Amtsgericht Bocholt Beschluss, 12. Okt. 2016 - 14 F 109/14
Tenor
Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragsteller 1.638,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.01.2015 zu zahlen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
Dieser Beschluss wird mit Rechtskraft wirksam.
Der Verfahrenswert wird wie folgt festgesetzt:
bis zum 15.01.2015: 3.747,00 EUR;
vom 16.01.2015 – 01.06.2015: 2.394,00 EUR;
vom 02.06.2015 – 19.07.2015: 1.762,00 EUR;
ab dem 20.07.2015: 1.638,00 EUR.
1
Gründe:
2Der Antragsteller macht gegen den Antragsgegner rückständigen Elternunterhalt für die Monate April und Dezember 2013 sowie das Jahr 2014 aus übergegangenem Recht geltend.
3Der Vater des Antragsgegners verstarb im Jahr 1993. Testamentarische Alleinerbin wurde die am 16.01.2013 geborene Mutter des Antragsgegners.
4Im September 2008 veräußerte diese die Immobilie (Erbbaurecht) J-Straße 15 in Bocholt zu einem Kaufpreis von 144.601,23 EUR. Neben einer noch abzulösenden Restschuld der NRW-Bank bediente sie vom Kaufpreis unter Anderem folgende weiteren Verbindlichkeiten:
5Ausgleich Kontoüberziehung 26.079,62 EUR
6Maklerprovision 3.410,40 EUR
7Zahlung an das Finanzamt 2.765,00 EUR
8Ablösung Grundschuld der LBS 9.967,26 EUR.
9Weiterhin erwarb sie zu einem Preis von 79.000,00 EUR eine Eigentumswohnung an der L-Straße 79a in Bocholt, in der sie sich vollständig neu einrichten musste.
10Am 18.12.2008 betrug der Saldo ihres Kontos noch 17.602,06 EUR.
11Durch Urteil vom 21.05.2010 verurteilte das Landgericht Münster (Az. 010 O ###/##) die Mutter des Antragsgegners, an ihren Sohn I1 15.000,00 EUR zu zahlen. Die der Verurteilung zugrundeliegende Forderung stand im Zusammenhang mit einer Abrede aus dem Jahr 2008 zwischen der Mutter des Antragsgegners und dem genannten Sohn und diente dem Ausgleich für die von diesem übernommenen Darlehen und Auszahlungen an seine Geschwister. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die beigezogene Akte des vorgenannten Verfahrens Bezug genommen.
12Wegen dieser Forderung ihres Sohnes I1 wurde im Wege der Zwangsvollstreckung eine Zwangssicherungshypothek in das Grundbuch der Immobilie an der L-Straße in Bocholt eingetragen.
13Um die drohende Zwangsversteigerung abzuwenden, veräußerte die Mutter des Antragsgegners die Wohnung durch notariellen Kaufvertrag vom 10.03.2011 an ihren Enkel, den Zeugen L, sowie dessen Ehefrau. Im Rahmen dieses Vertrages wurde der Mutter des Antragsgegners ein auflösend bedingtes dingliches Wohnungsrecht eingeräumt, dessen Wert unter Berücksichtigung der statistischen Lebenserwartung und des erzielbaren Mietzinses von 230,00 EUR mit 24.840,00 EUR bemessen und auf den vereinbarten Kaufpreis i.H.v. 70.000,00 EUR angerechnet wurde, so dass der tatsächlich zu zahlende Kaufpreis 45.160,00 EUR betrug (§ 3 des Kaufvertrages, Bl. 33 d.A.). Weiterhin wurde vereinbart, dass das Wohnrecht erlischt, sofern die Berechtigte durch andere Umstände als durch das Verhalten der Käufer ohne eigenes Verschulden genötigt sein sollte, die dem Wohnrecht unterliegenden Räume und Einrichtungen dauernd, d.h. länger als sechs Monate, zu verlassen. Für diesen Fall wurde die Geltendmachung einer angemessenen Entschädigung wegen des Wegfalls der Pflicht zur Gewährung des Wohnrechts ausgeschlossen. Für den Fall, dass die Mutter des Antragsgegners von ihrem Wohnrecht länger Gebrauch machen sollte, als dies der statistischen Lebenserwartung entspricht, vereinbarten die Kaufvertragsparteien, dass die weitere Nutzung unentgeltlich sein sollte. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf § 8 des Vertrages (Bl. 36 ff. d.A.) Bezug genommen. Von dem Kaufpreis wurden 25.083,44 EUR an die Mutter des Antragsgegners ausgezahlt. Mit dem restlichen Betrag wurden u.a. die Verbindlichkeiten gegenüber dem Sohn I1 sowie die Kosten des damaligen Rechtsstreits beglichen.
14Seit dem 03.01.2013 bewohnt die Mutter des Antragsgegners das B-Seniorenzentrum in , da sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, von ihrem Wohnungsrecht Gebrauch zu machen. Seit demselben Datum erhält sie durch den Antragsteller Hilfe zur Pflege nach den §§ 35, 62 SGB XII.
15Die Gesamtkosten der Heimunterbringung betragen monatlich 2.829,82 EUR. Hierauf erbringt die Pflegekasse Leistungen in Höhe von monatlich 1.023,00 EUR. Weiterhin bezieht die Mutter des Antragsgegners Pflegewohngeld i.H.v. 546,65 EUR und einen monatlichen Mietzuschuss i.H.v. 19,00 EUR. Das einzusetzende Renteneinkommen der Mutter des Antragsgegners beträgt monatlich durchschnittlich 830,63 EUR. Im Jahr 2013 zahlte der Antragsteller monatsdurchschnittlich Sozialhilfeleistungen i.H.v. 385,31 EUR für die Mutter des Antragsgegners.
16Das vereinbarte Wohnrecht wurde im Jahr 2013 gelöscht.
17Die noch vorhandenen weiteren drei Kinder der Mutter des Antragsgegners waren unter Berücksichtigung der jeweiligen Selbstbehalte im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht leistungsfähig.
18Der Antragsgegner verfügte im April 2013 über ein bereinigtes unterhaltsrelevantes Einkommen i.H.v. 1.719,44 EUR, im Dezember 2013 in Höhe von 1.804,44 EUR und im Jahr 2014 i.H.v. 1.846,22 EUR.
19Mit am 26.01.2013 zugestelltem Schreiben forderte der Antragsteller den Antragsgegner auf, Auskunft zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen zu erteilen.
20Mit Schreiben vom 08.04.2014 forderte der Antragsteller den Antragsgegner auf, für die Zeit ab April 2013 Elternunterhalt für seine Mutter in Höhe von monatlich 90,00 EUR an den Antragsteller zu zahlen. Mit Schreiben vom 20.05.2014 teilte der Antragsgegner mit, er bestreite die Bedürftigkeit seiner Mutter, da vorrangig einzusetzendes Vermögen vorhanden sei.
21Der Antragsteller meint, der Antragsgegner schulde ihm aus übergegangenem Recht für April 2013 i.H.v. 60,00 EUR, für Dezember 2013 i.H.v. 102,00 EUR und für das Jahr 2014 je Monat 123,00 EUR, insgesamt also 1.638,00 EUR. Die Mutter des Antragsgegners sei bedürftig. Dazu trägt er vor, zum Zeitpunkt der Heimaufnahme bzw. des ersten Antrages auf Sozialhilfeleistungen haben sie weder über ausreichendes Einkommen noch über sonstiges vorrangig einzusetzendes Vermögen verfügt. Dies betreffe insbesondere auch Ansprüche im Zusammenhang mit der Übertragung des Eigentums an der zuletzt von ihr bewohnten Wohnung an der L-Straße in Bocholt sowie der vertraglichen Ausgestaltung des eingeräumten Wohnungsrechts. Hierin liege unter Berücksichtigung des Verwandtschaftsverhältnisses der Vertragsparteien keine Schenkung bzw. gemischte Schenkung, die einen Rückforderungsanspruch begründen könnte.
22Soweit der Antragsgegner die Auffassung vertrete, seine Mutter habe ihre Bedürftigkeit bewusst herbeigeführt, fehle es insoweit an dem notwendigen sittlichen Verschulden ihrerseits. Sie habe sich zu diesem Zeitpunkt aufgrund der Inanspruchnahme durch ihren Sohn I1 in einer Notlage befunden. Auch sonst habe der Zeuge L keinerlei weitere finanzielle Zuwendungen seitens der Mutter des Antragsgegners erhalten. Es fehle an einer unterhaltsbezogenen Mutwilligkeit. Soweit der Antragsgegner darauf verweise, seine Mutter hätte sich anstelle eines Wohnrechtes ein Nießbrauchsrecht einräumen lassen müssen und auf dieser Grundlage zusätzliche Mieteinkünfte in Höhe von monatlich 230,00 EUR erzielen können, sei auch bei Anrechnung fiktiver Mieteinkünfte in dieser Höhe ein offener Bedarf vorhanden, der die gegenüber dem Antragsgegner geltend gemachten Beträge übersteige. Die Vertragsgestaltung sei auf Anraten des Notars erfolgt und habe auch das Verwandtschaftsverhältnis der Vertragsparteien berücksichtigt.
23Der Antragsteller hat zunächst beantragt,
24den Antragsgegner zu verpflichten,
251. ab dem Monat Dezember 2014, jeweils zum 01. des Monats im Voraus, Elternunterhalt für seine Mutter I2, geb. am 16.01.1931, in Höhe von 123,00 EUE an den Antragsteller zu zahlen;
262. für die Monate April 2013 bis einschließlich November 2014 rückständigen Elternunterhalt für seine Mutter I2 i.H.v. 2.271,00 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.12.2014 an den Antragsteller zu zahlen.
27Mit Schriftsatz vom 14.01.2015 hat der Antragsteller den Antrag gemäß Ziffer 1. für die Zeit ab dem 01.01.2015 unter Hinweis auf den ab diesem Zeitpunkt erhöhten Selbstbehalt für erledigt erklärt.
28Nach Beleg weiterer laufender Verbindlichkeiten des Antragsgegners sowie darauf erbrachter Zahlungen durch Schriftsatz vom 15.05.2015 hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 29.05.2015 den noch verbliebenen Antrag zu 2) teilweise für erledigt erklärt und beantragt,
29den Antragsgegner zu verpflichten, für die Monate April 2013 bis einschließlich Dezember 2014 rückständigen Elternunterhalt für seine Mutter I2 i.H.v. 1.762,00 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.12.2014 an den Antragsteller zu zahlen.
30Nach Vorlage weiterer Zahlungsbelege durch den Antragsgegner mit Schriftsatz vom 06.07.2015 beantragt der Antragsteller nunmehr,
31den Antragsgegner zu verpflichten, für die Monate April 2013 bis einschließlich Dezember 2014 rückständigen Elternunterhalt für seine Mutter I2 i.H.v. 1.638,00 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.12.2014 an den Antragsteller zu zahlen.
32Der Antragsgegner schließt sich der teilweisen Erledigungserklärung an und beantragt im Übrigen,
33den Antrag zurückzuweisen.
34Er meint, es fehle an der Bedürftigkeit seiner Mutter.
35Nach Verkauf ihrer früheren Immobilie J-Straße in Bocholt habe sie 40.000,00 EUR übrig behalten. Infolge der Veräußerung ihrer Eigentumswohnung im März 2011 habe sie einen weiteren Barbetrag von ca. 30.000,00 EUR erlöst. Da bei Beginn der vollstationären Pflege im Januar 2013 kein Barvermögen mehr vorhanden gewesen sei, müsse sie monatlich zusätzlich zu ihrer Rente von 700,00 EUR je nach Betrachtungsweise durchschnittlich weitere 650,00 – 1.508,88 EUR ausgegeben haben. Mietkosten seien dabei nicht einmal angefallen. Die Verwendung des Geldes sei nicht dargetan und nachgewiesen. Derartige monatliche Beträge für die allgemeine Lebensführung seien nicht altersentsprechend. Daher müsse davon ausgegangen werden, dass seine Mutter ihr Vermögen verschwendet habe. Diese sei allerdings unterhaltsrechtlich gehalten gewesen, ihr Barvermögen so zu verwenden, dass ihr Unterhaltsbedarf bis an ihr Lebensende erfüllt werden könne. Hätte sie ihre Lebensführung am aktuellen angemessenen Selbstbehalt von derzeit 1.200,00 EUR orientiert, so hätte ihr bei Eintritt der Pflegebedürftigkeit im Januar 2013 noch ein Barvermögen von 44.000,00 EUR zur Verfügung gestanden.
