BGH: Zum Finalzusammenhang beim Raub
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Der Täter hatte sein Opfer zunächst gewürgt, sie anschließend in einen Kellerraum gezwungen und sie dort schließlich sexuell missbraucht. Nach Vollzug der sexuellen Handlungen entdeckte er drei goldene Ringe an den Händen des Opfers. Während die Kellertür weiterhin verschlossen war, nahm der Täter dem Opfer die drei Ringe ab. Dies ließ das Opfer aufgrund der Angst vor erneuten Gewalthandlungen auch geschehen.
Problematisch ist hier, ob die Wegnahme der Ringe noch von der vorher durchgenommenen Nötigungshandlung (Würgen, Durchführung des Geschlechtsverkehrs) gedeckt war. Für die Strafbarkeit nach § 249 StGB ist nach Ansicht der Rechtsprechung erforderlich, dass der Täter mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen. Gewalt oder Drohung müssen dabei Mittel zur Wegnahme sein.
Im vorliegenden Fall ist der Finalzusammenhang abzulehnen. Der Täter hat zur Zeit der Gewaltanwendung noch nicht mit der Zielrichtung gehandelt, dem Opfer etwas wegzunehmen. Seinen Entschluss fasste er vielmehr im Anschluss an die Tat.
Im Einzelnen hierzu:
BGH 2 StR 558/12 - Beschluss vom 08.05.2013
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. Mai 2013 für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 16. Juli 2012 mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Raub und in weiterer Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung unter Einbeziehung früherer Urteile zu einer Einheitsjugendstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel führt aufgrund der Sachbeschwerde zur Urteilsaufhebung, gemäß § 301 StPO auch zugunsten des Angeklagten.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts überfiel der Angeklagte am 11. September 2011 die Nebenklägerin, als diese in einem zur Tatzeit menschenleeren Geschäftshaus Reinigungsarbeiten vornahm. Er folgte ihr zunächst unbemerkt in den Keller. Als die Nebenklägerin den Angeklagten bemerkte und fragte, was er hier wolle, reagierte er nicht. Die Nebenklägerin bekam Angst und wollte den Keller verlassen, wurde aber vom Angeklagten daran gehindert, indem er sie am Hals packte und so würgte, dass sie kaum noch atmen konnte und ein Schreien unterdrückt wurde. Dann presste der Angeklagte die Nebenklägerin an die Wand des Treppenhauses. Er verlangte, dass sie die Tür eines Abstellraums aufschloss, stieß sie dort hinein und verbot ihr, das Licht anzuschalten. Zwar hörte der Angeklagte nun damit auf, die Nebenklägerin zu würgen; jedoch hatte sie im Verlauf des weiteren Geschehens Angst vor erneuter Gewaltanwendung durch den Angeklagten und fügte sich deshalb seinen Weisungen. Er verlangte von ihr, dass sie sich entkleidete und versuchte den vaginalen sowie analen Geschlechtsverkehr, was ihm zumindest „ansatzweise gelang“. Dabei verursachte er der Geschädigten große Schmerzen. Der Angeklagte verlangte anschließend Oralverkehr, den die Nebenklägerin aus Angst vor Gewalt an ihm vollzog. Hiernach führte er mit ihr vaginalen Geschlechtsverkehr durch. Als der Angeklagte das Licht einschaltete, um sich und der Nebenklägerin das Ankleiden zu ermöglichen, entdeckte er drei goldene Ringe an ihren Händen, die er ihr wegnahm. Die Nebenklägerin ließ auch dies aus Angst vor erneuten Gewalthandlungen durch den Angeklagten geschehen.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet und zwar gemäß § 301 StGB sowohl zugunsten des Angeklagten als auch zu seinen Ungunsten.
1. Die bisherigen Feststellungen des Landgerichts tragen nicht die Verurteilung wegen Raubes. Nach § 249 Abs. 1 StGB wird nur derjenige bestraft, der mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen. Gewalt oder Drohung müssen dabei Mittel zur Ermöglichung der Wegnahme sein (vgl. Senat, Urteil vom 15. Oktober 2003 – 2 StR 283/03, BGHSt 48, 365, 367). Folgt die Wegnahme einer Anwendung von Gewalt zu anderen Zwecken nur zeitlich nach, ohne dass diese finale Verknüpfung besteht, so scheidet ein Schuldspruch wegen Raubes insoweit aus (vgl. BGH, Beschluss vom 7. September 1994 – 2 StR 431/94, BGHR StGB § 249 Abs. 1 Gewalt 7). Zurzeit der Anwendung der Gewalt hatte der Angeklagte aber noch nicht mit der Zielrichtung gehandelt, der Geschädigten Sachen wegzunehmen. Es genügt zwar, wenn die zunächst zu anderen - etwa zu sexuellen - Zwecken begonnene Gewaltanwendung beim Fassen des Wegnahmevorsatzes fortgesetzt wird (vgl. BGH, Urteil vom 15. September 1964 - 1 StR 267/64, BGHSt 20, 32, 33). Dies war hier aber nicht der Fall.
Eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben der Geschädigten als anderes Mittel der Wegnahme ist vom Landgericht nicht festgestellt worden. Das bloße Ausnutzen der Angst des Opfers vor erneuter Gewaltanwendung enthält für sich genommen noch keine Drohung. Zwar kann eine Drohung auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen. Erforderlich ist dafür jedoch, dass der Täter die Gefahr für Leib oder Leben deutlich in Aussicht stellt, sie also durch ein bestimmtes Verhalten genügend erkennbar macht. Es genügt nicht, wenn das Opfer nur erwartet, der Täter werde es an Leib oder Leben schädigen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 1987 – 4 StR 324/87, BGHR StGB § 249 Abs. 1 Drohung 1). Das bloße Ausnutzen der Angst eines der Einwirkung des Täters schutzlos ausgelieferten Opfers mag sich als das Ausnutzen einer hilflosen Lage darstellen, die vom Gesetzgeber indes ausschließlich in § 177 Abs. 1 StGB neben Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zu einem selbständigen tatbestandlichen Nötigungsmittel erhoben wurde.
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht weitere Feststellungen treffen kann, die zur Anwendung von § 249 StGB führen.
2. Wenn vom neuen Tatgericht ein Raub festgestellt würde, so wäre unter den weiteren Umständen des Falles auch zu erörtern, ob erpresserischer Menschenraub nach § 239a Abs. 1 StGB vorliegt. Diese Tat begeht nicht nur ein Täter, der einen Menschen entführt oder sich seiner bemächtigt, um von Anfang an die Sorge des Opfers um sein Wohl zu einer Erpressung auszunutzen, sondern auch derjenige, der die durch eine solche Handlung geschaffene Lage zu einer Erpressung ausnutzt. Raub ist dabei ein speziellerer Tatbestand als (räuberische) Erpressung, der auch die Möglichkeit eines hierauf bezogenen erpresserischen Menschenraubs eröffnet (vgl. Senat, Urteil vom 5. März 2003 – 2 StR 494/02, NStZ 2003, 604 f.).
Der Angeklagte kann sich der Geschädigten bemächtigt haben. Dazu muss er die physische Herrschaftsgewalt über das Opfer gewonnen, eine stabile Bemächtigungslage geschaffen und diese Lage zu einer Erpressung oder zum Raub ausgenutzt haben. Zwar muss der stabilisierten Bemächtigungslage mit Blick auf das Vermögensdelikt eigenständige Bedeutung zukommen. Damit ist aber nur gemeint, dass sich über die in jeder mit Gewalt oder Drohungen verbundenen Nötigungshandlung liegende Beherrschungssituation hinaus eine weiter gehende Drucksituation aus der stabilen Bemächtigungslage ergeben haben muss (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 – 3 StR 385/11, NStZ-RR 2012, 173, 174). Dies kommt hier in Betracht und wäre daher vom Tatgericht zu erörtern.
III.
Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:
Das zuletzt erkennende Tatgericht ist bei der Festsetzung einer einheitlichen Jugendstrafe nach § 31 JGG unter Einbeziehung früherer Urteile an die dortigen Wertungen nicht gebunden. Es hat eine neue Entscheidung unter Gesamtwürdigung aller Umstände, auch soweit sie sich aus bindenden Tatsachenfeststellungen zum früheren Tatgeschehen ergeben, in eigener Verantwortung zu treffen (vgl. Senat, Urteil vom 30. April 1990 – 2 StR 64/90, BGHSt 37, 34, 39 f.). Die Bezugnahme auf wertende Überlegungen früherer Gerichte begegnet daher Bedenken. Das neue Tatgericht ist frei in seiner Entscheidung über die angemessene Rechtsfolge, auch hinsichtlich der Frage, ob das Jugendstrafrecht anzuwenden (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2001 – 1 StR 211/01, NJW 2002, 73, 75) und welche Sanktionsform innerhalb des Jugendgerichtsgesetzes angemessen ist. Auch dabei kann die Annahme des Vorliegens einer dissozialen Persönlichkeitsstörung, die besonderen Therapiebedarf über die erzieherischen Einwirkungen im Jugendstrafvollzug hinaus begründen könnte, von Bedeutung sein.
Bei der Bemessung einer nachträglich zu bildenden Einheitsjugendstrafe geht es nicht um das Maß einer Erhöhung der einzubeziehenden Jugendstrafen. Vielmehr sind die früher begangenen Straftaten im Rahmen einer Gesamtwürdigung neu zu bewerten und zusammen mit der neuen Tat zur Grundlage einer einheitlichen Sanktion zu machen. Dies gilt auch dann, wenn die frü- her verhängten Jugendstrafen zwischenzeitlich vollstreckt sind (vgl. Senat, Beschluss vom 31. März 2011 – 2 StR 8/11, StraFo 2011, 288 f.).
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(1) Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.
(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.
(1) Die Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr nach § 299 wird nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, daß die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.
(2) Das Recht, den Strafantrag nach Absatz 1 zu stellen, haben in den Fällen des § 299 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 2 Nummer 1 neben dem Verletzten auch die in § 8 Absatz 3 Nummer 2 und 4 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb bezeichneten Verbände und Kammern.
(1) Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.
(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
a) im Fall II. 2 dahin geändert, daß der Angeklagte des schweren Raubs gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig ist,
b) im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall II. 2 und die Gesamtstrafe mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs sowie wegen schweren Raubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren (Einzelstrafen: ein Jahr sechs Monateund fünf Jahre) verurteilt. Dagegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge.
Die Revision ist offensichtlich unbegründet, soweit sie die Verurteilung des Angeklagten wegen Betrugs (Fall II.1) betrifft.
Hingegen hat sie im Fall II. 2 teilweise Erfolg. Sie führt zur Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung der insoweit verhängten Einzelstrafe sowie der Gesamtstrafe.
