Verwaltungsgericht Minden Urteil, 03. Apr. 2014 - 5 K 3068/11
Tenor
Der Vorausleistungsbescheid der Beklagten vom 29.11.2011 wirdaufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der Kläger Sicherheit in derselben Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Mit dem vorliegenden Verfahren wendet sich der Kläger gegen seine Heranziehung zu einer Vorausleistung auf einen Erschließungsbeitrag für den Ausbau eines Teilstücks der C1. Straße in I1. .
3Diese Straße nimmt ihren Ausgang im Bereich einer Straßenschleife östlich des I2. Bahnhofs und führt dann mit einer Länge von ca. 1,5 km in Richtung Norden bis hin zur Umgehungsstraße B / . Nach ca. 250 m zweigt nach Nordwesten der X. Weg schrägwinklig ab. Nach weiteren ca. 350 m führt sodann in Richtung Osten die T1.------straße ab. Vom X. Weg aus betrachtet reicht nach 85 m die Grenze zwischen den östlichen Anliegergrundstücken Hausnummer 20 und 22 bis an die C1. Straße heran. Von der T1.------straße bis B / ist die C1. Straße eine Kreisstraße. Von der T1.------straße bis zur Schleife stellt sie eine Gemeindestraße dar. Die C1. Straße bis zur T1.------straße existiert bereits seit einem Zeitpunkt weit vor dem 01.01.1900. Die Bebauung an der Straße erfolgte seit 1870, dies jedenfalls für die Teilstrecke ab der Einmündung X. Weg nach Norden.
4Die Teilstrecke der C1. Straße zwischen Schleife und der Grenze Hausnummer 20 wies 1961 bereits über die bei größeren städtischen Straßen seinerzeit üblicherweise vorhandenen Teileinrichtungen Fahrbahn, beidseitige Gehwege, Beleuchtung und Straßenentwässerungsanlage auf. Von daher ging die Beklagte bereits 1961 davon aus, dass es sich bei dieser Teilstrecke um eine sog. vorhandene Erschließungsanlage handelte. Nachdem diese Teilstrecke ab 1962 schadensbedingt neu ausgebaut wurde, nahm die Beklagte deshalb die entsprechende Abrechnung 1965 auf der Grundlage des Straßenbaubeitragsrechts vor.
5Die im vorliegenden Fall der angefochtenen Abrechnung zugrundegelegte Teilstrecke von Hausnummer 20 bis T1.------straße sah die Beklagte dagegen auch noch 2010 als noch nicht fertiggestellte Straßenstrecke an, für deren zukünftigen weiteren Ausbau das Erschließungsbeitragsrecht zum Zuge kommen müsse.
6Diese Teilstrecke verfügte bereits vor 1920 über eine Chaussierung und einen auf der östlichen Seite verlaufenden Gehweg. Auf diesem Teilstück wurde 1922/23 eine Pflasterdecke auf einer Unterbaupacklage aufgebracht. Diese Pflasterdecke wurde jedenfalls nach dem 2. Weltkrieg mehrfach mit einer Teer-Makadam-Decke oder einer Asphaltfeinbetondecke überzogen. So war auch Mitte der 80-er-Jahre eine aufgezogene Decke vorhanden. Seinerzeit existierte auch bereits ein kunstmäßig befestigter Gehweg sowie eine Beleuchtungsanlage bestehend aus 9 Peitschenleuchten an der – vom X. Weg her betrachtet – Ostseite der Straße. In dem hier angesprochenen Teilstück der Straße war ferner vor 1986 bereits ein Mischwasserkanal vorhanden. Wann die vorhandenen Einrichtungen kunstmäßig befestigter Gehweg, Beleuchtungsanlage sowie Entwässerungsrinne mit Anschluss der Straßenfläche installiert worden waren, lässt sich nach Angaben der Beklagten nicht mehr feststellen.
