Bundesarbeitsgericht Urteil, 17. Juni 2015 - 4 AZR 371/13

ECLI:ECLI:DE:BAG:2015:170615.U.4AZR371.13.0
bei uns veröffentlicht am17.06.2015

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 30. Oktober 2012 - 12 Sa 504/12 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 28. Februar 2012 - 1 Ca 1356/11 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin seit dem 1. November 2009 nach der Entgeltgruppe S 14 des Anhangs zur Anlage C zum TVöD-BT-V/VKA zu vergüten und die anfallenden monatlichen Nettodifferenzbeträge für die Monate November 2009 bis einschließlich September 2011 ab dem 27. Oktober 2011 und für die folgenden Kalendermonate jeweils ab dem 1. des Folgemonats mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin.

2

Die Klägerin ist Diplom-Sozialarbeiterin und seit dem Jahr 1981 bei dem beklagten Kreis (im Folgenden: Beklagter) beschäftigt. Seit 1995 ist sie im Sozialpsychiatrischen Dienst tätig. Für das Arbeitsverhältnis der Parteien gelten die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit. Durch den Änderungstarifvertrag Nr. 6 zum Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD - Besonderer Teil Verwaltung - (BT-V)) vom 27. Juli 2009 gelten für die Eingruppierung der Beschäftigten des Sozial- und Erziehungsdienstes ab dem 1. November 2009 nach § 1 Abs. 1 Satz 1 der „Anlage zu Abschnitt VIII Sonderregelungen (VKA) § 56“ die Tätigkeitsmerkmale des Anhangs zur Anlage C. Die Klägerin erhält seither eine Vergütung nach der Entgeltgruppe S 12 TVöD-BT-V/VKA.

3

Die Klägerin betreut im Rahmen der ihr übertragenen Tätigkeit Menschen mit psychischen Erkrankungen. Sie ist unter Einbeziehung fachärztlicher Beratung eigenverantwortlich für die Umsetzung der im Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (im Folgenden: PsychKG NRW) vorgesehenen Maßnahmen zuständig. Sie hat die überwiegend telefonisch und persönlich an sie herangetragenen Hilfegesuche selbständig und vollständig zu bearbeiten. Es obliegt ihr, - ggf. nach Durchführung von Sprechstunden oder Hausbesuchen - die Situation zu bewerten und geeignete Maßnahmen einzuleiten. Soweit erforderlich stellt sie auch Anträge nach dem Betreuungsgesetz. Dieser Aufgabenkreis umfasst - wie auch in der Stellenbeschreibung dargestellt - einen Arbeitszeitanteil von 95 vH der Gesamttätigkeit der Klägerin.

4

Im Kreisgebiet des Beklagten betreuten die 12 Sozialarbeiter und Sozialpädagogen im Jahr 2008 1.089 und im Jahr 2009 1.125 „Klienten“. 2008 wurden 89 und 2009 41 Personen untergebracht, wobei der Sozialpsychiatrische Dienst nicht in allen Fällen beteiligt war.

5

Mit Schreiben vom 25. Januar 2010 sowie 4. Mai 2011 hat die Klägerin Vergütung nach der Entgeltgruppe S 14 TVöD-BT-V/VKA rückwirkend ab 1. November 2009 geltend gemacht. Sie hat die Auffassung vertreten, ihre Tätigkeit erfülle schon unter Berücksichtigung des im Klammerzusatz genannten „Sozialpsychiatrischen Dienstes“ das Tätigkeitsmerkmal der zweiten Alternative der begehrten Entgeltgruppe. Die von ihr zu erbringenden Tätigkeiten seien zudem mit denen der Mitarbeiter des Jugendamts gleichwertig. Sie treffe Entscheidungen zur Gefahrenabwehr.

6

Die Klägerin hat zuletzt beantragt

festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr ab dem 1. November 2009 Vergütung nach der Entgeltgruppe S 14 des Anhangs zur Anlage C zum TVöD-BT-V/VKA zu zahlen und die anfallenden monatlichen Nettodifferenzbeträge für die Monate November 2009 bis einschließlich September 2011 ab dem 27. Oktober 2011 und für die folgenden Kalendermonate jeweils ab dem 1. des Folgemonats mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.

7

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, die Tätigkeit der Klägerin erfülle nicht die Anforderungen des Tätigkeitsmerkmals der Entgeltgruppe S 14 Alt. 2 TVöD-BT-V/VKA. Die Aufgaben nach dem PsychKG NRW seien den Ordnungsbehörden zugewiesen. Daraus folge, dass im Sozialpsychiatrischen Dienst keine Tätigkeiten anfielen, die denen gleichwertig seien, die von den Mitarbeitern des Jugendamts verrichtet würden. Die Mitarbeiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes seien - anders als die des Jugendamts - nie „Herren des Verfahrens“. Deren Beteiligung an Unterbringungsverfahren falle statistisch und tatsächlich nicht ins Gewicht. Die Zahl der Unterbringungen im Zuständigkeitsbereich des Beklagten sei im Vergleich zum Land Nordrhein-Westfalen unterdurchschnittlich.