Das Landgericht hat folgendes festgestellt:
Der obdachlose Angeklagte war in die Jagdhütte des Geschädigten eingedrungen und hatte dort übernachtet. Als der Geschädigte am nächsten Morgen die Hütte aufsuchte und die Tür öffnete, sprühte ihm der in der Hütte befindliche Angeklagte eine Flüssigkeit ins Gesicht, versetzte ihm einen Faustschlag , wodurch der Geschädigte zu Fall kam, warf sich auf ihn und zerschlug eine von dem Geschädigten mitgebrachte Sprudelflasche auf dessen Kopf, so daß sie zerbrach. Sodann warf er einen über 8 kg schweren Feldstein in Richtung des Kopfes des Geschädigten. Der Stein traf den Geschädigten, der einem frontalen Aufprall ausweichen konnte, an der rechten Kopfhälfte, so daß der Geschädigte einen Bruch des Orbitalbodens erlitt. Schließlich fesselte er die Hände des Geschädigten und schob ihn in die Hütte. Spätestens jetzt faßte der Angeklagte den Entschluß, sich den Landrover und weitere Sachen des Geschädigten anzueignen. Er ergriff die Taschen des Geschädigten, brachte sie in den Landrover, verschloß die Hütte und fuhr davon. Der Landrover wurde einige Zeit später aufgefunden, eine Pistole, ein Jagdmesser, ein Handy sowie
Kleidungsstücke und diverse andere Gegenstände, u.a. auch Schlüssel und Papiere des Geschädigten, blieben jedoch verschwunden. 1. Auf der Grundlage dieser Feststellungen begegnet die Verurteilung wegen schweren Raubs nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB durchgreifenden Bedenken.
Das Landgericht hat die für die Erfüllung des Raubtatbestands erforderliche finale Verknüpfung zwischen Nötigungshandlung und Wegnahme im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung nicht näher begründet. Die Ausführungen zur Strafzumessung, bei der das Landgericht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt hat, daß er "innerhalb des schweren Raubs sogar (ein) gesteigertes Maß an Gewalt einsetzte und seinem Opfer gleich mehrere Schläge unter Einsatz von zwei verschiedenen gefährlichen Werkzeugen versetzte", lassen aber besorgen, daß das Landgericht der Auffassung war, auch diese Schläge hätten dazu gedient, die Wegnahme zu ermöglichen. Dies stünde jedoch im Widerspruch zu den Feststellungen, nach denen der Angeklagte den Geschädigten zunächst nur deshalb angegriffen hatte, um aus der Hütte zu entfliehen (UA S. 13), und den Wegnahmeentschluß möglicherweise erst gefaßt hat, als er den Geschädigten niedergeschlagen, an den Händen gefesselt und in die Hütte geschoben hatte. Wann der Angeklagte sich zur Wegnahme des Landrovers (und der anderen Sachen) entschlossen hat, ist jedoch für die rechtliche Einordnung von Bedeutung. Denn während der Angeklagte sich des schweren Raubs nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB (ggfs. auch nach § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a StGB) schuldig gemacht hätte, wenn er die Flasche und den Feldstein zur Ermöglichung der Wegnahme eingesetzt hätte, kommt - wie noch aufzuzeigen sein wird - lediglich die Verwirklichung des Tatbestands des schweren Raubs nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB in Betracht, wenn der
Weg-nahmeentschluß erst bei oder nach der Fesselung des Geschädigten gefaßt worden sein sollte. Selbst wenn das Landgericht diese unterschiedlichen rechtlichen Konsequenzen verkannt und deshalb von einer weiteren Aufklärung des Zeitpunkts abgesehen haben sollte, zu dem der Wegnahmevorsatz gefaßt wurde, nötigt dies hier nicht zu einer über die aus dem Urteilstenor ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs hinausgehenden Aufhebung. Der Senat schließt aus, daß in einer erneuten Hauptverhandlung noch eine Vorverlagerung des Wegnahmevorsatzes auf die Zeit belegt werden könnte, als der Angeklagte den Geschädigten mit der Flasche und dem Feldstein mißhandelte, zumal der Angeklagte den Landrover erst während der sich nach draußen verlagernden Auseinandersetzung wahrgenommen und erst nach der Fesselung des Geschädigten nach dem Zündschlüssel gefragt hatte.
Soweit davon auszugehen ist, daß der Geschädigte durch die massiven Mißhandlungen eingeschüchtert war und bei Widerstand weitere Gewaltanwendung erwartete, käme zwar auch eine konkludente Drohung des Angeklagten als Nötigungsmittel der Wegnahme in Betracht, wenn der Angeklagte diese Situation bewußt ausgenutzt hätte, um den Geschädigten zu veranlassen , die Wegnahme zu dulden. Die Annahme eines schweren Raubs nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB setzte aber voraus, daß damit zugleich konkludent die Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs angedroht worden wäre. Das ist hier nicht naheliegend, nachdem der Geschädigte keinen Widerstand mehr leistete, die Situation sich beruhigt und der Angeklagte auch nicht etwa erneut den Stein oder ein anderes gefährliches Werkzeug ergriffen hatte. Auch insoweit kann der Senat ausschließen, daß in einer erneuten Hauptverhandlung noch weitergehende Feststellungen in diese Richtung getroffen werden können.
Eine Verurteilung wegen schweren Raubs nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB scheidet danach aus.
2. Der Angeklagte hat sich jedoch eines schweren Raubs nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB (in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung) durch Verwendung des am Tatort aufgefundenen Stricks zur Fesselung des Geschädigten schuldig gemacht, unabhängig davon, ob er den Wegnahmevorsatz schon bei der Fesselung oder - wie das Landgericht in seinem Feststellungsblock unterstellt hat - erst später gefaßt hat.
a) Für die zweite Alternative (der Angeklagte hatte den Geschädigten nur deshalb gefesselt, um sich einen Fluchtvorsprung zu sichern, erst danach entschloß er sich, den Landrover und weitere Sachen des Geschädigten mitzunehmen ) bedarf allerdings die Frage, ob von Gewalt als Nötigungsmittel der Wegnahme auszugehen ist, näherer Erörterung:
Bei einem Motivwechsel nach einer zunächst mit anderer Zielsetzung begangenen Nötigung, kommt ein Schuldspruch wegen Raubs nicht in Betracht , wenn es nur gelegentlich der Nötigungshandlung zur Wegnahme kommt oder die Wegnahme der Nötigung nur zeitlich nachfolgt, ohne daß eine finale Verknüpfung besteht (BGH NStZ-RR 2002, 304, 305 m.w.N.). Hingegen ist auch bei einer zunächst mit anderer Zielrichtung erfolgten Nötigung, die der Täter zur Wegnahme ausnutzt, der Raubtatbestand erfüllt, wenn die Gewalt noch andauert oder als aktuelle Drohung erneuter Gewaltanwendung auf das Opfer einwirkt und dieses dazu veranlaßt, die Wegnahmehandlung zu dulden (BGHR StGB § 249 Abs. 1 Drohung 3).
Ob bei einem Motivwechsel nach einer ohne Wegnahmevorsatz erfolgten Fesselung (oder anderen Freiheitsberaubung) eine fortdauernde Gewalt zum Zwecke der Wegnahme ausgeübt wird, wenn der Täter das gefesselte Tatopfer bestiehlt oder ob in einem solchen Fall lediglich die andauernden faktischen Wirkungen der zuvor ohne Wegnahmevorsatz verübten Gewalt ausgenützt werden, ist in der Literatur streitig. Daß von einer zum Zwecke der Wegnahme eingesetzten andauernden Gewalt auszugehen ist, ist von Eser (NJW 1965, 377 und in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 249 Rdn. 9) schon früh vertreten worden. Danach ist Nötigungsmittel der Wegnahme nicht die positive Herbeiführung der Gewaltsituation, sondern deren auf Ingerenz beruhende pflichtwidrige Nichtbeendigung. Dieses Unterlassen und nicht die positive Gewaltanwendung durch die Vornahme der Fesselung setze der Täter zur Verwirklichung seiner Wegnahmeabsicht ein, wobei dieses Unterlassen einem positiven Tun entspreche (so auch Lackner/Kühl, StGB 24. Aufl. § 249 Rdn. 4; Schünemann JA 1980, 349 f., 351, 352; Jacobs JR 1984, 385, 386, Anm. zu BGHSt 32, 88 f.; Seelmann JuS 1986, 203; im Ergebnis auch Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 249 Rdn. 3).
Dagegen wird insbesondere eingewandt, daß damit die Trennung zwischen finalem Gewalteinsatz und bloßer Ausnutzung der Zwangslage des Opfers verwischt werde (so Küper JZ 1981, 568, 571; Herdegen in LK 11. Aufl. § 249 Rdn. 16; Günther in SK-StGB § 249 Rdn. 34), daß schon der Begriff der Gewalt kein Unterlassen beschreiben könne (Joerden JuS 85, 20; Herdegen aaO), daß die Unterlassungskonstruktion nicht der finalen Struktur des Raubtatbestands entspreche (Küper aaO; Rengier, StGB BT/I 6. Aufl. § 7 Rdn. 16; Krey, StGB BT Bd. 2 13. Aufl. Rdn. 193) und daß das Unterlassen der Beseiti-
gung der Zwangslage nicht der Gewaltanwendung durch positives Tun entspreche (Wessels/Hillenkamp, StGB BT/2 26. Aufl. § 7 Rdn. 333, 337; Otto JZ 1985, 21 f.; MünchKommStGB/Sander § 249 Rdn. 32).
Der Bundesgerichtshof hat in BGHSt 32, 88 die Verurteilung von zwei Tätern, die, um ihre Hotelrechnung nicht bezahlen zu müssen, den Hotelportier in ihrem Zimmer gefesselt und eingeschlossen und beim Verlassen des Hotels aus der Kasse der unbesetzten Rezeption Geld entnommen hatten, wegen Diebstahls gebilligt. Bei der Wegnahme sei die Nötigungshandlung gegenüber dem Portier abgeschlossen gewesen, lediglich die Nötigungswirkungen hätten fortgedauert. Demgegenüber ist im Rahmen des § 177 StGB, der im Hinblick auf das Erfordernis der Finalität zwischen Nötigungsmittel und erstrebtem Verhalten der Tatbestandsstruktur des § 249 StGB vergleichbar ist, das bewußte Ausnutzen einer aus anderen Gründen andauernden Freiheitsberaubung zur Erzwingung der Duldung oder Vornahme sexueller Handlungen ohne weiteres als Gewaltanwendung angesehen worden (vgl. BGH NStZ 1999, 83).