36Es sei vielmehr davon auszugehen, dass der Zeuge L wiederholt Zuwendungen seitens der Mutter des Antragsgegners erhalten habe.
37Weiterhin meint der Antragsgegner, seine Mutter hätte sich bei Veräußerung ihrer Eigentumswohnung im März 2011 anstelle des auflösend bedingten Wohnungsrechts ein lebenslanges Nießbrauchsrecht vorbehalten müssen, aufgrund dessen monatliche Mieteinnahmen von 230,00 EUR erzielbar gewesen wären. Diese seien ihr fiktiv zuzurechnen. Überdies habe sie unter Berücksichtigung des bei Abschluss des Kaufvertrages veranschlagten Wertes des Wohnungsrechts dieses nur teilweise ausgenutzt. Bei Vertragsschluss seien die Vertragsparteien von einer Lebenserwartung von noch neun Jahren ausgegangen. Die Mutter des Antragsgegners habe das Wohnrecht bis zu seiner Löschung jedoch nur 27 Monate wahrgenommen. Dies entspreche bei einem monatlichen Mietwert von 230,00 EUR einem Gegenwert von 6.210,00 EUR, so dass bei einem angenommenen Gesamtwert des Wohnrechts in Höhe von 24.840,00 EUR eine Differenz in Höhe von 18.630,00 EUR verbleibe. Diesbezüglich stünde der Mutter des Antragsgegners grds. ein Ausgleichsanspruch gegen den Zeugen L und dessen Ehefrau zu. Hierauf habe sie jedoch ausweislich § 8 des Kaufvertrages verzichtet. Hierfür sei keine Gegenleistung vereinbart worden, so dass es sich insoweit um eine Schenkung handele.
38Jedenfalls eine Gesamtbetrachtung aus den vorgenannten Umständen führe dazu, dass das Verhalten seiner Mutter als mutwillig anzusehen sei. Es sei ersichtlich darauf ausgerichtet gewesen, den künftigen gesetzlichen Erben und Pflichtteilsberechtigten „keinen Cent mehr zu hinterlassen“.
39Außerdem habe die Mutter des Antragsgegners als Bürgin auf eine Schuld ihres Sohnes I1 rund 10.000,00 EUR an die LBS gezahlt. Dieser Anspruch sei nach Befriedigung des Gläubigers auf sie übergegangen. Da kein anderer Rechtsgrund für die Bürgschaft erkennbar sei, müsse angenommen werden, dass dieser eine Schenkung an den Sohn I1 zugrundeliege.
40Weiterhin ist er der Meinung, im Rahmen der Ermittlung seiner Leistungsfähigkeit sei ein am 15.07.2014 abgeschlossener Ratenkreditvertrag im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Elo-Bikes zu berücksichtigen, den er, was unstreitig ist, mit monatlich 200,00 EUR bedient.
41Schließlich sei aufgrund tatsächlicher Wohnkosten in Höhe von 518,24 EUR monatlich ein um 68,24 EUR erhöhter Selbstbehalt gegenüber dem vorgesehenen Warmmietanteil von 450,00 EUR zu berücksichtigen.
42II. Der Antragsteller hat gegen den Antragsgegner einen Anspruch auf Zahlung rückständigen Elternunterhalts für die Monate April und Dezember 2013 sowie das Jahr 2014 i.H.v. 1.638,00 EUR aus §§ 1601, 1602 Abs. 1, 94 Abs. 1 SGB XII
431. Der Bedarf der Mutter des Antragsgegners in Höhe von 358,00 EUR ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
442. Die Mutter des Antragsgegners war während des hier fraglichen Unterhaltszeitraums auch bedürftig im Sinne von § 1602 Abs. 1 BGB. Unterhaltsberechtigt ist danach nur, wer außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.
45a) Unstreitig verfügte die Mutter des Antragsgegners über kein ausreichendes Einkommen.
46b) Auch muss sie sich keine fiktiven Mieteinkünfte anrechnen lassen, weil sie bei Abschluss des Kaufvertrages betreffend ihre Wohnung an der L-Straße in Bocholt mit dem Zeugen L und dessen Ehefrau anstelle des auflösend bedingten Wohnrechtes kein Nießbrauchsrecht hat einräumen lassen, aufgrund dessen sie weiterhin Mieteinnahmen hätte erzielen können. Insoweit fehlt es bereits an der notwendigen Kausalität einer solchen Unterlassung, denn selbst bei Abzug von Mieteinnahmen i.H.v. 230,00 EUR vom grds. unstreitigen Betrag in Höhe von 358,00 EUR verbliebe ein Bedarf der Mutter des Antragsgegners oberhalb der hier geltend gemachten Beträge von maximal 123,00 EUR monatlich. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob der Anrechnungsbetrag auf den Kaufpreis bei Begründung eines Nießbrauchsrechts anstelle eines auflösend bedingten Wohnungsrechts aufgrund der größeren Reichweite nicht höher zu bewerten gewesen wäre.
47c) Die Mutter des Antragsgegners verfügt zudem nicht über vorrangig einzusetzendes Vermögen.
48aa) Ausweislich der durch den Antragsteller mit Schriftsatz vom 22.02.2016 vorgelegten Belege verfügte sie im hier gegenständlichen Zeitraum über keinerlei relevante Vermögenswerte in Form von Bankguthaben o.ä.
49bb) Ihr stehen auch keine vermögenswerte Ansprüche gegen ihren Sohn I1 zu, da sie Zahlungen i.H.v. 10.000,00 EUR auf dessen Darlehensverbindlichkeit bei der LBS vorgenommen hat. Denn dieser Betrag ist ausweislich der Entscheidungsgründe bereits im Urteil des Landgerichts Münster vom 21.05.2010 (Az. 010 O ###/##, Seite 7 der Entscheidungsgründe) bei der Bemessung der damit dem Sohn I1 zugesprochenen Forderung berücksichtigt worden und damit erledigt.
50cc) Gleichfalls stehen ihr auch keine Ansprüche aus § 528 Abs. 2 BGB gegen den Zeugen L und dessen Ehefrau im Zusammenhang mit der Übertragung des Eigentums an der Eigentumswohnung an der L-Straße in Bocholt zu.
51In einer Löschungsbewilligung kann ein Verzicht liegen, welcher sich als Zuwendung darstellt und somit Gegenstand einer Schenkung sein kann (OLG Hamm, Urteil vom 26.02.2009 – Az. 22 U 113/08, BeckRS 2011, 26047).
52Soweit der Antragsgegner darauf verweist, jedenfalls der vertraglich vereinbarte Verzicht seiner Mutter auf Ausgleichsansprüche für den Fall des Erlöschens des Wohnungsrechts habe Schenkungscharakter, folgt das Gericht dem nicht. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Eintritt dieses Falles überhaupt bzw. vor Erreichen der statistischen Lebenserwartung bei Abschluss des Kaufvertrages noch völlig ungewiss war. Ebenso war zu diesem Zeitpunkt nämlich denkbar, dass die Mutter des Antragsgegners länger als statistisch zu erwarten in der Wohnung lebt. Dann aber hätte die Wohnrechtsgewährung einen aus wirtschaftlicher Sicht höheren Wert gehabt, als die Parteien bei Vertragsschluss angenommen haben. Denn insoweit haben die Parteien vereinbart, dass die weitere Nutzung nach Ablauf von neun Jahren unentgeltlich erfolgt. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass aus Sicht der Kaufvertragsparteien bei zum Zeitpunkt der Abschluss des Vertrages ungewisser Lebenserwartung der Mutter des Antragsgegners die letztgenannte Unentgeltlichkeit der weiteren Nutzung nach Ablauf der statistischen Lebenserwartung die Kehrseite eines früheren ausgleichslosen Erlöschens für den Fall der aus tatsächliche Gründen nicht möglichen Ausübung des Wohnrechts darstellt. Damit aber wird beiden Vertragsparteien gleichermaßen ein wirtschaftliches Risiko zugewiesen, so dass nicht von einer einseitigen Zuwendung seitens der Mutter des Antragsgegners gesprochen werden kann. Vielmehr liegt die Gegenleistung der Erwerber darin, dass sie für die Möglichkeit einer über die statistische Lebenserwartung hinausgehenden Nutzung keinen wirtschaftlichen Ausgleich erhalten sollten. Von einer Unentgeltlichkeit kann daher unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Risiken objektiv und auch aus Sicht der Parteien nicht gesprochen werden.
53Zudem fehlt es entgegen der Ansicht des Antragsgegners an dem erforderlichen subjektiven Tatbestand zum Wissen und zur Einigung in Bezug auf eine (teilweise) Unentgeltlichkeit der Zuwendung (vgl. BGH, Urteil vom 18.10.2011 − X ZR 45/10, NJW 2012, 605, 606). Dieser Tatbestand ist in tatrichterlicher Würdigung auf Grund der Gesamtumstände des Falls unter der Beweislast dessen festzustellen, der sich auf die Schenkung beruft. Bei gemischten Schenkungen ist dabei besonders zu prüfen, ob die Vertragsparteien sich überhaupt einer Wertdifferenz zwischen den beiden Leistungsseiten bewusst und sich insoweit darüber einig waren, jedenfalls den überschießenden Leistungsteil dem Beschenkten unentgeltlich zuzuwenden, mithin die Gegenleistung nicht lediglich ein gewollt günstiger Preis sein sollte (BGH, a.a.O., NJW 2012, 605, 606). Maßgebliche Bedeutung kommt dabei dem Verhältnis zwischen dem Wert der Zuwendung und dem Wert der Gegenleistung zu. Besteht hierbei eine auffallende, über ein geringes Maß deutlich hinausgehende Diskrepanz, dann begründet dies im Einklang mit der Lebenserfahrung die tatsächliche, widerlegbare Vermutung für einen Schenkungswillen der Vertragsparteien (BGH, a.a.O., NJW 2012, 605, 606).
54Vorliegend sind die Vertragsparteien, wie der Zeuge L glaubhaft bekundet hat, nach Beratung durch den beurkundenden Notar von einem gegenüber dem Erwerb der Wohnung durch die Mutter des Antragsgegners unveränderten Wert i.H.v. 79.000,00 EUR ausgegangen. Unter Berücksichtigung ihres Verwandtschaftsverhältnisses und des Umstandes, dass für die Mutter des Antragsgegners der Verlust ihrer Wohnung durch Zwangsversteigerung drohte, einigten sich die Vertragsparteien auf einen gegenüber dem angenommenen Verkehrswert um rund 11% verminderten Kaufpreis von 70.000,00 EUR. Auf diesen rechneten sie entsprechend dem Vorschlag des Notars den angenommenen Wert des Wohnrechts an, welcher unter Berücksichtigung der statistischen Lebenserwartung und eines erzielbaren monatlichen Mietzinses von 230,00 EUR mit 24.840,00 EUR bemaßen. Damit betrug der in Geld zu zahlende Kaufpreis noch 45.160,00 EUR.
55Ausgangspunkt der Überlegungen war demnach, was nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für sich gesehen noch keinen Schenkungscharakter indiziert, ein aufgrund des verwandtschaftlichen Verhältnisses und der Drucksituation gewollt günstiger Kaufpreis, welcher dem Zeugen und seiner Ehefrau den Erwerb des Eigentums und der Mutter des Antragsgegners den Erhalt ihrer Wohnung ermöglichen sollte. Hierin lag aus Sicht der Vertragsparteien folglich keine einseitige Zuwendung, sondern vielmehr ein beiderseitiger Nutzen. Auch die Bewertung des Wohnrechtes haben die Vertragsparteien an objektiven Kriterien, nämlich an der statistischen Lebenserwartung sowie dem erzielbaren Mietzins, orientiert.
