sei es noch zu keiner vollständigen Änderung bei der Verfolgung Oppositioneller gekommen. Tausende politische Gefangene befänden sich weiter in Haft; im September 2018 sei es wieder zu Massenverhaftungen gekommen. Die positiven Veränderungen unter Abiy Ahmed bzw. dessen Handlungen seien in der EPRDF äußerst umstritten. Das Nachgeben Abiy Ahmeds gegenüber der Opposition habe der nicht mehr beherrschbaren Situation in Äthiopien gegolten, ohne dass dieser zu einem vollständigen Umdenken in der EPRDF und insbesondere der TPLF geführt habe. Die Amnestieregelung sei hier nicht relevant, weil die sechsmonatige Antragsfrist inzwischen abgelaufen sei. Mit Blick auf ihren am 29. Mai 2016 geborenen Sohn sei zumindest festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Die Klägerin werde bei einer Rückkehr nach Äthiopien keine Möglichkeit haben, eine wirtschaftliche Existenzmöglichkeit zu erlangen sowie ihrem Sohn eine kindgerechte Versorgung zu gewährleisten. Ein familiäres Netzwerk sei eine wichtige Vorbedingung dafür, dass eine unverheiratete Äthiopierin ein eigenes Leben aufbauen und für sich selbst sorgen könne. Äthiopische Frauen hätten im Verhältnis zu äthiopischen Männern immer noch ein dreifaches Risiko einer Arbeitslosigkeit.

Die Klägerin beantragt,

I.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 29. April 2016 wird aufgehoben.

II.

Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 1. Februar 2016 verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen; hilfsweise der Klägerin den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen;

hilfsweise festzustellen, dass bei der Klägerin ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Durch Beschluss vom 26. März 2018 hat der Senat zu verschiedenen Fragen Beweis erhoben durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Auswärtiges Amt bzw. eines schriftlichen Gutachtens von Amnesty International, des GIGA-Instituts für Afrika-Studien und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, unter anderem zu der Frage, ob nach der aktuellen innenpolitischen Lage in Äthiopien äthiopischen Staatsangehörigen, allein weil sie (einfaches) Mitglied einer in Deutschland exilpolitisch tätigen, von der äthiopischen Regierung als Terrororganisation eingestuften oder einer ihr nahestehenden Organisation sind, ohne in dieser Organisation eine herausgehobene Stellung innezuhaben, bei ihrer Rückkehr nach Äthiopien von staatlicher Seite schwere physische oder psychische Misshandlungen oder Haft auf bestimmte oder unbestimmte Zeit drohen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die von der Beklagten vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Ablehnung der in der Berufungsinstanz noch geltend gemachten Ansprüche im Bescheid des Bundesamts vom 1. Februar 2016 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Es kann offen bleiben, ob der Klägerin die Ansprüche im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung zustanden. Die Klägerin hat jedenfalls in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (vgl. unten Ziff. I.) noch auf subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 AsylG (vgl. unten Ziff. II.). Auch ein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (vgl. unten Ziff. III.) oder nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (vgl. unten Ziff. IV.) steht der Klägerin nicht zu.

I.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG.

1. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, sofern nicht die in dieser Bestimmung angeführten - hier nicht einschlägigen - besonderen Voraussetzungen nach § 60 Abs. 8 AufenthG erfüllt sind. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründe) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

Als Verfolgung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Diese Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (ABl. L 337 S. 9 - im Folgenden: RL 2011/95/EU) umsetzende Legaldefinition der Verfolgungshandlung erfährt in § 3a Abs. 2 AsylG im Einklang mit Art. 9 Abs. 2 RL 2011/95/EU eine Ausgestaltung durch einen nicht abschließenden Katalog von Regelbeispielen. Die Annahme einer Verfolgungshandlung setzt einen gezielten Eingriff in ein nach Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU geschütztes Rechtsgut voraus (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 11). Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind unter anderem gemäß § 3c Nr. 1 und 2 AsylG der Staat und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen. Zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den genannten Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG), wobei es unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).

Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Für die Verfolgungsprognose gilt ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, auch wenn der Antragsteller Vorverfolgung erlitten hat. Dieser im Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchst. d RL 2011/95/EU enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr („real risk“) abstellt; das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 14; U.v. 1.6.2011 - 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 = juris Rn. 22).

Vorverfolgte bzw. geschädigte Asylantragsteller werden durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU privilegiert. Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Handlungen oder Bedrohungen eine Beweiskraft für die Wiederholung in der Zukunft bei, wenn sie eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 15; EuGH, U.v. 2.3.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - NVwZ 2010, 505 = juris Rn. 94). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungshandlungen entkräften (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 = juris Rn. 23).

Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert die Prüfung, ob bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 14; U.v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 = juris Rn. 32). Damit kommt dem qualitativen Kriterium der Zumutbarkeit maßgebliche Bedeutung zu. Eine Verfolgung ist danach beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (vgl. BVerwG, B.v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 - DVBl 2008, 1255 = juris Rn. 37).

2. Nach diesen Maßstäben ist der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen.

Infolge des den in das Berufungsverfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen zu entnehmenden grundlegenden Wandels der politischen Verhältnisse seit April 2018 und der daraus folgenden Situation für Oppositionelle in Äthiopien kann im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weder angenommen werden, dass der Klägerin aufgrund der behaupteten früheren Ereignisse in Äthiopien (vgl. dazu unten a) noch infolge ihrer exilpolitischen Tätigkeit in Deutschland (vgl. dazu unten b) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an den Merkmalen des § 3 Abs. 1 AsylG ausgerichtete, flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht.

a) Es kann offen bleiben, ob die Klägerin vor ihrer Ausreise aus Äthiopien im Jahr 2013 aufgrund der Geschehnisse, die sie bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt geschildert hat, bereits verfolgt wurde oder von Verfolgung bedroht war und ob sie deshalb die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU für sich in Anspruch nehmen kann. Denn selbst wenn man dies zu ihren Gunsten annimmt, sprechen infolge der grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien nunmehr stichhaltige Gründe gegen die Wiederholung einer solchen Verfolgung, sodass die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EG nicht greift. Dies ergibt sich aus Folgendem:

aa) Die politische Situation in Äthiopien hat sich für Regierungsgegner und Oppositionelle bereits seit Anfang 2018 deutlich entspannt. Anfang des Jahres kündigte der damalige Premierminister Heilemariam Desalegn nach zweijährigen andauernden Protesten Reformmaßnahmen und die Freilassung von politischen Gefangenen an. Am 15. Februar 2018 gab er bekannt, sein Amt als Regierungschef und Parteivorsitzender der regierenden EPRDF (Ethiopian People‘s Revolutionary Democratic Front) niederzulegen, um den Weg für Reformen freizumachen. Dennoch verhängte die äthiopische Regierung am 16. Februar 2018 einen sechsmonatigen Ausnahmezustand mit der Begründung, Proteste und Unruhen verhindern zu wollen. Nachdem der Rat der EPRDF, die sich aus den vier regionalen Parteien TPLF (Tigray People's Liberation Front), ANDM (Amhara National Democratic Movement), OPDO (Oromo People’s Democratic Organisation) und SEPDM (Southern Ethiopian Peoples’ Democratic Movement) zusammensetzt, Abiy Ahmed mit 108 von 180 Stimmen zum Premierminister gewählt hatte (vgl. Stiftung Wissenschaft und Politik/Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, SWP-Aktuell von Juni 2018, „Abiy Superstar - Reformer oder Revolutionär“ [im Folgenden: SWP-Aktuell von Juni 2018]; Ministry of Immigration and Integration, The Danish Immigration Service, Ethiopia: Political situation and treatment of opposition, September 2018, Deutsche (Teil)-Übersetzung [im Folgenden: The Danish Immigration Service] S. 11), wurde dieser am 2. April 2018 als neuer Premierminister vereidigt. Zwar kommt Abiy Ahmed ebenfalls aus dem Regierungsbündnis der EPRDF, ist aber der Erste in diesem Amt, der in Äthiopien der Ethnie der Oromo angehört (vgl. Amnesty International, Stellungnahme vom 11.7.2018 zum Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 26.3.2018 S. 1), der größten ethnischen Gruppe Äthiopiens, die sich jahrzehntelang gegen wirtschaftliche, kulturelle und politische Marginalisierung wehrte (vgl. Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe-Länderanalyse vom 26.9.2018 zum Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 26.3.2018 [im Folgenden: Schweizerische Flüchtlingshilfe] S. 5).

Seit seinem Amtsantritt hat Premierminister Abiy Ahmed eine Vielzahl tiefgreifender Reformen in Äthiopien umgesetzt. Mitte Mai 2018 wurden das Kabinett umgebildet und altgediente EPRDF-Funktionsträger abgesetzt; die Mehrheit des Kabinetts besteht nun aus Oromo. Die bisher einflussreiche TPLF, die zentrale Stellen des Machtapparates und der Wirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht hatte (vgl. Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 17.10.2018 [im Folgenden: AA, Ad-hoc-Bericht] S. 8), stellt nur noch zwei Minister (vgl. SWP-Aktuell von Juni 2018). Auch der bisherige Nachrichten- und Sicherheitsdienstchef und der Generalstabschef wurden ausgewechselt (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 14.6.2018 S. 1; „Focus Äthiopien - Der politische Umbruch 2018“ vom 16. Januar 2019 der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, Staatssekretariat für Migration SEM [im Folgenden: SEM] S. 8 f). Die renommierte Menschenrechtsanwältin Meaza Ashenafi wurde zur ranghöchsten Richterin des Landes ernannt (vgl. Republik Österreich, Länderinformationsblatt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Äthiopien vom 8.1.2019 [im Folgenden: BFA Länderinformationsblatt] S. 6; SEM S. 7). Am 5. Juni 2018 wurde der am 16. Februar 2018 verhängte sechsmonatige Ausnahmezustand vorzeitig beendet. Mit dem benachbarten Eritrea wurde ein Friedensabkommen geschlossen und Oppositionsparteien eingeladen, aus dem Exil zurückzukehren (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 5 f.; The Danish Immigration Service S. 5, 10; SEM S. 6).

Gerade auch für (frühere) Oppositionelle hat sich die Situation deutlich und mit asylrechtlicher Relevanz verbessert. Bereits unmittelbar nach dem Amtsantritt von Premierminister Abiy Ahmed im April 2018 wurde das berüchtigte „Maekelawi-Gefängnis“ in Addis Abeba geschlossen, in dem offenbar insbesondere auch aus politischen Gründen verhaftete Gefangene verhört worden waren (vgl. The Danish Immigration Service S. 5, 14; BFA Länderinformationsblatt S. 24; AA, Ad-hoc-Bericht S. 17). Im August 2018 wurde auch das bis dahin für Folter berüchtigte „Jail Ogaden“ in der Region Somali geschlossen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 24 f.). In der ersten Jahreshälfte 2018 sind ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte Personen vorzeitig entlassen worden. Seit Anfang des Jahres sind über 7.000 politische Gefangene freigelassen worden, darunter führende Oppositionspolitiker wie der Oppositionsführer der Region Oromia, Merera Gudina, und sein Stellvertreter Bekele Gerba (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 9 f.), weiterhin der Anführer von Ginbot7, Berghane Nega, der unter dem früheren Regime zum Tode verurteilt worden war, und der Kommandant der ONLF, Abdikarim Muse Qalbi Dhagah (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 6). Am 26. Mai 2018 wurde Andargachew Tsige, ein Führungsmitglied von Ginbot7, begnadigt, der sich kurz nach seiner Entlassung öffentlichwirksam mit Premierminister Abiy Ahmed getroffen hatte (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 10). Neben führenden Politikern befinden sich unter den Freigelassenen auch Journalisten und Menschenrechtsaktivisten (The Danish Immigration Service S. 13).

Am 20. Juli 2018 wurde zudem ein allgemeines Amnestiegesetz erlassen, nach welchem Personen, die bis zum 7. Juni 2018 wegen Verstoßes gegen bestimmte Artikel des äthiopischen Strafgesetzbuches sowie weiterer Gesetze, insbesondere wegen begangener politischer Vergehen, strafrechtlich verfolgt wurden, innerhalb von sechs Monaten einen Antrag auf Amnestie stellen konnten (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 7.2.2019 [im Folgenden: AA, Stellungnahme vom 7.2.2019]; AA, Ad-hoc-Bericht S. 11; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 5; The Danish Immigration Service S. 14).

Weiterhin wurde am 5. Juli 2018 die Einstufung der Untergrund- und Auslands-Oppositionsgruppierungen Ginbot7 (auch Patriotic Ginbot7 oder PG7), OLF und ONLF (Ogaden National Liberation Front) als terroristische Organisationen durch das Parlament von der Terrorliste gestrichen und die Oppositionsgruppen wurden eingeladen, nach Äthiopien zurückzukehren, um am politischen Diskurs teilzunehmen (vgl. AA, Stellungnahme vom 7.2.2019; AA, Ad-hoc-Bericht S. 18 f.; The Danish Immigration Service S. 5, 14 f.; SEM S. 15; VG Bayreuth, U. v. 31.10.2018 - B 7 K 17.32826 - juris Rn. 44 m.w.N.). Daraufhin sind sowohl Vertreter der OLF (Jawar Mohammed) als auch der Ginbot7 (Andargachew Tsige) aus der Diaspora nach Äthiopien zurückgekehrt (vgl. The Danish Immigration Service S. 5, 14 f.; SEM S. 17, 19). Nach einem Treffen des Gründers und Vorsitzenden der Ginbot7 (Berhanu Nega) mit Premierminister Abiy Ahmed im Mai 2018 hat die Ginbot7 der Gewalt abgeschworen (SEM S. 17). Die ONLF verkündete am 12. August 2018 einen einseitigen Waffenstillstand und unterzeichnete am 21. Oktober 2018 ein Friedensabkommen mit der äthiopischen Regierung (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 22; SEM S. 24 f.). 1.700 Rebellen der ONLF in Äthiopien haben inzwischen ihre Waffen niedergelegt (vgl. Neue Züricher Zeitung vom 9.2.2019 „Separatisten in Äthiopien legen Waffen nieder“). Am 7. August 2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der OLF in Asmara (Eritrea) ein Versöhnungsabkommen. Am 15. September 2018 wurde in Addis Abeba die Rückkehr der OLF unter der Führung von Dawud Ibsa gefeiert. Die Führung der OLF kündigte an, nach einer Aussöhnung mit der Regierung fortan einen friedlichen Kampf für Reformen führen zu wollen (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes vom 17.9.2018 - Äthiopien; SEM S. 19; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 5; WELT vom 15.9.2018, „Zehntausende begrüßen Rückkehr der Oromo-Rebellen in Äthiopiens Hauptstadt“). In den vergangenen sechs Monaten sind verschiedene herausgehobene äthiopische Exilpolitiker nach Äthiopien zurückgekehrt, die nunmehr teilweise aktive Rollen im politischen Geschehen haben (vgl. AA, Stellungahme vom 7.2.2019). So wurde etwa die Oppositionspolitikerin Birtukan Mideksa, die Anfang November 2018 nach sieben Jahren Exil in den Vereinigten Staaten zurückkehrte, am 23. November 2018 zur Vorsitzenden der nationalen Wahlkommission gewählt (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 23; SEM S. 7).

Schließlich wurden Verbote für soziale Medien aufgehoben. Im Juni 2018 hat die Regierung beschlossen, eine Reihe von Webseiten, Blogs, Radio- und TV-Sendern zu entsperren, die für die Bevölkerung vorher nicht zugänglich gewesen sind. Dies betraf nach Bericht eines nationalen Beobachters auch die beiden in der Diaspora angesiedelten TV-Sender ESAT und OMN (vgl. The Danish Immigration Service S. 12); die Anklage gegen den Leiter des OMN, Jawar Mohammed, wurde fallengelassen (vgl. BFA Länderinformationsblatt, S. 22).

Unter Zugrundelegung dieser positiven Entwicklungen ist nicht anzunehmen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage der Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund der von ihr angegebenen früheren oppositionellen Tätigkeit noch Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin für den Fall einer früheren eigenen Unterstützung der EPPF (Ethiopian People’s Patriotic Front) durch das Kopieren, Schreiben und die Weitergabe politischer Schriftstücke oder infolge der vorgetragenen Unterstützung der EPPF durch ihren Vater in Äthiopien verfolgt werden könnte. Vor allem aufgrund der Tatsache, dass die EPPF der Ginbot7 nahesteht (der Armeeflügel der EPPF wurde 2006 mit Ginbot7 verschmolzen, vgl. AA, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 14.6.2018 S. 2; im Jahr 2015 haben sich Ginbot7 und EPPF zum Bündnis „Arbegnoch - Ginbot7 for Unity and Democracy Movement (AGUDM)“ zusammengeschlossen, vgl. GIGA - Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien, Stellungnahme vom 19.5.2018 an den Verwaltungsgerichtshof S. 5) und die Ginbot7 von der Terrorliste gestrichen wurde, tausende von politischen Gefangenen freigelassen wurden und in den vergangenen Monaten sogar ehemals führende Oppositionspolitiker unbehelligt nach Äthiopien zurückgekehrt sind, spricht alles dafür, dass auch die Klägerin trotz einer eventuellen früheren Verfolgung im Falle ihrer Rückkehr keiner der in § 3a AsylG aufgeführten Verfolgungshandlungen (mehr) ausgesetzt sein wird.

bb) Zwar haben die Reformbestrebungen des neuen Premierministers auch Rückschläge erlitten. So ist es in Äthiopien in den vergangenen Monaten mehrfach zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen der Regierung und der Bevölkerung gekommen. Auch leidet das Land mehr denn je unter ethnischen Konflikten (vgl. The Danish Immigration Service S. 11). Am 15. September 2018 kam es nach Rückkehr der Führung der OLF zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten verschiedener Lager sowie zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, die zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert haben. Zu weiteren Todesopfern kam es, als tausende Menschen gegen diese Gewaltwelle protestierten (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 8, 19; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 7). Bei einer Demonstration gegen die Untätigkeit der Regierung bezüglich der ethnisch motivierten Zusammenstöße im ganzen Land vertrieb die Polizei die Demonstranten gewaltsam und erschoss dabei fünf Personen. Insgesamt 28 Menschen fanden bei den Zusammenstößen angeblich den Tod. Kurz darauf wurden mehr als 3.000 junge Personen festgenommen, davon 1.200 wegen ihrer Teilnahme an der Demonstration gegen ethnische Gewalt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 7), die laut Angaben der Polizei nach „Resozialisierungstrainings“ allerdings wieder entlassen wurden (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 11; SEM S. 20). Auch soll die äthiopische Luftwaffe bei Angriffen im Regionalstaat Oromia am 12./13. Januar 2019 sieben Zivilisten getötet haben. Die Regierung räumte hierzu ein, Soldaten in die Region verlegt zu haben, warf der OLF aber kriminelle Handlungen vor. Mit einer Militäroffensive sollte die Lage wieder stabilisiert werden (vgl. BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien; vgl. auch SEM S. 21 f.).

