Verwaltungsgericht Mainz Beschluss, 19. Dez. 2012 - 6 L 1665/12.MZ
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Gericht
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage 6 K 1663/12.MZ gegen die kommunalaufsichtliche Entscheidung des Antragsgegners vom 22. Oktober 2012 wird wiederhergestellt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 7.500,00 € festgesetzt.
Gründe
- 1
Der Antrag des Antragsstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die für sofort vollziehbar erklärte kommunalaufsichtliche Entscheidung des Antragsgegners vom 22. Oktober 2012 wiederherzustellen, ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung geht vorliegend zu Gunsten des Antragstellers aus, da sich die angefochtene Entscheidung aufgrund der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung bereits als rechtswidrig erweist.
- 2
Mit der angefochtenen Entscheidung hat der Antragsgegner gemäß § 42 Abs. 2 Gemeindeordnung (GemO) die durch den Bürgermeister der Verbandsgemeinde H. erfolgte Aussetzung der Beschlüsse des Ortsgemeinderates der Ortsgemeinde H. vom 27. August 2012 bestätigt. Diese Bestätigung der Aussetzung der genannten Beschlüsse ist rechtswidrig, da der Bürgermeister der Verbandsgemeinde H. die genannten Beschlüsse des Ortsgemeinderates nicht gemäß § 42 Abs. 1 GemO hätte aussetzen dürfen.
- 3
Der Bürgermeister der Verbandsgemeinde H. hat die Ratsbeschlüsse gemäß § 69 GemO i.V.m. § 42 Abs. 1 GemO ausgesetzt, da er der Ansicht war, dass durch die Teilnahme von Frau S. an der Ortsgemeinderatssitzung gegen die Bestimmungen der Unvereinbarkeit von Amt und Mandat gemäß § 5 Kommunalwahlgesetz (KWG) verstoßen worden sei und daher die Beschlussfassungen rechtswidrig seien. Diese Ansicht trifft nicht zu. Denn ein Verstoß gegen § 5 KWG liegt nicht vor.
- 4
Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 KWG darf ein gewähltes Mitglied des Gemeinderats nicht gleichzeitig hauptamtlich als Beamter oder als Beschäftigter (soweit er nicht überwiegend körperliche Arbeit verrichtet) der Verbandsgemeinde, der die Gemeinde angehört, tätig sein. Nach § 5 Abs. 3 KWG scheidet das Gemeinderatsmitglied mit Übernahme einer solchen Tätigkeit aus dem Gemeinderat aus. Frau S. gehört als Praktikantin nicht zu dem in § 5 Abs. 1 Nr.2 KWG genannten Personenkreis. Sie ist nicht Beamtin. Sie gehört aber auch nicht zum Kreis der Beschäftigten.
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Wer Beschäftigter ist, ist in der Gemeindeordnung nicht definiert. Der Begriff kommt aus dem Tarifvertragsrecht für den öffentlichen Dienst. Durch den am 1. Oktober 2005 in Kraft getretenen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst und den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder vom 12. Oktober 2006 wurde die bisherige Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern beseitigt. Sowohl Angestellte als auch Arbeiter werden im öffentlichen Dienst seitdem als Beschäftigte bezeichnet. Durch den Klammerzusatz in § 5 Abs. 1 Nr. 2 KWG hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die Unvereinbarkeitsbestimmungen nicht für solche Beschäftigte gelten, die bisher als Arbeiter bezeichnet wurden. Es geht also nach wie vor um den Personenkreis, der früher als Angestellte bezeichnet wurde (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 KWG in der Fassung vom 31. Januar 1994, wonach ein Mitglied des Gemeinderats nicht gleichzeitig hauptamtlich Beamter oder Angestellter der Verbandsgemeinde, der die Gemeinde angehört, tätig sein durfte). Auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten kann und darf es nur um die Gruppe gehen, die früher als Angestellte des öffentlichen Dienstes bezeichnet wurde. Denn Art. 137 Abs. 1 GG sieht nur vor, dass die Wählbarkeit von Beamten, Angestellten des öffentlichen Dienstes, Berufssoldaten, freiwilligen Soldaten auf Zeit und Richtern im Bund, in den Ländern und den Gemeinden gesetzlich beschränkt werden kann. Über diesen verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmen kann der Landesgesetzgeber nicht hinausgehen.
- 6
Da Frau S. als angehende Erzieherin nicht unter die (frühere) Gruppe der Arbeiter fällt, ist für den vorliegenden Fall mithin entscheidend, ob sie Angestellte des öffentlichen Dienstes im Sinne des Art. 137 GG ist. Der Begriff des Angestellten kommt aus dem Arbeitsrecht. Die Angestellten unterfallen – wie auch die Arbeiter – dem Oberbegriff der Arbeitnehmer (vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 14. Auflage, § 12 Rn. 3). Frau S. müsste demnach zuallererst über die Arbeitnehmereigenschaft verfügen. Dies ist indessen nicht der Fall. Von den Arbeitnehmern sind nämlich die Praktikanten zu unterscheiden, bei denen die Ausbildungsabsicht im Vordergrund steht (vgl. Schaub, a.a.O., § 15 Rn. 9). Letzteres trifft bei Frau S. eindeutig zu. Dies ergibt sich zum einen aus dem Umstand, dass Frau S. mit der Verbandsgemeinde einen Ausbildungsvertrag und keinen Arbeitsvertrag abgeschlossen hat. Zum anderen ergibt sich dies aus dem Inhalt des geschlossenen Ausbildungsvertrages. Frau S. leistet das sog. Berufspraktikum im Rahmen der Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin nach §§ 4 Abs. 3 und 9 der Fachschulverordnung im Fachbereich Sozialwesen vom 2. Februar 2005 (GVBl. S. 50). Das Praktikum ist mithin Teil der Ausbildung. Die Ausbildungsziele werden im Ausbildungsvertrag unter Nr. 3.2 benannt. Auch aus den unter Nr. 4 genannten Pflichten des Trägers der Ausbildungsstelle, also der Verbandsgemeinde, ergibt sich, dass es allein um die Ausbildung von Frau S. geht und nicht um die Erbringung von Arbeitsleistungen, wie es aufgrund eines Arbeitsverhältnisses der Fall wäre. Zwar dürfen Frau S. gemäß Nr. 4.2 des Ausbildungsvertrages Aufgaben übertragen werden, dies erfolgt jedoch nur im Rahmen der Ausbildung. Nach alledem ist Frau S. nicht Arbeitnehmerin und damit keine Angestellte im Sinne von Art. 137 Abs. 1 GG.