56Weiterhin fehlt es an dem erforderlichen subjektiven Element zum Wissen und zur Einigung des zumindest teilweise schenkweisen Charakters auch deshalb, weil - worauf bereits hingewiesen wurde - die vertragliche Einräumung des Wohnrechtes beiderseits mit wirtschaftlichen Risiken verbunden war, für die Erwerber für den Fall, dass die Mutter des Antragsgegners von dem Wohnrecht länger Gebrauch machen kann, als dies bei Vertragsschluss statistisch zu erwarten war. Die Bewilligung der Löschung des Wohnrechtes darf daher nicht isoliert betrachtet werden, sondern ist vielmehr im Kontext des beiderseitigen Risikos zu sehen.
57dd) Soweit der Antragsgegner pauschal vorbringt, es sei davon auszugehen, dass seine Mutter dem Zeugen aus ihrem Barvermögen weitere Beträge zugewandt, hat der Zeuge dies glaubhaft dementiert. Der Verbrauch des zwischenzeitlich vorhandenen Barvermögens lässt hierauf keinen hinreichenden Schluss zu.
58d) Der Anspruch des Anspruchstellers ist auch nicht gemäß § 1611 BGB ausgeschlossen.
59Die Prüfung des § 1611 BGB erfolgt durch eine Billigkeitsabwägung (Holzer, NZFam 2016, 369). Bei dieser Norm handelt es sich um eine Sondervorschrift für den Verwandtenunterhalt, die eine Sanktion für den Fall vorsieht, dass der Unterhaltsberechtigte seine Bedürftigkeit ganz oder teilweise selbst herbeigeführt hat. Andererseits schützt die Bestimmung ihn insoweit, als sein Verhalten keine Auswirkungen auf den Unterhaltsanspruch haben soll, wenn ihm sittliches Verschulden nicht vorgeworfen werden kann. Ein einfaches Verschulden an der eigenen Bedürftigkeit hindert oder mindert also den Anspruch auf Unterhalt nicht (Holzer, NZFam 2016, 33). Das Verhalten, welches die Bedürftigkeit herbeigeführt hat, muss sittliche Missbilligung verdienen. In vorwerfbarer Weise muss der Unterhaltsberechtigte anerkannte Verbote der Sittlichkeit außer Acht gelassen haben. Bedürftigkeit, die durch Nachlässigkeit oder ein einmaliges Versagen eingetreten ist, erfüllt nicht den Tatbestand (Reinken, in: BeckOK-BGB, 40. Edition, Stand: 01.08.2016, § 1611, Rn. 2 m.w.N.). Zur Annahme eines sittlichen Verschuldens genügt auch nicht, dass die Rente nicht zur Deckung der – teilweise extrem hohen – anfallenden Heimkosten ausreicht (Viefhues, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 1611 BGB, Rn. 68). Zu beachten ist, dass § 1611 BGB eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift ist (BGH, Urteil vom 15.09.2010 - XII ZR 148/09, NJW 2010, 3714, 3717; Viefhues, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., a.a.O., § 1611 BGB, Rn. 61).
60Vorliegend ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Verwendung ihres Vermögens grds. der Dispositionsfreiheit der Mutter des Antragsgegners unterlag. Selbst wenn diese, wie der Antragsgegner errechnet, im Monat einschließlich ihrer Rente von rund 700,00 EUR rund 2.000,00 EUR ausgegeben haben sollte, läge hierin jedoch keine schwere, eine sittliche Missbilligung verdienende Verfehlung, die für die Bejahung der Voraussetzungen des § 1611 BGB erforderlich wäre. Vielmehr stand der Mutter des Antragsgegners frei, bei nicht absehbarer Pflegebedürftigkeit, über ihr Geld grds. frei zu verfügen. Anders im Sinne einer schweren sittlichen Verfehlung wäre dies nur dann zu beurteilen, wenn sie ihr Geld in Kenntnis bzw. konkreter Erwartung einer Pflegebedürftigkeit ausgegeben hätte, um dieses nicht für die anfallenden Kosten einsetzen zu müssen. Hierfür ist vorliegend jedoch nichts ersichtlich.
614. Die Leistungsfähigkeit des Antragsgegners im verfahrensgegenständlichen Zeitraum ist weitestgehend unstreitig. Auf die Ausführungen der Antragstellerseite wird insoweit Bezug genommen.
62a) Soweit der Antragsgegner weitergehend auf monatliche Zahlungen in Höhe von 200,00 EUR auf einen Ratenkredit vom 15.07.2014 verweist, ist darauf hinzuweisen, dass dieser in Kenntnis der bestehenden Unterhaltsverpflichtung aufgenommen wurde und daher nicht bei der Ermittlung der Leistungsfähigkeit des Antragsgegners zu berücksichtigen ist. Auch ist nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass der Antragsgegner auf das mithilfe dieses Darlehens angeschaffte Elo-Bike zwingend angewiesen wäre, etwa aus beruflichen oder sonstigen wichtigen Gründen.
63b) Ein erhöhter Selbstbehalt wegen erhöhter Wohnkosten steht dem Antragsgegner entgegen seiner Auffassung nicht zu. Zutreffend weist der Antragsteller darauf hin, dass bei der Berechnung des Unterhaltsanspruchs ohnehin ein individuell erhöhter Selbstbehalt von 1.702,22 EUR für 2013 bzw. 1.723,11 EUR für 2014 berücksichtigt worden ist. Der auch im individuellen Selbstbehalt enthaltene Wohnkostenanteil (28,125%, 450/1600) von 478,75 EUR (2013) bzw. 484,62 EUR (2014) übersteigt die Warmmiete des Antragsgegners in Höhe von 474,96 EUR. Stromkosten, die ausweislich der vorgelegten BEW-Rechnung (Bl. 161 d.A.) mit 519,40 EUR von 818,90 EUR den Großteil dieser Position ausmachen, haben dabei außer Ansatz zu bleiben, da sie aus dem allgemeinen Selbstbehalt zu tragen sind (vgl. AG Karlsruhe, Beschluss vom 23.06.2014 - 7 F 9/13, BeckRS 2015, 12452). Denn diese sind regelmäßig nicht in der Warmmiete enthalten und damit keine umlagefähigen Nebenkosten im Sinne von Nr. 21.3.1 der Leitlinien des Oberlandesgerichts Hamm zum Unterhaltsrecht (Stand: 01.01.2013).
64Die damit verbleibenden 24,96 EUR monatlich für Erdgas stellen im Übrigen keine erhebliche Überschreitung des im fraglichen Zeitraum im Selbstbehalt enthaltenen Wohnkostenanteils von damals 450,00 EUR dar. Die Überschreitung liegt bei lediglich 5,5%.
655. Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus § 291 BGB.
666. a) Die Kostenentscheidung folgt aus § 243 FamFG. Soweit der Antragsteller das Verfahren in der Hauptsache teilweise für erledigt erklärt hat, beruht dies auf einer zwischenzeitlich erfolgten Erhöhung der Selbstbehaltssätze sowie dem Umstand, dass der Antragsgegner im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit in Abzug zu bringende Belastungen erst während des laufenden Verfahrens erstmals eingewandt und belegt hat.
67b) Die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses war nicht anzuordnen, da die Entscheidung seit längerer Zeit rückständigen Unterhalt betrifft (vgl. BGH, Beschluss vom 01.08. 2013 – VII ZB 1/13, NJW 2013, 3584, 3586).
68Rechtsbehelfsbelehrung:
69Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt oder wenn das Gericht des ersten Rechtszugs die Beschwerde zugelassen hat. Beschwerdeberechtigt ist derjenige, dessen Rechte durch den Beschluss beeinträchtigt sind. Die Beschwerde ist bei dem Amtsgericht - Familiengericht - Bocholt, Benölkenplatz 2, 46399 Bocholt schriftlich in deutscher Sprache durch einen Rechtsanwalt einzulegen.
70Die Beschwerde muss spätestens innerhalb eines Monats nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses bei dem Amtsgericht - Familiengericht - Bocholt eingegangen sein. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses. Fällt das Ende der Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages.
71Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Sie ist zu unterzeichnen.
72Darüber hinaus muss der Beschwerdeführer einen bestimmten Sachantrag stellen und diesen begründen. Die Frist hierfür beträgt zwei Monate und beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses. Innerhalb dieser Frist müssen der Sachantrag sowie die Begründung unmittelbar bei dem Beschwerdegericht - Oberlandesgericht Hamm, Heßlerstr. 53, 59065 Hamm - eingegangen sein.
73Dem Anwaltszwang unterliegen nicht Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie Beteiligte, die durch das Jugendamt als Beistand vertreten sind.
74Unterschrift |
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Urteil einreichenAmtsgericht Bocholt Beschluss, 12. Okt. 2016 - 14 F 109/14 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).
(1) Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Für die Anerkennung der Bedarfe für Unterkunft gilt eine Karenzzeit von einem Jahr ab Beginn des Monats, für den erstmals Leistungen nach diesem Buch bezogen werden. Innerhalb dieser Karenzzeit werden abweichend von Satz 1 Bedarfe für Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt; § 35a Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt. Wird der Leistungsbezug in der Karenzzeit für mindestens einen Monat unterbrochen, verlängert sich die Karenzzeit um volle Monate ohne Leistungsbezug. Eine neue Karenzzeit beginnt nur, wenn zuvor mindestens drei Jahre keine Leistungen nach diesem Kapitel, dem Vierten Kapitel oder dem Zweiten Buch bezogen worden sind. Bei Leistungsberechtigten, die in den letzten zwei Jahren vor dem Bezug von Leistungen nach dem Dritten oder Vierten Kapitel Leistungen nach dem Zweiten Buch bezogen haben, wird die nach § 22 Absatz 1 Satz 2 bis 4 des Zweiten Buches bereits in Anspruch genommene Karenzzeit für die weitere Dauer der Karenzzeit nach den Sätzen 2 bis 5 berücksichtigt.
(2) Der Träger der Sozialhilfe prüft zu Beginn der Karenzzeit nach Absatz 1 Satz 2 bis 6 die Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Übersteigen die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang, teilt der Träger der Sozialhilfe dies den Leistungsberechtigten mit dem ersten Bewilligungsbescheid mit und unterrichtet sie über die Dauer der Karenzzeit nach Absatz 1 Satz 2 bis 6 sowie über das Verfahren nach Ablauf der Karenzzeit nach Absatz 3 Satz 2.
(3) Übersteigen die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang, sind sie in tatsächlicher Höhe als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 27 Absatz 2 zu berücksichtigen sind, anzuerkennen. Satz 1 gilt nach Ablauf der Karenzzeit nach Absatz 1 Satz 2 bis 6 so lange, bis es diesen Personen möglich oder zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Eine Absenkung der nach Absatz 1 Satz 1 unangemessenen Aufwendungen muss nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre. Stirbt ein Mitglied der Haushaltsgemeinschaft und waren die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung davor angemessen, ist die Senkung der Aufwendungen für die weiterhin bewohnte Unterkunft für die Dauer von mindestens zwölf Monaten nach dem Sterbemonat nicht zumutbar.
(4) Der Träger der Sozialhilfe kann für seinen örtlichen Zuständigkeitsbereich für die Höhe der Bedarfe für Unterkunft eine monatliche Pauschale festsetzen, wenn auf dem örtlichen Wohnungsmarkt hinreichend angemessener freier Wohnraum verfügbar und in Einzelfällen die Pauschalierung nicht unzumutbar ist. Bei der Bemessung der Pauschale sind die tatsächlichen Gegebenheiten des örtlichen Wohnungsmarkts, der örtliche Mietspiegel sowie die familiären Verhältnisse der Leistungsberechtigten, insbesondere Anzahl, Alter und Gesundheitszustand der in der Unterkunft lebenden Personen, zu berücksichtigen. Absatz 3 Satz 1 gilt entsprechend.
(5) Bedarfe für Heizung umfassen auch Aufwendungen für zentrale Warmwasserversorgung. Die Bedarfe können durch eine monatliche Pauschale festgesetzt werden. Bei der Bemessung der Pauschale sind die persönlichen und familiären Verhältnisse, insbesondere Anzahl, Alter und Gesundheitszustand der in der Unterkunft lebenden Personen, die Größe und Beschaffenheit der Wohnung, die vorhandenen Heizmöglichkeiten und die örtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen.
