Corona-Soforthilfe - ein "grundsätzlich" nicht rückzahlbarer Billigkeitszuschuss

bei uns veröffentlicht am04.08.2023

Autoren

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

EnglischDeutsch
Zusammenfassung des Autors

Müssen Corona-Soforthilfenempfänger erhaltene Fördergelder zurückzahlen? Lesen Sie im folgenden Artikel, was die Gerichte dazu sagen und was Sie tun können, wenn Sie selbst einen Rückforderungsbescheid erhalten haben. 

Soviel sei verraten: In NRW hat das Gericht festgestellt, dass die Rückforderungsbescheide mit denen die Behörden Corona-Fördergelder zurückverlangen rechtswidrig sind. 

Streifler&Kollegen - Rechtsanwälte Berlin

 

Corona-Soforthilfe – ein „grundsätzlich“ nicht rückzahlbarer Billigkeitszuschuss

Die Frage, ob Empfänger die erhaltenen Corona-Soforthilfen zurückzahlen müssen, beschäftigt derzeit sowohl die Betroffenen selbst als auch viele Gerichte verschiedener Bundesländer.

Als sich das Corona-Virus Anfang 2020 weltweit ausgebreitet hat und die ersten infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen zur Eindämmerung der Corona-Pandemie (Lock-Dows) beschlossen wurden, wollte der Staat schnell handeln. Selbstständige und Unternehmer, die von der Corona-Krise wirtschaftlich betroffen waren, sollten schnell und effizient finanziell entlastet werden. Für viele der Betroffenen war das die Helfende Hand in Not, die sie gebraucht haben, um zumindest die laufenden Betriebskosten zu decken und Liquiditätsengpässe zu überbrücken.

Dirk Streifler - Streifler&Kollegen - Rechtsanwälte Berlin

Zu schnell gefreut? 

Für viele der Empfänger wurde die schnelle und weitgehend unbürokratische Hilfe zum Verhängnis: Der Staat holte die behördlichen Prüfungen der Anträge nach und forderte zu viel erhaltene Gelder zurück. Betriebe wurden aufgefordert zu prüfen, ob sie, die erhaltenen Corona-Hilfen tatsächlich in voller Höhe benötigt haben. Wer zu viel erhalten hat, musste es melden. Dabei traf die Betroffenen nicht nur eine Mitwirkungspflicht, sondern auch die Gefahr, sich bei Falschangaben, wegen Subventionsbetruges strafbar zu machen.

Viele Gewerbetreibenden frag(t)en sich daher aus berechtigtem Anlass: Was kann ich tun, wenn ich einen Rückforderungsbescheid erhalten habe?

Erst einmal: Bevor der Rückforderungsbescheid verschickt wird, muss grundsätzlich eine Anhörung des Zuwendungsempfängers erfolgen (§ 28 VwVfG), in der dieser die Möglichkeit bekommt zur Situation Stellung zu nehmen. Erst im Anschluss kann der Genehmigungsbescheid widerrufen und der Rückforderungsbescheid verschickt werden. So zumindest der Regelfall.

In NRW und vielen anderen Bundesländern, konnte jedoch von einer Anhörung, aufgrund der Vielzahl der Fälle, abgesehen werden (vgl. zB.: § 28 Abs. 2 Nr. 4 Var. 2 und 3 VwVfG NRW). Die Verletzung der Anhörungspflicht wäre zudem, in Fällen der Corona-Soforthilfe,in Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot und die fehlende Entscheidungsfreiheit der Behörde unbeachtlich, da sie die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hätte.

Rückforderungsbescheid erhalten – was tun? 

Sollte im Ernstfall der Rückforderungsbescheid den eigenen Briefkasten erreichen ist es wichtig schnell zu handeln. Damit eine Erstattung erfolgreich vermieden werden kann, muss ein Widerspruch rechtzeitig bei der zuständigen Förderstelle eingelegt werden. Hier sind die Widerspruchsfristen strikt einzuhalten. Daneben muss auch die für den Widerspruch erforderliche Schriftform eingehalten werden. Der Widerspruch, darf grundsätzlich nicht per E-Mail erfolgen und muss eine Begründung beinhalten, in der der Antragssteller glaubhaft darlegt, dass er zuwendungsberechtigt ist.

