Sitzverlegung innerhalb der EU

Sitzverlegung innerhalb der EU

erstmalig veröffentlicht: 12.06.2014, letzte Fassung: 23.02.2024
beiRechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

Das internationale Gesellschaftsrecht ist auf europäischer Ebene durch die europäische Rechtsprechung geprägt worden, welche sich in diversen Entscheidungen mit der Frage auseinanderzusetzen hatte, ob die in Art.49, 54 AEUV niedergelegte Niederlassungsfreiheit mit der Versagung eines rechtsformwahrenden Zuzugs beziehungsweise Wegzugs einer Gesellschaft vereinbar ist. 

Gemäß dem EuGH hat eine Gesellschaft die ihren Satzungssitz, sprich den Ort ihrer Registrierung, in einem EU-Mitgliedstaat hat und ihren effektiven Verwaltungssitz in einen anderen EU- Mitgliedsstaat verlegt, das Anrecht darauf, in ihrer Ursprungsform auf Grundlage der Niederlassungsfreiheit anerkennt zu werden.

Die in den europäischen Verträgen niedergeschriebene Niederlassungsfreiheit gewährleistet damit die Anerkennung ausländischer Gesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland.

Die Anerkennung greift sogar, wenn die in Frage stehende Gesellschaft ausschließlich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates tätig wird.

Diese Herangehensweise auf EU-Ebene setzt jedoch voraus, dass das einschlägige Recht des Wegzugsstaates den identitätswahrend Umzug der  Gesellschaft in das Ausland erlaubt.

Maßgeblich in diesem Rahmen ist dabei die Unterscheidung zwischen Restriktionen die der Zuzugsstaat und der Wegzugsstaat treffen können. Demnach hat der Wegzugsstaat umfassendere Möglichkeiten in der Form, dass es ihm gewährt ist, die Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes mit dem Verlust der Rechts- und Parteifähigkeit zu sanktionieren, wohingegen der Zuzugsstaat grundsätzlich zu einer umfassenden Anerkennung der verlegten Gesellschaft verpflichtet ist.

Jedoch gilt es zu beachten, dass die europäische Niederlassungsfreiheit gem. Art.49 II AEUV und damit die hierzu ergangene Rechtsprechung nur Gesellschaften erfasst, die wirtschaftlich tätig sind, sodass sich Idealvereine hierauf nicht berufen können.

 

Zusammenfassend sind nach der europäischen Rechtsprechung folgende Voraussetzungen kumulativ notwendig, damit eine innerhalb der EU verlegte Gesellschaft rechts- und parteifähig bleibt und damit weiterhin rechtlich existent ist:

  1. wirksame Gründung der Gesellschaft in einem  Mitgliedsstaat

  2. Beurteilung der in Frage stehenden Gesellschaft auf Grundlage des Gründungsrechts als juristische Person

  3. Sitz innerhalb eines anderen Mitgliedsstaates der EU

  4.   Ausüben einer wirtschaftlichen Tätigkeit

  5. Keine Aberkennung der Rechtspersönlichkeit durch die Rechtsordnung der Gründung aufgrund des Wegzuges

 

Ist eine ausländische Gesellschaft unter der Geltung der Gründungstheorie anzuerkennen, so gilt das ausländische Gesellschaftsrecht für das gesamte Innen- und Außenverhältnis der betreffenden Gesellschaft.

In concreto ist es für folgende Fragen maßgeblich:

o      Minderheitenschutz und Finanzverfassung

o      Anteilsübertragung 

o      Gründung und Beendigung 

o      Firma 

o      Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern, als auch organschaftliche Vertretungsmacht 

o      Gesellschafterhaftung und Durchgriff


2.1. Zuzugsfälle innerhalb der EU

Gegenstand der Centros Entscheidung (Rs. C-212/97) war die Frage, ob die Versagung der Registereintragung einer in Dänemark zu errichtenden Zweigniederlassung mit dem ausschließlichen Zweck, über die zu schaffende Zweigniederlassung die gesamten Geschäftstätigkeiten der Limited voranzutreiben, gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt, Art.49, 54 AEUV.

Die dänische Registerbehörde erachtete dabei die Versagung als rechtmäßig, da ansonsten die für GmbHs geltenden, dänischen Mindestkapitalvorschriften umgangen würden. Der EuGH teilte jedoch diese Ansicht nicht, sondern sah in der Versagung der Registereintragung einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit, da die Zweigniederlassung, der im Sitzstaat England rechtmäßig gegründeten Gesellschaft, die Möglichkeit bieten soll, die Geschäftstätigkeit in Gänze in dem Staat auszuüben in dem die Zweigniederlassung angestrebt ist, ohne dass es hierfür der Errichtung einer eigenen Gesellschaft braucht.

