Verwaltungsgericht Freiburg Urteil, 26. Apr. 2007 - A 1 K 11083/04

bei uns veröffentlicht am26.04.2007

Tenor

Die Nrn. 2, 3 und 4 des Bundesamtsbescheids vom 14.7.2004 werden aufgehoben. Die Beklagte - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - wird verpflichtet, zugunsten des Klägers festzustellen, dass betreffend Nigeria die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen der Kläger 1/3 und die Beklagte 2/3.

Tatbestand

 
Der Kläger ist ein am ... 1974 geborener nigerianischer Staatsangehöriger, der Nigeria im April 2004 verließ und laut seinen Angaben am 13.4.2004 auf dem Luftweg nach Deutschland einreiste. Am 20.4.2004 beantragte er seine Anerkennung als Asylberechtigter.
Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt am 27.4.2004 gab der Kläger an, er sei Anhänger der christlichen Pfingstbewegung in Kaduna gewesen. An einem Samstag (es sei der 3.4.2004 gewesen), an dem sie wie regelmäßig zwecks Missionierung ausgezogen seien, habe es eine Auseinandersetzung geben. Ein Mitglied seiner dreiköpfigen Gruppe habe den Koran zerrissen. Der Konflikt sei dann eskaliert, die Moslems hätten Häuser und Autos niedergebrannt. Sie hätten fliehen müssen. Er sei zunächst nach Hause gerannt, habe dieses jedoch niedergebrannt vorgefunden. Auch die Kirche sei niedergebrannt gewesen. Schließlich habe er sich beim Kirchenvorsteher verstecken und mit dessen Hilfe ausreisen können; von diesem habe er auch erfahren, dass sein Vater (dieser sei gelähmt und folglich nicht zur Flucht fähig gewesen) ums Leben gekommen sei.
Mit Bescheid des Bundesamts vom 14.7.2004, zugestellt am 22.7.2004, wurde der Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter abgelehnt und festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Schließlich wurde dem Kläger binnen Monatsfrist ab Unanfechtbarkeit die Abschiebung nach Nigeria angedroht.
Der Kläger hat am 27.7.2004 Klage erhoben und beantragt,
den Bescheid des Bundesamts vom 14.7.2004 aufzuheben und die Beklagte - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen;
hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Aussetzung einer Abschiebung gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Dem Gericht liegt die Akte des Bundesamtes über den Kläger vor. Auf den Inhalt dieser Akte wird ergänzend ebenso verwiesen, wie auf die wechselseitigen Schriftsätze. Der Kläger ist zunächst in der mündlichen Verhandlung vom 28.6.2006 angehört worden. Nach Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung hat das Gericht Beweis durch Einholung einer Auskunft des Auswärtigen Amts erhoben, die dann unter dem 6.2.2007 dem Gericht vorgelegt worden ist. Der Kläger hat in der weiteren mündlichen Verhandlung ergänzende Angaben gemacht; wegen Einzelheiten seines gesamten Vortrags wird auf die Sitzungsniederschriften verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
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Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Dem Kläger steht, bezogen auf die maßgebliche Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) ein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Abzuweisen ist die Klage, soweit der Kläger die Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG begehrt. Nach Art. 16 a Abs. 2 GG i.V.m. § 26 a AsylVfG wird Asyl nur demjenigen gewährt, der nicht aus einem sicheren Drittstaat nach Deutschland eingereist ist. Ob der Asylbewerber über den Luftweg (aus einem nicht sicheren Drittstaat) eingereist ist, muss im Gerichtsverfahren von Amts wegen ermittelt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich der Asylbewerber hinsichtlich seiner Einreise nicht in einem asyltypischen Beweisnotstand befindet. Dem entsprechen auch die ausdrücklichen Mitwirkungspflichten nach § 15 Abs. 2 Nr. 5 und Abs. 3 Nrn. 3 und 4 AsylVfG, wonach er alle Unterlagen über seinen Reiseweg vorlegen muss, insbesondere seinen Flugschein. Lässt sich der Einreiseweg – unter Berücksichtigung seines Vortrags – nicht aufklären, trägt der Asylbewerber hierfür die materielle Beweislast, mit der Folge, dass die Voraussetzungen der Asylgewährung nicht festgestellt werden können (vgl. zum Vorstehenden im Einzelnen BVerwG, Beschl. v. 24.7.2001 - 1 B 123/01 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 35; Urt. v. 29.6.1999 - 9 C 36.98 - BVerwGE 109, 174). Im vorliegenden Fall hat sich das Gericht vom Einreiseweg des Klägers nicht überzeugen können, weil der Kläger hierzu nichts sagen konnte, bzw. die alleinige Behauptung, er sei nicht kontrolliert worden, lebensfremd ist. Der Umstand, dass sich die Schilderung seiner Fluchtgründe als glaubhaft herausgestellt und der Kläger sich auch sonst als glaubwürdig erwiesen hat, ändert hieran nichts, da es sich bei den Fluchtgründen und den Umständen der Einreise insoweit um zwei unterschiedliche Sachverhalte handelt, die vorliegend voneinander getrennt werden können.
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Dem Kläger hat jedoch einen Anspruch nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Bestimmungen der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 (ABl. vom 30.9.2004 L 304/12) Diese allgemein und auch hier im folgenden so genannte Qualifikationsrichtlinie ist zu berücksichtigen, denn am 10.10.2006 ist gemäß ihrem Art. 38 Abs. 1 die Umsetzungsfrist für diese Richtlinie abgelaufen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kommt nicht fristgerecht umgesetzten Richtlinien im Recht der Mitgliedstaaten eine unmittelbare Wirkung zu, wenn die Richtlinie von ihrem Inhalt her unbedingt und hinreichend bestimmt ist, um im Einzelfall angewandt zu werden, und sie dem Einzelnen subjektiv-öffentliche Rechte einräumt oder jedenfalls seine rechtlichen Interessen schützen will. Diese Voraussetzungen liegen im Fall der Qualifikationsrichtlinie vor; die darin enthaltenen Regelungen erfüllen zum ganz überwiegenden Teil diese Voraussetzungen. Dies hat zur Folge, dass die nationalen Bestimmungen unter Berücksichtigung der Richtlinienbestimmung richtlinienkonform auszulegen sind, und im Falle des Entgegenstehens der nationalen Bestimmung die Richtlinienbestimmung unmittelbare Anwendung findet (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 25.10.2006 - A 3 S 46/06 - VENSA).
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Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (i.V.m. Art. 2 c), 6, 8, 9 und 10 der Qualifikationsrichtlinie) darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Diese Voraussetzungen sind beim Kläger erfüllt. Er hat Nigeria im April 2004 vorverfolgt verlassen. Seine Flucht war die unmittelbare Reaktion auf Nachstellungen fanatischer Moslems. Diese hatten die Auseinandersetzung eines Teilnehmers der Missionierungsgruppe des Klägers mit einem Moslem, bei der eine Seite aus dem Koran beschädigt wurde, zum Anlass genommen, in der Region Kaduna (Makarfi) gewaltsame Ausschreitungen vom Zaun zu brechen. Hierbei wurde nicht nur erheblicher Sachschaden angerichtet - es kam zur Zerstörung der Polizeistation, in die sich der für den Koranvorfall verantwortliche christliche Missionar geflüchtet hatte, sowie von 9 Kirchen -, sondern es erfolgten auch Übergriffe auf Christen, um diese zu verletzen bzw. sogar zu töten. Für den Kläger und seine beiden Mitmissionare galt diese Bedrohung umso mehr, weil sie zumindest Mit-Auslöser dieser Reaktionen waren. Besonders ihnen wurde in ihrer Eigenschaft als christlichen Missionaren sowie zugleich als Schänder des Korans mit der Folge einer akuten Gefahr für Leib und Leben nachgestellt (zur Relevanz dieses Vorgehens der Moslems als Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund vgl. Art. 9. Abs. 1 a), Abs. 2 a), Abs. 3, Art. 10 Abs. 1 b) der Qualifikationsrichtlinie). Die Heftigkeit der Ausschreitungen und der Umstand der auch sonst vorhandenen religiösen Spannungslage im Norden Nigerias
14 
(vgl. für das Jahr 2004: NZZ 8.1.2004, FR 9.1.2004; ACCORD , Seiten 24 ff. [Seite 26: Bundesstaat Kaduna mit moslemischer Mehrheit und Geltung des Scharia-Strafrechts]; vgl. ferner allgemein: Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 23.12.2003 [Seite 14] und vom 29.3.2005 [Seite 18]: „Insgesamt ist eine zunehmende Radikalisierung bzw. Fundamentalisierung sowohl in christlichen als auch in muslimischen Kreisen zu beobachten, wobei die religiösen Trennlinien zumeist entlang ethnischer Linien verlaufen.“)
15 
machen es zwar überaus wahrscheinlich, dass die Gewalttäter diesen Vorfall zum Anlass nahmen, auch andere Zwecke zu verfolgen. So belegt die Auskunftslage über einen Zeitraum von mehreren Jahren, dass religiöse Auseinandersetzungen oft auch mit sozialen und wirtschaftlichen Konfliktlagen verknüpft waren
16 
(vgl. neben den zuvor erwähnten Lageberichten des Auswärtigen Amts die Internetdatenbank des European Country of Origin Information Network [ecoi.net - www.ecoi.net ] → „ Nigeria “ → „ Themenpapier “ → „ Aktuelle Themen “ → „ Religiöse Zusammenstöße zwischen Christen und Moslems “; vgl. dort für das bisherige Jahr 2007: Auskünfte des US Department of State [USDOS]; für 2006: Auskünfte des USDOS, des Internal Displacement Monitoring Center, von Freedom House und von ReliefWeb; für 2004: Auskünfte des Integrated Regional Information Network [IRIN]; für 2003: Auskünfte des UK Home Office - nähere Details zu diesen Auskünften unten auf Seite 8/9).
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Gleichwohl spricht dies in keiner Weise dafür, ein Nachstellungs- und Vergeltungsinteresse am Kläger und den beiden anderen Missionaren wäre unmittelbar nach dem Vorfall mit dem Koran verflogen gewesen. Die Missionare waren nämlich ihren moslemischen „Gegnern“ persönlich bekannt, weil es zuvor im Alltag - außerhalb von konfliktträchtigen Ereignissen - immer wieder zu sozialen Kontakten (Straßenfußball, aber auch Missionstätigkeiten ohne Vorfälle) gekommen war.
18 
Das Gericht hat sich in einer ausführlichen mündlichen Verhandlung von der Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers überzeugt. Sein Vortrag war erkennbar derjenige eines tatsächlich Betroffenen. Eine wesentliche Grundlage der Glaubhaftigkeit - und zugleich ein wichtiges Prägungselement des Klägers - ist die Zugehörigkeit zur Pfingstbewegung (Gemeinde: „Assembly of God“). Gerade dort, wo in der Anhörung die Religionszugehörigkeit und seine Missionstätigkeit eine Rolle spielten, hat der sonst eher zurückhaltend bzw. bedrückt und mitgenommen wirkende Kläger sein Ausdrucksverhalten gewissermaßen umgekehrt und seine Begeisterung deutlich hervortreten lassen. Das gilt insbesondere für die vom Gericht initiierte „Gesangseinlage“ in der mündlichen Verhandlung. Der Kläger strahlte Leidenschaft und Freude aus, als er unter gekonnt rhythmischem Händeklatschen sein Lied über Jesus Christus sang. Auch der Umstand, dass er deshalb von seiner Gemeinde mit dem (Alias-) Namen „Okoto Jesu“ (Tanzbegeisterter für Jesus) bedacht worden war, ist ein weiteres Kriterium für ein reales Geschehen
19 
(vgl. zur Praxis des Gottesdienstes in den Pfingstgemeinden, der lebhaft ist, mit viel und begeistertem Gesang, Händeklatschen und Tanzen zu Musik einhergeht: Wikipedia [Freie Enzyklopädie, http://de.wikipedia.org] → „Pfingstbewegung“ → „Praxis“).
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Der Kläger hat ferner sehr anschaulich die regelmäßige Missionstätigkeit seiner Gemeinde geschildert. Diese ist ebenfalls eine für Gemeinden der Pfingstbewegung typische Aktivität
21 
(Wikipedia, a.a.O., → „Missionarisch-diakonisches Engagement“).
22 
