Bayerischer Verfassungsgerichtshof Entscheidung, 30. Juni 2015 - Vf. 99-VI/14

30.06.2015

Gericht

Bayerischer Verfassungsgerichtshof

Gründe

Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs

Aktenzeichen: Vf. 99-VI-14

vom 30. Juni 2015

Stichwort

Überprüfung einer gerichtlichen Entscheidung, der zufolge ein Einspruch gegen einen behördlichen Bußgeldbescheid wegen Verfristung unzulässig war, am Maßstab des Grundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV).

...

erlässt in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

des Herrn S. B. in M.

gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 9. Juli 2014 Az. 1111 OWi 983/14

durch die Richterinnen und Richter Küspert, Dr. Münzenberg, Schmitz, Dr. Wagner, Dr. Kössinger, Leeb, Lauckner, Pauckstadt-Maihold, Prof. Dr. Lorenz ohne mündliche Verhandlung in der nichtöffentlichen Sitzung vom 30. Juni 2015 folgende Entscheidung:

Die Verfassungsbeschwerde wird abgewiesen.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 9. Juli 2014 Az. 1111 OWi 983/14 in einem Bußgeldverfahren wegen einer vorsätzlich begangenen Ordnungswidrigkeit nach der Hausarbeits- und Musiklärmverordnung (HMV) der Landeshauptstadt München vom 5. August 2003 (MüABl S. 246), geändert durch Verordnung vom 28. Januar 2010 (MüABl S. 43).

1. Am 26. Juli 2013 wurde dem Beschwerdeführer ein Bußgeldbescheid wegen unzulässigen Musiklärms durch ein Tonwiedergabegerät nach § 4 Nr. 2 HMV i. V. m. Art. 18 Abs. 2 Nr. 3 BayImSchG zugestellt, mit dem eine Geldbuße in Höhe von 150 € festgesetzt wurde. In der Rechtsbehelfsbelehrung wird ausgeführt, dass der Bußgeldbescheid rechtskräftig und vollstreckbar werde, wenn nicht innerhalb von zwei Wochen nach seiner Zustellung Einspruch eingelegt werde.

2. Mit Schreiben vom 9. August 2013, das den Eingangsstempel vom 10. August 2013, einem Samstag, sowie den Aufdruck „Nachtbriefkasten" trägt, legte der Beschwerdeführer Einspruch ein. Er begründete den Rechtsbehelf im Wesentlichen damit, dass Entlastungszeugen bei der Entscheidung nicht berücksichtigt worden seien. Zwei Polizeibeamte hätten nämlich zunächst bestätigt, dass der verursachte Geräuschpegel nicht zu beanstanden sei. Außerdem seien die einschlägigen Bußgeldbestimmungen nur unvollständig benannt worden. Schließlich verstoße die Formulierung des § 4 Nr. 2 HMV gegen das grundgesetzlich garantierte Bestimmtheitsgebot.

Der Beschwerdeführer widersprach dem Hinweis der Verwaltungsbehörde im Schreiben vom 13. August 2013, dass der Einspruch verspätet eingegangen sei. Die Aufzeichnungen der Überwachungskamera vom Nachtbriefkasten sowie eine Zeugin könnten einen Einwurf bereits am 9. August 2013 bestätigen. In einem weiteren Schreiben versicherte er dies an Eides statt, berief sich auf eine offensichtliche Fehlfunktion des Briefkastens und beantragte zugleich hilfsweise die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Am 7. November 2013 wurde der Einspruch als unzulässig verworfen. Der Rechtsbehelf sei erst am 10. August 2013 und damit verspätet eingelegt worden. Nachforschungen hätten ergeben, dass der Mechanismus des Nachtbriefkastens einwandfrei funktioniert habe. Das sei höher zu bewerten als eventuelle Angaben von Personen.

3. Der Beschwerdeführer stellte daraufhin am 21. November 2013 Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit dem Ziel, den fristgerechten Eingang des Einspruchs festzustellen. Das betreffende Schreiben habe er im Beisein einer von ihm mit ladungsfähiger Anschrift benannten Zeugin rechtzeitig am 9. August 2013 eingeworfen. Dies habe er selbst auch bereits eidesstattlich versichert. Der Einwurf sei im Übrigen von der auf den Nachtbriefkasten gerichteten Videokamera aufgezeichnet worden. Ferner könne mittels einer Funkzellenabfrage hinsichtlich des von ihm benutzten Mobiltelefons nachgewiesen werden, dass er sich zur fraglichen Zeit zumindest vor Ort aufgehalten habe. Vermutlich habe er das Einspruchsschreiben versehentlich in ein Fach des Briefkastens eingeworfen, das für die Sendungen nach 24.00 Uhr vorgesehen sei.

