Amtsgericht Schwelm Urteil, 10. März 2016 - 22 C 440/14
Gericht
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Dem Schuldner wird nachgelassen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor der Gläubiger Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages geleistet hat.
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TATBESTAND
2Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche der Klägerin als Versicherungsnehmerin aufgrund eines mit der Beklagten als Versicherung bestehenden Kapitallebensversicherungsvertrags.
3Im Jahr 2004 schloss der ehemalige Arbeitgeber der Klägerin eine Rentenversicherung mit Kapitalwahlrecht im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung bei der Beklagten ab (Versicherungsvertrag mit der Versicherungsnummer 4801/388028-01). Nach Ausscheiden der Klägerin aus dem Betrieb erfolgte im Jahr 2011 ein Versicherungsnehmerwechsel auf die Klägerin.
4Am 16.06.2014 erhielt die Klägerin ein Schreiben der Beklagten über den Stand Ihrer Auszahlungssumme für die zwischen den Parteien bestehende Lebensversicherung. Auf die zu den Akten gereichte Kopie des Schreibens wird Bezug genommen (Bl. 63 ff. der Gerichtsakte).
5Mit Schreiben vom 19.06.2014 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und formulierte unter anderem:
6„Bezugnehmend auf Ihr Schreiben vom 16.06.2014 möchte ich Ihnen mitteilen, dass es für mich völlig ohne Wert ist, da Sie mir mögliche Auszahlungssumme nennen (Punkt 4), die sich auf eine Weiterzahlung beziehen, die seit einigen Jahren eingestellt wurde.
7Ich bitte darum, mir aussagekräftige Werte zu nennen, die folgendes beinhalten:
8- Derzeitiger Stand des Kapitalvermögens bei sofortiger Auszahlung
9- voraussichtliche Kapitalauszahlung bei Einhaltung der Laufzeit nach heutigen Berechnungen.
10Für eine zeitnahe Bearbeitung bin ich Ihnen dankbar.
11Mit freundlichen Grüßen“
12wegen der weiteren Einzelheiten des Schreibens wird auf die zu den Akten gereichte Kopie (Bl. 75 der Gerichtsakte) Bezug genommen.
13Mit Schreiben vom 31.07.2014 antwortete die Beklagte der Klägerin und teilte mit, dass bei beitragsfreier Weiterführung des Vertrags zum 01.06.2016 voraussichtlich folgende Auszahlungswerte erreicht würden:
14„Kapitalabfindung 21.392,08 EUR
15Kapitalabfindung inklusive Überschussanteile 22.237,52 EUR
16Bei Abruf des Vertrags zum 01.08.2014 beträgt die Kapitalabfindung 22.439,70 EUR“
17wegen der weiteren Einzelheiten des Schreibens wird auf die zu den Akten gereichte Kopie des Schreibens (Bl. 46 der Gerichtsakte) Bezug genommen.
18Mit Schreiben vom 08.08.2014 begehrte die Klägerin schriftlich die Auszahlung der Versorgungsleistungen zum 01.09.2014. Wegen der Einzelheiten des Antrags wird auf die zu den Akten gereichte Kopie (Bl. 77 der Gerichtsakte) Bezug genommen.
19Die Beklagte rechnete den Lebensversicherungsvertrag mit Schreiben vom 28.08.2014 mit einem Auszahlungsbetrag von 21.077,28 EUR ab. Wegen der weiteren Einzelheiten des Schreibens wird auf die zu den Akten gereichte Kopie (Bl. 7 der Gerichtsakte) Bezug genommen.
20Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagte aufgrund des Verstoßes gegen die Beratungs- und Informationspflichten der §§ 6, 7 VVG schadensersatzpflichtig in Höhe des Differenzbetrages von 1362,42 EUR wäre.
21Die Klägerin beantragt,
221. die Beklagte zu verurteilen an die Klägerin 1362,42 EUR nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 04.11.2014 zu zahlen.
232. Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtliche Anwaltskosten i.H.v. 201,71 EUR nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.
24Die Beklagte beantragt,
25die Klage abzuweisen.
26Das Gericht hat mit Beschluss vom 28.12.2015 darauf hingewiesen, dass ein Verstoß gegen § 6 Abs. 4 S. 1 VVG nicht vorliegen dürfte. Wegen der Einzelheiten des Hinweises wird auf den Beschluss vom 28.12.2015 (Bl. 130 der Gerichtsakte) Bezug genommen.
27ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
28Die Klage ist zulässig aber unbegründet.
29Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte besteht aus einer erkennbaren Anspruchsgrundlage.
30Es besteht keine Pflichtverletzung der Beklagten, die in jedem Fall eines Schadensersatzanspruches erforderlich wäre, die einen Ersatz des Schadens der Klägerin i.H.v. 1362,42 EUR zu begründen vermochte.
31Auf den Rechtsstreit ist das VVG in der seit dem 01.01.2008 geltenden Fassung anzuwenden. Nach Art. 1 Abs. 1 EGVVG ist auch auf Verträge die vor dem Inkrafttreten des Versicherungsvertragsgesetzes am 01.01.2008 entstanden sind, dass VVG in der seit dem 01.01.2008 geltenden Fassung ab dem 01.01.2009 anzuwenden. Vorliegend handelt es sich um einen Vertrag der vor dem 01.01.2008 entstanden ist aber der Schaden oder Versicherungsfalles ist erst nach dem 01.01.2009 entstanden, so dass das neue Recht anwendbar ist.
