Gericht

Verwaltungsgericht Würzburg

Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

I.

Der zur Person nicht ausgewiesene Kläger ist nach eigenen Angaben äthiopischer Staatsangehöriger und gehört dem Volk der Oromo an. Der Kläger wurde am 7. Mai 2014 in Stuttgart von der Polizei kontrolliert, konnte sich nicht ausweisen und äußerte ein Asylbegehren. Bei der erkennungsdienstlichen Behandlung wurde eine Eurodac-Recherche durchgeführt, bei der sich ein Treffer für Italien ergab. Der Kläger erhielt eine Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender mit Datum 23. Mai 2014 und wurde an die Aufnahmeeinrichtung nach Zirndorf weitergeleitet, wo er am 16. Juni 2014 einen förmlichen Asylantrag stellte. Am 24. Juli 2014 ging beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Auskunft über die Eurodac-Abfrage ein. Am 3. September 2014 wurde ein Übernahmegesuch an Italien gestellt, auf das die italienischen Behörden auch nach Mahnung nicht antworteten.

Der Kläger wurde am 25. September 2014 beim Bundesamt gemäß § 25 AsylVfG angehört. Dabei gab er u. a. an, sein Asylantrag sei in Italien abgelehnt worden. Er sei dann sehr krank geworden und habe keine medizinische Behandlung erhalten.

Mit Bescheid vom 3. November 2014 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Ziffer 1) und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien an (Ziffer 2).

In der Begründung des Bescheides wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe am 16. Juni 2014 einen Asylantrag gestellt. Nachdem Anhaltspunkte für die Zuständigkeit von Italien vorlägen, sei am 3. September 2014 ein Übernahmeersuchen nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2003 des europäischen Parlamentes und des Rates (Dublin III-VO) an Italien gerichtet worden. Da Italien innerhalb der festgesetzten Frist nicht geantwortet habe, gelte gemäß Art. 25 Abs. 2 der Dublin-VO das Übernahmeersuchen als angenommen und akzeptiert. Dies ziehe die Verpflichtung nach sich, den Kläger aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für dessen Ankunft in Italien zu treffen. Der Asylantrag sei deshalb gemäß § 27a AsylVfG zulässig, da Italien nach der Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Auch das Vorbringen des Klägers im persönlichen Gespräch am 25. September 2014 könnte nicht zu einem Selbsteintritt der Bundesrepublik Deutschland führen. In Italien bestünden auch keine systemischen Mängel des Asylverfahrens, die einer Abschiebung des Klägers nach Italien entgegenstünden.

Der Bescheid wurde dem Kläger am 5. November 2014 zugestellt.

II.

Mit seiner am 12. November 2014 erhobenen Klage ließ der Kläger beantragen,

den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. November 2014 aufzuheben.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, es bestünden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides. In Italien lägen systemische Mängel des Asylverfahrens vor, die einer Abschiebung des Klägers nach Italien entgegenstünden. Dies werde durch viele gerichtliche Entscheidungen bestätigt. Die Anzahl der Flüchtlinge, die die italienische Republik erreichten, sei in letzter Zeit sehr stark angestiegen, deshalb sei davon auszugehen, dass der Kläger in Italien keine Unterkunft und kein ordnungsgemäßes Asylverfahren erhalten werde.

Das Bundesamt beantragte,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hatte mit Beschluss vom 8. Dezember 2014 im Verfahren W 3 S 14.50169 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. November 2014 angeordnet. In den Gründen wurde ausgeführt: Es spreche einiges dafür, dass der Bescheid vom 3. November 2014 rechtswidrig sei, weil das Wiederaufnahmegesuch an Italien nicht innerhalb der Frist nach Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO erfolgt sei. Das Bundesamt habe bei der Asylantragstellung am 16. Juni 2014 Kenntnis von dem Eurodac-Treffer gehabt. Dies ergebe sich aus einem Vermerk auf Bl. 32 der Akte. Somit sei davon auszugehen, dass die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers der zuständige Mitgliedstaat geworden sei.

Das Bundesamt nahm wie folgt Stellung: Es sei nicht zutreffend, dass das Bundesamt spätestens bei der formellen Stellung des Asylantrages durch den Kläger am 16. Juni 2014 Kenntnis von dem vorliegenden Eurodac-Treffer für Italien gehabt habe. Auf dem Formblatt „Niederschrift Teil I“ zum Asylantrag werde unter Ziffer 19 lediglich bestätigt, dass ED-Material (Fingerabdrücke) vorliege. Weitere Informationen seien diesem Blatt nicht zu entnehmen. Erst mit dem beim Antrag erhaltenen ED-Material könne die Abfrage beim BKA angestoßen werden. Die Antwort dauere derzeit durchschnittlich einige Tage bis zwei Wochen, manchmal aber auch - wie vorliegend - länger. Im vergangenen Sommer sei es personalbedingt zu Engpässen beim BKA gekommen und die Masse an Material habe nicht rechtzeitig bearbeitet werden können. Die Eurodac-Meldung habe erst am 24. Juli 2014 das Bundesamt erreicht. Dabei habe es sich nicht um eine nochmalige Abfrage gehandelt, sondern um die erstmalige Mitteilung des Eurodac-Treffers seitens des BKA an die dafür vorgesehene Mailadresse des Bundesamtes. Soweit in der Entscheidung vom Sofortverfahren auf Blatt 32 der Behördenakte Bezug genommen worden sei, handele es sich hierbei um eine sogenannte „Prognosemeldung“, die sich zwar als ein Abbild der Niederschrift zum Asylantrag darstelle, allerdings enthalte diese dann zusätzliche Mitteilungen an die Ausländerbehörde (oben rechts, z. B. dass ein Eurodac-Treffer vorliege). Diese Mitteilung sei aber nicht fristgebunden und erfolge lediglich zur Information der Ausländerbehörde. Dieses Formblatt werde tagesaktuell ergänzt und dann mit den entsprechenden Kreuzchen befüllt und an die Ausländerbehörde versandt. Insbesondere ergebe sich aus dem Kreuzchen, dass ein Eurodac-Treffer vorliege, nicht, wann der Treffer beim Bundesamt eingegangen sei.

International sei nicht genau geregelt, wann die Frist zur Stellung des Übernahmegesuches zu laufen beginne. In Art. 21 Abs. 1 Unterabsatz 2 der Dublin III-VO heiße es „innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Treffermeldung“. Die meisten Mitgliedsstaaten hätten ein zügigeres Auswertungssystem und gingen tatsächlich von der Kenntnis eines Eurodac-Treffers mit der Antragstellung aus. Mit Polen, das eine ähnlich lange Auswertungszeit habe, bestehe eine interne Abmachung, dass erst mit tatsächlicher Übermittlung des Treffers seitens des BKA die Frist beginne. Eine einheitliche Regelung wäre sicher wünschenswert, bestehe aber nicht. Letztlich sei es Sache des Mitgliedsstaates, eine Übernahme wegen Verfristung fristgerecht schriftlich abzulehnen und nicht Sache des nationalen Gerichts, die Zustimmung eines Mitgliedsstaates nachträglich zu revidieren. Die italienischen Behörden hätten - wie in den letzten Monaten kapazitätsbedingt regelmäßig - nicht schriftlich geantwortet, sondern eine Verfristung in Kauf genommen, was gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO einer Stattgabe/Zustimmung zur Übernahme gleichkomme. Dies bedeute, eine Verfristung wäre in diesem Fall sogar unerheblich, da die Übernahme gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO zweifelsfrei akzeptiert worden sei. Die Argumentationen im Eilbeschluss, dass dann wenn sich der Mitgliedsstaat überhaupt nicht äußere, davon auszugehen sei, dass dieser nicht zur Aufnahme bzw. Wiederaufnahme des Asylbewerbers bereit sei, könne nicht gefolgt werden. Letztendlich sei Italien verpflichtet, den Kläger wiederaufzunehmen und den Asylantrag zu prüfen. Italien prüfe auch, die Übernahmeersuchen, auch wenn sie im normalen Dublinverfahren nicht aktiv fristgerecht beantwortet würden. Dies sei daraus zu ersehen, dass die italienischen Behörden sehr wohl reagieren würden, wenn beispielsweise der Betreffende eine Anerkennung in Italien erhalten habe und eine Überstellung im Rahmen des DÜ-Verfahrens nicht durchgeführt werden könne. Der Bescheid sei daher rechtmäßig.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Mit Beschluss der Kammer vom 26. August 2015 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage, über die das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 3. November 2014 erweist sich in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt dieser Entscheidung als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Italien ist für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers gemäß Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) zuständig. Entgegen der Einschätzung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hat das Bundesamt nachvollziehbar und glaubhaft dargelegt, dass es erstmals am 24. Juli 2014 von dem Eurodac-Treffer Kenntnis erhalten hat. Der Antrag auf Aufnahme des Klägers vom 3. September 2014 wurde somit innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Eurodac-Treffermeldung an die italienischen Behörden gerichtet. Zwar haben die italienischen Behörden auf das Aufnahmegesuch nicht geantwortet. Gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO ist jedoch davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wurde, wenn - wie hier - innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Abs. 1 Satz 2 der Dublin III-VO keine Antwort erteilt wird. Dies zieht gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO die Verpflichtung nach sich, die Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für deren Ankunft zu treffen.