Die Auffassung, daß das Ausnutzen einer ohne Wegnahmevorsatz begonnenen andauernden Freiheitsberaubung zum Zwecke der Wegnahme schon sprachlich nicht als "Gewalt" angesehen werden könne oder daß jedenfalls der Raubtatbestand von seiner Struktur her ein aktives Handeln erfordere, ein Unterlassen allenfalls dann als tatbestandsmäßig erfaßt werden könne, wenn jedenfalls ein Dritter aktiv Gewalt ausübe, die der Täter als Garant pflichtwidrig nicht hindere (Kindhäuser in NK-StGB § 249 Rdn. 36 bis 38), überzeugt in dieser Allgemeinheit nicht. Sie ist - worauf Jacobs zu Recht hinweist (aaO 386) - naturalistischen Bildern der Gewaltausübung verhaftet. Daß Gewalt durch Unterlassen jedenfalls dann verwirklicht werden kann, wenn kör-
perlich wirkender Zwang aufrechterhalten oder nicht gehindert wird, entspricht im übrigen der herrschenden Meinung zum Nötigungstatbestand (Tröndle/ Fischer aaO § 240 Rdn. 29; Eser in Schönke/Schröder aaO Vorbem. §§ 234 ff. Rdn. 20; Lackner/Kühl aaO § 240 Rdn. 9; Träger/Altvater in LK 11. Aufl. § 240 Rdn. 52 jeweils m.w.N.; vgl. auch Timpe, Die Nötigung S. 89 f.). Das Abstellen allein auf die aktive Gewaltanwendung wird aber auch dem Charakter der Freiheitsberaubung als Dauerdelikt nicht gerecht. Wer einen anderen einschließt oder fesselt, übt gegen diesen Gewalt aus, und zwar vis absoluta. Durch das Aufrechterhalten des rechtswidrigen Zustands, den der Täter zurechenbar bewirkt hat, setzt sich - anders als etwa beim Niederschlagen des Opfers - die Gewalthandlung fort, sie ist erst beendet mit dem Aufschließen oder dem Lösen der Fesselung. Ob dieses Verhalten, das auf eine schuldhafte Verursachung eines rechtswidrigen Zustands durch den Täter aufbaut, als Gewaltanwendung durch positives Tun oder durch Unterlassen bei aus Ingerenz folgender Garantenpflicht des Täters anzusehen ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn auch wenn der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit im Unterlassen gesehen wird, bestehen gegen die Annahme eines Raubs durch Ausnutzung einer durch Freiheitsberaubung (mit anderer Zielrichtung) geschaffenen Zwangslage keine Bedenken. Soweit in der Literatur teilweise vertreten wird, daß es jedenfalls an der Finalität des Nötigungsverhaltens fehle (Kindhäuser aaO; Graul Jura 2000, 204, 205), stellt sich dies letztlich nur als Konsequenz des verkürzten Gewaltbegriffs dar, wonach Gewalt nur als aktives Handeln begriffen wird. Tatsächlich schließen sich Unterlassen und Finalität nicht aus (vgl. auch Träger/Altvater aaO Rdn. 52; Timpe, aaO S. 93 Fn. 43). Der Unterlassungstäter kann die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustands wollen, um die Wehrlosigkeit des Opfers zur Wegnahme auszunutzen. Aber auch der Einwand, daß der Unrechtsgehalt bei einem so begangenen Raub nicht dem der aktiven Tatbe-
standsverwirklichung entspreche, erscheint jedenfalls für Fallgestaltungen wie der hier vorliegenden nicht begründet. Gerade wenn - wie hier - die aus anderen Gründen erfolgte Gewaltanwendung durch positives Tun und ihre Ausnutzung zur Wegnahme durch den Täter, der das Opfer durch die Fesselung in seine Gewalt gebracht hatte, zeitlich und räumlich dicht beieinander liegen - hier hatte der Angeklagte unmittelbar nach der (möglicherweise) aus anderen Gründen erfolgten Fesselung den Geschädigten nach dem Zündschlüssel gefragt und sich zur Wegnahme entschlossen - kann von einem unterschiedlichen Unrechtsgehalt je nachdem, wann sich der Täter zur Wegnahme entschlossen hatte, nicht ausgegangen werden.
Dies unterscheidet den Sachverhalt von der in BGHSt 32, 88 wiedergegebenen Fallgestaltung.
b) Mit der Verwendung des am Tatort aufgefundenen Stricks zur Fesselung des Geschädigten hat der Angeklagte zwar - im konkreten Fall - kein gefährliches Werkzeug verwendet (BGH, Beschl. vom 4. September 1998 - 2 StR 390/98; BGH, Beschl. vom 4. März 1999 - 4 StR 2/99), wohl aber den Tatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst 1 b StGB erfüllt. Dies gilt nicht nur, wenn der Täter bereits bei der Fesselung mit Wegnahmevorsatz gehandelt hat, sondern auch dann, wenn er den Wegnahmevorsatz erst später gefaßt und die durch die Fesselung bewirkte, schon bestehende Wehrlosigkeit des Opfers ausgenutzt hat, da gerade durch den Einsatz des Stricks zur Fesselung eine fortdauernde Zwangslage geschaffen wurde.
3. Ob der Angeklagte mit dem Einsperren des Geschädigten in der Hütte weitere der Wegnahme dienende Gewalt angewandt hat oder sich - wie der
Generalbundesanwalt ausgeführt hat - Bedenken im Hinblick auf die Finalität dieser Gewaltanwendung deshalb ergeben könnten, weil der Angeklagte nach der Mißhandlung und Fesselung des Geschädigten möglicherweise keinen Widerstand gegen die Wegnahme mehr erwartete, bedarf danach keiner weiteren Erörterung.
4. Der Senat hat den Schuldspruch, wie aus der Urteilsformel ersichtlich, geändert. § 265 StPO steht nicht entgegen, da nicht ersichtlich ist, daß der Angeklagte , der nur die Wegnahme des Landrovers eingeräumt und sich hinsichtlich der Fesselung auf Erinnerungslücken berufen hat, sich gegen den geänderten Schuldvorwurf wirksamer hätte verteidigen können.
5. Der geänderte Schuldspruch führt zur Aufhebung der wegen schweren Raubs verhängten Einzelstrafe und der Gesamtstrafe. Zwar hat das Landgericht einen minder schweren Fall des schweren Raubs nach § 250 Abs. 3 StGB angenommen und ist damit von einer Strafdrohung ausgegangen, die auch dem des minder schweren Falls des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB entspricht. Jedoch hat es innerhalb dieses Strafrahmens gerade auch die massive Gewaltanwendung und die Verwendung von gleich zwei Werkzeugen im Rahmen des Raubtatbestands straferschwerend berücksichtigt. Die Strafe muß danach neu bemessen werden. Entgegen den Bedenken des Generalbundesanwalts kann dabei der Umstand, daß der Geschädigte zahlreiche der ihm abhanden gekommenen, für den Angeklagten aber nutzlosen Gegenstände mit erheblichem Aufwand neu beschaffen mußte, als verschuldete Tatfolge straferschwerend berücksichtigt werden.
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(1) Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.
(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn
- 1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern, - 2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert, - 3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt, - 4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder - 5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.
(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet, - 2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder - 3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.
(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
- 1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder - 2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.
(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - 2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder - 3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder - 2.
das Opfer - a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder - b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
(1) Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.
(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
(1) Wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um die Sorge des Opfers um sein Wohl oder die Sorge eines Dritten um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung (§ 253) auszunutzen, oder wer die von ihm durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Erpressung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.
(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr.
(3) Verursacht der Täter durch die Tat wenigstens leichtfertig den Tod des Opfers, so ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren.
(4) Das Gericht kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 mildern, wenn der Täter das Opfer unter Verzicht auf die erstrebte Leistung in dessen Lebenskreis zurückgelangen läßt. Tritt dieser Erfolg ohne Zutun des Täters ein, so genügt sein ernsthaftes Bemühen, den Erfolg zu erreichen.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel und die den Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen "gemeinschaftlicher" gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und räuberischer Erpressung schuldig gesprochen. Den Angeklagten F. hat es deswegen unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 27. November 2008 zur Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten, den Angeklagten T. unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 2. Juni 2009 zu einer solchen von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.
- 2
- Die zu Ungunsten der Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft , die vom Generalbundesanwalt nur teilweise vertreten wird, wendet sich mit der Sachbeschwerde gegen dieses Urteil und erstrebt die Verurteilung der Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubes gemäß § 239a Abs. 1 StGB sowie wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung gemäß § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a StGB. Des weiteren beanstandet die Beschwerdeführerin die Strafzumessung. Die Revisionen der Angeklagten rügen allgemein die Verletzung materiellen Rechts.
- 3
- Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und die Revisionen der Angeklagten sind begründet.
- 4
- Nach den wesentlichen Feststellungen des Landgerichts veranlasste der Angeklagte F. den Geschädigten A. , der nach der Überzeugung des Angeklagten zuvor ihn und seinen Cousin bestohlen hatte, unter dem Vorwand, gemeinsam Drogen konsumieren zu wollen, ihn in der Nacht zum 4. September 2008 nach D. in die Wohnung des Angeklagten T. zu fahren. Diesem kündigte der Angeklagte F. sein Kommen telefonisch an und sagte hierbei, "er bringe jemanden mit, der zur Rede gestellt werden solle und zu bestrafen sei". In der Wohnung des Angeklagten T. , der auf die telefonische Nachricht des Mitangeklagten geäußert hatte, dieser könne kommen, versetzte F. dem Geschädigten einen Faustschlag, so dass dieser zu Boden ging, schlug weiter mit Händen und Fäusten auf dessen Kopf und Oberkörper ein und trat ihn mit Füßen. Der Angeklagte T. beteiligte sich "in nicht genau feststellbarer Weise" an den Gewalttätigkeiten und "unterstützte auch verbal die Misshandlungen" durch den Mitangeklagten. Der Geschädigte erlitt blutende Wunden am Kopf und im Nackenbereich sowie am Oberkörper und hatte aufgrund der Schläge starke Kopfschmerzen. Während der Misshandlungen oder danach wurde A. von F. an Händen und Füßen gefesselt, wobei die Hände hinter dem Rücken zusammengebunden wurden.
- 5
- Auf Vorhalt der Entwendung verschiedener Kleidungsstücke aus der Wohnung des Cousins des Angeklagten F. gab der Geschädigte aus Angst vor weiteren Misshandlungen - wahrheitsgemäß - die Mitnahme der Sachen zu. Daraufhin wurde der Zeuge A. gezwungen, in einem Telefonat - vermutlich mit dem Onkel des Angeklagten F. - den Diebstahl einzuräumen und um Verzeihung zu bitten, wobei F. damit drohte, den Zeugen "fertig zu machen" und ihn auf grausame Art zu töten, "falls der Vater ihm nicht verzeihe". Während des gesamten Geschehens in der Wohnung wurde der Geschädigte vielfach beschimpft, beleidigt und gedemütigt. Der Angeklagte T. fertigte von Teilen des Geschehens Bild- und Videoaufnahmen.
- 6
- Die Angeklagten fragten den Geschädigten sodann, "wie viel er ihnen schulde, um seine Missetat zu begleichen". Der stark eingeschüchterte Zeuge A. wies "schließlich" aus Angst vor weiteren Misshandlungen auf die Möglichkeit hin, Geld von seinem Konto abzuheben. Dies griffen die Angeklagten auf und fassten den Entschluss, den Geschädigten in O. Geld abheben und an sie "als Entschädigung für den Diebstahl und dessen Bestreiten auszahlen zu lassen". Weil der Geschädigte körperlich nicht in der Lage war, sein Fahrzeug selbst zu führen, veranlasste der Angeklagte T. eine Bekannte , der er lediglich sagte, er wolle einem Freund ein paar Sachen ins Gefängnis bringen, den Pkw des Geschädigten zu steuern. Nachdem die Angeklagten die Spuren der Misshandlungen an dem Geschädigten und seiner Kleidung so gut es ging beseitigt sowie ihm an Stelle des ausgezogenen blutigen Hemdes eine Jacke übergezogen und eine Baseballkappe aufgesetzt hatten, fuhren die vier Personen - der Angeklagte F. und der Geschädigte hinten sitzend - zunächst zur Justizvollzugsanstalt O. . Dort wurde der Pkw in deren Nähe abgestellt und alle Insassen stiegen aus. Während sich die Angeklagten zur Justizvollzugsanstalt begaben und die Fahrerin an einem Kiosk Zigaretten holte, blieb der Geschädigte etwa zwanzig Minuten lang alleine in der Nähe seines Fahrzeugs zurück. Danach ging die Fahrt weiter in die Innenstadt von O. , wo der Geschädigte sowie der Angeklagte F. das Auto verließen und sich zur Filiale der Bank begaben, bei der A. sein Konto hatte. Dort sollte der Geschädigte, der nach wie vor unter dem Eindruck der massiven Körperverletzungen und Drohungen stand und vor den Angeklagten Angst hatte, nach deren Weisung einen größeren Geldbetrag von seinem Konto abheben. Nachdem der Versuch, sich am Automaten Geld auszahlen zu lassen , gescheitert war, und der Geschädigte auch am Bankschalter, den er zunächst alleine aufgesucht hatte, kein Geld bekommen hatte, ging er mit dem Angeklagten F. zusammen noch einmal dorthin und erhielt - nachdem F. mit dem Bankangestellten gesprochen hatte - 500 € ausbezahlt, die er weisungsgemäß an den Angeklagten F. übergab.