32Nach § 6 Abs. 4 VVG besteht die Verpflichtung des Versicherers nach § 6 Abs. 1 S. 1 VVG auch während der Dauer des Versicherungsverhältnisses, soweit für den Versicherer Anlass zur Nachfrage oder Beratung erkennbar ist. Nach § 6 Abs. 1 S. 1 VVG besteht für den Versicherer die Pflicht zur Erteilung eines Rates. Bei diesen Beratungspflichten geht es im Wesentlichen um Bedarfsermittlung und Erteilung eines darauf basierenden Rates im Hinblick auf Vertragsänderungen oder den Neuabschluss eines Vertrages und nicht um eine allgemeine Beratung in Versicherungsfragen (Rudy in: Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 29. Auflage 2015, § 6 VVG, Rn. 44). Diese Beratungspflichten setzen voraus, dass die sie auslösenden Umstände erkennbar sind (Rudy in: Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 29. Auflage 2015, § 6 VVG, Rn. 45). Damit soll dem Umstand Rechnung tragen, dass der Versicherer sich nicht von sich aus darum kümmern muss, ob der bisherige Versicherungsschutz weiterhin die Bedürfnisse des Versicherungsnehmers deckt, wenn nicht der Versicherungsnehmer eine Vertragsänderung wünscht (Rudy in: Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 29. Auflage 2015, § 6 VVG, Rn. 45). Der Versicherer muss also, falls es nicht um Verhandlungen anlässlich von Vertragsänderungen geht, allein auf Grund der Informationen, die er besitzt, erkennen können, dass der Versicherungsnehmer sich über den Umfang seines Versicherungsschutzes nicht im Klaren ist und sein Bedarf nicht mehr gedeckt ist (Rudy in: Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 29. Auflage 2015, § 6 VVG, Rn. 45; Armbrüster, Aktuelle Rechtsfragen der Beratungspflichten von Versicherern und Vermittlern, 2009, S. 10;).
33Aufgrund des vorgenannten Schreibens der Klägerin vom 19.06.2014 konnte die Beklagte bereits nicht erkennen, dass die Klägerin beabsichtigte, das Vertragsverhältnis in nächster Zeit zu kündigen oder zu ändern, daher konnte sie auch keine beratenden oder hinweisenden Tätigkeiten in dieser Hinsicht entfalten. Die Klägerin brachte nicht explizit zum Ausdruck, dass sie beabsichtigte den Versicherungsvertrag zu kündigen, vielmehr begehrte sie eine Anpassung der Berechnung der Auszahlungsbeträge für Ihren Vertrag, zu dem keine Beiträge mehr gezahlt wurden. Das allein ist doch nicht erkennbar, dass die Klägerin eine Änderung des Vertrags beabsichtigt. Dies ergibt sich auch nicht aus den weiteren Formulierungen des Schreibens. Insbesondere ist auch die Bitte um zeitnahe Bearbeitung der Nachfrage nicht geeignet bei der Beklagten eine über das normale Maß hinausgehende Eilbedürftigkeit der Angelegenheit wegen einer anstehenden Änderung oder Kündigung anzunehmen. Vielmehr handelt es sich um eine Formulierung, die, jedenfalls ohne weitere Erläuterungen, wohl als standardmäßiger Abschluss eines Schreibens angesehen werden kann. Insbesondere auch der Hintergrund, dass die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 19.06.2014 nicht etwa die Eigeninitiative ergriffen hat, sondern auf eine Aufstellung der Beklagten über die Werte ihrer Versicherung, die wenige Tage vorher eingegangen war, reagierte , führt dazu, dass die Beklagte nicht davon ausgehen musste, dass hier eine besondere Eilbedürftigkeit wegen einer vorstehenden Änderung oder Kündigung des Versicherungsvertrags und damit erhöhter Informationsbedarf bezüglich der rechtlichen Lage die sich im Umbruch befand, bestehen könnte.
34Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
35Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 ZPO.
36Der Streitwert wird auf bis zu 1500 EUR festgesetzt.
37Rechtsbehelfsbelehrung:
38Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
391. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
402. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.
41Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Hagen, Heinitzstr. 42, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
42Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Hagen zu begründen.
43Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Hagen durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
44Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
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(1) Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien, zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Er hat dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags zu dokumentieren.
(2) Für die Übermittlung des erteilten Rats und der Gründe hierfür gilt § 6a.
(3) Der Versicherungsnehmer kann auf die Beratung und Dokumentation nach den Absätzen 1 und 2 durch eine gesonderte schriftliche Erklärung verzichten, in der er vom Versicherer ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sich ein Verzicht nachteilig auf seine Möglichkeit auswirken kann, gegen den Versicherer einen Schadensersatzanspruch nach Absatz 5 geltend zu machen. Handelt es sich um einen Vertrag im Fernabsatz im Sinn des § 312c des Bürgerlichen Gesetzbuchs, kann der Versicherungsnehmer in Textform verzichten.
(4) Die Verpflichtung nach Absatz 1 Satz 1 besteht auch nach Vertragsschluss während der Dauer des Versicherungsverhältnisses, soweit für den Versicherer ein Anlass für eine Nachfrage und Beratung des Versicherungsnehmers erkennbar ist; Absatz 3 Satz 2 gilt entsprechend. Der Versicherungsnehmer kann im Einzelfall auf eine Beratung durch schriftliche Erklärung verzichten.
(5) Verletzt der Versicherer eine Verpflichtung nach Absatz 1, 2 oder 4, ist er dem Versicherungsnehmer zum Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn der Versicherer die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
(6) Die Absätze 1 bis 5 sind auf Versicherungsverträge über ein Großrisiko im Sinn des § 210 Absatz 2 nicht anzuwenden, ferner dann nicht, wenn der Vertrag mit dem Versicherungsnehmer von einem Versicherungsmakler vermittelt wird.
(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.
Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.