Strafrecht: Notwehr – Gegenwärtigkeit des Angriffs

published on 06/06/2017 13:09
Strafrecht: Notwehr – Gegenwärtigkeit des Angriffs
Gesetze
Artikel zu passenden Rechtsgebieten

Authors

Languages
EN, DE

Author’s summary

Gegenwärtig im Sinne des Tatbestandes der Notwehr kann auch ein Verhalten sein, das zwar noch kein Recht verletzt, aber unmittelbar in eine Verletzung umschlagen kann.
Dies gilt in solchen Fällen, in denen das Verzögern einer Abwehrhandlung entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger zusätzlich gefährden würde.

Hat der Angreifer bereits eine Verletzungshandlung begangen, dauert dieser so lange an, wie eine Wiederholung unmittelbar zu befürchten ist, wobei auf die objektive Sachlage abzustellen ist. Ist nicht zu klären, ob tatsächlich ein Angriff bevorstand, ist unter Anwendung des Zweifelsgrundsatzes von der für den Angeklagten günstigsten Möglichkeit auszugehen.

Der BGH hat in seinem Urteil vom 21. März 2017 folgendes entschieden:

Tenor:

Die Revision des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Ellwangen vom 28. Juni 2016 wird verworfen. 

Der Revisionsführer hat die durch sein Rechtsmittel verursachten Kosten und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung und wegen Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Wegen eines weiteren Vorwurfs der vorsätzlichen Körperverletzung hat es den Angeklagten wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen. Es hat die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Soweit dem Angeklagten die Begehung einer gefährlichen Körperverletzung zu Lasten des Nebenklägers vorgeworfen worden ist, hat das Landgericht ihn wegen einer nicht ausschließbaren Notwehrlage freigesprochen. Gegen diesen Teilfreispruch wendet sich der Nebenkläger mit seiner auf eine Verfahrens- und die Sachrüge gestützten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

Nach den Feststellungen und Wertungen des Landgerichts versetzte der Angeklagte am 27. November 2015 seinem Bekannten, den er lästig fand, einen Kopfstoß, wodurch dieser Verletzungen erlitt. Am 5. Januar 2016 bedrohte er einen Polizeibeamten auf dem Amtsgerichtsflur mit der Erschießung. Bei beiden Taten war er aufgrund einer organischen Persönlichkeitsstörung infolge einer frühkindlichen Hirnschädigung in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert. Am 4. Januar 2016 machte er seiner Mutter unzutreffende Vorwürfe, zog sie an den Haaren und drückte sie so gegen eine Tür, dass diese stürzte und mit dem Hinterkopf auf dem Boden aufschlug, wodurch eine Platzwunde entstand. Er kniete sich neben seine am Boden liegende Mutter und drückte mit beiden Händen mindestens 30 Sekunden ihren Hals zu, so dass diese keine Luft mehr bekam. Bei dieser Tat war aufgrund einer wahnhaften Verkennung der Situation nicht auszuschließen, dass seine Unrechtseinsicht aufgehoben war. Diese Taten hat der Angeklagte eingeräumt.

Aus Anlass dieser Taten hat das Landgericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet.

Darüber hinaus war dem Angeklagten vorgeworfen worden, am Abend des 28. November 2015 mit einem geöffneten Klappmesser auf den Nebenkläger losgegangen zu sein. Der Nebenkläger habe zur Abwehr den linken Arm vor den Körper gehoben, sei deshalb an der linken Hand getroffen worden und habe dort eine Durchtrennung von Muskelfasern und Sehnen erlitten. Erst als der Angeklagte nicht von dem Nebenkläger abgelassen habe, habe dieser letztlich eine Bierflasche genommen und nach dem Angeklagten geworfen, um dessen Angriff zu beenden, wodurch er den Angeklagten an der linken Schläfe verletzt habe.