Damit ist Italien gemäß Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO verpflichtet, den Kläger innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmegesuchs oder der endgültigen Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser nach Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat, wieder aufzunehmen. Diese Frist, nach deren Ablauf die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht (Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO), ist noch nicht abgelaufen, weil mit Beschluss vom 8. Dezember 2014 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet worden war.

Somit ist Italien für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständig. Die Zuständigkeit zur Bearbeitung des Asylantrags ist auch nicht durch Ausübung eines Selbsteintrittsrechts (vgl. Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO) auf die Beklagte übergegangen. Die Beklagte ist auch nicht aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null verpflichtet, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Andere Ermessensfehler sind ebenfalls nicht ersichtlich. Darüber hinaus liegen außergewöhnliche humanitäre Gründe im Sinne des Art. 16 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO für den Selbsteintritt Deutschlands in die materielle Prüfung des Asylantrags nicht vor.

Es liegt auch kein Übergang der Zuständigkeit auf die Beklagte nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 und 3 Dublin III-VO vor. Danach wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat, wenn es sich als unmöglich erweist, eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für den Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-Grundrechte-Charta - GR-Charta - mit sich bringen und auch eine alternative Überstellung in einen weiteren Mitgliedstaat anhand nachrangiger Zuständigkeitskriterien ausscheidet.

Das Gericht ist davon überzeugt, dass in Italien keine systemischen Mängel des Asylverfahrens sowie der Aufnahmebedingungen in diesem Sinne bestehen.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist eine Überstellung eines Asylbewerbers in einen anderen Mitgliedstaat nur dann zu unterlassen, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der (rück-) überstellten Asylsuchenden im Sinne von Art. 4 GR-Charta zur Folge hätte (EuGH, U. v. 21.12.2011 - C-411/10 u. a. - juris). Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass jeder Verstoß eines zuständigen Mitgliedstaats gegen einzelne unionsrechtliche Bestimmungen zur Folge hätte, dass der Mitgliedstaat, in dem ein (weiterer) Asylantrag eingereicht wurde, daran gehindert wäre, den Asylsuchenden an den zuständigen Staat zu überstellen. Denn eine solche Sichtweise würde den Kern und die Verwirklichung des Ziels der Dublin-VO gefährden, rasch denjenigen Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Entscheidung über einen in der Union gestellten Asylantrag zuständig ist (EuGH, U. v. 21.12.2011, a. a. O.).

Es kommt auch nicht darauf an, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder einer erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Asylsuchender dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war (BVerwG, B. v. 6.2.2014 - B 35/14 - juris).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat für das in Deutschland - im Unterschied zu anderen Rechtssystemen - durch den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägte verwaltungsgerichtliche Verfahren das Kriterium der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für die Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK die Überzeugungsgewissheit verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in einem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U. v. 27.4.2010 -10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 22 m. w. N.) einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Fokussierung der Prognose auf systemische Mängel ist dabei - wie sich aus den Erwägungen des Europäischen Gerichtshofs zur Erkennbarkeit der Mängel für andere Mitgliedstaaten ergibt (U. v. 21.12.2010 - C-411/10 u. a. - juris) - Ausdruck der Vorhersehbarkeit solcher Defizite, weil sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaats angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft, sondern lassen sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelmäßigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der vorgenannten Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Fall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B. v. 19.3.2014 - 10 B 6/14 - und B. v. 6.6.2014 - 10 B 35/14 - beide juris).

Auf Grundlage dieses Maßstabs ist nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht davon auszugehen, dass das italienische Asylsystem an systemischen Mängeln im vorstehend dargestellten Sinne leidet, aufgrund derer die dorthin rücküberstellten Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta oder des Art. 3 EMRK ausgesetzt wären (s. a. VG Würzburg, B. v. 30.4.2015 - W 7 S 15.50069 - n. v.; VG Gelsenkirchen, B. v. 17.12.2014 - 6a L 1837/14.A; B. v. 25.11.2014 - 6a K 3256/14.A -; VG Augsburg, B. v. 29.10.2014 - Au 7 S 14.50263 -; VG Magdeburg, B. v. 12.8.2014 - 1 B 894/14 - alle juris; a. A. VG Darmstadt B. v. 7.5.2014 - 4 L 597/14.DA.A und B. v. 9.5.2014 - 4 L 491/14.DA.A - beide juris). Selbst wenn sich die Situation in Italien für den Kläger schlechter und unsicherer als in der Bundesrepublik Deutschland darstellen sollte, bedeutet dies nicht, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass er in Italien kein der Grundrechtecharta und den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention genügendes Asylverfahren durchlaufen werde. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Asylbewerbern die Durchführung des Asylverfahrens in Italien nicht in rechtsstaatlicher Weise möglich wäre. Dies erweist sich daher auch nicht als systemischer Mangel.

Des Weiteren ist dem Kläger zwar zuzugeben, dass die Zahl der in Italien ankommenden Asylbewerber im Jahr 2015 deutlich gestiegen ist. Ausweislich der Mitteilung des Bundesamts gemäß § 44 Abs. 2 AsylVfG über die voraussichtliche Entwicklung der Zugänge von Asylbegehrenden und den voraussichtlichen Bedarf an Unterbringungsplätzen - Prognosemitteilung - vom 7. Mai 2015 kamen allein bis einschließlich 20. April 2015 nahezu 23.000 Migranten verschiedenster Nationalitäten über den Seeweg von Libyen nach Italien. Dies sind 11% mehr als im Vergleichszeitraum 2014. Italien spielt darüber hinaus auch als Ankunftsland von aus Griechenland und der Türkei kommenden Migranten zunehmend eine Rolle. Hier haben sich im Zeitraum 1. Januar bis 20. April 2015 die Seeanlandungen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verdreifacht (Prognosemitteilung des Bundesamts vom 7. Mai 2015, S. 3). Der aktuellen Presseberichterstattung ist zu entnehmen, dass dieser Zustrom weiterhin anhält (so auch schon die Prognose des Bundesamts im Mai 2015, Mitteilung vom 7. Mai 2015, S. 3). Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass nicht alle in Italien ankommenden Asylbegehrenden tatsächlich in Italien bleiben und dort um Asyl nachsuchen (vgl. VG Potsdam, B. v. 17.6.2015 - 6L 712/15.A - juris). Darüber hinaus wurden in Italien bereits im Jahr 2008 in Abwendung von der früheren zentralen Bearbeitung der Asylverfahren und Vornahme aller Anhörungen in Rom zehn Territorialkommissionen, die dauerhaft für bestimmte Regionen oder Provinzen zuständig sind, geschaffen, um das Asylverfahren effizienter zu gestalten (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Leitfaden Italien, aktualisierte Fassung vom Oktober 2014, S. 6). Bis zum Ende des Jahres 2014 wurde die Zahl der Territorialkommissionen, die die Anträge auf internationalen Schutz prüfen, auf 20 erhöht mit der Möglichkeit der Einrichtung weiterer 30 Subkommissionen in ganz Italien (aida, Country Report Italy, Stand Januar 2015, S. 12 unter Verweis auf Law Decree no. 119/2014; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Leitfaden Italien, aktualisierte Fassung vom Oktober 2014, S. 7). Auch wurden Anstrengungen unternommen, das Registrierungsverfahren für Asylanträge durch ein neues Onlinesystem und interne Anweisungen zu beschleunigen, die Bearbeitung von Einzelfällen im gesamten Verfahren zu verbessern, die Zeit zwischen Antragstellung und Registrierung zu überwachen und Verzögerungen entgegenzuwirken (UNHCR, Empfehlung zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien, Juli 2013, S. 6, Schweizer Flüchtlingshilfe v. 23.4.2015 an VG Schwerin). Darüber hinaus wurde das italienische Asylverfahrensrecht dahingehend geändert, dass nunmehr Anhörungen von Asylbewerbern regelmäßig durch nur einen Befrager stattfinden, um das Verfahren zu beschleunigen (aida, Country Report Italy, Stand Januar 2015, S. 12 unter Verweis auf Law Decree no. 119/2014, das am 23. August 2014 in Kraft getreten ist). Auch die Zahl der Unterbringungsplätze wurde erhöht (aida, Country Report Italy, Stand Januar 2015, S. 53, 58 ff.; AA, Auskunft v. 25.3.2015; Schweizer Flüchtlingshilfe vom 23.4.2015 an VG Schwerin, ausführlich siehe auch OVG Lüneburg, U. v. 25.6.2015 - 11 LB 248/14 - juris Rn. 52 ff.). Dies zeigt, dass Italien Maßnahmen ergriffen hat, um dem Anstieg der Asylbewerberzahlen zu begegnen. Auch wenn es in Einzelfällen Verzögerungen und Schwierigkeiten beim Zugang zum Asylverfahren in Italien geben mag, sind daher systemische Mängel nicht ernsthaft zu befürchten.