Betrachtet man schließlich den Kernvortrag zum fluchtauslösenden Geschehen vom 3.4.2004, besteht für das Gericht ebenfalls kein Zweifel daran, dass der Kläger Teilnehmer der dreiköpfigen, jeweils verschiedener Sprachen (Yoruba, Calabas und Pidgin-Englisch) mächtigen und dadurch besser zur Kommunikation mit den ethnisch gemischten Einwohnern Kadunas fähigen Missionsgruppe war. David, einer der drei, beschädigte eine Koranseite, was moslemische Fanatiker zu schlimmen Ausschreitungen veranlasste. Dieses zentrale Ereignis wurde in der mündlichen Verhandlung mehrfach angesprochen und sowohl im Kern als auch in Randbereichen durch hartnäckige und kritische Nachfragen beleuchtet. Der Kläger hat immer wieder - ohne sich relevant in Widersprüche oder Unstimmigkeiten zu verstricken - den Missionsbesuch vom 3.4.2004 konkret und nachvollziehbar beschreiben können. Gegen eine erfundene Geschichte spricht in diesem Zusammenhang gerade auch, dass der Kläger eher wenig zur (tragischen) Person des „David aus Calabar“ zu sagen wusste (erste Bekanntschaft beim Straßenfußball, spätere gemeinsame Tätigkeit in der Pfingstbewegung, Herkunft aus Calabar, möglicherweise geistige Behinderung [„mentale Probleme“]; Alias-Name „Afadura Jagun“ [„kämpferischer Beter“]). Für eine Lüge hätte in diesem Zusammenhang im Gegenteil eher sprechen können, wenn der Kläger vielseitige - aufgrund des späteren Verschwindens von David wohl kaum nachprüfbare bzw. widerlegbare - Einzelheiten zu David geschildert hätte.
23 
Besonders festzuhalten bleibt, dass die zum Fall des Klägers eingeholte Auskunft des Auswärtigen Amts vom 6.2.2007 einer solchen Überzeugungsbildung nicht entgegensteht. Der Umstand, dass das Auswärtige Amt keinen Beleg für die Ursache der Unruhen vom 3.4.2004 erhalten konnte, erschüttert den Vortrag des Klägers nicht, weil insoweit - sorgfältig vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im Internet recherchiert - zahlreiche Medienberichte mit im wesentlichen übereinstimmenden Details zu solchen Unruhen vorliegen
24 
(IRIN News vom 27.4.2004; World Wide Religious News vom 14.7.2004; Vanguard vom 26.4.2004, Ex Orthodox for Christ vom 6.4.2004, Liberty Post vom 6.4.2004 , Pakistan Christian Post vom 6.4.2004).
25 
Auch die weiteren - mit Ausnahme der bestätigten Existenz eines (wie vom Kläger auch behauptet) eigenständigen Ortes namens Makarfi - negativen Stellungnahmen zu den Beweisfragen lassen keine durchschlagenden Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Klägers zu. Der Umstand, dass das Auswärtige Amt insoweit jeweils „keinen Beleg“ dafür erhalten konnte, dass der Kläger mit seinem Vater in Makarfi gewohnt habe, dass es in Kaduna und/oder Makarfi eine Kirchengemeinde „Assembly of God“ gegeben habe, dass ferner der Kläger am 3.4.2004 als Missionar unterwegs gewesen sei, sowie schließlich, dass die Zeitung „Vanguard“ die Namen der drei für den Vorfall vom 3.4.2004 Verantwortlichen veröffentlicht habe, beweisen allenfalls, dass die Rechercheperson erfolglos war. Gerade weil sonstige Einzelheiten zu Aufwand, Sorgfalt und Art des Vorgehens bei der Recherche nicht mitgeteilt werden, kann jedoch ein solches Ergebnis dem Kläger nicht entgegengehalten werden.
26 
Wenngleich damit die Verfolgung des Klägers nicht vom nigerianischen Staat sondern von Privaten ausging, steht dies seiner Flüchtlingsanerkennung nicht entgegen. § 60 Abs. 1 Satz 4 c) AufenthG (i.V.m. Art. 6 c) und 7 der Qualifikationsrichtlinie) bestimmt nämlich ausdrücklich, dass eine Verfolgung auch vonnichtstaatlichen Akteuren ausgehen kann, sofern die zuvor in Buchstaben a) und b) genannten Akteure (d.h. der Staat bzw. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen) einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten. Dies gilt nach der gesetzlichen Regelung unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine inländische Fluchtalternative bzw. interner Schutz i.S.v. Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie.
27 
Der nigerianische Staat konnte dem Kläger keinen Schutz i.S.v. Art. 6 c), und 7 der Qualifikationsrichtlinie bieten. Als der Kläger Nigeria im April 2004 verließ, war es ihm nicht zumutbar gewesen, zuvor Schutz bei staatlichen nigerianischen Stellen zu suchen. Zwar kann man wohl davon ausgehen, dass der nigerianische Staat grundsätzlich schutzwillig ist. Die oben auf Seite 5 genannten Erkenntnisquellen belegen, dass bei Ausschreitungen zwischen religiösen Gruppen Polizei und Militär immer wieder mit dem Ziel der Beendigung - allerdings durchaus auch in menschenrechtswidriger Weise - durchgreifen. Gleichfalls ergibt sich jedoch aus diesen Erkenntnismaterialien, dass staatliche Interventionen nahezu regelmäßig eine nachträgliche Reaktion auf zuvor entstandene gewaltsame Konflikte darstellen. Wegen des ethnischen, religiösen und wirtschaftlichen Konfliktpotenzials, insbesondere aber auch gerade wegen der ersichtlichen Heftigkeit, die Ausschreitungen immer wieder mit Blick auf die dabei verletzten Rechtsgüter und die Zahl der beteiligten Personen annehmen,
28 
(vgl. aus ecoi.net „ Nigeria “ → „ Themenpapier “ → „ Aktuelle Themen “ → „ Religiöse Zusammenstöße zwischen Christen und Moslems “:
29 
6.3.2007 US Department of State : Im Februar bis zu 50.000 Personen bei einer Welle religiös motivierter Gewalt, ausgelöst von Protesten gegen die Karikaturen des Propheten Mohamed, vertrieben und 150 getötet ; im Bundesstaat Borno im Februar bei Angriffen gegen Christen 50 Tote
30 
21.9.2006 Internal Displacement Monitoring Centre : 50.000 Binnenvertriebene, 150 Tote durch Welle religiös motivierter Gewalt in mehreren Bundesstaaten
31 
27.2.2006 ReliefWeb : 2.000 nigerianische Staatsbürger flohen nach gewalttätigen religiösen Zusammenstößen zwischen Christen und Muslimen aus Nigeria
32 
22.2.2006 ReliefWeb : Mindestens 27 Tote bei neuen religiösen Unruhen in Nigeria
33 
10.6.2004 Integrated Regional Information Network : Bundesstaat Adamawa - ganztägige Ausgangssperre in Numan nach religiösen Zusammenstößen; mindestens 10, tatsächlich wohl jedoch über 30 Tote
34 
14.5.2004 Integrated Regional Information Network : Mindestens 57.000 Menschen flüchten vor religiösen Zusammenstößen zwischen Christen und Moslems im Norden und Zentrum Nigerias
35 
Oktober 2003 UK Home Office : Artikel über die Miss World-Wahl führte zu Zusammenstößen zwischen Christen und Muslimen; schätzungsweise über 200 Tote
36 
Oktober 2003 UK Home Office : Religiös motivierte Gewalt in Kaduna, dabei hunderte von Toten; bei Gegenaktionen gegen Muslime in den Bundesstaaten Abia, Imo und Akwa Ibom über 400 Tote)
37 
kann deswegen jedoch nicht von einer ausreichenden Schutzfähigkeit des nigerianischen Staates ausgegangen werden. Den genannten Auskünften ist mit großer Deutlichkeit zu entnehmen, dass bei solchen Ausschreitungen nahezu regelmäßig eine große Personenzahl an Leib und Leben geschädigt, ferner Tausende vertrieben sowie schließlich Sachgüter von beträchtlichem Ausmaß vernichtet werden. Konflikte zwischen Christen und Moslems erreichen somit nahezu bürgerkriegsähnliche Zustände, die bislang nicht unterbunden werden konnten und eine der ständigen „Konfliktlinien“ der nigerianischen Innenpolitik darstellen.
38 
Angesichts der deutlichen Erkenntnislage ist der nigerianische Staat mithin erwiesenermaßen i. S. v. Art. 6 c) der Qualifikationsrichtlinienicht als schutzfähig anzusehen. Auch die - an sich wohl nur den Fall der Rückkehrprognose betreffende (Marx < Die Bedeutung der EU-Qualifikationsrichtlinie für die deutsche Asylpraxis > Asylmagazin 9/2004 des Informationsverbunds Asyl e.V. [abrufbar im Internet unter www.asyl.net ]) - Definition einer Schutzgewährleistung in Art. 7 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie ist vorliegend für den Zeitpunkt der Ausreise nicht erfüllt gewesen. Danach ist generell Schutz gewährleistet, wenn u. a. der Staat geeignete Schritte einleitet, um die Verfolgung oder den ernsthaften Schaden zu verhindern (beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen), und wenn der Antragsteller Zugang zu diesem Schutz hat. Dieser letztgenannte Zugang ist für Personen in der Situation des Klägers jedoch zu verneinen, weil angesichts der Plötzlichkeit und Intensität von Übergriffen staatlicher Schutz mit hoher Wahrscheinlichkeit zu spät kommt. Dadurch liegt aber zugleich auch auf der Hand, dass der Kläger nicht darauf verwiesen werden konnte, sich zunächst schutzsuchend an die nigerianische Polizei zu wenden. Konkret bestätigt wird diese Überzeugung des Gerichts noch dadurch, dass die Erkenntnisquellen zum Vorfall vom 3.4.2004 (s.o. Seite 7) die Zerstörung der Polizeistation durch Moslems belegen, in die sich David aus Calabar zunächst geflüchtet hatte. Ferner muss eine Rolle spielen, dass die Verhältnisse in der nigerianischen Polizei angesichts Korruption und ethnischer/religiöser Mischung des Personals
39 
(vgl. aus ecoi.net → „ Nigeria “ → „ Themenpapier “ → „Sicherheit“ → „Sicherheitskräfte“ bzw. „Korruption“:
40 
06.03.2007 US Department of State: Korruption in allen Bereichen des Staatsapparats und der Gesellschaft weit verbreitet.
41 
21.09.2006 Internal Displacement Monitoring Centre: Sicherheitskräfte beschuldigt, während Gewaltausbrüchen zwischen Gemeinden nicht ausreichend für Sicherheit zu sorgen. Bei Zusammenstößen im Mai 2004 in Plateau State schritten Polizei und Armee erst ein, nachdem hunderte von Menschen getötet worden waren; örtliche Medien berichteten, Sicherheitskräfte hätten sogar den Angreifern Hilfe geleistet.
42 
08.03.2006 US Department of State: Polizei und Sicherheitsapparat verantwortlich für Menschenrechtsverletzungen und gegenüber der Ausbreitung von Gewalt untätig.
43 
19.01.2005 Integrated Regional Information Network: Nigerianischer Polizeichef tritt wegen Korruptionsverdachts zurück.
44 
August 2004 ACCORD: "Korruption ist im ganzen Land endemisch. Seit Jahren findet sich Nigeria auf einem der letzten Plätze des `Corruption Perceptions Index’ von Transparency International. Im aktuellen Index nimmt Nigeria den vorletzten Rang (132) ein (TI 2003). Entsprechend hohe Korruptionsraten verzeichnet man im Umgang mit der Polizei.
45 
Oktober 2003 UK Home Office: Polizei undiszipliniert, schlecht ausgebildet und nicht ausreichend ausgestattet; ist nicht in der Lage, die hohe Kriminalität zu bewältigen.
46 
nicht derart sind, dass eine Gefährdung des Klägers aus den Reihen der Sicherheitskräfte hätte ausgeschlossen werden können.
47 
Darauf, ob dem Kläger im Zeitpunkt der Ausreise eine inländische Fluchtalternative bzw. interner Schutz in Nigeria offenstand, kommt es nach aktueller Rechtslage für die Bejahung einer Vorverfolgung nicht (mehr) an. Das ergibt sich aus Art. 8 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie, der als maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt denjenigen „der Entscheidung über den Antrag “ bestimmt. Entscheidend ist nach der Systematik der Richtlinie allein, ob für den Flüchtling - eine Verfolgung in seiner Herkunftsregion unterstellt - im Zeitpunkt der Entscheidung über seinen Schutzantrag in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von ihm heute vernünftigerweise erwartet werden kann, sich in einem Landesteil - also am Ort des internen Schutzes - aufzuhalten (Lehmann NVwZ 2007, 508 [Seite 515]; ferner, unter Hinweis zugleich auf Art. 4 Abs. 3 a) der Richtlinie [„…alle … Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind …“]: Marx, a.a.O.). Selbst bei anderer Auffassung hätte es für den Kläger jedoch keinen inländischen sicheren Ort vor der Ausreise gegeben; Einzelheiten für einen größeren Zeitraum von 2004 bis heute werden unten (Seite 13/14) im Zusammenhang mit der Rückkehrprognose dargelegt.
48 
Beim Kläger bestehen die Gründe für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung fort. Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war, kommt nach nationalem Recht wie nach der Qualifikationsrichtlinie ein herabgestufter Verfolgungsmaßstab zugute. Danach kann ihm eine Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist. Nach diesem Maßstab wird nicht verlangt, dass die Gefahr erneuter Übergriffe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Vielmehr ist - über die theoretische Möglichkeit, Opfer eines Übergriffs zu werden, hinaus - erforderlich, dass objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernt und damit als durchaus reale Möglichkeit erscheinen lassen. Dem entspricht im Ergebnis Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie, wonach die Tatsache einer bereits eingetretenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung als ernsthafter Hinweis darauf zu werten ist, dass die Furcht des Schutzsuchenden vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen gegen eine erneute Bedrohung (vgl. zum Wahrscheinlichkeitsmaßstab im Licht der EU-Richtlinie: VGH Bad.-Württ., Urt. v. 25.10.2006, a.a.O. - m.w.N.).