Auch in den Regionen sind Gewaltkonflikte nach wie vor nicht unter Kontrolle (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 6 f.; SEM S. 30 ff.). In den Regionen Oromia, SNNPR, Somali, Benishangul Gumuz, Amhara und Tigray werden immer mehr Menschen durch Gewalt vertrieben. Aufgrund der Ende September 2018 in der Region Benishangul Gumuz einsetzenden Gewalt wurden schätzungsweise 240.000 Menschen vertrieben (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 8 f.). Rund um den Grenzübergang Moyale kam es mehrfach, zuletzt Mitte Dezember 2018, zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Volksgruppen der Somali- und Oromia-Region sowie den Sicherheitskräften, bei denen zahlreiche Todesopfer zu beklagen waren. Über 200.000 Menschen sind seit Juli 2018 vor ethnischen Konflikten in der Somali-Region geflohen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 9 f.). Auch in der Region Benishangul Gumuz sind bewaffnete Oppositionsgruppen und Banden aktiv und es bestehen Konflikte zwischen verfeindeten Ethnien, welche regelmäßig zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Trotz des Einsatzes von Sicherheitskräften des Bundes zur Unterdrückung der Gewalt dauern die Konflikte weiterhin an. Ebenso gibt es an der Grenze zwischen der Region Oromia und der SNNPR bewaffnete Auseinandersetzungen. Insgesamt erhöhte sich die Zahl an Binnenflüchtlingen in Äthiopien deswegen allein in der ersten Jahreshälfte 2018 auf etwa 1,4 Millionen Menschen (vgl. Neue Züricher Zeitung vom 27.12.2018, „Äthiopiens schmaler Grat zwischen Demokratie und Chaos“).

Bei diesen Ereignissen handelt es sich nach Überzeugung des Senats auf der Grundlage der angeführten Erkenntnismittel aber nicht um gezielte staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen Oppositionelle wegen ihrer politischen Überzeugung, sondern um Vorfälle in der Umbruchsphase des Landes bzw. um Geschehnisse, die sich nicht als Ausdruck willentlicher und zielgerichteter staatlicher Rechtsverletzungen, sondern als Maßnahmen zur Ahndung kriminellen Unrechts oder als Abwehr allgemeiner Gefahrensituationen darstellen. Dies zeigt etwa auch die Tatsache, dass das äthiopische Parlament am 24. Dezember 2018 ein Gesetz zur Einrichtung einer Versöhnungskommission verabschiedet hat, deren Hauptaufgabe es ist, der innergemeinschaftlichen Gewalt ein Ende zu setzen und Menschenrechtsverletzungen im Land zu dokumentieren (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 20). Am 20. Dezember 2018 hat das äthiopische Repräsentantenhaus als Reaktion auf die ethnischen Konflikte zudem beschlossen, auf Bundesebene eine Kommission für Verwaltungsgrenzen und Identitätsfragen zu schaffen (vgl. SEM S. 32 f.).

cc) Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, die Situation in Äthiopien sei trotz des politischen Umbruchs noch nicht stabil, ist dies tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Dem kommt nach Auffassung des Senats aber asylrechtlich keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Der Klägerin ist zuzugestehen, dass trotz der tiefgreifenden Veränderungen in Äthiopien seit der Machtübernahme von Premierminister Abiy Ahmed die Verhältnisse noch nicht als gefestigt gewertet werden können. Dafür dürfte vor allem der Umstand sprechen, dass sich nach dem Machtantritt des neuen Premierministers, der vor allem mit den Stimmen aus Oromia und Amhara, aber gegen die Stimmen der Tigray und der Vertreter der Region der südlichen Nationen gewählt wurde, die Spannungen zwischen der regierenden EPRDF, die bislang von der Ethnie ihrer Gründungsgruppe TPLF dominiert wurde, welche die Tigray repräsentiert, und der Region Tigray in jüngster Zeit verschärft haben, offenbar nachdem die Regierung gegen Mitglieder der TPLF vorgegangen war. Als Folge der veränderten Machtverhältnisse innerhalb der Führung der EPDRF sind neue Formen der ethnisch motivierten Gewalt aufgetreten (vgl. The Danish Immigration Service S. 9, 11; SEM S. 8 ff., 26), die vor allem in den Regionen nach wie vor nicht unter Kontrolle sind. Hierdurch ist die Zahl der Binnenflüchtlinge erheblich gestiegen und die Gefahr einer Teilung des Landes bleibt nicht ausgeschlossen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 7; Neue Züricher Zeitung vom 27.12.2018, „Äthiopiens schmaler Grat zwischen Demokratie und Chaos“). Auch auf Premierminister Abiy Ahmed selbst wurde bereits ein Anschlag verübt (nordbayern.de vom 18.11.2018 „Für eine Rückkehr nach Äthiopien ist es viel zu früh“; vgl. SWP-Aktuell Nr. 32 von Juni 2018, „Abiy-Superstar - Reformer oder Revolutionär“) und gegen ihn ein Putschversuch unternommen (vgl. SEM S. 29).

Für das Vorliegen „stichhaltiger Gründe“ im Sinn des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU, durch die die Vermutung der Wiederholung einer Vorverfolgung widerlegt wird, ist es aber nicht erforderlich, dass die Gründe, die die Wiederholungsträchtigkeit einer Vorverfolgung entkräften, dauerhaft beseitigt sind. Soweit in Teilen der Literatur und der Rechtsprechung - ohne genauere Auseinandersetzung mit der insoweit einschlägigen Bestimmung des Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU - die Auffassung vertreten wird, dass die nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU maßgebenden stichhaltigen Gründe keine anderen Gründe sein könnten als die, die im Rahmen der „Wegfall der Umstände-Klausel“ des Art. 11 Abs. 1 Buchstabe e und f RL 2011/95/EU maßgebend sind (vgl. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, § 29 Rn. 58; VGH BW, U.v. 27.8.2014 - A 11 S 1128/14 - Asylmagazin 2014, 389 = juris Rn. 34; U.v. 3.11.2016 - A 9 S 303/15 - juris Rn. 35; U.v. 30.5.2017 - A 9 S 991/15 - juris Rn. 28), vermag dem der Senat nicht zu folgen. Anders als im Rahmen der Prüfung eines nachträglichen Grundes für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 11 Abs. 1 Buchstabe e und f RL 2011/95/EU, bei der nach Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU zu untersuchen ist, ob die Veränderung der Umstände, aufgrund derer ein Drittstaatangehöriger oder ein Staatenloser als Flüchtling anerkannt wurde, erheblich und nicht nur vorübergehend ist, sieht die Regelung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU eine solche Untersuchung nicht vor.

Eine entsprechende Heranziehung des Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU im Rahmen der Prüfung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU scheidet nach Auffassung des Senats aus, weil die Sach- und Interessenlage in beiden Fällen nicht vergleichbar ist. Während es im Rahmen des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU nämlich um eine Beweiserleichterung für die erstmalige Anerkennung eines Asylsuchenden als Flüchtling geht, betrifft Art. 11 RL 2011/95/EU, der seine Umsetzung in den §§ 72 ff. AsylG erfahren hat, die Beendigung und das Erlöschen des Flüchtlingsstatus nach einer bereits erfolgten Anerkennung. Im letzteren Fall hat der Betroffene also bereits einen gesicherten Rechtsstatus erhalten, der ihm nach dem Willen des Richtliniengebers aus Gründen des Vertrauensschutzes nur unter engen Voraussetzungen wieder entzogen können werden soll (vgl. zur gleichlautenden (Vorgänger-)Regelung des Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG: Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates, KOM(2001) 510 endgültig, S. 26 f., wonach „der Mitgliedstaat, der sich auf die Beendigungsklausel beruft, sicherstellen muss, dass Personen, die das Land aus zwingenden, auf früheren Verfolgungen oder dem Erleiden eines ernsthaften nicht gerechtfertigten Schadens beruhenden Gründen nicht verlassen wollen, ein angemessener Status zuerkannt wird und sie die erworbenen Rechte behalten“; vgl. auch zum Erlöschen des subsidiären Schutzes nach Art. 16 RL 2011/95/EU die Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot vom 24.1.2019 zur Rechtssache C-720/17, wonach „nach dem Willen des Unionsgesetzgebers die Veränderung so wesentlich und nicht nur vorübergehend sein muss, dass zuerkannte Status nicht ständig in Frage gestellt werden, wenn sich die Lage im Herkunftsland der Begünstigten kurzfristig ändert, was diesen die Stabilität ihrer Situation garantiert“). An einem entsprechenden Vertrauensschutz fehlt es, wenn ein Kläger sein Heimatland zwar vorverfolgt im Sinn des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU verlassen hat, ihm jedoch noch kein Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Etwas anderes lässt sich auch nicht dem von der zitierten Rechtsprechung und Literatur in Bezug genommenen Urteil des EuGH vom 2. März 2010 (Az. C-175/08 u.a. - NVwZ 2010, 505 - Abdullah) entnehmen, zumal auch diese Entscheidung lediglich das Erlöschen des Flüchtlingsstatus betrifft.

b) Ebenso wenig ergibt sich nach aktueller Auskunftslage die Gefahr politischer Verfolgung aufgrund von Umständen nach der Ausreise der Klägerin aus Äthiopien (sog. Nachfluchtgründe, § 28 Abs. 1a AsylG). Insbesondere ist die exilpolitische Betätigung der Klägerin in Deutschland für die der Ginbot7 nahestehenden EPPFG bzw. der Nachfolgeorganisation EDFM (Ethiopian Democratic Forces Movement) infolge der Veränderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien nicht (mehr) geeignet, eine derartige Furcht zu begründen.

Insoweit gelten die obigen Ausführungen (vgl. unter Rn.27 ff.) entsprechend. Aufgrund der jüngsten gesetzlichen Regelungen und der Maßnahmen der Regierung unter Führung von Premierminister Abiy Ahmed, insbesondere der Streichung der Ginbot7 von der Terrorliste und der Rückkehr namhafter Exilpolitiker, kann nicht (mehr) angenommen werden, dass äthiopische Staatsangehörige aufgrund ihrer exilpolitischen Tätigkeit, etwa weil sie - wie die Klägerin - (einfaches) Mitglied der EPCOU (Ethiopian Political and Civil Organization Union) sowie der EPPFG bzw. EDFM sind oder waren oder weil sie diese Organisation durch die Teilnahme an Demonstrationen oder Versammlungen oder andere Aktivitäten wie etwa als Editor, Bayer Media and Communication Head oder Nachrichtensprecherin oder auch durch regierungskritische Äußerungen oder Veröffentlichungen in exilpolitischen Zeitschriften oder sonstigen Medien unterstützt haben, im Fall ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen bedroht sind (vgl. ebenso VG Bayreuth, U.v. 31.10.2018 - B 7 K 17.32826 - juris Rn. 48; VG Regensburg, U.v. 13.11.2018 - RO 2 K 17.32132 - juris Leitsatz und Rn. 34; VG Düsseldorf, U.v. 13.12.2018 - 6 K 4004/17.A - juris Rn. 54). Dies bestätigt auch die Einschätzung des Auswärtigen Amts, wonach aktuell nicht davon auszugehen ist, dass eine (einfache) Mitgliedschaft in einer in Deutschland exilpolitisch tätigen Organisation, die in Äthiopien nicht (mehr) als Terrororganisation eingestuft ist, bzw. in einer ihr nahestehenden Organisation bei aktueller Rückkehr nach Äthiopien negative Auswirkungen nach sich zieht (vgl. AA, Stellungnahme vom 7.2.2019 S. 2). Ähnlich äußerte sich ein Vertreter der Britischen Botschaft, nach dessen Einschätzung es Mitgliedern der Diaspora, die sich entscheiden, nach Äthiopien zurückzukehren, erlaubt ist, sich wieder als Bürger in die Gesellschaft zu integrieren und etwa auch Privatunternehmen zu gründen (vgl. The Danish Immigration Service S. 19). Hinzukommt, dass nach eigener Darstellung der Klägerin die Organisationen, für welche sie in Deutschland tätig war, seit etwa einem Jahr ihre Aktivitäten eingestellt haben, um den Wandel und den neuen Premierminister Abiy Ahmed zu unterstützen (vgl. S. 4 der Sitzungsniederschrift vom 12.3.2019).

Abgesehen davon begründet infolge der grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien seit April 2018 allein die Tatsache, dass sich äthiopische Asylbewerber in Deutschland exponiert (vgl. zu diesem Kriterium BayVGH, B.v. 14.11.2017 - 21 ZB 17.31340 - juris Rn. 2; B.v. 14.7.2015 - 21 ZB 15.30119 - juris Rn. 5; U.v. 25.2.2008 - 21 B 07.30363 - juris Rn. 16) exilpolitisch betätigt haben, grundsätzlich nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine relevante Verfolgungsgefahr; eine Rückkehrgefährdung erscheint auf Basis der aktuellen Auskunftslage allenfalls noch in besonders gelagerten Ausnahmefällen denkbar (vgl. BayVGH, U.v. 13.2.2019 - 8 B 18.30257 - noch nicht veröffentlicht; ebenso VG Bayreuth, U.v. 5.9.2018 - B 7 K 17.33349 - juris Rn. 64; ähnlich VG Regensburg, B.v. 19.6.2018 - RO 2 E 18.31617 - juris Rn. 25; VG Ansbach, B.v. 11.10.2018 - AN 3 E 18.31175 - juris Rn. 36). Diese Einschätzung wird insbesondere dadurch belegt, dass inzwischen namhafte Vertreter der äthiopischen Exilopposition der Einladung des neuen Premierministers gefolgt und zurückgekehrt sind, um sich am politischen Diskurs in Äthiopien zu beteiligen (vgl. The Danish Immigration Service S. 5; BFA Länderinformationsblatt S. 5; SEM S. 15; vgl. eingehend hierzu oben Rn. 31).

Auch der Hinweis der Klägerin auf regionale (ethnische) Konflikte rechtfertigt keine andere Einschätzung. Dass es in letzter Zeit nach ethnischen Auseinandersetzungen zu gewalttätigen Zusammenstößen von Oppositionsgruppen mit der Regierung gekommen ist (vgl. BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien), liegt nach der Überzeugung das Bestreben der Regierung zugrunde, bewaffnete Oppositionsgruppen und Banden sowie bestehende Konflikte zwischen verfeindeten Ethnien zu bekämpfen und durch hohe Präsenz von Regierungstruppen und Sicherheitskräften und gegebenenfalls durch militärisches Eingreifen die Lage zu beruhigen (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 9; BFA Länderinformationsblatt S. 11, 15; BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien). Insoweit handelt es sich nicht um gezielte staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen Oppositionelle, sondern um die Ahndung kriminellen Unrechts und die Abwehr allgemeiner Gefahren.

Für die Annahme der Klägerin, nur prominente Oppositionspolitiker würden vom Staat verschont, unbekannte Personen, die sich gegen die Politik der regierenden EPRDF gestellt hätten oder stellten, seien hingegen weiterhin von Verfolgung bedroht, gibt es ebenfalls keine Anhaltpunkte. Insbesondere rechtfertigt der Umstand, dass nach dem Amtsantritt von Premierminister Abiy Ahmed weiterhin zahlreiche Personen ohne Anklage in Haft verblieben sind (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 6, 9), nicht die Annahme, dass Rückkehrer aus dem Exil mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen müssten, zumal nach Angaben eines nationalen Beobachters eine Reihe von Gefangenen schlichtweg „vergessen wurde“ (vgl. The Danish Immigration Service S. 13 f.). Darüber hinaus spricht auch der generelle Erlass des Amnestiegesetzes gegen die Annahme, nur herausgehobene politische Gegner könnten hiervon betroffen sein. Schließlich sind keine Fälle bekannt, in denen zurückgekehrte Äthiopier, die in Deutschland exilpolitisch tätig waren, wegen ihrer exilpolitischen Tätigkeit durch die äthiopischen Behörden inhaftiert oder misshandelt wurden (vgl. AA, Stellungnahme vom 14.6.2018 S. 4; AA, Ad-hoc-Bericht S. 25). Auch wenn die sechsmonatige Frist zur Beantragung der Amnestie inzwischen abgelaufen ist, worauf die Klägerin hinweist, ist angesichts des unter Abiy Ahmed eingeleiteten Dialogs zur Rückkehr und zum Dialog von Oppositionsangehörigen (vgl. oben unter I.2 a) aa)) grundsätzlich nicht mit Verfolgungsmaßnahmen gegen im Ausland exilpolitisch tätig gewordenen Asylbewerbern zu rechnen.

c) Angesichts der in das Verfahren eingeführten und aufgrund des Beweisbeschlusses vom 26. März 2018 eingeholten Erkenntnisquellen (insbesondere AA, Auskünfte vom 7.2.2019 an den Verwaltungsgerichtshof bzw. das Verwaltungsgericht Dresden und Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 17.10.2018, BFA Länderinformationsblatt vom 8.1.2018; The Danish Immigration Service, September 2018) verfügt der Senat über die erforderliche Sachkunde, ohne dass es der Einholung weiterer Sachverständigengutachten oder Auskünfte bedurfte (vgl. BVerwG, B.v. 27.3.2000 - 9 B 518.99 - NVwZ 2000, Beilage Nr. 9, 99 = juris Rn. 12; B.v. 11.2.1999 - 9 B 381.98 - DVBl 1999, 1206 = juris Rn. 4; OVG Berlin-Bbg, U.v. 12.2.2019 - OVG 3 B 27.17 - juris Rn. 45). Dem in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bedingt gestellten Beweisantrag zu der behaupteten Tatsache, dass äthiopische Staatsangehörige, die in Deutschland für die EPPFG sowie die EDFMS politisch aktiv und dies gerade in einer Leitungsfunktion sind oder dies gewesen sind, im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien aufgrund ihrer exilpolitischen Aktivitäten festgenommen, für unbestimmte Zeit in Haft gehalten wurden und werden und ihnen durch äthiopische Sicherheitskräfte Misshandlungen und Folterungen drohen, musste deshalb nicht entsprochen werden.

Die Klägerin hat zudem nicht substanziiert dargetan, dass die beantragte Beweiserhebung bessere oder andere Erkenntnisse bringen würde als die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Materialien (vgl. BayVGH, B.v. 17.12.2014 - 13a ZB 14.30073 - juris Rn. 8). Soweit sie sich darauf beruft, die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017 an den Verwaltungsgerichtshof sei widersprüchlich bzw. unzureichend, weil sie auf das Schreiben vom 14. Juni 2018 verweise, in dem es die Rückkehrgefährdung einfacher Mitlieder exilpolitischer Organisationen nicht abschließend bewertet habe und sich mit der Aussage des Ad-hoc-Berichts vom 17. Oktober 2018, der eine Rückkehrgefährdung dieser Personen für möglich halte, nicht auseinandersetze, kann dem nicht gefolgt werden. Die daraus gezogene Schlussfolgerung des Klägers, es sei nicht hinreichend geklärt, wie sich die Verfolgungssituation von Oppositionellen in Äthiopien aktuell darstelle, teilt der Senat nicht. Die Aussagekraft der Einschätzung des Auswärtigen Amtes, es sei nicht davon auszugehen, dass eine (einfache) Mitgliedschaft einer in Deutschland exilpolitisch tätigen Organisation, die in Äthiopien nicht (mehr) als Terrororganisation eingestuft ist bzw. einer ihr nahestehenden Organisation, bei aktueller Rückkehr nach Äthiopien negative Auswirkungen nach sich zieht (vgl. S. 2 des Schreibens an den Verwaltungsgerichtshof vom 7.2.2019) wird nicht dadurch geschmälert, dass sich die Auskunftsbehörde nicht ausdrücklich mit ihren früheren, hiervon teilweise abweichenden Einschätzungen, auseinandersetzt. Im Übrigen hat das Auswärtige Amt seine aktuelle Einschätzung in seiner Auskunft an das Verwaltungsgericht Dresden vom 7. Februar 2019, die der Senat in der mündlichen Verhandlung ergänzend in das Verfahren eingeführt hat, bestätigt. Hiernach liegen dem Auswärtigen Amt, dessen Einschätzungen maßgeblich auf vor Ort gewonnenen Erkenntnissen der Auslandsvertretungen beruhen, keine Hinweise darauf vor, dass in jüngster Zeit Anhänger bzw. Unterstützer von der Terrorliste gestrichener oppositioneller Gruppierungen alleine aufgrund dieser Eigenschaft angeklagt oder angegriffen würden (vgl. S. 2 des Schreibens vom 7.2.2019 an das VG Dresden). Diese Bewertung steht auch im Einklang mit der Aussage des Dänischen Ministeriums für Immigration und Integration, wonach sich die Gesamtsituation für die Oppositionsparteien nach der Ernennung Abiy Ahmeds verbessert habe (vgl. The Danish Immigration Service S. 5); die letztgenannte Aussage beruht u.a. auf der Einschätzung der Britischen Botschaft, wonach Personen mit einer mutmaßlichen Verbindung zu Oppositionsgruppen nicht mehr festgenommen und die meisten politischen Gefangenen freigelassen würden (vgl. The Danish Immigration Service S. 23). Inwieweit die vom Kläger vorgelegte Veröffentlichung „Focus Äthiopien - Der politische Umbruch 2018“ vom 16. Januar 2019 der Schweizerischen Eidgenossenschaft diesen u.a. auf Botschaftsinformationen beruhenden Lagebewertungen entgegenstünde, hat der Kläger nicht substanziiert dargelegt. Im Übrigen geht auch dieser Bericht davon aus, dass viele Oppositionsparteien - darunter Ginbot7 (vgl. SEM S. 16 f.) - inzwischen entkriminalisiert sind (vgl. SEM S. 33).