- 7
- I. Revision der Staatsanwaltschaft
- 8
- Das Landgericht hat die Tat nicht als erpresserischen Menschenraub gemäß § 239a Abs. 1 StGB bewertet. Dies hat es damit begründet, die Angeklagten hätten zum Zeitpunkt der Fesselung, des "Sich-bemächtigens" des Zeugen A. , (noch) nicht die Absicht gehabt, dessen Sorge um sein Wohl zu einer Erpressung auszunutzen (§ 239a Abs. 1 Halbsatz 1 StGB); vielmehr hätten sie sich erst im Verlaufe des Geschehens dazu entschlossen, den Zeugen zur Herausgabe von Geld zu veranlassen. Auch der Tatbestand des § 239a Abs. 1 Halbsatz 2 StGB sei nicht erfüllt. Die Angeklagten hätten die von ihnen geschaffene Bemächtigungslage nicht zu einer Erpressung ausgenutzt. Zur Verwirklichung dieses Tatbestandes sei ein funktioneller Zusammenhang dergestalt erforderlich, dass nach der Vorstellung des Täters die Erpressung während der Dauer der Zwangslage realisiert werden soll. Zwar setze das Vorliegen einer Bemächtigungslage nicht voraus, dass eine Schutz- oder Fluchtmöglichkeit für das Tatopfer gänzlich ausgeschlossen sei. Vorliegend sei indes zu berücksichtigen, dass die Angeklagten während des 20 Minuten dauernden Aufenthalts bei der Justizvollzugsanstalt den Zeugen bei dem Fahrzeug zurückgelassen hätten, so dass für diesen durchaus die Möglichkeit zur Flucht bestanden habe.
- 9
- 1. Die Begründung, mit der das Landgericht die Begehung eines erpresserischen Menschenraubes gemäß § 239a Abs. 1 StGB durch die Angeklagten verneint hat, hält der rechtlichen Prüfung nicht stand.
- 10
- a) Des erpresserischen Menschenraubes macht sich schuldig, wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um die Sorge des Opfers um sein Wohl oder die Sorge eines Dritten um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung gemäß § 253 StGB auszunutzen, oder wer die durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Erpressung ausnutzt. Im Hinblick auf den Anwendungsbereich klassischer Delikte mit Nötigungselementen wie § 177, §§ 249 ff., §§ 253 ff. StGB ist der Tatbestand des § 239a Abs. 1 StGB im Zwei-Personen-Verhältnis allerdings, insbesondere für Fälle des Sichbemächtigens, einschränkend auszulegen. Der Täter muss durch eine Entführung oder in sonstiger Weise die physische Herrschaftsgewalt über das Opfer gewinnen, dadurch eine stabile Bemächtigungslage schaffen und entweder von vornherein beabsichtigen, diese Lage zu einer Erpressung auszunutzen, oder die zu anderen Zwecken hergestellte Verfügungsgewalt über das Opfer zu einer Erpressung ausnutzen. Dabei muss der stabilisierten Bemächtigungslage mit Blick auf die erstrebte Erpressung eine eigenständige Bedeutung zukommen. Damit ist - insbesondere in Abgrenzung zu den Raubdelikten - indes lediglich gemeint, dass sich über die in jeder mit Gewalt oder Drohungen verbundenen Nötigungshandlung liegende Beherrschungssituation hinaus eine weitergehende Drucksituation auf das Opfer gerade auch ausder stabilen Bemächtigungslage ergeben muss. Der erforderliche funktionale Zusammenhang liegt insbesondere dann nicht vor, wenn sich der Täter des Opfers durch Nötigungsmittel bemächtigt, die zugleich unmittelbar der beabsichtigten Erpressung dienen, wenn also Bemächtigungs- und Nötigungsmittel zusammenfallen (vgl. BGH, Urteil vom 31. August 2006 - 3 StR 246/06, NStZ 2007, 32 mwN).
- 11
- b) Danach ist die Annahme des Landgerichts, die Angeklagten hätten sich des Geschädigten zunächst nicht in Erpressungsabsicht bemächtigt, indem sie ihn in die Wohnung des Mitangeklagten T. lockten, dort misshandelten und fesselten, rechtlich nicht zu beanstanden; denn nach den Feststellungen hat dies der Angeklagte F. - mit Einverständnis seines Tatgenossen - getan, um den Geschädigten zur Rede zu stellen und zu bestrafen. Dass die Angeklagten von vornherein beabsichtigten, die geplante Bestrafung des Geschädigten über die körperlichen Misshandlungen und Demütigungen hinaus auch mit einer Geldforderung zu bewirken, lässt sich den bisherigen Feststellungen nicht entnehmen.
- 12
- c) Indes kommt es entgegen der Ansicht des Landgerichts auf der Grundlage des festgestellten Lebenssachverhaltes in Betracht, dass die Angeklagten die durch anhaltende physische Gewalt über das Opfer gekennzeichnete , über längere Zeit bestehende und auch infolge der Fesselung mit einer Sta- bilisierung verbundene Bemächtigungslage zu einer Erpressung ausgenutzt haben, indem sie - ihrem nunmehr gefassten Entschluss, Geld von dem Geschädigten zu fordern, folgend - den Geschädigten nach dessen Misshandlung und Fesselung in der Wohnung fragten, "wie viel er ihnen schulde, um seine Missetat zu begleichen", damit von ihm (konkludent) die Herausgabe von Geld verlangten und dieses Verlangen durch die Aufrechterhaltung der Fesselung oder die mit dieser Forderung konkludent verbundenen Drohung weiterer Misshandlungen durchzusetzen suchten. Damit könnte der Tatbestand des erpresserischen Menschenraubes gemäß § 239a Abs. 1 Halbsatz 2 StGB (Ausnutzungsvariante ) bereits zu diesem Zeitpunkt verwirklicht worden sein; denn diese Tatbestandsalternative ist bereits dann vollendet, wenn der Täter (während der Bemächtigungslage und unter Ausnutzung derselben) den Versuch einer Erpressung begeht (vgl. BGH, Urteil vom 31. August 2006 - 3 StR 246/06, NStZ 2007, 32, 33; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 239a Rn. 12, 14), also unmittelbar zur Nötigung einer Person ansetzt, durch welche dem Vermögen der genötigten (oder einer anderen) Person in (rechtswidriger) Bereicherungsabsicht noch während des Andauerns der Bemächtigungslage ein Vermögensnachteil zugefügt werden soll. Dies wäre etwa der Fall, wenn die Angeklagten davon ausgegangen wären, dass der Geschädigte Geld bei sich hatte und herausgeben könnte. Bereits dann wäre der erforderliche funktionale und zeitliche Zusammenhang zwischen der Bemächtigungslage und der beabsichtigten Erpressung gegeben, so dass es im Hinblick darauf nicht mehr von Bedeutung wäre, ob angesichts der fehlenden Bewachung des Geschädigten während des Zwischenhaltes in der Nähe der Justizvollzugsanstalt die zuvor bestehende Bemächtigungslage beendet war. Ob dieAngeklagten davon ausgingen, dass A. Geld bei sich hatte, kann dem Urteil zwar nicht entnommen werden, liegt indes angesichts des Umstands, dass F. ihn unter dem Vorwand, gemeinsam Drogen konsumieren zu wollen, zu der Fahrt nach D. ver- anlasste, nicht fern. Dass in diesem Fall der Bemächtigungslage die im sogenannten Zwei-Personen-Verhältnis von der Rechtsprechung geforderte eigenständige Bedeutung zukam (BGH, Beschluss vom 22. November 1994 - GSSt 1/94, BGHSt 40, 350, 359; vgl. BGH aaO; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 239a Rn. 7 mwN), ist - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts - nicht zweifelhaft. Die Feststellung, dass der Geschädigte auf die Möglichkeit der Geldabhebung "aus Angst vor weiteren Misshandlungen" hinwies, steht dem nicht entgegen.
- 13
- 2. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revision der Staatsanwaltschaft hat auch Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten erbracht (§ 301 StPO; dazu unten II. 1.).
- 14
- II. Revisionen der Angeklagten
- 15
- 1. Das Urteil des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, soweit die Angeklagten jeweils wegen räuberischer Erpressung verurteilt worden sind.
- 16
- Das Landgericht hat insoweit angenommen, die Angeklagten hätten den Geschädigten gewaltsam und durch die konkludente Drohung mit weiteren Misshandlungen gegen seinen Willen dazu veranlasst, Geld von seinem Konto abzuheben und an den Angeklagten F. zu übergeben. A. sei zu diesem Zeitpunkt aufgrund der vorangegangenen Gewalttätigkeiten und Drohungen seitens der Angeklagten offenkundig stark eingeschüchtert gewesen und habe Angst vor ihnen gehabt. Die Feststellungen des Landgerichts tragen den Schuldspruch wegen räuberischer Erpressung nicht, da insoweit offen bleibt, durch welche Gewalthandlungen oder Drohungen die Angeklagten ihr Opfer vorsätzlich zur Herausgabe des Geldes genötigt haben.
- 17
- a) Der Erpressung macht sich schuldig, wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt und dadurch dem Vermögen des Genötigten oder eines anderen Nachteil zufügt, um sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern (§ 253 Abs. 1 StGB). Bei der räuberischen Erpressung muss der Vermögensnachteil Ergebnis einer das Opfer nötigenden Gewaltausübung oder einer Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben durch den Täter sein (§ 255 StGB; vgl. BGH, Beschluss vom 26. Mai 2011 - 3 StR 318/10, NStZ 2012, 95, 96). Zwischen dem Einsatz des Nötigungsmittels und dem erlangten Vorteil muss - wie beim Raub - ein finaler Zusammenhang bestehen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2006 - 3 StR 3/06, NStZ 2006,
508).
- 18
- b) Nach den bisherigen Feststellungen haben sich die Angeklagten erst nach den Misshandlungen und der Fesselung des Geschädigten entschlossen, von diesem Geld zu fordern. Als finale Nötigungsmittel könnten daher nur eine nach diesem Zeitpunkt erfolgte Gewaltanwendung oder eine (konkludente) Drohung mit der Anwendung weiterer, Leib oder Leben des Opfers gefährdende Handlungen in Betracht kommen. Dass die Angeklagten - über die fortdauernde Fesselung hinaus (vgl. insoweit beim Raub: Fischer, aaO, § 249 Rn. 10 ff.) - danach ihr Opfer weiter körperlich misshandelt hätten, kann den Feststellungen nicht entnommen werden. Weiterhin ergeben die Urteilsgründe nicht, welche konkrete Handlung der Angeklagten das Landgericht als deren konkludente Drohung mit weiteren Misshandlungen des Geschädigten ansieht. Nach den bisherigen Feststellungen käme dafür allenfalls - neben der Aufrechterhal- tung der Fesselung - die Frage der Angeklagten an den Geschädigten in Betracht , "wie viel er ihnen schulde, um seine Missetat zu begleichen" (s. oben I. 1.c)). Solches lässt sich den bisherigen Feststellungen indes nicht hinreichend sicher entnehmen; weiterhin fehlen Feststellungen dazu, dass die Angeklagten mit dieser Frage bzw. der Aufrechterhaltung der Fesselung zugleich in diesem Sinne drohen wollten.
