Amtsgericht Zerbst Beschluss, 17. Mai 2010 - 8 OWi 467/10

ECLI: ECLI:DE:AGZERBS:2010:0517.8OWI467.10.0A
published on 17/05/2010 00:00
Amtsgericht Zerbst Beschluss, 17. Mai 2010 - 8 OWi 467/10
ra.de-Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
Referenzen - Gesetze

Gericht

There are no judges assigned to this case currently.
addJudgesHint

Tenor

In der Bußgeldsache …

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

wird das Verfahren gemäß § 47 Abs. 2 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) eingestellt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse. Es wird davon abgesehen, die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen (§ 467 Abs. 4 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG).

Gründe

1

Der Betroffenen wird ein Geschwindigkeitsverstoß auf der BAB 9, km 69,2 in Fahrtrichtung M zur Last gelegt. An der Messstelle verlaufen drei Richtungsfahrbahnen und eine Standspur in Fahrrichtung des Tatfahrzeuges.

2

Das Beweisfoto der gegenständlichen Messung befindet sich als Ausdruck auf der Seite 1 der Bußgeldakte. Aus dem Messfoto ist ersichtlich, dass ein Teil der rechten Fahrspur (Lastspur) und die gesamte Standspur nicht in Höhe der Fotolinie von der Fotoeinrichtung erfasst wurden. Gemäß Messprotokoll wurde ein Abstandsbereich zum Sensorkopf, in welchem Fahrzeuge gemessen werden sollten, von 8 m bis 18 m eingestellt (sog. Spurselektion).

3

Das Messprotokoll und das Datenfeld des Messfotos weisen zur gegenständlichen Messung die Verwendung der Einseitensensormessanlage der Firma ESO, Typ 3.0 aus. Das Gerät war zum Tatzeitpunkt mit der Softwareversion 1.001 ausgestattet.

4

Bei der verwendeten Softwareversion 1.001 sind in der Vergangenheit im Messbetrieb fehlerhafte Distanzwerte des gemessenen Objektes zum Sensor registriert worden. Durch Gutachten wurde nachgewiesen, dass es bei Parallelfahrt von zwei Fahrzeugen, die mit ähnlichen Geschwindigkeiten unterwegs sind, häufig zu Fehlmessungen des Seitenabstandes gekommen ist. Der im Beweisfoto eingeblendete Seitenabstand hat in vielen Fällen nicht zu dem die Geschwindigkeitsmessung auslösenden Fahrzeug gepasst.

5

Aufgrund dieser Tatsachen wurde mit Datum vom 25.11.2009 der 3. Nachtrag zur innerstaatlichen Bauartzulassung vom 05.12.2006 zum ES 3.0 von der PTB herausgegeben, in der die Softwareversion 1.002 genehmigt wurde.

6

In Ziffer 1 des Nachtrages ist die technische Verbesserung der neuen Software wie folgt beschrieben:

7

"Die Abstandsmessfunktion ist verbessert. Nur mit dieser Softwareversion ermöglich der ermittelte Abstand eine zweifelsfreie Zuordnung des Messwertes zu einem Fahrzeug auch dann, wenn die Fotolinie nicht über die volle Breite im Foto abgelichtet ist oder wenn sich zwei Fahrzeuge an der Fotolinie befinden."

8

In Ziffer 4 des Nachtrages heißt des zu den Geräten, die noch mit der alten Softwareversion ausgestattet sind wie folgt:

9

"Die Auswertung der Dokumentationsfotos und der weiteren Messwerte, die von Geschwindigkeitsüberwachungsgeräten stammen, die noch mit der bisher zulässigen Software ausgestattet sind, muss entsprechend dem Merkblatt "eso ES3.0 Vers. 1001" vom 25.11.2009 erfolgen."

10

Das vorgenannte Merkblatt der Firma ESO enthält bezüglich der Softwareversion 1.001 folgende Auswerterichtlinien:

11

"Um in allen Fällen immer eine sichere Zuordnung des Messwertes zum gemessenen Fahrzeug gewährleisten zu können gilt für die Geschwindigkeitsmessgeräte vom Typ ES 3.0 mit der Software-Version bis einschließlich 1.001 folgende Auswerterichtlinie:

12

Wenn alle Fahrbahnteile, auf denen Messungen entstehen können, auf den Messfotos abgebildet sind und nur ein Fahrzeug auf dem Messfoto eindeutig mit der Vorderfront an der Fotolinie steht, darf dieses ausgewertet werden.