Hinzu kommt, dass zwischen Asylsuchenden, die aus einem nicht zur Europäischen Union gehörenden Drittstaat nach Italien einreisen, und Dublin-Rückkehrern zu unterscheiden ist.

Personen, die im Rahmen eines Dublin-Verfahrens nach Italien reisen bzw. überstellt werden und in Italien noch kein Asylgesuch gestellt haben, können ein solches wie jeder andere Asylbewerber auch stellen (aida, Country Report Italy, Stand Januar 2015, S. 30). Bei Ankunft zum Beispiel am Flughafen Fiumicino oder Malpensa müssen sie ihr Asylgesuch im Büro der Questura am Flughafen stellen. Sie erhalten anschließend einen Termin, um sich bei der Questura in Rom bzw. in Varese für die offizielle Registrierung des Asylantrags („verbalizzazione“) zu melden. Bis zu diesem Termin haben sie Zugang zu einer FER-Unterkunft (Unterkünfte finanziert aus dem Fondo europeo per i rifugiati), sofern dort Plätze frei sind (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 13; aida, Country Report Italy, Stand Januar 2015, S. 59). Es ist auch möglich, dass sie kapazitätsabhängig in ein CARA (Centri di accoglienza per richiedenti asilo) in Italien geschickt werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 13). Ferner ist eine Unterbringung auch im SPRAR (Sistema di protezione per richiedenti asilo e rifugiati) und in Gemeindeunterkünften möglich, wobei diese auch Personen mit Schutzstatus offen stehen; nicht möglich ist dagegen eine Unterbringung in Erstaufnahmezentren CSPA und CDA für Bootsflüchtlinge (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 15).

Personen, die während des laufenden Asylverfahrens in ein anderes europäisches Land weitergereist sind, können in einem FER-Projekt untergebracht werden, wenn die Präfektur Varese bzw. Rom für ihr Asylverfahren zuständig ist (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 13). Andernfalls erhalten sie von der NGO am Flughafen ein Zugticket, um in die zuständige Region weiterzureisen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 13). Bis zur Weiterreise können sie in Rom ein paar Tage in einer FER-Unterkunft bleiben, allerdings nur bei freier Kapazität und in Varese nur in Ausnahmefällen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 13). Sie müssen sich bei der zuständigen Questura melden. Dann wird ihr Verfahren wieder aufgenommen, wobei dieselben Wartezeiten gelten wie für andere Asylsuchende (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 13). Für den Zugang zur Unterbringung in einem CARA benötigen sie die Berechtigung der zuständigen Präfektur (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 13; siehe zu den Unterbringungsmöglichkeiten auch aida, Country Report, Stand Januar 2015, S. 54 f.).

Es kommt zwar vor, dass Dublin-Rückkehrer nach ihrer Überstellung mehrere Tage am Flughafen (ohne Schlafplätze) verbringen müssen, bis sie in einer Unterkunft untergebracht werden können. Dies ist jedoch nur manchmal der Fall, also nicht die Regel, sondern die Ausnahme (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 14 m. w. N.). Solche punktuellen Befunde rechtfertigen nicht die Feststellung, dass systemische Mängel bei der Aufnahme von Asylbewerbern in Italien bestehen, die Asylsuchende regelmäßig einer unmenschlichen Behandlung aussetzten. So ist festzustellen, dass die Anzahl der Unterbringungsplätze bis Ende Februar 2015 auf ca. 30.000 erhöht werden konnte, davon CARA/CDA 9.504 und SPRAR 20.596 (AA, Auskunft v. 25.3.2015, S. 2). Auch alternative Unterbringungsmöglichkeiten zu CARA, CPSA und SPRAR wurden eingerichtet und ausgebaut, um den steigenden Flüchtlingsstrom aufzunehmen. So sind in verschiedenen Regionen Italiens zusätzliche Aufnahmezentren (CAS - temporary or emergency accommodation system) geschaffen worden, auf die die Flüchtlinge nach einem bestimmten Schlüssel verteilt werden und in denen Ende Dezember 2014 fast 35.000 Asylsuchende untergebracht waren (aida, Country Report Italy, Stand Januar 2015, S. 12, 61). Ende Februar 2015 beliefen sich die Unterbringungsplätze in temporären Strukturen, wo die Versorgung der Asylbewerber in der Regel sichergestellt ist, auf etwa 37.000 (VG Potsdam, B. v. 17.6.2015 - 6 L 712/15.A - juris Rn. 13 m. w. N.). Hinzu kommt ein Netzwerk an privaten Unterbringungsmöglichkeiten, welches nicht Teil des staatlichen Aufnahmesystems ist, und über das keine Zahlen vorliegen (aida, Country Report Italy, Stand Januar 2015, S. 62). Auch wenn der aktuellen Presseberichterstattung eine steigende Anzahl von auf dem Seeweg nach Italien gelangenden Migranten zu entnehmen ist, führt dies nach alledem nicht zu einer abweichenden Bewertung der insgesamt unionsrechtskonformen Verhältnisse in Italien. Hieraus lässt nicht auf systemische Mängel im Asyl- und Aufnahmesystem Italiens, etwa eine systemische Überforderung der Aufnahmekapazitäten, schließen, zumal ein großer Teil dieser Migranten in andere Mitgliedstaaten weiter wandert (vgl. VG Potsdam, B. v. 17.6.2015 - 6 L 712/15.A - juris Rn. 14).

Auch aus der Entscheidung des EGMR vom 4. November 2014 - Tarakhel ./. Schweiz, Nr. 29217/12 - ergibt sich nichts anderes. Zwar wird in dieser Entscheidung ausgeführt, dass die Anzahl und die Bedingungen in den Aufnahmeeinrichtungen Italiens Befürchtungen zulassen, dass im Einzelfall Asylbewerber ohne Unterkunft bleiben bzw. in überfüllten Einrichtungen untergebracht werden. Der EGMR kam aber ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Struktur und die Gesamtsituation des Aufnahmesystems in Italien nicht mit der Griechenlands vergleichbar ist und keine systemischen Mängel vorliegen (Rn. 114, 115).