Da die Prüfung des Genehmigungsbescheids Zeit und Fachwissen erfordert, sollte sie stets durch einen erfahrenen Rechtsanwalt erfolgen. Dieser kann auf die Argumentation der Förderstelle eingehen, diese entkräftigen und den Widerspruch zielführend begründen.

Teilweise lassen sich Missverständnisse auch einfach aus der Welt räumen. Das ist der Fall, wenn der Behörde eine Verwechselung unterläuft, bereits erhaltene Dokumente verlegt wurden oder es noch unbeantwortete Fragen gibt. Auch hier kann ein Rechtsanwalt helfen, indem er die Kommunikation mit der Förderstelle aufnimmt. Sie sparen Nerven und wertvolle Zeit.

Der Rat eines Rechtsanwalts lohnt sich insbesondere auch wenn man einen Blick auf die Situation in Nordrhein-Westfalen (NRW) wirft.

Das Land startete im Jahr 2020 das Corona-Soforthilfeprogramm, welches bisher das größte Förderprogramm in der Geschichte des Landes NRW darstellt. Im Zuge dessen wurden insgesamt ca. 430.000 Anträge bewilligt und ca. 4.5 Milliarden Euro an Unternehmen, Selbstständige und Freiberufler ausgezahlt.

Besondere Popularität erlangte das Bundesland vor wenigen Monaten, als bekannt wurde, dass den Behörden bei der Ausstellung von Formularen, Fehler unterlaufen sind. Geklagt haben vier Selbstständige, die Corona-Soforthilfen erhalten haben und im Laufe des Rückmeldeverfahrens aufgefordert wurden diese (teilweise) zurückzuzahlen.

VG: Staat muss sich missverständliche Formulierungen zurechnen lassen

Nach Feststellungen des erstinstanzlich mit dem Fall befassten Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf, hat das Land NRW in den Bewilligungsbescheiden festgelegt, dass die erhaltenen Mittel ausschließlich dazu dienen, eine finanzielle Notlage zu mindern und finanzielle Liquiditätsengpässe zu überbrücken. Im Zuge des vom Land geforderten Rückmeldeverfahrens legte dieses jedoch neue Berechnungsregeln fest. Zu Unrecht, stellte das VG Düsseldorf fest. Die Förderpraxis könne nicht einfach so geändert werden. Zudem waren die Förderbedingungen nicht klar formuliert. Auch das geht zu Lasten des Staates, so das Gericht.

OVG: Schlussbescheide sind rechtswidrig und verletzten die Kläger in ihren Rechten

Das Land legte gegen dieses Urteil Berufung beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen ein. Allerdings schloss sich auch das OVG Nordrhein-Westfalen der Argumentation des VG Düsseldorf an.

Damit ist klar: Die Rückforderungsbescheide des Landes NRW sind rechtswidrig.

Nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts findet das vom Land eingeleitete Rückmeldeverfahren in den Bewilligungsbescheiden keine Grundlage. So wurden insbesondere bei dem Erlass der Schlussbescheide, die für die endgültige Festsetzung maßgeblich bindenden Vorgaben des Bewilligungsbescheides nicht beachtet.

Außerdem seien die, im Rahmen des Rückmeldeverfahrens, vom Land geforderten Anhaben, für die Bestimmung der korrekten Fördersumme, ungeeignet.

Die zuständigen Richter kritisierten die fehlende Möglichkeit der Angabe, in welchen Umfang die erhaltenen Fördermittel, während des Bewilligungszeitraum tatsächlich im Rahmen der Zweckbindung der Förderung verwendet worden sind.

Automatisierte Rückforderungsverfahren sind rechtswidrig

Im Übrigen sind die Schlussbescheide schon deshalb rechtswidrig, weil ihnen, zum einem, die hierfür erforderliche Rechtsgrundlage fehlt und zum anderen, die Schlussbescheide durch automatische Einrichtungen erlassen worden sind. Dadurch konnte nicht sichergestellt werden, dass für den Einzelfall bedeutsame tatsächliche Anhaben der einzelnen Leistungsempfänger berücksichtigt werden.

Land darf Überschuss zurückverlangen

Ungeachtet dessen, sind Zuwendungsempfänger bei einer Überkompensation verpflichtet, die Differenz an die Fördermittelstelle zurückzahlen. Das Land ist also weiterhin berechtigt, die den Empfängern tatsächlich zugestandene Soforthilfe zu berechnen und überbezahlte Summen mit neuen Rückforderungsbescheiden zurückzufordern. Insofern trifft Zuwendungsempfänger auch die Pflicht zur Abgabe eines Verwendungsnachweises.  Das Gericht betont, dass die Soforthilfe ausschließlich zum Ausgleich der unmittelbar durch die Corona-Krise ausgelösten wirtschaftlichen Engpässen, verwendet werden durfte. Aus Sicht des Oberverwaltungsgerichts hätte das jeden Fördermittelempfänger einleuchten müssen. Diese seien in der Lage gewesen, sich über die juristischen Bedingungen der Corona-Soforthilfe umfassend zu informieren, so das Urteil, welches neben Begeisterung, zunehmend an Kritik erfährt.

Kritik

So insbesondere in Hinblick auf die Argumentation des Gerichts, wonach Empfänger die Möglichkeit hatten durch Förderlinien des Landes, durch FAQ-Internetseiten oder durch die Rahmenregelung der EU, eine Vorläufigkeit der Bewilligungserteilung abzuleiten. Ob das tatsächlich der Fall ist, ist mehr als fraglich. Aus verwaltungsrechtlicher Sicht stellt der Subventionsbescheid nämlich einen Verwaltungsakt dar und muss deshalb auch hinreichend bestimmt sein. Da die vorgenannten Quellen nicht Gegenstand des Bewilligungsbescheides geworden sind, läge eigentlich ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des § 37 VwVfG nahe. In dem Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen ist davon nichts zu lesen. Vielmehr sei es den Zuwendungsempfängern, „als im Wirtschaftsleben erfahrenen Personen, zuzumuten sich über die Voraussetzungen und Umstände der Mittelgewährung und ebenso über eine etwaige Rückzahlungsverpflichtung näher zu informieren“, so die Entscheidung.

Auch überrascht die Behauptung des Gerichts, der vorläufige Charakter des Bewilligungsbescheid sei hinsichtlich der abschließend festzusetzenden Höhe der Soforthilfe, aus Sicht eines objektiven Empfängerhorizonts erkennbar gewesen. Hierzu: Das Corona-Soforthilfeprogramm ist das bisher größte Förderprogramm in der Geschichte des Landes NRW. Die Vielzahl an Informationen, mit denen die Empfänger konfrontiert waren, durfte viele Antragssteller überfordert haben. Man muss bedenken, dass ein Großteil der Leistungsempfänger zuvor noch nie Fördergelder beantragt hat. Deshalb ist die Behauptung des Gerichts, der vorläufige Charakter des Bewilligungsbescheid sei hinsichtlich der abschließend festzusetzenden Höhe der Soforthilfe, aus Sicht eines objektiven Empfängerhorizonts erkennbar gewesen, fraglich. Denn genau das ist nicht der Fall – so lautet das Fazit vieler Rechtswissenschaftler, die sich mit dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts kritisch auseinandergesetzt haben.