In einem vom Landgericht mit Feststellungen zum Sachverhalt bezeichneten Abschnitt ist Folgendes ausgeführt:

Am Abend des 28. November 2015 traf der Nebenkläger vor seinem Hauseingang auf den alkoholisierten Angeklagten. Aus unklarem Anlass gerieten beide in Streit, in dessen Verlauf der Angeklagte den Nebenkläger als „Wichser“ bezeichnete. Im Rahmen der plötzlich auch körperlich geführten Auseinandersetzung wurde der Angeklagte an der Schläfe verletzt und erlitt eine blutende Wunde. Diese resultierte daraus, dass der Nebenkläger mit einer mitgeführten Bierflasche zuschlug oder mit ihr nach dem Angeklagten warf. Der Angeklagte zog sein Klappmesser hervor, öffnete dies und führte es in Richtung des Nebenklägers. Dieser hob zur Abwehr den linken Arm vor den Körper, so dass er von dem Messer an der linken Hand getroffen wurde, wodurch Muskelfasern und Sehnen durchtrennt wurden.

„Offen blieb“, ob der Angeklagte zuerst mit dem Messer den Nebenkläger verletzte, dieser dann mit der Bierflasche den Angeklagten verletzte oder ob umgekehrt zunächst der Angeklagte mit einem Wurf oder Schlag mit der Bierflasche durch den Nebenkläger verletzt wurde und sodann der Angeklagte das Messer gegen den Nebenkläger führte. „Möglicherweise“ war es der Nebenkläger, welcher mit der Bierflasche in der Hand gegen die Schläfe des Angeklagten schlug und diesen erheblich verletzte, wogegen sich der Angeklagte unmittelbar wehrte - weil der Nebenkläger noch den Flaschenhals in Händen hielt und ihn weiter attackieren wollte -, indem er das Messer hervorzog, um sich gegen diesen fortdauernden Angriff zu verteidigen.

Zur Begründung des Freispruchs hat das Landgericht ausgeführt, aufgrund der Beweislage nicht ausschließen zu können, dass der Nebenkläger den Angeklagten zuerst angegriffen habe, wogegen sich der Angeklagte im Rahmen eines dynamischen Geschehens unmittelbar mit dem Messer zur Wehr gesetzt habe, um den Angriff und ein Nachsetzen des Nebenklägers mit dem noch in der Hand gehaltenen Flaschenhals zu verhindern. Die dahingehende Einlassung des Angeklagten wertete es als schlüssig, widerspruchsfrei und zu den übrigen Beweisergebnissen - mit Ausnahme der Angaben des Nebenklägers - passend. Der Angeklagte hatte angegeben, den ihm bekannten Nebenkläger im Rahmen einer Unterhaltung gefragt zu haben, wo er etwas zum Rauchen herbekomme, woraufhin dieser ihn als Schmarotzer beschimpft habe. Es habe sich dann ein Streit entwickelt. Der Nebenkläger sei „ausgetickt“ und habe ihm eine Ohrfeige gegeben, weswegen er ihn als „Wichser“ beschimpft habe. Daraufhin habe der Nebenkläger ihm die Flasche auf die Schläfe gehauen, diese sei dabei zu Bruch gegangen. Er habe nicht genau gesehen, ob der Nebenkläger noch etwas in der Hand halte, habe dies aber „für möglich gehalten“. Aus „Angst“, dass der Nebenkläger ihm nun „den Flaschenhals reinramme“, habe er sein Messer herausgeholt und eine Stechbewegung gemacht.

Die Angaben des Nebenklägers erachtete das Landgericht hingegen für nicht glaubhaft. Dieser schilderte, dass der Angeklagte ihn zuerst übel beschimpft habe. Daraufhin habe er den Angeklagten aus dem Hausflur schieben wollen, als dieser das Messer herausgeholt habe. Der Angeklagte habe eine drohende Haltung mit dem schnell geöffneten Springmesser eingenommen und die Klinge in seine - des Nebenklägers - Richtung gehalten. Er habe betont, seine Ruhe haben zu wollen. Der Angeklagte sei auf ihn zugegangen und habe mit dem Messer in Richtung seines Oberkörpers gestochen. Durch das Heben seines Arms habe er den Stich abgewehrt. Der Angeklagte habe einen Schritt auf ihn zu gemacht, und er habe nun aus Angst die Bierflasche in Richtung des Angeklagten geworfen. Dieser habe zu dem Zeitpunkt zwei oder drei Meter entfernt gestanden und sei am Rücken getroffen worden.