- 19
- 2. Dies führt auf die Revisionen der Angeklagten zur Aufhebung des gesamten Urteils einschließlich der - für sich rechtsfehlerfreien - tateinheitlichen Verurteilungen der Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung.
- 20
- III. Der neue Tatrichter wird zu prüfen haben, ob die Angeklagten sich des erpresserischen Menschenraubes gemäß § 239a Abs. 1 StGB schuldig gemacht haben, indem sie nach ihrer Rückkehr von der Justizvollzugsanstalt den Geschädigten mit seinem Auto in die Innenstadt von O. und dort zur Filiale der Bank in der Absicht verschleppten, ihn im Beisein des Angeklagten F. Geld abheben und an sie auszahlen zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 2006 - 3 StR 366/06, BGHR StGB § 239a Abs. 1 Sichbemächtigen 10).
- 21
- Im Übrigen geben die Verletzungen des Geschädigten, die ihm durch die Angeklagten beigebracht wurden, Anlass zu der Prüfung, ob sich die Angeklagten - wie die Beschwerdeführerin und der Generalbundesanwalt annehmen - einer besonders schweren räuberischen Erpressung gemäß § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a StGB schuldig gemacht haben. Dabei wird zu beachten sein, dass dieser Qualifikationstatbestand voraussetzt, das Opfer werde bei der Tat körperlich schwer misshandelt. Das Vorliegen dieses Merkmals könnte im Hinblick darauf zweifelhaft sein, dass sich die Angeklagten auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen erst nach Abschluss der körperlichen Misshandlungen dazu entschlossen haben, von ihrem Opfer Geld zu fordern (vgl. Fischer, aaO, § 250 Rn. 26 mwN).
(1) Auch wenn ein Jugendlicher mehrere Straftaten begangen hat, setzt das Gericht nur einheitlich Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe fest. Soweit es dieses Gesetz zuläßt (§ 8), können ungleichartige Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel nebeneinander angeordnet oder Maßnahmen mit der Strafe verbunden werden. Die gesetzlichen Höchstgrenzen des Jugendarrestes und der Jugendstrafe dürfen nicht überschritten werden.
(2) Ist gegen den Jugendlichen wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig die Schuld festgestellt oder eine Erziehungsmaßregel, ein Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe festgesetzt worden, aber noch nicht vollständig ausgeführt, verbüßt oder sonst erledigt, so wird unter Einbeziehung des Urteils in gleicher Weise nur einheitlich auf Maßnahmen oder Jugendstrafe erkannt. Die Anrechnung bereits verbüßten Jugendarrestes steht im Ermessen des Gerichts, wenn es auf Jugendstrafe erkennt. § 26 Absatz 3 Satz 3 und § 30 Absatz 1 Satz 2 bleiben unberührt.
(3) Ist es aus erzieherischen Gründen zweckmäßig, so kann das Gericht davon absehen, schon abgeurteilte Straftaten in die neue Entscheidung einzubeziehen. Dabei kann es Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel für erledigt erklären, wenn es auf Jugendstrafe erkennt.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München I vom 3. Januar 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil wird als unbegründet verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern durch dieses Rechtsmittel im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten des Mordes schuldig gesprochen. Nachdem der Senat das erste tatrichterliche Urteil auf die Revision der Staatsanwaltschaft im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben hatte, hat das Landgericht den Angeklagten zu einer Jugendstrafe von zehn Jahren verurteilt. Die in Kroatien erlittene Auslieferungshaft hat es im Verhältnis eins zu eins auf dieverhängte Strafe angerechnet. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf Verfahrensrügen und auf die Sachrüge gestützten Revision die Verurteilung des Angeklagten nach Erwachsenenstrafrecht. Der Angeklagte erhebt Verfahrensrügen und wendet sich gegen die Nichteinbeziehung einer früheren Jugendstrafe (§ 31 Abs. 3 JGG). Er erstrebt eine niedrigere Einheitsjugendstrafe. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg; die Revision des Angeklagten ist unbegründet.
A.
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts im bezüglich des Schuldspruchs rechtskräftig gewordenen Urteil vom 2. März 1999 tötete der Angeklagte im Oktober 1993 im “Westpark” in München einen ihm bis dahin völlig unbekannten Mann mit mehreren Messerstichen. Er wollte sich nach einem Streit mit dem Vater seiner damaligen Freundin abreagieren und irgendein Menschenleben vernichten. Die zunächst zur Entscheidung berufene Jugendkammer hat angenommen, der Angeklagte habe die Tat aus Mordlust und sonstigen niedrigen Beweggründen begangen. Sie hat, beraten durch den Sachverständigen Prof. Dr. Nedopil, auf den zur Tatzeit achtzehn Jahre und sechs Monate alten Angeklagten Jugendstrafrecht angewendet (§§ 1 Abs. 2, 105 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 JGG) und – ausgehend von einer für den Mord an sich zu verhängenden Jugendstrafe von zehn Jahren – im Wege des Härteausgleichs für eine bereits teilweise verbüßte Jugendstrafe von fünf Jahren wegen früherer Delikte auf eine Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten erkannt.Die Staatsanwaltschaft hatte sich in der ersten Hauptverhandlung nicht dagegen gewandt, daß die Strafkammer den Angeklagten nach Jugendstrafrecht verurteilt hat. Ihre Revision richtete sich allein gegen die Höhe der Rechtsfolgen und die Bildung der Einheitsjugendstrafe. Sie hatte im wesentlichen die Verhängung einer selbständigen Jugendstrafe von zehn Jahren für den Mord erstrebt.
Der Senat hat mit Urteil vom 14. Dezember 1999 das Urteil des Landgerichts im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben und in diesem Umfang die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückverwiesen. Aufhebungsgrund war, daß das Landgericht nicht hinreichend geprüft hat, ob aus erzieherischen Gründen von besonderem Gewicht eine weitere Jugendstrafe ohne Einbeziehung der früheren Verurteilungen verhängt werden konnte (§ 31 Abs. 3 JGG). Da der Senat den Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufgehoben hatte, war auch über die Anwendung von Jugendstrafrecht neu zu befinden.
II. Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer hat gegen den Antrag der Staatsanwaltschaft, die eine Verurteilung des Angeklagten zu lebenslanger Freiheitsstrafe gefordert hat, auf diesen erneut Jugendstrafrecht angewendet. Aufgrund eigener Gesamtwürdigung - der Angeklagte hatte sich diesmal nicht von dem Sachverständigen Prof. Dr. Nedopil untersuchen lassen -, ist die Jugendkammer zu dem Ergebnis gekommen, daß beim Angeklagten zum Tatzeitpunkt noch Entwicklungskräfte in größerem Umfang wirksam gewesen waren. Unbehebbare Entwicklungsrückstände, bei deren Vorliegen die Anwendung von Jugendstrafrecht (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG) zweifelhaft sein könne,
hat die Strafkammer nicht feststellen können. Ihm sei eine inzwischen eingetretene Nachreifung nicht abzusprechen. Allerdings sei wegen des noch vorhandenen erheblichen Aggressionspotentials aus erzieherischen Gründen § 31 Abs. 3 JGG anzuwenden. Unter dem Gesichtspunkt des Erziehungszwecks der Strafe lägen Gründe von ganz besonderem Gewicht vor, die es zweckmäßig erscheinen ließen, die Jugendstrafe von zehn Jahren für den Mord als weitere Jugendstrafe zu verhängen. Der Ausnahmetatbestand des § 31 Abs. 3 JGG sei hier auch auf den inzwischen 24 Jahre alten Angeklagten anzuwenden, weil dieser unter Mißachtung der Warnwirkung eines ersten gegen ihn ergangenen Urteils vom 20. Januar 1992 erneut Straftaten begangen habe und auch jetzt noch erziehungsbedürftig sei.
B.
Revision der Staatsanwaltschaft
Die Beschwerdeführerin rügt mit Verfahrensrügen und der Sachrüge, die Jugendkammer habe nicht alle für die Entscheidung nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG wesentlichen Umstände aufgeklärt und erwogen. Sie wäre sonst zu dem Ergebnis gelangt, daß auf den Angeklagten für den begangenen Mord nicht Jugendstrafrecht, sondern Erwachsenenstrafrecht anzuwenden sei. Das Rechtsmittel hat mit der Rüge eines Verstoßes gegen § 261 StPO Erfolg. Eines Eingehens auf die weiteren Verfahrensrügen und die Sachrüge bedarf es nicht.
I. Die Jugendkammer hat für ihre Entscheidung nach § 105 Abs.1 Nr. 1 JGG folgende Feststellungen getroffen:
1a) Der Angeklagte wurde als Kind in Slowenien überwiegend von seiner Großmutter aufgezogen. Er erfuhr bei seinen Eltern, die in München einen Spielsalon betrieben und ihn 1978 nachholten, wenig Rückhalt. Er litt unter der Trennung von der gewohnten Umgebung, konnte sich kaum verständigen und hatte deshalb geringere soziale Entfaltungsmöglichkeiten als gleichaltrige deutsche Kinder. Nach Beendigung der Hauptschule im Jahre 1990 schwänzte er im folgenden Berufsgrundschuljahr den Unterricht und hatte keine Lust mehr zu arbeiten. Mit 15 Jahren schloß er sich einer Jugendclique an und begann mit dem Konsum von Drogen, Tabletten und Alkohol. Eine Ausbildung zum Betonbauer brach er ab. Die Eltern fanden sich schließlich damit ab und gaben ihm Geld, wann immer er es wollte. Er wurde Mitglied der sogenannten Marienplatz -Clique und beging im Zusammenhang damit eine Reihe von Straftaten. Während dieser Zeit spritzte er sich regelmäßig Heroin, trank übermäßig Alkohol und nahm dazu Tabletten.