49 
Eine erneute Gefährdung des Klägers für den (unterstellten) Fall einer Rückkehr nach Kaduna liegt auf der Hand. Der Vorfall vom 3.4.2004 war konkret und beachtlich genug, dass auch heute noch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von seiner Eignung ausgegangen werden muss, in der Erinnerung fanatischer Muslime geblieben zu sein und für den Fall eines Kontaktes mit dem Kläger Vergeltungsaktionen auszulösen. Dies gilt umso mehr deshalb, weil der Kläger - wie schon oben dargelegt - im Raum Kaduna/Makarfi sowohl auf Grund sozialer Kontakte aber gerade auch wegen seiner pfingstgemeindlichen Missionstätigkeit einen gewissen Bekanntheitsgrad besaß.
50 
Der Kläger kann schließlich aber auch nicht darauf verwiesen werden, an einem anderen Ort innerhalb des Bundesstaates Kaduna oder in einem anderen der übrigen 35 nigerianischen Bundesstaaten Zuflucht zu suchen. Für die Rückkehrprognose ist entscheidend, ob ein Vorverfolgter eine innerstaatliche Fluchtalternative bzw. internen Schutz im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 c) AufenthG finden kann. Diese Frage ist, obwohl es sich insoweit um eine offene Umsetzungsnorm handelt („… können die Mitgliedstaaten feststellen …“), nach den Auslegungsvorgaben des Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie zu bestimmen, weil in Deutschland das Institut des internen Schutzes in Gestalt der inländischen Fluchtalternative schon immer zum Prüfungsmaßstab der Schutzbedürftigkeit eines Flüchtlings gehörte (Lehmann, a.a.O. [511]; in diesem Sinne auch BVerwG, Urt. v. 1.2.2007 - 1 C 24/06 - NVwZ 2007, 590). Gemäß Art. 8 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie können die Mitgliedsstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht, und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie kommt es dabei auf die am Ort des internen Schutzes bestehenden „allgemeinen Gegebenheiten“ und zusätzlich auch auf die „persönlichen Umstände“ des Asylsuchenden im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag an. Zur Interpretation des Begriffs der persönlichen Umstände kann auf Art. 4 Abs. 3 c) der Qualifikationsrichtlinie zurückgegriffen werden, wonach die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Asylsuchenden einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, bei der Entscheidung zugrunde zu legen sind. Zu fragen ist sodann auf der Grundlage dieses gemischt objektiv-individuellen Maßstabs, ob von einem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich am Ort der internen Fluchtalternative aufhält (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 25.10.2006, a.a.O.).
51 
Solches ist jedoch für den Kläger zu verneinen. Zwar folgt dies nicht schon aus dem Fehlen eines wirtschaftlichen Existenzminimums. Denn ein verfolgungssicherer Ort bietet erwerbsfähigen Personen ein genügendes Auskommen in aller Regel schon dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können (BVerwG, Urt. v. 1.2.2007, a.a.O.). Der Kläger war in Kaduna Mechaniker für Zugmaschinen, sodass davon ausgegangen werden kann, dass er diese Tätigkeit auch an anderen Orten in Nigeria ausüben könnte. Hingegen würde es ihm unabhängig von dieser wirtschaftlichen Betrachtung jedoch an einer hinreichenden Sicherheit seiner Person fehlen. Er, der Yoruba ist und somit einer großen Volksgruppen entstammt, müsste auch bei Ansiedlung außerhalb Kadunas mit einer existenziellen Bedrohung durch Gewalt bzw. Vertreibung rechnen. In Nigeria sind nämlich landesweit in den vergangenen Jahren bis heute eine Vielzahl von Personen Opfer ethnischer, sozialer, wirtschaftlicher und/oder religiöser Konflikte geworden und dem Schicksal eines Binnenflüchtlings ausgesetzt worden.
52 
(Vgl. die Rechercheergebnisse in ecoi.net: → „Nigeria“ → „Themenpapier“ → „Humanitäre Fragen“ → „Binnenvertreibung“
53 
28.05.2003 Internal Displacement Monitoring Centre : Bericht zur Situation von Binnenvertriebenen - Bei ethnischen Zusammenstößen zwischen Yoruba und Haussa-Fulanis in der Region Lagos wurden Tausende vertrieben; in den vergangenen 3 Jahren starben hunderte von Menschen (Februar 2002).
54 
24.05.2004 US Committee for Refugees and Immigrants : Im Jahr 2003 wurde Nigeria im fünften Jahr in Folge durch gewaltsame Auseinandersetzungen, verbunden mit politischen, religiösen und ethnischen Meinungsverschiedenheiten, erschüttert. Mehr als eine Million Menschen wurden seit 1999 aus ihrem angestammten Gebieten verdrängt, allein 750.000 davon in der Zeit zwischen 2001 und 2003 in Zentral-Nigeria (amtliche Schätzungen). Am Jahresende 2003 wurden mehr als 57.000 Nigerianer innerhalb des Landes vertrieben.
55 
08.03.2006 US Department of State : Im Jahr 2005 wurden im Zuge gewalttätiger Auseinandersetzungen unzählige Menschen aus ihrer Heimatgegend vertrieben. Laut Amnesty International blieben Zehntausende als Folge u.a. ethnischer Konflikte in der Region des Niger Delta.
56 
21.09.2006 Internal Displacement Monitoring Centre : Anzahl der Binnenvertriebenen aufgrund fehlender Registrierung unbestimmt; Mehrheit sucht Zuflucht bei Familie, Gastgemeinden oder in größeren Städten; 50.000 Binnenvertriebene, 150 Tote durch Welle religiös motivierter Gewalt in mehreren Bundesstaaten, ausgelöst durch Proteste gegen Karikaturen des Propheten Mohamed im Februar 2006“.
57 
Vgl. ferner die Rechercheergebnisse in ecoi.net: → „Nigeria“ → „Themenpapier“ → „Humanitäre Fragen“ → „Interne Schutzalternative“
58 
UNHCR an österreichischen Bundesasylsenat 26. 04.2002: „D ie Gewalt hat aber insofern auf den Süden übergegriffen, als die meisten Opfer der Unruhen im Norden aus dem Süden abstammen und sich zumindest bis zu einer Beruhigung der Situation im Norden in ihre Heimatorte im Süden des Landes zurückgezogen haben. Manche sind nunmehr bereits wieder in den Norden zurückgekehrt. Dieses Übergreifen der Gewalt zeigt sich etwa am Beispiel der Ereignisse nach den Unruhen von Kaduna vom Vorjahr, bei denen mehrere Menschen getötet worden sind: Als die Leichen zum Begräbnis in die Heimat der Opfer im Süden Nigerias zurückgebracht wurden, kam es dort zur rachemotivierten Ermordung von aus dem Norden stammenden Personen und in Folge zu einer umgekehrten Fluchtbewegung der Bedrohten, die in ihre Herkunftsorte im Norden des Landes zurückgekehrt sind. Personen christlichen Glaubens können sich der religiösen Verfolgung somit grundsätzlich durch Flucht in südliche Landesteile entziehen. Nach wie vor ziehen Nigerianer in andere Gebiete, um den Unruhen zu entgehen. Vielfach kehren sie aber nach einer Beruhigung der Situation wieder an ihren Wohnort zurück. Die Frage des Vorliegens einer internen Fluchalternative ist aber jedenfalls im Einzelfall zu überprüfen“.)
59 
Zu Gunsten des Klägers rechtfertigen schließlich zu der zuvor geschilderten Lage hinzutretende besondere persönliche Umstände die Annahme einer immer noch bestehenden, zumindest latenten Gefährdungslage bei Rückkehr. Zum einen handelt es sich beim Kläger zur Überzeugung des Gerichts - auch insoweit bestehen an der Glaubhaftigkeit seiner Angaben keine Zweifel - um eine alleinstehende Person. Die Kläger hat ausführlich und mit sichtlicher Betroffenheit geschildert, dass sein gelähmter Vater bei den Unruhen im April 2004 von Moslems getötet wurde. Gerade auch das spricht übrigens dafür, dass konkret auf die Person des Klägers abgezielt worden war. Die Tötung des Vaters wäre angesichts der Einwohnergrößen von Kaduna bzw. Makarfi sonst wohl ein äußerst unwahrscheinlicher Zufall gewesen. In der Versorgung des Vaters hatte, seitdem Mutter und Geschwister bei einem Verkehrsunfall getötet worden waren, eine bedeutsame Lebensaufgabe des Klägers bestanden. Auch in diesem Zusammenhang hat er absolut nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass die schwierige Situation, die er und sein kranker (arbeitsunfähiger) Vater zu bewältigen hatten, sie zum Beitritt bei der Pfingstgemeinde bewegten. Von etwas Straßenfußball in der Freizeit abgesehen, bestand der Lebensinhalt des Klägers sonst nur aus Arbeiten - um sich und den Vater zu versorgen - sowie aus der Teilnahme am religiösen Gemeindeleben. Aufgrund seiner Befähigung zum Tanzen und Singen war der Kläger hier besonders gut für die Missionstätigkeit seiner Gemeinde geeignet.
60 
Diese wenigen Lebensinhalte hat der Kläger am 3.4.2004 zusammen mit seinem Vater verloren. Es war auch noch in der mündlichen Verhandlung feststellbar, dass er hierdurch erheblich in seiner Persönlichkeit erschüttert wurde. Deshalb ist es für das Gericht auch ohne weiteres erklärbar, dass er in der Folgezeit sein Schicksal ganz in die Hände seiner Kirchengemeinde legte und nur passiv an seiner Flucht mitwirkte. Die ihn seit Jahren in Rottweil betreuende Sozialarbeiterin Frau A. hat in der mündlichen Verhandlung vor diesem gesamten Hintergrund für das Gericht glaubhaft und nachvollziehbar dargelegt, dass der Kläger in Deutschland isoliert und zurückhaltend lebt. Seine Aktivitäten betreffen nur Fußball und Religionsausübung (Bibellesen, Besuch von Gottesdiensten). Aus all dem schließt das Gericht, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Nigeria noch weiter in seiner Persönlichkeit beeinträchtigt würde, und - gewissermaßen als Versuch der Kompensation und des Vergessens der persönlichen Verluste - noch stärker als in der Vergangenheit eine „Flucht in die religiöse Betätigung“ suchte. Wie er selbst ohne Zögern eingeräumt hat, gibt es ganz Nigeria - so auch in Lagos - Niederlassungen seiner Kirchengemeinde. Seine Aufnahme in eine solche Gemeinde wäre zwar sicher, ebenso sicher wäre aber, dass die nach außen gerichtete Missionstätigkeit künftige Konfrontationen mit anderen Glaubensrichtungen - speziell der muslimischen - nach sich zöge. Angesichts des aus den mehrfach genannten Erkenntnisquellen ersichtlichen gewaltsamen Konfliktpotenzials müsste dann erneut mit Gefahr für Leben, Freiheit und Gesundheit gerechnet werden. Selbst wenn man darin „nur“ eine latente Gefährdungslage sehen wollte, so genügte dies unter Geltung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs (vgl. dazu, dass ein latente Gefahrenlage der Situation einer nicht hinreichenden Verfolgungssicherheit entspricht: BVerwG, Urt. v. 8.12.1998 - 9 C 17/98 - NVwZ 1999, 544). Wie bereits oben (Seite 9/10) dargelegt, war und ist der nigerianische Staat schließlich in einer solchen Situation auch schutzunfähig (Art. 7 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie).
61 
Weil dem Kläger ein Flüchtlingsstatus i. S. v. § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen ist, war die Nr. 2 des Bundesamtsbescheids aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ein entsprechendes Abschiebungsverbot festzustellen. Aufzuheben war ferner die dadurch gegenstandslos gewordene Nr. 3 des Bescheids, denn einer Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bedurfte es nicht mehr (vgl. § 31 Abs. 3 Sätze 1 und 2, Abs. 2 AsylVfG). Auf Grund des bestehenden Anspruchs auf Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG war die Abschiebungsandrohung (Nr. 4) schließlich vollständig aufzuheben, weil in ihr konkret der Staat hätte bezeichnet werden müssen, in den der Kläger abgeschoben werden darf (vgl. § 60 Abs. 10 AufenthG).
62 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 83 b AsylVfG. Unter Berücksichtigung der neueren (kostenrechtlichen) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 21.12.2006 - 1 C 29/03 - NVwZ 2007, 469) sowie vor allem mit Blick auf die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgebliche Rechtslage hält das Gericht eine deutliche Gewichtung der Flüchtlingsanerkennung zu Gunsten des Klägers für geboten.

