Verwaltungsgericht München Beschluss, 29. Jan. 2018 - M 11 K9 17.70003
Tenor
I. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
die Entscheidung des Gerichts vom 27. September 2017 (M 11 K 16.30612) aufzuheben und das Verfahren fortzusetzen.
II.
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Urteil einreichenVerwaltungsgericht München Beschluss, 29. Jan. 2018 - M 11 K9 17.70003 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).
Tenor
I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage
II.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Dem Antragsteller wird für dieses Verfahren und für das Klageverfahren M 11 K 16.30612 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt; Rechtsanwältin ... wird dem Antragsteller zur Vertretung beigeordnet.
Gründe
I.
Der am ... Januar 1984 geborene Antragsteller ist Staatsangehöriger des Senegal und Volkszugehöriger der Wolof (alles laut eigenen Angaben des Antragstellers).
Er beantragte am
Der Antragsteller wurde am
Zu seinen Asylgründen gab der Antragsteller im Wesentlichen an:
Die Ursache für seine Flucht aus dem Senegal sei seine Homosexualität. Er sei früher bereits einmal in Belgien gewesen und nach seiner Rückkehr von dort in den Senegal habe er dort Probleme wegen seiner Homosexualität gehabt. Er sei am 5. Juni 2012 von einem Arbeitskollegen überrascht worden, der ihn in ... auf der Straße mit einem Freund gesehen habe. Seine Homosexualität lebe er in Deutschland derzeit nicht, da er momentan viel Stress und Sorgen und keinen Anschluss an die Szene habe. Im Übrigen wird auf die Niederschrift über die Anhörung Bezug genommen.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom
Auf die Begründung des Bescheides wird Bezug genommen.
Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom
Gleichzeitig ließ der Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen und
dem Antragsteller Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihm seine Bevollmächtigte als Rechtsbeistand beizuordnen.
Mit Schreiben vom
Die Antragsgegnerin äußerte sich sachlich nicht zum Verfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten dieses Verfahrens sowie des Klageverfahrens und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat Erfolg.
Der Antrag richtet sich darauf, dass die kraft Gesetzes (§ 75 Asylgesetz - AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Entscheidungen des Bundesamts im streitgegenständlichen Bescheid nach § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtordnung (VwGO) i. V. m. § 36 Abs. 3 AsylG angeordnet wird.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Die von der Antragsgegnerin beabsichtigte umgehende Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers im Bundesgebiet stützt sich auf die Annahme des Bundesamts im streitgegenständlichen Bescheid, dass die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter sowie die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich (vgl. §§ 29a, 30 AsylG) nicht vorliegen.
An der Rechtmäßigkeit des Offensichtlichkeitsurteils bestehen ernstliche Zweifel (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
Die hierfür maßgeblichen Darlegungen der Antragsgegnerin - wegen Zweifeln des Einzelentscheiders hinsichtlich der Glaubhaftigkeit des Vortrages des Antragstellers (vgl. insbesondere S. 5 Mitte des streitgegenständlichen Bescheides) zu der von ihm befürchteten Verfolgung wegen seiner Homosexualität wird auf die Unglaubhaftigkeit bzw. Unbeachtlichkeit des gesamten Sachvortrages geschlossen - überzeugen nicht, jedenfalls nicht mit dem für das Offensichtlichkeitsurteil erforderliche Maß.