7Nach alledem bestand die C1. Straße mit der eben genannten Teilstrecke auch noch im Jahre 2010 mit folgendem Bauzustand: Ostseitig angelegter plattierter Gehweg hinter Hochbord, ca. 7,80 m breite Fahrbahn mit Asphaltfeinbetondecke auf Kopfsteinpflaster inkl. ostseitiger ein- oder zweizeiliger Entwässerungsrinne und westseitiger dreizeiliger Rinne vor einen provisorisch befestigten Seitenstreifen hinter Straßenleitpfählen, an der Ostseite installierte Beleuchtungseinrichtung aus 9 Peitschenmasten mit Beleuchtungskörpern.
8Für den gesamten westseitig angrenzenden Bereich besteht der Bebauungsplan Nr. 8.67 aus dem Jahre 2009.
9Am 24.11.2011 beschloss der Bau- und Umweltausschuss der Stadt I1. den Ausbau bzw. das von der Verwaltung vorgesehene Ausbauprogramm für die C1. Straße von Hausnummer 20 bis zur Einmündung T1.------straße . Grundlage des Ausbauprogramms waren die 2010 erstellten Lagepläne, bezüglich deren Inhalt auf Bl. 25 – 35 der BA X verwiesen wird.
10Die Fahrbahn und der Gehweg der C1. Straße im Bereich der genannten Teilstrecke wiesen vor dem Ausbau ausweislich von der Beklagten vorgelegter Lichtbilder erhebliche Schäden auf. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 3 – 9 der BA X Bezug genommen.
11Zwischen dem 02.05.2011 und der Abnahme am 07.12.2011 ließ die Beklagte die gesamte Teilstrecke der C1. Straße zwischen Schleife und Einmündung T1.------straße neu ausbauen. Durch diesen Ausbau erhielt die Straße auf dem Teilstück zwischen Hausnummer 20 und T1.------straße eine durchgehend 6,50 m breite Fahrbahn mit komplett neuem Oberbau. An den Fahrbahnseiten wurden neue Entwässerungsrinnen angelegt. Dabei mussten die Anordnung der Sinkkästen und die Lage der Kanalzuläufe geändert und deshalb neu hergestellt werden. An beiden Seiten wurden teilweise gemeinsame Rad-/Gehwege bzw. teilweise reine Gehwege, dabei mit vorgelagerten Radfahrstreifen auf der Fahrbahn, abgetrennt durch durchgehende weiße Streifen, in die Straße eingebracht. Die Beleuchtungsanlage wurde im Wesentlichen belassen.
12Der Kläger ist Eigentümer des Anliegergrundstücks Gemarkung I1. , Flur 25, Flurstück 371 mit 723 qm.
13Mit dem Bescheid vom 29.11.2011 zog die Beklagte den Kläger für das Flurstück 371 zu einer Vorausleistung auf den zu erwartenden Erschließungsbeitragin Höhe von 21.612,77 € (Faktor 1,5 wegen gewerblicher Nutzung x 19,4287 €/m²) heran.
14Der Kläger hat am 23.12.2011 die vorliegende Klage erhoben.
15Er trägt vor:
16Bei der C1. Straße im veranlagten Teilbereich habe es sich nicht um eine Erschließungsanlage im Sinne des Erschließungsbeitragsrechts gehandelt, sondern um eine nicht abrechnungsfähige, reine Durchgangsstraße. Es sei von einer bereits früher erfolgten planmäßigen Herstellung der C1. Straße im jetzt ausgebauten Abschnitt auszugehen. Sie sei bereits nach altem preußischen Satzungsrecht vollständig ausgebaut worden. Eine eventuell vorhanden gewesene Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag sei bereits verjährt.
17Der Kläger beantragt,
18den Vorausleistungsbescheid der Beklagten vom 29.11.2011 aufzuheben.
19Die Beklagte beantragt,
20die Klage abzuweisen.
21Sie führt aus:
22Die C1. Straße habe sich im fraglichen Abschnitt immer in laufender Unterhaltung der Stadt befunden. Die erstmalige endgültige Herstellung sei jedoch erst jetzt erfolgt, so dass die Beitragspflicht in keinem Fall verjährt gewesen sei. Die Voraussetzungen für eine programmgemäß hergestellte Straße im Sinne des Preußischen Anliegerbeitragsrechts hätten bezüglich des maßgeblichen Abschnitts zu keiner Zeit vorgelegen. Auch zwischen 1961 und dem jetzigen Ausbau habe der Zustand dieses Straßenabschnitts stets nur ein Provisorium dargestellt.