(6) Leben Leistungsberechtigte in einer Unterkunft nach § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3, so sind Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach § 42a Absatz 5 und 6 anzuerkennen. Leben Leistungsberechtigte in einer sonstigen Unterkunft nach § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 3, so sind Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach § 42a Absatz 7 anzuerkennen. Für die Bedarfe nach den Sätzen 1 und 2 gilt Absatz 1 Satz 2 bis 6 nicht.
(7) Zur Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach Absatz 1 Satz 1 ist die Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze zulässig. Dabei kann für die Aufwendungen für Heizung der Wert berücksichtigt werden, der bei einer gesonderten Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und der Aufwendungen für Heizung ohne Prüfung der Angemessenheit im Einzelfall höchstens anzuerkennen wäre. Absatz 3 und § 35a Absatz 2 Satz 2 gelten entsprechend.
(8) § 22 Absatz 11 und 12 des Zweiten Buches gelten entsprechend.
(1) Unterhaltsberechtigt ist nur, wer außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.
(2) Ein minderjähriges Kind kann von seinen Eltern, auch wenn es Vermögen hat, die Gewährung des Unterhalts insoweit verlangen, als die Einkünfte seines Vermögens und der Ertrag seiner Arbeit zum Unterhalt nicht ausreichen.
(1) Soweit der Schenker nach der Vollziehung der Schenkung außerstande ist, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten und die ihm seinen Verwandten, seinem Ehegatten, seinem Lebenspartner oder seinem früheren Ehegatten oder Lebenspartner gegenüber gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht zu erfüllen, kann er von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenkes nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern. Der Beschenkte kann die Herausgabe durch Zahlung des für den Unterhalt erforderlichen Betrags abwenden. Auf die Verpflichtung des Beschenkten findet die Vorschrift des § 760 sowie die für die Unterhaltspflicht der Verwandten geltende Vorschrift des § 1613 und im Falle des Todes des Schenkers auch die Vorschrift des § 1615 entsprechende Anwendung.
(2) Unter mehreren Beschenkten haftet der früher Beschenkte nur insoweit, als der später Beschenkte nicht verpflichtet ist.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Der Kläger macht als Sozialhilfeträger gegen den Beklagten einen übergeleiteten Anspruch auf Herausgabe einer Schenkung wegen Verarmung des Schenkers geltend.
- 2
- Der Beklagte ist der einzige Sohn seiner am 6. April 2009 verstorbenen Mutter. Diese war Eigentümerin einer mit einem Wohnhaus und Gewerberäumen bebauten Liegenschaft in O. . In dem Wohnhaus wohnten derBeklagte mit seiner Familie, seine Mutter und zunächst auch seine Großmutter. Ab dem Jahre 1976 wurden an den Gebäuden mehrfach umfangreiche Umbau- und Renovierungsarbeiten vorgenommen, für die der Beklagte und seine Ehefrau die Mutter des Beklagten durch im Einzelnen streitige finanzielle Zuwendungen und Eigenleistungen unterstützten. Die Maßnahmen betrafen sowohl das Wohnhaus als Ganzes wie auch die Wohnräume des Beklagten, die seiner Mutter und die Gewerberäume. Der Kläger hat für diese Maßnahmen einen Wert in Höhe von 116.581,65 € zuletzt nicht mehr bestritten, während der Beklagte einen Wert von mindestens 263.486,62 € behauptet. Mit notariellem Vertrag vom 6. September 2002 übertrug die Mutter des Beklagten die Liegenschaft an ihn, wobei diese Übertragung als "vorweggenommene Erbfolge" bezeichnet wurde, die Mutter sich ein Wohnrecht für die Wohnung im Erdgeschoss vorbehielt und der Beklagte sich zu nach Alter und Gesundheit erforderlichen Pflegeleistungen verpflichtete. Im März 2003 zog die Mutter des Beklagten in ein Pflegeheim. Am 31. Dezember 2003 verkaufte der Beklagte das Grundstück zu einem Kaufpreis von 215.000 €, nachdem zuvor das Altenteilsrecht gegen Zahlung von 18.000 € gelöscht wurde.
- 3
- Der Kläger gewährte der Mutter des Beklagten von April 2005 bis September 2007 Sozialhilfeleistungen in Höhe von 45.325,46 € und nimmt den Beklagten in dieser Höhe aus übergeleitetem Recht auf Herausgabe des Wertes des übertragenen Grundstücks in Anspruch. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
- 4
- Die Revision hat Erfolg.
- 5
- I. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, dem Kläger stehe mangels Vorliegens einer Schenkung kein Anspruch auf Rückübertragung des Wertes des Grundstücks zu.
- 6
- Die Unentgeltlichkeit der Übertragung ergebe sich nicht schon zwingend aus deren Bezeichnung als "vorweggenommene Erbfolge" im Übertragungsvertrag. Damit werde lediglich ein Motiv für die Übertragung festgehalten, das nichts über die Unentgeltlichkeit der Schenkung aussage.
- 7
- Das Fehlen von Gegenleistungen könne nicht festgestellt werden. Der Wert des Grundstücks sei - zwischen den Parteien unstreitig - mit dem späteren Verkaufserlös in Höhe von 215.000 € anzusetzen. Für das Altenteilsrecht und die versprochenen Pflegeleistungen seien davon insgesamt 28.434 € abzuziehen. Hinsichtlich der vom Beklagten vorgenommenen Investitionen für das Haus sei auch nach dem Vortrag des Klägers von einem Betrag in Höhe von mindestens 116.581,65 € auszugehen.
- 8
- Der Verkaufserlös habe nur erzielt werden können, weil der Beklagte und seine Familie seit 1976 finanzielle und handwerkliche Investitionsleistungen erbracht hätten. Diese Leistungen seien mit Rücksicht auf die Erwartung erfolgt, dass der Beklagte das Grundstück eines Tages als einziger Sohn von seiner Mutter erben werde, worüber er sich schon zu Beginn der Arbeiten mit seiner Mutter einig gewesen sei. Wenn die Mutter anderweitig über das Grundstück hätte verfügen wollen, hätte ihm deshalb ein Bereicherungsanspruch wegen Zweckverfehlung zugestanden. Vor diesem Hintergrund sei die Zuwendung bei dem Übertragungsvertrag im Jahr 2002 mit einer rechtlich erheblichen Zwecksetzung verknüpft gewesen, die deren Entgeltlichkeit begründe. Eine Zwecksetzung , die durch einen Bereicherungsanspruch geschützt sei, sei auch geeignet, die Entgeltlichkeit der auf diesen Zweck gerichteten Leistungen zu begründen, wenn damit der erstrebte Erfolg eintrete.
- 9
- Die Leistungen des Beklagten seien nicht mit etwaigen Mietersparnissen in dem gesamten Zeitraum zu verrechnen, weil dem andere Leistungen des Beklagten gegenüber stünden.
- 10
- Danach verbleibe nach Abzug des Wertes des Altenteils und der zugestandenen Investitionen allenfalls ein möglicher Wert der Schenkung von 69.984,35 €, was 32,55 % des Grundstückswertes seien. Damit liege auch keine gemischte Schenkung vor, denn diese setze voraus, dass der unentgeltliche Charakter überwiege, mithin der Wert der Gegenleistungen weniger als die Hälfte des effektiven Geschenks betrage.
- 11
- II. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
- 12
- Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen kann ein Anspruch auf Herausgabe des Wertes der Schenkung nicht versagt werden, denn diese erlauben nicht, das Vorliegen einer Schenkung zu verneinen.
- 13
- Eine Schenkung setzt gemäß § 516 BGB voraus, dass der Schenker dem Beschenkten einen Vermögensgegenstand zuwendet, diesen damit bereichert und beide sich darüber einig sind, dass die Zuwendung unentgeltlich erfolgt.
- 14
- 1. Mit der Bereicherung des Beschenkten wird ein objektiver Tatbestand vorausgesetzt, bei dem die Leistung des Schenkers den Wert etwaig versprochener Gegenleistungen überwiegt (vgl. BGH, Urteile vom 21. Mai 1986 - IVa ZR 171/84, NJW-RR 1986, 1135 unter II 2; vom 18. Mai 1990 - V ZR 304/88, WM 1990, 1790 zu Grundstück E. unter 2 b). Hierfür reicht eine bloße Wertdifferenz zugunsten des Beschenkten aus. Bei Vorliegen einer oder mehrerer Gegenleistungen, womit die Schenkung regelmäßig als gemischte Schenkung anzusehen ist, bedarf es - entgegen dem Berufungsurteil - insbesondere nicht eines Überwiegens des unentgeltlichen Charakters des Geschäfts gegenüber dem entgeltlichen; der Wert der geschenkten Zuwendung muss also nicht mindestens das Doppelte etwaiger Gegenleistungen betragen.
- 15
- Anderes ergibt sich nicht aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen der Schenker bei einer gemischten Schenkung aufgrund eines Herausgabeanspruchs die vollständige Herausgabe des Geschenks in Natur gegen Rückgewähr der Gegenleistung verlangen kann. Diese Form der Rückabwicklung kann der Schenker nur verlangen , wenn der unentgeltliche Charakter des Vertrags überwiegt, die Zuwendung des Schenkers also den doppelten Wert im Vergleich zur Gegenleistung aufweist (vgl. BGH, Urteile vom 27. November 1952 - IV ZR 146/52, NJW 1953, 501 aE; vom 23. Mai 1959 - V ZR 140/58, BGHZ 30, 120, 123; vom 3. Dezem- ber 1971 - V ZR 134/69, NJW 1972, 247 unter I b; vom 2. Oktober 1987 - V ZR 85/86, NJW-RR 1988, 584 unter II 2 a; vom 7. April 1989 - V ZR 252/87, BGHZ 107, 156, 158 f.; vom 19. Januar 1999 - X ZR 42/97, NJW 1999, 1626 unter I 2 b aa; vom 11. April 2000 - X ZR 246/98, NJW 2000, 598 unter 1 a). Dieses Kriterium hat indessen nur für die Rückabwicklung eine Bedeutung. Überwiegt der unentgeltliche Charakter nicht, kann gleichwohl eine Schenkung vorliegen mit der Folge, dass der Schenker dann mit seinem Herausgabeanspruch nur einen Wertersatz in Höhe der Leistungsdifferenz zwischen Geschenk und Gegenleistung verlangen kann (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 1971 - V ZR 134/69, NJW 1972, 247 unter I b).
- 16
- 2. Auch der subjektive Tatbestand zum Wissen und zur Einigung in Bezug auf eine (teilweise) Unentgeltlichkeit der Zuwendung setzt nicht voraus, dass bei einer gemischten Schenkung der unentgeltliche Charakter überwiegt.
- 17
- a) Dieser Tatbestand ist in tatrichterlicher Würdigung aufgrund der Gesamtumstände des Falls unter der Beweislast dessen festzustellen, der sich auf die Schenkung beruft. Bei gemischten Schenkungen ist dabei besonders zu prüfen, ob die Vertragsparteien sich überhaupt einer Wertdifferenz zwischen den beiden Leistungsseiten bewusst und sich insoweit darüber einig waren, jedenfalls den überschießenden Leistungsteil dem Beschenkten unentgeltlich zuzuwenden, mithin die Gegenleistung nicht lediglich ein gewollt günstiger Preis sein sollte (vgl. BGH, Urteile vom 21. Juni 1972 - IV ZR 221/69, BGHZ 59, 132, 135; vom 18. Mai 1990 - V ZR 304/88, WM 1990, 1790 zu Grundstück E. unter 2 b; vom 1. Februar 1995 - IV ZR 36/94, NJW 1995, 1349 unter 2 b; RGZ 163, 257, 259 f.).
- 18
- b) Dass die Vertragsparteien in der Vertragsurkunde eine Vorwegnahme der Erbfolge als Motiv angegeben haben, hat dabei - wie im Berufungs- urteil zutreffend erkannt - keine maßgebliche Bedeutung. Diese Angabe kann sowohl auf dem Verständnis beruhen, eine unentgeltliche Zuwendung vorzunehmen wie darauf, die Rechtsfolgen einer Erbschaft durch ein entgeltliches Geschäft vorzeitig herbeiführen zu wollen (vgl. BGH, Urteile vom 1. Februar 1995 - IV ZR 36/94, NJW 1995, 1349 unter 2; vom 6. März 1996 - IV ZR 374/94, NJW-RR 1996, 754 unter II 1 b).