Soweit der Nebenkläger die Verletzung der Aufklärungspflicht beanstandet, da es „möglich gewesen“ wäre, durch ein medizinisches Sachverständigengutachten festzustellen, „ob die vom Angeklagten behauptete Verletzung überhaupt von einem Schlag mit einer Bierflasche auf die Schläfe, also einem Weichteil, herrühren und dabei diese Flasche zu Bruch gehen kann“, genügt die Rüge nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Denn es wird nicht mit der erforderlichen inhaltlichen Bestimmtheit behauptet, welches Ergebnis die unterbliebene Beweiserhebung erbracht hätte.

Die auf die Sachrüge veranlasste revisionsrechtliche Prüfung des Freispruchs von der vorgeworfenen gefährlichen Körperverletzung zu Lasten des Nebenklägers zeigt keinen Rechtsfehler auf.
Die angefochtene Entscheidung genügt noch den Anforderungen an ein freisprechendes Urteil.

Das Tatgericht ist gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO aus sachlich-rechtlichen Gründen verpflichtet, all das festzustellen und darzulegen, was für die Beurteilung des Tatvorwurfs relevant und zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler notwendig ist. Dazu gehört bei einem Freispruch aus Notwehr auch, dass deren Voraussetzungen in revisionsrechtlich nachprüfbarer Weise dargelegt werden. Die Begründung muss im Hinblick auf den der rechtlichen Würdigung zugrunde gelegten Sachverhalt so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatgericht bei der Ermittlung dieses Sachverhalts Rechtsfehler unterlaufen sind, das heißt, ob die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, ob sie gegen Denkgesetze verstößt oder ob das Tatgericht an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt hat.

Diesen Anforderungen genügt das Urteil noch. Zwar lässt sich dem Abschnitt zu den Feststellungen für sich genommen der Geschehensablauf wie er der rechtlichen Würdigung zugrunde gelegt worden ist, nicht in der erforderlichen Bestimmtheit entnehmen. Da aber die schriftlichen Urteilsgründe eine Einheit bilden, deren tatsächliche Angaben auch dann berücksichtigt werden müssen, wenn sie sich in verschiedenen und dabei auch in solchen Zusammenhängen befinden, in denen sie nach dem üblichen Urteilsaufbau nicht erwartet werden, kann für die vollständige tatsächliche Grundlage der Entscheidung auch auf die diesbezüglichen Ausführungen in der Beweiswürdigung und der rechtlichen Würdigung zurückgegriffen werden. Dort hat das Landgericht klar und widerspruchsfrei ausgeführt, die Einlassung des Angeklagten nicht widerlegen zu können, der Nebenkläger habe ihn zunächst mit der Bierflasche gegen den Kopf geschlagen und er habe dann das Messer gegen weitere befürchtete Angriffe durch den zu einer weiteren Attacke bereiten Nebenkläger mittels des Flaschenhalses eingesetzt. Danach ergibt sich eindeutig, dass das Landgericht von dem Sachverhalt ausgegangen ist, wie er in dem feststellenden Teil mit „möglicherweise“ eingeleitet wird. Weiter ergeben die Urteilsgründe mit der erforderlichen Klarheit und Widerspruchsfreiheit, dass das Landgericht der rechtlichen Würdigung zugrunde gelegt hat, dass der erste Angriff durch den Nebenkläger erfolgte und dass die Abwehrhandlung sich im Rahmen eines in hohem Maße dynamischen und in Sekundenbruchteilen ablaufenden Geschehens ohne Zäsur ereignete.