Im Übrigen fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit, soweit sich der bedingte Beweisantrag - in Abweichung von dem für die Entscheidung des Gerichts maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) - auf die Behauptung der Festnahme und Inhaftierung in der Vergangenheit bezieht („wurden“).

II.

Mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 4 AsylG steht der Klägerin auch kein Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes in Deutschland zu.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

1. Dass der Klägerin bei ihrer Rückkehr die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), macht sie selbst nicht geltend.

2. Ebenso wenig kann angesichts der oben genannten grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien angenommen werden, dass der Klägerin in Äthiopien Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohen. Unter dem Gesichtspunkt der schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien scheidet die Gewährung subsidiären Schutzes schon deswegen aus, weil die Gefahr eines ernsthaften Schadens insoweit nicht von einem der in § 3c AsylG genannten Akteure ausgeht, also vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens zu bieten, § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3c AsylG (zu diesem Erfordernis vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 54 ff. m.w.N.).

3. Schließlich steht der Klägerin auch kein Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu.

Nach dieser Vorschrift gilt als ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Ein innerstaatlich bewaffneter Konflikt liegt vor, wenn die Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist. Die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens für jedermann aufgrund eines solchen Konflikts ist erst dann gegeben, wenn der bewaffnete Konflikt eine solche Gefahrendichte für Zivilpersonen mit sich bringt, dass alle Bewohner des maßgeblichen, betroffenen Gebiets ernsthaft individuell bedroht sind. Das Vorherrschen eines so hohen Niveaus willkürlicher Gewalt, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, bleibt außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind. Eine Individualisierung kann sich insbesondere aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) gegeben sein muss. So kann die notwendige Individualisierung ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird (zum Ganzen vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 82 ff. m.w.N.)

Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG bei der Klägerin, die keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände aufweist, nicht vor. Zwar werden, wie vorstehend ausgeführt, in Äthiopien zunehmend ethnische Konflikte mit Waffengewalt ausgetragen, die erhebliche Binnenvertreibungen zur Folge haben. Es gibt nach aktueller Erkenntnislage aber in keiner Region Äthiopiens bürgerkriegsähnliche Zustände. Die Konflikte zwischen Ethnien, wie sie etwa in der Südregion von Gambella oder im Grenzgebiet der Siedlungsgebiete von Oromo und Somali vorkommen, oder die Auseinandersetzungen der Regierung mit bewaffneten Oppositionsbewegungen, insbesondere Ogaden, haben trotz begrenzten Einflusses und Kontrolle der Zentralregierung in der Somali-Region keine derartige Intensität (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 20). Jedenfalls lässt sich für die äthiopische Hauptstadt, wo sich die Klägerin zuletzt aufgehalten hat, bzw. für die Stadt Welkite, aus der sie stammt, nicht feststellen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass jede Zivilperson im Fall einer Rückkehr dorthin allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein.

III.

Die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK auf Grund schlechter humanitärer Bedingungen liegen ebenfalls nicht vor.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 - EMRK - (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Schlechte humanitäre Verhältnisse im Herkunftsland können nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung begründen (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - juris Rn. 9). Sind Armut und staatliche Mittel ursächlich für schlechte humanitäre Bedingungen, kann dies nur in „ganz außergewöhnlichen Fällen“ zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen, nämlich dann, wenn die humanitären Gründe „zwingend“ sind (vgl. EGMR, U. v. 28.6.2011 - 8319/07 - NVwZ 2012, 681 Rn. 278, 282 f.; BVerwG U.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - NVwZ 2019, 61 Rn. 9 unter Verweis auf BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167 Leitsatz 3 und Rn. 23; VGH BW, U. v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 82 ff. m.w.N.).

Dass sich die Klägerin in einer derartigen besonders gravierenden Lage befände, macht sie weder geltend noch ist dies sonst ersichtlich. Zwar ist Äthiopien bei etwa 92,7 Millionen Einwohnern mit einem jährlichen Brutto-National-Einkommen von etwa 927 US-Dollar pro Kopf eines der ärmsten Länder der Welt. Auch wenn das Wirtschaftswachstum in den letzten zehn Jahren wesentlich über dem regionalen und internationalen Durchschnitt lag, lebt ein signifikanter Teil der Bevölkerung unter der absoluten Armutsgrenze. Derzeit leiden fast 8 Millionen Menschen an einer unsicheren Nahrungsmittelversorgung und benötigen humanitäre Hilfe. Hinzu kommt eine hohe Arbeitslosigkeit, die durch die Schwäche des modernen Wirtschaftssektors und die anhaltend hohe Zuwanderung aus dem ländlichen Raum verstärkt wird (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 33 f.).

Trotz dieser schwierigen Bedingungen ist aber nicht ersichtlich, dass die Klägerin ihren Lebensunterhalt in Äthiopien nicht bestreiten könnte. Sie hat eine qualifizierte Schulausbildung von 12 Schuljahren genossen, ist 30 Jahre alt, gesund und arbeitsfähig. Sie hat in Addis Abeba vor ihrer Ausreise in einem eigenen Büro entgeltliche Schreibtätigkeiten ausgeführt und macht derzeit in Deutschland eine Ausbildung im Bereich Mediengestaltung. Anhaltspunkte für eine fehlende Erwerbsmöglichkeit in Äthiopien, insbesondere in der Hauptstadt Addis Abeba, bestehen nicht. Unter Zugrundelegung dieser Umstände ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin bei einer Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage bzw. unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre. Dieser Beurteilung steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin als ledige Mutter eines Kleinkindes nach Äthiopien zurückkehren würde. Das Auswärtige Amt hat in seiner Auskunft an das Verwaltungsgericht Stuttgart vom 13. Juli 2017 ausgeführt, dass es möglich ist, dass eine alleinstehende Mutter in Äthiopien einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann. Auch nach Auskunftslage des BFA sind berufstätige Mütter in Addis Abeba an der Tagesordnung (Länderinformationsblatt S. 30). Da die Klägerin über eine gute Schulbildung sowie eine Berufsausbildung verfügt, hat sie im Vergleich zu anderen äthiopischen Frauen bessere Chancen auf eine Erwerbstätigkeit und ein höheres Gehalt, zumal beides nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes wie in Deutschland oft von Schul- bzw. Sekundarbildung abhängig ist (vgl. S. 1 des Schreibens vom 7.2.2019 an das VG Stuttgart). Im Übrigen leben nach ihren eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung (vgl. S. 4 der Sitzungsniederschrift vom 12.3.2019) ihre alleinstehende Mutter, ihr Bruder sowie noch eine Tante väterlicherseits in Äthiopien. Die Klägerin verfügt damit zum einen über Betreuungsmöglichkeiten für ihren Sohn sowie zum anderen über ein familiäres Netzwerk vor Ort, welches auch nach ihren eigenem Vortrag eine wichtige Vorbedingung dafür ist, als unverheiratete Frau ein eigenes Leben aufzubauen und für sich selbst sorgen zu können.

Vor diesem Hintergrund drängt sich keine Beweiserhebung auf. Dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung bedingt gestellten Beweisantrag zu der behaupteten Tatsache, dass es einer äthiopischen Staatsangehörigen mit einem nichtehelichen Kind ohne familiäre Unterstützung oder Netzwerk unmöglich sei, ihr wirtschaftliches Existenzminimum durch eigene Erwerbstätigkeit sicherzustellen, war nicht weiter nachzugehen. Die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten sowie die von der Klägerin vorgelegten Erkenntnisquellen versetzen den Senat in die Lage, sich über das Beweisthema ein umfassendes Bild zu verschaffen sowie eine hinreichend sichere Beurteilung der aufgeworfenen Frage (vgl. BVerwG, B.v. 27.3.2013 - 10 B 34.12 - NVwZ-RR, 620 ff.). Das Gericht verfügt insofern über genügend eigene Sachkunde. Ferner hat die Klägerin nicht substanziiert dargetan, dass die beantragte Beweiserhebung andere bzw. bessere Erkenntnisse bringen würde als die, die zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden.

Insofern sind weder unter Zugrundelegung der landesweiten Lebensverhältnisse in Äthiopien noch bei Berücksichtigung der persönlichen Situation der Klägerin die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt.

IV.

Ebenso wenig besteht wegen der schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Nach dieser Bestimmung soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach dieser Bestimmung setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt. Allerdings kann ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (vgl. BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 = juris Rn. 31 f. m.w.N.). Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und - wie bei § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK - zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen.

Nach diesen Maßstäben ist bei der Klägerin ein nationales Abschiebungsverbot nach dieser Bestimmung im Hinblick auf die schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien zu verneinen. Die obigen Ausführungen gelten insoweit entsprechend (vgl. oben Rn. 55).

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der nach eigenen Angaben am ... 1993 in D. geborene Kläger ist äthiopischer Staatsangehöriger vom Volk der Amharen. Er gibt an, am 19. März 2014 auf dem Luftweg von Addis Abeba kommend über den Flughafen Frankfurt/Main in das Bundesgebiet eingereist zu sein. Am 2. April 2014 stellte er einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung beim Bundesamt für ... (im Folgenden: Bundesamt) am 13. Oktober 2015 gab der Kläger an, sein Vater habe für die EPPF Medikamente aus Dschibuti geschmuggelt und an verschiedenen Orten gelagert, wo sie der Kläger abgeholt und nahe der Stadt Bahadar an Leute der EPPF übergeben habe. Am 11. Januar 2014 sei sein Vater von der Polizei abgeholt worden. Der Kläger sei verdächtigt worden, Dokumente seines Vaters zu verstecken. Das Lager sei von der Ortsverwaltung mit der Begründung versiegelt worden, sein Vater unterstütze Terroristen. In der Folge sei der Kläger mehrmals bei Autofahrten angehalten worden; er habe Strafen zahlen müssen bzw. der Führerschein sei ihm entzogen worden. Am 22. Januar 2014 sei er zum Polizeirevier verbracht worden. Man habe ihm zwei Fotos gezeigt, auf denen er beim Verladen großer Pakete mit Medikamenten zu sehen sei. Der Hauptmann habe die Namen der Personen auf den Fotos wissen wollen. Als er gesagt habe, diese nicht zu kennen, sei er geschlagen worden; ein Zahn sei ihm ausgeschlagen worden. Am 24. Januar 2014 sei er freigelassen worden mit der Drohung, wenn er irgendetwas mache, ereile ihn das gleiche Schicksal wie seinen Vater. Am nächsten Tag sei er auf Anraten seines Bruders nach Addis Abeba gefahren und von dort am 19. März 2014 mithilfe eines Schleppers ausgereist.

Als Beleg für seine exilpolitischen Aktivitäten für die EPPFG legte der Kläger dem Bundesamt u.a. Bestätigungen vor, die eine Mitgliedschaft seit 9. August 2014 bescheinigen.

Mit Bescheid vom 12. Mai 2016 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers (Nr. 2) sowie seinen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) und subsidiären Schutzes (Nr. 3) ab. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor (Nr. 4). Die Abschiebung nach Äthiopien wurde angedroht, sollte keine Ausreise innerhalb von 30 Tagen erfolgen (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, bei der Polizeigewalt handle es sich um einen „Amtswalterexzess“, der durch äthiopische Sicherheitsbehörden häufiger verübt werde, sodass potenziell jeder Äthiopier damit rechnen müsse. Die exilpolitischen Tätigkeiten begründeten keinen Flüchtlingsschutz, weil sie nicht über Aktivitäten einfacher Mitglieder hinausgingen.

Am 30. Mai 2016 erhob der Kläger hiergegen beim Verwaltungsgericht Regensburg Klage. Mit Schriftsatz vom 6. September 2017 ließ er Teilnahmebescheinigungen der EPPFG und Kopien von Lichtbildern von exilpolitischen Veranstaltungen vorlegen.

Das Verwaltungsgericht Regensburg hat die Klage mit Urteil vom 29. September 2017 abgewiesen. Die Angaben des Klägers zu den Geschehnissen in Äthiopien und seiner Flucht seien nicht glaubhaft. Seine Angaben zu seinen Papieren bzw. die Tatsache, dass er keinerlei Papiere vorgelegt habe, erweckten erhebliche Zweifel an seiner Identität und Glaubwürdigkeit. Bei der Schilderung seines Verfolgungsschicksals sei ein gehäuftes und fast musterartiges Auftreten von Abweichungen festzustellen, sodass davon auszugehen sei, dass es sich nicht um selbst Erlebtes handle. Es sei auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger wegen seiner exilpolitischen Betätigung in Deutschland bei seiner Rückkehr eine Verfolgung drohe. Seine exilpolitische Tätigkeit übersteige nicht das übliche Maß, sodass er von den äthiopischen Behörden nicht als „gefährlicher Oppositioneller“ angesehen werde.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 29. Januar 2018 zugelassene Berufung. Zur Begründung macht der Kläger geltend, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts vorverfolgt ausgereist zu sein. Jedenfalls drohe ihm aufgrund seiner exilpolitischen Aktivitäten Verfolgung. Seit März 2017 übe er die Funktion „intelligence Regensburg and surrounded“ in der EPPFG aus und betätige sich im „Wiederaufbau-Komitee“. Als Beleg für seine exilpolitischen Aktivitäten legte er Bescheinigungen der EPPFG, EDFM sowie Lichtbilder über die Teilnahme an exilpolitischen Veranstaltungen vor. Das Verwaltungsgericht Würzburg gehe in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass einem äthiopischen Staatsangehörigen, der sich - wie der Kläger für die EPPFG - in einem Mindestmaß für eine Organisation betätige, die einer als terroristisch eingestuften Vereinigung nahestehe, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung drohe. Ungeachtet der Streichung von OLF, Ginbot7 und ONLF von der Terrorliste sei es noch zu keiner vollständigen Änderung bei der Verfolgung Oppositioneller gekommen. Tausende politische Gefangene befänden sich weiter in Haft; im September 2018 sei es wieder zu Massenverhaftungen gekommen. Die positiven Veränderungen unter Abiy Ahmed bzw. dessen Handlungen seien in der EPRDF äußerst umstritten. Das Nachgeben Abiy Ahmeds gegenüber der Opposition habe der nicht mehr beherrschbaren Situation in Äthiopien gegolten, ohne dass dies zu einem vollständigen Umdenken in der EPRDF und insbesondere der TPLF geführt habe. Die Amnestieregelung sei hier nicht relevant, weil die sechsmonatige Antragsfrist inzwischen abgelaufen sei.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. September 2017 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, ihm hilfsweise subsidiären Schutz zuzuerkennen sowie hilfsweise festzustellen, dass bei ihm ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich Äthiopien vorliegt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Senat hat durch Beschluss vom 26. März 2018 zu verschiedenen Fragen Beweis erhoben durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amts bzw. schriftlicher Gutachten von Amnesty International, des GIGA-Instituts für Afrika-Studien und der Schweizerische Flüchtlingshilfe u.a. zu der Frage, ob nach der aktuellen innenpolitischen Lage in Äthiopien äthiopischen Staatsangehörigen, allein weil sie (einfaches) Mitglied einer in Deutschland exilpolitisch tätigen, von der äthiopischen Regierung als Terrororganisation eingestuften oder einer ihr nahestehenden Organisation sind, ohne in dieser Organisation eine herausgehobene Stellung innezuhaben, bei ihrer Rückkehr nach Äthiopien von staatlicher Seite schwere physische oder psychische Misshandlungen oder Haft auf bestimmte oder unbestimmte Zeit drohen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die von der Beklagten vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Ablehnung der in der Berufungsinstanz noch geltend gemachten Ansprüche im Bescheid des Bundesamts vom 12. Mai 2016 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Es kann offen bleiben, ob dem Kläger die Ansprüche im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung zustanden. Der Kläger hat jedenfalls in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (vgl. unten Ziff. I.) noch auf subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 AsylG (vgl. unten Ziff. II.). Auch ein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (vgl. unten Ziff. III.) oder nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (vgl. unten Ziff. IV.) steht dem Kläger nicht zu.

I.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG.

1. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, sofern nicht die in dieser Bestimmung angeführten - hier nicht einschlägigen - besonderen Voraussetzungen nach § 60 Abs. 8 AufenthG erfüllt sind. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründe) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

Als Verfolgung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Diese Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (ABl. L 337 S. 9 - im Folgenden: RL 2011/95/EU) umsetzende Legaldefinition der Verfolgungshandlung erfährt in § 3a Abs. 2 AsylG im Einklang mit Art. 9 Abs. 2 RL 2011/95/EU eine Ausgestaltung durch einen nicht abschließenden Katalog von Regelbeispielen. Die Annahme einer Verfolgungshandlung setzt einen gezielten Eingriff in ein nach Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU geschütztes Rechtsgut voraus (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 11). Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind unter anderem gemäß § 3c Nr. 1 und 2 AsylG der Staat und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen. Zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den genannten Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG), wobei es unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).

Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Für die Verfolgungsprognose gilt ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, auch wenn der Antragsteller Vorverfolgung erlitten hat. Dieser im Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchst. d RL 2011/95/EU enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr („real risk“) abstellt; das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 14; U.v. 1.6.2011 - 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 = juris Rn. 22).

Vorverfolgte bzw. geschädigte Asylantragsteller werden durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU privilegiert. Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Handlungen oder Bedrohungen eine Beweiskraft für die Wiederholung in der Zukunft bei, wenn sie eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 15; EuGH, U.v. 2.3.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - NVwZ 2010, 505 = juris Rn. 94). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungshandlungen entkräften (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 = juris Rn. 23).

Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert die Prüfung, ob bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 14; U.v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 = juris Rn. 32). Damit kommt dem qualitativen Kriterium der Zumutbarkeit maßgebliche Bedeutung zu. Eine Verfolgung ist danach beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (vgl. BVerwG, B.v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 - DVBl 2008, 1255 = juris Rn. 37).