- 19
- c) Maßgebliche Bedeutung kommt indessen dem Verhältnis zwischen dem Wert der Zuwendung und dem Wert der Gegenleistung zu. Besteht hierbei eine auffallende, über ein geringes Maß deutlich hinausgehende Diskrepanz , dann begründet dies im Einklang mit der Lebenserfahrung die tatsächliche ,widerlegbare Vermutung für einen Schenkungswillen der Vertragsparteien (vgl. BGH, Urteile vom 21. Juni 1972 - IV ZR 221/69, BGHZ 59, 132, 135 f.; vom 1. Februar 1995 - IV ZR 36/94, NJW 1995, 1349 unter 2; vom 6. März 1996 - IV ZR 374/94, NJW-RR 1996, 754 unter II 2 a). Hierfür sind nicht nur die objektiven Werte der Leistungen, sondern vor allem auch die Wertspannen zu berücksichtigen, innerhalb derer die Vertragsparteien den Wert der Leistungen auch unter Berücksichtigung der Beziehung, in der sie zueinander stehen, in einer noch vertretbaren Weise hätten annehmen können (vgl. BGH, Urteile vom 27. Mai 1981 - IVa ZR 132/80, NJW 1981, 2458 unter I; vom 23. September 1981 - IVa ZR 185/80, BGHZ 82, 274, 281 f.; vom 18. Mai 1990 - V ZR 304/88, WM 1990, 1790 zu Grundstück E. unter 2 b). Schon deshalb gibt es für dieses Missverhältnis keinen mathematisch errechenbaren, allgemein gültigen Schwellenwert. Auch unter diesem Gesichtspunkt trifft daher die Annahme des Berufungsgerichts nicht zu, eine gemischte Schenkung sei nur festzustellen, wenn die Zuwendung des Schenkers den doppelten Wert der Gegenleistung erreiche.
- 20
- III. Das Berufungsurteil ist demnach aufzuheben und die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der Senat kann den Rechtsstreit nicht selbst entscheiden, weil noch Feststellungen zum Umfang der als Schenkung in Frage stehenden Zuwendung und der Gegenleistungen sowie zu einer Einigung der Vertragsparteien über die Unentgeltlichkeit dieser Leistungen zu treffen sind.
- 21
- Für das weitere Verfahren wird auf Folgendes hingewiesen:
- 22
- 1. Für die Bewertung der dem Beklagten zugewendeten Liegenschaft ist von deren Gesamtwert vorab der Sachwert des seiner Mutter verbliebenen Altenteilsrechts in Form des Wohnrechts abzuziehen. Dieses Wohnrecht stellt im Gegensatz zu den versprochenen Pflegeleistungen weder eine Gegenleistung noch eine Auflage dar (vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 1993 - V ZR 181/91, NJW 1993, 1577 unter 1), sondern mindert von vornherein den Wert des zugewendeten Grundstücks und hat damit keine Bedeutung für die Entgeltlichkeit dieser Zuwendung.
- 23
- 2. Als Gegenleistung sind auch bereicherungsrechtliche Anspruchsgrundlagen im Sinne von gefestigten Schutzpositionen zugunsten des Beklagten zu prüfen, die zum Zeitpunkt des Zuwendungsvertrags noch nicht einen fälligen Anspruch gegen seine Mutter begründet haben müssen, deren Fälligkeit aber mit der Zuwendung vermieden oder erledigt wurde. Ein solcher bereicherungsrechtlicher Schutz kann sich aus erbrachten Leistungen mit einer auf einem übereinstimmenden Willen beruhenden Zwecksetzung ergeben, die im Falle des dauerhaften Ausbleibens des Erfolgs einen Bereicherungsanspruch wegen Zweckverfehlung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 BGB begründeten. Wenn die als Schenkung zu prüfende Zuwendung zugleich den Zweck der vorangegangenen Leistungen des Zuwendungsempfängers erfüllt, wird - wie das Berufungsgericht im Grundsatz zutreffend erkannt hat - damit das Entstehen eines Bereicherungsanspruchs vermieden und beide Leistungen werden derart verknüpft, dass die bereicherungsrechtlich geschützte Leistung die Entgeltlichkeit der Zuwendung zu begründen vermag (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 1992 - XII ZR 145/91, NJW 1992, 2566 unter 2 b).
- 24
- Eine solche Verknüpfung kommt insbesondere in Betracht, soweit der Beklagte behauptet, Leistungen im Einvernehmen mit seiner Mutter für die Liegenschaft mit dem Zweck erbracht zu haben, diese später einmal zu erben, wobei den Kläger die Beweislast für das Ausbleiben solcher zweckgerichteter Leistungen und für ein darauf bezogenes Einvernehmen trifft. Der Umfang dieser Leistungen und der sich daraus ergebenden Bereicherung unterliegt der tatrichterlichen Schätzung gemäß § 287 Abs. 2 ZPO. Dabei ist für die Berechnung des bereicherungsrechtlichen Schutzes nicht auf den Wert der Leistungen zum Zeitpunkt ihrer Erbringung, sondern auf den Wert der Bereicherung zu dem abzuschätzenden Zeitpunkt des dauerhaften Ausbleibens des bezweckten Erfolgs abzustellen, mithin auf den nach der Lebenserwartung abzuschätzenden Zeitpunkt eines Erbfalls ohne Vererbung der Liegenschaft an den Beklagten (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1994 - V ZR 4/94, NJW 1995, 53 unter II 4 c mwN). Für die Verknüpfung mit der Zuwendung der Liegenschaft als Geschäft unter Lebenden muss sodann der Wert dieses bereicherungsrechtlichen Schutzes auf den Zeitpunkt des Übertragungsvertrags abgezinst werden.
- 25
- 3. a) Soweit der Beklagte Leistungen für die Immobilie erbracht hat, die seine eigene Wohnsituation verbessert oder erst ermöglicht haben, ergibt sich aus dieser Zielsetzung kein bereicherungsrechtlicher Schutz, denn mit dem Einzug oder dem Nutzen dieser Verbesserung ist der angestrebte Erfolg bereits eingetreten (vgl. BGH, Urteile vom 5. Oktober 1967 - VII ZR 143/65, NJW 1968, 245 unter II 2; vom 10. Oktober 1984 - VIII ZR 152/83, NJW 1985, 313 unter II a).
- 26
- b) Für den darüber hinausgehenden Zweck, die Wohnsituation dauerhaft zu verbessern und daraus dauerhaft Nutzen zu ziehen, ist zunächst zu prüfen, ob die dauerhafte Nutzung mit oder ohne Rechtsgrund erfolgte. Regelmäßig beruht die unentgeltliche dauerhafte Nutzung von Wohnraum auf einem ggf. konkludent geschlossenen Leihvertrag, weil diese vermögenswerte Gebrauchsüberlassung nach den Interessen der Parteien nicht im rechtsfreien Raum vollzogen sein sollte (vgl. BGH, Urteile vom 10. Oktober 1984 - VIII ZR 152/83, NJW 1985, 313 unter I 2; vom 4. April 1990 - VIII ZR 71/89, BGHZ 111, 125, 129; vom 31. Oktober 2001 - XII ZR 292/99, NJW 2002, 436 unter A II b; jurisPK-BGB/Colling, 5. Aufl. 2010, § 598 BGB Rn. 13). Mit dem Vorliegen eines Leihverhältnisses als Rechtsgrund für die Wohnnutzung scheiden zugleich etwaige darauf bezogene Bereicherungsansprüche der Mutter des Beklagten für eine Verrechnung mit dessen Leistungen aus.
- 27
- Bei Vorliegen eines Leihverhältnisses liegt es nahe, dass dieses auch Rechtsgrundlage für Leistungen des Beklagten an der Immobilie sein sollte, mit denen er dauerhaft seine Wohnsituation verbessern wollte. Auch wenn das Leihverhältnis ihn zu diesen Leistungen nicht verpflichtete, wäre bei einer einvernehmlichen Vornahme solcher Leistungen und der Erwartung des Beklagten , den Nutzen aus diesen Leistungen im Wege der Leihe zu ziehen, dieses Dauerverhältnis regelmäßig als Rechtsgrund für die vorgenommenen Leistungen anzusehen (vgl. BGH, Urteile vom 5. Oktober 1967- VII ZR 143/65, NJW 1968, 245 unter II 2; vom 10. Oktober 1984 - VIII ZR 152/83, NJW 1985, 313 unter II b; vom 31. Oktober 2001 - XII ZR 292/99, NJW 2002, 436 unter A II b).
- 28
- Im Falle der vorzeitigen Beendigung des Leihverhältnisses - wie im Streitfall die Auflassung der Immobilie an den Beklagten - resultiert daraus zunächst ein Bereicherungsanspruch gemäß § 812 Abs. 1 Satz 2 Fall 1 BGB wegen Wegfalls des Rechtsgrundes. Dieser Anspruch berechnet sich aus der vom Leistungszeitpunkt aus kalkulierten bzw. abzuschätzenden Zeitspanne, für die der Leistende einen Nutzen aus der Verbesserung des Wohnraums hätte ziehen sollen, und dem Anteil daran, der durch die vorzeitige Beendigung des Nutzungsverhältnisses weggefallen ist. Dies unterliegt wie der Umfang der Leistungen selbst ebenfalls der tatrichterlichen Schätzung gemäß § 287 Abs. 2 ZPO. Wegen des vorzeitigen Wegfalls des Leihverhältnisses kann der Leistende einen ratenweisen Bereicherungsausgleich in der Höhe verlangen, wie der Eigentümer aufgrund der Verbesserung des Wohnraums grundsätzlich in der Lage ist, einen höheren Mietzins zu verlangen (vgl. BGH NJW 1985, 313 unter II c; NJW 2002, 436 unter II 2 b; BGHZ 111, 125, 130 f.; BGHZ 29, 289, 297 ff.; BGHZ 71, 243, 250 f.; zuletzt: BGH NJW-RR 2001, 727 unter 4 b).
- 29
- Wird die Immobilie jedoch wie im Streitfall auf den Leistenden übertragen , sollen damit in der Regel auch etwaige Bereicherungsansprüche wegen zweckgerichteter Leistungen auf die Immobilie ausgeglichen sein. In Höhe dieser abgezinsten Anspruchstilgung ist die Übertragung deshalb ebenfalls als entgeltlich anzusehen. Da diese Anspruchstilgung sich nur aus dem Leistungsanteil errechnet, der auf den Zeitraum nach dem Wegfall des Leihverhältnisses entfällt, wird mit der Außerachtlassung des auf die Zeit davor entfallenden Leistungsanteils zugunsten des Klägers berücksichtigt, dass der Beklagte zuvor mit der Nutzung der von ihm bewohnten Räume auch den Nutzen aus den dafür vorgenommenen Leistungen gezogen hat, ohne einen Mietzins entrichten zu müssen.
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- 4. Sofern für einzelne Leistungen des Beklagten an der Immobilie festzustellen oder aufgrund der Beweislastverteilung davon auszugehen ist, dass diese sowohl der Verbesserung oder Schaffung des eigenen Wohnraums dienten als auch im Einvernehmen mit der Eigentümerin den Zweck hatten, den damit geschaffenen Vermögenszuwachs eines Tages zu erben, sind die beiden sich daraus jeweils ergebenden bereicherungsrechtlichen Schutzpositionen in ihrer Höhe nicht zu addieren, sondern - weil sie jeweils auf denselben Leistungen beruhen - in ein angemessenes, anteiliges Verhältnis zueinander zu setzen , es sei denn für einen der beiden Zwecke (Verbesserung des geliehenen Wohnraums, Wertsteigerung für den zu erbenden Nachlass) hatte die konkrete Leistung bei wertender Betrachtung nur geringe Bedeutung, woraus dann folgte , dass sie deshalb für die Entgeltlichkeit der als Schenkung zu prüfenden Zuwendung nicht zu berücksichtigen ist. Dieses anteilige Verhältnis der beiden bereicherungsrechtlichen Schutzpositionen zueinander ist vom Tatrichter gemäß § 287 Abs. 2 ZPO zu schätzen. Hierbei ist zu beachten, dass bei einem Vergleich des Gesamtumfangs der durch die Leistungen des Beklagten ursprünglich entstandenen Bereicherung gegenüber der letzten Endes für die Entgeltlichkeit zu berücksichtigenden Gesamthöhe der bereicherungsrechtlichen Schutzpositionen die mietfreie Nutzung der Wohnräume als ein reduzierender Faktor ihren Niederschlag findet.