8

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen.

10

I. Die Klage ist nach § 256 Abs. 1 ZPO als allgemein übliche Eingruppierungsfeststellungsklage(st. Rspr., siehe nur BAG 21. März 2012 - 4 AZR 266/10 - Rn. 18; 17. November 2010 - 4 AZR 188/09 - Rn. 15; 22. April 2009 - 4 AZR 166/08 - Rn. 13 mwN) auch im Hinblick auf die Verzinsung (vgl. BAG 23. September 2009 - 4 AZR 308/08 - Rn. 10 mwN) zulässig. Dem steht der Umstand nicht entgegen, dass die Klägerin eine Verzinsung der monatlichen Differenzbeträge erst in der Revisionsinstanz geltend gemacht hat. Zwar sind Klageerweiterungen in der Revisionsinstanz grundsätzlich unzulässig, weil das Revisionsgericht gem. § 559 Abs. 1 ZPO an Tatsachenvorbringen und Feststellungen im Berufungsverfahren gebunden ist(vgl. nur BAG 28. Oktober 2008 - 3 AZR 903/07 - Rn. 17; 9. November 2005 - 5 AZR 105/05 - Rn. 13). Dies gilt aber dann nicht, wenn die Änderung des Klageantrags unter § 264 Nr. 2 oder Nr. 3 ZPO fällt und der neue Antrag - wie hier - auf unstreitiges oder festgestelltes tatsächliches Vorbringen gestützt werden kann(vgl. nur BAG 17. November 2010 - 4 AZR 118/09 - Rn. 12; 19. Februar 2002 - 3 AZR 589/99 - zu II der Gründe).

11

II. Die Klage ist auch begründet. Der Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin nach der Entgeltgruppe S 14 TVöD-BT-V/VKA zu vergüten.

12

1. Für die Eingruppierung der Klägerin sind aufgrund der beiderseitigen Tarifgebundenheit neben § 22 Abs. 2 Unterabs. 1 BAT, der nach § 17 Abs. 1 Satz 1 des Tarifvertrags zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-VKA) nach wie vor maßgebend ist, ua. die nachstehenden Bestimmungen der Entgeltgruppen S des TVöD-BT-V/VKA von Bedeutung:

„S 12

Sozialarbeiterinnen/Sozialarbeiter und Sozialpädagoginnen/Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung und entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Beschäftigte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben, mit schwierigen Tätigkeiten. …

S 14

Sozialarbeiterinnen/Sozialarbeiter und Sozialpädagoginnen/Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung und entsprechender Tätigkeit, die Entscheidungen zur Vermeidung der Gefährdung des Kindeswohls treffen und in Zusammenarbeit mit dem Familiengericht bzw. Vormundschaftsgericht Maßnahmen einleiten, welche zur Gefahrenabwehr erforderlich sind, oder mit gleichwertigen Tätigkeiten, die für die Entscheidung zur zwangsweisen Unterbringung von Menschen mit psychischen Krankheiten erforderlich sind (z. B. Sozialpsychiatrischer Dienst der örtlichen Stellen der Städte, Gemeinden und Landkreise).“

13

Durch den Änderungstarifvertrag Nr. 11 vom 24. Januar 2011 fügten die Tarifvertragsparteien der Entgeltgruppe S 14 TVöD-BT-V/VKA eine neue Protokollerklärung Nr. 13 hinzu. Dort heißt es:

„13. Das ‚Treffen von Entscheidungen zur Vermeidung der Gefährdung des Kindeswohls und die Einleitung von Maßnahmen in Zusammenarbeit mit dem Familiengericht bzw. Vormundschaftsgericht, welche zur Gefahrenabwehr erforderlich sind‘, sind im Allgemeinen Sozialen Dienst bei Tätigkeiten im Rahmen der Fallverantwortung bei

- Hilfen zur Erziehung nach § 27 SGB VIII,

- der Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII,

- der Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen (§ 42 SGB VIII),

- der Mitwirkung in Verfahren vor den Familiengerichten (§ 50 SGB VIII)

einschließlich der damit in Zusammenhang stehenden Tätigkeiten erfüllt.