2. Nach diesen Maßstäben ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen.

Infolge des den in das Berufungsverfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen zu entnehmenden grundlegenden Wandels der politischen Verhältnisse seit April 2018 und der daraus folgenden Situation für Oppositionelle in Äthiopien kann im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weder angenommen werden, dass dem Kläger aufgrund der behaupteten früheren Ereignisse in Äthiopien (vgl. dazu unten a) noch infolge seiner exilpolitischen Tätigkeit in Deutschland (vgl. dazu unten b) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an den Merkmalen des § 3 Abs. 1 AsylG ausgerichtete, flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht.

a) Es kann offen bleiben, ob der Kläger vor seiner Ausreise aus Äthiopien im Jahr 2014 aufgrund der Geschehnisse, die er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt geschildert hat, bereits verfolgt wurde oder von Verfolgung bedroht war und ob er deshalb die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU für sich in Anspruch nehmen kann. Denn selbst wenn man dies zu seinen Gunsten annimmt, sprechen infolge der grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien nunmehr stichhaltige Gründe gegen die Wiederholung einer solchen Verfolgung, sodass die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EG nicht greift. Dies ergibt sich aus Folgendem:

aa) Die politische Situation in Äthiopien hat sich für Regierungsgegner und Oppositionelle bereits seit Anfang 2018 deutlich entspannt. Anfang des Jahres kündigte der damalige Premierminister Heilemariam Desalegn nach zweijährigen andauernden Protesten Reformmaßnahmen und die Freilassung von politischen Gefangenen an. Am 15. Februar 2018 gab er bekannt, sein Amt als Regierungschef und Parteivorsitzender der regierenden EPRDF (Ethiopian People‘s Revolutionary Democratic Front) niederzulegen, um den Weg für Reformen freizumachen. Dennoch verhängte die äthiopische Regierung am 16. Februar 2018 einen sechsmonatigen Ausnahmezustand mit der Begründung, Proteste und Unruhen verhindern zu wollen. Nachdem der Rat der EPRDF, die sich aus den vier regionalen Parteien TPLF (Tigray People's Liberation Front), ANDM (Amhara National Democratic Movement), OPDO (Oromo People’s Democratic Organisation) und SEPDM (Southern Ethiopian Peoples’ Democratic Movement) zusammensetzt, Abiy Ahmed mit 108 von 180 Stimmen zum Premierminister gewählt hatte (vgl. Stiftung Wissenschaft und Politik/Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, SWP-Aktuell von Juni 2018, „Abiy Superstar - Reformer oder Revolutionär“ [im Folgenden: SWP-Aktuell von Juni 2018]; Ministry of Immigration and Integration, The Danish Immigration Service, Ethiopia: Political situation and treatment of opposition, September 2018, Deutsche (Teil)-Übersetzung [im Folgenden: The Danish Immigration Service] S. 11), wurde dieser am 2. April 2018 als neuer Premierminister vereidigt. Zwar kommt Abiy Ahmed ebenfalls aus dem Regierungsbündnis der EPRDF, ist aber der Erste in diesem Amt, der in Äthiopien der Ethnie der Oromo angehört (vgl. Amnesty International, Stellungnahme vom 11.7.2018 zum Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 26.3.2018 S. 1), der größten ethnischen Gruppe Äthiopiens, die sich jahrzehntelang gegen wirtschaftliche, kulturelle und politische Marginalisierung wehrte (vgl. Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe-Länderanalyse vom 26.9.2018 zum Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 26.3.2018 [im Folgenden: Schweizerische Flüchtlingshilfe] S. 5).

Seit seinem Amtsantritt hat Premierminister Abiy Ahmed eine Vielzahl tiefgreifender Reformen in Äthiopien umgesetzt. Mitte Mai 2018 wurden das Kabinett umgebildet und altgediente EPRDF-Funktionsträger abgesetzt; die Mehrheit des Kabinetts besteht nun aus Oromo. Die bisher einflussreiche TPLF, die zentrale Stellen des Machtapparates und der Wirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht hatte (vgl. Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 17.10.2018 [im Folgenden: AA, Ad-hoc-Bericht] S. 8), stellt nur noch zwei Minister (vgl. SWP-Aktuell von Juni 2018). Auch der bisherige Nachrichten- und Sicherheitsdienstchef und der Generalstabschef wurden ausgewechselt (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 14.6.2018 S. 1; „Focus Äthiopien - Der politische Umbruch 2018“ vom 16. Januar 2019 der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, Staatssekretariat für Migration SEM [im Folgenden: SEM] S. 8 f.). Die renommierte Menschenrechtsanwältin Meaza Ashenafi wurde zur ranghöchsten Richterin des Landes ernannt (vgl. Republik Österreich, Länderinformationsblatt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Äthiopien vom 8.1.2019 [im Folgenden: BFA Länderinformationsblatt] S. 6; SEM S. 7). Am 5. Juni 2018 wurde der am 16. Februar 2018 verhängte sechsmonatige Ausnahmezustand vorzeitig beendet. Mit dem benachbarten Eritrea wurde ein Friedensabkommen geschlossen und Oppositionsparteien eingeladen, aus dem Exil zurückzukehren (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 5 f.; The Danish Immigration Service S. 5, 10; SEM S. 6).

Gerade auch für (frühere) Oppositionelle hat sich die Situation deutlich und mit asylrechtlicher Relevanz verbessert. Bereits unmittelbar nach dem Amtsantritt von Premierminister Abiy Ahmed im April 2018 wurde das berüchtigte „Maekelawi-Gefängnis“ in Addis Abeba geschlossen, in dem offenbar insbesondere auch aus politischen Gründen verhaftete Gefangene verhört worden waren (vgl. The Danish Immigration Service S. 5, 14; BFA Länderinformationsblatt S. 24; AA, Ad-hoc-Bericht S. 17). Im August 2018 wurde auch das bis dahin für Folter berüchtigte „Jail Ogaden“ in der Region Somali geschlossen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 24 f.). In der ersten Jahreshälfte 2018 sind ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte Personen vorzeitig entlassen worden. Seit Anfang des Jahres sind über 7.000 politische Gefangene freigelassen worden, darunter führende Oppositionspolitiker wie der Oppositionsführer der Region Oromia, Merera Gudina, und sein Stellvertreter Bekele Gerba (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 9 f.), weiterhin der Anführer von Ginbot7, Berghane Nega, der unter dem früheren Regime zum Tode verurteilt worden war, und der Kommandant der ONLF, Abdikarim Muse Qalbi Dhagah (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 6). Am 26. Mai 2018 wurde Andargachew Tsige, ein Führungsmitglied von Ginbot7, begnadigt, der sich kurz nach seiner Entlassung öffentlichwirksam mit Premierminister Abiy Ahmed getroffen hatte (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 10). Neben führenden Politikern befinden sich unter den Freigelassenen auch Journalisten und Menschenrechtsaktivisten (The Danish Immigration Service S. 13).

Am 20. Juli 2018 wurde zudem ein allgemeines Amnestiegesetz erlassen, nach welchem Personen, die bis zum 7. Juni 2018 wegen Verstoßes gegen bestimmte Artikel des äthiopischen Strafgesetzbuches sowie weiterer Gesetze, insbesondere wegen begangener politischer Vergehen, strafrechtlich verfolgt wurden, innerhalb von sechs Monaten einen Antrag auf Amnestie stellen konnten (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 7.2.2019 [im Folgenden: AA, Stellungnahme vom 7.2.2019]; AA, Ad-hoc-Bericht S. 11; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 5; The Danish Immigration Service S. 14).

Weiterhin wurde am 5. Juli 2018 die Einstufung der Untergrund- und Auslands-Oppositionsgruppierungen Ginbot7 (auch Patriotic Ginbot7 oder PG7), OLF und ONLF (Ogaden National Liberation Front) als terroristische Organisationen durch das Parlament von der Terrorliste gestrichen und die Oppositionsgruppen wurden eingeladen, nach Äthiopien zurückzukehren, um am politischen Diskurs teilzunehmen (vgl. AA, Stellungnahme vom 7.2.2019; AA, Ad-hoc-Bericht S. 18 f.; The Danish Immigration Service S. 5, 14 f.; SEM S. 15; VG Bayreuth, U. v. 31.10.2018 - B 7 K 17.32826 - juris Rn. 44 m.w.N.). Daraufhin sind sowohl Vertreter der OLF (Jawar Mohammed) als auch der Ginbot7 (Andargachew Tsige) aus der Diaspora nach Äthiopien zurückgekehrt (vgl. The Danish Immigration Service S. 5, 14 f.; SEM S. 17, 19). Nach einem Treffen des Gründers und Vorsitzenden der Ginbot7 (Berhanu Nega) mit Premierminister Abiy Ahmed im Mai 2018 hat die Ginbot7 der Gewalt abgeschworen (SEM S. 17). Die ONLF verkündete am 12. August 2018 einen einseitigen Waffenstillstand und unterzeichnete am 21. Oktober 2018 ein Friedensabkommen mit der äthiopischen Regierung (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 22; SEM S. 24 f.). 1.700 Rebellen der ONLF in Äthiopien haben inzwischen ihre Waffen niedergelegt (vgl. Neue Züricher Zeitung vom 9.2.2019 „Separatisten in Äthiopien legen Waffen nieder“). Am 7. August 2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der OLF in Asmara (Eritrea) ein Versöhnungsabkommen. Am 15. September 2018 wurde in Addis Abeba die Rückkehr der OLF unter der Führung von Dawud Ibsa gefeiert. Die Führung der OLF kündigte an, nach einer Aussöhnung mit der Regierung fortan einen friedlichen Kampf für Reformen führen zu wollen (vgl. Bundesamt für ..., Briefing Notes vom 17.9.2018 - Äthiopien; SEM S. 19; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 5; WELT vom 15.9.2018, „Zehntausende begrüßen Rückkehr der Oromo-Rebellen in Äthiopiens Hauptstadt“). In den vergangenen sechs Monaten sind verschiedene herausgehobene äthiopische Exilpolitiker nach Äthiopien zurückgekehrt, die nunmehr teilweise aktive Rollen im politischen Geschehen haben (vgl. AA, Stellungahme vom 7.2.2019). So wurde etwa die Oppositionspolitikerin Birtukan Mideksa, die Anfang November 2018 nach sieben Jahren Exil in den Vereinigten Staaten zurückkehrte, am 23. November 2018 zur Vorsitzenden der nationalen Wahlkommission gewählt (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 23; SEM S. 7).

Schließlich wurden Verbote für soziale Medien aufgehoben. Im Juni 2018 hat die Regierung beschlossen, eine Reihe von Webseiten, Blogs, Radio- und TV-Sendern zu entsperren, die für die Bevölkerung vorher nicht zugänglich gewesen sind. Dies betraf nach Bericht eines nationalen Beobachters auch die beiden in der Diaspora angesiedelten TV-Sender ESAT und OMN (vgl. The Danish Immigration Service S. 12); die Anklage gegen den Leiter des OMN, Jawar Mohammed, wurde fallengelassen (vgl. BFA Länderinformationsblatt, S. 22).

Unter Zugrundelegung dieser positiven Entwicklungen ist nicht anzunehmen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Klägers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund der von ihm angegebenen früheren oppositionellen Tätigkeit und Flucht noch Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Kläger für den Fall einer früheren Unterstützung der EPPF durch die Beteiligung an einem Medikamentenschmuggel seines Vaters in Äthiopien verfolgt werden könnte. Vor allem aufgrund der Tatsache, dass die EPPF der Ginbot7 nahesteht (der Armeeflügel der EPPF wurde 2006 mit Ginbot7 verschmolzen, vgl. AA, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 14.6.2018 S. 2; im Jahr 2015 haben sich Ginbot7 und EPPF zum Bündnis „Arbegnoch - Ginbot7 for Unity and Democracy Movement (AGUDM)“ zusammengeschlossen, vgl. GIGA - Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien, Stellungnahme vom 19.5.2018 an den Verwaltungsgerichtshof S. 5) und Ginbot7 von der Terrorliste gestrichen wurde, tausende von politischen Gefangenen freigelassen wurden und in den vergangenen Monaten sogar ehemals führende Oppositionspolitiker unbehelligt nach Äthiopien zurückgekehrt sind, spricht alles dafür, dass auch der Kläger trotz einer eventuellen früheren Verfolgung im Falle seiner Rückkehr keiner der in § 3a AsylG aufgeführten Verfolgungshandlungen (mehr) ausgesetzt sein wird.

bb) Zwar haben die Reformbestrebungen des neuen Premierministers auch Rückschläge erlitten. So ist es in Äthiopien in den vergangenen Monaten mehrfach zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen der Regierung und der Bevölkerung gekommen. Auch leidet das Land mehr denn je unter ethnischen Konflikten (vgl. The Danish Immigration Service S. 11). Am 15. September 2018 kam es nach Rückkehr der Führung der OLF zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten verschiedener Lager sowie zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, die zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert haben. Zu weiteren Todesopfern kam es, als tausende Menschen gegen diese Gewaltwelle protestierten (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 8, 19; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 7). Bei einer Demonstration gegen die Untätigkeit der Regierung bezüglich der ethnisch motivierten Zusammenstöße im ganzen Land vertrieb die Polizei die Demonstranten gewaltsam und erschoss dabei fünf Personen. Insgesamt 28 Menschen fanden bei den Zusammenstößen angeblich den Tod. Kurz darauf wurden mehr als 3.000 junge Personen festgenommen, davon 1.200 wegen ihrer Teilnahme an der Demonstration gegen ethnische Gewalt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 7), die laut Angaben der Polizei nach „Resozialisierungstrainings“ allerdings wieder entlassen wurden (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 11; SEM S. 20). Auch soll die äthiopische Luftwaffe bei Angriffen im Regionalstaat Oromia am 12./13. Januar 2019 sieben Zivilisten getötet haben. Die Regierung räumte hierzu ein, Soldaten in die Region verlegt zu haben, warf der OLF aber kriminelle Handlungen vor. Mit einer Militäroffensive sollte die Lage wieder stabilisiert werden (vgl. BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien; vgl. auch SEM S. 21 f.).

Auch in den Regionen sind Gewaltkonflikte nach wie vor nicht unter Kontrolle (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 6 f.; SEM S. 30 ff.). In den Regionen Oromia, SNNPR, Somali, Benishangul Gumuz, Amhara und Tigray werden immer mehr Menschen durch Gewalt vertrieben. Aufgrund der Ende September 2018 in der Region Benishangul Gumuz einsetzenden Gewalt wurden schätzungsweise 240.000 Menschen vertrieben (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 8 f.). Rund um den Grenzübergang Moyale kam es mehrfach, zuletzt Mitte Dezember 2018, zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Volksgruppen der Somali- und Oromia-Region sowie den Sicherheitskräften, bei denen zahlreiche Todesopfer zu beklagen waren. Über 200.000 Menschen sind seit Juli 2018 vor ethnischen Konflikten in der Somali-Region geflohen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 9 f.). Auch in der Region Benishangul Gumuz sind bewaffnete Oppositionsgruppen und Banden aktiv und es bestehen Konflikte zwischen verfeindeten Ethnien, welche regelmäßig zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Trotz des Einsatzes von Sicherheitskräften des Bundes zur Unterdrückung der Gewalt dauern die Konflikte weiterhin an. Ebenso gibt es an der Grenze zwischen der Region Oromia und der SNNPR bewaffnete Auseinandersetzungen. Insgesamt erhöhte sich die Zahl an Binnenflüchtlingen in Äthiopien deswegen allein in der ersten Jahreshälfte 2018 auf etwa 1,4 Millionen Menschen (vgl. Neue Züricher Zeitung vom 27.12.2018, „Äthiopiens schmaler Grat zwischen Demokratie und Chaos“).

Bei diesen Ereignissen handelt es sich nach Überzeugung des Senats auf der Grundlage der angeführten Erkenntnismittel aber nicht um gezielte staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen Oppositionelle wegen ihrer politischen Überzeugung, sondern um Vorfälle in der Umbruchsphase des Landes bzw. um Geschehnisse, die sich nicht als Ausdruck willentlicher und zielgerichteter staatlicher Rechtsverletzungen, sondern als Maßnahmen zur Ahndung kriminellen Unrechts oder als Abwehr allgemeiner Gefahrensituationen darstellen (vgl. AA, Auskunft vom 7.2.2019 gegenüber dem Verwaltungsgericht Dresden, S. 2). Dies zeigt etwa auch die Tatsache, dass das äthiopische Parlament am 24. Dezember 2018 ein Gesetz zur Einrichtung einer Versöhnungskommission verabschiedet hat, deren Hauptaufgabe es ist, der innergemeinschaftlichen Gewalt ein Ende zu setzen und Menschenrechtsverletzungen im Land zu dokumentieren (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 20). Am 20. Dezember 2018 hat das äthiopische Repräsentantenhaus als Reaktion auf die ethnischen Konflikte zudem beschlossen, auf Bundesebene eine Kommission für Verwaltungsgrenzen und Identitätsfragen zu schaffen (vgl. SEM S. 32 f.).

cc) Soweit der Kläger geltend macht, die Situation in Äthiopien sei trotz des politischen Umbruchs noch nicht stabil, ist dies tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Dem kommt nach Auffassung des Senats aber asylrechtlich keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Dem Kläger ist zuzugestehen, dass trotz der tiefgreifenden Veränderungen in Äthiopien seit der Machtübernahme von Premierminister Abiy Ahmed die Verhältnisse noch nicht als gefestigt gewertet werden können. Dafür dürfte vor allem der Umstand sprechen, dass sich nach dem Machtantritt des neuen Premierministers, der vor allem mit den Stimmen aus Oromia und Amhara, aber gegen die Stimmen der Tigray und der Vertreter der Region der südlichen Nationen gewählt wurde, die Spannungen zwischen der regierenden EPRDF, die bislang von der Ethnie ihrer Gründungsgruppe TPLF dominiert wurde, welche die Tigray repräsentiert, und der Region Tigray in jüngster Zeit verschärft haben, offenbar nachdem die Regierung gegen Mitglieder der TPLF vorgegangen war. Als Folge der veränderten Machtverhältnisse innerhalb der Führung der EPDRF sind neue Formen der ethnisch motivierten Gewalt aufgetreten (vgl. The Danish Immigration Service S. 9, 11; SEM S. 8 ff., 26), die vor allem in den Regionen nach wie vor nicht unter Kontrolle sind. Hierdurch ist die Zahl der Binnenflüchtlinge erheblich gestiegen und die Gefahr einer Teilung des Landes bleibt nicht ausgeschlossen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 7; Neue Züricher Zeitung vom 27.12.2018, „Äthiopiens schmaler Grat zwischen Demokratie und Chaos“). Auch auf Premierminister Abiy Ahmed selbst wurde bereits ein Anschlag verübt (SEM S. 9; nordbayern.de vom 18.11.2018 „Für eine Rückkehr nach Äthiopien ist es viel zu früh“; vgl. SWP-Aktuell Nr. 32 von Juni 2018, „Abiy-Superstar - Reformer oder Revolutionär“) und gegen ihn ein Putschversuch unternommen (vgl. SEM S. 29).

Für das Vorliegen „stichhaltiger Gründe“ im Sinn des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU, durch die die Vermutung der Wiederholung einer Vorverfolgung widerlegt wird, ist es aber nicht erforderlich, dass die Gründe, die die Wiederholungsträchtigkeit einer Vorverfolgung entkräften, dauerhaft beseitigt sind. Soweit in Teilen der Literatur und der Rechtsprechung - ohne genauere Auseinandersetzung mit der insoweit einschlägigen Bestimmung des Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU - die Auffassung vertreten wird, dass die nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU maßgebenden stichhaltigen Gründe keine anderen Gründe sein könnten als die, die im Rahmen der „Wegfall der Umstände-Klausel“ des Art. 11 Abs. 1 Buchstabe e und f RL 2011/95/EU maßgebend sind (vgl. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, § 29 Rn. 58; VGH BW, U.v. 27.8.2014 - A 11 S 1128/14 - Asylmagazin 2014, 389 = juris Rn. 34; U.v. 3.11.2016 - A 9 S 303/15 - juris Rn. 35; U.v. 30.5.2017 - A 9 S 991/15 - juris Rn. 28), vermag dem der Senat nicht zu folgen. Anders als im Rahmen der Prüfung eines nachträglichen Grundes für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 11 Abs. 1 Buchstabe e und f RL 2011/95/EU, bei der nach Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU zu untersuchen ist, ob die Veränderung der Umstände, aufgrund derer ein Drittstaatangehöriger oder ein Staatenloser als Flüchtling anerkannt wurde, erheblich und nicht nur vorübergehend ist, sieht die Regelung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU eine solche Untersuchung nicht vor.