- 31
- 5. Das Verhältnis der Zuwendung der Schenkerin im Vergleich zu den eine Entgeltlichkeit begründenden Gegenpositionen sowie die sich daraus errechnende objektive Bereicherung haben zwar maßgebliche Bedeutung für das Vorliegen einer auffallenden Diskrepanz und die davon abgeleitete Beweislastverteilung für den Nachweis eines subjektiven Schenkungswillens. Dieses objektive Verhältnis kann auch im Übrigen für die Frage, ob die Vertragsparteien sich über die teilweise Unentgeltlichkeit der Zuwendung einig waren, mitberücksichtig werden. Daneben können aber auch andere Gesichtspunkte für einen solchen Willen zu würdigen sein. Insbesondere können die Vertragsparteien subjektiv den Wert der Zuwendung und den Wert sowie die Frage nach einem Rechtsgrund einzelner Gegenpositionen im Rahmen einer Parallelwertung in der Laiensphäre anders bewertet und anders in Rechnung gestellt haben, als dies für die Frage einer objektiven Bereicherung sowie den rechtlichen Vorga- ben einer bereicherungsrechtlichen Schutzposition geboten ist (vgl. MünchKomm -BGB/Koch, 5. Aufl., § 516 Rn. 24; zu § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG: BFHE 173, 432 unter II 2 a). Keukenschrijver Mühlens Gröning Grabinski Hoffmann
LG Bielefeld, Entscheidung vom 08.01.2009 - 9 O 376/07 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 28.01.2010 - I-10 U 43/09 -
(1) Ist der Unterhaltsberechtigte durch sein sittliches Verschulden bedürftig geworden, hat er seine eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässigt oder sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen des Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht, so braucht der Verpflichtete nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, die der Billigkeit entspricht. Die Verpflichtung fällt ganz weg, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre.
(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 sind auf die Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern nicht anzuwenden.
(3) Der Bedürftige kann wegen einer nach diesen Vorschriften eintretenden Beschränkung seines Anspruchs nicht andere Unterhaltspflichtige in Anspruch nehmen.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung von Elternunterhalt für seine 1935 geborene Mutter aus übergegangenem Recht in Anspruch.
- 2
- Die Klägerin ist Trägerin der öffentlichen Hilfe, die der Mutter des Beklagten , Frau M., seit November 2005 gewährt wird. Frau M. befindet sich seit April 2005 in einem Pflegeheim. Sie litt schon während der Kindheit des Beklagten an einer Psychose mit schizophrener Symptomatik und damit einhergehend an Antriebsschwäche und Wahnideen. Frau M. hat den 1961 geborenen Beklagten bis zur Trennung und Scheidung von ihrem damaligen Ehemann im Jahr 1973 - mit Unterbrechungen wegen zum Teil längerer stationärer Krankenhausaufenthalte - erzogen und versorgt. Seit spätestens 1977 besteht - bis auf gele- gentliche Zusammentreffen auf Familienfeiern - kein Kontakt mehr zwischen dem Beklagten und seiner Mutter.
- 3
- Die Klägerin forderte den Beklagten mit Rechtswahrungsanzeige vom 9. November 2005 zur Auskunftserteilung auf. Dieser erteilte Auskunft und berief sich auf Verwirkung gemäß § 1611 BGB. Nach Bezifferung des Anspruchs im Dezember 2006 und Zahlungsaufforderung im März 2007 hat die Klägerin schließlich im April 2008 Klage erhoben.
- 4
- Das Familiengericht hat den Anspruch auf Zahlung von Elternunterhalt für den Zeitraum von November 2005 bis einschließlich März 2007 gemäß § 242 BGB als verwirkt angesehen. Im Übrigen hat es den Beklagten zur Zahlung rückständigen sowie laufenden Elternunterhalts für die Zeit von Mai 2008 an in Höhe von monatlich 649 € verurteilt.
- 5
- Die hiergegen eingelegte Berufung des Beklagten blieb erfolglos. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht den Beklagten verurteilt, rückständigen Elternunterhalt an die Klägerin bereits ab November 2005 und laufenden Unterhalt zu zahlen, u.a. von Januar bis Juni 2009 in Höhe von 674 € sowie von Juli 2009 an in Höhe von monatlich 701 €.
- 6
- Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe:
- 7
- Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
- 8
- Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in FamRZ 2010, 303 veröffentlicht ist, hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
- 9
- Der Klägerin stehe gegen den Beklagten für die Zeit von November 2005 an Elternunterhalt zu. Die Mutter des Beklagten sei spätestens seit November 2005 unterhaltsbedürftig. Nach Abzug ihrer eigenen Einkünfte von den für sie aufgewandten Heimkosten, dem Barbedarf und den notwendigen einmaligen Beihilfen verbleibe für sie ein ungedeckter Restbedarf von mehr als 701 € monatlich. Unter Berücksichtigung des durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommens des Beklagten, das sich in den Jahren von 2005 bis 2008 zwischen 3.077,47 € und 3.319,44 € bewegt habe, der jeweils hinzuzurechnenden Steuererstattung und unter Beachtung der unterhaltsrechtlich relevanten Abzüge sei der Beklagte im streitgegenständlichen Zeitraum überwiegend leistungsfähig.
- 10
- Der rückständige Unterhaltsanspruch der Klägerin sei nicht nach § 242 BGB verwirkt. Es bestünden bereits Bedenken dagegen, dass das erforderliche Zeitmoment erfüllt sei. Jedenfalls lägen keine Umstände vor, die es rechtfertigten , dass sich der Beklagte habe darauf einrichten dürfen, von der Klägerin nicht mehr auf Elternunterhalt in Anspruch genommen zu werden. Der Beklagte habe aus dem Inhalt der außergerichtlichen Schreiben der Klägerin vom 18. April 2006 und vom 27. August 2007 zweifelsfrei erkennen können, dass diese die auf sie übergegangenen Unterhaltsansprüche seiner Mutter weiter verfolge.
- 11
- Der Unterhaltsanspruch der Mutter des Beklagten sei auch nicht gemäß § 1611 BGB verwirkt. Das einmalige Zerschneiden der Kleidung der Kinder, die Verursachung des Waschzwangs und das mehrfache - seinem Umfang nach nicht näher dargelegte - Aussperren aus der Wohnung stellten vor dem Hinter- grund der psychischen Erkrankung der Mutter des Beklagten ohne Hinzutreten besonderer Umstände keine schwere Verfehlung dar. Soweit der Beklagte seiner Mutter vorwerfe, sie habe den Kontakt zu ihm nach der Trennung abgebrochen und dabei jedes Maß an emotionaler Zuneigung missen lassen, sei sein Vortrag widersprüchlich. Nach dem Inhalt der Beiakten habe seine Mutter im Jahr 1975 einen Antrag auf Regelung der Umgangskontakte gestellt, der an dem Willen des Beklagten gescheitert sei. Ebenso wenig könne eine gröbliche Verletzung der Unterhaltspflicht im Sinne von § 1611 BGB angenommen werden.
- 12
- Im Übrigen fehle es an einem für eine Verwirkung erforderlichen Verschulden der unterhaltsbedürftigen Mutter des Beklagten. Die vom Beklagten beschriebenen Betreuungsausfälle und ihre Unfähigkeit, spätestens ab 1971 für den Naturalunterhalt und ab dem Zeitpunkt der Trennung vom Vater des Beklagten für seinen Barunterhalt aufzukommen, beruhten unstreitig auf der Erkrankung seiner Mutter an schizophrener Psychose.
- 13
- Schließlich stünde dem Übergang des Unterhaltsanspruchs der Mutter auf die Klägerin auch § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII nicht entgegen. Eine unbillige Härte im Sinne dieser Vorschrift liege dann vor, wenn mit der Heranziehung des Unterhaltspflichtigen zum Elternunterhalt soziale Belange vernachlässigt würden. Seien lediglich familiäre Belange betroffen, komme eine Anwendung des § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII nicht in Betracht. Diese Einschränkung folge daraus, dass den familiären Belangen bereits durch die Vorschrift des § 1611 BGB hinreichend Rechnung getragen sei. Es müssten daher Umstände vorliegen, die es gerade aus dem Blickwinkel des Sozialrechts unzumutbar erscheinen ließen, wenn jemand zum Unterhalt für seine Eltern herangezogen werde. Daran fehle es. Ziel der Gewährung der öffentlichen Hilfe für die Mutter des Beklagten sei nicht die Entlastung des Beklagten von seiner Unterhaltsverpflichtung. Einer solchen Zielsetzung stünde bereits entgegen, dass der Beklagte aufgrund seiner relativ hohen Einkünfte und mangels weiterer Unterhaltsverpflichtungen wirtschaftlich ohne unzumutbare Einschränkung seiner Lebensführung in der Lage sei, den begehrten Unterhalt für seine Mutter zu leisten. Es seien auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Heranziehung des Beklagten zu den der Klägerin entstandenen Kosten zu einer nachhaltigen Störung des Familienfriedens führte.
- 14
- Schließlich sei ein kausaler Zusammenhang der schicksalhaften Erkrankung der Mutter mit einem Handeln des Staates oder seiner Organe, der soziale Belange begründen könnte, anders als in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall eines psychisch erkrankten Kriegsheimkehrers (Senatsurteil vom 21. April 2004 - XII ZR 251/01 - FamRZ 2004, 1097) nicht feststellbar.
II.
- 15
- Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.
- 16
- 1. Allerdings weist der Beklagte zu Recht darauf hin, dass seine Revision uneingeschränkt zulässig sei.
- 17
- Zwar hat das Berufungsgericht die Revision "im Hinblick auf den unbestimmten Rechtsbegriff der 'unbilligen Härte' im Sinne des § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII und die erforderliche Abgrenzung des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift im Verhältnis zu den Tatbeständen der Verwirkung nach § 1611 BGB" zugelassen. Die Revision weist jedoch zu Recht darauf hin, dass - sollte hierin eine Beschränkung der Revisionszulassung auf eine bestimmte Rechtsfrage liegen - diese unbeachtlich sei.
- 18
- Die Zulassung der Revision kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichthofs nur auf einen tatsächlich und rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffes beschränkt werden, der Gegenstand eines Teilurteils sein könnte oder auf den der Revisionskläger selbst seine Revision beschränken könnte. Unzulässig ist es, die Zulassung auf einzelne von mehreren Anspruchsgrundlagen oder auf bestimmte Rechtsfragen zu beschränken (BGHZ 101, 276, 278; BGH Urteil vom 20. Mai 2003 - XI ZR 248/02 - BGHR ZPO (1. Januar 2002) § 543 - Revisionszulassung, beschränkte 1).
- 19
- Die Frage der Verwirkung bzw. des Anspruchsübergangs betrifft den gesamten Streitgegenstand, also auch die Geltendmachung rückständigen Unterhalts. Da das Berufungsgericht eine Verwirkung gemäß § 242 BGB abgelehnt hat, mithin den Anspruch von November 2005 an zuerkannt hat, obliegt auch dieser Teil des Streitgegenstands der weiteren Überprüfung, ob er möglicherweise der Verwirkung nach § 1611 BGB unterliegt bzw. ob insoweit ein Übergang des Anspruchs auf die Klägerin wegen unbilliger Härte gemäß § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII ausgeschlossen ist. Es fehlt mithin an einem tatsächlich und rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffes, der eine auf diesen Teil beschränkte Überprüfung durch das Revisionsgericht erlaubte.
- 20
- 2. Das Berufungsgericht hat den Beklagten zu Recht zur Zahlung von Elternunterhalt aus übergegangenem Recht gemäß §§ 1601 BGB, 94 SGB XII verurteilt.