13

Wenn nicht alle Fahrbahnteile auf dem Messfoto abgebildet sind und auf andere Weise (z. B. aufmerksamer Messbetrieb) sichergestellt ist, dass nur ein Fahrzeug in Frage kommt, darf dieses ausgewertet werden.

14

Wenn zwei Fahrzeuge auf dem Foto in gleicher Höhe und in gleicher Richtung an der Fotolinie abgebildet sind, darf die Messung nicht ausgewertet werden."

15

Demnach ist festzuhalten, dass ein Beweisbild einer Messung mit dem Geschwindigkeitsmessgerät ES 3.0 mit der Softwareversion 1.001 so ausgestattet sein muss, dass alle Fahrbahnteile im Beweisbild abgebildet sein müssen, auf denen sich den Messwert beeinflussende Fahrabläufe ereignen können.

16

Da im gegenständlichen Fall ein Teil der rechten Fahrspur und die Standspur von der Fotoeinrichtung nicht erfasst wurden, kann nicht völlig ausgeschlossen werden, dass sich auf dem nicht erfassten Bereich ein Fahrzeug befunden hat, welches den Messwert beeinflusst haben könnte. An diesem Ergebnis ändert auch die vorliegend vorgenommene Spurselektion nichts. Die Spurselektion wird über die schräggestellten Sensoren 4 und 2 realisiert. Diese Sensoren werden auch für die Seitenabstandsmessung verwendet. Da die Seitenabstandsmessung aber nicht zuverlässig funktioniert, liegt auch keine zuverlässige Funktion der Spurselektion vor.

17

Die o. a. Zweifel an der Verwertbarkeit der vorliegenden Messung unterliegen der richterlichen Würdigung.

18

Vor einer Entscheidung ist zunächst zu klären, welche Randbedingungen vorherrschen müssten, um das Fahrzeug des Betroffenen trotz Messauslösung durch ein auf dem Beweisfoto nicht erkennbares Fahrzeug zufällig in der vorliegenden Fotoposition abzubilden.

19

Das Fahrzeug der Betroffenen müsste sich zum Bildauslösezeitpunkt zufällig mit der Front an der Fotolinie befunden haben und das rechts überholende Fahrzeug müsste nicht im Frontbereich, sondern auf Höhe der A-Säule erfasst worden sein. Der vom Messgerät er mittelte Seitenabstand müsste fehlerhaft sein und der fehlerhaft angezeigte Seitenabstand müsste zufällig mit der Positionierung des von der Betroffenen gesteuerten Pkw deckungsgleich sein.

20

Vor dem Hintergrund dieser Rahmenbedingungen und unter Berücksichtigung der übrigen Sach- und Rechtslage erachtet das Gericht vorliegend eine Verfahrenseinstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG für verhältnismäßig und angemessen.


ra.de-Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
{{count_recursive}} Urteilsbesprechungen zu {{shorttitle}}

4 Referenzen - Gesetze

{{title}} zitiert {{count_recursive}} §§.

(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zu

(1) Für das Bußgeldverfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sinngemäß die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Jugendgerichtsge

(1) Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde. Solange das Verfahren bei ihr anhängig ist, kann sie es einstellen. (2) Ist das Verfahren bei Gericht anhängig und hält dieses eine Ahndung nicht fü

Annotations

(1) Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde. Solange das Verfahren bei ihr anhängig ist, kann sie es einstellen.

(2) Ist das Verfahren bei Gericht anhängig und hält dieses eine Ahndung nicht für geboten, so kann es das Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft in jeder Lage einstellen. Die Zustimmung ist nicht erforderlich, wenn durch den Bußgeldbescheid eine Geldbuße bis zu einhundert Euro verhängt worden ist und die Staatsanwaltschaft erklärt hat, sie nehme an der Hauptverhandlung nicht teil. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.

(3) Die Einstellung des Verfahrens darf nicht von der Zahlung eines Geldbetrages an eine gemeinnützige Einrichtung oder sonstige Stelle abhängig gemacht oder damit in Zusammenhang gebracht werden.