Die Verwaltungsbehörde legte diesen Antrag am 3. Juli 2014 dem Amtsgericht München zur Entscheidung vor. Eine Überprüfung habe das einwandfreie Funktionieren des Nachtbriefkastens zur fraglichen Zeit ergeben. Es sei außerdem nicht möglich, eine Postsendung in einen nicht dafür vorgesehenen Spalt einzuwerfen.

Das Gericht verwarf den Antrag des Beschwerdeführers mit Beschluss vom 9. Juli 2014 als unbegründet. Der Einspruch sei zu Recht wegen Verspätung als unzulässig verworfen worden. Das betreffende Schreiben weise den Stempel des Nachtbriefkastens mit dem Datum vom 10. August 2013 auf. Wie Überprüfungen ergeben hätten, habe der Nachtbriefkasten in der Nacht vom 9. auf den 10. August 2013 einwandfrei funktioniert. Wäre der Einspruch in eine nicht für Briefe vorgesehene Öffnung eingebracht worden, wäre zu erwarten gewesen, dass das Schreiben überhaupt keinen Stempel des Nachtbriefkastens trage.

4. Mit Anhörungsrüge vom 21. Juli 2014 beantragte der Beschwerdeführer die Fortsetzung des Verfahrens. Zur Begründung führte er aus, dass die unterbreiteten Beweisangebote wie das Beiziehen der Videoaufzeichnungen vom Nachtbriefkasten, die Vernehmung der angebotenen Zeugin und die Erholung der Funkzellenabfrage als wesentliches Indiz für die Richtigkeit seines Sachvortrags nicht beachtet worden seien. Ferner habe er nicht behauptet, den Einspruch in einen nicht für Briefe vorgesehenen Spalt gesteckt zu haben, sondern einen Einwurf in den falschen Spalt des richtigen Nachtbriefkastens vorgetragen. Auch das Schreiben mit der Anhörungsrüge habe er am 21. Juli 2014 zusätzlich in diesen Spalt eingeworfen. Dies könne durch einen von ihm näher benannten Polizeibeamten bezeugt werden. Das Schreiben habe aber dennoch den Stempel des nächsten Tages erhalten. Der Vorgang sei für das Gericht selbst durch Augenschein feststellbar. Schließlich hätte seine eigene eidesstattliche Versicherung Berücksichtigung finden müssen, die er in Kenntnis der etwaigen strafrechtlichen Folgen bei falscher Abgabe unterzeichnet habe.

Aus einem Parallelverfahren gegen die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers lag dem Gericht die schriftliche Auskunft des Leiters der Poststelle der Verwaltungsbehörde zur Funktionsweise und Fehleranfälligkeit des Nachtbriefkastens unter Angabe der Herstellerfirma und des Datums der letzten Wartungsarbeiten vor. Weiter teilte die Behörde mit, dass das in dem Nachtbriefkasten eingeklemmte Anhörungsrügeschreiben des Beschwerdeführers am 7. August 2014 entfernt worden sei.

Daraufhin beantragte der Beschwerdeführer auch die Erholung einer Querschnittsund Funktionszeichnung des Briefkastens durch die von ihm benannte Herstellerfirma, um die technischen Möglichkeiten des Einwerfens von Postsendungen eindeutig nachvollziehen zu können. Der Geschäftsführer der Firma könne ferner diesbezüglich um eine Stellungnahme gebeten werden.

Das Gericht beschloss am 4. September 2014, das Verfahren nicht fortzusetzen, was dem Beschwerdeführer am 9. September 2014 mitgeteilt wurde. Die zulässige Anhörungsrüge habe sich als unbegründet erwiesen. Der Einwurf des Einspruchsschreibens könne sich nicht so zugetragen haben wie behauptet. Vielmehr habe der Beschwerdeführer selbst durch den Einwurf der Anhörungsrüge auch in den Spalt des Nachtbriefkastens, in den er auch sein Einspruchsschreiben geworfen haben wolle, vorgeführt, dass das entsprechende Schreiben in gar keinen Postbehälter gelange und folglich überhaupt nicht gestempelt werde. Die eidesstattliche Versicherung des Betroffenen sei daher kein geeignetes Mittel mehr, um die Rechtzeitigkeit des Einspruchs zu belegen. Im Übrigen stelle das Angebot von Beweismitteln allein keine ausreichende Glaubhaftmachung dar.