- 21
- a) Die Revision beanstandet, dass das Berufungsgericht eine Verwirkung nach § 242 BGB bzw. § 1611 BGB abgelehnt und einen Anspruchsübergang auf die Klägerin gemäß § 94 SGB XII bejaht habe. Die übrigen Feststellungen bzw. Ausführungen des Berufungsgerichts zu Grund und Höhe des geltend gemachten Unterhaltsanspruchs greift die Revision nicht an. Insoweit sind Rechtsfehler auch nicht ersichtlich.
- 22
- b) Ebenso wenig sind die Ausführungen des Berufungsgerichts zu beanstanden , wonach der rückständige Unterhaltsanspruch der Klägerin nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB verwirkt ist.
- 23
- aa) Eine Verwirkung kommt nach allgemeinen Grundsätzen in Betracht, wenn der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre, und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (Senatsurteile vom 23. Oktober 2002 - XII ZR 266/99 - FamRZ 2002, 1698; vom 22. November 2006 - XII ZR 152/04 - FamRZ 2007, 453, 455 und vom 10. Dezember 2003 - XII ZR 155/01 - FamRZ 2004, 531, 532). Für Unterhaltsansprüche sind an das Zeitmoment der Verwirkung keine strengen Anforderungen zu stellen. Von einem Unterhaltsgläubiger, der lebensnotwendig auf Unterhaltsleistungen angewiesen ist, muss eher als von einem Gläubiger anderer Forderungen erwartet werden, dass er sich zeitnah um die Durchsetzung des Anspruchs bemüht. Anderenfalls können Unterhaltsrückstände zu einer erdrückenden Schuldenlast anwachsen. Abgesehen davon sind im Unterhaltsrechtsstreit die für die Bemessung des Unterhalts maßgeblichen Einkommensverhältnisse der Parteien nach längerer Zeit oft nur schwer aufklärbar. Diese Gründe, die eine möglichst zeitnahe Geltendmachung von Unterhalt nahe legen, sind so gewichtig, dass das Zeitmoment der Verwirkung auch dann erfüllt sein kann, wenn die Rückstände Zeitabschnitte betreffen, die etwas mehr als ein Jahr zurückliegen (Senatsurteil vom 23. Oktober 2002 - XII ZR 266/99 - FamRZ 2002, 1698, 1699). Dieselben Anforderungen gelten, wenn die aus übergegangenem Recht klagende Behörde tätig wird. Zwar ist diese - anders als der ursprüngli- che Unterhaltsgläubiger - nicht lebensnotwendig auf die Realisierung der Forderungen angewiesen. Jedoch ist die Behörde aufgrund der Natur, des Inhalts und des Umfangs des Unterhaltsanspruchs, der sich durch den Übergang nicht verändert, gehalten, sich um dessen zeitnahe Durchsetzung zu bemühen (Senatsurteil vom 23. Oktober 2002 - XII ZR 266/99 - FamRZ 2002, 1698, 1699).
- 24
- Neben dem Zeitmoment kommt es für die Verwirkung auf das Umstandsmoment an, d.h. es müssen besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer der Unterhaltsverpflichtete sich nach Treu und Glauben darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass der Unterhaltsberechtigte sein Recht nicht mehr geltend machen werde. Dabei kommt es jedoch nicht auf konkrete Vertrauensinvestitionen des Unterhaltsschuldners bzw. auf das Entstehen besonderer Nachteile durch die späte Inanspruchnahme an (Senatsurteil vom 23. Oktober 2002 - XII ZR 266/99 - FamRZ 2002, 1698, 1699).
- 25
- bb) Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist das Berufungsgericht zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass hier eine Verwirkung nach § 242 BGB ausscheidet.
- 26
- Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin den Beklagten mit Rechtswahrungsanzeige vom 9. November 2005 zur Auskunftserteilung über sein Einkommen aufgefordert. Nachdem dieser die geforderte Auskunft erteilt und zugleich den Einwand der Verwirkung gemäß § 1611 BGB erhoben hatte, hat die Klägerin den Beklagten mit Schreiben vom 18. April 2006 und vom 16. November 2006 vergeblich aufgefordert, seinen Vortrag zu den eine mögliche Verwirkung begründenden Umständen zu ergänzen und entsprechende Belege einzureichen. Sodann hat die Klägerin ihre Ansprüche mit Schreiben vom 20. Dezember 2006 beziffert. Den Beklagten hat sie mit Schreiben vom 1. März 2007 vergeblich zur Zahlung des Elternunterhalts aufgefor- dert. Nach einer schriftlichen Zahlungserinnerung vom 27. August 2007 hat sie im April 2008 Klage erhoben.
- 27
- Damit ist weder dem Zeitmoment noch dem Umstandsmoment Rechnung getragen.
- 28
- (1) Für das Zeitmoment sind nicht nur die Aufforderung der Klägerin zur Auskunftserteilung, die Bezifferung des Unterhaltsanspruchs und die Zahlungsaufforderung von Bedeutung. Vielmehr fallen hierunter auch Vorgänge, die zwar nicht unmittelbar der Durchsetzung des Anspruchs, aber ihrer Vorbereitung dienen , wie etwa das Einräumen von Stellungnahmefristen, die eine weitere Sachverhaltsaufklärung ermöglichen sollen.
- 29
- Aus einer Gesamtschau des Schriftverkehrs ergibt sich, dass das Verhalten der Klägerin von dem Bemühen getragen war, den Anspruch zeitnah durchzusetzen. Dem steht nicht entgegen, dass sie dem Beklagten zugleich die Möglichkeit eingeräumt hat, im Hinblick auf die lang zurückliegenden Geschehnisse den von ihm geltend gemachten Verwirkungseinwand zu erhärten. Dabei liegt der längste Abstand von rund acht Monaten zwischen der Zahlungsaufforderung vom 27. August 2007 und der Klagerhebung im April 2008.
- 30
- (2) Selbst wenn man die Schreiben der Klägerin, die dem Beklagten die Möglichkeit einräumen sollten, den Streit außergerichtlich beizulegen, bei der Prüfung des Zeitmoments unberücksichtigt ließe, stünde jedenfalls - wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat - das Umstandsmoment einer Verwirkung nach § 242 BGB entgegen. Denn dem Beklagten musste aufgrund dieser Schreiben klar sein, dass die Klägerin nach wie vor mit der Prüfung des Anspruchs beschäftigt war, um diesen bei Fehlen erheblicher Einwendungen ggf. einer gerichtlichen Durchsetzung zuzuführen. Dass sich das ganze Verfahren zeitlich gestreckt hat, kann der Klägerin auch deshalb nicht zum Vorwurf ge- macht werden, weil der Beklagte ausweislich der in Bezug genommenen Schreiben nichts weiter vorgetragen hatte.
- 31
- c) Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass das Berufungsgericht eine Verwirkung des auf die Klägerin übergegangenen Unterhaltsanspruchs gemäß § 1611 BGB abgelehnt hat.
- 32
- aa) Nach § 1611 Abs. 1 Satz 1 BGB braucht der Verpflichtete nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, die der Billigkeit entspricht, wenn der Unterhaltsberechtigte u.a. seine eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässigt oder sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht hat. Die Unterhaltspflicht entfällt vollständig, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten im Hinblick darauf grob unbillig wäre, § 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB. Dabei kann sich eine gröbliche Vernachlässigung der eigenen Unterhaltspflicht i.S.v. § 1611 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB auch auf die Gewährung von Naturalunterhalt beziehen (Senatsurteil vom 19. Mai 2004 - XII ZR 304/02 - FamRZ 2004, 1559, 1560). Eine schwere Verfehlung gemäß § 1611 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 BGB kann regelmäßig nur bei einer tief greifenden Beeinträchtigung schutzwürdiger wirtschaftlicher Interessen oder persönlicher Belange des Pflichtigen angenommen werden. Dabei kann sich auch eine - durch Unterlassen herbeigeführte - Verletzung elterlicher Pflichten wie etwa der Aufsichtspflicht oder der Pflicht zu Beistand und Rücksicht i.S.v. § 1618 a BGB als Verfehlung gegen das Kind darstellen (Senatsurteil vom 19. Mai 2004 - XII ZR 304/02 - FamRZ 2004, 1559, 1560).
- 33
- bb) Dass das Berufungsgericht diese Voraussetzungen aufgrund der von ihm getroffenen Feststellungen nicht als gegeben angesehen hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
- 34
- (1) Das Berufungsgericht hat das Vorliegen einer gröblichen Vernachlässigung der Unterhaltspflicht seitens Frau M. verneint. Nach seinen Feststellungen ist davon auszugehen, dass Frau M. ab dem neunten bzw. zehnten Lebensjahr des Beklagten krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage war, die Kindesbetreuung sicherzustellen. Eine Verpflichtung der Mutter des Beklagten zur Betreuung und Pflege ihrer Kinder habe nur bis zu der Trennung der Eltern im Jahre 1972 bzw. 1973 und dem anschließenden Aufenthalt des Beklagten beim Vater bestanden.
- 35
- Dass das Berufungsgericht auf Grundlage dieser - von der Revision nicht angegriffenen - Feststellungen eine gröbliche Vernachlässigung der Unterhaltspflicht verneint hat, ist vor dem Hintergrund der Erkrankung von Frau M., wegen derer sie sich ab 1971 mehrfach in längerfristige stationäre Behandlung begeben musste, nicht zu beanstanden. Denn da die Mutter krankheitsbedingt nicht in der Lage war, den Beklagten angemessen zu betreuen, war sie wegen dieser Einschränkungen - wie ein Barunterhalt schuldender Elternteil bei wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit - nicht zum Unterhalt verpflichtet; entsprechendes gilt für die nach der Trennung der Eltern eingetretene Barunterhaltspflicht. Damit kann nicht von einer gröblichen Vernachlässigung der Unterhaltspflicht ausgegangen werden.
- 36
- (2) Zu Recht hat das Berufungsgericht zudem entschieden, dass sich Frau M. nicht vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Beklagten schuldig gemacht habe.
- 37
- (a) Das Berufungsgericht hat bereits den objektiven Tatbestand als nicht erfüllt angesehen. Zutreffend hat es darauf hingewiesen, dass § 1611 BGB eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift ist. Wenn das Berufungsgericht unter dieser Prämisse das einmalige Zerschneiden der Kleidung der Kinder, die Ver- ursachung des Waschzwangs beim Beklagten und das mehrfache Aussperren der Kinder aus der Wohnung ohne Hinzutreten besonderer Umstände vor dem Hintergrund der psychischen Erkrankung der Mutter nicht als schwere Verfehlung qualifiziert, ist diese tatrichterliche Würdigung als vertretbar zu erachten.
- 38
- Soweit der Beklagte seiner Mutter vorwirft, sie habe den Kontakt zu ihm nach der Trennung abgebrochen und dabei jedes Maß an emotionaler Zuneigung missen lassen, weist das Berufungsgericht zu Recht auf die Widersprüchlichkeit dieses Vortrages hin. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat seine Mutter im Jahr 1975 einen Antrag auf Regelung der Umgangskontakte gestellt. Zutreffend verweist es zudem darauf, dass der Antrag letztendlich am Willen des Beklagten gescheitert sei. Auch wenn der Grund für die Ablehnung der Umgangskontakte durch den Beklagten letztlich das damalige Verhalten seiner Mutter gewesen sein dürfte, ändert dies nichts an der Tatsache, dass sich seine Mutter im Rahmen ihrer Möglichkeiten um eine Fortführung des Mutter-Kind-Verhältnisses bemüht hat. Von einer schweren vorsätzlichen Verfehlung kann daher nicht gesprochen werden.
- 39
- (b) Im Übrigen träfe die Mutter des Beklagten an einer schweren Verfehlung - was auch die Revision einräumt - kein Verschulden.
- 40
- Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 1611 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 BGB setzt die Verwirkung voraus, dass der Unterhaltsberechtigte sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht hat. Deshalb setzt die Anwendung von § 1611 BGB insoweit - worauf die Revision zutreffend hinweist - ein Verschulden voraus (MünchKommBGB/Born 5. Aufl. § 1611 Rn. 27; Staudinger/Engler BGB Neubearb. 2000 § 1611 Rn. 25).