Vor diesem Hintergrund und auch weil es nicht ausgeschlossen erscheint, dass Homosexuelle im Senegal unter bestimmten Voraussetzungen - insofern abweichend von der allgemeinen Lage im sicheren Herkunftsstaat (§ 29a Abs. 1 AsylG) - eine Verfolgung im Sinne der §§ 3 ff. AsylG zu befürchten haben (vgl. den Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Senegal als sicheres Herkunftsland i. S. d. § 29a AsylVfG, Stand: 8/2015, v. 21.11.2015, S. 11 f.), kann die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass „eine begründete Furcht vor Verfolgung i. S. d. § 3 Abs. 1 AsylG […] insgesamt nicht glaubhaft gemacht“ ist, nicht nachvollzogen werden. Das gilt vor allem vor dem Hintergrund, als im Bescheid die Homosexualität bzw. Bisexualität des Antragstellers als solche nicht in Frage gestellt wird (vgl. S. 4 unten/S. 5 oben im Bescheid). Bei der Bewertung des Vorbringens des Antragstellers als unsubstantiiert, zu pauschal und insgesamt unglaubhaft überspannt die Antragsgegnerin jedenfalls die Anforderungen an die Darlegungserfordernisse eines Asylbewerbers zumindest in Bezug auf das Offensichtlichkeitsurteil. Zwar ist der Antragsgegnerin darin Recht zu geben, dass der Vortrag des Antragstellers durchaus Fragen aufwirft und wegen diverser Umstände Anlass zu Zweifeln gibt; dies gilt auch unter Berücksichtigung des sehr ausführlichen weiteren Vorbringens in der Antrags- und Klagebegründung. Diese Fragen und Zweifel reichen jedoch nicht aus, um das Offensichtlichkeitsurteil zu rechtfertigen. Insbesondere spricht einiges dafür, dass die behauptete Bisexualität zutreffen könnte. Unabhängig von den inhaltlichen Ausführungen in der Stellungnahme des s.u.b. e.V. vom 30. März 2016 spricht schon der Umstand, dass aus dieser Stellungnahme hervorgeht, dass der Antragsteller zwei - nach der ausführlichen fünfseitigen Stellungnahme, die auch auf die persönlichen Umstände des Antragstellers eingeht, zu urteilen, auch längere - Beratungsgespräche in dieser Beratungsstelle für schwule Männer geführt und dabei intime Details von sich preisgegeben hat, dafür, dass das Vorbringen des Antragstellers nicht frei erfunden ist. Ein Mann aus dem Senegal, der keinerlei Beziehung zu einem zumindest bisexuellen Sexualverhalten hat, würde vor seinem kulturellen Hintergrund wohl bereits derartige Gespräche nicht führen. Natürlich ist es nicht undenkbar, dass auch diese Gespräche nur zum Zwecke der Gewinnung einer Bleibeperspektive geführt wurden. Dies wiederum ist aber insgesamt nicht so zu bewerten, dass deswegen das Offensichtlichkeitsurteil gerechtfertigt wäre. Diesen aufgeworfenen Fragen ist vielmehr durch eine persönliche Anhörung des Antragstellers im Hauptsacheverfahren weiter nachzugehen, ggf. auch durch eine Befragung beispielsweise des Unterzeichners der Stellungnahme vom 30. März 2016 oder anderer geeigneter Personen.
Ebenfalls dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleibt die Klärung der Frage, inwieweit die ausweislich der Eurodac-Treffer in Belgien geführten Asylverfahren Auswirkungen haben; ggf. kommt hier in Betracht, dass - entgegen dem streitgegenständlichen Bescheid - in Wirklichkeit nicht ein Asylerstverfahren, sondern ein Folgeverfahren i. S.v. § 71 AsylG vorliegt. Auch wenn der Asylantrag des Antragstellers von der Antragsgegnerin als Erstantrag behandelt wird, könnte das von Amts wegen anders zu beurteilen sein. Dafür kommt es darauf an, ob und wenn ja wie die Verfahren in Belgien abgeschlossen wurden. Zu berücksichtigen wird auch sein, dass jedenfalls nach dem Vortrag des Antragstellers nach Stellung der Asylanträge in Belgien wiederum eine zwischenzeitliche Rückkehr in den Senegal erfolgt ist, wo nach den Angaben des Antragstellers dann wiederum Schwierigkeiten wegen seiner Homo- bzw. Bisexualität auftraten.
Dem (gerichtskostenfreien, § 83b AsylG) Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, ist nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowohl für das Eil- als auch für das zugehörige Klageverfahren ist ebenfalls begründet, weil die Voraussetzungen dafür im Zeitpunkt der Bewilligungsreife vorliegen. Der Antragsteller kann nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen und die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet, wie aus den obigen Ausführungen folgt, hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i. V. m. §§ 114 ff. ZPO).
Dem Antrag auf Beiordnung seiner Bevollmächtigten ist zu entsprechen, weil dem Antragsteller nicht zugemutet werden kann, das Verfahren allein zu führen (§ 166 VwGO i. V. m. 121 Abs. 2 ZPO).
Dieser Beschluss ist - insgesamt, auch bezogen auf die Gewährung von Prozesskostenhilfe - unanfechtbar (§ 80 AsylG).
(1) Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren fortzuführen, wenn
- 1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und - 2.
das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
(2) Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. § 67 Abs. 4 bleibt unberührt. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.
(3) Den übrigen Beteiligten ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
(4) Ist die Rüge nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form oder Frist erhoben, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.
(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können. Für den Ausspruch des Gerichts ist § 343 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden.
(6) § 149 Abs. 1 Satz 2 ist entsprechend anzuwenden.
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.
(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.
(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.
(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren fortzuführen, wenn
- 1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und - 2.
das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
(2) Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. § 67 Abs. 4 bleibt unberührt. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.
(3) Den übrigen Beteiligten ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
(4) Ist die Rüge nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form oder Frist erhoben, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.
(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können. Für den Ausspruch des Gerichts ist § 343 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden.
(6) § 149 Abs. 1 Satz 2 ist entsprechend anzuwenden.