Eine entsprechende Heranziehung des Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU im Rahmen der Prüfung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU scheidet nach Auffassung des Senats aus, weil die Sach- und Interessenlage in beiden Fällen nicht vergleichbar ist. Während es im Rahmen des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU nämlich um eine Beweiserleichterung für die erstmalige Anerkennung eines Asylsuchenden als Flüchtling geht, betrifft Art. 11 RL 2011/95/EU, der seine Umsetzung in den §§ 72 ff. AsylG erfahren hat, die Beendigung und das Erlöschen des Flüchtlingsstatus nach einer bereits erfolgten Anerkennung. Im letzteren Fall hat der Betroffene also bereits einen gesicherten Rechtsstatus erhalten, der ihm nach dem Willen des Richtliniengebers aus Gründen des Vertrauensschutzes nur unter engen Voraussetzungen wieder entzogen können werden soll (vgl. zur gleichlautenden (Vorgänger-)Regelung des Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG: Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates, KOM(2001) 510 endgültig, S. 26 f., wonach „der Mitgliedstaat, der sich auf die Beendigungsklausel beruft, sicherstellen muss, dass Personen, die das Land aus zwingenden, auf früheren Verfolgungen oder dem Erleiden eines ernsthaften nicht gerechtfertigten Schadens beruhenden Gründen nicht verlassen wollen, ein angemessener Status zuerkannt wird und sie die erworbenen Rechte behalten“; vgl. auch zum Erlöschen des subsidiären Schutzes nach Art. 16 RL 2011/95/EU die Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot vom 24.1.2019 zur Rechtssache C-720/17, wonach „nach dem Willen des Unionsgesetzgebers die Veränderung so wesentlich und nicht nur vorübergehend sein muss, dass zuerkannte Status nicht ständig in Frage gestellt werden, wenn sich die Lage im Herkunftsland der Begünstigten kurzfristig ändert, was diesen die Stabilität ihrer Situation garantiert“). An einem entsprechenden Vertrauensschutz fehlt es, wenn ein Kläger sein Heimatland zwar vorverfolgt im Sinn des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU verlassen hat, ihm jedoch noch kein Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Etwas anderes lässt sich auch nicht dem von der zitierten Rechtsprechung und Literatur in Bezug genommenen Urteil des EuGH vom 2. März 2010 (Az. C-175/08 u.a. - NVwZ 2010, 505 - Abdullah) entnehmen, zumal auch diese Entscheidung lediglich das Erlöschen des Flüchtlingsstatus betrifft.

b) Ebenso wenig ergibt sich nach aktueller Auskunftslage die Gefahr politischer Verfolgung aufgrund von Umständen nach der Ausreise des Klägers aus Äthiopien (sog. Nachfluchtgründe, § 28 Abs. 1a AsylG). Insbesondere ist die exilpolitische Betätigung des Klägers in Deutschland für die der Ginbot7 nahestehenden EPPFG (Ethiopian People Patriotic Front Guard) infolge der Veränderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien nicht (mehr) geeignet, eine derartige Furcht zu begründen.

Insoweit gelten die obigen Ausführungen (vgl. unter Rn. 26 ff.) entsprechend. Aufgrund der jüngsten gesetzlichen Regelungen und der Maßnahmen der Regierung unter Führung von Premierminister Abiy Ahmed, insbesondere der Streichung der Ginbot7 von der Terrorliste und der Rückkehr namhafter Exilpolitiker, kann nicht (mehr) angenommen werden, dass äthiopische Staatsangehörige aufgrund ihrer exilpolitischen Tätigkeit, etwa weil sie - wie der Kläger - (einfaches) Mitglied der EPPFG sind oder waren oder weil sie diese Organisation durch die Teilnahme an Demonstrationen oder Versammlungen unterstützt haben, im Fall ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen bedroht sind (vgl. ebenso VG Bayreuth, U.v. 31.10.2018 - B 7 K 17.32826 - juris Rn. 48; VG Regensburg, U.v. 13.11.2018 - RO 2 K 17.32132 - juris Leitsatz und Rn. 34; VG Düsseldorf, U.v. 13.12.2018 - 6 K 4004/17.A - juris Rn. 54). Dies bestätigt auch die Einschätzung des Auswärtigen Amts, wonach aktuell nicht davon auszugehen ist, dass eine (einfache) Mitgliedschaft in einer in Deutschland exilpolitisch tätigen Organisation, die in Äthiopien nicht (mehr) als Terrororganisation eingestuft ist, bzw. in einer ihr nahestehenden Organisation bei aktueller Rückkehr nach Äthiopien negative Auswirkungen nach sich zieht (vgl. AA, Stellungnahme vom 7.2.2019 S. 2). Ähnlich äußerte sich ein Vertreter der Britischen Botschaft, nach dessen Einschätzung es Mitgliedern der Diaspora, die sich entscheiden, nach Äthiopien zurückzukehren, erlaubt ist, sich wieder als Bürger in die Gesellschaft zu integrieren und etwa auch Privatunternehmen zu gründen (vgl. The Danish Immigration Service S. 19).

Auch aufgrund seiner innerhalb der EPPFG übernommenen Funktion zur Werbung und Aufklärung von Mitgliedern („intelligence Regensburg and surrounded“ bzw. „Wiederaufbau-Komitee“) drohen dem Kläger bei einer Rückkehr nach Äthiopien nicht (mehr) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlungen. Der Senat vermag aus den hierzu in der mündlichen Verhandlung gegebenen Schilderungen des Klägers (vgl. S. 3 f. der Sitzungsniederschrift vom 12.3.2019) schon nicht zu erkennen, inwieweit damit eine „Leitungsfunktion“ in der EPPFG wahrgenommen würde. Hinzu kommt, dass der Kläger nach eigener Darstellung seit etwa einem Jahr an keiner exilpolitischen Versammlung mehr teilgenommen hat (vgl. S. 3 der Sitzungsniederschrift vom 12.3.2019). Abgesehen davon begründet infolge der grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien seit April 2018 allein die Tatsache, dass sich äthiopische Asylbewerber in Deutschland exponiert (vgl. zu diesem Kriterium BayVGH, B.v. 14.11.2017 - 21 ZB 17.31340 - juris Rn. 2; B.v. 14.7.2015 - 21 ZB 15.30119 - juris Rn. 5; U.v. 25.2.2008 - 21 B 07.30363 - juris Rn. 16) exilpolitisch betätigt haben, grundsätzlich nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine relevante Verfolgungsgefahr; eine Rückkehrgefährdung erscheint auf Basis der aktuellen Auskunftslage allenfalls noch in besonders gelagerten Ausnahmefällen denkbar (vgl. BayVGH, U.v. 13.2.2019 - 8 B 18.30257 - noch nicht veröffentlicht; ebenso VG Bayreuth, U.v. 5.9.2018 - B 7 K 17.33349 - juris Rn. 64; ähnlich VG Regensburg, B.v. 19.6.2018 - RO 2 E 18.31617 - juris Rn. 25; VG Ansbach, B.v. 11.10.2018 - AN 3 E 18.31175 - juris Rn. 36). Diese Einschätzung wird insbesondere dadurch belegt, dass inzwischen namhafte Vertreter der äthiopischen Exilopposition der Einladung des neuen Premierministers gefolgt und zurückgekehrt sind, um sich am politischen Diskurs in Äthiopien zu beteiligen (vgl. The Danish Immigration Service S. 5; BFA Länderinformationsblatt S. 5; SEM S. 15; vgl. eingehend hierzu oben Rn. 30).

Auch der Hinweis des Klägers auf regionale (ethnische) Konflikte rechtfertigt keine andere Einschätzung. Dass es in letzter Zeit nach ethnischen Auseinandersetzungen zu gewalttätigen Zusammenstößen von Oppositionsgruppen - insbesondere der OLF - mit der Regierung gekommen ist (vgl. BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien), liegt nach der Überzeugung das Bestreben der Regierung zugrunde, bewaffnete Oppositionsgruppen und Banden sowie bestehende Konflikte zwischen verfeindeten Ethnien zu bekämpfen und durch hohe Präsenz von Regierungstruppen und Sicherheitskräften und gegebenenfalls durch militärisches Eingreifen die Lage zu beruhigen (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 9; BFA Länderinformationsblatt S. 11, 15; BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien). Insoweit handelt es sich nicht um gezielte staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen Oppositionelle, sondern um die Ahndung kriminellen Unrechts und die Abwehr allgemeiner Gefahren.

Der Umstand, dass nach dem Amtsantritt von Premierminister Abiy Ahmed weiterhin zahlreiche Personen ohne Anklage in Haft verblieben sind (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 6, 9), rechtfertigt ebenfalls nicht die Annahme, dass Rückkehrer aus dem Exil mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen müssten, zumal nach Angaben eines nationalen Beobachters eine Reihe von Gefangenen schlichtweg „vergessen wurde“ (vgl. The Danish Immigration Service S. 13 f.). Der pauschale Einwand des Klägers, von dem gut aufgestellten äthiopischen National Intelligence and Security Service (NISS) werde niemand vergessen, weshalb eine Verfolgungsgefahr fortbestehe, solange aus politischen Gründen Festgenommene inhaftiert blieben, erweist sich als rein spekulativ. Es sind auch keine Fälle bekannt, in denen zurückgekehrte Äthiopier, die in Deutschland exilpolitisch tätig waren, wegen ihrer exilpolitischen Tätigkeit durch die äthiopischen Behörden inhaftiert oder misshandelt wurden (vgl. AA, Stellungnahme vom 14.6.2018 S. 4; AA, Ad-hoc-Bericht S. 25). Auch wenn die sechsmonatige Frist zur Beantragung der Amnestie inzwischen abgelaufen ist, worauf der Kläger hinweist, ist angesichts des unter Abiy Ahmed eingeleiteten Dialogs zur Rückkehr und zum Dialog von Oppositionsangehörigen (vgl. oben Rn. 30) grundsätzlich nicht mit Verfolgungsmaßnahmen gegen im Ausland exilpolitisch tätig gewordenen Asylbewerbern zu rechnen.

c) Angesichts der in das Verfahren eingeführten und aufgrund des Beweisbeschlusses vom 26. März 2018 eingeholten Erkenntnisquellen (insbesondere AA, Auskünfte vom 7.2.2019 an den Verwaltungsgerichtshof bzw. das Verwaltungsgericht Dresden und Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 17.10.2018; BFA Länderinformationsblatt vom 8.1.2018; The Danish Immigration Service, September 2018) verfügt der Senat über die erforderliche Sachkunde, ohne dass es der Einholung weiterer Sachverständigengutachten oder Auskünfte bedurfte (vgl. BVerwG, B.v. 27.3.2000 - 9 B 518.99 - NVwZ 2000, Beilage Nr. 9, 99 = juris Rn. 12; B.v. 11.2.1999 - 9 B 381.98 - DVBl 1999, 1206 = juris Rn. 4; OVG Berlin-Bbg, U.v. 12.2.2019 - OVG 3 B 27.17 - juris Rn. 45). Dem in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hilfsweise gestellten Beweisantrag zu der behaupteten Tatsache, dass äthiopische Staatsangehörige, die in Deutschland für die EPPFG politisch aktiv und dies gerade in einer Leitungsfunktion sind oder dies gewesen sind, im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien aufgrund ihrer exilpolitischen Aktivitäten festgenommen, für unbestimmte Zeit in Haft gehalten wurden und werden und ihnen durch äthiopische Sicherheitskräfte Misshandlungen und Folterungen drohen, musste deshalb nicht entsprochen werden.

Der Kläger hat auch nicht substanziiert dargetan, dass die beantragte Beweiserhebung bessere oder andere Erkenntnisse bringen würde als die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Materialien (vgl. BayVGH, B.v. 17.12.2014 - 13a ZB 14.30073 - juris Rn. 8). Soweit er sich darauf beruft, die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017 an den Verwaltungsgerichtshof sei widersprüchlich bzw. unzureichend, weil sie auf das Schreiben vom 14. Juni 2018 verweise, in dem es die Rückkehrgefährdung einfacher Mitlieder exilpolitischer Organisationen nicht abschließend bewertet habe und sich mit der Aussage des Ad-hoc-Berichts vom 17. Oktober 2018, der eine Rückkehrgefährdung dieser Personen für möglich halte, nicht auseinandersetze, kann dem nicht gefolgt werden. Die daraus gezogene Schlussfolgerung des Klägers, es sei nicht hinreichend geklärt, wie sich die Verfolgungssituation von Oppositionellen in Äthiopien aktuell darstelle, teilt der Senat nicht. Die Aussagekraft der Einschätzung des Auswärtigen Amtes, es sei nicht davon auszugehen, dass eine (einfache) Mitgliedschaft einer in Deutschland exilpolitisch tätigen Organisation, die in Äthiopien nicht (mehr) als Terrororganisation eingestuft ist bzw. einer ihr nahestehenden Organisation, bei aktueller Rückkehr nach Äthiopien negative Auswirkungen nach sich zieht (vgl. S. 2 des Schreibens an den Verwaltungsgerichtshof vom 7.2.2019) wird nicht dadurch geschmälert, dass sich die Auskunftsbehörde nicht ausdrücklich mit ihren früheren, hiervon teilweise abweichenden Einschätzungen auseinandersetzt. Im Übrigen hat das Auswärtige Amt seine aktuelle Einschätzung in seiner Auskunft an das Verwaltungsgericht Dresden vom 7. Februar 2019 bestätigt. Hiernach liegen dem Auswärtigen Amt, dessen Einschätzungen maßgeblich auf vor Ort gewonnenen Erkenntnissen der Auslandsvertretungen beruhen, keine Hinweise darauf vor, dass in jüngster Zeit Anhänger bzw. Unterstützer von der Terrorliste gestrichener oppositioneller Gruppierungen alleine aufgrund dieser Eigenschaft angeklagt oder angegriffen würden (vgl. AA, Auskunft vom 7.2.2019 an das Verwaltungsgericht Dresden, S. 2). Diese Bewertung steht auch im Einklang mit der Aussage des Dänischen Ministeriums für Immigration und Integration, wonach sich die Gesamtsituation für die Oppositionsparteien nach der Ernennung Abiy Ahmeds verbessert habe (vgl. The Danish Immigration Service S. 5); die letztgenannte Aussage beruht u.a. auf der Einschätzung der Britischen Botschaft, wonach Personen mit einer mutmaßlichen Verbindung zu Oppositionsgruppen nicht mehr festgenommen und die meisten politischen Gefangenen freigelassen würden (vgl. The Danish Immigration Service S. 23). Inwieweit die vom Kläger vorgelegte Veröffentlichung des SEM vom 16. Januar 2019 diesen u.a. auf Botschaftsinformationen beruhenden Lagebewertungen entgegenstünde, hat der Kläger nicht substanziiert dargelegt. Im Übrigen geht auch dieser Bericht davon aus, dass viele Oppositionsparteien - darunter Ginbot7 (vgl. SEM S. 16 f.) - inzwischen entkriminalisiert sind (vgl. SEM S. 33).

Im Übrigen trifft die in dem (bedingten) Beweisantrag aufgestellte Prämisse der Wahrnehmung einer „Leitungsfunktion“ für die EPPFG im Fall des Klägers - wie unter Rn. 41 bereits dargelegt - nicht zu, sodass sich die unter Beweis gestellte Tatsache als nicht entscheidungserheblich erweist. An der Entscheidungserheblichkeit fehlt es zudem, soweit sich der Beweisantrag - in Abweichung von dem für die Entscheidung des Gerichts maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) - auf die Behauptung der Festnahme und Inhaftierung in der Vergangenheit bezieht („wurden“).

II.

Mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 4 AsylG steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes in Deutschland zu.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

1. Dass dem Kläger bei seiner Rückkehr die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), macht er selbst nicht geltend.

2. Ebenso wenig kann angesichts der oben genannten grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien angenommen werden, dass dem Kläger in Äthiopien Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohen. Unter dem Gesichtspunkt der schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien scheidet die Gewährung subsidiären Schutzes schon deswegen aus, weil die Gefahr eines ernsthaften Schadens insoweit nicht von einem der in § 3c AsylG genannten Akteure ausgeht, also vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens zu bieten, § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3c AsylG (zu diesem Erfordernis vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 54 ff. m.w.N.).

3. Schließlich steht dem Kläger auch kein Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu.

Nach dieser Vorschrift gilt als ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Ein innerstaatlich bewaffneter Konflikt liegt vor, wenn die Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist. Die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens für jedermann aufgrund eines solchen Konflikts ist erst dann gegeben, wenn der bewaffnete Konflikt eine solche Gefahrendichte für Zivilpersonen mit sich bringt, dass alle Bewohner des maßgeblichen, betroffenen Gebiets ernsthaft individuell bedroht sind. Das Vorherrschen eines so hohen Niveaus willkürlicher Gewalt, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, bleibt außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind. Eine Individualisierung kann sich insbesondere aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) gegeben sein muss. So kann die notwendige Individualisierung ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird (zum Ganzen vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 82 ff. m.w.N.)

Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG bei dem Kläger, der keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände aufweist, nicht vor. Zwar werden, wie vorstehend ausgeführt, in Äthiopien zunehmend ethnische Konflikte mit Waffengewalt ausgetragen, die erhebliche Binnenvertreibungen zur Folge haben. Es gibt nach aktueller Erkenntnislage aber in keiner Region Äthiopiens bürgerkriegsähnliche Zustände. Die Konflikte zwischen Ethnien, wie sie etwa in der Südregion von Gambella oder im Grenzgebiet der Siedlungsgebiete von Oromo und Somali vorkommen, oder die Auseinandersetzungen der Regierung mit bewaffneten Oppositionsbewegungen, insbesondere Ogaden, haben trotz begrenzten Einflusses und Kontrolle der Zentralregierung in der Somali-Region keine derartige Intensität (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 20). Jedenfalls lässt sich für die Stadt Desse, aus der der Kläger stammt und in der er sich bis Januar 2014 aufgehalten hat, nicht feststellen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass jede Zivilperson im Fall einer Rückkehr dorthin allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein.

III.

Die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK auf Grund schlechter humanitärer Bedingungen liegen ebenfalls nicht vor.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 - EMRK - (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Schlechte humanitäre Verhältnisse im Herkunftsland können nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung begründen (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - juris Rn. 9). Sind Armut und staatliche Mittel ursächlich für schlechte humanitäre Bedingungen, kann dies nur in „ganz außergewöhnlichen Fällen“ zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen, nämlich dann, wenn die humanitären Gründe „zwingend“ sind (vgl. EGMR, U. v. 28.6.2011 - 8319/07 - NVwZ 2012, 681 Rn. 278, 282 f.; BVerwG U.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - NVwZ 2019, 61 Rn. 9 unter Verweis auf BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167 Leitsatz 3 und Rn. 23; VGH BW, U. v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 82 ff. m.w.N.).

Dass sich der Kläger in einer derartigen besonders gravierenden Lage befände, macht er weder geltend noch ist dies sonst ersichtlich. Zwar ist Äthiopien bei etwa 92,7 Millionen Einwohnern mit einem jährlichen Brutto-National-Einkommen von etwa 927 US-Dollar pro Kopf eines der ärmsten Länder der Welt. Auch wenn das Wirtschaftswachstum in den letzten zehn Jahren wesentlich über dem regionalen und internationalen Durchschnitt lag, lebt ein signifikanter Teil der Bevölkerung unter der absoluten Armutsgrenze. Derzeit leiden fast 8 Millionen Menschen an einer unsicheren Nahrungsmittelversorgung und benötigen humanitäre Hilfe. Hinzu kommt eine hohe Arbeitslosigkeit, die durch die Schwäche des modernen Wirtschaftssektors und die anhaltend hohe Zuwanderung aus dem ländlichen Raum verstärkt wird (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 33 f.).