…“

14

2. Die Klägerin kann sich für ihr Begehren, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen hat, nicht allein wegen ihrer Tätigkeit im Sozialpsychiatrischen Dienst auf den Klammerzusatz des Tätigkeitsmerkmals der Entgeltgruppe S 14 Alt. 2 TVöD-BT-V/VKA (Sozialpsychiatrischer Dienst der örtlichen Stellen der Städte, Gemeinden und Landkreise) stützen. Durch diesen wird lediglich ein Fachdienst, nicht jedoch eine bestimmte Tätigkeit bezeichnet. Es handelt sich nicht um ein tarifliches „Regelbeispiel“ (dazu etwa BAG 18. März 2015 - 4 AZR 59/13 - Rn. 14; 23. März 2011 - 4 AZR 926/08 - Rn. 22 mwN), das eine Prüfung allgemeiner Tätigkeitsmerkmale entbehrlich macht (BAG 13. November 2013 - 4 AZR 53/12 - Rn. 32).

15

3. Die von der Klägerin auszuübende Tätigkeit erfüllt aber das Tätigkeitsmerkmal der Entgeltgruppe S 14 Alt. 2 TVöD-BT-V/VKA.

16

a) Die Tätigkeit der Klägerin besteht weitgehend aus einem einheitlichen Arbeitsvorgang.

17

aa) Nach der Definition der Tarifvertragsparteien in der Protokollnotiz Nr. 1 zu § 22 Abs. 2 BAT ist grundsätzlich und allein das Arbeitsergebnis für die Bestimmung eines Arbeitsvorgangs maßgebend(st. Rspr., zB BAG 21. März 2012 - 4 AZR 266/10 - Rn. 24 mwN).

18

(1) Die tarifliche Wertigkeit der verschiedenen Einzeltätigkeiten oder Arbeitsschritte bleibt bei der Bestimmung des Arbeitsvorgangs zunächst außer Betracht. Erst nachdem der Arbeitsvorgang bestimmt worden ist, ist dieser anhand des in Anspruch genommenen Tätigkeitsmerkmals zu bewerten (BAG 18. März 2015 - 4 AZR 59/13 - Rn. 17; 6. Juli 2011 - 4 AZR 568/09 - Rn. 58). Bei der Zuordnung zu einem Arbeitsvorgang können wiederkehrende und gleichartige Tätigkeiten zusammengefasst werden. Dabei kann die gesamte vertraglich geschuldete Tätigkeit einen einzigen Arbeitsvorgang ausmachen. Einzeltätigkeiten können jedoch dann nicht zusammengefasst werden, wenn die verschiedenen Arbeitsschritte von vornherein auseinandergehalten und organisatorisch voneinander getrennt sind. Dafür reicht die theoretische Möglichkeit nicht aus, einzelne Arbeitsschritte oder Einzelaufgaben verwaltungstechnisch isoliert auf andere Angestellte übertragen zu können, solange sie nach der tatsächlichen Arbeitsorganisation des Arbeitgebers als einheitliche Arbeitsaufgabe einer Person real übertragen sind (BAG 13. Mai 2015 - 4 AZR 355/13 - Rn. 16). Tatsächlich getrennt sind Arbeitsschritte nicht, wenn sich erst im Laufe der Bearbeitung herausstellt, welchen tariflich erheblichen Schwierigkeitsgrad der einzelne Fall aufweist (st. Rspr., zB BAG 21. August 2013 - 4 AZR 933/11 - Rn. 14, BAGE 146, 22; grdl. 23. September 2009 - 4 AZR 308/08 - Rn. 20 mwN).

19

(2) Bei der Bearbeitung von Fällen durch Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter bildet regelmäßig nicht jeder einzelne Fall einen Arbeitsvorgang, sondern erst die Befassung mit allen Fällen füllt diesen Rechtsbegriff aus (st. Rspr., BAG 21. August 2013 - 4 AZR 968/11 - Rn. 14; 6. März 1996 - 4 AZR 775/94  - zu II 3 b der Gründe). Andernfalls käme es zu einer tarifwidrigen Atomisierung solcher Tätigkeiten (st. Rspr., BAG 13. November 2013 - 4 AZR 53/12 - Rn. 22; 20. März 1996 - 4 AZR 1052/94 - zu II 2 b der Gründe, BAGE 82, 272). Dies gilt jedoch nur dann, wenn der zugewiesene Personenkreis auch einheitlich bestimmt ist. Hat ein Sozialarbeiter verschiedene, voneinander abgrenzbare Personenkreise zu betreuen (zB Obdachlose/Nichtsesshafte, Flüchtlinge/Asylbewerber), deren Status und Hilfsansprüche rechtlich ganz unterschiedlich bestimmt sind, kommt bei getrennter Betreuung die Aufteilung der Tätigkeit in je einen Arbeitsvorgang für je eine Gruppe der betreuten Personen in Betracht (vgl. BAG 10. Dezember 2014 - 4 AZR 773/12 - Rn. 25 mwN).