- 41
- Soweit die Revision in Anlehnung an das Pflichtteilsrecht und unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2005 zu § 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB (FamRZ 2005, 872, 877) meint, ein Verschulden im rechtstechnischen Sinne sei nicht erforderlich, vielmehr genüge es, wenn der Unterhaltsberechtigte in einem natürlichen Sinne vorsätzlich handle , verkennt sie, dass in § 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB - anders als in § 1611 Abs. 1 BGB - ein schuldhaftes Verhalten als Tatbestandsmerkmal nicht aufgenommen worden ist; hierauf hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich abgestellt (BVerfG FamRZ 2005, 872, 877). Zwar hatte § 1611 Abs. 2 BGB in seiner bis zum 1. Juli 1970 geltenden Fassung für die Verwirkung u.a. auch auf die Pflichtteilsentziehungstatbestände verwiesen (vgl. Palandt/Lauterbach BGB 26. Aufl. § 1611 BGB). Jedoch war damals schon Voraussetzung für eine Verwirkung, dass sich der Unterhaltsberechtigte einer Verfehlung "schuldig" gemacht hatte, die den Unterhaltspflichtigen berechtigte, ihm den Pflichtteil zu entziehen. Im Übrigen hat der Gesetzgeber bei der Änderung des § 1611 BGB zum 1. Juli 1970, mit der er das Tatbestandsmerkmal des sittlichen Verschuldens um die weiteren - hier zu prüfenden - Verwirkungsgründe ergänzt hat, erläutert, dass auf die Pflichtteilsentziehungsgründe nicht mehr abgestellt werden solle, weil die Voraussetzungen für die Entziehung des Pflichtteils einerseits und für eine Beschränkung des Unterhalts andererseits nicht übereinzustimmen bräuchten (BT-Drucks. V/2370, S. 41).
- 42
- d) Schließlich hat das Berufungsgericht zu Recht und mit zutreffender Begründung entschieden, dass § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII einem Anspruchsübergang auf die Klägerin nicht entgegensteht.
- 43
- aa) Nach § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB XII geht der zivilrechtliche Unterhaltsanspruch eines Sozialhilfeberechtigten bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen mit dem unterhaltsrechtlichen Auskunftsanspruch auf den Träger der Sozialhilfe über. Gemäß § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII geht der Anspruch nicht über, soweit dies eine unbillige Härte bedeuten würde. Es handelt sich hierbei um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Anwendung der vollen Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt (Senatsurteile vom 23. Juni 2010 - XII ZR 170/08 - FamRZ 2010, 1418 Rn. 32 und vom 21. April 2004 - XII ZR 251/01 - FamRZ 2004, 1097, 1098 zu der entsprechenden Vorgängervorschrift des § 91 Abs. 2 Satz 2 BSHG).
- 44
- Während die Frage, ob der Unterhaltsanspruch nach § 1611 BGB verwirkt ist, rein zivilrechtlicher Natur ist, richtet sich die Frage des Anspruchsübergangs nach § 94 SGB XII nach öffentlichem Recht. Deshalb genügt eine zivilrechtlich einzuordnende Störung familiärer Beziehungen im Sinne des § 1611 BGB grundsätzlich nicht, um eine unbillige Härte im Sinne des § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII zu begründen und damit einen Anspruchsübergang auf den Träger der Sozialhilfe auszuschließen (vgl. BVerwGE 58, 209, 214 zu § 91 Abs. 3 BSHG aF; Oestreicher/Decker SGB XII/SGB II Stand Dezember 2005 § 94 SGB XII Rn. 170; s. auch Klinkhammer FamRZ 2004, 1283). Vielmehr umfasst § 1611 BGB für die Prüfung einer etwaigen Verwirkung nur die für das zivilrechtlich zu beurteilende Familienverhältnis in Frage kommenden Tatbestandsmerkmale. Sind die Voraussetzungen für eine Verwirkung erfüllt, kommt § 94 SGB XII ohnehin nicht zum Tragen, weil es an einem Unterhaltsanspruch fehlt, der auf den Träger der Sozialhilfe übergehen könnte (Senatsurteile vom 23. Juni 2010 - XII ZR 170/08 - FamRZ 2010, 1418 Rn. 32 und vom 21. April 2004 - XII ZR 251/01 - FamRZ 2004, 1097, 1098). Aber auch eine an sich unter § 1611 Abs. 1 BGB fallende Sachverhaltskonstellation, die jedoch nicht alle Tatbestandsmerkmale dieser Norm - wie etwa das Verschulden - erfüllt und deshalb nicht zu einer Verwirkung des Unterhaltsanspruchs führt, ist grundsätzlich nicht unter § 94 SGB XII zu subsumieren.
- 45
- Etwas anderes gilt nur dann, wenn der nach § 1611 BGB zu beurteilende Lebenssachverhalt aus Sicht des Sozialhilferechts auch soziale Belange er- fasst, die einen Übergang des Anspruches nach öffentlich-rechtlichen Kriterien ausschließen (vgl. BVerwGE 58, 209, 215 f.). Das Berufungsgericht hat dies zutreffend damit umschrieben, dass ein erkennbarer Bezug zum Sozialhilferecht , insbesondere ein kausaler Zusammenhang zu einem Handeln des Staates oder seiner Organe, vorliegen müsse. Dies zeichnet etwa den vom Senat im Jahr 2004 entschiedenen Fall aus (Senatsurteil vom 21. April 2004 - XII ZR 251/01 - FamRZ 2004, 1097). Zwar reichte dort das krankheitsbedingte Fehlverhalten des Unterhaltsberechtigten, das die Lockerung der Familienbande zur Folge hatte - ebenso wie hier - nicht dafür aus, den Anspruch gemäß § 1611 BGB als verwirkt anzusehen. Die der Vernachlässigung zugrunde liegende psychische Erkrankung war jedoch durch den - dem Staat zuzurechnenden - Kriegsdienst des Vaters verursacht worden.
- 46
- Entscheidend ist nach alledem, ob aus der Sicht des Sozialhilferechts durch den Anspruchsübergang soziale Belange berührt werden. Die Härte kann in materieller oder immaterieller Hinsicht bestehen und entweder in der Person des Unterhaltspflichtigen oder in derjenigen des Hilfeempfängers vorliegen. Bei der Auslegung der Härteklausel ist in erster Linie die Zielsetzung der Hilfe zu berücksichtigen, daneben sind die allgemeinen Grundsätze der Sozialhilfe zu beachten (Senatsurteile vom 21. April 2004 - XII ZR 251/01 - FamRZ 2004, 1097, 1098 und vom 23. Juni 2010 - XII ZR 170/08 - FamRZ 2010, 1418 Rn. 33). Eine unbillige Härte liegt danach insbesondere vor, wenn und soweit der - öffentlich-rechtliche - Grundsatz der familiengerechten Hilfe, nach dem u.a. auf die Belange und Beziehungen in der Familie Rücksicht zu nehmen ist (vgl. § 16 SGB XII), einer Heranziehung entgegensteht. Weitere Gründe sind, dass die laufende Heranziehung in Anbetracht der sozialen und wirtschaftlichen Lage des Unterhaltspflichtigen mit Rücksicht auf die Höhe und Dauer des Bedarfs zu einer nachhaltigen und unzumutbaren Beeinträchtigung des Unterhaltspflichtigen und der übrigen Familienmitglieder führen würde, wenn die Ziel- setzung der Hilfe infolge des Übergangs gefährdet erscheint oder wenn der Unterhaltspflichtige den Sozialhilfeempfänger bereits vor Eintritt der Sozialhilfe über das Maß einer zumutbaren Unterhaltsverpflichtung hinaus betreut oder gepflegt hat (Senatsurteile vom 21. April 2004 - XII ZR 251/01 - FamRZ 2004, 1097, 1098 und vom 23. Juni 2010 - XII ZR 170/08 - FamRZ 2010, 1418 Rn. 34 mwN).
- 47
- Soweit die Revision darauf hinweist, dass der Gesetzgeber in § 94 Abs. 2 SGB XII eine Sonderbehandlung von Eltern behinderter volljähriger Kinder dergestalt vorsieht, dass der Rückgriff auf bestimmte Höchstbeträge begrenzt ist (vgl. Senatsurteil vom 23. Juni 2010 - XII ZR 170/08 - FamRZ 2010, 1418 Rn. 22 ff.), beruht dies auf anderen gesetzgeberischen Erwägungen, die auf den Elternunterhalt nicht übertragbar sind.
- 48
- bb) Das Berufungsgericht hat unter Beachtung dieser Anforderungen zu Recht einen Ausschluss des Anspruchübergangs verneint. Es hat darauf abgestellt , dass der Beklagte aufgrund seiner relativ hohen Einkünfte und dem Nichtbestehen weiterer Unterhaltsverpflichtungen wirtschaftlich ohne unzumutbare Einschränkung seiner Lebensführung in der Lage sei, den begehrten Unterhalt zu leisten. Ebenso wenig sei eine nachhaltige Störung des Familienfriedens ersichtlich. Zudem habe der Beklagte seine Mutter vor Inanspruchnahme weder betreut noch gepflegt. Dass das Berufungsgericht dabei keine Umstände für gegeben erachtet hat, die es gerade aus dem Blickwinkel des Sozialrechts unzumutbar erscheinen lassen, den Beklagten zum Unterhalt für seine Mutter heranzuziehen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Vor allem ist nicht zu beanstanden und im Übrigen von der Revision auch nicht gerügt, dass das Berufungsgericht den Vortrag des Beklagten, wonach die Kriegserlebnisse seiner Mutter mitursächlich für ihre psychische Erkrankung an Schizophrenie gewesen seien, als Behauptung ins Blaue hinein qualifiziert hat.
- 49
- Nach alledem ist nicht ersichtlich, weshalb der Beklagte aus der familiären Verantwortung gegenüber seiner Mutter entlassen werden sollte. Wäre der Staat für die Mutter nicht in Vorleistung getreten, hätte sie gegen den Beklagten ohnehin ihren Unterhaltsanspruch durchsetzen können. Wegen der vom Gesetz geforderten familiären Solidarität rechtfertigen die als schicksalsbedingt zu qualifizierende Krankheit der Mutter und deren Auswirkungen auf den Beklagten es nicht, die Unterhaltslast dem Staat aufzubürden. Hahne Dose Klinkhammer Schilling Günter
AG Bottrop, Entscheidung vom 14.11.2008 - 14 F 187/08 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 06.08.2009 - II-2 UF 241/08 -
(1) Ist der Unterhaltsberechtigte durch sein sittliches Verschulden bedürftig geworden, hat er seine eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässigt oder sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen des Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht, so braucht der Verpflichtete nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, die der Billigkeit entspricht. Die Verpflichtung fällt ganz weg, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre.
(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 sind auf die Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern nicht anzuwenden.
(3) Der Bedürftige kann wegen einer nach diesen Vorschriften eintretenden Beschränkung seines Anspruchs nicht andere Unterhaltspflichtige in Anspruch nehmen.
Eine Geldschuld hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 und des § 289 Satz 1 finden entsprechende Anwendung.
Abweichend von den Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Kostenverteilung entscheidet das Gericht in Unterhaltssachen nach billigem Ermessen über die Verteilung der Kosten des Verfahrens auf die Beteiligten. Es hat hierbei insbesondere zu berücksichtigen:
- 1.
das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten, einschließlich der Dauer der Unterhaltsverpflichtung, - 2.
den Umstand, dass ein Beteiligter vor Beginn des Verfahrens einer Aufforderung des Gegners zur Erteilung der Auskunft und Vorlage von Belegen über das Einkommen nicht oder nicht vollständig nachgekommen ist, es sei denn, dass eine Verpflichtung hierzu nicht bestand, - 3.
den Umstand, dass ein Beteiligter einer Aufforderung des Gerichts nach § 235 Abs. 1 innerhalb der gesetzten Frist nicht oder nicht vollständig nachgekommen ist, sowie - 4.
ein sofortiges Anerkenntnis nach § 93 der Zivilprozessordnung.