Ausgehend von diesen rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten ist nicht erkennbar, dass die italienische Asylverfahrenspraxis systematisch die Grenzen des europäischen Rechts überschreiten würde. Des Weiteren ist weder substantiiert dargelegt worden noch sonst erkennbar, dass gerade der Kläger bei einer Rückkehr nach Italien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen würde. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass es sich bei dem Kläger um einen alleinstehenden Mann handelt, der in Italien weder auf verwandtschaftliche Hilfe noch auf ein soziales Netzwerk zurückgreifen kann. Jedenfalls wenn sich der Kläger dem Asylsystem in Italien unterwirft, hat er im Falle einer Überstellung nach Italien als Asylbewerber Anspruch auf Unterbringung und Verpflegung, dessen Erfüllung - wie bereits ausgeführt - auch zur Überzeugung des Gerichts hinreichend gesichert ist, um systemische Mängel im italienischen Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen für Asylsuchende wie den Kläger sowie eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung des Klägers auszuschließen.

Nach alledem ist der Asylantrag des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell zu prüfen und die Abschiebung des Klägers nach Italien rechtlich zulässig. Wenn ein Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) - hier Italien - abgeschoben werden soll, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann (§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Diese Voraussetzungen liegen vor. Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die die Beklagte im Verfahren nach § 34a AsylVfG selbst zu berücksichtigten hat (BayVGH, B. v. 28.10.2013 - 10 CE 13.2257 - juris), sind weder vorgetragen noch erkennbar.

Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG abzuweisen.

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 101


(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden. (2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung

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(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. (2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag ka

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Gründe I. 1 Der Kläger, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angab

Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 19. März 2014 - 10 B 6/14

bei uns veröffentlicht am 19.03.2014

Gründe I. 1 Der Kläger, ein malischer Staatsangehöriger, reiste im Mai 2009 über den Se

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(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag kann nur durch einen Gerichtsbeschluß, der zu begründen ist, abgelehnt werden.

(3) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(4) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann sie der Vorsitzende unter Fristsetzung auffordern. Die Schriftsätze sind den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln.

(5) Den Schriftsätzen sind die Urkunden oder elektronischen Dokumente, auf die Bezug genommen wird, in Abschrift ganz oder im Auszug beizufügen. Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder sehr umfangreich, so genügt die genaue Bezeichnung mit dem Anerbieten, Einsicht bei Gericht zu gewähren.

Gründe

I.

1

Der Kläger, ein malischer Staatsangehöriger, reiste im Mai 2009 über den Seeweg nach Italien ein und stellte dort einen Asylantrag. Im Juli 2009 stellte er in der Schweiz einen weiteren Asylantrag und entzog sich der Überstellung nach Italien. Auf seinen am 1. Oktober 2010 in Österreich gestellten Asylantrag überstellten ihn die österreichischen Behörden im Juli 2011 nach Italien. Im November 2011 wurde der Kläger in Deutschland aufgegriffen und stellte erneut einen Asylantrag. Dem Übernahmeersuchen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) stimmten die italienischen Behörden im Februar 2012 zu. Daraufhin entschied das Bundesamt mit Bescheid vom 7. Mai 2012, dass der Asylantrag unzulässig sei und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien an. Das Verwaltungsgericht hat seiner dagegen gerichteten Klage stattgegeben, das Oberverwaltungsgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Beschwerde.

II.

2

Die Beschwerde, mit der der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie einen Gehörsverstoß des Berufungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO) rügt, hat keinen Erfolg.

3

1. Die Beschwerde wirft als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf,

"welchen rechtlichen Anforderungen der Begriff der 'systemischen Mängel' unterliegt, insbesondere welcher Wahrscheinlichkeits- und Beweismaßstab für die Annahme erforderlich ist, dass für einen Asylbewerber eine tatsächliche Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden."

4

Diese Frage rechtfertigt mangels Klärungsbedürftigkeit nicht die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Denn sie lässt sich, soweit sie nicht bereits in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt ist, auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung und des nationalen Prozessrechts ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten.

5

Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der im vorliegenden Verfahren (noch) maßgeblichen Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl EU Nr. L 50 S. 1) - Dublin-II-Verordnung - wird ein Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Wie sich aus ihren Erwägungsgründen 3 und 4 ergibt, besteht einer der Hauptzwecke der Dublin-II-Verordnung in der Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft und eine zügige Bearbeitung der Asylanträge zu gewährleisten. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden (EuGH - Große Kammer, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10, N.S. u.a. - Slg. 2011, I-13905 Rn. 78 f. = NVwZ 2012, 417). Daraus hat der Gerichtshof die Vermutung abgeleitet, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta (GR-Charta) sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (EuGH a.a.O. Rn. 80).

6

Dabei hat der Gerichtshof nicht verkannt, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stoßen kann, so dass die ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung an den nach Unionsrecht zuständigen Mitgliedstaat auf unmenschliche oder erniedrigende Weise behandelt werden. Deshalb geht er davon aus, dass die Vermutung, die Rechte der Asylbewerber aus der Grundrechte-Charta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention würden in jedem Mitgliedstaat beachtet, widerlegt werden kann (EuGH a.a.O. Rn. 104). Eine Widerlegung der Vermutung hat er aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln (EuGH a.a.O. Rn. 81 ff.). Ist hingegen ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 GR-Charta zur Folge haben, ist eine Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar (EuGH a.a.O. Rn. 86 und 94).

7

Der Gerichtshof hat seine Überlegungen dahingehend zusammengefasst, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den "zuständigen Mitgliedstaat" im Sinne der Dublin-II-Verordnung zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden (EuGH a.a.O. Rn. 106 und LS 2; ebenso Urteil der Großen Kammer vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11, Puid - NVwZ 2014, 129 Rn. 30). Schließlich hat er für den Fall, dass der zuständige Mitgliedstaat der Aufnahme zustimmt, entschieden, dass der Asylbewerber mit dem in Art. 19 Abs. 2 der Dublin-II-Verordnung vorgesehenen Rechtsbehelf gegen die Überstellung der Heranziehung des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriteriums nur mit dem o.g. Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann (EuGH - Große Kammer, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12, Abdullahi - NVwZ 2014, 208 Rn. 60). Diese Rechtsprechung des Gerichtshofs liegt auch Art. 3 Abs. 2 der Neufassung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (ABl EU L Nr. 180 S. 31) - Dublin-III-Verordnung - zugrunde.

8

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat derartige systemische Mängel für das Asylverfahren wie für die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber in Griechenland in Fällen der Überstellung von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin-Systems der Sache nach bejaht (EGMR - Große Kammer, Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland - NVwZ 2011, 413) und in Folgeentscheidungen insoweit ausdrücklich auf das Kriterium des systemischen Versagens ("systemic failure") abgestellt (EGMR, Entscheidungen vom 2. April 2013 - Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u.a./Niederlande und Italien - ZAR 2013, 336 Rn. 78; vom 4. Juni 2013 - Nr. 6198/12, Daytbegova u.a./Österreich - Rn. 66; vom 18. Juni 2013 - Nr. 53852/11, Halimi/Österreich und Italien - ZAR 2013, 338 Rn. 68; vom 27. August 2013 - Nr. 40524/10, Mohammed Hassan/Niederlande und Italien - Rn. 176 und vom 10. September 2013 - Nr. 2314/10, Hussein Diirshi/Niederlande und Italien - Rn. 138).

9

Für das in Deutschland - im Unterschied zu anderen Rechtssystemen - durch den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägte verwaltungsgerichtliche Verfahren hat das Kriterium der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 22 m.w.N. = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 39) einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Fokussierung der Prognose auf systemische Mängel ist dabei, wie sich aus den Erwägungen des Gerichtshofs zur Erkennbarkeit der Mängel für andere Mitgliedstaaten ergibt (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10 - a.a.O. Rn. 88 bis 94), Ausdruck der Vorhersehbarkeit solcher Defizite, weil sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft, sondern lassen sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der o.g. Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Dann scheidet eine Überstellung an den nach der Dublin-II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat aus. Diesen Maßstab hat das Berufungsgericht der angefochtenen Entscheidung erkennbar zugrunde gelegt.