Trotz dieser schwierigen Bedingungen ist aber nicht ersichtlich, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt in Äthiopien nicht bestreiten könnte. Er ist seinen Angaben zufolge 25 Jahre alt, gesund und arbeitsfähig. In Deutschland ist er seit drei Jahren als Metallschweißer erwerbstätig und hat hieraus zuletzt einen Bruttoarbeitslohn von monatlich ca. 1.730 Euro erwirtschaftet. Aus diesem Grund ist anzunehmen, dass er über das für eine (bescheidene) Existenzgründung in Äthiopien notwendige Startkapital verfügt. Unter Zugrundelegung dieser Umstände ist nicht ersichtlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage bzw. unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre.

IV.

Ebenso wenig besteht wegen der schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Nach dieser Bestimmung soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach dieser Bestimmung setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt. Allerdings kann ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (vgl. BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 = juris Rn. 31 f. m.w.N.). Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und - wie bei § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK - zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen.

Nach diesen Maßstäben ist bei dem Kläger ein nationales Abschiebungsverbot nach dieser Bestimmung im Hinblick auf die schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien zu verneinen. Die obigen Ausführungen gelten insoweit entsprechend (vgl. oben III.).

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

I.

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 15. April 2014 wird der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 13. Februar 2014 hinsichtlich Nummer 4 und 5 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass bei den Klägern das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegt.

II.

Die Beklage hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Von den Kosten des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht haben die Kläger ¾ und die Beklagte ¼ zu tragen.

III.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger, ein Vater mit zwei im Jahr 2007 und im Jahr 2011 geborenen Söhnen, sind afghanische Staatsangehörige und tadschikische Volkszugehörige. Sie reisten am 27. November 2012 von I. kommend auf dem Luftweg in das Bundesgebiet ein und stellten beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 10. Dezember 2012 Asylantrag.

Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 8. Januar 2013 gab der Kläger zu 1, der Vater, an, er spreche Dari und Farsi und sei Tadschike. Er habe nur einmal zwei Monate und einmal 40 Tage in Afghanistan gelebt und im Übrigen bis zur Ausreise in die Türkei in S. im Iran. Seine Ehefrau sei Iranerin. Vor ca. zweieinhalb Monaten sei die Familie bis zur iranischtürkischen Grenze mit dem Auto gefahren, wo sie sich bei der Flüchtlingsorganisation der UNO in Ankara gemeldet hätten. Er habe mit gefälschten Pässen nach Deutschland fliegen können, seine Frau sei jedoch aufgehalten worden. Er habe noch Verwandtschaft in Europa, in Kanada und im Iran. In Afghanistan lebten noch drei Onkel väterlicherseits, eine Tante mütterlicherseits, mehrere Cousins und Cousinen, zwei Schwestern und ein Bruder. Er habe vier Klassen Grundschule besucht. In selbstständiger Tätigkeit habe er den Beton für Hochhäuser geliefert. Für iranische Verhältnisse habe er sehr gut verdient. Auf die Frage nach seinem Verfolgungsschicksal trug der Kläger vor, sein Vater sei vor 30 Jahren wegen des Krieges in den Iran geflüchtet. Dort hätten sie zusammengelebt, bis seine Eltern vor fünf Jahren nach Afghanistan zurückgekehrt seien. Er und seine Kinder hätten keine Dokumente vom iranischen Staat erhalten. Der früher ausgehändigte Flüchtlingsausweis sei mit der Rückkehr seines Vaters nach Afghanistan ungültig geworden. Er habe seine Ehefrau traditionell geheiratet, jedoch sei die Hochzeit im Iran nicht anerkannt worden. Sein Schwager, der beim iranischen Militär arbeite, sei gegen die Hochzeit gewesen. Er sei zweimal ins Gefängnis gekommen, da sein Schwager gegen ihn ausgesagt bzw. ihn angezeigt habe. Zudem habe ihn sein Schwager erpresst und Schutzgeld verlangt, damit er ihn nicht weiter an die Behörden verraten werde. Nachdem er das erste Mal im Gefängnis gewesen sei, habe er viele seiner Kunden verloren. Das zweite Mal sei er wegen eines gefälschten iranischen Passes verhaftet worden. Nach der Entlassung sei er von seinem Schwager und den iranischen Behörden weiter schikaniert worden, so dass er keine andere Möglichkeit gesehen habe, außer den Iran zu verlassen. Nach Afghanistan könne er wegen des Kriegs in vielen Regionen nicht fliehen. Außerdem sei seine Ehefrau Iranerin.

Mit Bescheid des Bundesamts vom 13. Februar 2014 wurden die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt (1.), die Anträge auf Asylanerkennung abgelehnt (2.), der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt (3.) sowie festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (4.) und die Abschiebung angedroht (5.). Nach dem Sachvorbringen bestünden keine Anhaltspunkte für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Asylanerkennung. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes lägen nicht vor, insbesondere keine ernsthafte individuelle Bedrohung aufgrund eines bewaffneten Konflikts in der Herkunftsstadt Kabul. Nationale Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor, zumal die Kläger auch keiner extremen allgemeinen Gefahr im Sinn von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausgesetzt seien. Sie hätten keine stichhaltigen Ausführungen gemacht, dass sie, anders als die gesellschaftlichen Verhältnisse im Herkunftsland erwarten ließen, nach einer Rückkehr mittellos und völlig auf sich gestellt wären. Sie hätten auch die Möglichkeit, Kontakt mit Familienmitgliedern in Afghanistan aufzunehmen.

Mit der an das Verwaltungsgericht München gerichteten Klage verfolgten die Kläger ihr Begehren weiter. In der mündlichen Verhandlung am 15. April 2014 erklärte der Kläger zu 1, wenn er nach Afghanistan zurückkehren würde, würde der Bruder fragen, ob er wegen des Besitzes käme. Sein Platz sei im Iran und nicht in Afghanistan. Außerdem sei seine Ehefrau nicht bereit, nach Afghanistan zu gehen. Die Ausreise habe er durch den Verkauf seines Hauses und seines Autos finanziert. Nachdem seine Ehefrau in der Türkei nicht in das Flugzeug gekommen sei, sei sie wieder in den Iran zurückgekehrt. Mit seinem Onkel in Afghanistan habe er Schwierigkeiten wegen einer Besitzauseinandersetzung. Sein Vater sei herzkrank und werde von seinen Brüdern finanziell unterstützt. Mit Urteil vom 15. April 2014 wurde die Klage abgewiesen.

Auf Antrag der Kläger hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Berufung hinsichtlich des Begehrens nach Feststellung eines national begründeten Abschiebungsverbots mit Beschluss vom 4. August 2014 wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zugelassen, ob bei afghanischen Familien mit minderjährigen Kindern als Auslandsrückkehrer eine erhebliche konkrete Gefahr gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht.

Zur Begründung ihrer Berufung beziehen sich die Kläger auf ihren Zulassungsantrag, in dem sie sich der Verneinung eines national begründeten Abschiebungsverbots widersetzen.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheids des Bundesamts vom 13. Februar 2014 und Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 15. April 2014 zu verpflichten, bei den Klägern ein national begründetes Abschiebungshindernis festzustellen.

Die Beklagte entgegnet, aufgrund der bayerischen Erlasslage dürfte es auf die Frage, ob bei einer Familie mit minderjährigen Kindern eine Extremgefahr im Sinn von § 60 Abs. 7 AufenthG bestehe, nicht ankommen. Nach den ausländerrechtlichen Verwaltungsvorschriften sei die Rückführung aller dort nicht genannten Personengruppen, zu der auch die Kläger gehörten, vorerst zurückzustellen. Unabhängig davon bestehe für Familien mit minderjährigen Kindern trotz der allgemein schwierigen humanitären Umstände nicht regelmäßig eine Extremgefahr, zumal auch die Rückkehrförderung zu berücksichtigen sei. Die einem Familienvater obliegende Aufgabe, über seine Person hinaus für die Angehörigen das Existenzminimum zu erwirtschaften, sei zudem kein sich unmittelbar auswirkender Aspekt. Das Abschiebungsschutzrecht gehe von einer gerade dem jeweiligen Schutzsuchenden konkret und individuell drohenden Gefahrenlage aus. Auf die erst mittelbare Folge der Erfüllung rechtlicher oder ethischer Verpflichtungen könne nicht abgestellt werden. Bei tatsächlicher Existenzgefährdung der vom Erwerbsfähigen abhängigen Angehörigen könne dort ein Abschiebungsverbot vorliegen, durch das dem Erwerbsfähigen als Ausfluss seiner Rechte aus Art. 6 GG dann ein Anspruch auf Fortbestand der familiären Gemeinschaft im Bundesgebiet erwachse. Zudem sei ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang zwischen Rückkehr und drohender Rechtsgutverletzung erforderlich. Schlechte humanitäre Bedingungen könnten zwar in Ausnahmefällen in Bezug Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen, aber in Afghanistan sei die allgemeine Lage nicht so ernst, dass ohne weiteres eine Verletzung angenommen werden könne. Fraglich sei schon, ob aus Sicht des Gesetzgebers der Schutzbereich des § 60 Abs. 5 AufenthG bei einer auf eine Bevölkerungsgruppe bezogenen Gefahrenlage überhaupt eröffnet sei. Angesichts des besonderen Ausnahmecharakters sei ein Gefährdungsgrad entsprechend der Extremgefahr erforderlich.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Kläger weisen darauf hin, dass nach der Erlasslage alleinstehende männliche afghanische Staatsangehörige vorrangig zurückzuführen seien. Auch wenn die Rückführung anderer Personen vorerst zurückzustellen sei, bedeute dies nicht, dass Abschiebungen ausgesetzt seien. Vielmehr sei, wie die Beklagte selbst ausführe, ein entsprechender Dringlichkeitsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Freien Wähler mit Beschluss vom 5. Februar 2014 abgelehnt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen verwiesen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig und begründet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 128 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt ist nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylVfG) verpflichtet festzustellen, dass bei den Klägern das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegt. Ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt sind, bedarf keiner Prüfung, da es sich beim national begründeten Abschiebungsverbot um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand handelt (BVerwG, U. v. 8.9.2011 - 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 Rn. 16 und 17). Damit kommt es auch auf die Frage nicht an, ob Nr. C.3.2 der Verwaltungsvorschriften des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr zum Ausländerrecht (BayVVAuslR) vom 3. März 2014, Az. IA2-2081.13-15, für Familien eine Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG darstellt, die ihnen Schutz vor Abschiebung vermittelt und deshalb die analoge Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausschließt.

Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unzulässig ist. Einschlägig ist hier Art. 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf. Das wäre bei den Klägern der Fall, wenn sie nach Afghanistan zurückkehren müssten. Der Kläger zu 1 als Vater von zwei minderjährigen Kindern befürchtet, aufgrund der dortigen Situation einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Damit machen die Kläger zwar nicht geltend, dass ihnen näher spezifizierte, konkrete Maßnahmen drohen würden, sondern sie berufen sich auf die allgemeine Lage. Die zu erwartenden schlechten Lebensbedingungen und die daraus resultierenden Gefährdungen weisen vorliegend aber eine Intensität auf, dass auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist.

Der Schutzbereich des § 60 Abs. 5 AufenthG ist auch bei einer allgemeinen, auf eine Bevölkerungsgruppe bezogenen Gefahrenlage eröffnet.

Von der Beklagten wird das allerdings bezweifelt, weil der (deutsche) Gesetzgeber in Kenntnis der vom Bundesverwaltungsgericht bejahten Erweiterung auf Gefährdungen, die nicht staatlich zu verantworten seien (BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 = NVwZ 2013, 1167; U. v. 13.6.2013 - 10 C 13.12 - BVerwGE 147, 8 = NVwZ 2013, 1489), am Konzept von allgemeinen Gefährdungslagen einerseits und individuell gelagerten Schutzgründen andererseits festgehalten habe. Die Formulierung des Art. 3 EMRK, niemand dürfe unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden, lässt zwar nicht erkennen, ob sich diese nur aus konkret gegen den Betroffenen gerichteten Maßnahmen oder auch aus einer schlechten allgemeinen Situation mit unzumutbaren Lebensbedingungen ergeben kann. Eine Unterscheidung zwischen konkreten und allgemeinen Gefahren wird dort jedenfalls nicht vorgenommen. Die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verweist (BVerwG, U. v. 31.1.2013 a. a. O.; U. v. 13.6.2013 - 10 C 13.12 - BVerwGE 147, 8 = NVwZ 2013, 1489; EGMR, U. v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413; U. v. 28.6.2011 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681; U. v. 13.10.2011 - Husseini/Schweden, Nr. 10611/09 - NJOZ 2012, 952), hält aber eine unmenschliche Behandlung allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen für möglich. Im Urteil vom 13. Juni 2013 (a. a. O.) ist das Bundesverwaltungsgericht ferner ausdrücklich von der früheren Rechtsprechung abgerückt und hält für das nationale Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK nicht länger an der zu § 53 Abs. 4 AuslG 1990 vertretenen Auffassung fest, dass die Vorschrift nur Gefahren für Leib und Leben berücksichtige, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohten. Nach der zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Verfahren Sufi und Elmi, a. a. O., Rn. 278, 282 f.) verletzen humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK zum Einen in ganz außergewöhnlichen Fällen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ seien. Dieses Kriterium sei angemessen, wenn die schlechten Bedingungen überwiegend auf die Armut zurückzuführen sei oder auf die fehlenden staatlichen Mittel, um mit Naturereignissen umzugehen. Zum Anderen könne - wenn Aktionen von Konfliktparteien zum Zusammenbruch der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Infrastruktur führten - eine Verletzung darin zu sehen sein, dass es dem Betroffenen nicht mehr gelinge, seine elementaren Bedürfnisse, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, zu befriedigen. Zu berücksichtigen seien dabei auch seine Verletzbarkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf eine Verbesserung seiner Lage in angemessener Zeit. Im Anschluss hieran stellt das Bundesverwaltungsgericht darauf ab, ob es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen sei, verletze die Abschiebung des Ausländers notwendig Art. 3 EMRK, einerlei, ob sich die Gefahr aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergebe, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden. Die sozioökonomischen und humanitären Verhältnisse seien nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend, ob der Betroffene wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Denn die Konvention ziele hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern, mache die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK aber eine gewisse Flexibilität erforderlich.

Dass der (deutsche) Gesetzgeber in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Regelung von allgemeinen Gefahren im Sinn von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG n. F. i. V. m. § 60a AufenthG unverändert beibehalten und nicht auf andere Abschiebungsverbote ausgedehnt hat, spricht bei systematischer Auslegung des Gesetzes gegen die vom Bundesamt vertretene Auffassung. Im gewaltenteilenden Rechtsstaat ist die Rechtsprechung nur ausnahmsweise befugt, die Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers unbeachtet zu lassen (BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167 zur verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG n. F.). Im Übrigen greift das Bundesamt selbst in bestimmten Fallkonstellationen bei allgemeinen Gefahren ebenso auf § 60 Abs. 5 AufenthG zurück. So kann z. B. nach dem Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 14. November 2013, Az. M I 4 - 21004/21#5 („Information zur Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge aufgrund des Urteils des BVerwG vom 13. Juni 2013“), bei unbegleiteten minderjährigen Asylbewerbern ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festgestellt werden.

Bisher nicht geklärt ist, durch welchen Gefährdungsgrad derartige außergewöhnliche Fälle gekennzeichnet sein müssen. Schon von der Gesetzessystematik her kann der nationale Maßstab für eine Extremgefahr nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG analog nicht herangezogen werden. Da die Sachverhalte nicht vergleichbar sind, lassen sich die erhöhten Anforderungen an eine ausreichende Lebensgrundlage im Fall einer internen Schutzalternative ebenso wenig übertragen. Die Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Verfahren Sufi und Elmi, a. a. O., Rn. 278, 282 f.) als auch des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167) macht jedoch deutlich, dass von einem sehr hohen Niveau auszugehen ist. Nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind. Wenn das Bundesverwaltungsgericht die allgemeine Lage in Afghanistan nicht als so ernst einstuft, dass ohne weiteres eine Verletzung angenommen werden könne, weist das ebenfalls auf die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation hin. Eine solche ist allerdings bei den Klägern gegeben.

Der Kläger zu 1 würde zusammen mit seinen beiden Kindern, den Klägern zu 2 und 3, zurückkehren und müsste für sich selbst sowie die Kinder sorgen. Die Ehefrau und Mutter hält sich nach den Angaben des Klägers zu 1 in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof in Italien auf, so dass er insoweit keine Hilfe hätte. Nach glaubhaftem Vortrag kann er zudem weder von seinen Eltern noch von seinen Schwiegereltern Unterstützung bekommen. Seine Eltern sind wegen Familienstreitigkeiten wieder in den Iran gezogen, sein Vater ist zudem krank und selbst hilfsbedürftig. Die Schwiegereltern stammen aus dem Iran. Den Angaben des Klägers zu 1 zufolge war er bereits zweimal im Gefängnis, nachdem ihn sein Schwager, der gegen die Hochzeit gewesen sei, wegen seines illegalen Aufenthalts im Iran angezeigt habe. In Afghanistan wird er von dem Teil seiner Familie, der dort verblieben ist, nicht akzeptiert. Außerdem gibt es Erbauseinandersetzungen. Damit könnte der Kläger zu 1 von niemandem Hilfe erwarten, sondern wäre in der Folge bei Rückkehr auf sich alleine gestellt. Angesichts der Lebensbedingungen in Afghanistan und der Tatsache, dass die Kinder noch in betreuungsbedürftigem Alter sind, würde er zur Sicherung der Existenz für die Familie nicht imstande sein. In der ständigen Rechtsprechung zur Extremgefahr nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG analog (seitU. v. 3.2.2011 - 13a B 10.30394 - juris; zuletzt U. v. 30.1.2014 - 13a B 13.30279 - juris) hat sich der Verwaltungsgerichtshof zwar schon mit Teilaspekten der humanitären Lage in Afghanistan befasst und ist zum Ergebnis gekommen, dass für einen alleinstehenden Rückkehrer keine Extremgefahr im Sinn von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht. Er wäre selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren. Bei einer Familie mit minderjährigen Kindern ist aber im Hinblick auf die zu erwartenden schlechten humanitären Verhältnisse in Afghanistan von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen.