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Das gefundene Ergebnis steht auch im Einklang mit Sinn und Zweck der hier einschlägigen Inkompatibilitätsregelung. Art. 137 Abs. 1 GG und damit auch § 5 Abs. 1 Nr. 2 KWG dienen der Sicherung der organisatorischen Gewaltenteilung gegen Gefahren, die durch das Zusammentreffen von beruflicher Stellung und Mandatswahrnehmung entstehen können. Es soll der Gefahr von Entscheidungskonflikten und „Verfilzungen“ entgegengewirkt werden. Deshalb ist die Beschränkung der Wählbarkeit mit dem Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit nur vereinbar, wenn ansonsten der Gefahr von Interessenkollisionen nicht wirksam zu begegnen ist (vgl. BVerfGE 98, 195 [161]). Im Falle einer Praktikantin, die ausschließlich bzw. zumindest weit überwiegend zu Ausbildungszwecken bei der Verbandsgemeinde tätig ist, der die Gemeinde angehört, in der sie zum Mitglied des Ortsgemeinderats gewählt worden ist, sind Interessenkollisionen in dem oben genanntem Sinn ausgeschlossen.
- 8
Dass Frau S. möglicherweise unter den Begriff der Beschäftigten im Sinne des § 4 Abs. 1 Landespersonalvertretungsgesetzes vom 24. November 2000 (LPersVG) fällt, ist irrelevant; denn die Norm des § 5 Abs. 2 Nr. 1 KWG – wie oben bereits ausgeführt – ist im Lichte des Art. 137 Abs. 1 GG auszulegen. Den Begriff des Beschäftigten im Sinne des § 4 LPersVG kannte der Grundgesetzgeber nicht.
- 9
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
- 10
Die Festsetzung des Wertes des Verfahrensgegenstandes beruht auf §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 22.5 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327).
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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(weggefallen)
(1) Die Wählbarkeit von Beamten, Angestellten des öffentlichen Dienstes, Berufssoldaten, freiwilligen Soldaten auf Zeit und Richtern im Bund, in den Ländern und den Gemeinden kann gesetzlich beschränkt werden.
(2) Für die Wahl des ersten Bundestages, der ersten Bundesversammlung und des ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik gilt das vom Parlamentarischen Rat zu beschließende Wahlgesetz.
(3) Die dem Bundesverfassungsgerichte gemäß Artikel 41 Abs. 2 zustehende Befugnis wird bis zu seiner Errichtung von dem Deutschen Obergericht für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet wahrgenommen, das nach Maßgabe seiner Verfahrensordnung entscheidet.
(weggefallen)
(1) Die Wählbarkeit von Beamten, Angestellten des öffentlichen Dienstes, Berufssoldaten, freiwilligen Soldaten auf Zeit und Richtern im Bund, in den Ländern und den Gemeinden kann gesetzlich beschränkt werden.
(2) Für die Wahl des ersten Bundestages, der ersten Bundesversammlung und des ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik gilt das vom Parlamentarischen Rat zu beschließende Wahlgesetz.
(3) Die dem Bundesverfassungsgerichte gemäß Artikel 41 Abs. 2 zustehende Befugnis wird bis zu seiner Errichtung von dem Deutschen Obergericht für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet wahrgenommen, das nach Maßgabe seiner Verfahrensordnung entscheidet.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung:
- 1.
über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie im Verfahren über die Aufhebung, den Widerruf oder die Abänderung der genannten Entscheidungen, - 2.
über den Antrag auf Zulassung der Vollziehung einer vorläufigen oder sichernden Maßnahme des Schiedsgerichts, - 3.
auf Aufhebung oder Abänderung einer Entscheidung auf Zulassung der Vollziehung (§ 1041 der Zivilprozessordnung), - 4.
nach § 47 Absatz 5 des Energiewirtschaftsgesetzes über gerügte Rechtsverletzungen, der Wert beträgt höchstens 100 000 Euro, und - 5.
nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes; er darf jedoch ein Zehntel des Grundkapitals oder Stammkapitals des übertragenden oder formwechselnden Rechtsträgers oder, falls der übertragende oder formwechselnde Rechtsträger ein Grundkapital oder Stammkapital nicht hat, ein Zehntel des Vermögens dieses Rechtsträgers, höchstens jedoch 500 000 Euro, nur insoweit übersteigen, als die Bedeutung der Sache für die Parteien höher zu bewerten ist.
(2) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 52 Absatz 1 und 2:
- 1.
über einen Antrag auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung oder § 114 der Finanzgerichtsordnung, - 2.
nach § 47 Absatz 6, § 80 Absatz 5 bis 8, § 80a Absatz 3 oder § 80b Absatz 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung, - 3.
nach § 69 Absatz 3, 5 der Finanzgerichtsordnung, - 4.
nach § 86b des Sozialgerichtsgesetzes und - 5.
nach § 50 Absatz 3 bis 5 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.