20

(3) Maßgebend ist danach die Organisation des Arbeitgebers. Wird einer Sozialarbeiterin die einheitliche Fallbearbeitung mit unterschiedlichen komplexen Aufgaben übertragen, ohne dass in den organisatorischen Ablauf der erforderlichen Arbeitsschritte durch den Arbeitgeber eine Zäsur mit einer neuen Arbeitsaufgabe eingefügt wird, handelt es sich regelmäßig um einen einheitlichen Arbeitsvorgang. Dies gilt auch dann, wenn die dort enthaltenen einzelnen Arbeitsschritte unterschiedliche Schwierigkeitsgrade aufweisen, die - für sich genommen - unterschiedlichen Tätigkeitsmerkmalen zugeordnet werden könnten (vgl. dazu BAG 13. Mai 2015 - 4 AZR 355/13 - Rn. 19).

21

(4) Die tatsächlichen Grundlagen für die Bestimmung des Arbeitsvorgangs sind von den Gerichten für Arbeitssachen zunächst zu ermitteln und festzustellen. Stehen die erforderlichen Tatsachen fest, können die Arbeitsvorgänge vom Revisionsgericht selbst bestimmt werden (st. Rspr., zB BAG 18. März 2015 - 4 AZR 59/13 - Rn. 20; 28. Januar 2009 - 4 AZR 13/08 - Rn. 44, BAGE 129, 208; 22. Januar 1986 - 4 AZR 409/84 - mwN).

22

bb) In Anwendung dieses Maßstabs bildet die Tätigkeit der Klägerin jedenfalls zu 95 vH der Gesamttätigkeit einen einheitlichen Arbeitsvorgang. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist die Klägerin eigenverantwortlich für die Umsetzung der Hilfe- und Schutzmaßnahmen nach dem PsychKG NRW zuständig. Dabei obliegt es ihr, die jeweilige Situation klientenbezogen zu bewerten und die erforderlichen und geeigneten Maßnahmen in die Wege zu leiten. Dazu gehört unstreitig auch eine sofortige Krisenintervention einschließlich der Prüfung eines Unterbringungserfordernisses. Ob eine Unterbringung notwendig ist, steht danach nicht bereits bei Übernahme der Fallverantwortung fest. Vielmehr stellt sich dies erst im Laufe der weiteren Bearbeitung heraus. Einzelne Arbeitsschritte, die die zwangsweise Unterbringung der betroffenen Personen zum Gegenstand haben, sind deshalb nach der von dem Beklagten vorgegebenen Organisation nicht von der übrigen Tätigkeit der Klägerin tatsächlich getrennt. Dem entspricht im Übrigen auch die von dem Beklagten erstellte Stellenbeschreibung, die die Tätigkeiten im Sozialpsychiatrischen Dienst nach dem PsychKG NRW mit einem einheitlichen Arbeitszeitanteil von 95 vH bemisst.

23

b) Die der Klägerin im Zusammenhang mit der Umsetzung von Maßnahmen nach dem PsychKG NRW übertragene Tätigkeit erfüllt das Tätigkeitsmerkmal der Entgeltgruppe S 14 Alt. 2 TVöD-BT-V/VKA.

24

aa) Die Klägerin übt insoweit eine Tätigkeit aus, die für die Entscheidung zur zwangsweisen Unterbringung von Menschen mit psychischen Krankheiten erforderlich ist. Gem. § 12 Satz 1 PsychKG NRW erfolgt die Anordnung der Unterbringung durch das Amtsgericht im Benehmen mit dem Sozialpsychiatrischen Dienst. Die Einbeziehung des Sozialpsychiatrischen Dienstes ist danach gesetzlich vorgesehen und damit „erforderlich“ iSd. Tarifmerkmals. Etwas anderes gilt nach § 14 Abs. 1 Satz 4 PsychKG NRW ausnahmsweise und lediglich für den Fall der sofortigen Unterbringung. Hier ist eine Beteiligung des Sozialpsychiatrischen Dienstes gesetzlich nur vorgesehen, wenn die örtliche Ordnungsbehörde in der Beurteilung der Voraussetzungen für eine sofortige Unterbringung von einem vorgelegten ärztlichen Zeugnis abweichen will.

25

bb) Die Tätigkeit der Klägerin ist auch „gleichwertig“ im tariflichen Sinne.