II.

1. Mit seiner am 7. November 2014 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV).

Er führt im Wesentlichen aus, das Gericht habe entscheidungserhebliches Vorbringen übergangen. Es habe seine Beweisangebote nicht beachtet. Die Aufzeichnungen der Überwachungskamera hätten unzweifelhaft den fristgerechten Einwurf des Einspruchsschreibens in den Nachtbriefkasten belegen können. Die angebotene, aber nicht vernommene Zeugin habe den Vorgang selbst beobachtet. Diese sei auch bereit, ihre Aussage zu beeiden. Durch eine Funkzellenabfrage hätte zumindest die Anwesenheit des Beschwerdeführers im Bereich des Briefkastens zur fraglichen Zeit nachgewiesen werden können. Er habe ferner eine eigene eidesstattliche Versicherung zur Glaubhaftmachung des Sachverhalts abgegeben, die unbeachtet geblieben sei. Auch sei der Polizeibeamte nicht als Zeuge gehört worden, der den Einwurf der Anhörungsrüge am 21. Juli 2014 in den Nachtbriefkasten der Verwaltungsbehörde beobachtet habe. Schließlich sei das Gericht seinem Antrag nicht gefolgt, eine Querschnitts- und Funktionszeichnung des Nachtbriefkastens von der Herstellerfirma anzufordern. Ebenso wenig sei der Geschäftsführer der Herstellerfirma als sachverständiger Zeuge vernommen worden. Der angefochtene Beschluss beruhe auch auf dem Verstoß gegen Art. 91 BV. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre, wenn es das Vorbringen des Beschwerdeführers berücksichtigt hätte.

2. Mit weiterem Schreiben vom 28. Januar 2015 rügt er darüber hinaus, der angegriffene Beschluss sei willkürlich, da er unter keinem Gesichtspunkt rechtlich vertretbar erscheine. Er sei schlechthin unhaltbar, offensichtlich sachwidrig und eindeutig unangemessen. Das gesamte Verteidigungsvorbringen in Form von Beweisanträgen sei ignoriert worden. Es bleibe daneben auch die Pflicht unberührt, die Wahrheit unter Berücksichtigung der Bedeutung der Sache von Amts wegen zu erforschen.

3. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde jedenfalls für unbegründet. In sämtlichen Entscheidungen sei das Gericht auf den Vortrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der rechtzeitigen Einlegung des Einspruchs, wenn auch kurz, eingegangen.

III.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sich der Beschwerdeführer auch auf einen Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 118 Abs. 1 BV) beruft.

Es kann dahinstehen, ob diese erstmalig im Schreiben vom 28. Januar 2015 erhobene Rüge hinreichend substanziiert im Sinn des Art. 51 Abs. 1 Satz 1 VfGHG vorgetragen ist. Sie ist jedenfalls nicht innerhalb der Beschwerdefrist von zwei Monaten (Art. 51 Abs. 2 Satz 2 VfGHG) geltend gemacht worden, die am 10. November 2014 endete (§ 187 Abs. 1 und § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB i. V. m. Art. 17 Abs. 1 Satz 1 VfGHG, Art. 17 Abs. 1 Satz 2 VfGHG). Nach Ablauf dieser Frist kann eine Verfassungsbeschwerde zwar in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ergänzt werden. Es kann aber nicht erstmals ein innerhalb dieser Frist nicht eindeutig bezeichneter Verfassungsverstoß gerügt werden (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 9.2.1994 VerfGHE 47, 47/50; vom 25.10.2011 - Vf. 44-VI-10 - juris Rn. 21; vom 1.3.2012 - Vf. 33-VI-11 - juris Rn. 20).

Danach ist die erst mit Schreiben vom 28. Januar 2015 erhobene Willkürrüge verfristet. In der Beschwerdeschrift vom 7. November 2014 wird das als verletzt angesehene Grundrecht auf rechtliches Gehör benannt, aber weder die Norm des Art. 118 Abs. 1 BV noch das Willkürverbot angesprochen. Auch in der Sache ist nicht ansatzweise ein Vortrag enthalten, aus dem sich die Möglichkeit einer willkürlichen, also schlechthin unhaltbaren, offensichtlich sachwidrigen, eindeutig unangemessenen Entscheidung ergeben könnte. Stattdessen beschränkt sich das Vorbringen auf eine Aufzählung der aus Sicht des Beschwerdeführers unbeachtet gebliebenen Beweisangebote für die Rechtzeitigkeit der Einspruchseinlegung.