b) Der Angeklagte beging seit 1991 mit anderen Jugendlichen Diebstähle ; die Gruppe stieg in die Münchner Großmarkthalle ein und stahl Geld und Waren. Eigentumsdelikte gegenüber anderen Jugendlichen beging der Angeklagte mehrfach unter Anwendung von Gewalt. So drohten er und sein Mittäter im Februar 1991 – er war noch 15 Jahre alt - Jugendlichen Schläge an, wenn sie kein Geld hergaben. Um an eine Daunenjacke zu kommen, packte er einen Jugendlichen am Hals und zog den Reißverschluß der Jacke zu. Einem weiteren Opfer gaben der Angeklagte und ein Mittäter Faustschläge ins Gesicht und auf den Kopf sowie einen Tritt in die Nieren. Ein weiteres Opfer “schubste” der Angeklagte gegen eine Steinmauer und versetzte ihm einen Tritt in den linken unteren Rippenbereich. Einem Opfer versetzten sie im Dezember
1991 so heftige Schläge, daß sie zu einer Nasenbeinfraktur führten. Im Jahr 1992 zwangen sie einen Geschädigten auf einer Behindertentoilette mit einer Gaspistole zur Duldung der Wegnahme. Nach seiner Haftentlassung aus der ersten Jugendstrafe entwickelte sich im März 1993 zwischen dem Angeklagten und der17jährigen W. eine Liebesbeziehung, die zunächst harmonisch verlief. Nachdem die Freundin nicht bereit war, ihn sofort zu heiraten und der Angeklagte keine Arbeitserlaubnis erhielt, fiel er wieder in seinen früheren Lebensstil zurück. Er genoß seine Führerrolle, ließ sich das Haupthaar kahl scheren und war auffallend tätowiert. In seinen Kreisen war er angesehen, aber auch gefürchtet, nachdem er bei körperlichen Auseinandersetzungen seine Aggressionen ausagierte und immer mit Messern bewaffnet war. Zu seinen Vorlieben zählten damals Horrorfilme, die ihn insbesondere dann faszinierten, wenn viel Blut floß und Menschen zerstückelt wurden. Gegenüber W. wurde er zunehmend brutaler. Ohrfeigen und andere Gewalttätigkeiten waren an der Tagesordnung, ebenso Sexualpraktiken, die sie abstießen. Ohne jeden Anlaß kam es vor, daß er ihr ein Messer an die Kehle setzte und drohte sie umzubringen.
c) Im September 1993 wurde der Angeklagte von einem Türsteher nicht zu einer Party in ein Freizeitheim eingelassen. Er schlug den Mann mit Fäusten und Füßen und versetzte ihm mit einem Butterfly-Messer auf der Backe einen oberflächlichen Schnitt. Bei einer Auseinandersetzung im November 1993 zwischen seinem Freund und mehreren Türken stach er mit seinem ButterflyMesser mit voller Wucht auf einen Türken ein. Er wollte ihn im Bauch- und Rückenbereich treffen und nahm hierbei den Tod des Opfers zumindest billigend in Kauf. Da der Geschädigte eine wattierte Jacke trug, gelang es dem Angeklagten nicht, mit seinem Messer bis zum zentralen Körperbereich durch-
zudringen. Im Dezember 1993 stellte sich der Angeklagte seiner früheren Freundin W. in den Weg und gab ihr ohne jeden erkennbaren Anlaß sofort mehrere Ohrfeigen. Anschließend würgte er sie mit beiden Händen und schlug ihren Kopf gegen die Wand. Er forderte sie auf mitzukommen, weil “ansonsten etwas passiere”. Am 4. Februar 1994 wurde der Angeklagte verhaftet; er war in der Zeit vom 3. März 1994 bis 6. Oktober 1994 wegen des Verdachts einer Psychose, die der Angeklagte allerdings nur vorgetäuscht hatte, im Bezirkskrankenhaus Haar. Danach war er bis Oktober 1995 in der JVA Stadelheim und bis zu seiner Abschiebung am 24. Januar 1996 in der JVA Ebrach in Haft.
d) In der JVA Ebrach erwies sich der Angeklagte als aufbrausend und jähzornig. Am Tag vor seiner Abschiebung wurde er wieder gewalttätig, als er bei der Essensausgabe einen Hausarbeiter schlug und einen JVA-Beamten würgte. Nach seiner Abschiebung nach Kroatien lebte der Angeklagte im Hause seines Vaters. Im September 1996 versetzte er dort im alkoholisierten Zustand einem Landsmann, der ihn vorher “geschubst” hatte, einen Faustschlag ins Gesicht und einen Fußtritt in den Bauch. Er wurde zu einer Geldstrafe verurteilt.
Nachdem er des Westparkmordes verdächtigt, in Kroatien verhaftet und nach Deutschland eingeliefert worden war, erklärte er im Juli 1998 in der JVA Stadelheim gegenüber einem früheren Freund, der als Zeuge in der vorliegenden Sache gegen ihn ausgesagt hatte, wenn er ihn wieder mal treffe, “fresse er ihn auf”. Gegenüber dem Anstaltspsychiater der JVA, Dr. S. , der im April 1999 den Versuch unternommen hatte, mit dem Angeklagten ein Untersuchungsgespräch zu führen, reagierte der Angeklagte äußerst barsch und wei-
gerte sich Platz zu nehmen. Als er sich drohend vor Dr. S. aufbaute, mußte dieser Hilfe rufen. Der Angeklagte schlug auf einen herbeigerufenen Wachtmeister ein und mußte von fünf Wachtmeistern gebändigt und gefesselt abgeführt werden. Gegenüber dem Anstaltspsychologen und einer Sozialarbeiterin der JVA Nürnberg, die zum Angeklagten in den Jahren 1999 und 2000 Kontakt hatten, zeigte dieser keinerlei Gesprächsbereitschaft; er war aber schnell aufgebracht. Im Juli 2000 sägte der Angeklagte in seiner Zelle in der JVA Stadelheim ein Rohr aus dem Bettgestell und fertigte mit zwei Putzmittelkanistern eine Art Hantel zum Krafttraining an. Die Kanister hatte er sich gegen den Widerspruch der Hausarbeiter mit auf die Zelle genommen. Diese getrauten sich aber nicht, die Kanister herauszuverlangen, weil der Angeklagte äußerst aggressiv war.
2. Wegen des durchgängig gewalttätigen Verhaltens des Angeklagten hat die Jugendkammer geprüft, ob die Anwendung von Jugendstrafrecht hier deshalb ausscheide, weil bei diesem unbehebbare Erziehungsdefizite vorliegen. Sie hat ausgeführt, der Angeklagte habe bis Ende 1993 zahlreiche, mit gravierender Gewalt verbundene Straftaten begangen. In der Folgezeit sei es nur noch zu ganz gelegentlichen “Ausreißern” gekommen, aus denen sich zwar ein noch vorhandenes Gewaltpotential ergebe, die aber den Schluß, der Angeklagte habe sein Verhalten “in unverminderter Form fortgesetzt” nicht zuließen. Die getroffenen Feststellungen zum weiteren Lebenslauf seien nicht geeignet, das Fehlen jeder Nachreifung anzunehmen. Weder durch das einmalige Fehlverhalten in Freiheit noch durch die einzelnen, mehr oder weniger gravierenden Fehlverhaltensweisen während der ca. zweieinhalbjährigen Untersuchungshaft werde die Nachreifung in Frage gestellt, wobei bezüglich der Vor-
fälle in der Untersuchungshaft auf die psychische Belastung durch eine länger andauernde Haft hinzuweisen sei.
a) Im einzelnen spreche für die Nachreifung, daß der Sachverständige Prof. Dr. Nedopil in seinem Gutachten darauf hingewiesen habe, daß er den Angeklagten seit einer Untersuchung in einem früheren Verfahren im Oktober 1994 und in der damaligen Hauptverhandlung im Juli 1995 nunmehr besonnener und ausgeglichener und weniger impulsiv als damals erlebt habe. Der Angeklagte sei zwar nach dem in der Hauptverhandlung gewonnenen Eindruck immer noch impulsiv. Aus den Aussagen der Zeugen aus dem Justizvollzug ergebe sich zwar, daß er bei den drei Vorfällen im Januar 1996, im Juli 1998 und im April 1999 gegenüber anderen aggressiv gewesen sei. Andererseits ergebe sich aber aus der Aussage der Zeugin W. , daß das Aggressionspotential des Angeklagten stark vermindert sei, daß er besonnener geworden sei und er einsehe, früher anderen Unrecht getan zu haben.
b) Auch habe seine frühere Freundin ausgesagt, sie habe in den zwei Jahren von der Abschiebung bis zur Einlieferung in regem brieflichen Kontakt zum Angeklagten gestanden. Sie hätten versucht, ihre Liebesbeziehung aufzuarbeiten. Zu irgendwelchen verbalen Aggressionen sei es nicht gekommen. Auch anläßlich von Telefonaten sei es zu keinen Auffälligkeiten gekommen. Der Angeklagte habe vielmehr wiederholt erklärt, es tue ihm leid, daß er sich ihr gegenüber “schandhaft” verhalten habe.
II. Die Beschwerdeführerin hat mit der als Verstoß gegen § 244 Abs. 2 StPO bezeichneten Verfahrensbeschwerde Erfolg, die Strafkammer habe zwar über einen wesentlichen Vorfall aus dem Jahr 1994 Beweis erhoben, diesen
Vorfall aber bei ihrer Gesamtwürdigung außer Betracht gelassen. Das Landgericht hatte das früher in dieser Sache ergangene Urteil vom 2. März 1999 zum Zwecke der Beweisaufnahme über darin enthaltene Feststellungen verlesen. Daraus ergab sich, daß der Angeklagte im Bezirkskrankenhaus Straubing seinen damals 15 jährigen MitpatientenSt. brutal zusammengeschlagen hat. Dieser Vorfall wird im Urteil nicht gewürdigt, obwohl er angesichts der eingeschränkten Beurteilungsgrundlage - der Angeklagte befindet sich seit der Tat im Oktober 1993 lange Zeit in Haft; er hat therapeutische Angebote abgelehnt und sich vom Sachverständigen nicht untersuchen lassen – bei der Beurteilung des aggressiven Gesamtverhaltens des Angeklagten nicht außer Betracht bleiben durfte. Der Sache nach liegt damit ein Verstoß gegen § 261 StPO vor, den das Revisionsgericht feststellen kann, ohne daß es einer im Revisionsverfahren verbotenen Rekonstruktion der Hauptverhandlung bedürfte (BGH NStZ-RR 2001, 18; BGH StV 1993, 115; StV 1991, 549; w.Nachw. b. Kleinknecht/MeyerGoßner , StPO 45. Aufl. § 261 Rdn. 38a).
Hätten der Verwertung dieses früheren Urteils im Urkundenbeweis rechtliche Hindernisse entgegengestanden, hätte es im übrigen die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) geboten, zu dem der Kammer aus der Verlesung bekannten Vorfall hinreichende Feststellungen zu treffen. Daß der frühere Vorfall sich so wie im früheren Urteil festgestellt auch tatsächlich abgespielt hatte, wird in diesem früheren Urteil ausführlich begründet.
Der Entscheidung des Senats über die Bedeutung der unterlassenen Würdigung des Vorfalls aus dem Jahre 1994 liegen folgende Erwägungen zu Grunde.