Im Rahmen der Überseering- Entscheidung (Rs. C-208/00) stand im Raum, ob eine nach niederländischem Recht wirksam gegründete GmbH, welche ihren Verwaltungssitz nach Deutschland verlegt hat vor deutschen Gerichten parteifähig ist oder ob sie mit der Verlegung des Sitzes nach Deutschland ihre Rechtsfähigkeit verloren hat.

Der EuGH bejahte dabei einen Verstoß gegen die in Artt.49, 54 AEUV verbürgte Niederlassungsfreiheit durch Versagung der Parteifähigkeit, sofern der betreffenden Gesellschaft Rechts- und Parteifähigkeit nach dem Recht des Gründungsstaates zukommt.

Damit stand mit Überseering fest, dass das Vorliegen der Rechts- und Parteifähigkeit einer Gesellschaft an dem Recht des Gründungsstaates zu messen ist, sodass die Gründungstheorie auf europäischer Ebene Bedeutung erlangte.

Ferner wegweisend im Rahmen des internationalen Gesellschaftsrechts ist die Inspire Art Entscheidung (Rs. C-167/01). Wiederum ging es ähnlich wie in der Centros Entscheidung um eine nach englischem Recht gründete limited mit Satzungssitz in England, welche ihre Geschäftstätigkeit lediglich mittels einer in den Niederlanden errichteten Zweigniederlassung ausübte. Aus Sicht des niederländischen Sachrechts handelte es sich dabei um eine formal ausländische Gesellschaft, welche mit dieser Qualifikation zusätzliche Erfordernisse zu erfüllen hatte (wie z.B. eine Mindestkapitalausstattung, bestimmte Angaben auf Schriftstücken, das Erfordernis einer Handelsregistereintragung), welche bei Verletzung eine persönliche Haftung des Geschäftsführers als Folge vorsahen.

Der EuGH sah in dieser Konstellation einerseits einen Verstoß gegen die Zweigniederlassungsrichtlinie, da eine nach dem Recht des Gründungsstaates wirksam gegründeten Gesellschaft Offenlegungspflichten trafen die nicht in der Richtlinie vorgesehen sind und andererseits sei die Auferlegung einer Mindestkapitalpflicht und einer Androhung einer Geschäftsführerhaftung als Sanktion mit der Niederlassungsfreiheit unvereinbar, da jene Beschränkungen aufgrund des Auftretens als Gesellschaft des englischen Rechts nach außen nicht aus Gründen des Gläubigerschutzes zu rechtfertigen sind.

Zudem verdeutlicht Inspire Art, dass der Raum für von der Gründungstheorie abweichende gesonderte Anknüpfungen besonders eng ist, sodass von einer grundsätzlichen Anerkennungspflicht des Zuzugsstaates auszugehen ist.

Ferner steht damit fest, dass Mindestkapitalvorschriften eines Mitgliedstaates (M1) durch die Gesellschaftsgründung in einem anderen Mitgliedstaat (M1) mit niedrigeren Anforderungen und eine daran anschließende Niederlassung in dem Mitgliedstaat (M1) mit den strengeren Anforderungen keine Umgehung begründen, welche einen Missbrauchsvorwurf rechtfertigen könnte und damit eine Anerkennungsversagung.


2.2. Wegzugsfälle innerhalb der EU

In der Daily Mail Entscheidung (Rs. 81/87, Slg. 1988, S. 5483) begehrte eine englische Gesellschaft eine rechtsformwahrende Verwaltungssitzverlegung in die Niederlande, welche ihr von der britischen Regierung aufgrund steuerlicher Aspekte versagt wurde.

 

Der EuGH sah hierin keinen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit nach den heutigen Artt.49, 54 AEUV. Der englische Wegzugsstaat könne die Auflösung der Gesellschaft an die Verlegung knüpfen, zumal die Gesellschaft  überhaupt auf Grundlage der nationalen Rechtsordnung existent wurde und damit auch hinsichtlich ihres Fortbestehens bei einem Wegzug sich diesen Regelungen unterwerfen müsse.

Die Tatsache, dass der Wegzugsstaat über den Fortbestand der Gesellschaft entscheidet und sich erst hieran anschließend die Frage der Anerkennung im Zuzugsstaat stellt, betonte der Gerichtshof nochmals in der Entscheidung Überseering.

Im Fall Cartesio (Rs.C-210/06) beantragte eine ungarische KG die Handelsregistereintragung des nach Italien verlegten effektiven Geschäftssitzes. Das ungarische Recht sah dabei die Geltung der Sitztheorie vor, was zur Folge hatte das die Verlegung zum Verlust der Rechtspersönlichkeit führte und demnach der Eintragungsfähigkeit entgegen stand.

Der EuGH erachtete hierin Normen eines EU-Staates als zulässig, welche einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft es nicht erlaubten ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen und dabei gleichzeitig die Rechtspersönlichkeit zu behalten, sodass hierdurch wiederum das Recht des Wegzugsstaates bestärkt wurde, Wegzugshindernisse selbst in Form der Auflösung aufzuerlegen.

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