IV.

Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie zulässig ist, unbegründet. Es liegt kein Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 91 Abs. 1 BV) vor.

1. Das Grundrecht auf rechtliches Gehör gibt den Beteiligten einen Anspruch darauf, dass das Gericht ein rechtzeitiges und möglicherweise erhebliches Vorbringen zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung in Erwägung zieht, soweit es nach den Verfahrensvorschriften nicht ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben muss oder kann (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 31.3.2008 VerfGHE 61, 66/70; vom 26.1.2010 VerfGHE 63, 10/13; vom 19.7.2013 - Vf. 88-VI-12 - juris Rn. 19; vom 7.10.2014 - Vf. 110-VI-13 - juris Rn. 17).

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht die von ihm entgegengenommenen Äußerungen eines Beteiligten zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung gewürdigt hat. Dies gilt auch dann, wenn es davon abgesehen hat, sie in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu erörtern. Es wird durch den Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht dazu verpflichtet, auf alle Ausführungen oder Anliegen eines Beteiligten einzugehen. Die Feststellung des Sachverhalts sowie die rechtliche Würdigung der festgestellten Tatsachen sind grundsätzlich Sache der Fachgerichte und damit der verfassungsrechtlichen Nachprüfung entzogen. Das Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs kann aber verletzt sein, wenn einem entscheidungserheblichen Beweisantrag nicht gefolgt wird und die Nichterhebung des Beweises auf einer Auslegung und Handhabung des Verfahrensrechts beruht, die unter Berücksichtigung des Art. 91 Abs. 1 BV unvertretbar ist (VerfGH vom 26.4.2005 VerfGHE 58, 108/111; vom 19.8.2010 VerfGHE 63, 144/152; vom 25.5.2011 VerfGHE 64, 61/67).

2. Der Umfang der vom Gericht getätigten Ermittlungen erscheint nicht unvertretbar. Das Amtsgericht hat das Rechtsschutzziel des Beschwerdeführers zur Kenntnis genommen und erwogen.

a) Im Verfahren über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung kommen nach § 62 Abs. 2 Satz 2 OWiG u. a. die Vorschriften über die Beschwerde nach den §§ 306 bis 309 StPO sinngemäß zur Anwendung. Das Verfahren nach § 62 OWiG führt zur vollständigen Überprüfung der angefochtenen Maßnahme - hier der Verwerfung des Einspruchs wegen Verfristung - in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht (vgl. BVerfG vom 25.01.2008 - 2 BvR 325/06 - juris Rn. 31). Der Umfang der Ermittlungen wird durch den Gegenstand des Rechtsbehelfs bestimmt und begrenzt (vgl. Zabeck in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 308 Rn. 17). Soweit es für die Beurteilung der Begründetheit des Antrags erforderlich ist, hat das Gericht gemäß § 308 Abs. 2 StPO alle zur Aufklärung des Sachverhalts notwendigen Ermittlungen von Amts wegen, aber nach pflichtgemäßem Ermessen und ohne Bindung an Anträge durchzuführen und darf dabei das Freibeweisverfahren anwenden (vgl. BVerfG, a. a. O.). Dieses entbindet es von den für die Beweiserhebung im Übrigen geltenden Grundsätzen der Mündlichkeit, Unmittelbarkeit und Öffentlichkeit der Beweisaufnahme, nicht jedoch von dem Erfordernis, auf zur Erfüllung der Aufklärungspflicht geeignete Beweismittel zuzugreifen (vgl. BVerfG, a. a. O.). Es kann Ermittlungen anordnen und selbst vornehmen, also etwa einen Zeugen vernehmen oder vernehmen lassen (vgl. Kurz in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 4. Aufl. 2014, § 62 Rn. 24 m. w. N.). Die Gerichte sind aber nicht verpflichtet, Beweisanträgen zu entsprechen, wenn sie diese nach dem sonstigen Ermittlungsergebnis nicht für sachdienlich oder aus Rechtsgründen für unerheblich halten (vgl. VerfGH vom 30.1.2007 VerfGHE 60, 14/23 f.; vom 17.12.2012 FamRZ 2013, 1234/1237). Auf welche Art und durch welche Mittel die erforderliche Aufklärung bewirkt wird, ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen (vgl. BVerfG, a. a. O.).

b) Das Gericht hat sich mit der Problematik des Zugangs des Einspruchs auseinandergesetzt und nachvollziehbar begründet, weshalb es seiner Meinung nach keiner weiteren Ermittlungen mehr bedurfte.