1. Ob ein Heranwachsender bei seiner Tat im Sinne des § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG noch einem Jugendlichen gleichstand, ist im wesentlichen Tatfrage, wobei dem Jugendrichter ein erheblicher Beurteilungsspielraum eingeräumt ist (vgl. BGHSt 36, 37 m.w.Nachw.).
a) Das Jugendgerichtsgesetz geht bei der Beurteilung des Reifegrades nicht von festen Altersgrenzen aus, sondern es stellt auf eine dynamische Entwicklung des noch jungen Menschen in dem Lebensabschnitt vom 18. bis zum 21. Lebensjahr ab. Einem Jugendlichen gleichzustellen ist der noch ungefestigte , in der Entwicklung stehende, noch prägbare Heranwachsende, bei dem Entwicklungskräfte noch in größerem Umfang wirksam sind. Hat der Täter dagegen bereits die einen jungen Erwachsenen kennzeichnende Ausformung erfahren, dann ist er nicht mehr einem Jugendlichen gleichzustellen und auf ihn ist das allgemeine Strafrecht anzuwenden. Dabei steht die Anwendung von Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht nicht im Verhältnis von Regel und Ausnahme. § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG stellt keine Vermutung für die grundsätzliche Anwendung des einen oder anderen Rechts auf. Nur wenn der Tatrichter nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten Zweifel nicht beheben kann, muß er die Sanktionen dem Jugendstrafrecht entnehmen (BGHSt aaO S. 40).
b) Nach der Entscheidung des Senats in BGHSt 22, 41, 42 kann die Anwendung des Jugendstrafrechts ausnahmsweise auch dann ungerechtfertigt sein, wenn der Heranwachsende in dieser Phase seine Entwicklung bereits abgeschlossen hat, selbst wenn er noch einem Jugendlichen gleichsteht. Kann nicht mehr erwartet werden, daß er über die erreichte Entwicklungsstufe hinaus gelangt und die im Jugendstrafrecht vorgesehenen Rechtsfolgen bei ihm nicht mehr wirksam werden können, ist auf ihn Erwachsenenstrafrecht anzuwenden.
aa) Jener Entscheidung aus dem Jahr 1968 lag die Beurteilung eines im 19. Lebensjahr stehenden Heranwachsenden nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG zugrunde, der aufgrund eines leichten Schwachsinns und seiner Willensschwäche negative jugendtümliche Züge aufwies und der nach Beurteilung durch einen Sachverständigen über die erreichte Entwicklungsstufe bis zur Vollendung seines 21. Lebensjahres nicht hinaus kommen konnte. Dabei wurde von einem Zustand des Schwachsinns ausgegangen, der als eigenständiges Merkmal nach § 20 StGB als angeborener Intelligenzmangel ohne nachweisbare organische Ursache eingestuft wird (Lenckner/Perron in Schönke /Schröder, StGB 26. Aufl. § 20 Rdn. 18; vgl. zum Unterschied zwischen der medizinischen und der rein juristischen Terminologie beim Schwachsinn Specht in Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung 3. Aufl. 191, 193; Nedopil, Forensische Psychiatrie 2. Aufl. S. 20 f.; Rasch, Forensische Psychiatrie 3. Aufl. S. 71). Der Senat hat in jener Entscheidung die Nichtanwendung von Jugendstrafrecht damit begründet, daß nach dem Wortlaut des § 105 JGG (“nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand..”) und nach dem Zweck der Vorschrift die für Straftaten Jugendlicher vorgesehenen Rechtsfolgen nur “auf den noch unfertigen, noch formbaren Menschen zugeschnitten” seien; bei ihm müßten die auf das Erziehungsbedürfnis abgestellten, nach § 5 JGG auszuwählenden differenzierten jugendstrafrechtlichen Maßnahmen noch eine Besserung und Abschreckung erwarten lassen.
bb) Dieser für den angeborenen Schwachsinn entwickelte Maßstab kann im Fall des Angeklagten nicht unmittelbar gelten. Nach den im Urteil wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Nedopil lag beim Angeklagten zur Tatzeit im Oktober 1993 auf der Grundlage einer ersten Untersu-
chung im Oktober 1994 und aufgrund der Eindrücke in der Hauptverhandlung vom Juli 1995 eine Persönlichkeitsstörung mit ausgeprägten dissozialen und emotional instabilen Zügen nach ICD-10 F 60.2 und 60.3 vor (vgl. Dilling /Mombour/Schmidt (Hrsg.) Internationale Klassifikation psychischer Störungen 4. Aufl. S. 254 ff.). Diese dissoziale Entwicklung sei spätestens ab dem Zeitraum erkennbar, zu dem sich der Angeklagte nach dem Schulabschluß dem Druck seiner Eltern widersetzte. Sie sei so erheblich gewesen, daß sie als schwere andere seelische Abartigkeit nach § 20 StGB anzusehen sei; eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nach § 21 StGB habe aber nicht vorgelegen. Die mangelnde Frustrationstoleranz und die unzureichende Kontrolle bei aggressiver Anspannung hat der Sachverständige vorwiegend auf die mangelnde Reife zurückgeführt und nicht einer chronischen psychischen Störung zugeordnet (UA S. 34).
cc) In der psychiatrischen Begutachtungspraxis wird bei jugendlicher Gewaltdelinquenz insbesondere zwischen zwei Tätertypen unterschieden: Quantitativ im Vordergrund stehen die Aggressionstäter, deren oft in Gruppen ausgeführte Delikte als Symptom einer schon im Grundschulalter begonnenen Sozialverhaltensstörung einzuordnen sind. Defizitäre familiäre Bedingungen, Traumatisierungen, Leistungsschwächen, Drogen- und Alkoholkonsum können dazu führen, daß sich im Erwachsenenalter eine dissoziale oder antisoziale Persönlichkeitsstörung manifestiert (Nedopil aaO S. 217; Specht in Venzlaff /Foerster aaO S. 275, 290; Nedopil aaO S. 151; Rasch aaO S. 265 f. jeweils m.w.Nachw.). Bei solchen Heranwachsenden, die aufgrund schlechter Entwicklungsbedingungen keine Normen und Werte verinnerlicht haben, ist bei der Beurteilung nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG jeweils im Einzelfall zu ermitteln, ob er gegen soziale Normen verstößt, obwohl er sich anders verhalten könnte,
oder ob er aufgrund eines bereits verfestigten negativen Wertesystems nicht mehr dazu in der Lage ist (vgl. Venzlaff aaO S. 237). Ein zweiter jugendlicher Gewalttätertyp begeht solche aggressiven Handlungen, die sich für die Umgebung des Täters überraschend ereignen und scheinbar unerklärlich sind. Dies sind leicht kränkbare Jugendliche, die auch zurückgezogen und einzelgängerisch leben. Bei dieser Gruppe kann die Diagnose zu einer möglicherweise bisher unerkannten psychiatrischen Störung, etwa in Form einer schweren neurotischen Fehlentwicklung, einer Persönlichkeits(entwicklungs)störung oder gar einer schizophrenen Psychose führen (Nedopil aaO S. 217, 218).
Ergibt die Diagnose, daß die Entwicklung des Täters in der Kindheit früh gehemmt worden ist und bereits schwere Schäden, etwa in Form frühkindlicher Deprivationssyndrome vorliegen, kann dies im Ausnahmefall zu schweren Persönlichkeitsstörungen mit tiefgreifender Ich-Kontrolle führen (vgl. Venzlaff aaO S. 238). In diesen Fällen kann das Vorliegen unbehebbarer Entwicklungsrückstände – dem Fall des Schwachsinns nicht unähnlich – erwogen werden.
c) Diesen fachpsychiatrischen Vorgaben und dem in BGHSt 22, 41 entwickelten Maßstab für die Annahme unbbehebbarer Entwicklungsrückstände entnimmt der Senat, daß eine die Chancen jeder Nachreifung gering achtende, pessimistische Prognose völliger Entwicklungsunfähigkeit bereits in der Lebensphase zwischen dem 18. und dem 21. Lebensjahr nur auf einer Zusammenschau aller für die gesamte Entwicklung maßgeblichen tatsächlichen Umstände und nur ausnahmsweise mit Sicherheit zu stellen sein wird (allgemein Schaffstein/Beulke aaO S. 68; Eisenberg, JGG 8. Aufl. § 105 Rdn. 27; Ostendorf aaO; Diemer/Schoreit/Sonnen aaO). Liegen über das tatgegenständliche schwere Tötungsdelikt hinaus weitere erhebliche Gewalthandlungen vor und
stehen – wie im Fall des Angeklagten – Erkenntnisse über den Umgang mit Aggression und Gewalt auch aus den Entwicklungsphasen als junger Erwachsener zur Verfügung, so sind diese Umstände vollständig heranzuziehen und vertieft zu würdigen, bevor ausnahmsweise die weittragende Diagnose unbehebbarer Entwicklungsrückstände ausgesprochen werden kann.
2. Diese Maßstäbe hat die Jugendkammer nicht in jeder Hinsicht beachtet. Sie hat den kurz nach dem kaum erklärbaren Tötungsdelikt im Oktober 1993 geschehenen erneuten Gewaltausbruch im Bezirkskrankenhaus Straubing von 1994 nicht in ihre Erwägungen einbezogen. Dem Urteil ist auch nicht zu entnehmen, ob dem Sachverständigen dieser Vorfall bekannt war. Damit ist nicht erkennbar, ob der Vorfall Einfluß auf die Zuordnung des Angeklagten zu einem der beiden Tätertypen haben oder bestimmend für die bereits länger zurückliegende Diagnose aus der Untersuchung von 1994 sein könnte. Die Jugendkammer hat sich damit der Möglichkeit einer vollständigen Gesamtwürdigung begeben, die auch zum Ergebnis hätte führen können, daß der Angeklagte seit 1991 nicht nur im Zusammenhang mit seiner Jugendclique Diebstahlstaten unter Anwendung von Gewalt begangen hat. Eine vollständige Zusammenschau hätte auch zu dem Schluß führen können, daß der Angeklagte über den Mord von Oktober 1993 hinaus bis heute weiter aggressiv und gewalttätig gegen Personen war und dies auf Störungen beruht, die bereits in der Entwicklungsphase eines Heranwachsenden unbehebbar waren.
Die Annahme der Jugendkammer, beim Angeklagten hätten nur im Zeit- raum seines Straffälligwerdens von 1990 bis Ende 1993 noch Entwicklungskräfte in größerem Umfang gewirkt, trägt dann nicht, wenn er bereits 1994 und in den Folgejahren bis 2000 ohne wesentliche Unterbrechungen nicht uner-
hebliche Gewalt gegen andere Personen ausgeübt hat. Daß eine solche Möglichkeit nicht fernliegend ist, ergibt sich aus der zweiten, der Jugendkammer an die Hand gegebenen beiden Perspektiven des Sachverständigen Prof. Dr. Nedopil : Sei beim Angeklagten das inkriminierte Verhalten nicht mehr zu erwarten , weil er bei weiterer Reifung andere Einstellungen und Verhaltensweisen übernommen habe, sei das Fehlverhalten auf die mangelnde Reife zurückzuführen. Gelange die Kammer aber aufgrund der Beweiswürdigung zu dem Schluß, der Zustand des Angeklagten habe sich seit dem 1994 erstellten Gutachten nicht verändert, dann “bestehe sehr wohl die Möglichkeit, die gegenständliche Tat des Angeklagten als nicht im Zusammenhang mit der noch fehlenden Reife zu sehen”. Insofern müsse unter Berücksichtigung dieses Aspekts rückblickend beim Angeklagten geprüft werden, ob der Mord eher in das Fehlverhaltensmuster des Erwachsenen paßt, als in das Verhaltensmuster des gleichen Menschen als Jugendlicher.
d) Die neu zur Entscheidung berufene Jugendkammer wird – beraten durch den Sachverständigen - die gesamte Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten unter besonderer Berücksichtigung seines Umgangs mit seiner Aggression nach dem Mord im Oktober 1993 und seines Verhaltens im Strafvollzug neu zu bewerten haben. Gelangt die Jugendkammer wiederum zur Anwendung des Jugendstrafrechts, wird sie wiederum die Anwendung der Ausnahmevorschrift § 31 Abs. 3 JGG zu überprüfen haben.
C.
Revision des Angeklagten
I. Die Verfahrensrügen, mit denen der Angeklagte die Behandlung seiner Anträge auf Aussetzung des Verfahrens nach § 246 Abs. 2 StPO rügt, bleiben aus den Gründen, die der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift angeführt hat, ohne Erfolg.