Gründe

 
10 
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Dem Kläger steht, bezogen auf die maßgebliche Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) ein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
11 
Abzuweisen ist die Klage, soweit der Kläger die Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG begehrt. Nach Art. 16 a Abs. 2 GG i.V.m. § 26 a AsylVfG wird Asyl nur demjenigen gewährt, der nicht aus einem sicheren Drittstaat nach Deutschland eingereist ist. Ob der Asylbewerber über den Luftweg (aus einem nicht sicheren Drittstaat) eingereist ist, muss im Gerichtsverfahren von Amts wegen ermittelt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich der Asylbewerber hinsichtlich seiner Einreise nicht in einem asyltypischen Beweisnotstand befindet. Dem entsprechen auch die ausdrücklichen Mitwirkungspflichten nach § 15 Abs. 2 Nr. 5 und Abs. 3 Nrn. 3 und 4 AsylVfG, wonach er alle Unterlagen über seinen Reiseweg vorlegen muss, insbesondere seinen Flugschein. Lässt sich der Einreiseweg – unter Berücksichtigung seines Vortrags – nicht aufklären, trägt der Asylbewerber hierfür die materielle Beweislast, mit der Folge, dass die Voraussetzungen der Asylgewährung nicht festgestellt werden können (vgl. zum Vorstehenden im Einzelnen BVerwG, Beschl. v. 24.7.2001 - 1 B 123/01 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 35; Urt. v. 29.6.1999 - 9 C 36.98 - BVerwGE 109, 174). Im vorliegenden Fall hat sich das Gericht vom Einreiseweg des Klägers nicht überzeugen können, weil der Kläger hierzu nichts sagen konnte, bzw. die alleinige Behauptung, er sei nicht kontrolliert worden, lebensfremd ist. Der Umstand, dass sich die Schilderung seiner Fluchtgründe als glaubhaft herausgestellt und der Kläger sich auch sonst als glaubwürdig erwiesen hat, ändert hieran nichts, da es sich bei den Fluchtgründen und den Umständen der Einreise insoweit um zwei unterschiedliche Sachverhalte handelt, die vorliegend voneinander getrennt werden können.
12 
Dem Kläger hat jedoch einen Anspruch nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Bestimmungen der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 (ABl. vom 30.9.2004 L 304/12) Diese allgemein und auch hier im folgenden so genannte Qualifikationsrichtlinie ist zu berücksichtigen, denn am 10.10.2006 ist gemäß ihrem Art. 38 Abs. 1 die Umsetzungsfrist für diese Richtlinie abgelaufen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kommt nicht fristgerecht umgesetzten Richtlinien im Recht der Mitgliedstaaten eine unmittelbare Wirkung zu, wenn die Richtlinie von ihrem Inhalt her unbedingt und hinreichend bestimmt ist, um im Einzelfall angewandt zu werden, und sie dem Einzelnen subjektiv-öffentliche Rechte einräumt oder jedenfalls seine rechtlichen Interessen schützen will. Diese Voraussetzungen liegen im Fall der Qualifikationsrichtlinie vor; die darin enthaltenen Regelungen erfüllen zum ganz überwiegenden Teil diese Voraussetzungen. Dies hat zur Folge, dass die nationalen Bestimmungen unter Berücksichtigung der Richtlinienbestimmung richtlinienkonform auszulegen sind, und im Falle des Entgegenstehens der nationalen Bestimmung die Richtlinienbestimmung unmittelbare Anwendung findet (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 25.10.2006 - A 3 S 46/06 - VENSA).
13 
Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (i.V.m. Art. 2 c), 6, 8, 9 und 10 der Qualifikationsrichtlinie) darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Diese Voraussetzungen sind beim Kläger erfüllt. Er hat Nigeria im April 2004 vorverfolgt verlassen. Seine Flucht war die unmittelbare Reaktion auf Nachstellungen fanatischer Moslems. Diese hatten die Auseinandersetzung eines Teilnehmers der Missionierungsgruppe des Klägers mit einem Moslem, bei der eine Seite aus dem Koran beschädigt wurde, zum Anlass genommen, in der Region Kaduna (Makarfi) gewaltsame Ausschreitungen vom Zaun zu brechen. Hierbei wurde nicht nur erheblicher Sachschaden angerichtet - es kam zur Zerstörung der Polizeistation, in die sich der für den Koranvorfall verantwortliche christliche Missionar geflüchtet hatte, sowie von 9 Kirchen -, sondern es erfolgten auch Übergriffe auf Christen, um diese zu verletzen bzw. sogar zu töten. Für den Kläger und seine beiden Mitmissionare galt diese Bedrohung umso mehr, weil sie zumindest Mit-Auslöser dieser Reaktionen waren. Besonders ihnen wurde in ihrer Eigenschaft als christlichen Missionaren sowie zugleich als Schänder des Korans mit der Folge einer akuten Gefahr für Leib und Leben nachgestellt (zur Relevanz dieses Vorgehens der Moslems als Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund vgl. Art. 9. Abs. 1 a), Abs. 2 a), Abs. 3, Art. 10 Abs. 1 b) der Qualifikationsrichtlinie). Die Heftigkeit der Ausschreitungen und der Umstand der auch sonst vorhandenen religiösen Spannungslage im Norden Nigerias
14 
(vgl. für das Jahr 2004: NZZ 8.1.2004, FR 9.1.2004; ACCORD , Seiten 24 ff. [Seite 26: Bundesstaat Kaduna mit moslemischer Mehrheit und Geltung des Scharia-Strafrechts]; vgl. ferner allgemein: Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 23.12.2003 [Seite 14] und vom 29.3.2005 [Seite 18]: „Insgesamt ist eine zunehmende Radikalisierung bzw. Fundamentalisierung sowohl in christlichen als auch in muslimischen Kreisen zu beobachten, wobei die religiösen Trennlinien zumeist entlang ethnischer Linien verlaufen.“)
15 
machen es zwar überaus wahrscheinlich, dass die Gewalttäter diesen Vorfall zum Anlass nahmen, auch andere Zwecke zu verfolgen. So belegt die Auskunftslage über einen Zeitraum von mehreren Jahren, dass religiöse Auseinandersetzungen oft auch mit sozialen und wirtschaftlichen Konfliktlagen verknüpft waren
16 
(vgl. neben den zuvor erwähnten Lageberichten des Auswärtigen Amts die Internetdatenbank des European Country of Origin Information Network [ecoi.net - www.ecoi.net ] → „ Nigeria “ → „ Themenpapier “ → „ Aktuelle Themen “ → „ Religiöse Zusammenstöße zwischen Christen und Moslems “; vgl. dort für das bisherige Jahr 2007: Auskünfte des US Department of State [USDOS]; für 2006: Auskünfte des USDOS, des Internal Displacement Monitoring Center, von Freedom House und von ReliefWeb; für 2004: Auskünfte des Integrated Regional Information Network [IRIN]; für 2003: Auskünfte des UK Home Office - nähere Details zu diesen Auskünften unten auf Seite 8/9).
17 
Gleichwohl spricht dies in keiner Weise dafür, ein Nachstellungs- und Vergeltungsinteresse am Kläger und den beiden anderen Missionaren wäre unmittelbar nach dem Vorfall mit dem Koran verflogen gewesen. Die Missionare waren nämlich ihren moslemischen „Gegnern“ persönlich bekannt, weil es zuvor im Alltag - außerhalb von konfliktträchtigen Ereignissen - immer wieder zu sozialen Kontakten (Straßenfußball, aber auch Missionstätigkeiten ohne Vorfälle) gekommen war.
18 
Das Gericht hat sich in einer ausführlichen mündlichen Verhandlung von der Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers überzeugt. Sein Vortrag war erkennbar derjenige eines tatsächlich Betroffenen. Eine wesentliche Grundlage der Glaubhaftigkeit - und zugleich ein wichtiges Prägungselement des Klägers - ist die Zugehörigkeit zur Pfingstbewegung (Gemeinde: „Assembly of God“). Gerade dort, wo in der Anhörung die Religionszugehörigkeit und seine Missionstätigkeit eine Rolle spielten, hat der sonst eher zurückhaltend bzw. bedrückt und mitgenommen wirkende Kläger sein Ausdrucksverhalten gewissermaßen umgekehrt und seine Begeisterung deutlich hervortreten lassen. Das gilt insbesondere für die vom Gericht initiierte „Gesangseinlage“ in der mündlichen Verhandlung. Der Kläger strahlte Leidenschaft und Freude aus, als er unter gekonnt rhythmischem Händeklatschen sein Lied über Jesus Christus sang. Auch der Umstand, dass er deshalb von seiner Gemeinde mit dem (Alias-) Namen „Okoto Jesu“ (Tanzbegeisterter für Jesus) bedacht worden war, ist ein weiteres Kriterium für ein reales Geschehen
19 
(vgl. zur Praxis des Gottesdienstes in den Pfingstgemeinden, der lebhaft ist, mit viel und begeistertem Gesang, Händeklatschen und Tanzen zu Musik einhergeht: Wikipedia [Freie Enzyklopädie, http://de.wikipedia.org] → „Pfingstbewegung“ → „Praxis“).
20 
Der Kläger hat ferner sehr anschaulich die regelmäßige Missionstätigkeit seiner Gemeinde geschildert. Diese ist ebenfalls eine für Gemeinden der Pfingstbewegung typische Aktivität
21 
(Wikipedia, a.a.O., → „Missionarisch-diakonisches Engagement“).
22 
Betrachtet man schließlich den Kernvortrag zum fluchtauslösenden Geschehen vom 3.4.2004, besteht für das Gericht ebenfalls kein Zweifel daran, dass der Kläger Teilnehmer der dreiköpfigen, jeweils verschiedener Sprachen (Yoruba, Calabas und Pidgin-Englisch) mächtigen und dadurch besser zur Kommunikation mit den ethnisch gemischten Einwohnern Kadunas fähigen Missionsgruppe war. David, einer der drei, beschädigte eine Koranseite, was moslemische Fanatiker zu schlimmen Ausschreitungen veranlasste. Dieses zentrale Ereignis wurde in der mündlichen Verhandlung mehrfach angesprochen und sowohl im Kern als auch in Randbereichen durch hartnäckige und kritische Nachfragen beleuchtet. Der Kläger hat immer wieder - ohne sich relevant in Widersprüche oder Unstimmigkeiten zu verstricken - den Missionsbesuch vom 3.4.2004 konkret und nachvollziehbar beschreiben können. Gegen eine erfundene Geschichte spricht in diesem Zusammenhang gerade auch, dass der Kläger eher wenig zur (tragischen) Person des „David aus Calabar“ zu sagen wusste (erste Bekanntschaft beim Straßenfußball, spätere gemeinsame Tätigkeit in der Pfingstbewegung, Herkunft aus Calabar, möglicherweise geistige Behinderung [„mentale Probleme“]; Alias-Name „Afadura Jagun“ [„kämpferischer Beter“]). Für eine Lüge hätte in diesem Zusammenhang im Gegenteil eher sprechen können, wenn der Kläger vielseitige - aufgrund des späteren Verschwindens von David wohl kaum nachprüfbare bzw. widerlegbare - Einzelheiten zu David geschildert hätte.
23 
Besonders festzuhalten bleibt, dass die zum Fall des Klägers eingeholte Auskunft des Auswärtigen Amts vom 6.2.2007 einer solchen Überzeugungsbildung nicht entgegensteht. Der Umstand, dass das Auswärtige Amt keinen Beleg für die Ursache der Unruhen vom 3.4.2004 erhalten konnte, erschüttert den Vortrag des Klägers nicht, weil insoweit - sorgfältig vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im Internet recherchiert - zahlreiche Medienberichte mit im wesentlichen übereinstimmenden Details zu solchen Unruhen vorliegen
24 
(IRIN News vom 27.4.2004; World Wide Religious News vom 14.7.2004; Vanguard vom 26.4.2004, Ex Orthodox for Christ vom 6.4.2004, Liberty Post vom 6.4.2004 , Pakistan Christian Post vom 6.4.2004).
25 