10

2. Mit der Gehörsrüge macht die Beschwerde geltend, das Berufungsgericht habe zusammen mit seiner Ankündigung vom 8. Oktober 2013, dass erwogen werde, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 130a VwGO zu entscheiden, darauf hingewiesen, dass der 3. Senat des Gerichts in vergleichbaren Fällen ebenso entschieden habe. Trotz entsprechender Aufforderung habe das Berufungsgericht die damals noch nicht abgesetzten Entscheidungen des anderen Senats nicht zugänglich gemacht und auch die Frist zur Stellungnahme nicht verlängert. Die Gehörsrüge greift nicht durch.

11

Aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO ergibt sich, dass eine gerichtliche Entscheidung nur auf solche Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Die Verwertung tatsächlicher Feststellungen aus anderen Verfahren für den zur Entscheidung anstehenden Rechtsstreit unterliegt - nicht anders als andere tatsächliche Feststellungen - dem Gebot des rechtlichen Gehörs (Urteil vom 8. Februar 1983 - BVerwG 9 C 847.82 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 132 = InfAuslR 1983, 184). Dagegen verstößt ein Gericht, wenn es anstelle einer eigenen Beweiserhebung auf Entscheidungen mit umfangreichen tatsächlichen Feststellungen verweist, ohne die Entscheidungen den Beteiligten so zugänglich zu machen, dass sie sich dazu hätten äußern können. Zieht ein Gericht aber andere Entscheidungen nur als bestätigenden Beleg dafür heran, dass andere Gerichte die Lage (einer bestimmten Gruppe) in einem Land tatrichterlich in ähnlicher Weise gewürdigt und deshalb rechtlich die gleichen Schlussfolgerungen gezogen haben, unterliegen solche Bezugnahmen nicht den besonderen Anforderungen des § 108 Abs. 2 VwGO (Urteil vom 22. März 1983 - BVerwG 9 C 860.82 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 133; Beschluss vom 12. Juli 1985 - BVerwG 9 CB 104.84 - Buchholz 310 § 103 VwGO Nr. 8 = NJW 1986, 3154).

12

An diesem Maßstab gemessen erweist sich die Gehörsrüge als unbegründet. Das Berufungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung die Lage der Asylbewerber in Italien unter Auswertung verschiedener Quellen selbstständig tatrichterlich gewürdigt. Es hat die in dem Schreiben vom 8. Oktober 2013 genannten Entscheidungen des 3. Senats des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt ausweislich der Entscheidungsgründe nicht verwertet. Daher ist nicht ersichtlich, wie die angefochtene Entscheidung durch die - sicherlich prozessual ungeschickte - Vorgehensweise des Berufungsgerichts das rechtliche Gehör des Klägers hätte verletzen können. Denn die Auskunftsquellen als Grundlagen der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts waren dem Kläger mit dem gerichtlichen Schreiben vom 8. Oktober 2013 bekannt gegeben worden, so dass er sich dazu äußern konnte.

13

Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

Gründe

I.

1

Der Kläger, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben im Jahr 2009 über den Seeweg nach Italien ein. Er lebte etwa einen Monat in einer Aufnahmeeinrichtung in Sizilien, wurde dort erkennungsdienstlich behandelt und reiste im Herbst 2009 nach Deutschland weiter, ohne in Italien Asyl beantragt zu haben. Im Oktober 2009 stellte er in Deutschland einen Asylantrag, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - im Hinblick auf die Zuständigkeit Italiens nach der Dublin-II-Verordnung als unzulässig ablehnte. Der Kläger wurde daraufhin im Dezember 2009 auf dem Luftweg über den Flughafen Rom-Fiumicino nach Italien überstellt. Im Januar 2011 wurde er erneut in Deutschland angetroffen und stellte wieder einen Asylantrag. Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 27. April 2011 die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien an. Das Verwaltungsgericht hat seiner dagegen gerichteten Klage stattgegeben, das Oberverwaltungsgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Beschwerde.

II.

2

Die Beschwerde, mit der der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend macht, hat keinen Erfolg.

3

Die Beschwerde wirft als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf,

"inwieweit bei der Prognoseentscheidung über beachtliche Wahrscheinlichkeit unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung bei Rückführung in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat individuelle Erfahrungen des Betroffenen im dortigen Mitgliedstaat in erheblichem Maße zu berücksichtigen sind."

4

Damit in Zusammenhang stehe die Frage,

"ob es der Feststellung systemischer Mängel bedarf, wenn einem Betroffenen schon einmal oder ggf. auch mehrmals erniedrigende und unmenschliche Behandlung widerfahren ist, insbesondere nach einer schon einmal erfolgten Überstellung."

5

Die aufgeworfenen Fragen rechtfertigen mangels Klärungsbedürftigkeit nicht die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Denn sie lassen sich, soweit sie nicht bereits in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesverwaltungsgerichts geklärt sind, auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten. Der beschließende Senat hat dazu in seinem Beschluss vom 19. März 2014 - BVerwG 10 B 6.14 - (juris Rn. 5 ff.) ausgeführt:

"Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der im vorliegenden Verfahren (noch) maßgeblichen Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl EU Nr. L 50 S. 1) - Dublin-II-Verordnung - wird ein Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Wie sich aus ihren Erwägungsgründen 3 und 4 ergibt, besteht einer der Hauptzwecke der Dublin-II-Verordnung in der Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft und eine zügige Bearbeitung der Asylanträge zu gewährleisten. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden (EuGH - Große Kammer, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10, N.S. u.a. - Slg. 2011, I-13905 Rn. 78 f. = NVwZ 2012, 417). Daraus hat der Gerichtshof die Vermutung abgeleitet, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta (GR-Charta) sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (EuGH a.a.O. Rn. 80).

Dabei hat der Gerichtshof nicht verkannt, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stoßen kann, so dass die ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung an den nach Unionsrecht zuständigen Mitgliedstaat auf unmenschliche oder erniedrigende Weise behandelt werden. Deshalb geht er davon aus, dass die Vermutung, die Rechte der Asylbewerber aus der Grundrechte-Charta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention würden in jedem Mitgliedstaat beachtet, widerlegt werden kann (EuGH a.a.O. Rn. 104). Eine Widerlegung der Vermutung hat er aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln (EuGH a.a.O. Rn. 81 ff.). Ist hingegen ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 GR-Charta zur Folge haben, ist eine Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar (EuGH a.a.O. Rn. 86 und 94).

Der Gerichtshof hat seine Überlegungen dahingehend zusammengefasst, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den 'zuständigen Mitgliedstaat' im Sinne der Dublin-II-Verordnung zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden (EuGH a.a.O. Rn. 106 und LS 2; ebenso Urteil der Großen Kammer vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11, Puid - NVwZ 2014, 129 Rn. 30). Schließlich hat er für den Fall, dass der zuständige Mitgliedstaat der Aufnahme zustimmt, entschieden, dass der Asylbewerber mit dem in Art. 19 Abs. 2 der Dublin-II-Verordnung vorgesehenen Rechtsbehelf gegen die Überstellung der Heranziehung des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriteriums nur mit dem o.g. Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann (EuGH - Große Kammer, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12, Abdullahi - NVwZ 2014, 208 Rn. 60). Diese Rechtsprechung des Gerichtshofs liegt auch Art. 3 Abs. 2 der Neufassung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (ABl EU L Nr. 180 S. 31) - Dublin-III-Verordnung - zugrunde.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat derartige systemische Mängel für das Asylverfahren wie für die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber in Griechenland in Fällen der Überstellung von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin-Systems der Sache nach bejaht (EGMR - Große Kammer, Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland - NVwZ 2011, 413) und in Folgeentscheidungen insoweit ausdrücklich auf das Kriterium des systemischen Versagens ('systemic failure') abgestellt (EGMR, Entscheidungen vom 2. April 2013 - Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u.a./Niederlande und Italien - ZAR 2013, 336 Rn. 78; vom 4. Juni 2013 - Nr. 6198/12, Daytbegova u.a./Österreich - Rn. 66; vom 18. Juni 2013 - Nr. 53852/11, Halimi/Österreich und Italien - ZAR 2013, 338 Rn. 68; vom 27. August 2013 - Nr. 40524/10, Mohammed Hassan/Niederlande und Italien - Rn. 176 und vom 10. September 2013 - Nr. 2314/10, Hussein Diirshi/Niederlande und Italien - Rn. 138).