Dem Gericht lag vor der Entscheidung neben weiteren Auskünften der Behörde die Stellungnahme der Verwaltungsbehörde zu Funktionsweise und Fehleranfälligkeit des Nachtbriefkastens unter Angabe der Herstellerfirma und des Datums der letzten Wartungsarbeiten vor. Außerdem trug das Einspruchsschreiben den Stempelaufdruck „10. August 2013". Darüber hinaus war es unter Berücksichtigung des Art. 91 Abs. 1 BV nicht völlig unvertretbar, auch in Anbetracht der Bedeutung der Sache und der gestellten Beweisanträge keine weiteren Ermittlungen anzustellen.

aa) Zwar besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sich zur Glaubhaftmachung eines Sachverhalts der eidesstattlichen Versicherung zu bedienen. Eine Ausnahme muss jedoch für den Fall gelten, dass der Antragsteller selbst der Betroffene ist. Denn der Eid und die eidesstattliche Versicherung sind mit seiner Stellung im Verfahren nicht vereinbar (vgl. BGH vom 13.9.2005 NStZ 2006, 54/55; vom 5.8.2010 NStZ-RR 2010, 378 zu § 45 StPO). Er darf nicht in einen Zwiespalt zwischen Eidespflicht und Verteidigungsrecht gedrängt werden. Dasselbe hat für die eidesstattliche Versicherung zu gelten. Gibt nämlich der Betroffene Versicherungen ab, um das vorläufig zu seinen Ungunsten beendete Ordnungswidrigkeitenverfahren fortsetzen und so zu seinen Gunsten wenden zu können, so will er damit vorrangig seiner Verteidigung dienen. Er handelt unter dem Druck der Verfolgung mit einem Bußgeld. Auch wenn seine Erklärung zunächst nur eine Verfahrensmaßnahme herbeiführen soll, so ist dennoch ihr Endzweck die Befreiung von der Anschuldigung (vgl. OLG Hamm vom 11.9.1973 NJW 1974, 327/328). Die eidesstattliche Versicherung des Betroffenen selbst ist deshalb kein zulässiges Mittel der Glaubhaftmachung (Maul in Karlsruher Kommentar zur StPO, § 45 Rn. 13 m. w. N.). Sie vermag als solche auch keine Rechtswirkungen zu erzeugen und ist allenfalls als schlichte Erklärung des Betroffenen zu werten (BGH vom 21.12.1972 BGHSt 25, 89/92).

bb) Die Vernehmung der vom Beschwerdeführer benannten Zeugin, die den Einwurf des Einspruchsschreibens am 9. August 2013 beobachtet haben soll, durfte das Gericht angesichts der Beweislage im Übrigen noch vertretbar für nicht mehr erforderlich halten. Dem Gericht lag die Auskunft der Verwaltungsbehörde vor, dass der Mechanismus des Briefkastens zur fraglichen Zeit einwandfrei funktioniert habe und ein Fehleinwurf daher auszuschließen sei. Eine schriftliche Bestätigung der Zeugin zum behaupteten Sachverhalt, die nach dem Freibeweisverfahren rechtlich als ausreichend anzusehen wäre, liegt nicht vor.

cc) Eine sog. Funkzellenabfrage brauchte das Gericht im Wege der Amtsermittlung nicht mehr zu erholen. Der Beschwerdeführer selbst führt hierzu aus, dass entsprechend der Rückfrage bei seinem Telefonanbieter relevante Daten längstens sechs Monate gespeichert würden. Diese waren bereits verstrichen, als das Gericht erstmals im Juli 2014 mit dem Einspruch vom 9. August 2013 befasst wurde.

dd) Auch musste das Gericht seine Ermittlungen nicht auf die Aufzeichnungen der Überwachungskamera erstrecken. Es konnte einer Stellungnahme der Verwaltungsbehörde vom 1. Oktober 2013 entnehmen, dass die Aufzeichnungen aus datenschutzrechtlichen Gründen nur zwanzig Tage gespeichert und sodann gelöscht werden. Aufnahmen waren daher zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mehr verfügbar.