26

(1) Eine Tätigkeit, die - wie die der Klägerin - im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Gefahrenabwehr im Bereich der zwangsweisen Unterbringung von Menschen mit psychischen Krankheiten steht und insoweit von Gesetzes wegen erforderlich ist, ist regelmäßig „gleichwertig“ iSd. Entgeltgruppe S 14 Alt. 2 TVöD-BT-V/VKA (vgl. BAG 18. März 2015 - 4 AZR 59/13 - Rn. 25; 13. November 2013 - 4 AZR 53/12 - Rn. 37). Die „Gleichwertigkeit“ setzt entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts keine unmittelbare Entscheidungsbefugnis über eine zwangsweise Unterbringung voraus. Während nach der ersten Alternative der Entgeltgruppe S 14 TVöD-BT-V/VKA ausdrücklich eigene „Entscheidungen“ zu „treffen“ sind, erfordert die zweite Alternative nach dem Tarifwortlaut eine eigene Antrags- und Entscheidungsbefugnis gerade nicht. Die Sozialarbeiterin muss entgegen der Auffassung des Beklagten nicht in diesem Sinne „Herr des Verfahrens“ sein. Die zweite Alternative der Entgeltgruppe erfasst vielmehr Tätigkeiten, die „für … Entscheidungen“ anderer erforderlich sind. Darunter sind „begleitende“ Maßnahmen bei der Entscheidung zur zwangsweisen Unterbringung zu verstehen, die ihrerseits nicht allein ausschlaggebend sein müssen (BAG 13. November 2013 - 4 AZR 53/12 - Rn. 35). Ebenso wenig setzt die zweite Alternative der Entgeltgruppe S 14 TVöD-BT-V/VKA eine eigenständige Zusammenarbeit mit den Gerichten voraus. Auch eine solche wird nach dem Wortlaut der Tarifnorm nur in der ersten Alternative verlangt (BAG 18. März 2015 - 4 AZR 59/13 - Rn. 25; 13. November 2013 - 4 AZR 53/12 - Rn. 36).

27

(2) Die Protokollerklärung Nr. 13 zur Entgeltgruppe S 14 TVöD-BT-V/VKA steht diesem Normverständnis nicht entgegen. Sie bezieht sich lediglich auf das Tätigkeitsmerkmal der ersten Alternative. Anhaltspunkte dafür, unter welchen Voraussetzungen die Tarifvertragsparteien die Gleichwertigkeit iSd. zweiten Alternative für erfüllt ansehen, lassen sich der Protokollerklärung nicht entnehmen (BAG 18. März 2015 - 4 AZR 59/13 - Rn. 26).

28

cc) Die Tätigkeit der Klägerin erfordert die Mitwirkung an Entscheidungen zur zwangsweisen Unterbringung auch in einem rechtlich ausreichenden Maße. Der Einwand des Beklagten, die Beteiligung des Sozialpsychiatrischen Dienstes an Unterbringungsverfahren falle statistisch und tatsächlich nicht ins Gewicht und es fielen bei ihm nur wenige solcher Verfahren an, steht dem nicht entgegen.

29

(1) Für die Erfüllung des höheren Tätigkeitsmerkmals ist es ausreichend, dass die Sozialarbeiterin innerhalb ihres maßgebenden Arbeitsvorgangs die fraglichen Aufgaben und Tätigkeiten in einem rechtserheblichen Umfang auszuüben hat (vgl. BAG 18. März 2015 - 4 AZR 59/13 - Rn. 28; 13. November 2013 - 4 AZR 53/12 - Rn. 31; 18. Mai 1994 - 4 AZR 461/93 - zu B II 4 c der Gründe). Nicht erforderlich ist, dass die für die Höherwertigkeit maßgebenden Einzeltätigkeiten innerhalb des Arbeitsvorgangs zeitlich überwiegend anfallen.

30

(2) Danach übt die Klägerin in einem rechtserheblichen Umfang (gleichwertige) Tätigkeiten aus, die für die zwangsweise Unterbringung erforderlich sind. Die vom Beklagten angegebenen Zahlen sind nicht von entscheidender Bedeutung. Entgegen seiner Auffassung ist für die Erfüllung des Tarifmerkmals nicht die Anzahl der tatsächlich erfolgten Einweisungen maßgebend. Entscheidend ist vielmehr die Verpflichtung der Sozialarbeiterin, in einer Vielzahl von Fällen - auch in Fällen, in denen letztlich eine Einweisung der betroffenen Person nicht erfolgt oder sogar nicht einmal ein formelles Unterbringungsverfahren eingeleitet wird - die Notwendigkeit der Unterbringung zu prüfen. Die Sozialarbeiterinnen - so auch die Klägerin - müssen deshalb ihre für die qualifizierte Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten während des gesamten - im Fall der Klägerin 95 vH ihrer Tätigkeit ausmachenden - Arbeitsvorgangs vorhalten. Das rechtfertigt es, die betreffende Tätigkeit insgesamt dem höheren Tätigkeitsmerkmal zuzuordnen (BAG 18. März 2015 - 4 AZR 59/13 - Rn. 30).

31

4. Der Klägerin stehen die Zinsen für die geltend gemachten Zeiträume in der verlangten Höhe zu. Das ergibt sich aus § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB iVm. § 24 Abs. 1 Satz 2 TVöD/VKA, § 288 Abs. 1 Satz 2 und § 291 BGB.