Dies erlaubt dem Revisionsgericht in ausreichender Weise, einen bestimmten, widerspruchsfreien Sachverhalt seiner rechtlichen Überprüfung zu Grunde zu legen. Die Begründung für die Ermittlung dieses Sachverhalts lässt sich den Urteilsgründen auch eindeutig entnehmen. Damit ist eine revisionsrechtliche Nachprüfung des Schuldspruchs möglich und dementsprechend den Darlegungsanforderungen genügt.

Die Beweiswürdigung zeigt keinen Rechtsfehler auf.

Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich insoweit darauf, ob dem Tatgericht bei der ihm obliegenden Feststellung und Würdigung des Ergebnisses der Hauptverhandlung Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Urteilsgründe widersprüchlich, unklar oder lückenhaft sind oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstoßen oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden.

Derartige Mängel zeigt das Urteil nicht auf.

Das Landgericht hat dem Nebenkläger wegen seines Aussageverhaltens nicht geglaubt. Diese Würdigung hat eine tragfähige Grundlage, wie sich aus der Darlegung der Entwicklung des Aussageverhaltens des Nebenklägers ergibt. Danach hat dieser gegenüber dem noch am Tatort ermittelnden Polizeibeamten weder Angaben zum genauen Tatgeschehen noch zur Vorgeschichte gemacht. Eine von diesem eingesetzte Bierflasche fand dabei keine Erwähnung. Das gilt auch für die erste schriftliche, über den Rechtsanwalt erfolgte Einlassung. Es ist nachvollziehbar, dass das Landgericht vor diesem Hintergrund seine späteren Angaben, in denen er die Bierflasche als Abwehrmittel gegen den Angriff des Angeklagten dargestellt hat, als dem objektiven Beweisertrag - Verletzung des Angeklagten und Scherbenfeld am Tatort - angepasst gewertet hat. Es hat zudem berücksichtigt, dass die derart angepassten Angaben sich letztlich nicht mit der konkreten Art der Verletzung des Angeklagten und den Angaben des unbeteiligten Zeugen H. in Übereinstimmung bringen ließen, wonach die beiden Kontrahenten nahe beieinander gestanden hätten, als die Flasche geborsten sei. Dass es danach den Sachverhalt nicht wie vom Nebenkläger geschildert festgestellt hat, ist nach den dargelegten Grundsätzen nicht zu beanstanden.

Anders als vom Generalbundesanwalt vertreten, ist nicht zu besorgen, dass das Landgericht verkannt haben könnte, dass Einlassungen, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine objektiven Anhaltspunkte gibt, nicht ohne weiteres als unwiderlegbar hinzunehmen und den Feststellungen zugrunde zu legen sind. Das Tatgericht hat vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses darüber entschieden und ist zu dem begründeten Ergebnis gelangt, dass die Angaben des Angeklagten geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass die den Angeklagten über seine Einlassung hinaus allein belastenden Angaben des Nebenklägers als unglaubhaft angesehen worden sind. Zum anderen folgt dies aus der Bewertung der Einlassung als schlüssig, widerspruchsfrei und durch das übrige Beweisergebnis - wie die von Dritten wahrgenommene blutende Verletzung an der Schläfe - bestätigt. In die diesbezügliche Überzeugungsbildung sind auch von dem konkreten Tatgeschehen losgelöste Indizien einbezogen worden, wie die Neigung des Angeklagten zu Aggressionsdelikten.

Dass der Schluss des Landgerichts, wonach eine Attacke durch den Nebenkläger mit dem Flaschenhals unmittelbar bevorstand, sich von einer tragfähigen Tatsachengrundlage entferne und sich in einer bloßen Vermutung erschöpfe, wie es der Generalbundesanwalt vertritt, ist angesichts der dahin gehenden ausdrücklichen Einlassung des Angeklagten, die das Landgericht dieser Feststellung zugrunde gelegt hat, unter keinem Aspekt zu besorgen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Einlassung des Angeklagten, anders als die ursprünglichen Angaben des Nebenklägers, im Einklang mit dem am Tatort festgestellten Scherbenbild steht. Allein seine Schilderung des Geschehens lässt sich auch mit den Angaben des unbeteiligten Zeugen H. in Übereinstimmung bringen, wonach beide Kontrahenten nah beieinander gestanden hätten, als die Flasche geborsten sei.