Für das in Deutschland - im Unterschied zu anderen Rechtssystemen - durch den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägte verwaltungsgerichtliche Verfahren hat das Kriterium der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 22 m.w.N. = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 39) einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Fokussierung der Prognose auf systemische Mängel ist dabei, wie sich aus den Erwägungen des Gerichtshofs zur Erkennbarkeit der Mängel für andere Mitgliedstaaten ergibt (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10 - a.a.O. Rn. 88 bis 94), Ausdruck der Vorhersehbarkeit solcher Defizite, weil sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft, sondern lassen sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der o.g. Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Dann scheidet eine Überstellung an den nach der Dublin-II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat aus."

6

Aus der zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergibt sich, dass ein Asylbewerber der Überstellung in den nach der Dublin-II-Verordnung für ihn zuständigen Mitgliedstaat mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen für Asylbewerber nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten kann und es nicht darauf ankommt, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war. Das Berufungsgericht hat mit Recht darauf hingewiesen, dass derartige individuelle Erfahrungen vielmehr in die Gesamtwürdigung einzubeziehen sind, ob systemische Mängel im Zielland der Abschiebung des Antragstellers (hier: Italien) vorliegen (UA S. 26). In diesem begrenzten Umfang sind individuelle Erfahrungen des Betroffenen zu berücksichtigen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass persönliche Erlebnisse Betroffener, die - wie hier - einige Jahre zurückliegen, durch neuere Entwicklungen im betreffenden Staat überholt sein können. Individuelle Erfahrungen einer gegen Art. 4 GR-Charta verstoßenden Behandlung führen hingegen nicht zu einer Beweislastumkehr für die Frage des Vorliegens systemischer Mängel (so auch das Berufungsgericht UA S. 26 f.). Weiteren Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union bedarf es zur Beantwortung der von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen nicht.

Tenor

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens,für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17

Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Die 1981 geborene Antragstellerin, nach eigenen Angaben somalische Staatsangehörige, begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Anordnung ihrer Abschiebung in die Niederlande.

Die Antragstellerin, die sich nicht durch Personendokumente auswies, meldete sich erstmals am 21. April 2008 bei der Bundespolizei in ... Im Rahmen der durchgeführten erkennungsdienstlichen Behandlung ergab sich, dass sie bereits in den Niederlanden einen Asylantrag und zwei Folgeanträgen gestellt hatte. Mit Ordnungsverfügung der Stadt ... vom 2. Juni 2008 (Bl. 40 bis 46 der Bundesamtsakte) war angeordnet worden, dass die Antragstellerin durch Anwendung unmittelbaren Zwanges aus der Haft heraus vorrangig in die Niederlande zurückzuschieben sei.

Am 12. Juni 2014 meldete sich die Antragstellerin in ... als Asylsuchende und stellte am 2. Juli 2014 bei der Außenstelle ... des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) einen Asylantrag.

Bei der Regierung von ... wurde die Antragstellerin am 30. Juni 2014 zur Identitätsklärung befragt. Sie gab dabei u. a. an, in Holland erstmals am 3. Januar 2007 einen Asylantrag gestellt zu haben, der noch im Januar 2007 abgelehnt worden sei. Ihre vorübergehende Aufenthaltsgestattung habe sie nicht verlängern lassen und habe sich seit Juli 2007 illegal in Holland aufgehalten. Im April 2008 sei sie in Deutschland aufgegriffen und nach Holland zurückgeschoben worden. In Holland habe sie noch mehrere erfolglose Asylanträge gestellt. Am 22. April 2014 sei sie ein zweites Mal nach Deutschland eingereist. Sie habe kein Asyl beantragt, sei verhaftet und nach Holland zurückgeschoben worden. Dort habe sie bei verschiedenen somalischen Familien gelebt. Am 11. Juni 2014 sei sie zum dritten Mal nach Deutschland eingereist.

In einem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens am 2. Juli 2014 gab die Antragstellerin an, sie habe Somalia am 8. November 2006 verlassen, sei über ... in die Niederlande geflogen und habe sich dort ca. acht Jahre aufgehalten. Sie habe in den Niederlanden am 9. November 2006 einen Asylantrag gestellt. Sie wolle nicht in die Niederlande überstellt werden, da die Lebensumstände dort sehr schlecht gewesen seien. Außerdem sei sie krank und wolle in Deutschland medizinisch versorgt werden.

Das Bundesamt teilte der Antragstellerin nach diesem Gespräch mit, dass es zunächst die Durchführung eines Dublin-Verfahrens prüfen werde.

Ein Abgleich der Fingerabdrücke durch das Bundesamt ergab am 22. April 2014( Bl. 68 bis 76 der Bundesamtsakte) und am 7. August 2014 (Bl. 49 bis 58 der Bundesamtsakte) mehrere Eurodac-Treffer der Kategorie 1 für die Niederlande.

Am 13. August 2014 hat das Bundesamt an die Niederlande ein Wiederaufnahmegesuch gerichtet, das von den dortigen Behörden mit Schreiben vom 20. August 2014 akzeptiert wurde.

Mit Bescheid vom 1. Oktober 2014 lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Antragstellerin als unzulässig ab (Ziffer 1) und ordnete die Abschiebung in die Niederlande an (Ziffer 2).

Der Bescheid wurde der Antragstellerin laut Postzustellungsurkunde am 8. Oktober 2014 zugestellt.

Die Antragstellerin ließ per Telefax-Schreiben am 16. Oktober 2014 Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erheben mit dem Antrag, den Bescheid des Bundesamts vom 1. Oktober 2014 aufzuheben.

Die Klage wird bei Gericht unter dem Aktenzeichen Au 7 K 14.50262 geführt.

Gleichzeitig wurde ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO dahingehend gestellt,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Zur Begründung von Klage und Eilantrag führte die Bevollmächtigte der Antragstellerin im Wesentlichen aus, die Antragstellerin sei eine junge alleinstehende Somali, die seit ca. 2006 in Europa lebe und seit ca. 2007 in Holland obdachlos gewesen sei. Ihr Asylantrag sei in Holland abgelehnt worden. Die Antragstellerin sei in Somalia verheiratet gewesen. Ihr Ehemann sei von Al-Shabaab entführt und wohl getötet worden, da er nicht mehr zurückgekehrt sei. Da die Antragstellerin befürchtet habe, ebenfalls von Al-Shabaab getötet zu werden, sei sie ausgereist. Mittlerweile lebe die Antragstellerin seit ca. acht Jahren in Europa. In Europa habe sie viele Verhaltensweisen angenommen, die hier selbstverständlich, in Somalia jedoch indiskutabel seien. In Somalia würde sie als verwestlicht auffallen. Sie würde verheiratet werden, was ihre Familie entscheiden würde (Zwangsehe). Insofern würde ihr in Somalia eine frauenspezifische Verfolgung drohen. Deswegen hätte ihr in Holland Asyl bzw. ein humanitärer Status gewährt werden müssen. Die Antragstellerin habe berichtet, dass die Verhältnisse in Holland für abgelehnte Asylbewerber unzumutbar seien. Sie habe auf der Straße gelebt und sich immer wieder bei Freunden und Bekannten aufgehalten, um sich zu waschen oder Unterstützung zu erhalten. Bei den anderen Somalis habe sie aber nicht wohnen können. Aufgrund der langen Zeit auf der Straße sei sie psychisch angeschlagen und leide an Depressionen. Atteste würden nachgereicht.

Die Antragsgegnerin legte mit Schreiben vom 17. Oktober 2014 die Behördenakte vor.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die übermittelte Behördenakte verwiesen.

II.

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage (Au 7 K 14.50262) gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 1. Oktober 2014 anzuordnen, hat keinen Erfolg.

Der am 16. Oktober 2014 unter Beachtung der einwöchigen Antragsfrist aus § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG gestellte Antrag, welcher nach der Neufassung von § 34a AsylVfG auch statthaft ist, erweist sich in der Sache als unbegründet.