ee) Ebenso wenig musste sich im Rahmen der Amtsermittlung aufdrängen, den Polizisten als Zeugen für den Einwurf der Anhörungsrüge in den Nachtbriefkasten der Verwaltungsbehörde am 21. Juli 2014 zu vernehmen. Zum einen könnte er zur hier entscheidungserheblichen Rechtzeitigkeit des Einspruchs im August 2013 nichts aussagen. Zum anderen hatte die Verwaltungsbehörde mitgeteilt, dass das in dem Nachtbriefkasten eingeklemmte Anhörungsrügeschreiben nebst Briefumschlag am 7. August 2014 entfernt worden und gerade nicht in das Innere des Briefkastens gelangt sei.

ff) Das gleiche gilt für die beantragte Erholung einer Querschnitts- und Funktionszeichnung des Briefkastens von der Herstellerfirma nebst Erläuterung durch deren Geschäftsführer als sachverständiger Zeuge. Dem Gericht lag die Mitteilung der Verwaltungsbehörde vor, wonach dessen Mechanismus einwandfrei funktioniert habe.

gg) Daher erscheint auch das Unterbleiben eines richterlichen Augenscheins gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 86 StPO hinsichtlich der Gegebenheiten des Briefkastens vor Ort nicht unvertretbar. Das Gericht konnte auf diesbezügliche Beschreibungen durch die Behörde sowie die vom Beschwerdeführer übersandten Lichtbilder zurückgreifen.

Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 46 Anwendung der Vorschriften über das Strafverfahren


(1) Für das Bußgeldverfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sinngemäß die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Jugendgerichtsge

Strafprozeßordnung - StPO | § 45 Anforderungen an einen Wiedereinsetzungsantrag


(1) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses bei dem Gericht zu stellen, bei dem die Frist wahrzunehmen gewesen wäre. Zur Wahrung der Frist genügt es, wenn der Antrag rechtzeitig bei de

Strafprozeßordnung - StPO | § 306 Einlegung; Abhilfeverfahren


(1) Die Beschwerde wird bei dem Gericht, von dem oder von dessen Vorsitzenden die angefochtene Entscheidung erlassen ist, zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich eingelegt. (2) Erachtet das Gericht oder der Vorsitzende, dessen Entscheid

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 62 Rechtsbehelf gegen Maßnahmen der Verwaltungsbehörde


(1) Gegen Anordnungen, Verfügungen und sonstige Maßnahmen, die von der Verwaltungsbehörde im Bußgeldverfahren getroffen werden, können der Betroffene und andere Personen, gegen die sich die Maßnahme richtet, gerichtliche Entscheidung beantragen. Dies

Strafprozeßordnung - StPO | § 308 Befugnisse des Beschwerdegerichts


(1) Das Beschwerdegericht darf die angefochtene Entscheidung nicht zum Nachteil des Gegners des Beschwerdeführers ändern, ohne daß diesem die Beschwerde zur Gegenerklärung mitgeteilt worden ist. Dies gilt nicht in den Fällen des § 33 Abs. 4 Satz 1.

Strafprozeßordnung - StPO | § 86 Richterlicher Augenschein


Findet die Einnahme eines richterlichen Augenscheins statt, so ist im Protokoll der vorgefundene Sachbestand festzustellen und darüber Auskunft zu geben, welche Spuren oder Merkmale, deren Vorhandensein nach der besonderen Beschaffenheit des Falles v

Referenzen

(1) Gegen Anordnungen, Verfügungen und sonstige Maßnahmen, die von der Verwaltungsbehörde im Bußgeldverfahren getroffen werden, können der Betroffene und andere Personen, gegen die sich die Maßnahme richtet, gerichtliche Entscheidung beantragen. Dies gilt nicht für Maßnahmen, die nur zur Vorbereitung der Entscheidung, ob ein Bußgeldbescheid erlassen oder das Verfahren eingestellt wird, getroffen werden und keine selbständige Bedeutung haben.

(2) Über den Antrag entscheidet das nach § 68 zuständige Gericht. Die §§ 297 bis 300, 302, 306 bis 309 und 311a der Strafprozeßordnung sowie die Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Auferlegung der Kosten des Beschwerdeverfahrens gelten sinngemäß. Die Entscheidung des Gerichts ist nicht anfechtbar, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt.