(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.

(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.

(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er

1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder
2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.

(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.

(1) Für das Bußgeldverfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sinngemäß die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Jugendgerichtsgesetzes.

(2) Die Verfolgungsbehörde hat, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, im Bußgeldverfahren dieselben Rechte und Pflichten wie die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten.

(3) Anstaltsunterbringung, Verhaftung und vorläufige Festnahme, Beschlagnahme von Postsendungen und Telegrammen sowie Auskunftsersuchen über Umstände, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, sind unzulässig. § 160 Abs. 3 Satz 2 der Strafprozeßordnung über die Gerichtshilfe ist nicht anzuwenden. Ein Klageerzwingungsverfahren findet nicht statt. Die Vorschriften über die Beteiligung des Verletzten am Verfahren und über das länderübergreifende staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister sind nicht anzuwenden; dies gilt nicht für § 406e der Strafprozeßordnung.

(4) § 81a Abs. 1 Satz 2 der Strafprozeßordnung ist mit der Einschränkung anzuwenden, daß nur die Entnahme von Blutproben und andere geringfügige Eingriffe zulässig sind. Die Entnahme einer Blutprobe bedarf abweichend von § 81a Absatz 2 Satz 1 der Strafprozessordnung keiner richterlichen Anordnung, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine Ordnungswidrigkeit begangen worden ist

1.
nach den §§ 24a und 24c des Straßenverkehrsgesetzes oder
2.
nach § 7 Absatz 1 des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes in Verbindung mit einer Vorschrift einer auf Grund des § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes erlassenen Rechtsverordnung, sofern diese Vorschrift das Verhalten im Verkehr im Sinne des § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes regelt.
In einem Strafverfahren entnommene Blutproben und sonstige Körperzellen, deren Entnahme im Bußgeldverfahren nach Satz 1 zulässig gewesen wäre, dürfen verwendet werden. Die Verwendung von Blutproben und sonstigen Körperzellen zur Durchführung einer Untersuchung im Sinne des § 81e der Strafprozeßordnung ist unzulässig.

(4a) § 100j Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 der Strafprozessordnung, auch in Verbindung mit § 100j Absatz 2 der Strafprozessordnung, ist mit der Einschränkung anzuwenden, dass die Erhebung von Bestandsdaten nur zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zulässig ist, die gegenüber natürlichen Personen mit Geldbußen im Höchstmaß von mehr als fünfzehntausend Euro bedroht sind.

(5) Die Anordnung der Vorführung des Betroffenen und der Zeugen, die einer Ladung nicht nachkommen, bleibt dem Richter vorbehalten. Die Haft zur Erzwingung des Zeugnisses (§ 70 Abs. 2 der Strafprozessordnung) darf sechs Wochen nicht überschreiten.

(6) Im Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende kann von der Heranziehung der Jugendgerichtshilfe (§ 38 des Jugendgerichtsgesetzes) abgesehen werden, wenn ihre Mitwirkung für die sachgemäße Durchführung des Verfahrens entbehrlich ist.

(7) Im gerichtlichen Verfahren entscheiden beim Amtsgericht Abteilungen für Bußgeldsachen, beim Landgericht Kammern für Bußgeldsachen und beim Oberlandesgericht sowie beim Bundesgerichtshof Senate für Bußgeldsachen.

(8) Die Vorschriften zur Durchführung des § 191a Absatz 1 Satz 1 bis 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes im Bußgeldverfahren sind in der Rechtsverordnung nach § 191a Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes zu bestimmen.

(1) Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde. Solange das Verfahren bei ihr anhängig ist, kann sie es einstellen.

(2) Ist das Verfahren bei Gericht anhängig und hält dieses eine Ahndung nicht für geboten, so kann es das Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft in jeder Lage einstellen. Die Zustimmung ist nicht erforderlich, wenn durch den Bußgeldbescheid eine Geldbuße bis zu einhundert Euro verhängt worden ist und die Staatsanwaltschaft erklärt hat, sie nehme an der Hauptverhandlung nicht teil. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.

(3) Die Einstellung des Verfahrens darf nicht von der Zahlung eines Geldbetrages an eine gemeinnützige Einrichtung oder sonstige Stelle abhängig gemacht oder damit in Zusammenhang gebracht werden.