23Die Begrenzung der Ausbaustrecke (Abschnitt) sei nach örtlich erkennbaren Merkmalen vorgenommen worden. Am südlichen Ende sei die Verbreiterung des Straßenraums an der nördlichen Grenze des Flurstücks Hausnummer 20 als Begrenzungsmerkmal gesehen worden.
24Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die von der Beklagten herangezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
25Entscheidungsgründe:
26Die Klage ist zulässig und auch sachlich begründet.
27Der angefochtene Vorausleistungsbescheid der Beklagten ist vollständig rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
28Denn die Beklagte hat die mit dem angefochtenen Bescheid vom 29.11.2011 erhobene Vorausleistung zu Unrecht auf der Rechtsgrundlage des Erschließungsbeitragsrechts angefordert. Für ihre Festsetzung wäre allenfalls das Straßenbaubeitragsrecht als Rechtsgrundlage in Frage gekommen (1.). Der auf eine erschließungsbeitragsrechtliche Vorausleistung gerichtete Bescheid kann jedoch nicht – auch nicht teilweise – in einen Bescheid über die Erhebung einer Vorausleistung nach dem Straßenbaubeitragsrecht umgedeutet werden (2).
291. Die Anwendung des Erschließungsbeitragsrechts bezüglich der Abrechnung von Ausbaumaßnahmen an einer Straße setzt voraus, dass es sich bei den Baumaßnahmen um solche handelt, die zu einer erstmaligen Herstellung der Straßeneinrichtungen führen. Gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 i.V.m. Ziffer 1 BauGB umfasst der Erschließungsaufwand nur die Kosten für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlagen. Eine Straßenbaubeitragspflicht lösen deshalb nur diejenigen Herstellungen aus, die als nochmalige oder nachmalige Herstellung einer (bereits zuvor erstmalig hergestellten) Anlage zu begreifen sind.
30Vgl. zur Anwendung des Erschließungsbeitragsrechts: OVG NRW,Urteil vom 28.02.1995 – 15 A 4244/92 –; Driehaus, Erschließungs- u. Ausbaubeiträge, 9. A. 2012, § 2 Rdrn. 22; Dietzel/Kallerhoff,Das Straßenbaubeitragsrecht nach § 8 KAG NRW, 8. A. 2013 Rdnr. 15.
31Die C1. Straße mit der von der Beklagten dem angefochtenen Vorausleistungsbescheid zugrunde gelegten Teilstrecke zwischen Einmündung T1.------straße und Hausnummer 20 stellte im entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Ergehens dieses Bescheides eine bereits endgültig hergestellte (bzw. fertiggestellte) Straßenstrecke dar.
32Dabei kann offen bleiben, ob diese Teilstrecke bis zum Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes im Jahre 1961 bereits den Zustand einer fertiggestellten Straße erlangt hatte, ob sie also bis dahin bereits einmal als eine sog. vorhandene Erschließungsanlage i.S.v. § 180 Abs. 2 BBauG/§ 242 Abs. 1 BauGB zu gelten hatte. Denn die o.g. Teilstrecke der C1. Straße hatte jedenfalls nach dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes und zwar im Zeitpunkt 1986 die Qualität einer endgültig hergestellten Straße erlangt.
33Eine Anbaustraße ist erschließungsbeitragsrechtlich erstmalig endgültig hergestellt, wenn sie erstmals die nach dem satzungsmäßigen Teileinrichtungsprogramm und dem (dieses bezüglich der flächenmäßigen Teileinrichtungen ergänzenden) Bauprogramm erforderlichen Teileinrichtungen aufweist und diese dem jeweils für sie aufgestellten technischen Ausbauprogramm entsprechen
34BVerwG, Urteil vom 10.10.1995 – 8 C 13.94 –, KStZ 96, 213;OVG NRW, Beschluss vom 29.08.1996 – 3 A 264/95 –.