Die Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 1. Oktober 2014 hat gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit § 75 AsylVfG grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht kann jedoch gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung des Bescheides vorläufig verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheides überwiegt. Bei der insoweit vorzunehmenden Interessenabwägung (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 80 Rn. 146) sind vor allem die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache zu berücksichtigen. Stellt sich bei summarischer Betrachtung heraus, dass die Klage aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben wird, so hat das Aussetzungsinteresse des Antragstellers hinter dem öffentlichen Vollziehungsinteresse zurückzustehen.

Da vorliegend die Erfolgsaussichten der von der Antragstellerin erhobenen Klage als gering einzustufen sind, führt die vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung zu einem Überwiegen des Vollzugsinteresses. Der Bescheid vom 1. Oktober 2014, mit dem das Bundesamt das Asylverfahren für unzulässig erklärt und die Abschiebung der Antragstellerin in die Niederlande angeordnet hat, wird sich im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach als rechtmäßig erweisen.

Ein Asylantrag ist gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In diesem Falle ist gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG durch das Bundesamt die Abschiebung in den zuständigen Staat anzuordnen; einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht.

Hintergrund dieser Bestimmungen ist, dass Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft kraft Verfassungsrechts (Art. 16a Abs. 2 Grundgesetz/GG) als sichere Drittstaaten gelten, während sonstige sichere Drittstaaten durch Gesetz bestimmt werden. Wer sich in einem sicheren Drittstaat aufgehalten hat, bedarf grundsätzlich nicht des Schutzes eines anderen Staates. Bei den Niederlanden handelt es sich um einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union und damit um einen sicheren Drittstaat (§ 26a Abs. 2 AsylVfG).

Die Zuständigkeit der Niederlande zur Durchführung des Asylverfahrens der Antragstellerin ergibt sich aus Art. 18 Abs. 1d, Art. 23 Abs. 2 Satz 1, Art. 25 Abs. 1 Dublin-III-VO. Die niederländischen Behörden haben das Wiederaufnahmeersuchen des Bundesamtes vom 13. August 2014 am 20. August 2014 akzeptiert.

Eine sogenannte verfassungskonforme Reduktion des § 34a AsylVfG ist jedoch für den Fall vorzunehmen, dass sich aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme aufdrängt, dass ein Asylbewerber von einem Sonderfall betroffen ist, der von dem im Grundsatz verfassungskonformen Konzept der „normativen Vergewisserung“ bzw. dem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“, das den Bestimmungen der Art. 16a Abs. 2 GG und §§ 26a, 27a, 34a AsylVfG zugrunde liegt, abweicht (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49)). Zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes kann danach ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ausnahmsweise begründet sein, wenn in dem zuständigen Drittstaat, in welchen der Asylbewerber zurückgeführt werden soll, die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt werden bzw., wenn es ernst zu nehmende, durch Tatsachen gestützte Gründe dafür gibt, dass in diesem Mitgliedsstaat in verfahrensrechtlicher oder materieller Hinsicht nach aktuellen Erkenntnissen kein hinreichender Schutz vor Verfolgung gewährt wird. Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit beispielhaft Sonderfälle gebildet, wie etwa den Fall einer im Drittstaat drohenden Todesstrafe und andere Ausnahmesituationen; ein solcher Sonderfall läge auch dann vor, wenn die Gefahr bestünde, dass der Drittstaat sich des Flüchtlings ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigen könnte.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs muss grundsätzlich die Vermutung gelten, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Richtlinie sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht (EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411 und C-493/10 -NVwZ 2012, 417). Das bedeutet, dass erst dann, wenn sich der betreffende Mitgliedsstaat von der nach dem erwähnten Konzept als generell eingehalten zu vermutenden Verpflichtung gelöst hat, also die allgemein europaweit vereinbarten Mindeststandards aufgrund von innerstaatlichen systemischen Mängeln des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen nicht mehr gewährleistet bzw. gewährleisten kann, für den Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat, in den er zurückgeführt werden soll, kein hinreichender Schutz (mehr) besteht.

Eine solche verfassungskonforme Reduktion von § 34a AsylVfG ist vorliegend nicht angezeigt. Systemische Mängel sind zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung hinsichtlich der Verhältnisse in den Niederlanden nicht erkennbar.

Sie ergeben sich nicht aus der Schilderung der Antragstellerin, dass sie nach der Ablehnung ihres Asylantrags bzw. der Ablehnung ihrer weiteren Asylfolgeanträge in den Niederlanden keinen Anspruch auf staatliche Leistungen mehr hatte. Hierbei handelt es sich nicht um systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im oben geschilderten Sinne. Denn es geht hierbei nicht um Leistungen und Aufnahmebedingungen während der Durchführung des Asylverfahrens. Anders als vom hauptsächlichen Anwendungsbereich der Dublin-Verordnungen erfasst, ist das Asylverfahren der Antragstellerin in den Niederlanden bereits abgeschlossen, wenn auch erkennbar mit einem von ihr nicht erwünschten Ergebnis.

Auch wenn sich die Situation in den Niederlanden damit für die Antragstellerin deutlich schlechter und unsicherer darstellt als in der Bundesrepublik Deutschland, begründet dies für sich genommen keinen systemischen Mangel. Der Verlust des Anspruchs auf staatliche Leistungen stellt sich jedenfalls in einem solchen Fall nicht als eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ausdrücklich festgehalten, dass Art. 3 EMRK die Vertragsparteien nicht verpflichtet, jede Person innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs mit einem Obdach zu versorgen. Die Norm enthalte auch keine allgemeine Pflicht, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu bieten, um ihnen einen bestimmen Lebensstandard zu bieten. Ausländer, die von einer Ausweisung betroffen seien, gewähre die Konvention grundsätzlich keinen Anspruch mit dem Ziel, im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates zu verbleiben, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren, die vom ausweisenden Staat zur Verfügung gestellt werden. Wenn keine außergewöhnlichen zwingenden humanitären Gründe vorlägen, die gegen eine Ausweisung sprächen, sei allein die Tatsache, dass die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse des Antragstellers bedeutend geschmälert würden, falls er oder sie ausgewiesen würde, nicht ausreichend, einen Verstoß gegen Art. 3 EMR zu begründen (EGMR, B.v. 2.4.2013 - 27725/10 - Mohammed Hussein u. a. gegen Niederlande und Italien, ZAR 2013, 336-338, juris Rn. 70 f.).

Gegen systemische Mängel im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen der Niederlande aufgrund der Einstellung staatlicher Leistungen bei Ablehnung des Asylantrags spricht auch die Wertung, welche in Art. 41 Abs. 1 Buchstabe b der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes zum Ausdruck kommt. Danach können die Mitgliedstaaten Ausnahmen vom Recht auf Verbleib im Hoheitsgebiet machen, wenn eine Person nach einer bestandskräftigen Entscheidung, einen ersten Folgeantrag gemäß Artikel 40 Abs. 5 als unzulässig zu betrachten oder als unbegründet abzulehnen, in demselben Mitgliedstaat einen weiteren Folgeantrag stellt. Ist es demnach möglich, einer beständigen Wiederholung von Folgeanträgen durch die Ausweisung des Asylbewerbers zu begegnen, so begegnet es keinen Bedenken, die "Versorgung einzustellen", wenn der Ausreisepflichtige dieser Verpflichtung nicht nachkommt. (vgl. VG Düsseldorf, B.v. 26.2014 - 13 L 171/14.A - juris Rn. 38).

Soweit die Antragstellerin materielle Asylgründe vorträgt, die einer Abschiebung in ihr Herkunftsland Somalia entgegenstehen sollen, können sie in diesem Verfahren nicht berücksichtigt werden. Denn streitgegenständlich ist ausschließlich die im angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung der Unzulässigkeit des Asylantrags in Deutschland aufgrund der Bestimmung des zuständigen Staates zur Durchführung des Asylverfahrens - hier: Niederlande - mit der verfügten Abschiebungsanordnung dorthin.