Die Beweiswürdigung ist auch nicht lückenhaft. Das Landgericht hat vielmehr die wesentlichen für die Entscheidungsfindung bedeutsamen Gesichtspunkte erörtert und diese auch im Rahmen der erforderlichen Gesamtschau abgewogen.

Soweit die Revision eine Auseinandersetzung damit vermisst, dass der Polizeibeamte, der die Wunde des Angeklagten an der Schläfe gesehen hat, diese als eher von einem Schnitt als von einer Platzwunde herrührend beschrieben hat, zeigt dies keine Lücke auf. Dies gilt schon deswegen, weil nach dem vom Landgericht zugrunde gelegten Sachverhalt die Verletzung des Angeklagten von der zersplitternden, mithin Schnittverletzungen ermöglichenden Flasche verursacht worden ist. Der Fund von Scherben vor der Haustür lässt sich ohne weitere Erörterungen mit den Feststellungen des Landgerichts vereinbaren, wonach sich die Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger „kurzzeitig“ im Hausflur, sodann aber wieder vor der Haustür ereignet hat. Selbst der Nebenkläger schildert den Einsatz der Flasche durch ihn im Bereich vor der Haustür. Das Landgericht hat ausdrücklich auch die Neigung des Angeklagten zu Aggressionstaten in die Gesamtwürdigung eingestellt.

Zwar ist der Revision darin Recht zu geben, dass sich das Landgericht nicht mehr ausdrücklich damit auseinandergesetzt hat, dass der unbeteiligte Zeuge H. unmittelbar nach dem Geschehen bei dem Angeklagten keine Verletzung wahrgenommen hat. Es ist aber nicht zu besorgen, dass es dies aus dem Blick verloren haben könnte. Denn ausweislich der Urteilsgründe hat es diesen Umstand vom Zeugen erfragt und als Beweisertrag dargestellt. Angesichts der unklaren Sichtverhältnisse des Zeugen begründet es zudem keinen revisionsrechtlich beachtlichen Mangel der Beweiswürdigung, dass das Landgericht nicht eine Selbstverletzung durch den Angeklagten im Nachgang zum Tatgeschehen erörtert hat. Soweit auch der Nebenkläger keine Verletzung des Angeklagten gesehen haben will, ist dies demgegenüber unbeachtlich, da dessen Angaben als unglaubhaft bewertet worden sind.

Anders als der Generalbundesanwalt besorgt der Senat nicht, das Landgericht habe überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt. Zwar ist insoweit zuzugeben, dass die Urteilsgründe unangebracht häufig auf die Nichtwiderlegbarkeit bzw. die Nichtausschließbarkeit abstellen. Hierdurch wollte das Landgericht allerdings nur auf die Anwendung des Zweifelsgrundsatzes hinweisen, offenbart dadurch aber keinen falschen Maßstab für die richterliche Überzeugungsbildung.
Die Würdigung als gerechtfertigte Verteidigung gegenüber einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff hat Bestand.

Ersichtlich ist das Landgericht unter Anwendung des Zweifelssatzes vom Vorliegen eines gegenwärtigen Angriffs im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB ausgegangen.

Gegenwärtig in diesem Sinne kann auch ein Verhalten sein, das zwar noch kein Recht verletzt, aber unmittelbar in eine Verletzung umschlagen kann und deshalb ein Hinausschieben der Abwehrhandlung unter den gegebenen Umständen entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger zusätzlicher nicht mehr hinnehmbarer Risiken aussetzen würde. Hat der Angreifer bereits eine Verletzungshandlung begangen, dauert der Angriff so lange an, wie eine Wiederholung und damit ein erneuter Umschlag in eine Verletzung unmittelbar zu befürchten ist. Dabei kommt es auf die objektive Sachlage an. Entscheidend sind daher nicht die Befürchtungen des Angegriffenen, sondern die Absichten des Angreifers und die von ihm ausgehende Gefahr einer Rechtsgutverletzung.