35Diese Voraussetzungen waren mit dem am 25.06.1986 erfolgten Inkrafttreten der 4. Satzung zur Änderung der Satzung der Stadt I1. über die Erhebung des Erschließungsbeitrags vom 24.06.1986 i.V.m. dem seinerzeit vorhandenen Ausbauzustand der C1. Straße auf der hier maßgeblichen Teilstrecke erfüllt.
36Die Straße wies zunächst die nach § 10 Abs. 1 der genannten Satzung erforderlichen Teileinrichtungen auf, nämlich eine Beleuchtungsanlage (mit neun Peitschenmasten), eine Straßenentwässerungseinrichtung (Anschluss über Einläufe an den Mischwasserkanal) sowie Verkehrsflächen mit ausreichender Befestigung, nämlich Fahrbahn mit Deckschicht auf Kopfsteinpflaster und Packlage sowie einen einseitig plattierten Gehweg. Während die bis zu der aufgezeigten Satzungsänderung vorhandenen Herstellungsmerkmalsregelungen der bis zum 25.06.1986 geltenden Erschließungsbeitragssatzungen – zuletzt Satzung vom 13.09.1978 in der Fassung der 3. Änderungssatzung vom 14.02.1983 – in § 10 Abs. 1 lit. (b) bestimmten, dass Straßen (erst) endgültig hergestellt waren, wenn sie – was die flächenmäßigen Teileinrichtungen anlangt – u.a. beiderseitige Gehwege … aufwiesen, ließ der neue Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 der Änderungssatzung aus dem Jahre 1986 bezüglich der flächenmäßigen Teileinrichtungen „Verkehrsflächen mit ausreichender Befestigung…“ für die endgültige Herstellung auch das Vorhandensein eines einseitigen Gehweges ausreichen.
37Das erkennende Gericht hat ferner davon auszugehen, dass die 1986 vorhandenen flächenmäßigen Teileinrichtungen entsprechend einem für ihre Anlegung jeweils aufgestellten, auf die erstmalige endgültige Herstellung abzielenden Bauprogramm und einem dieses ergänzenden Ausbauprogramm hergestellt wurden. Zwar enthalten die von der Beklagten vorgelegten und nach deren eigener Aussage nur lückenhaften Verwaltungsvorgänge betreffend die Zeit bis zum Ausbau des Jahres 2011 keine Aussagen zur Existenz solcher Bauprogramme. Es dürfte allerdings die Annahme gerechtfertigt sein, dass bezüglich der erstmaligen endgültigen Herstellung von Teileinrichtungen für eine seit älterer Zeit längenmäßig gewachsene, aus dem Innenstadtbereich einer größeren Stadt wie I1. herausführenden Ausfallstraße, an der ‑ wie hier ‑ zwei Güterbahnhöfe und zumindest ein großes Gewerbeunternehmen gelegen waren, auch Bauprogramme erstellt waren ‑ und seien es auch nur solche einfachster Art ‑, die die anzulegenden Teileinrichtungen aufwiesen.