Nach allem war der Antrag abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

Gründe

1

Der Eilantrag hat keinen Erfolg. Denn die Voraussetzungen für eine Abänderung des Beschlusses 1 B 408/14 MD vom 25.04.2014 gemäß § 80 Abs. 7 VwGO liegen nicht vor.

2

Der Antragsteller hat keine veränderten Umstände oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände vorgetragen, die eine Abänderung der ursprünglichen Entscheidung zu seinen Gunsten zu rechtfertigen vermögen (§ 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO).

3

Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist nicht ersichtlich, dass ihm durch seine Abschiebung in die Niederlande irreversible Nachteile drohen. Systemische Mängel des Asylverfahrens in den Niederlanden sind nicht ersichtlich. Der Verlust des Anspruchs von staatlichen Leistungen für einen abgelehnten und deshalb ausreisepflichtigen Asylbewerber ist keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i. S. v. Art. 4 GrCH bzw. Art. 3 EMRK (VG Düsseldorf, B. v. 26.02.2014 - 13 L 171/14.A -, juris, Rdnr. 38 ff.). Die Abschiebung des Antragstellers in Niederlande verletzt auch nicht seine gemäß Art. 1 Abs. 1 GG zu schützende Menschenwürde. Das Gericht folgt insoweit der gegenteiligen, vom Verwaltungsgericht Darmstadt vertretenen Rechsauffassung, wonach das durch eine Abschiebung in die Niederlande zumindest als möglich erscheint (VG Darmstadt, B. v. 07.05.2014 - 4 L 597/14.DA.A -, juris, Rdnr. 6 ff.; B. v. 08.05.2014 - 4 L 621/14.DA.A -, juris, Rdnr. 7 ff.; B. v. 09.05.2014 - 4 L 491/14.DA.A -, juris, Rdnr. 3 ff.), nicht. Auch für den Fall, dass Anhaltspunkte dafür bestünden, dass in den Niederlanden Angehörige einer bestimmten Gruppe abgelehnter Asylbewerber, die nicht bereits sind, in ihre Heimatländer zurückzukehren oder an ihrer Rückkehr dorthin mitzuwirken, die Obdachlosigkeit sowie fehlende Nahrungsmittelversorgung drohen können (vgl. VG Darmstadt, B. v. 09.05.2014 – a. a. O., Rdnr. 4), verletzt die Abschiebung eines Asylbewerbers in die Niederlande dessen Menschenwürde nicht. Denn der Asylbewerber kann bei einer solchen Verfahrenspraxis die ihm drohende Obdachlosigkeit sowie die fehlende Nahrungsmittelversorgung durch eine aktive Mitwirkung bei der Beschaffung der erforderlichen Heimreisedokumente abwenden. Darüber hinaus ist es auch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Antragsteller in den Niederlanden als politischer Flüchtling anerkannt wird.

4

Soweit der Antragsteller vorträgt, die Abschiebungsanordnung auf der Grundlage des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG verletze Unionsrecht, beruft er sich dabei auf keinen veränderten Umstand i. S. v. § 80 Abs. 7 VwGO. Denn insoweit hat sich seit dem Beschluss des erkennenden Gerichts vom 03.07.2013 weder die Sach- noch die Rechtslage in entscheidungserheblicher Weise geändert. Darüber hinaus ist es vorliegend nicht unverhältnismäßig, dass die Antragsgegnerin - dem vom nationalen Gesetzgeber vorgegebenen Regelfall folgend - die Abschiebung des Antragstellers in die Niederlande angeordnet hat. Denn der Antragsteller hat weder im behördlichen noch im gerichtlichen Verfahren glaubhaft zu erkennen gegeben, sich freiwillig innerhalb kürzester Zeit nach Erlass des streitgegenständlichen Bescheides wieder in die Niederlande oder sein Heimland zu begeben (vgl. VG Göttingen, B. v. 03.01.2014 - 2 B 763/13 -, juris, Rdnr. 30; VG München, B. v. 09.05.2014 - M 21 K 14.30300 -, juris, Rdnr. 47). Die Erklärung des Antragstellers gegenüber dem Landkreis Bitterfeld vom 05.08.2014, er wolle freiwillig ausreisen, steht in keinem zeitlichen Zusammenhang zum Bescheid der Antragsgegnerin vom 07.06.2013 mehr, mit dem sie die Abschiebung des Antragstellers angeordnet hat. Auch ist die Erklärung des Antragstellers vom 05.08.2014 nicht glaubhaft. Denn der Antragsteller hat sich dem ersten Überstellungsversuch am 04.07.2013 entzogen.

5

Der Antragsteller kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, er beabsichtige, mit einer deutschen Staatsanghörigen eine Ehe zu schließen. Die Antragsgegnerin muss wegen der vom Antragsteller angeblich beabsichtigten Eheschließung in Deutschland keine Ermessensentscheidung über die Ausübung des Selbsteintrittsrechts treffen. Denn eine Eheschließung ist unter dem Aspekt des Schutzes nach Art. 6 Abs. 1 GG, 8 und 12 EMRK, Art. 7 und 9 GrCH nur dann abschiebungsrechtlich relevant, wenn sie unmittelbar bevorsteht. Dies ist grundsätzlich nur dann der Fall, wenn ein zeitnaher Eheschließungstermin von dem zuständigen Standesbeamten bestimmt oder zumindest von diesem als unmittelbar bevorstehend bezeichnet ist. Fehlt es schon an einem solchen Eheschließungstermin, kann eine unmittelbare bevorstehende Eheschließung nur dann ausnahmsweise angenommen werden, wenn das Verwaltungsverfahren zur Prüfung der Ehevoraussetzungen nachweislich erfolgreich abgeschlossen ist und die Eheschließung sich nur aus nicht in der Sphäre der Verlobten liegenden Gründen verzögert (VG Ansbach, U. v. 25.11.2010 - AN 11 K 10.30388 -, juris, Rdnr. 25 m. w. N:). Derartiges ist hier weder ersichtlich noch vom Antragsteller glaubhaft gemacht worden. Vorliegend wurde aktenkundig ein Eheschließungstermin weder bestimmt noch steht er bevor. Eine Eheschließung im Inland kann nach Art. 13 Abs. 3 Satz 1 EGBGB grundsätzlich nur unter Einhaltung der hier vorgeschriebenen Form erfolgen. Die Eheschließung in Deutschland muss daher den Formvorschriften des deutschen Ortsrechts genügen. In diesem Zusammenhang soll dem Standesbeamten nach § 1309 Abs. 1 BGB ein Ehefähigkeitszeugnis des Heimatstaats vorgelegt werden. Aber selbst bei Vorlage eines Ehefähigkeitszeugnisses hat der Standesbeamte die Pflicht, den Ledigenstand des ausländischen Verlobten selbständig nachzuprüfen (VG Ansbach, U. v. 25.11.2010 – a. a. O. m. w. N.). Vorliegend ist ein Ehefähigkeitszeugnis aktenkundig weder erteilt noch alsbald mit Erfolg in Aussicht gestellt worden. Von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung, die Abschiebungsschutz hätte vermitteln können, kann daher nach derzeitiger Sachlage gerade nicht ausgegangen werden.

6

Von der Gewährung von (erneuter) Akteneinsicht in die von der Antragsgegnerin zum Hauptsacheverfahren 1 A 222/13 MD vorgelegten Akten hat das Gericht abgesehen. Denn der derzeitige Bevollmächtigte des Antragsstellers hat ausweislich Blatt 67 und Blatt 73 der Gerichtsakte zum Verfahren 1 A 222/13 MD sowohl die Gerichtakte und die zu diesem Verfahren vorgelegten Akten der Antragsgegnerin eingesehen und es ist nicht erkennbar, weshalb der Bevollmächtigte des Antragstellers die nochmalige Einsicht für erforderlich hält.

7

Das Gericht sieht auch keinen Anlass den Beschluss 1 B 221/13 MD vom 03.07.2013 gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO von Amts wegen zu ändern.

8

Das Begehren, der Antragsgegnerin aufzugeben, dem Landkreis Börde mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers unzulässig sei, bleibt aus den genannten Gründen ebenfalls ohne Erfolg.

9

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.