Vorab ist festzuhalten, dass die Kinder in die Bewertung mit einzubeziehen sind. Der Senat geht davon aus, dass die Unterhaltsverpflichtungen des Klägers zu 1 nicht außer Betracht bleiben können. Soweit die Beklagte darauf hinweist, dass das Abschiebungsschutzrecht von einer gerade dem jeweiligen Schutzsuchenden konkret und individuell drohenden Gefahrenlage ausgehe, trifft das zwar insoweit zu, als das Gesetz generell eine Unterscheidung zwischen allgemeinen und individuell drohenden Gefahren vornimmt. Das schließt aber nicht aus, Unterhaltsverpflichtungen, die dem Betroffenen konkret obliegen, zu berücksichtigen. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage, ob eine gemeinsame oder getrennte Rückkehr von Familienangehörigen zugrunde zu legen ist, geht ebenfalls in diese Richtung (BVerwG, U. v. 8.9.1992 - 9 C 8.91 - BVerwGE 90, 364 = InfAuslR 1993, 28; B. v. 21.9.1999 - 9 C 12.99 - BVerwGE 109, 305 = InfAuslR 2000, 93). Unter Einbeziehung der Bedeutung, welche die deutsche Rechtsordnung dem Schutz von Ehe und Familie beimesse (Art. 6 GG), sei bei der Prognose, welche Gefahren dem Asylbewerber im Falle einer Abschiebung in den Heimatstaat drohten, regelmäßig von einer gemeinsamen Rückkehr aller Familienangehörigen auszugehen. Nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen - Angehörige, die Abschiebungsschutz genießen - könne eine andere Betrachtung geboten sein. Erforderlich sei eine möglichst realitätsnahe Beurteilung der Situation im hypothetischen Rückkehrfall. Für die anzunehmende Ausgangssituation, von der aus die Gefahrenprognose zu erstellen sei, komme es grundsätzlich weder auf bloße Absichtserklärungen der Betroffenen noch auf ihren ausländerrechtlichen Status an. Dies gelte für den jeweiligen Asylbewerber selbst und für die Familienmitglieder. Die Hypothese solle die Realität nur in einem Punkt ersetzen, dem nicht mehr bestehenden Aufenthalt des Asylbewerbers in seinem Heimatstaat. Im Übrigen werde durch sie an dem realen Umfeld, insbesondere den familiären Beziehungen des Asylbewerbers, seinen Rechten und Pflichten, nichts geändert. Eine andere Betrachtungsweise würde sich grundlos von der Realität entfernen. Diese Grundsätze können auf die vorliegende Konstellation übertragen werden. Es wäre ebenso wirklichkeitsfremd und stünde deshalb mit der genannten Rechtsprechung nicht in Einklang, wenn man die Unterhaltsverpflichtungen als lediglich mittelbare Folge der Erfüllung rechtlicher oder ethischer Verpflichtungen außer Betracht ließe.

Wird mithin die Notwendigkeit, dass der Kläger zu 1 für den Unterhalt der Familie aufkommen muss, zugrunde gelegt, würden die Kläger bei Rückkehr nach Afghanistan einer besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt. Die humanitäre Lage dort lässt für sie ein menschenwürdiges Dasein nicht zu.

Der Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 31. März 2014 (Stand: Februar 2014, S. 19 ff. - Lagebericht 2014) stellt zwar zum Einen fest, dass sich Afghanistans Bewertung im Human Development Index kontinuierlich verbessert habe. Auch wenn Afghanistan weiterhin einen sehr niedrigen Rang belege und der Entwicklungsbedarf noch beträchtlich sei, habe es sich einerseits in fast allen Bereichen positiv entwickelt. Die afghanische Wirtschaft wachse, wenn auch nach einer starken Dekade vergleichsweise schwach. Andererseits würden Investitionen aufgrund der politischen Unsicherheit weitgehend zurückgehalten. Allerdings könne nach dem Wahljahr 2014 mit einer Normalisierung des durch die starke Präsenz internationaler Truppen aufgeblähten Preis- und Lohnniveaus zu rechnen sein. Eine weitere Abwertung der afghanischen Währung könnte zu einer gestärkten regionalen Wettbewerbsfähigkeit afghanischer Produkte führen. Negativ würde sich jedoch zum anderen eine zunehmende Unsicherheit und Destabilisierung des Landes auswirken. Die Schaffung von Arbeitsplätzen sei auch bei einer stabilen Entwicklung der Wirtschaft eine zentrale Herausforderung. Für größere Impulse mangle es bisher an Infrastruktur und förderlichen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen und einer umfassenden politischen Strategie. Da die Schaffung von Perspektiven auch zu Sicherheit und Stabilität beitrage, sei die Unterstützung der Privatwirtschaft einer der Schlüsselbereiche der bilateralen Zusammenarbeit. Das Gutachten des Sachverständigen Dr. D. vom 7. Oktober 2010 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof geht hinsichtlich der Arbeitsmöglichkeiten davon aus, dass am ehesten noch junge kräftige Männer, häufig als Tagelöhner, einfache Jobs, bei denen harte körperliche Arbeit gefragt sei, fänden. In der Auskunft von ACCORD (Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation) vom 1. Juni 2012 wird ebenfalls auf die schwierige Arbeitssuche hingewiesen. Die meisten Männer und Jugendlichen würden versuchen, auf nahe gelegenen Märkten als Träger zu arbeiten. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Afghanistan: Update, die aktuelle Sicherheitslage vom 5. Oktober 2014, S. 19 - SFH) führt aus, dass 36% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebten. Besonders die ländliche Bevölkerung sei den starken klimatischen Schwankungen hilflos ausgeliefert. Die Zahl der Arbeitslosen werde weiter ansteigen. 73,6% aller Arbeitstätigen gehörten zu den working poor, die pro Tag zwei US$ oder weniger verdienten. Nach der Stellungnahme von Dr. Karin Lutze (stellvertretende Geschäftsführerin der AGEF - Arbeitsgruppe Entwicklung und Fachkräfte im Bereich der Migration und der Entwicklungszusammenarbeit i. L.) vom 8. Juni 2011 an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (zum dortigen Verfahren A 11048/10.OVG) könne das Existenzminimum für eine Person durch Aushilfsjobs ermöglicht werden (S. 9). Damit würde der Kläger zu 1 unter den gegebenen Umständen den notwendigen Lebensunterhalt nicht erwirtschaften können. Zum Einen bedürfen seine Kinder der Betreuung. Zum Anderen wird es an Arbeitsmöglichkeiten für den Kläger zu 1 fehlen, vor allem aber an einem Verdienst, der für den Lebensunterhalt einer Familie ausreicht. Zwar war er im Iran selbstständig tätig und hat dort nach seinen Angaben sehr gut verdient, jedoch verfügt er weder über eine qualifizierte Ausbildung noch kann er in Afghanistan an die bereits ausgeübte Tätigkeit anknüpfen. Er wäre vielmehr gezwungen, für sich und seine beiden Kinder eine neue Existenz aufzubauen, ohne dass ihm dort entsprechende Kontakte und Hilfen zur Verfügung stehen.

Mit Ausnahme der medizinischen Versorgung greift der Lagebericht 2014 (S. 19 f.) keine Einzelaspekte auf, sondern stellt nur die generelle Situation für Rückkehrer und die allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dar. Es wird darauf verwiesen, dass es an grundlegender Infrastruktur fehle und die Grundversorgung nicht gesichert sei. Da somit keine grundlegende Änderung eingetreten ist, wird zu den Einzelaspekten auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom Januar 2012 (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, S. 28 - Lagebericht 2012) zurückgegriffen, der die Situation detaillierter beschreibt. Dieser führt hinsichtlich der Unterkunftsmöglichkeiten aus, dass die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig sei. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen für Rückkehrer. Dort erfolge die Ansiedlung unter schwierigen Rahmenbedingungen; für eine permanente Ansiedlung seien die vorgesehenen „Townships“ kaum geeignet. Der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung sei häufig nur sehr eingeschränkt möglich. Nach der Auskunft von ACCORD vom 1. Juni 2012 leben Zehntausende zurückgekehrter Familien unter schlimmen Bedingungen in Slums mit behelfsmäßigen Unterkünften in und um die afghanischen Städte. Sie müssten mit weniger als zehn Liter Wasser am Tag pro Person auskommen und hätten nicht genügend zu essen. Auch die SFH (S. 19) weist darauf hin, dass die Wohnraumknappheit zu den gravierendsten sozialen Problemen gehöre, vor allem in Kabul. Zugang zu sauberem Trinkwasser hätten nur 39% der Bevölkerung, zu einer adäquaten Abwasserentsorgung nur 7,5%. Damit kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Kläger eine adäquate Unterkunft finden werden, in der auch Kinder angemessen leben können. Erschwerend kommt hinzu, dass der afghanische Staat schon jetzt kaum mehr in der Lage ist, die Grundbedürfnisse der eigenen Bevölkerung zu befriedigen und ein Mindestmaß an sozialen Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Durch den enormen Bevölkerungszuwachs - etwa eine Verdoppelung der Bevölkerung innerhalb einer Generation - gerät er zusätzlich unter Druck (Lagebericht 2014, S. 19).

Die Grundversorgung ist nach dem Lagebericht 2014 (S. 20) für große Teile der Bevölkerung eine große Herausforderung, für Rückkehrer in besonderem Maße. Die medizinische Versorgung habe sich zwar in den letzten zehn Jahren erheblich verbessert, falle jedoch im regionalen Vergleich weiterhin drastisch zurück. Nach wie vor seien die Verfügbarkeit von Medikamenten und die Ausstattung von Kliniken landesweit unzureichend. In Kabul gebe es eine gute ärztliche Versorgung in einer deutschen und einer französischen Einrichtung. Im Übrigen sei medizinische Hilfe aber oftmals nicht zu erreichen oder könne nicht bezahlt werden (SFH S. 20). Diese Gesichtspunkte sind vorliegend im Hinblick auf die beiden kleinen Kinder von besonderer Bedeutung. Hinzu kommt, dass nach der SFH (S. 19) die Qualität der Bildungsangebote unzureichend und Gewalt im Umgang mit Kindern weit verbreitet ist. Viele Kinder seien unterernährt; 10% der Kinder würden vor ihrem 5. Geburtstag sterben. Straßenkinder seien jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt.

Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 6. August 2013, S. 9 - UNHCR-Richtlinien) geht davon aus, dass es für eine Neuansiedlung grundsätzlich bedeutender Unterstützung durch die (erweiterte) Familie, die Gemeinschaft oder den Stamm bedarf. Nach einer ergänzenden Darstellung (Darstellung allgemeiner Aspekte hinsichtlich der Situation in Afghanistan - Erkenntnisse u. a. aus den UNHCR-Richtlinien 2013 des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen - Vertretung in Deutschland - vom August 2014) sind 40% der Rückkehrer nicht in der Lage, sich wieder in ihre Heimatorte zu integrieren, rund 60% hätten Schwierigkeiten, sich ein neues Leben in Afghanistan aufzubauen.

Diese Auskünfte ergeben einen ausreichenden Einblick in die tatsächliche Lage in Afghanistan. Insbesondere ist auch mit den neueren Erkenntnismitteln die derzeitige Situation hinreichend abgebildet, so dass es der Einholung weiterer Auskünfte nicht bedarf. Unter den dargestellten Rahmenbedingungen, vor allem mit häufig nur sehr eingeschränktem Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung, ist die Schaffung einer menschenwürdigen Lebensgrundlage für eine Familie mit Kindern im Allgemeinen nicht möglich. Im Fall der Kläger wäre zusätzlich zu berücksichtigen, dass sie ohne die Ehefrau bzw. Mutter abgeschoben würden, somit also eine Betreuungsperson nicht zur Verfügung stünde. Bei den geschilderten Verhältnissen liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die humanitären Gründe gegen die Abschiebung „zwingend“ sind. Für die Kläger besteht die ernsthafte Gefahr, dass sie keine adäquate Unterkunft finden würden und keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen zu hätten. Es steht zu erwarten, dass ihnen die zur Befriedigung ihrer elementaren Bedürfnisse erforderlichen finanziellen Mittel fehlen werden. Ohne Hilfe werden sie sich weder ernähren können noch sind die einfachsten hygienischen Voraussetzungen gewährleistet. Da auch keine Aussicht auf Verbesserung der Lage besteht, ist davon auszugehen, dass die Kläger als Familie mit minderjährigen Kindern Gefahr laufen, einer erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein, die einen Mangel an Respekt für ihre Würde offenbart (siehe EGMR, U. v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413).

Dass die Rechtsprechung zur Extremgefahr für Alleinstehende nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG analog nicht auf die Frage einer unmenschlichen Behandlung von Familien im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK übertragen werden kann, sondern sich die Wertung unterscheiden muss, zeigt sich auch an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, U. v. 4.11.2014 - Tarakhel/Schweiz, Nr. 29217/12 - hudoc.echr.coe.int, auszugsweise mit inoffizieller Übersetzung des Informationsverbunds Asyl und Migration in Asylmagazin 2014, 424). In der Entscheidung betreffend die Abschiebung einer Familie nach Italien hebt der Gerichtshof vor allem das Kindeswohl hervor. Eine Abschiebung verstoße gegen Art. 3 EMRK, wenn nicht sichergestellt sei, dass die Familieneinheit erhalten bleibe und eine den Bedürfnissen der Kinder entsprechende Aufnahme gewährleistet sei. Auch die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder misst Familien mit Kindern besondere Bedeutung zu. In der 199. Sitzung vom 11. bis 13. Juni 2014 wurde deshalb das Bundesministerium des Innern unter anderem um vertiefte Informationen zur spezifischen Rückkehrsituation von Familien gebeten. Nach Nr. C.3.2 der Verwaltungsvorschriften des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr zum Ausländerrecht (BayVVAuslR) vom 3. März 2014, Az. IA2-2081.13-15, ist die Rückführung von Familien vorerst ebenfalls zurückgestellt. Dass das Existenzminimum für eine Familie nicht erwirtschaftet werden kann, wird auch durch die Stellungnahme von Dr. K. L. vom 8. Juni 2011 an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz bestätigt. Danach könne durch Aushilfsjobs allenfalls das Existenzminimum für eine Person ermöglicht werden (S. 9). Ferner bekräftigt der UNHCR (Richtlinien vom 6.8.2013, S. 9) das grundsätzliche Erfordernis bedeutender Unterstützung. Die einzige Ausnahme seien alleinstehende leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten Schutzbedarf, die unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semiurbanen Umgebungen leben könnten, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung böten, und die unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle ständen. Damit hat sich die Lage nach der Einschätzung des UNHCR eher verschärft, denn die Richtlinien aus dem Jahr 2010 (S. 15 der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 24.3.2011 - zusammenfassende Übersetzung der UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan vom 17.12.2010, S. 40) gingen noch davon aus, dass alleinstehende Männer und Kernfamilien (single males and nuclear family units) unter gewissen Umständen ohne Unterstützung von Familie oder Gemeinschaft leben könnten.

Soweit die Beklagte auf die gewährten Unterstützungsleistungen verweist, gibt es diese zwar für die erste Zeit nach der Rückkehr. Danach allerdings bestehen Probleme bei der Koordinierung zwischen humanitären Akteuren und Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit sowie - mangels entsprechender Strukturen - dem afghanischen Staat (Lagebericht 2014, S. 20; Auskunft von ACCORD vom 1.6.2012). Aufgrund dieser verwaltungstechnischen Schwierigkeiten kommt die erforderliche Hilfe deshalb oft nicht dort an, wo sich die Rückkehrer niedergelassen haben. Noch schwieriger gestaltet sich die Lage für Familien. Über eine gewisse Starthilfe hinaus ist es nicht möglich, dauerhaft Unterstützung für die gesamte Familie zu bekommen (Auskunft von amnesty international vom 29.9.2009 an den BayVGH im Verfahren 6 B 04.30476). Damit mögen die Leistungen zwar einen vorübergehenden Ausgleich schaffen, sind aber nicht dazu geeignet, auf Dauer eine menschenwürdige Existenz zu gewährleisten, insbesondere weil die Grundversorgung schon generell für einen Großteil der afghanischen Bevölkerung eine enorme Herausforderung bedeutet.

Die Beklagte war deshalb unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 15. April 2014 und Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 13. Februar 2014 insoweit (Ablehnung Nr. 4 und Abschiebungsandrohung Nr. 5) zu verpflichten, festzustellen, dass bei den Klägern das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

III. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

I.

Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 28. September 2016, mit dem ihr die Flüchtlingseigenschaft sowie der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wurden (Nr. 1 und Nr. 3), der Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt wurde (Nr. 2), festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4), und sie unter Androhung der Abschiebung nach Georgien oder einen anderen aufnahmebereiten Staat aufgefordert wurde, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheids bzw. im Falle der Anfechtung nach unanfechtbarem Verfahrensabschluss zu verlassen (Nr. 5).

Ihre Klage, mit der sie beantragt hatte, den Bescheid vom 28. September 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, sie als Asylberechtigten anzuerkennen, hilfsweise ihr subsidiären Schutz zu gewähren sowie weiter hilfsweise festzustellen, dass ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt, wies das Verwaltungsgericht Würzburg mit Urteil vom 7. August 2017 ab.

Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung sowie dem Antrag, ihr Prozesskostenhilfe zu gewähren und ihr eine bestimmte Rechtsanwältin beizuordnen, verfolgt die Klägerin ihr Rechtsschutzbegehren weiter.

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg.

1. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor bzw. ist von der Klägerin nicht in einer Weise dargelegt worden, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.

Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 7.4.2017 – 15 ZB 17.30355 – juris Rn. 4; B.v. 14.9.2017 – 11 ZB 17.31124 – juris Rn. 3).

a) Die von der Klägerin erhobene Frage,

„ob georgischen Frauen, die Beziehungen mit anderen Männern eingehen bzw. von anderen Männern schwanger sind / Kinder haben, im Falle einer Rückkehr von Ehrenmord bedroht sind in Folge des allgemeinen Ehrbegriffs georgischer Männer“,

ist keiner grundsätzlichen Klärung i.S. von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zugänglich, weil die Antwort auf diese von einer Vielzahl von Einzelumständen und Faktoren abhängig ist, sie deshalb nicht hinreichend konkret gefasst ist und sich in dieser Allgemeinheit somit in einem Berufungsverfahren in entscheidungserheblicher Weise nicht stellen würde (vgl. BVerwG, B.v. 21.9.2016 – 6 B 14.16 – juris Rn. 7 ff.; BayVGH, B.v. 9.9.2013 – 2 ZB 13.30255 – juris Rn. 8; B.v. 7.11.2016 – 15 ZB 16.30425 – juris Rn. 6).

Das Verwaltungsgericht hat in seinem erstinstanzlichen Urteil vom 7. August 2017 unter Berücksichtigung der Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung darauf abgestellt, dass es sich bei der Befürchtung, in Georgien Bedrohungen ihres Ehemannes (mit dem sie nur kirchlich verheiratet gewesen sei) und ihres Sohnes ausgesetzt zu sein und dass diese sie nicht am Leben ließen, um eine bloße Behauptung handele, die durch nichts belegt sei. Stichhaltige Gründe dafür, dass ihr bei ihrer Rückkehr nach Georgien ein ernsthafter Schaden drohe, seien nicht glaubhaft gemacht worden.

Demgegenüber ist der (ergänzende) Vortrag im Zulassungsverfahren, der georgische Ehrbegriff lasse es nicht zu, dass eine Frau, die mit einem Mann – gesetzlich oder auch nur religiös – verheiratet sei, sich einem anderen Mann zuwende oder von diesem schwanger werde bzw. ein Kind bekomme, nicht geeignet, einen fallbezogenen Klärungsbedarf für ein Berufungsverfahren i.S. von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG speziell für die Situation der Klägerin zu begründen.

Auch wenn etwa nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amts für Georgien vom 10. November 2016 [Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien (Stand: Oktober 2016) ] dort patriarchalische Gesellschafts- und Familienstrukturen herrschen und Diskriminierung von Frauen und häusliche Gewalt weit verbreitet ist, folgt hieraus nicht, dass Ehrenmorde oder gewalttätige Racheakte „betrogener“ oder verlassener Ehemänner gegenüber ihren (ehemaligen) Ehefrauen in Georgien ein ubiquitäres Problem sind und dass Frauen in entsprechender Situation ohne hinreichenden staatlichen Schutz mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr entsprechender Gewaltmaßnahmen quasi automatisch ausgesetzt sind. Nichts anderes ergibt sich aus dem von der Klägerin in Bezug genommenen, im Internet abrufbaren Artikel von Democracy & Freedom Watch „Man shoots ex-wife, then kills himself at Tbilisi university“ vom 18. Oktober 2018. Hierin wird – anlässlich eines näher beschriebenen Falls einer von ihrem Ex-Ehemann in Georgien getöteten Frau, die sich vor der Tat vergeblich um polizeilichen Schutz bemüht hatte – berichtet, dass in den Medien in letzter Zeit viele Fälle von brutaler Gewalt gegen Frauen ausgehend von ihren derzeitigen oder früheren Ehemännern oder anderen nahen Verwandten gemeldet worden seien. Im laufenden Jahr (2017) habe es laut einem Fernsehbericht in Georgien 20 Fälle schwerer häuslicher Gewalt gegeben.