Auch die weiteren - mit Ausnahme der bestätigten Existenz eines (wie vom Kläger auch behauptet) eigenständigen Ortes namens Makarfi - negativen Stellungnahmen zu den Beweisfragen lassen keine durchschlagenden Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Klägers zu. Der Umstand, dass das Auswärtige Amt insoweit jeweils „keinen Beleg“ dafür erhalten konnte, dass der Kläger mit seinem Vater in Makarfi gewohnt habe, dass es in Kaduna und/oder Makarfi eine Kirchengemeinde „Assembly of God“ gegeben habe, dass ferner der Kläger am 3.4.2004 als Missionar unterwegs gewesen sei, sowie schließlich, dass die Zeitung „Vanguard“ die Namen der drei für den Vorfall vom 3.4.2004 Verantwortlichen veröffentlicht habe, beweisen allenfalls, dass die Rechercheperson erfolglos war. Gerade weil sonstige Einzelheiten zu Aufwand, Sorgfalt und Art des Vorgehens bei der Recherche nicht mitgeteilt werden, kann jedoch ein solches Ergebnis dem Kläger nicht entgegengehalten werden.
26 
Wenngleich damit die Verfolgung des Klägers nicht vom nigerianischen Staat sondern von Privaten ausging, steht dies seiner Flüchtlingsanerkennung nicht entgegen. § 60 Abs. 1 Satz 4 c) AufenthG (i.V.m. Art. 6 c) und 7 der Qualifikationsrichtlinie) bestimmt nämlich ausdrücklich, dass eine Verfolgung auch vonnichtstaatlichen Akteuren ausgehen kann, sofern die zuvor in Buchstaben a) und b) genannten Akteure (d.h. der Staat bzw. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen) einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten. Dies gilt nach der gesetzlichen Regelung unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine inländische Fluchtalternative bzw. interner Schutz i.S.v. Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie.
27 
Der nigerianische Staat konnte dem Kläger keinen Schutz i.S.v. Art. 6 c), und 7 der Qualifikationsrichtlinie bieten. Als der Kläger Nigeria im April 2004 verließ, war es ihm nicht zumutbar gewesen, zuvor Schutz bei staatlichen nigerianischen Stellen zu suchen. Zwar kann man wohl davon ausgehen, dass der nigerianische Staat grundsätzlich schutzwillig ist. Die oben auf Seite 5 genannten Erkenntnisquellen belegen, dass bei Ausschreitungen zwischen religiösen Gruppen Polizei und Militär immer wieder mit dem Ziel der Beendigung - allerdings durchaus auch in menschenrechtswidriger Weise - durchgreifen. Gleichfalls ergibt sich jedoch aus diesen Erkenntnismaterialien, dass staatliche Interventionen nahezu regelmäßig eine nachträgliche Reaktion auf zuvor entstandene gewaltsame Konflikte darstellen. Wegen des ethnischen, religiösen und wirtschaftlichen Konfliktpotenzials, insbesondere aber auch gerade wegen der ersichtlichen Heftigkeit, die Ausschreitungen immer wieder mit Blick auf die dabei verletzten Rechtsgüter und die Zahl der beteiligten Personen annehmen,
28 
(vgl. aus ecoi.net „ Nigeria “ → „ Themenpapier “ → „ Aktuelle Themen “ → „ Religiöse Zusammenstöße zwischen Christen und Moslems “:
29 
6.3.2007 US Department of State : Im Februar bis zu 50.000 Personen bei einer Welle religiös motivierter Gewalt, ausgelöst von Protesten gegen die Karikaturen des Propheten Mohamed, vertrieben und 150 getötet ; im Bundesstaat Borno im Februar bei Angriffen gegen Christen 50 Tote
30 
21.9.2006 Internal Displacement Monitoring Centre : 50.000 Binnenvertriebene, 150 Tote durch Welle religiös motivierter Gewalt in mehreren Bundesstaaten
31 
27.2.2006 ReliefWeb : 2.000 nigerianische Staatsbürger flohen nach gewalttätigen religiösen Zusammenstößen zwischen Christen und Muslimen aus Nigeria
32 
22.2.2006 ReliefWeb : Mindestens 27 Tote bei neuen religiösen Unruhen in Nigeria
33 
10.6.2004 Integrated Regional Information Network : Bundesstaat Adamawa - ganztägige Ausgangssperre in Numan nach religiösen Zusammenstößen; mindestens 10, tatsächlich wohl jedoch über 30 Tote
34 
14.5.2004 Integrated Regional Information Network : Mindestens 57.000 Menschen flüchten vor religiösen Zusammenstößen zwischen Christen und Moslems im Norden und Zentrum Nigerias
35 
Oktober 2003 UK Home Office : Artikel über die Miss World-Wahl führte zu Zusammenstößen zwischen Christen und Muslimen; schätzungsweise über 200 Tote
36 
Oktober 2003 UK Home Office : Religiös motivierte Gewalt in Kaduna, dabei hunderte von Toten; bei Gegenaktionen gegen Muslime in den Bundesstaaten Abia, Imo und Akwa Ibom über 400 Tote)
37 
kann deswegen jedoch nicht von einer ausreichenden Schutzfähigkeit des nigerianischen Staates ausgegangen werden. Den genannten Auskünften ist mit großer Deutlichkeit zu entnehmen, dass bei solchen Ausschreitungen nahezu regelmäßig eine große Personenzahl an Leib und Leben geschädigt, ferner Tausende vertrieben sowie schließlich Sachgüter von beträchtlichem Ausmaß vernichtet werden. Konflikte zwischen Christen und Moslems erreichen somit nahezu bürgerkriegsähnliche Zustände, die bislang nicht unterbunden werden konnten und eine der ständigen „Konfliktlinien“ der nigerianischen Innenpolitik darstellen.
38 
Angesichts der deutlichen Erkenntnislage ist der nigerianische Staat mithin erwiesenermaßen i. S. v. Art. 6 c) der Qualifikationsrichtlinienicht als schutzfähig anzusehen. Auch die - an sich wohl nur den Fall der Rückkehrprognose betreffende (Marx < Die Bedeutung der EU-Qualifikationsrichtlinie für die deutsche Asylpraxis > Asylmagazin 9/2004 des Informationsverbunds Asyl e.V. [abrufbar im Internet unter www.asyl.net ]) - Definition einer Schutzgewährleistung in Art. 7 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie ist vorliegend für den Zeitpunkt der Ausreise nicht erfüllt gewesen. Danach ist generell Schutz gewährleistet, wenn u. a. der Staat geeignete Schritte einleitet, um die Verfolgung oder den ernsthaften Schaden zu verhindern (beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen), und wenn der Antragsteller Zugang zu diesem Schutz hat. Dieser letztgenannte Zugang ist für Personen in der Situation des Klägers jedoch zu verneinen, weil angesichts der Plötzlichkeit und Intensität von Übergriffen staatlicher Schutz mit hoher Wahrscheinlichkeit zu spät kommt. Dadurch liegt aber zugleich auch auf der Hand, dass der Kläger nicht darauf verwiesen werden konnte, sich zunächst schutzsuchend an die nigerianische Polizei zu wenden. Konkret bestätigt wird diese Überzeugung des Gerichts noch dadurch, dass die Erkenntnisquellen zum Vorfall vom 3.4.2004 (s.o. Seite 7) die Zerstörung der Polizeistation durch Moslems belegen, in die sich David aus Calabar zunächst geflüchtet hatte. Ferner muss eine Rolle spielen, dass die Verhältnisse in der nigerianischen Polizei angesichts Korruption und ethnischer/religiöser Mischung des Personals
39 
(vgl. aus ecoi.net → „ Nigeria “ → „ Themenpapier “ → „Sicherheit“ → „Sicherheitskräfte“ bzw. „Korruption“:
40 
06.03.2007 US Department of State: Korruption in allen Bereichen des Staatsapparats und der Gesellschaft weit verbreitet.
41 
21.09.2006 Internal Displacement Monitoring Centre: Sicherheitskräfte beschuldigt, während Gewaltausbrüchen zwischen Gemeinden nicht ausreichend für Sicherheit zu sorgen. Bei Zusammenstößen im Mai 2004 in Plateau State schritten Polizei und Armee erst ein, nachdem hunderte von Menschen getötet worden waren; örtliche Medien berichteten, Sicherheitskräfte hätten sogar den Angreifern Hilfe geleistet.
42 
08.03.2006 US Department of State: Polizei und Sicherheitsapparat verantwortlich für Menschenrechtsverletzungen und gegenüber der Ausbreitung von Gewalt untätig.
43 
19.01.2005 Integrated Regional Information Network: Nigerianischer Polizeichef tritt wegen Korruptionsverdachts zurück.
44 
August 2004 ACCORD: "Korruption ist im ganzen Land endemisch. Seit Jahren findet sich Nigeria auf einem der letzten Plätze des `Corruption Perceptions Index’ von Transparency International. Im aktuellen Index nimmt Nigeria den vorletzten Rang (132) ein (TI 2003). Entsprechend hohe Korruptionsraten verzeichnet man im Umgang mit der Polizei.
45 
Oktober 2003 UK Home Office: Polizei undiszipliniert, schlecht ausgebildet und nicht ausreichend ausgestattet; ist nicht in der Lage, die hohe Kriminalität zu bewältigen.
46 
nicht derart sind, dass eine Gefährdung des Klägers aus den Reihen der Sicherheitskräfte hätte ausgeschlossen werden können.
47 
Darauf, ob dem Kläger im Zeitpunkt der Ausreise eine inländische Fluchtalternative bzw. interner Schutz in Nigeria offenstand, kommt es nach aktueller Rechtslage für die Bejahung einer Vorverfolgung nicht (mehr) an. Das ergibt sich aus Art. 8 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie, der als maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt denjenigen „der Entscheidung über den Antrag “ bestimmt. Entscheidend ist nach der Systematik der Richtlinie allein, ob für den Flüchtling - eine Verfolgung in seiner Herkunftsregion unterstellt - im Zeitpunkt der Entscheidung über seinen Schutzantrag in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von ihm heute vernünftigerweise erwartet werden kann, sich in einem Landesteil - also am Ort des internen Schutzes - aufzuhalten (Lehmann NVwZ 2007, 508 [Seite 515]; ferner, unter Hinweis zugleich auf Art. 4 Abs. 3 a) der Richtlinie [„…alle … Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind …“]: Marx, a.a.O.). Selbst bei anderer Auffassung hätte es für den Kläger jedoch keinen inländischen sicheren Ort vor der Ausreise gegeben; Einzelheiten für einen größeren Zeitraum von 2004 bis heute werden unten (Seite 13/14) im Zusammenhang mit der Rückkehrprognose dargelegt.
48 
Beim Kläger bestehen die Gründe für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung fort. Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war, kommt nach nationalem Recht wie nach der Qualifikationsrichtlinie ein herabgestufter Verfolgungsmaßstab zugute. Danach kann ihm eine Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist. Nach diesem Maßstab wird nicht verlangt, dass die Gefahr erneuter Übergriffe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Vielmehr ist - über die theoretische Möglichkeit, Opfer eines Übergriffs zu werden, hinaus - erforderlich, dass objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernt und damit als durchaus reale Möglichkeit erscheinen lassen. Dem entspricht im Ergebnis Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie, wonach die Tatsache einer bereits eingetretenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung als ernsthafter Hinweis darauf zu werten ist, dass die Furcht des Schutzsuchenden vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen gegen eine erneute Bedrohung (vgl. zum Wahrscheinlichkeitsmaßstab im Licht der EU-Richtlinie: VGH Bad.-Württ., Urt. v. 25.10.2006, a.a.O. - m.w.N.).
49 
Eine erneute Gefährdung des Klägers für den (unterstellten) Fall einer Rückkehr nach Kaduna liegt auf der Hand. Der Vorfall vom 3.4.2004 war konkret und beachtlich genug, dass auch heute noch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von seiner Eignung ausgegangen werden muss, in der Erinnerung fanatischer Muslime geblieben zu sein und für den Fall eines Kontaktes mit dem Kläger Vergeltungsaktionen auszulösen. Dies gilt umso mehr deshalb, weil der Kläger - wie schon oben dargelegt - im Raum Kaduna/Makarfi sowohl auf Grund sozialer Kontakte aber gerade auch wegen seiner pfingstgemeindlichen Missionstätigkeit einen gewissen Bekanntheitsgrad besaß.