Das Landgericht vermochte nicht zu klären, ob tatsächlich von dem Nebenkläger ein Angriff bevorstand. Es ist daher unter Anwendung des Zweifelsgrundsatzes von der für den Angeklagten günstigsten Möglichkeit ausgegangen, nämlich dass ein „Angriff und ein Nachsetzen“ des Nebenklägers „mit dem von ihm noch in der Hand gehaltenen Flaschenhals“ unmittelbar bevorstand. Danach war der rechtlichen Wertung eine objektiv bestehende Notwehrlage zugrunde zu legen. Das unterscheidet den Sachverhalt von der Fallgestaltung, die dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23. August 1977 zugrunde lag und auf die sich der Generalbundesanwalt stützt, die sich aber auf die Voraussetzungen eines Erlaubnistatbestandsirrtums bzw. eines Erlaubnis-irrtums bezieht.

Eine Einschränkung des Notwehrrechts wegen eines sozialethisch zu missbilligenden vorwerfbaren Vorverhaltens des Angeklagten ergibt sich nicht. Hierbei war zu berücksichtigen, dass nach dem als festgestellt beschriebenen Sachverhalt der Angeklagte den Nebenkläger im Rahmen einer bereits andauernden wechselseitigen Auseinandersetzung „Wichser“ genannt hat. Nach der ausweislich der Urteilsgründe nicht widerlegten Einlassung des Angeklagten erfolgte diese Äußerung erst als Reaktion auf eine Ohrfeige des Nebenklägers. Außerdem würde eine solche Äußerung in der konkreten Situation auch nicht zu einer Einschränkung des Notwehrrechts gegenüber dem mittels eines abgebrochenen Flaschenhalses unmittelbar drohenden Angriff führen. Denn zumutbare Möglichkeiten, dem Angriff auszuweichen oder sich zurückhaltender zu verteidigen, sind nach der Tatsachengrundlage, wonach es sich um ein in Sekundenbruchteilen ablaufendes Geschehen ohne Gelegenheit zum Nachdenken für den Angeklagten gehandelt hat, nicht erkennbar.

Nach dem der rechtlichen Würdigung zugrunde gelegten Sachverhalt handelte der Angeklagte, um sich gegen einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff zu verteidigen. Dies wird durch seine Angabe, er habe „aus Angst, dass M. ihm den Flaschenhals reinramme“, sein Messer herausgeholt und eine Stechbewegung gemacht, ausreichend belegt. Da der Angeklagte infolgedessen mit Verteidigungswillen handelte, kommt es entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts nicht darauf an, dass der Angeklagte einen weiteren Angriff nur „für möglich gehalten“ hat.

Show what you know!
5 Gesetze

moreResultsText

{{count_recursive}} Gesetze werden in diesem Text zitiert

Lastenausgleichsgesetz - LAG

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese
29 Artikel zu passenden Rechtsgebieten

moreResultsText

06/03/2018 12:51

Der Aufdruck "REFUGEES NOT WELCOME" begründet nicht zwingend eine Strafbarkeit wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB, wenn er mehrdeutig ist – BSP Rechtsanwälte – Anwälte für Strafrecht Berlin
Subjectssonstiges
20/04/2018 14:48

Ein deutscher Strafbefehl muss übersetzt werden, wenn der Betroffene der deutschen Sprache nicht mächtig ist – BSP Rechtsanwälte – Anwälte für Strafrecht Berlin
Subjectssonstiges
24/08/2017 17:52

An Anordnung und Vollzug der Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr sind hinsichtlich ihres Charakters als präventive Sicherungshaft strenge Anforderungen zu stellen.
Subjectssonstiges
23/03/2015 12:55

§ 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB verstößt nicht gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG.
Subjectssonstiges
Artikel zu sonstiges

Annotations

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.