32

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

        

    Eylert    

        

    Creutzfeldt    

        

    Rinck    

        

        

        

    Kiefer    

        

    B. Pieper    

                 

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Als eine Änderung der Klage ist es nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes

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der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird;
3.
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(1) Ein Personensorgeberechtigter hat bei der Erziehung eines Kindes oder eines Jugendlichen Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist.

(2) Hilfe zur Erziehung wird insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 gewährt. Art und Umfang der Hilfe richten sich nach dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall; dabei soll das engere soziale Umfeld des Kindes oder des Jugendlichen einbezogen werden. Unterschiedliche Hilfearten können miteinander kombiniert werden, sofern dies dem erzieherischen Bedarf des Kindes oder Jugendlichen im Einzelfall entspricht.

(2a) Ist eine Erziehung des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses erforderlich, so entfällt der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nicht dadurch, dass eine andere unterhaltspflichtige Person bereit ist, diese Aufgabe zu übernehmen; die Gewährung von Hilfe zur Erziehung setzt in diesem Fall voraus, dass diese Person bereit und geeignet ist, den Hilfebedarf in Zusammenarbeit mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach Maßgabe der §§ 36 und 37 zu decken.

(3) Hilfe zur Erziehung umfasst insbesondere die Gewährung pädagogischer und damit verbundener therapeutischer Leistungen. Bei Bedarf soll sie Ausbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen im Sinne des § 13 Absatz 2 einschließen und kann mit anderen Leistungen nach diesem Buch kombiniert werden. Die in der Schule oder Hochschule wegen des erzieherischen Bedarfs erforderliche Anleitung und Begleitung können als Gruppenangebote an Kinder oder Jugendliche gemeinsam erbracht werden, soweit dies dem Bedarf des Kindes oder Jugendlichen im Einzelfall entspricht.

(4) Wird ein Kind oder eine Jugendliche während ihres Aufenthalts in einer Einrichtung oder einer Pflegefamilie selbst Mutter eines Kindes, so umfasst die Hilfe zur Erziehung auch die Unterstützung bei der Pflege und Erziehung dieses Kindes.

(1) Der Personensorgeberechtigte und das Kind oder der Jugendliche sind vor der Entscheidung über die Inanspruchnahme einer Hilfe und vor einer notwendigen Änderung von Art und Umfang der Hilfe zu beraten und auf die möglichen Folgen für die Entwicklung des Kindes oder des Jugendlichen hinzuweisen. Es ist sicherzustellen, dass Beratung und Aufklärung nach Satz 1 in einer für den Personensorgeberechtigten und das Kind oder den Jugendlichen verständlichen, nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Form erfolgen.

(2) Die Entscheidung über die im Einzelfall angezeigte Hilfeart soll, wenn Hilfe voraussichtlich für längere Zeit zu leisten ist, im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte getroffen werden. Als Grundlage für die Ausgestaltung der Hilfe sollen sie zusammen mit dem Personensorgeberechtigten und dem Kind oder dem Jugendlichen einen Hilfeplan aufstellen, der Feststellungen über den Bedarf, die zu gewährende Art der Hilfe sowie die notwendigen Leistungen enthält; sie sollen regelmäßig prüfen, ob die gewählte Hilfeart weiterhin geeignet und notwendig ist. Hat das Kind oder der Jugendliche ein oder mehrere Geschwister, so soll der Geschwisterbeziehung bei der Aufstellung und Überprüfung des Hilfeplans sowie bei der Durchführung der Hilfe Rechnung getragen werden.

(3) Werden bei der Durchführung der Hilfe andere Personen, Dienste oder Einrichtungen tätig, so sind sie oder deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Aufstellung des Hilfeplans und seiner Überprüfung zu beteiligen. Soweit dies zur Feststellung des Bedarfs, der zu gewährenden Art der Hilfe oder der notwendigen Leistungen nach Inhalt, Umfang und Dauer erforderlich ist, sollen öffentliche Stellen, insbesondere andere Sozialleistungsträger, Rehabilitationsträger oder die Schule beteiligt werden. Gewährt der Träger der öffentlichen Jugendhilfe Leistungen zur Teilhabe, sind die Vorschriften zum Verfahren bei einer Mehrheit von Rehabilitationsträgern nach dem Neunten Buch zu beachten.

(4) Erscheinen Hilfen nach § 35a erforderlich, so soll bei der Aufstellung und Änderung des Hilfeplans sowie bei der Durchführung der Hilfe die Person, die eine Stellungnahme nach § 35a Absatz 1a abgegeben hat, beteiligt werden.

(5) Soweit dies zur Feststellung des Bedarfs, der zu gewährenden Art der Hilfe oder der notwendigen Leistungen nach Inhalt, Umfang und Dauer erforderlich ist und dadurch der Hilfezweck nicht in Frage gestellt wird, sollen Eltern, die nicht personensorgeberechtigt sind, an der Aufstellung des Hilfeplans und seiner Überprüfung beteiligt werden; die Entscheidung, ob, wie und in welchem Umfang deren Beteiligung erfolgt, soll im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte unter Berücksichtigung der Willensäußerung und der Interessen des Kindes oder Jugendlichen sowie der Willensäußerung des Personensorgeberechtigten getroffen werden.