50 
Der Kläger kann schließlich aber auch nicht darauf verwiesen werden, an einem anderen Ort innerhalb des Bundesstaates Kaduna oder in einem anderen der übrigen 35 nigerianischen Bundesstaaten Zuflucht zu suchen. Für die Rückkehrprognose ist entscheidend, ob ein Vorverfolgter eine innerstaatliche Fluchtalternative bzw. internen Schutz im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 c) AufenthG finden kann. Diese Frage ist, obwohl es sich insoweit um eine offene Umsetzungsnorm handelt („… können die Mitgliedstaaten feststellen …“), nach den Auslegungsvorgaben des Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie zu bestimmen, weil in Deutschland das Institut des internen Schutzes in Gestalt der inländischen Fluchtalternative schon immer zum Prüfungsmaßstab der Schutzbedürftigkeit eines Flüchtlings gehörte (Lehmann, a.a.O. [511]; in diesem Sinne auch BVerwG, Urt. v. 1.2.2007 - 1 C 24/06 - NVwZ 2007, 590). Gemäß Art. 8 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie können die Mitgliedsstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht, und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie kommt es dabei auf die am Ort des internen Schutzes bestehenden „allgemeinen Gegebenheiten“ und zusätzlich auch auf die „persönlichen Umstände“ des Asylsuchenden im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag an. Zur Interpretation des Begriffs der persönlichen Umstände kann auf Art. 4 Abs. 3 c) der Qualifikationsrichtlinie zurückgegriffen werden, wonach die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Asylsuchenden einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, bei der Entscheidung zugrunde zu legen sind. Zu fragen ist sodann auf der Grundlage dieses gemischt objektiv-individuellen Maßstabs, ob von einem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich am Ort der internen Fluchtalternative aufhält (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 25.10.2006, a.a.O.).
51 
Solches ist jedoch für den Kläger zu verneinen. Zwar folgt dies nicht schon aus dem Fehlen eines wirtschaftlichen Existenzminimums. Denn ein verfolgungssicherer Ort bietet erwerbsfähigen Personen ein genügendes Auskommen in aller Regel schon dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können (BVerwG, Urt. v. 1.2.2007, a.a.O.). Der Kläger war in Kaduna Mechaniker für Zugmaschinen, sodass davon ausgegangen werden kann, dass er diese Tätigkeit auch an anderen Orten in Nigeria ausüben könnte. Hingegen würde es ihm unabhängig von dieser wirtschaftlichen Betrachtung jedoch an einer hinreichenden Sicherheit seiner Person fehlen. Er, der Yoruba ist und somit einer großen Volksgruppen entstammt, müsste auch bei Ansiedlung außerhalb Kadunas mit einer existenziellen Bedrohung durch Gewalt bzw. Vertreibung rechnen. In Nigeria sind nämlich landesweit in den vergangenen Jahren bis heute eine Vielzahl von Personen Opfer ethnischer, sozialer, wirtschaftlicher und/oder religiöser Konflikte geworden und dem Schicksal eines Binnenflüchtlings ausgesetzt worden.
52 
(Vgl. die Rechercheergebnisse in ecoi.net: → „Nigeria“ → „Themenpapier“ → „Humanitäre Fragen“ → „Binnenvertreibung“
53 
28.05.2003 Internal Displacement Monitoring Centre : Bericht zur Situation von Binnenvertriebenen - Bei ethnischen Zusammenstößen zwischen Yoruba und Haussa-Fulanis in der Region Lagos wurden Tausende vertrieben; in den vergangenen 3 Jahren starben hunderte von Menschen (Februar 2002).
54 
24.05.2004 US Committee for Refugees and Immigrants : Im Jahr 2003 wurde Nigeria im fünften Jahr in Folge durch gewaltsame Auseinandersetzungen, verbunden mit politischen, religiösen und ethnischen Meinungsverschiedenheiten, erschüttert. Mehr als eine Million Menschen wurden seit 1999 aus ihrem angestammten Gebieten verdrängt, allein 750.000 davon in der Zeit zwischen 2001 und 2003 in Zentral-Nigeria (amtliche Schätzungen). Am Jahresende 2003 wurden mehr als 57.000 Nigerianer innerhalb des Landes vertrieben.
55 
08.03.2006 US Department of State : Im Jahr 2005 wurden im Zuge gewalttätiger Auseinandersetzungen unzählige Menschen aus ihrer Heimatgegend vertrieben. Laut Amnesty International blieben Zehntausende als Folge u.a. ethnischer Konflikte in der Region des Niger Delta.
56 
21.09.2006 Internal Displacement Monitoring Centre : Anzahl der Binnenvertriebenen aufgrund fehlender Registrierung unbestimmt; Mehrheit sucht Zuflucht bei Familie, Gastgemeinden oder in größeren Städten; 50.000 Binnenvertriebene, 150 Tote durch Welle religiös motivierter Gewalt in mehreren Bundesstaaten, ausgelöst durch Proteste gegen Karikaturen des Propheten Mohamed im Februar 2006“.
57 
Vgl. ferner die Rechercheergebnisse in ecoi.net: → „Nigeria“ → „Themenpapier“ → „Humanitäre Fragen“ → „Interne Schutzalternative“
58 
UNHCR an österreichischen Bundesasylsenat 26. 04.2002: „D ie Gewalt hat aber insofern auf den Süden übergegriffen, als die meisten Opfer der Unruhen im Norden aus dem Süden abstammen und sich zumindest bis zu einer Beruhigung der Situation im Norden in ihre Heimatorte im Süden des Landes zurückgezogen haben. Manche sind nunmehr bereits wieder in den Norden zurückgekehrt. Dieses Übergreifen der Gewalt zeigt sich etwa am Beispiel der Ereignisse nach den Unruhen von Kaduna vom Vorjahr, bei denen mehrere Menschen getötet worden sind: Als die Leichen zum Begräbnis in die Heimat der Opfer im Süden Nigerias zurückgebracht wurden, kam es dort zur rachemotivierten Ermordung von aus dem Norden stammenden Personen und in Folge zu einer umgekehrten Fluchtbewegung der Bedrohten, die in ihre Herkunftsorte im Norden des Landes zurückgekehrt sind. Personen christlichen Glaubens können sich der religiösen Verfolgung somit grundsätzlich durch Flucht in südliche Landesteile entziehen. Nach wie vor ziehen Nigerianer in andere Gebiete, um den Unruhen zu entgehen. Vielfach kehren sie aber nach einer Beruhigung der Situation wieder an ihren Wohnort zurück. Die Frage des Vorliegens einer internen Fluchalternative ist aber jedenfalls im Einzelfall zu überprüfen“.)
59 
Zu Gunsten des Klägers rechtfertigen schließlich zu der zuvor geschilderten Lage hinzutretende besondere persönliche Umstände die Annahme einer immer noch bestehenden, zumindest latenten Gefährdungslage bei Rückkehr. Zum einen handelt es sich beim Kläger zur Überzeugung des Gerichts - auch insoweit bestehen an der Glaubhaftigkeit seiner Angaben keine Zweifel - um eine alleinstehende Person. Die Kläger hat ausführlich und mit sichtlicher Betroffenheit geschildert, dass sein gelähmter Vater bei den Unruhen im April 2004 von Moslems getötet wurde. Gerade auch das spricht übrigens dafür, dass konkret auf die Person des Klägers abgezielt worden war. Die Tötung des Vaters wäre angesichts der Einwohnergrößen von Kaduna bzw. Makarfi sonst wohl ein äußerst unwahrscheinlicher Zufall gewesen. In der Versorgung des Vaters hatte, seitdem Mutter und Geschwister bei einem Verkehrsunfall getötet worden waren, eine bedeutsame Lebensaufgabe des Klägers bestanden. Auch in diesem Zusammenhang hat er absolut nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass die schwierige Situation, die er und sein kranker (arbeitsunfähiger) Vater zu bewältigen hatten, sie zum Beitritt bei der Pfingstgemeinde bewegten. Von etwas Straßenfußball in der Freizeit abgesehen, bestand der Lebensinhalt des Klägers sonst nur aus Arbeiten - um sich und den Vater zu versorgen - sowie aus der Teilnahme am religiösen Gemeindeleben. Aufgrund seiner Befähigung zum Tanzen und Singen war der Kläger hier besonders gut für die Missionstätigkeit seiner Gemeinde geeignet.
60 
Diese wenigen Lebensinhalte hat der Kläger am 3.4.2004 zusammen mit seinem Vater verloren. Es war auch noch in der mündlichen Verhandlung feststellbar, dass er hierdurch erheblich in seiner Persönlichkeit erschüttert wurde. Deshalb ist es für das Gericht auch ohne weiteres erklärbar, dass er in der Folgezeit sein Schicksal ganz in die Hände seiner Kirchengemeinde legte und nur passiv an seiner Flucht mitwirkte. Die ihn seit Jahren in Rottweil betreuende Sozialarbeiterin Frau A. hat in der mündlichen Verhandlung vor diesem gesamten Hintergrund für das Gericht glaubhaft und nachvollziehbar dargelegt, dass der Kläger in Deutschland isoliert und zurückhaltend lebt. Seine Aktivitäten betreffen nur Fußball und Religionsausübung (Bibellesen, Besuch von Gottesdiensten). Aus all dem schließt das Gericht, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Nigeria noch weiter in seiner Persönlichkeit beeinträchtigt würde, und - gewissermaßen als Versuch der Kompensation und des Vergessens der persönlichen Verluste - noch stärker als in der Vergangenheit eine „Flucht in die religiöse Betätigung“ suchte. Wie er selbst ohne Zögern eingeräumt hat, gibt es ganz Nigeria - so auch in Lagos - Niederlassungen seiner Kirchengemeinde. Seine Aufnahme in eine solche Gemeinde wäre zwar sicher, ebenso sicher wäre aber, dass die nach außen gerichtete Missionstätigkeit künftige Konfrontationen mit anderen Glaubensrichtungen - speziell der muslimischen - nach sich zöge. Angesichts des aus den mehrfach genannten Erkenntnisquellen ersichtlichen gewaltsamen Konfliktpotenzials müsste dann erneut mit Gefahr für Leben, Freiheit und Gesundheit gerechnet werden. Selbst wenn man darin „nur“ eine latente Gefährdungslage sehen wollte, so genügte dies unter Geltung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs (vgl. dazu, dass ein latente Gefahrenlage der Situation einer nicht hinreichenden Verfolgungssicherheit entspricht: BVerwG, Urt. v. 8.12.1998 - 9 C 17/98 - NVwZ 1999, 544). Wie bereits oben (Seite 9/10) dargelegt, war und ist der nigerianische Staat schließlich in einer solchen Situation auch schutzunfähig (Art. 7 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie).
61 
Weil dem Kläger ein Flüchtlingsstatus i. S. v. § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen ist, war die Nr. 2 des Bundesamtsbescheids aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ein entsprechendes Abschiebungsverbot festzustellen. Aufzuheben war ferner die dadurch gegenstandslos gewordene Nr. 3 des Bescheids, denn einer Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bedurfte es nicht mehr (vgl. § 31 Abs. 3 Sätze 1 und 2, Abs. 2 AsylVfG). Auf Grund des bestehenden Anspruchs auf Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG war die Abschiebungsandrohung (Nr. 4) schließlich vollständig aufzuheben, weil in ihr konkret der Staat hätte bezeichnet werden müssen, in den der Kläger abgeschoben werden darf (vgl. § 60 Abs. 10 AufenthG).
62 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 83 b AsylVfG. Unter Berücksichtigung der neueren (kostenrechtlichen) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 21.12.2006 - 1 C 29/03 - NVwZ 2007, 469) sowie vor allem mit Blick auf die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgebliche Rechtslage hält das Gericht eine deutliche Gewichtung der Flüchtlingsanerkennung zu Gunsten des Klägers für geboten.

