Amtsgericht Bielefeld Beschluss, 15. Juli 2016 - 34 F 1325/15
Gericht
Tenor
In der Familiensache betreffend das minderjährige Kind wird es abgelehnt, für den Betroffenen eine Vormundschaft einzurichten.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Verfahrenswert wird auf 3.000,00 € festgesetzt.
1
Gründe
2I.
3Der Betroffene wurde am 08.06.2015 vom Jugendamt der Stadt Bielefeld in Obhut genommen und in einer sog. Clearingeinrichtung in Bielefeld untergebracht. Er gibt an, am 20.03.1999 geboren und somit noch minderjährig zu sein. Er selbst stamme aus Bangladesch, seine Eltern befänden sich noch in Bangladesch. Nach eigenen Angaben war er noch nie im Besitz von Personalpapieren. Das Jugendamt hat mitgeteilt, dass nach dem äußeren Erscheinungsbild sowie des Verhaltens die Minderjährigkeit des Betroffenen nicht ausgeschlossen werden könne.
4Das Gericht hat zum Lebensalter des Betroffenen Beweis erhoben durch Einholung eines rechtsmedizinischen Gutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Prof. Dr. T. vom 06.10.2015 Bezug genommen. Der Sachverständige kommt in seinem Gutachten zum dem Ergebnis, dass zum Zeitpunkt der Untersuchungen am 24.09.2015 ein absolutes Mindestalter von 19 Jahren und ein wahrscheinlichstes Lebensalter von ca. 23 Jahren vorgelegen habe. Aufgrund des Gutachtenergebnisses beendete das Jugendamt die Inobhutnahme.
5Das Jugendamt und der Betroffene wurde persönlich angehört.
6II.
7Eine Vormundschaft war für den Betroffenen von Amts wegen nicht anzuordnen.
8Voraussetzung für die Einrichtung einer Vormundschaft nach § 1773 BGB ist, dass der Betroffene noch minderjährig ist. Die Voraussetzung der Minderjährigkeit ist vom Familiengericht gemäß § 26 FamFG von Amts wegen zu prüfen. Dabei hat es alle ihm zugänglichen Erkenntnisquellen auszuschöpfen. Die Beteiligten haben bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken (vgl. dazu OLG Hamm, Beschluss vom 13.03.2006, AZ 4 UF 35/06; OLG Oldenburg, Beschluss vom 08.08.2012, AZ 14 UF 65/12).
9Nach den durchgeführten Ermittlungen kann ausgeschlossen werden, dass der Betroffene minderjährig ist. Da der Betroffene keine Personalpapiere vorlegte, ist zur Abklärung der Frage der Minderjährigkeit ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt worden. Der Sachverständige T. führt in seinem Gutachten aus, dass sich aus der körperlichen Untersuchung am 24.09.2015 ein wahrscheinliches Mindestalter von 19 Jahren ergeben habe. Zum Zeitpunkt der Röntgenuntersuchung der Hand am 16.02.2016 sei die Handskelettentwicklung abgeschlossen gewesen. Der Mittelwert des chronologischen Alters betrage 18,0 Jahre. Das absolute Mindestalter einer abgeschlossenen Handskelettverknöcherung betrage für das männliche Geschlecht 16,1 Jahre. Zum Zeitpunkt der Röntgenuntersuchung des Gebisses am 16.02.2016 waren vier Weisheitszähne vorhanden. Die Wurzelentwicklung der Oberkieferweisheitszähne sei nicht sicher beurteilbar gewesen. Die Mineralisation der beiden Unterkieferweisheitszähne sei abgeschlossen gewesen, diese entspräche einem Mineralisationsstadium H. Das Altersminimum für eine abgeschlossene Mineralisation dieser beiden Zähne entspräche 17,6 Jahre. Zum Zeitpunkt der computertomographischen Untersuchung am 16.02.2016 hätten die brustbeinnahe Wachstumsfugen beider Schlüsselbeine ein Stadium 3c aufgewiesen. Das absolute Mindestalter für dieses Stadium betrage 19 Jahre, der Mittelwert des chronologischen Alters liege bei 23,6 Jahren mit einer Standartabweichung von 2,6 Jahren.
10In der Zusammenschau der Ergebnisse der körperlichen Untersuchung sowie der Röntgenbefunde der Hand und der Schlüsselbeine ergebe sich zum Zeitpunkt der Untersuchung am 16.02.2016 ein absolutes Mindestalter von 19 Jahren, das wahrscheinlichste Lebensalter läge bei ca. 23 Jahren.
11Die Ausführungen des Sachverständigen sind nachvollziehbar und überzeugend.