(1) Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn

1.
das Kind oder der Jugendliche um Obhut bittet oder
2.
eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen die Inobhutnahme erfordert und
a)
die Personensorgeberechtigten nicht widersprechen oder
b)
eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann oder
3.
ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten.
Die Inobhutnahme umfasst die Befugnis, ein Kind oder einen Jugendlichen bei einer geeigneten Person, in einer geeigneten Einrichtung oder in einer sonstigen Wohnform vorläufig unterzubringen; im Fall von Satz 1 Nummer 2 auch ein Kind oder einen Jugendlichen von einer anderen Person wegzunehmen.

(2) Das Jugendamt hat während der Inobhutnahme unverzüglich das Kind oder den Jugendlichen umfassend und in einer verständlichen, nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Form über diese Maßnahme aufzuklären, die Situation, die zur Inobhutnahme geführt hat, zusammen mit dem Kind oder dem Jugendlichen zu klären und Möglichkeiten der Hilfe und Unterstützung aufzuzeigen. Dem Kind oder dem Jugendlichen ist unverzüglich Gelegenheit zu geben, eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen. Das Jugendamt hat während der Inobhutnahme für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen zu sorgen und dabei den notwendigen Unterhalt und die Krankenhilfe sicherzustellen; § 39 Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend. Das Jugendamt ist während der Inobhutnahme berechtigt, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes oder Jugendlichen notwendig sind; der mutmaßliche Wille der Personensorge- oder der Erziehungsberechtigten ist dabei angemessen zu berücksichtigen. Im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3 gehört zu den Rechtshandlungen nach Satz 4, zu denen das Jugendamt verpflichtet ist, insbesondere die unverzügliche Stellung eines Asylantrags für das Kind oder den Jugendlichen in Fällen, in denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das Kind oder der Jugendliche internationalen Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes benötigt; dabei ist das Kind oder der Jugendliche zu beteiligen.

(3) Das Jugendamt hat im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten unverzüglich von der Inobhutnahme zu unterrichten, sie in einer verständlichen, nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Form umfassend über diese Maßnahme aufzuklären und mit ihnen das Gefährdungsrisiko abzuschätzen. Widersprechen die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten der Inobhutnahme, so hat das Jugendamt unverzüglich

1.
das Kind oder den Jugendlichen den Personensorge- oder Erziehungsberechtigten zu übergeben, sofern nach der Einschätzung des Jugendamts eine Gefährdung des Kindeswohls nicht besteht oder die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten bereit und in der Lage sind, die Gefährdung abzuwenden oder
2.
eine Entscheidung des Familiengerichts über die erforderlichen Maßnahmen zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen herbeizuführen.
Sind die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten nicht erreichbar, so gilt Satz 2 Nummer 2 entsprechend. Im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3 ist unverzüglich die Bestellung eines Vormunds oder Pflegers zu veranlassen. Widersprechen die Personensorgeberechtigten der Inobhutnahme nicht, so ist unverzüglich ein Hilfeplanverfahren zur Gewährung einer Hilfe einzuleiten.

(4) Die Inobhutnahme endet mit

1.
der Übergabe des Kindes oder Jugendlichen an die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten,
2.
der Entscheidung über die Gewährung von Hilfen nach dem Sozialgesetzbuch.

(5) Freiheitsentziehende Maßnahmen im Rahmen der Inobhutnahme sind nur zulässig, wenn und soweit sie erforderlich sind, um eine Gefahr für Leib oder Leben des Kindes oder des Jugendlichen oder eine Gefahr für Leib oder Leben Dritter abzuwenden. Die Freiheitsentziehung ist ohne gerichtliche Entscheidung spätestens mit Ablauf des Tages nach ihrem Beginn zu beenden.

(6) Ist bei der Inobhutnahme die Anwendung unmittelbaren Zwangs erforderlich, so sind die dazu befugten Stellen hinzuzuziehen.

(1) Das Jugendamt unterstützt das Familiengericht bei allen Maßnahmen, die die Sorge für die Person von Kindern und Jugendlichen betreffen. Es hat in folgenden Verfahren nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit mitzuwirken:

1.
Kindschaftssachen (§ 162 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit),
2.
Abstammungssachen (§ 176 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit),
3.
Adoptionssachen (§ 188 Absatz 2, §§ 189, 194, 195 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit),
4.
Ehewohnungssachen (§ 204 Absatz 2, § 205 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) und
5.
Gewaltschutzsachen (§§ 212, 213 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit).

(2) Das Jugendamt unterrichtet insbesondere über angebotene und erbrachte Leistungen, bringt erzieherische und soziale Gesichtspunkte zur Entwicklung des Kindes oder des Jugendlichen ein und weist auf weitere Möglichkeiten der Hilfe hin. In Verfahren nach den §§ 1631b, 1632 Absatz 4, den §§ 1666, 1666a und 1682 des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie in Verfahren, die die Abänderung, Verlängerung oder Aufhebung von nach diesen Vorschriften getroffenen Maßnahmen betreffen, legt das Jugendamt dem Familiengericht den Hilfeplan nach § 36 Absatz 2 Satz 2 vor. Dieses Dokument beinhaltet ausschließlich das Ergebnis der Bedarfsfeststellung, die vereinbarte Art der Hilfegewährung einschließlich der hiervon umfassten Leistungen sowie das Ergebnis etwaiger Überprüfungen dieser Feststellungen. In anderen die Person des Kindes betreffenden Kindschaftssachen legt das Jugendamt den Hilfeplan auf Anforderung des Familiengerichts vor. Das Jugendamt informiert das Familiengericht in dem Termin nach § 155 Absatz 2 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit über den Stand des Beratungsprozesses. § 64 Absatz 2 und § 65 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 bleiben unberührt.

(3) Das Jugendamt, das in Verfahren zur Übertragung der gemeinsamen Sorge nach § 155a Absatz 4 Satz 1 und § 162 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit angehört wird, teilt

1.
rechtskräftige gerichtliche Entscheidungen, aufgrund derer die Sorge gemäß § 1626a Absatz 2 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs den Eltern ganz oder zum Teil gemeinsam übertragen wird oder
2.
rechtskräftige gerichtliche Entscheidungen, die die elterliche Sorge ganz oder zum Teil der Mutter entziehen oder auf den Vater allein übertragen,
dem nach § 87c Absatz 6 Satz 2 zuständigen Jugendamt zu den in § 58 genannten Zwecken unverzüglich mit. Mitzuteilen sind auch das Geburtsdatum und der Geburtsort des Kindes oder des Jugendlichen sowie der Name, den das Kind oder der Jugendliche zur Zeit der Beurkundung seiner Geburt geführt hat.

*

(1) Leistet der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, so kommt er durch die Mahnung in Verzug. Der Mahnung stehen die Erhebung der Klage auf die Leistung sowie die Zustellung eines Mahnbescheids im Mahnverfahren gleich.

(2) Der Mahnung bedarf es nicht, wenn

1.
für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist,
2.
der Leistung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die Leistung in der Weise bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt,
3.
der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert,
4.
aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzugs gerechtfertigt ist.

(3) Der Schuldner einer Entgeltforderung kommt spätestens in Verzug, wenn er nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufstellung leistet; dies gilt gegenüber einem Schuldner, der Verbraucher ist, nur, wenn auf diese Folgen in der Rechnung oder Zahlungsaufstellung besonders hingewiesen worden ist. Wenn der Zeitpunkt des Zugangs der Rechnung oder Zahlungsaufstellung unsicher ist, kommt der Schuldner, der nicht Verbraucher ist, spätestens 30 Tage nach Fälligkeit und Empfang der Gegenleistung in Verzug.

(4) Der Schuldner kommt nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat.

(5) Für eine von den Absätzen 1 bis 3 abweichende Vereinbarung über den Eintritt des Verzugs gilt § 271a Absatz 1 bis 5 entsprechend.

*

(1) Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

(2) Bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, beträgt der Zinssatz für Entgeltforderungen neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

(3) Der Gläubiger kann aus einem anderen Rechtsgrund höhere Zinsen verlangen.

(4) Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen.

(5) Der Gläubiger einer Entgeltforderung hat bei Verzug des Schuldners, wenn dieser kein Verbraucher ist, außerdem einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40 Euro. Dies gilt auch, wenn es sich bei der Entgeltforderung um eine Abschlagszahlung oder sonstige Ratenzahlung handelt. Die Pauschale nach Satz 1 ist auf einen geschuldeten Schadensersatz anzurechnen, soweit der Schaden in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist.

(6) Eine im Voraus getroffene Vereinbarung, die den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf Verzugszinsen ausschließt, ist unwirksam. Gleiches gilt für eine Vereinbarung, die diesen Anspruch beschränkt oder den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf die Pauschale nach Absatz 5 oder auf Ersatz des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ausschließt oder beschränkt, wenn sie im Hinblick auf die Belange des Gläubigers grob unbillig ist. Eine Vereinbarung über den Ausschluss der Pauschale nach Absatz 5 oder des Ersatzes des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ist im Zweifel als grob unbillig anzusehen. Die Sätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, wenn sich der Anspruch gegen einen Verbraucher richtet.

Eine Geldschuld hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 und des § 289 Satz 1 finden entsprechende Anwendung.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.