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

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Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 155


(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteili

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(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 25. Okt. 2006 - A 3 S 46/06

bei uns veröffentlicht am 25.10.2006

Tenor Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 05. Oktober 2005 - A 11 K 11032/05 - geändert. Die Klage wird abgewiesen. Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Recht

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 05. Oktober 2005 - A 11 K 11032/05 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger zu 1 ist am ....1977 in Atsch’Choi-Martan (südlich von Grosny) geboren und nach seinen Angaben ein tschetschenischer Volkszugehöriger. Seine Ehefrau, die Klägerin zu 2 ist am ....1982 ebenfalls in Atsch’Choi-Martan geboren, wo die Eheleute nach ihren Angaben zuletzt auch ihren Wohnort hatten. Am 20.01.2004 reisten die Kläger zusammen mit der Klägerin zu 3, ihrer am ....2003 geborenen Tochter, aus. Am 27.01.2004 wurden sie um 2.05 Uhr, versehen mit einer Bahnfahrkarte nach Belgien, in Dortmund aufgegriffen und suchten um Asyl nach.
Die Klägerin zu 2 war im Besitz eines am 08.05.2003 ausgestellten russischen Inlandspasses (neu). Der Kläger führte hingegen keinen neuen russischen Inlandspass mit, sondern nur eine vorläufige Bescheinigung, eine Art Passersatz, die ihm der Schlepper abgenommen hatte. Ansonsten hatte der Kläger an Dokumenten einen Führerschein, ein Schulzeugnis, eine Heiratsurkunde, die Geburtsurkunde seiner Tochter sowie eine Bescheinigung über die bestandene Fahrprüfung dabei.
Bei der Anhörung vor dem Bundesamt gab der Kläger an, er habe von Herbst/Winter 1996 bis Juni 1997 in einer Spezialeinheit von Maschadow gedient, die in einer ehemaligen Bleistiftfabrik in Atsch’Choi-Martan untergebracht gewesen sei. Danach sei er zur Bahnpolizei gekommen und habe dort bis 1999 in Grosny gearbeitet. Im letzten Jahr habe er von der Landwirtschaft gelebt. Im Sommer 2001 habe er eine Vorladung zur Miliz in Atsch’Choi-Martan erhalten. Er habe ein Gespräch mit drei russischen Milizoffizieren geführt, die von ihm verlangt hätten, wieder bei der Miliz zu arbeiten. Außerdem hätten sie Informationen darüber gefordert, wer noch Waffen besitzen könnte und wer früher noch bei der Miliz gearbeitet habe. Er habe zahlreiche Formulare mitgenommen und sei ohne sich festzulegen gegangen. Sein Vater habe ihm danach geraten, diese Sache bleiben zu lassen, obwohl er 1.000 Dollar bekommen hätte. Im September 2001 sei es nachts zu einer Säuberungsaktion gekommen, bei der einige Personen festgenommen worden seien, darunter auch er. Sie hätten nach Alchasur Dasajew gesucht, ihn dabei auch gefasst und in einem anderen Zimmer verhört. Er - der Kläger - sei erniedrigt, beschimpft, geschlagen und nach Waffen befragt worden. Danach sei er mit 10 Leuten in eine Zelle gesperrt worden. Auch die drei Brüder D. seien bei ihm in der Zelle gewesen. Diese seien abgeholt, schwer misshandelt und dann wieder zurück in die Zelle gebracht worden. Ihn selbst habe man in Ruhe gelassen, weil er sich beim Treppensteigen die Rippen gebrochen habe. Drei Nächte habe er in dieser Zelle verbracht, dann habe ihn sein Vater freigekauft. In der Zeit danach habe er ein einigermaßen friedliches Leben geführt, im Garten und der Landwirtschaft gearbeitet und auch Kontakte zu seinen ehemaligen Kameraden aufrechterhalten. Am 12.12.2003 seien gegen 10.00 Uhr oder 11.00 Uhr vormittags zwei ehemalige Kameraden, Leibwächter von Dudajew, zu ihm nach Hause gekommen. Sie hätten ihn gebeten, ihr Motorrad mit Beiwagen zu verstecken, in dem sich vermutlich Utensilien zum Bau einer Bombe befunden hätten. Er habe nicht Nein sagen können. Nachmittags gegen 3.00 Uhr oder 4.00 Uhr habe er seine Frau zu seinen Schwiegereltern geschickt, weil er ein komisches Gefühl gehabt habe. Er habe an diesem Abend lange gewartet, aber seine Kameraden seien nicht zurückgekommen. Um 0.00 Uhr sei er ins Bett gegangen, gegen 3.00 Uhr oder 4.00 Uhr morgens seien die Militärs gekommen, einige maskiert, und hätten das Haus gestürmt. Ihn hätten sie verprügelt und festgenommen. Auch sein Vater und sein Bruder M. seien verprügelt worden, das Motorrad hätten sie beschlagnahmt. Wohin ihn die Militärs gebracht hätten, wisse er nicht, er sei dort in einer Zelle sieben bis acht Tage eingesperrt gewesen. Ca. 5 bis 6 Tage nach seiner Inhaftierung habe man ihn nach einer halbstündigen Fahrt an einen Ort, nicht weit von Schami-Jurt, einem Nachbardorf, gebracht. Dort habe er die beiden Freunde R. N. und H. Z. getroffen. Alle drei hätten sie Handschellen getragen und seien mit einer Video-Kamera aufgenommen worden, was wohl als Beweis dafür habe dienen sollen, dass sie an dieser Stelle hätten eine Bombe zünden wollen. Nachdem er 8 Tage beim Militär inhaftiert gewesen sei, habe man ihn für 15 Tage zur Miliz gebracht, bevor ihn sein Vater wiederum habe freikaufen können. Dies sei am 04.01.2004 vormittags gewesen. Am 05.01. habe ihn ein Cousin zu der Verwandtschaft seiner Frau für acht Tage nach Walerik gebracht, anschließend sei er noch ein paar Tage bei seiner Tante in Walerik geblieben. Vom 17.01. bis zum 20.01. habe er sich bei seinem Cousin in Atsch’Choi-Martan aufgehalten. Seine Ausreise habe sein Vater organisiert.
Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt bestätigte die Klägerin zu 2, dass der Kläger zu 1 am 12.12.2003 festgenommen worden sei. Sie sei nicht zu Hause gewesen, denn ihr Mann habe sie nachmittags zu ihren Eltern geschickt. Er sei dann am 04.01.2004 wieder freigekommen, nachdem ihn ihr Schwiegervater freigekauft habe. Weiter berichtete sie, dass der Kläger nicht immer zu Hause gewesen sei, sondern mal in Inguschetien und in Walerik gelebt habe. Vom September bis Dezember 2003 habe er in Inguschetien eine Wohnung gemietet gehabt, eigentlich schon von Juni ab, und sei dort in Nasran als Bauarbeiter beschäftigt gewesen.
Mit Bescheid vom 18.07.2005 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Asylanträge ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 des AufenthG nicht vorliegen. Außerdem wurden die Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Im Falle einer nicht freiwilligen Ausreise wurde ihre Abschiebung in die Russische Föderation oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen dürfen oder der zu ihrer Rücknahme verpflichtet ist, angedroht. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, eine Asylanerkennung gem. Art. 16 a Abs. 1 GG scheitere schon daran, dass die Kläger das Bundesgebiet auf dem Landweg erreicht hätten. Es bestünde aber auch kein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG, denn die Kläger seien nicht individuell vorverfolgt ausgereist. Die vom Kläger vorgetragene Verfolgungsgeschichte sei nicht glaubhaft. Wenn es tatsächlich zugetroffen hätte, dass sich in dem bei ihm untergestellten Motorrad samt Beiwagen Utensilien für den Bau einer Bombe befunden hätten, wäre er mit Sicherheit von der russischen Armee nicht mehr auf freien Fuß gesetzt worden. Ein weiteres Indiz dafür, dass er nicht die Wahrheit gesagt habe, sei seine Aussage, wonach er im letzten Jahr von der Landwirtschaft gelebt habe, während seine Ehefrau angegeben habe, er sei von September bis Dezember 2003 in Inguschetien gewesen, habe dort eine Wohnung gemietet und sei einer Beschäftigung als Bauarbeiter nachgegangen. Offenbar habe er von Inguschetien aus seine Ausreise betrieben. Dass diese längerfristig geplant gewesen sei, beweise die Vielzahl der Unterlagen, besonders sein Schulzeugnis, das er mitgeführt habe. Seine Festnahme im Rahmen einer Säuberungsaktion im Jahr 2001 könne als wahr unterstellt werden, stehe jedoch nicht mehr im kausalen Zusammenhang mit der Ausreise. Nach seinen eigenen Angabe habe er danach längere Zeit unbehelligt leben können. Auch die allgemeine Lage in der russischen Teilrepublik Tschetschenien führe zu keiner anderen Einschätzung des Asylantrags. Es werde nicht verkannt, dass eine Rückkehr in die russische Teilrepublik Tschetschenien auf Grund der derzeitigen allgemeinen Lage den Ausländern nur schwerlich zugemutet werden könne. Die Kläger könnten ihren Aufenthalt aber in anderen Teilen der Russischen Föderation nehmen. Vor allem in Südrussland sei eine Registrierung und der für die Registrierung notwendige Wohnraum eher möglich als in den großen Städten, wie etwa in den Regionen Stawropol oder der Wolgaregion. Da die Familie nicht in das Blickfeld der russischen Sicherheitsorgane geraten sei und die Kläger somit auch nicht als potentielle Unterstützer der tschetschenischen Sache angesehen würden, sei eine Wohnsitznahme außerhalb Tschetscheniens durchaus möglich, wie vom Kläger bereits unter Beweis gestellt worden sei. Dieser könne durch Arbeiten am Bau oder durch Mitarbeit in der Landwirtschaft den Lebensunterhalt seiner Familie sicherstellen. Gründe für ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG seien ebenfalls nicht ersichtlich. Der schwierige Prozess des Wiederaufbaus einer funktionstüchtigen Wirtschaft habe in den neunziger Jahren zu einem sinkenden Lebensstandard und einer angespannten sozialen Lage in der Russischen Föderation geführt. Der 1999 einsetzende Wirtschaftsaufschwung habe eine allmähliche Verbesserung bewirkt. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln sei vom Nahrungsmittelangebot her gewährleistet und es gebe staatliche Unterstützung, z.B. Sozialhilfe für bedürftige Personen auf sehr niedrigem Niveau (AA, Lagebericht vom 26.03.2004). Dieser Bescheid wurde den Klägern am 20.07.2005 zugestellt.