38Sollte man sich dem nicht anschließen, wäre gleichwohl aus dem Mangel an genügenden Feststellungen zur Frage vorhandener Bauprogramme für die frühere Anlegung der Fahrbahn und des einseitigen Gehweges der vorliegend maßgeblichen Teilstrecke der C1. Straße auch noch nicht zwingend zu schließen, dass solche Bauprogramme tatsächlich nicht existierten. Angesichts des eben aufgezeigten Erfahrungssatzes wäre das Vorhandensein solcher Bauprogramme jedenfalls nicht vollends auszuschließen. Es müsste deshalb als völlig offen angesehen werden, ob die erforderlichen Bauprogramme für die erstmalige Anlegung der Fahrbahn und des einseitigen Gehweges vorhanden waren. Insoweit wären auch keine weiteren Möglichkeiten der Aufklärung gegeben. Diese Unaufklärbarkeit der angesprochenen Tatsachenfrage ginge zu Lasten der Beklagten. Denn steht fest, dass überhaupt eine funktionstüchtige Straße vorhanden war, trifft die Gemeinde die Feststellunglast bzw. materielle Beweislast bezüglich aller Tatsachen, die im Zusammenhang damit stehen, ob der Ausbauzustand dieser Straße den Anforderungen genügt hat, die an die endgültige Fertigstellung zu stellen waren. Die Beklagte hätte demgemäß zu belegen gehabt, dass die Anlegung der angesprochenen Teileinrichtungen durchgehend bis zu dem jetzt streitbefangenen Ausbau nicht auf der Grundlage entsprechender Bauprogramme erfolgte, sondern nur ein Provisorium darstellen sollte. Dabei würde der Wille der Gemeinde allein, eine der satzungsmäßigen Ausbauweise entsprechende Herstellung nur als Provisorium anzusehen, nicht ausreichen, um die endgültige Herstellung zu verneinen.
39Vgl. zu alledem: Driehaus, a.a.O., § 2 Rdnrn. 30 u. 31 undBVerwG, Urteil vom 15.05.2013 - 9 C 3.12 -, juris, Rdnr. 21.
40Dieser Nachweis ist der Beklagten jedoch nicht möglich, und zwar auch schon deshalb, weil sie keine Angaben dazu machen kann, wann genau der einseitige Gehweg und die Fahrbahn in dem bis 2011 vorhandenen Zustand – Gehweg mit Plattenbelag, Fahrbahn mit einer Deckschicht auf Kopfsteinpflaster – oder zuvor bereits in einer anderen Art angelegt worden sind.
412. Der damit rechtswidrige auf die Erhebung einer Vorausleistung auf einen Erschließungsbeitrag gerichtete Bescheid der Beklagte vom 29.11.2011 kann nicht
42– auch nicht wenigstens in einem Teilumfang – in einen Vorausleistungsbescheid betreffend die Anforderung einer Vorausleistung auf einen Straßenbaubeitrag für die streitbefangene Ausbaumaßnahme des Jahres 2011 umgedeutet werden.
43Gemäß § 1 Abs. 3, § 12 Abs. 1 Ziff. 3 lit. b) KAG i.V.m. § 128 Abs. 1 AO kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Verfahrensform rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Eine solche Umdeutung kann auch durch das Gericht erfolgen
44vgl. BVerwG, Beschluss vom 09.04.2009 – 3 B 116.08 – juris.
45Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der materiellen Rechtmäßigkeit ist dabei der Zeitpunkt, in dem der umzudeutende Verwaltungsakt erlassen wurde, also nicht etwa der Zeitpunkt, in dem die Behörde oder das Gericht die Umdeutung vornimmt
46vgl. OVG NW, Urteil vom 11.07.1991 – 2 A 795/90 – NVwBl 92, 142.
47Ob die Umdeutung eines Beitragsvorausleistungsbescheides in einen Vorausleistungsbescheid bezüglich einer anderen Beitragsart ausscheidet, wenn zwischenzeitlich die endgültige Beitragspflicht bezüglich der anderen Beitragsart entstanden ist, bedarf deshalb hier keiner weiteren Erörterung.
48Die Umdeutung des angefochtenen Bescheides in einen Vorausleistungsbescheid, mit dem ein Straßenbaubeitrag erhoben würde, hatte vorliegend jedenfalls auszuscheiden, weil für einen solchen Bescheid die Voraussetzungen nicht vorlagen. Es hätte nämlich daran gefehlt, dass der Ermittlungsraum, auf den die Beklagte ihre (angefochtene) Vorausleistungserhebung bezogen hat (Teilstrecke T1.------straße bis Hausnummer 20) für eine straßenbaubeitragsrechtliche Beitragserhebung oder Vorausleistungsfestsetzung geeignet war.
49Was abzurechnende Anlage im Sinne des Straßenbaubeitragsrechts ist, richtet sich in erster Linie nach der gemeindlichen Straßenbaubeitragssatzung. Hat eine Gemeinde – wie hier mit der Wendung in § 1 der Beitragssatzung „Anlagen im Bereich der öffentlichen Wege und Plätze“ – den spezifisch straßenbaubeitragsrechtlichen Anlagebegriff gewählt, ist für die räumliche Abgrenzung der Anlage grundsätzlich auf das Bauprogramm abzustellen. Das Bauprogramm legt die räumliche Ausdehnung der Anlage fest und bestimmt, wo, was und wie ausgebaut werden soll, und zwar so konkret, dass festgestellt werden kann, ob die Anlage endgültig hergestellt ist.
50Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 06.11.1996 – 15 B 369/96 –,NVwZ – RR 98, 70.
51Weiter ist erforderlich, dass die Anlage hinsichtlich ihrer Erschließungsfunktion einem Abrechnungsgebiet zugeordnet ist, das hinsichtlich des Kreises der erschlossenen Grundstücke genau und überzeugend abgegrenzt werden kann, und dass die Anlage so begrenzt ist, dass alle Grundstücke erfasst werden, denen durch die Ausbaumaßnahme annähernd gleiche wirtschaftliche Vorteile geboten werden. Die Abgrenzung der Anlage selbst muss deshalb nach örtlich erkennbaren Merkmalen oder nach rechtlichen Gesichtspunkten erfolgen, wie dies auch für die Bildung von Abschnitten einer Erschließungsanlage erforderlich ist
52vgl. Dietzel/Kallerhoff, a.a.O., Rdnr. 46.
53Die von der Beklagten gewählte südliche Begrenzung der Anlage bei „Hausnummer 20“ erfüllte diese Anforderungen nicht. An der genannten Stelle ist eine rechtliche Grenze, die die in eine Anlage einzubeziehende Straßenfläche genau abzugrenzen vermochte, nicht vorhanden. Die auf die Straßenparzelle treffende nördliche Grenzlinie des Grundstücks Hausnummer 20 ist insoweit nicht geeignet, weil sie sich auf der Straßenfläche nicht fortsetzt.
54An der im angefochtenen Bescheid angesprochenen Stelle „Hausnummer 20“ befindet sich aber auch kein örtlich erkennbares Merkmal für eine Anlagenbegrenzung. Insoweit kommt die nach den Angaben der Beklagten im Klageverfahren für eine erschließungsbeitragsrechtliche Abschnittsbegrenzung angeblich geeignete, im Lageplan erkennbare eckförmige Aufweitung der Straßenfläche an der Ostseite der Straße bei Station 0 + 346.00 nicht ernsthaft in Betracht. Sie ist nicht prägnant genug, um als taugliches Abgrenzungsmerkmal dienen zu können, dies zumal festzustellen ist, dass im gesamten Verlauf der Ausbaustrecke diverse weitere Aufweitungen vorzufinden sind, so etwa auf der Westseite bei Station 0 + 607.00 und auf der Ostseite bei den Stationen 0 + 573.00 und 0 + 597.00.
55Gegen den damit angesprochenen Abgrenzungsfehler und die daraus abzuleitende Folge der Rechtswidrigkeit einer auf den vom Beklagten gewählten Ermittlungsraum zu beziehenden Straßenbaubeitragserhebung oder auch nur einer dahingehenden Vorausleistung kann die Beklagte nicht zu Recht einwenden, dass eine geeignete Anlagenbegrenzung im gerichtlichen Verfahren durch das Gericht gewählt werden könne und müsse. Denn für die straßenbaubeitragsrechtliche Anlagenbildung bestehen in aller Regel mehrere Möglichkeiten, weil ein Abweichen vom festgesetzten Bauprogramm zulässig und zuweilen auch geboten ist
56vgl. dazu: Dietzel/Kallerhoff, a.a.O., Rdnrn. 45 u. 48.
57Die Behörde hat deshalb einen Spielraum bei der Festlegung der Anlagenbegrenzung. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich eine Begrenzung anhand eines örtlich erkennbaren Merkmals nicht als einzig sachgerechte Lösung aufdrängt. So lagen die Verhältnisse auch vorliegend.