Fazit

Insgesamt darf man nicht vergessen, dass viele der kritisierten Formulierungen auf die Notwendigkeit eines schnellen Vorgehens und der massenhaften Abarbeitung von hunderttausenden Anträgen, zurückzuführen sind. Dennoch ist es wichtig gegen rechtswidrige Bescheide vorzugehen. Das Urteil das Oberverwaltungsgerichts ist daher sehr begrüßenswert. Das Gericht hat den Klägern Recht gegeben und die ergangenen Bescheide für rechtswidrig erklärt. So weit so gut! Allerdings bleiben auch nach der lang erwarteten Gerichtsentscheidung noch offene Fragen. Es drängt sich insbesondere die Frage auf, welche Lösung für die ca. 320 000 rechtswidrigen Schlussbescheide gefunden werden kann. Das Gericht hat zwar festgestellt, dass diese rechtswidrig sind, dennoch sind diese rechtswidrigen Bescheide inzwischen bestandskräftig geworden. Es droht eine in diesem Zusammenhang verursachte Ungleichbehandlung. Daher muss eine Lösung dringend vorgestellt werden. Es bleibt weiterhin spannend.

Haben Sie noch Fragen zum Thema Corona-Soforthilfe, Rückforderungsbescheid oder Widerspruch? Dann nahmen Sie Kontakt zu Streifler&Kollegen auf und lassen Sie sich fachkundig beraten.

 

Show what you know!
Artikel schreiben

Gesetze

Gesetze

3 Gesetze werden in diesem Text zitiert

Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 28 Anhörung Beteiligter


(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. (2) Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn sie nach de

Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 37 Bestimmtheit und Form des Verwaltungsaktes; Rechtsbehelfsbelehrung


(1) Ein Verwaltungsakt muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein. (2) Ein Verwaltungsakt kann schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Ein mündlicher Verwaltungsakt ist schriftlich oder elektronisch zu bestätigen, w

Referenzen

(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.

(2) Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn

1.
eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint;
2.
durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde;
3.
von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll;
4.
die Behörde eine Allgemeinverfügung oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen will;
5.
Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden sollen.

(3) Eine Anhörung unterbleibt, wenn ihr ein zwingendes öffentliches Interesse entgegensteht.

(1) Ein Verwaltungsakt muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein.

(2) Ein Verwaltungsakt kann schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Ein mündlicher Verwaltungsakt ist schriftlich oder elektronisch zu bestätigen, wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht und der Betroffene dies unverzüglich verlangt. Ein elektronischer Verwaltungsakt ist unter denselben Voraussetzungen schriftlich zu bestätigen; § 3a Abs. 2 findet insoweit keine Anwendung.

(3) Ein schriftlicher oder elektronischer Verwaltungsakt muss die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten. Wird für einen Verwaltungsakt, für den durch Rechtsvorschrift die Schriftform angeordnet ist, die elektronische Form verwendet, muss auch das der Signatur zugrunde liegende qualifizierte Zertifikat oder ein zugehöriges qualifiziertes Attributzertifikat die erlassende Behörde erkennen lassen. Im Fall des § 3a Absatz 2 Satz 4 Nummer 3 muss die Bestätigung nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes die erlassende Behörde als Nutzer des De-Mail-Kontos erkennen lassen.

(4) Für einen Verwaltungsakt kann für die nach § 3a Abs. 2 erforderliche Signatur durch Rechtsvorschrift die dauerhafte Überprüfbarkeit vorgeschrieben werden.

(5) Bei einem schriftlichen Verwaltungsakt, der mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen wird, können abweichend von Absatz 3 Unterschrift und Namenswiedergabe fehlen. Zur Inhaltsangabe können Schlüsselzeichen verwendet werden, wenn derjenige, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, auf Grund der dazu gegebenen Erläuterungen den Inhalt des Verwaltungsaktes eindeutig erkennen kann.

(6) Einem schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakt, der der Anfechtung unterliegt, ist eine Erklärung beizufügen, durch die der Beteiligte über den Rechtsbehelf, der gegen den Verwaltungsakt gegeben ist, über die Behörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf einzulegen ist, den Sitz und über die einzuhaltende Frist belehrt wird (Rechtsbehelfsbelehrung). Die Rechtsbehelfsbelehrung ist auch der schriftlichen oder elektronischen Bestätigung eines Verwaltungsaktes und der Bescheinigung nach § 42a Absatz 3 beizufügen.