(1) Das Beschwerdegericht darf die angefochtene Entscheidung nicht zum Nachteil des Gegners des Beschwerdeführers ändern, ohne daß diesem die Beschwerde zur Gegenerklärung mitgeteilt worden ist. Dies gilt nicht in den Fällen des § 33 Abs. 4 Satz 1.

(2) Das Beschwerdegericht kann Ermittlungen anordnen oder selbst vornehmen.

(1) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses bei dem Gericht zu stellen, bei dem die Frist wahrzunehmen gewesen wäre. Zur Wahrung der Frist genügt es, wenn der Antrag rechtzeitig bei dem Gericht gestellt wird, das über den Antrag entscheidet.

(2) Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

(1) Für das Bußgeldverfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sinngemäß die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Jugendgerichtsgesetzes.

(2) Die Verfolgungsbehörde hat, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, im Bußgeldverfahren dieselben Rechte und Pflichten wie die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten.

(3) Anstaltsunterbringung, Verhaftung und vorläufige Festnahme, Beschlagnahme von Postsendungen und Telegrammen sowie Auskunftsersuchen über Umstände, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, sind unzulässig. § 160 Abs. 3 Satz 2 der Strafprozeßordnung über die Gerichtshilfe ist nicht anzuwenden. Ein Klageerzwingungsverfahren findet nicht statt. Die Vorschriften über die Beteiligung des Verletzten am Verfahren und über das länderübergreifende staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister sind nicht anzuwenden; dies gilt nicht für § 406e der Strafprozeßordnung.

(4) § 81a Abs. 1 Satz 2 der Strafprozeßordnung ist mit der Einschränkung anzuwenden, daß nur die Entnahme von Blutproben und andere geringfügige Eingriffe zulässig sind. Die Entnahme einer Blutprobe bedarf abweichend von § 81a Absatz 2 Satz 1 der Strafprozessordnung keiner richterlichen Anordnung, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine Ordnungswidrigkeit begangen worden ist

1.
nach den §§ 24a und 24c des Straßenverkehrsgesetzes oder
2.
nach § 7 Absatz 1 des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes in Verbindung mit einer Vorschrift einer auf Grund des § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes erlassenen Rechtsverordnung, sofern diese Vorschrift das Verhalten im Verkehr im Sinne des § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes regelt.
In einem Strafverfahren entnommene Blutproben und sonstige Körperzellen, deren Entnahme im Bußgeldverfahren nach Satz 1 zulässig gewesen wäre, dürfen verwendet werden. Die Verwendung von Blutproben und sonstigen Körperzellen zur Durchführung einer Untersuchung im Sinne des § 81e der Strafprozeßordnung ist unzulässig.

(4a) § 100j Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 der Strafprozessordnung, auch in Verbindung mit § 100j Absatz 2 der Strafprozessordnung, ist mit der Einschränkung anzuwenden, dass die Erhebung von Bestandsdaten nur zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zulässig ist, die gegenüber natürlichen Personen mit Geldbußen im Höchstmaß von mehr als fünfzehntausend Euro bedroht sind.

(5) Die Anordnung der Vorführung des Betroffenen und der Zeugen, die einer Ladung nicht nachkommen, bleibt dem Richter vorbehalten. Die Haft zur Erzwingung des Zeugnisses (§ 70 Abs. 2 der Strafprozessordnung) darf sechs Wochen nicht überschreiten.

(6) Im Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende kann von der Heranziehung der Jugendgerichtshilfe (§ 38 des Jugendgerichtsgesetzes) abgesehen werden, wenn ihre Mitwirkung für die sachgemäße Durchführung des Verfahrens entbehrlich ist.

(7) Im gerichtlichen Verfahren entscheiden beim Amtsgericht Abteilungen für Bußgeldsachen, beim Landgericht Kammern für Bußgeldsachen und beim Oberlandesgericht sowie beim Bundesgerichtshof Senate für Bußgeldsachen.

(8) Die Vorschriften zur Durchführung des § 191a Absatz 1 Satz 1 bis 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes im Bußgeldverfahren sind in der Rechtsverordnung nach § 191a Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes zu bestimmen.

Findet die Einnahme eines richterlichen Augenscheins statt, so ist im Protokoll der vorgefundene Sachbestand festzustellen und darüber Auskunft zu geben, welche Spuren oder Merkmale, deren Vorhandensein nach der besonderen Beschaffenheit des Falles vermutet werden konnte, gefehlt haben.