Auch wenn es mithin solche Vorfälle tatsächlich in Georgien gegeben hat und noch gibt, folgt hieraus kein grundsätzlicher Klärungsbedarf der aufgeworfenen Frage in einem Berufungsverfahren. Allein mit der Vorlage des o.g. Artikels, der gerade nicht bestätigt, dass georgischen Frauen, die Beziehungen mit anderen Männern eingehen bzw. von anderen Männern schwanger sind / Kinder haben, g e n e r e l l von Ehrenmord bedroht sind, vermag die Klägerin nicht hinreichend substanziiert eine „gewisse Wahrscheinlichkeit“ dafür darzulegen, dass ihre von den Einschätzungen des Verwaltungsgerichts abweichenden Behauptungen zutreffend sind (vgl. OVG NRW, B.v. 5.9.2017 – 13 A 923/17.A – juris Rn. 14). Welche Gefahren georgische Frauen wegen des Umstands einer neuen Liebesbeziehung und / oder wegen eines Kindes von einem anderen Mann im Fall ihrer Rückkehr ausgesetzt sind, lässt sich auch auf Basis des vorgelegten Artikels nicht allgemein beantworten. Vielmehr sind bei der Beurteilung der konkreten Umstände des Einzelfalles, d.h. die individuelle Situation der Frau und insbesondere der konkrete familiäre Hintergrund, zu berücksichtigen (vgl. auch OVG Lüneburg, B.v. 21.1.2014 – 9 LA 60.13 – InfAuslR 2014, 119 = juris Rn. 5 m.w.N.). Für das Verwaltungsgericht war es insofern – rein bezogen auf den vorliegenden Einzelfall – streitentscheidend, dass in der konkreten Situation von der Klägerin kein entsprechender Gefahrentatbestand glaubhaft gemacht wurde, wobei u.a. berücksichtigt wurde, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung erklärt hatte, zu ihrem Sohn keinen Kontakt mehr zu haben und bereits vor ihrer Ausreise von ihrem Mann getrennt gelebt zu haben.

b) Ebenso kommt der von der Klägerin weiterhin erhobenen Frage,

„ob eine alleinstehende georgische Frau mit einem neugeborenen Kind in Georgien eine menschenwürdige Existenz haben kann“,

keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu.

aa) Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat erwarten, insbesondere auf die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann ein Ausländer Abschiebungsschutz nach Maßgabe von § 60 Abs. 5 und / oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ganz ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Hierbei gelten im Einzelnen folgende Grundsätze (zusammenfassend vgl. BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 20 B 15.30110 – juris Rn. 34 ff.; B.v. 26.6.2017 – 15 ZB 17.30357 – juris Rn. 23 ff.):

– Im Falle besonders schlechter humanitärer Verhältnisse ist ausnahmsweise in extremen Ausnahmesituationen von einem Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 auszugehen, wenn im Herkunftsstaat derart schlechte, nicht (überwiegend) auf Handlungen staatlicher oder nichtstaatlicher Akteure zurückzuführende humanitäre Bedingungen bestehen, die als unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK zu qualifizieren sind (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 = juris Rn. 34 ff.; BayVGH, B.v. 11.12.2014 – 13a ZB 14.30400 – juris Rn. 7; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 12; U.v. 23.3.2017 a.a.O. Rn. 35; VGH BW, U.v. 24.7.2013 – A 11 S 697/13 – juris Rn. 79 ff.).

– Gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll ferner von der Abschiebung abgesehen werden, wenn für den Ausländer im Zielstaat eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Maßgebend ist insoweit allein das Bestehen einer konkreten, individuellen – zielstaatsbezogenen – Gefahr für die genannten Rechtsgüter, ohne Rücksicht darauf, von wem die Gefahr ausgeht und auf welchen Ursachen sie beruht. Diese Gefahr muss dem Einzelnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen, wobei im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der „konkreten“ Gefahr für „diesen“ Ausländer als zusätzliches Erfordernis eine einfallbezogene, individuell bestimmte und erhebliche Gefahrensituation hinzutreten muss, die überdies landesweit droht. Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann ein Ausländer Abschiebungsschutz in verfassungskonformer bzw. entsprechender Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ganz ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Eine Abschiebung wäre in diesen Fällen allenfalls auszusetzen, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (also im Falle einer schlechten Lebensmittelversorgung, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde, vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – BVerwGE 115, 1 = juris Rn. 11 ff.; U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – BVerwGE 137, 226 = juris Rn. 13 ff., insbes. Rn. 15; U.v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 – NVwZ 2012, 451 = juris Rn. 19 ff.; BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 20 B 15.30110 – juris Rn. 36).

bb) Ob ein derartiger besonderer Ausnahmefall vorliegt, in dem humanitäre Gründe zwingend gegen eine Aufenthaltsbeendigung sprechen, ist auch für die Gruppe zurückkehrender alleinstehender Frauen mit einem zu versorgenden Kleinkind nicht allgemein, sondern lediglich unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Auch insofern gilt, dass die Antwort auf die aufgeworfene Frage von einer Vielzahl von Einzelumständen und Faktoren abhängig ist und dass sich die Frage in dieser Allgemeinheit somit in einem Berufungsverfahren in entscheidungserheblicher Weise so nicht stellen würde [vgl. bereits oben zu aa) ].

Unabhängig davon genügt eine bloße Behauptung eines potenziellen Verfolgungs- oder Gefahrentatbestandes – hier i.S. von § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG –, ohne nähere Auseinandersetzung mit dem Erkenntnismaterial zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit als solche nicht den Begründungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG. Erforderlich ist vielmehr über den ergebnisbezogenen Hinweis, dass der Bewertung der Lage zu der als klärungsbedürftig bezeichneten Tatsachenfrage durch das Verwaltungsgericht nicht gefolgt werden kann, hinaus, dass in hinreichend substanziierter Auseinandersetzung mit den vom Verwaltungsgericht herangezogenen Erkenntnismitteln dargetan wird, aus welchen Gründen dieser Bewertung nicht zu folgen ist. Es ist im Einzelnen unter Bezeichnung konkreter Erkenntnismittel (z.B. Auskünfte, Presseberichte, andere Gerichtsentscheidungen oder anderweitige Erkenntnisse) anzugeben, welche Anhaltspunkte für eine andere Tatsacheneinschätzung bestehen (BayVGH, B.v. 13.6.2016 – 13a ZB 16.30062 – juris Rn. 5 m.w.N.; OVG NRW, B.v. 5.9.2017 – 13 A 923/17.A – juris Rn. 14). Die Klägerin behauptet vorliegend lediglich in allgemeiner Form, dass eine menschenwürdige Existenz alleinstehender Frauen mit einem neugeborenen Kleinkind in Georgien nicht gewährleistet bzw. nicht möglich sei. Sie lässt ergänzend vortragen, dass finanzielle Hilfen zur Reintegration in den Arbeitsmarkt und Beratung, auf die das Verwaltungsgericht verweise, ihr als alleinstehender Frau mit einem neugeborenen Kind – mangels Möglichkeit, am Arbeitsmarkt teilzuhaben – nichts nutzen. Auch wenn es zutreffen sollte, dass es – wie die Klägerin weiter vorträgt – in Georgien für Neugeborene und Kleinkinder keine Einrichtungen wie Krippen oder Kinderhorte gebe und dass auch eine hinreichende finanzielle Unterstützung für alleinstehende Frauen mit Kleinkindern dort ebenfalls nicht vorhanden sei, versteht es sich nach den Ausführungen der Klägerin nicht von selbst, dass sie im Falle einer Rückkehr in eine extreme Notlage im obengenannten Sinn fallen wird. In der Begründung des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts vom 7. August 2017 wird unter Berücksichtigung der Schwangerschaft der Klägerin und unter Rekurs auf den Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 10. November 2016 ausgeführt, dass die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln gewährleistet ist und dass Rückkehrer die fremde Unterstützung genießen, vor allem auf Freunde und Verwandt angewiesen sind. Mit Letzterem hat sich die Klägerin – die bei ihrer Anhörung gegenüber dem Bundesamt am 26. September 2016 angegeben hatte, dass neben ihren Eltern auch weitere Verwandte(u.a. Onkel und Tanten) in ihrem Heimatland leben – nicht substanziiert auseinandergesetzt. Darüber hinaus wird im erstinstanzlichen Urteil darauf verwiesen, dass Unterstützung für Rückkehrer ebenfalls durch internationale Organisationen – wie IOM und ICMPD – angeboten wird. So werde ein seit längerem gegründetes Mobilitätszentrum seit 2014 von der IOM fortgeführt, wo – neben Beratung und Reintegration in den Arbeitsmarkt bei Bedarf – auch eine Erst- und Zwischenunterkunft zur Verfügung gestellt werde. Auch dies wird in der Zulassungsbegründung nicht thematisiert. Damit, dass sie eine extreme Notlage über die vorgenannten Möglichkeiten nicht abwenden könnte, hat sich die Klägerin im Zulassungsverfahren nicht auseinandergesetzt.

2. Der zulässige Antrag, der Klägerin Prozesskostenhilfe zu gewähren (§ 166 VwGO, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und ihr die von ihr bevollmächtige Rechtsanwältin beizuordnen (§ 121 ZPO), ist nicht begründet. Die Absicht der Klägerin, die Zulassung der Berufung zu erreichen, hat aus den vorgenannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

Gründe

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1.1 Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.

Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtlich Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 21.11.2017 – 1 B 148.17 u.a. – juris Rn. 4 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 30.9.2015 – 1 B 42.15 – juris Rn. 3). Darzulegen sind mithin die konkrete Frage sowie ihre Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit und allgemeine Bedeutung (vgl. OVG NRW, B.v. 15.12.2017 – 13 A 2841/17.A – juris Rn. 3 ff.).

Diesen Anforderungen wird das klägerische Vorbringen nicht gerecht. Die vom Kläger im Zulassungsantrag für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Tatsachenfrage,

„inwieweit die Zugehörigkeit des Klägers zu einer Hochrisikogruppe tatsächlich ein nationales Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Äthiopien mit besonderem Blick auf die aktuelle Versorgungslage in Äthiopien begründen kann“,

ist ebenso wenig einer generellen Klärung zugänglich wie die von ihm sinngemäß aufgeworfene Tatsachenfrage,

„ob für den Fall, dass der Ausländer eine solche nahezu geistige Behinderung hat und auch körperlich stark eingeschränkt ist, welche ihm die körperlich schweren Arbeiten und dem Umgang in der Gesellschaft deutlich erschweren würden und bisweilen unmöglich machen, die verfassungsrechtlichen Grenzen, die Art. 1 [Abs. 1] Satz 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG für § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zieht, überschreitet und folglich in solchen Extremfällen eine Feststellung des nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Äthiopien angezeigt ist“.

Beide Fragen sind in dieser Allgemeinheit nicht klärungsfähig, weil die Antworten auf diese von einer Vielzahl von Einzelumständen und Faktoren abhängig sind, sie deshalb nicht hinreichend konkret gefasst sind und sich in dieser Allgemeinheit somit in einem Berufungsverfahren in entscheidungserheblicher Weise nicht stellen würden (vgl. BVerwG, B.v. 21.9.2016 – 6 B 14.16 – juris Rn. 14 f.; BayVGH, B.v. 2.11.2017 – 15 ZB 17.31494 – juris Rn. 9, 20; OVG NW, B.v. 1.12.2017 – 13 A 2643/17.A – juris Rn. 23). Die hier aufgeworfenen Fragestellungen setzen wegen § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG das Vorliegen einer Extremgefahr voraus (vgl. BayVGH, B.v. 2.11.2017 – 15 ZB 17.31494 – juris Rn. 19; OVG NW, B.v. 1.12.2017 – 13 A 2643/17.A a.a.O. jew. m.w.N.), die sich aufgrund der geltend gemachten körperlichen bzw. geistigen Einschränkungen des Klägers und unter Berücksichtigung der konkret zu erwartenden Rückkehrumstände sowie der Unterstützungsmöglichkeiten vor Ort mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach der Rückkehr realisieren muss (vgl. BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 – NVwZ 2012, 451 = juris Rn. 19, 23). Das Verwaltungsgericht hat – unter Würdigung der maßgeblichen Umstände – die Rückkehr des Klägers nach Addis Abeba als zumutbar erachtet und ausgeführt, dass er dort mit der Unterstützung durch seinen Onkel rechnen könnte. Etwaige Probleme seien so ausgleichbar. Sein Onkel habe ihm nicht nur die Ausreise finanziert und organisiert, sondern ihn zuvor ein Jahr bei sich aufgenommen. Soweit der Kläger sich darauf beruft, eine Rückkehr zu seinem Onkel sei ihm wegen drohender menschenunwürdiger Behandlung durch dessen Ehefrau nicht zumutbar, hat das Verwaltungsgericht den Vortrag mit nachvollziehbaren Erwägungen als unglaubwürdig bewertet. Sein dagegen im Zulassungsverfahren erhobenes Vorbringen ist nicht geeignet, einen Klärungsbedarf für ein Berufungsverfahren i.S. von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu begründen. Im Ergebnis wendet sich der Kläger gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), die vom Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht erfasst wird.

Dem vorgelegten Bericht der Welthungerhilfe, der sich allgemein mit Ernteausfällen in Äthiopien, Kenia, Somalia und dem Südsudan befasst, lassen sich im Übrigen ebenso wenig wie dem sonstigen Vortrag konkrete Anhaltspunkte für eine extreme Gefahrenlage für den Kläger entnehmen. Die bloße Behauptung eines potenziellen Gefahrentatbestandes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG genügt den Begründungsanforderungen zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) nicht. Erforderlich ist vielmehr, dass sich das Zulassungsvorbringen näher mit dem Erkenntnismaterial auseinandersetzt (BayVGH, B.v. 2.11.2017 – 15 ZB 17.31494 – a.a.O. Rn. 21 m.w.N.; OVG NW, B.v. 1.12.2017 – 13 A 2643/17.A juris Rn. 5). Daran fehlt es hier ebenfalls.

Schließlich wird nicht ersichtlich, worin in den aufgeworfenen Fragestellungen (vgl. oben) eine klärungsbedürftige Rechtsfrage liegen soll. Es fehlt an einer konkreten Fragestellung in Bezug auf die Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (vgl. dazu BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 – NVwZ 2012, 451 = juris Rn. 19 ff.; BayVGH, B.v. 2.11.2017 – 15 ZB 17.31494 – juris Rn. 19 m.w.N.), die über die Rechtsanwendung im Einzelfall hinausreicht.

1.2 Der geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) wegen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist ebenfalls nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.

Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 91 Abs. 1 BV) hat eine zweifache Ausprägung: Zum einen gibt es den Beteiligten einen Anspruch darauf, dass rechtzeitiges und möglicherweise erhebliches Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung in Erwägung gezogen wird, soweit es aus verfahrens- oder materiell-rechtlichen Gründen nicht ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben muss oder kann. Zum anderen untersagt es dem Gericht, seiner Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde zu legen, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten. (vgl. BayVerfGH, E.v. 25.8.2016 – Vf. 2-VI-15 – juris Rn. 34 f.; BVerfG, B.v. 5.4.2012 – 2 BvR 2126/11 – NJW 2012, 2262; BVerwG, B.v. 17.6.2011 – 8 C 3.11 u.a. – juris Rn. 3). Eine danach unzulässige Überraschungsentscheidung liegt aber nur vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen braucht (BVerfG, B.v. 19.5.1992 – 1 BvR 986.91 – BVerfGE 86, 133 = juris Rn. 36; BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 4 ZB 17.31557 – juris Rn. 6 f. m.w.N.). Aus dem Prozessgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG folgt dagegen keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Gerichts (vgl. BVerwG, B.v. 15.7.2016 – 5 P 4.16 – juris Rn. 3 m.w.N.). Vor allem muss es die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (BVerwG, B.v. 15.7.2016 a.a.O. Rn. 3; BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 4 ZB 17.31557 – a.a.O. jew. m.w.N.).

Eine solche Überraschungsentscheidung liegt hier nicht vor. Die Klägerseite beruft sich zu Unrecht darauf, es habe eines Hinweises darauf bedurft, dass der Vortrag zu dem Verhalten des Onkels und dessen Ehefrau gegenüber dem Kläger als unzulässige Steigerung des klägerischen Vortrags und damit als unglaubhaft gewertet werde. Dass das Verwaltungsgericht von einer Steigerung des Vorbringens (im Verhältnis zu den Angaben bei der Anhörung vor dem Bundesamt) ausgehen und damit die klägerischen Angaben für unglaubhaft halten könnte, ergibt sich bereits aus der Nachfrage in der mündlichen Verhandlung. Hinzu kommt, dass die Unglaubwürdigkeit nicht allein auf diesen Umstand gestützt wurde, sondern auch auf die teils widersprüchlichen, teils substanzlosen Angaben im gerichtlichen Verfahren selbst. Das Verwaltungsgericht hat dazu im Einzelnen ausgeführt, welche Unstimmigkeiten sich zwischen dem schriftlichen Vorbringen in erster Instanz und den Angaben des Klägers bei der informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung ergeben und dass der Kläger die menschenunwürdige Behandlung nicht näher dargelegt habe. Dazu wird im Zulassungsantrag lediglich eine „offensichtlich zugrunde liegenden Sprachbarriere“ in Bezug auf die Aussage des Klägers, er habe im Haus des Onkels übernachtet (und nicht im Freien, wie schriftsätzlich vorgetragen worden war), pauschal behauptet. Dadurch lassen sich die in den Urteilsgründen im Einzelnen dargelegten Widersprüche jedoch nicht erklären. Vor allem wird nicht ersichtlich, warum der Kläger bei seiner informatorischen Anhörung die Umstände nicht näher dargelegt hat, aus denen sich ergeben soll, dass der Aufenthalt bei seinem Onkel und dessen Ehefrau unzumutbar gewesen sei. Im Übrigen hat die Klägerseite die Lernbehinderung, mit der sie das gesteigerte Vorbringen erklären will, bereits zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht und auch das Attest vom 4. Mai 2018 schon im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegt, womit sich das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil ebenfalls auseinandergesetzt hat.

Der Sache nach rügt der Kläger die Würdigung des Streitstoffs durch das Verwaltungsgericht. Mit der Kritik an der tatrichterlichen Sachverhaltswürdigung im Einzelfall kann die Annahme eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör aber nicht begründet werden. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn diese auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet (BVerwG, B.v. 30.7.2014 – 5 B 25.14 – juris Rn. 13 m.w.N.). Derartige Verstöße zeigt die Zulassungsbegründung nicht auf.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG.

3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, weil der Zulassungsantrag – wie sich aus obigen Ausführungen ergibt – keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bot (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dementsprechend war auch der Antrag auf Beiordnung der Bevollmächtigten als Rechtsanwältin (§ 166 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO) abzulehnen.

Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

(1) In Klageverfahren nach dem Asylgesetz beträgt der Gegenstandswert 5 000 Euro, in den Fällen des § 77 Absatz 4 Satz 1 des Asylgesetzes 10 000 Euro, in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes 2 500 Euro. Sind mehrere natürliche Personen an demselben Verfahren beteiligt, erhöht sich der Wert für jede weitere Person in Klageverfahren um 1 000 Euro und in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes um 500 Euro.

(2) Ist der nach Absatz 1 bestimmte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht einen höheren oder einen niedrigeren Wert festsetzen.

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.