58Denn eine Anlagenbegrenzung entsprechend einem örtlichen Merkmal wäre durchaus auch bei der Einmündung des X. Weges in die C1. Straße oder gar – da die C1. Straße von der Schleife bis zur T1.------straße in einem Zug ausgebaut worden ist – bei der Einmündung der H.----straße in die C1. Straße oder der Einmündung der C1. Straße in die Schleife in Frage gekommen. Eine entsprechende Vornahme der Begrenzung durch das Gericht würde einen unzulässigen Eingriff in den Spielraum der Beklagten bei der Anlagenbildung bedeutet haben.
59Da nach alledem bereits die Voraussetzungen für einen auf einen geeigneten Ermittlungsraum bezogenen straßenbaubeitragsrechtlichen Beitragsbescheid nicht vorlagen, kann offenbleiben, ob einer Umdeutung auch entgegenstünde, dass es sich bei beiden Vorausleistungsentscheidungen um Ermessensentscheidungen handelt.
60Vgl. dazu: VG Lüneburg, Urteil vom 26.11.2013 - 3 A 193/12 -,juris, Rdnr. 37.
61Schließlich kann auch dahinstehen, ob der erörterte Übergang von dem angefochtenen erschließungsbeitragsrechtlichen Vorausleistungsbescheid auf einen entsprechenden straßenbaubeitragsrechtlichen Vorausleistungsbescheid nicht im Wege der Umdeutung, sondern nur durch eine einfache Umstellung auf die entsprechende Rechtsgrundlage hätte erfolgen können
62vgl. dazu näher: OVG NW, Urteil vom 31.01.2003 – 3 A 385/00 –,juris, unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 04.06.1993 – 8 C 99.51 –KStZ 94, 32.
63Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Ziff. 11, 709, 711 ZPO.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Minden Urteil, 03. Apr. 2014 - 5 K 3068/11
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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Wirken sich Bebauungspläne, städtebauliche Sanierungsmaßnahmen, städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen oder Stadtumbaumaßnahmen voraussichtlich nachteilig auf die persönlichen Lebensumstände der in dem Gebiet wohnenden oder arbeitenden Menschen aus, soll die Gemeinde Vorstellungen entwickeln und mit den Betroffenen erörtern, wie nachteilige Auswirkungen möglichst vermieden oder gemildert werden können. Die Gemeinde hat den Betroffenen bei ihren eigenen Bemühungen, nachteilige Auswirkungen zu vermeiden oder zu mildern, zu helfen, insbesondere beim Wohnungs- und Arbeitsplatzwechsel sowie beim Umzug von Betrieben; soweit öffentliche Leistungen in Betracht kommen können, soll die Gemeinde hierauf hinweisen. Sind Betroffene nach ihren persönlichen Lebensumständen nicht in der Lage, Empfehlungen und anderen Hinweisen der Gemeinde zur Vermeidung von Nachteilen zu folgen oder Hilfen zu nutzen oder sind aus anderen Gründen weitere Maßnahmen der Gemeinde erforderlich, hat die Gemeinde geeignete Maßnahmen zu prüfen.
(2) Das Ergebnis der Erörterungen und Prüfungen nach Absatz 1 sowie die voraussichtlich in Betracht zu ziehenden Maßnahmen der Gemeinde und die Möglichkeiten ihrer Verwirklichung sind schriftlich darzustellen (Sozialplan).
(3) Steht die Verwirklichung einer Durchführungsmaßnahme durch einen anderen als die Gemeinde bevor, kann die Gemeinde verlangen, dass der andere im Einvernehmen mit ihr die sich aus Absatz 1 ergebenden Aufgaben übernimmt. Die Gemeinde kann diese Aufgaben ganz oder teilweise auch selbst übernehmen und dem anderen die Kosten auferlegen.
(1) Ein fehlerhafter Verwaltungsakt kann in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Finanzbehörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind.
(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Finanzbehörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für die betroffene Person ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsakts. Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte.
(3) Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden.
(4) § 91 ist entsprechend anzuwenden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.