12Auch aufgrund der persönlichen Anhörung des Betroffenen ist das Gericht der Auffassung, dass der Betroffene bereits volljährig ist. Hierfür spricht das äußere Erscheinungsbild des Betroffenen. Es bestehen zumindest erhebliche Zweifel daran, dass der Betroffene noch minderjährig ist.
13Der Betroffene wendet ein, sicher zu wissen, am 24.09.2015 erst 16,5 Jahre alt gewesen zu sein. Er reichte ein fachärztliches Gutachten des Dr. med. F. aus Herford ein. Dieser setzte sich nach eigenen Angaben fachärztlich-kritisch mit dem Rechtsmedizinischen Gutachten des Prof. T. auseinander. Er kam zu dem Ergebnis, dass er keinen Grund habe, an dem vom Betroffenen mitgeteilten Geburtsdatum zu zweifeln. Im Wesentlichen setzte sich Dr. Eisenberg mit der Herkunfts- und Fluchtgeschichte und Familienanamnese des Betroffenen auseinander. Er führt aus, die Röntgenuntersuchungen seien nicht gerechtfertigt und führen zu einem ungenauen Ergebnis. Die körperliche Untersuchung sei entwürdigend.
14Insgesamt sind die Einwendungen des Betroffenen gegen das Gutachten nicht geeignet, durchgreifende Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens zu begründen. Das Gutachten des Dr. F. ist unergiebig. Dieser hat keinerlei Untersuchung des Betroffenen vorgenommen. Dr. F. kommt auch nicht zu einem verwertbaren Gutachtenergebnis. Er stellt lediglich fest, dass er keine Zweifel an den Altersangaben des Betroffenen hegt, ohne dass diese in irgendeiner Weise verifiziert wären. Eine derartige Einschätzung hält das Gericht allerdings für unbrauchbar. Zum einen bestehen Zweifel an den Altersangaben des Betroffenen, da gerichtsbekannt ist, dass in einer Vielzahl von Staaten kein Meldewesen existiert, welches mit dem Meldewesen in Deutschland vergleichbar ist. Da der Betroffene keinen Pass oder andere Dokumente vorlegen konnte, die die Überprüfung seiner Angaben erlaubte und der Betroffene auch nicht augenscheinlich minderjährig ist, war das Gericht gehalten, von Amts wegen weitere Nachforschungen anzustellen. Die gerichtsmedizinische Altersschätzung stellt nach Auffassung des Gerichts eine geeignete Methode dar, das Alter des Betroffenen einzuschätzen.
15Da der Betroffene freiwillig sowohl der körperlichen, als auch der radiologischen Untersuchung zugestimmt hat, ist an die Verwertung der hierdurch gewonnen Daten nichts zu beanstanden und zulässig.
16Das Gericht geht daher nach Abwägung sämtlicher Umstände davon aus, dass der Betroffene derzeit mindestens 19 Jahre alt und damit nicht mehr minderjährig ist.
17Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG.
18Rechtsbehelfsbelehrung:
19Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben. Beschwerdeberechtigt ist derjenige, dessen Rechte durch den Beschluss beeinträchtigt sind. Die Beschwerde ist bei dem Amtsgericht - Familiengericht - Bielefeld, Gerichtstraße 6, 33602 Bielefeld schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden.
20Die Beschwerde muss spätestens innerhalb eines Monats nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses bei dem Amtsgericht - Familiengericht - Bielefeld eingegangen sein. Dies gilt auch dann, wenn die Beschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines anderen Amtsgerichtes abgegeben wurde. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses. Fällt das Ende der Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages.
21Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Sie ist zu unterzeichnen und soll begründet werden.
22Annotations
Das Gericht hat von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.
(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.
(2) Das Gericht soll die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen, wenn
- 1.
der Beteiligte durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat; - 2.
der Antrag des Beteiligten von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Beteiligte dies erkennen musste; - 3.
der Beteiligte zu einer wesentlichen Tatsache schuldhaft unwahre Angaben gemacht hat; - 4.
der Beteiligte durch schuldhaftes Verletzen seiner Mitwirkungspflichten das Verfahren erheblich verzögert hat; - 5.
der Beteiligte einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder über eine sonstige Möglichkeit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung nach § 156 Absatz 1 Satz 3 oder einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einer Beratung nach § 156 Absatz 1 Satz 4 nicht nachgekommen ist, sofern der Beteiligte dies nicht genügend entschuldigt hat.
(3) Einem minderjährigen Beteiligten können Kosten in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, nicht auferlegt werden.
(4) Einem Dritten können Kosten des Verfahrens nur auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft.
(5) Bundesrechtliche Vorschriften, die die Kostenpflicht abweichend regeln, bleiben unberührt.