II. Die Sachrüge ist nicht begründet. Es stellt keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler dar, daß das Landgericht nach § 31 Abs. 3 JGG aus erzieherischen Gründen von besonderem Gewicht davon abgesehen hat, in die Verurteilung des Angeklagten zu zehn Jahren Jugendstrafe wegen des Mordes vom Oktober 1993 die frühere, teilweise verbüßte Einheitsjugendstrafe einzubeziehen.
1. Nach der Rechtsprechung des Senats kann in Ausnahmefällen neben einer gesetzlichen Höchststrafe eine andere Jugendstrafe nach § 31 Abs. 3 JGG bestehenbleiben (BGHSt 36, 37, 42 = NStZ 1989, 574 mit Anm. Walter /Pieplow; BGH NStZ 1985, 410; 2000, 263). Beim Widerstreit zweier gesetzlicher Prinzipien des Jugendgerichtsgesetzes - hier Begrenzung der Jugendstrafe (§ 105 Abs. 3 JGG), dort Absehen von der üblichen Einheitsstrafe aus erzieherischen Gründen (§ 31 Abs. 3 Satz 1 JGG) - kann nicht von vornherein generell gesagt werden, die eine Maxime habe grundsätzlich Vorrang vor der anderen. Im Vordergrund steht der Erziehungsgedanke als Basis aller Regelungen des Jugendstrafrechts. Diesem Gedanken trägt § 31 Abs. 3 JGG für den Einzelfall Rechnung - maßgebend ist der konkrete Täter (vgl. BGHSt 22,
21, 23). Andererseits ist zu bedenken, daß sich aus den Vorschriften in § 18 Abs. 1 Satz 2, § 31 Abs. 1 Satz 3, § 105 Abs. 3 JGG zu ergeben scheint, der Gesetzgeber habe auch bei schwersten Straftaten die Möglichkeit der erzieherischen Einwirkung im Strafvollzug auf zehn Jahre begrenzt. Nähere Betrachtung zeigt aber einen grundlegenden Unterschied zu der hier zu beurteilenden Verfahrenslage auf. Während in jenen Vorschriften bestimmt wird, welche Höchstgrenzen der Richter bei der Entscheidung über das Reaktionsmittel auf die in einem bestimmten Verfahren zu beurteilenden Straftaten zu beachten hat, regelt § 31 JGG in seinen Absätzen 2 und 3 den Fall, daß im Augenblick der Entscheidung bereits ein rechtskräftiges, noch nicht erledigtes Erkenntnis wegen früherer Straftaten gegen den Täter vorliegt. Auch insoweit soll es nach § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG (»in gleicher Weise«) bei der Regel des Absatzes 1 verbleiben, wonach unter Beachtung der Höchstgrenzen einheitlich über alle Straftaten zu entscheiden ist. Nach dem Wortlaut von Absatz 3 können aber erzieherische Gründe ein Ausklammern des früheren Urteils rechtfertigen. Die in § 105 Abs. 3 JGG für erforderlich gehaltene ausdrückliche Bindung an die Höchstgrenze der Jugendstrafe kehrt in der einen besonderen Fall betreffenden Vorschrift des § 31 Abs. 3 JGG nicht wieder (dies räumen auch Walter /Pieplow aaO S. 577 ein). Daraus schließt der Senat weiterhin, daß die Höchstgrenzen hier nicht gelten sollen. Das Jugendgerichtsgesetz bietet keinen Anhalt dafür, die nach der Systematik der Vorschriften als zulässig erkannte Überschreitung des Höchstmaßes durch Kumulierung zweier Strafen auf die Fälle zu beschränken, in denen die frühere Strafe den Rahmen bereits (weitgehend) ausgeschöpft hat. Die möglichen Unterschiede in der Fallgestaltung haben vielmehr bei der Prüfung der Frage Berücksichtigung zu finden, ob erzieherische Gründe das Absehen von der Einbeziehung der früheren Taten rechtfertigen.
2. Dem Vorrang des Erziehungsgedankens kann nicht entgegen gehalten werden, der Angeklagte sei bei seiner Verurteilung wegen Mordes am 14. Dezember 1999 bereits 24 Jahre alt gewesen. Eisenberg hat zwar unter Berufung auf die für die Jugendstrafe nicht einschlägige Entscheidung BVerfGE 22, 180, 219f. (diese befaßt sich mit der Unterbringung in einer Erziehungsanstalt nach dem BSHG) eingewandt, es verbiete sich, beim Angeklagten noch auf erzieherische Gründe abzuheben. Dem Staat stehe gegenüber einem Erwachsenen, dem spätestens mit Überschreiten der Grenze von 21 Jahren die nach Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit zustehe, kein Erziehungsanspruch mehr zu (Anm. zum Senatsurteil vom 14. Dezember 1999 in NStZ 2000, 484). Dem Grundgesetz ist aber für den besonderen Bereich des Jugendstrafrechts keine absolute Grenze für die Verhängung einer Jugendstrafe zu entnehmen. Dies entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, daß unter strafrechtlichen Gesichtspunkten der Reifegrad Jugendlicher und Heranwachsender - unabhängig von den sonstigen Gründen, die für die Regelung des Volljährigkeitsalters allgemein gelten - unterschiedlich sein kann. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb in seiner Entscheidung über die vom Jugendrichter anzuordnenden Erziehungsmaßregeln nach § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 JGG eine Fortwirkung des staatlichen Erziehungsrechts auf Heranwachsende angenommen, obschon der Gesetzgeber durch das Neuregelungsgesetz vom 31. Juli 1974 (BGBl. I S.1713) das Volljährigkeitsalter auf 18 Jahre festgesetzt hat und das elterliche Erziehungsrecht zu diesem Zeitpunkt erlischt (BVerfGE 74, 102, 125). Es hat den Gesetzgeber nicht gehindert gesehen , in dem gegenständlich begrenzten Umfang die Erziehungshilfe als jugendgerichtliche Maßregel fortwirken zu lassen. Nur als Anhaltspunkt für die zeitliche Begrenzung des staatlichen Erziehungsrechts für eine gegenüber der Jugendstrafe weniger einschneidende Maßregel hat das Bundesverfassungs-
gericht die Vollendung des 21. Lebensjahres herangezogen, was der Rechtslage beim Inkrafttreten des Grundgesetzes entspricht.
Dem entnimmt der Senat, daß für die Jugendstrafe der Widerstreit zwischen den Prinzipien des § 105 Abs. 3 JGG und denen des § 31 Abs. 3 JGG unverändert bestehen geblieben ist, auch nachdem der Gesetzgeber die Vorschriften des § 105 und des § 31 JGG nach der Herabsetzung des Volljährigkeitsalters nicht geändert hat. Da es den Jugendlichen und den Erwachsenen nicht gibt, mit dem ein Heranwachsender verglichen werden kann, muß das Gericht entsprechend § 105 J GG den Reifegrad eines jungen Straftäters mit Hilfe des Sachverständigen individuell feststellen. Neuere psychiatrische Studien weisen im übrigen darauf hin, daß heute zwar einschneidende Entwicklungsfortschritte um die Vollendung des 18. Lebensjahres nicht zu erwarten sind, daß aber die Folgejahre bis zum 24. Lebensjahr durch fließende Übergänge zum Erwachsenenstatus geprägt sind (Nedopil aaO S. 63).
3. Allerdings müssen für die Anwendung des § 31 Abs. 3 JGG im Einzelfall Gründe vorliegen, die unter dem Gesichtspunkt einer Erziehung eines jungen Erwachsenen von ganz besonderem Gewicht sind (so schon BGH NStZ 1985, 410) und zur Verfolgung dieses Zweckes über die üblichen Strafzumessungsgesichtspunkte hinaus das Nebeneinander zweier Jugendstrafen notwendig erscheinen lassen. Das Landgericht hat dazu ausgeführt, die Einbeziehung der früheren Verurteilung würde dem Angeklagten die Bedeutung seiner Mordtat nicht ausreichend bewußt machen. Angesichts der Ablehnung jeden therapeutischen Gesprächs mit dem Anstaltspsychiater oder Anstaltspsychologen und seines nach wie vor vorhandenen Gewaltpotentials ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, daß die Jugendkammer ausgeführt hat, beim
Angeklagten müsse die erzieherisch nachteilige Annahme unterbunden werden , durch die Bildung einer Einheitsjugendstrafe auch für den abgeurteilten Mord würden die Rechtsfolgen der früheren Taten untergehen oder es würde auf sie verzichtet. Der erzieherische Zweck der verhängten Jugendstrafe von zehn Jahren für einen Mord kann somit beim Angeklagten durch die Konfrontation mit seiner Tat als Mittel der Nacherziehung und Nachreife auch noch im Erwachsenenalter durchaus erreicht werden.
Schäfer Wahl Boetticher Schluckebier Herr RiBGH Hebenstreit ist wegen Urlaubs an der Unterschrift verhindert. Schäfer
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hatte den Angeklagten durch Urteil vom 25. Mai 2009 wegen gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung, wegen Raubs in Tateinheit mit Körperverletzung sowie wegen Bedrohung unter Einbeziehung des auf ein Jahr neun Monate Jugendstrafe lautenden Urteils des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 5. August 2008 zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hob der Senat das Urteil durch Beschluss vom 24. Februar 2010 (2 StR 577/09 - NStZ-RR 2010, 214) im Fall 8 der Urteilsgründe sowie im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen auf und verwies die Sache insoweit an das http://www.juris.de/jportal/portal/t/2p1v/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR006290950BJNE046501309&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/2p1v/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR007510953BJNE007100319&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/2p1v/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR007510953BJNE007100319&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/2p1v/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR007510953BJNE007100319&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 3 - Landgericht zurück. Die neu zur Entscheidung berufene Jugendkammer hat den Angeklagten nunmehr im Fall 8 der Urteilsgründe des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen und ihn zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat zum Strafausspruch Erfolg ; im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
- 2
- Das Landgericht hat die Jugendstrafe aus dem früheren Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 5. August 2008 nicht einbezogen. Diese Strafe hat der Angeklagte in Unterbrechung der Untersuchungshaft nach Erlass des ersten in dieser Sache ergangenen Urteils vollständig verbüßt. Das Landgericht ist der Ansicht, dass eine Einbeziehung dieses Urteils deswegen nicht mehr erfolgen könne (UA S. 50). Das ist rechtsfehlerhaft. Lagen die Voraussetzungen für die Bildung einer Einheitsjugendstrafe im Zeitpunkt des auf die Revision des Angeklagten aufgehobenen Urteils vor, so ist § 31 Abs. 2 JGG auch dann anzuwenden , wenn die früher verhängte Strafe inzwischen vollstreckt ist. Wie bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB (vgl. mwN Senatsbeschluss vom 14. April 2010 - 2 StR 92/10; Fischer, StGB 58. Aufl. § 55 Rn. 6a) ist auch gemäß § 31 Abs. 2 JGG auf die Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt der ersten Tatsachenverhandlung abzustellen (Senat, BGHR JGG § 31 Abs. 2 Einbeziehung 6; BGH, StV 2001, 179; Eisenberg, JGG 14. Aufl. § 31 Rn. 27).
- 3
- Da die dem Strafausspruch zugrunde liegenden Feststellungen rechtsfehlerfrei getroffen sind, hat der Senat sie aufrechterhalten. Der zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatrichter kann ergänzende Feststellungen treffen.
Fischer Appl Schmitt Berger Eschelbach