Bereits am 19.07.2005 haben die Kläger Klage erhoben. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht haben sie am 05.10.2005 ihr Klagebegehren dahingehend beschränkt, dass sie nunmehr unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 18.07.2005 die Feststellung begehren, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erfüllt sind; hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG vorliegen, weiter hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG gegeben sind.
Mit Urteil vom 05.10.2005 - A 11 K 11032/05 - hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe der Klage stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AuslG vorliegen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Gericht sei davon überzeugt, dass die Kläger tschetschenische Volkszugehörige seien. Es habe zwar nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die Kläger individuell vorverfolgt ausgereist seien, indessen sei die Kriegsführung der russischen Seite im und seit dem 2. Tschetschenienkrieg sowie die Übergriffe der in Tschetschenien stationierten russischen Streitkräfte und der pro-russischen Sicherheitskräfte zur Überzeugung des Gerichts gegenüber der tschetschenischen Zivilbevölkerung als Gruppenverfolgung zu bewerten, von der die in Tschetschenien verbliebene tschetschenische Bevölkerung betroffen sei. Auf eine inländische Fluchtalternative in den restlichen Gebieten der russischen Föderation könnten die Kläger nicht verwiesen werden, denn ihnen drohe im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in der russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens ebenfalls mit hinreichender Sicherheit politische Verfolgung, nämlich durch die in ihrem Fall zu erwartende Verweigerung der Registrierung und deren Folgen. Weder in Inguschetien, noch in Kabardino-Balkarien oder Krasnador und Stawropol sei hinreichend gewährleistet, dass die Kläger dort einen legalen Aufenthalt begründen könnten. Auch in den übrigen Teilen der Russischen Föderation könne nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Kläger eine Registrierung fänden, und dass sie ohne registriert zu sein, nicht in eine ausweglose Lage gerieten. Das Fehlen der Registrierung sperre den Zugang zum Gesundheits- und Schulwesen, zum freien Wohnungs- und in der Regel auch zum Arbeitsmarkt für unselbständige Tätigkeiten. Ein Aufenthalt in der Russischen Föderation, ohne registriert zu sein, sei generell geeignet, die Kläger aus der Rechtsgemeinschaft des Staates, auszugrenzen und in eine ausweglose Lage zu bringen. Eine solche Maßnahme sei asylerheblich. Ob den Klägern ein Leben in der Illegalität zumutbar sei, hänge von der Prognose über die zu erwartenden Folgen und Beeinträchtigungen ab. Maßgebend hierfür seien etwa die Vermögensverhältnisse des Betroffenen und seiner Familie und seine Fähigkeiten, etwa erlernte Berufe und bisherige Beschäftigungen sowie Kontakte zu ansässig gewordenen Tschetschenen, mittels denen der Betreffende seinen Lebensunterhalt bestreiten könne. Solche Besonderheiten seien für die gesamte Familie vorliegend nicht gegeben. Diese existenzielle Gefährdung sei auch verfolgungsbedingt, denn die Kläger hätten sich in Tschetschenien, wenn sie es nicht verfolgungsbedingt hätten verlassen müssen, weiterhin und wie bisher in dem vertrauten Umfeld ihrer Heimat mit dem Existenznotwendigen versorgen können.
Gegen das ihr am 17.10.2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19.10.2005 beim Verwaltungsgericht die Zulassung der Berufung beantragt.
Mit Beschluss vom 11.01.2006 - A 3 S 990/05 - hat der Senat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der (Tatsachen)Frage zugelassen, ob tschetschenische Volkszugehörige in Tschetschenien einer Gruppenverfolgung unterliegen und ob für sie in den restlichen Gebieten der Russischen Föderation eine inländische Fluchtalternative besteht. Der Beschluss ist der Beklagten am 19.01.2006 zugestellt worden.
10 
Am 07.02.2006 hat die Beklagte die Berufung begründet, in dem sie auf die Ausführungen in der Antragsschrift auf Zulassung der Berufung vom 19.10.2005 sowie auf die Ausführungen im Zulassungsbeschluss vom 11.01.2006 verwiesen hat.
11 
Die Beklagte beantragt,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 05.10.2005 - A 11 K 11032/05 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
13 
Die Kläger beantragen,
14 
die Berufung zurückzuweisen,
15 
hilfsweise, zusätzlich festzustellen, dass die Voraussetzungen des Art. 15 c RL 2004/83/EG vorliegen.
16 
Zur Begründung beziehen sie sich auf die Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts.
17 
In der mündlichen Verhandlung ist der Kläger zu den Gründen seines Asylantrags angehört worden. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf die darüber gefertigte Niederschrift verwiesen.
18 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten, die beigezogenen Behördenakten und die Erkenntnismittel, aufgelistet in der den Beteiligten mit Schreiben vom 28.09.2006 übermittelten Erkenntnisquellenliste Russische Föderation (Stand: 28.09.2006) sowie die Gerichts- und Behördenakten im Verfahren der Tochter der Kläger zu 1 und 2 (- A 3 S 48/06 -). Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung, ebenso wie der Bericht von MEMORIAL „Menschen aus Tschetschenien in der Russischen Föderation, Juli 2005 bis Juli 2006“.

Entscheidungsgründe

 
I.
19 
Die Berufung des Beklagten ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere sind die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 3, Abs. 3 Satz 4 VwGO erfüllt, wonach die Berufungsbegründung einen bestimmten Antrag und die im Einzelnen anzuführenden Berufungsgründe enthalten muss. Welche Mindestanforderungen danach an die Berufungsbegründung zu stellen sind, hängt wesentlich von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab. Das gesetzliche Erfordernis der Einreichung eines Schriftsatzes zur Berufungsbegründung kann grundsätzlich auch eine auf die erfolgreiche Begründung des Zulassungsantrags verweisende Begründung erfüllen, wenn damit hinreichend zum Ausdruck gebracht werden kann, dass und weshalb das erstinstanzliche Urteil weiterhin angefochten wird. In asylrechtlichen Streitigkeiten genügt eine Berufungsbegründung den Anforderungen des § 124 a Abs. 6 VwGO regelmäßig etwa dann, wenn sie zu einer entscheidungserheblichen Frage ihre von der Vorinstanz abweichende Beurteilung deutlich macht, was auch durch die Bezugnahme auf die Begründung des insoweit erfolgreichen Zulassungsantrags und auf den Zulassungsbeschluss geschehen kann (st. Rechtspr. des BVerwG, z.B. Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - ; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.11.1997 - A 16 S 193/97 -, NVwZ 1998, 1089 f.). Dem wird die auf den Berufungszulassungsantrag sowie den Zulassungsbeschluss des erkennenden Senats verweisende Berufungsbegründung der Beklagten vom 02.02.2006 gerecht.
II.
20 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit dem angefochtenen Urteil zu Unrecht verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erfüllt sind und daher auch zu Unrecht den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Den Klägern steht nämlich der mit der Berufung weiterverfolgte Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht zu, und die Beklagte kann auch nicht zur (hilfsweise beantragten) Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG, § 60 Abs. 7 AufenthG und Art. 15 c RL 2004/83/EG verpflichtet werden (siehe § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
21 
1. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (Abkommen vom 28.07.1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge, BGBl. 1953 II, S. 559 - GFK -) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Nach Satz 4 dieser Bestimmung kann eine Verfolgung im Sinne des Satzes 1 ausgehen vom Staat selbst, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder von nichtstaatliche Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten; dies gilt nach der gesetzlichen Regelung unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative. Eine Verfolgung liegt vor, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an eines der genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (siehe grundsätzlich: BVerfG, Urteil vom 10.07.1989 - 2 BvR 502, 1000 und 961/86 -, BVerfGE 80, 315, S. 339 und Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, Stand Oktober 2006, RdNr. 41 zu § 60 AufenthG).
22 
Bei Auslegung und Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG ist die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004, ABl. vom 30.09.2004 L 304/12 (Qualifikationsrichtlinie) zu berücksichtigen, denn am 10.10.2006 ist gemäß Art. 38 Abs. 1 RL 2004/83/EG die Umsetzungsfrist für diese Richtlinie abgelaufen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kommt nicht fristgerecht umgesetzten Richtlinien im Recht der Mitgliedstaaten eine unmittelbare Wirkung zu, wenn die Richtlinie von ihrem Inhalt her unbedingt und hinreichend bestimmt ist, um im Einzelfall angewandt zu werden, und sie dem Einzelnen subjektiv-öffentliche Rechte einräumt oder jedenfalls seine rechtlichen Interessen schützen will (vgl. EuGH, Urteile vom 05.04.1979 - