Versicherungsrecht: Kein Abzug „neu für alt“ bei zerkratztem Pkw


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Mit dieser Entscheidung lehnt das Amtsgericht (AG) Solingen einen Pauschalabzug „neu für alt“ bei jeder Reparatur ab. Der Versicherer könne den Abzug auch nicht bloß auf die Laufleistung und das Alter des Fahrzeugs sowie den Zustand des gesamten Fahrzeugs und des Lacks stützen, sofern der Zustand des Fahrzeugs und des Lacks nicht konkret dargelegt werde.
Im konkreten Fall entschied das AG, dass das Fahrzeugalter von 46 Monaten auch unter Berücksichtigung der Laufleistung von 71.853 km keine Rückschlüsse auf einen wertverminderten Zustand des Lacks zulasse (AG Solingen, 13 C 400/11).
Die Entscheidung im Einzelnen lautet:
AG Solingen Urteil vom 01.08.2012 (Az: 13 C 400/11)
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 673,60 € nebst Zinsen in Höhe von vier Prozent pro Jahr aus 2.887,46 € für den Zeitraum vom 5.11.2010 bis zum 31.3.2011, und aus 673,60 € seit dem 1.4.2011 in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.
Die Beklagte wird ferner verurteilt, an die Klägerin weitere 316,18 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4.5.2012 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit leistet in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
Die Klägerin hat ihren Pkw Suzuki Swift, amtliches Kennzeichen ... bei der Beklagten kaskoversichert. In der Nacht zum 5.10.2010 wurde das Fahrzeug durch Unbekannte zerkratzt. Es war zu der Zeit 46 Monate alt und wies eine Laufleistung von 71.853 km auf. Die Klägerin meldete der Beklagten den Schaden am selben Tag. Nachdem diese eine Regulierung zunächst ablehnte, zahlte sie zwischenzeitlich 2.213,86 €, ausgehend von einem Reparaturkostenbetrag in Höhe von 3.187,46 €. Hiervon zog sie 300 € Selbstbehalt ab und nahm einen weiteren Abzug „neu für alt“ in Höhe von 673,60 € wegen einer behaupteten Wertsteigerung durch die neue Lackierung vor.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 673,60 € nebst Zinsen in Höhe von vier Prozent pro Jahr aus 2.887,46 € für den Zeitraum vom 5.11.2010 bis zum 31.3.2011, und in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 673,60 € seit dem 1.4.2011 zu zahlen.
die Beklagte zu verurteilen, an sie weitere 316,18 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, der Abzug „neu für alt“ sei gerechtfertigt und ergebe sich aus dem Alter, der Laufleistung und dem Zustand des Fahrzeugs.
Die Klage ist der Beklagten am 3.5.2012 zugestellt worden. In der Sitzung vom 20.6.2012 hat das Gericht der Beklagten aufgegeben, näher zu der Angemessenheit des vorgenommenen Abschlages „neu für alt“ Stellung zu nehmen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 673,60 € gemäß § 1 S. 1 VVG in Verbindung mit dem zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag.
Durch das Zerkratzen des Fahrzeugs der Klägerin und der damit verbundenen Beschädigung ist der Versicherungsfall eingetreten.
Der von der Beklagten vorgenommene Abzug „neu für alt“ in Höhe von 673,60 € war ungerechtfertigt. Ein solcher Abzug ist nicht pauschal bei jeder Reparatur vorzunehmen, sondern lediglich dann, wenn durch die Reparatur eine messbare Vermögensmehrung eingetreten ist. Die Höhe des Abzugs unterliegt hierbei der richterlichen Schätzung gemäß § 287 ZPO.
Voraussetzung einer solchen Schätzung ist, dass die der Schätzung zugrunde zu legenden Tatsachen substantiiert dargelegt und notfalls unter Beweis gestellt werden. Die Darlegungs- und Beweislast obliegt vorliegend der Beklagten, da sie sich auf den Abzug „neu für alt“ beruft. Ihrer diesbezüglichen Darlegungslast ist sie trotz entsprechenden, gerichtlichen Hinweises in der Sitzung vom 20.6.2012 (Bl. 188 d. A.) nicht substantiiert nachgekommen.
Die Beklagte hat lediglich ausgeführt, dass der Abzug auf der Laufleistung und dem Alter des Fahrzeugs sowie dem Zustand des gesamten Fahrzeugs und des Lackes beruhe. Wie sich der Zustand des Fahrzeugs und des Lacks darstellte, schilderte die Beklagte jedoch nicht.
Aufgrund dessen konnte nicht nachvollzogen werden, ob die Lackierung zu einer messbaren Vermögensmehrung führte oder ob der Lack vor dem Schadensfall noch in einem so guten Zustand war, dass die Neulackierung keine Auswirkung auf den Wert des Fahrzeugs hatte. Das Fahrzeugalter von 46 Monaten lässt, auch unter Berücksichtigung der Laufleistung von 71.853 km, keine Rückschlüsse auf einen wertverminderten Zustand des Lackes zu. Dies auch vor dem Hintergrund, dass Fahrzeuglackierungen mittlerweile von seiner solchen Qualität sind, dass während der Lebensdauer eines Fahrzeugs in der Regel keine Neulackierung erforderlich ist.
Die angebotenen Beweise, nämlich die Einholung eines Sachverständigengutachtens sowie die Vernehmung des sachverständigen Zeugen ..., waren nicht einzuholen, weil es sich dabei um einen Ausforschungsbeweis gehandelt hätte. Der Zeuge sowie der Sachverständige hätten nämlich zunächst vortragen müssen, in welchem Zustand sich das Fahrzeug beziehungsweise der Lack abgesehen von dem durch das Zerkratzen eingetretenen Schaden befanden.
Der Anspruch auf Zinsen in Höhe von 4% für den Zeitraum vom 5.11.2010 bis zum 31.3.2011 ergibt sich aus § 91 S. 1 VVG. Dieser Zinsanspruch entsteht unabhängig von einem Verzug der Beklagten.
Der weitere Zinsanspruch resultiert aus den §§ 286, 288 I, 291, 247 BGB.
Der Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren ergibt sich aus den §§ 280 I, II, 286, 249 BGB. Der diesbezügliche Zinsanspruch resultiert aus den §§ 291, 288 I, 247,187 I analog BGB.
Die Kostenentscheidung basiert auf § 91 I ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit resultiert aus §§ 708 Nr. 11, 711, 709, S. 2 ZPO.

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Der Versicherer verpflichtet sich mit dem Versicherungsvertrag, ein bestimmtes Risiko des Versicherungsnehmers oder eines Dritten durch eine Leistung abzusichern, die er bei Eintritt des vereinbarten Versicherungsfalles zu erbringen hat. Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, an den Versicherer die vereinbarte Zahlung (Prämie) zu leisten.
(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.
(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.
Die vom Versicherer zu zahlende Entschädigung ist nach Ablauf eines Monats seit der Anzeige des Versicherungsfalles für das Jahr mit 4 Prozent zu verzinsen, soweit nicht aus einem anderen Rechtsgrund höhere Zinsen verlangt werden können. Der Lauf der Frist ist gehemmt, solange der Schaden infolge eines Verschuldens des Versicherungsnehmers nicht festgestellt werden kann.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.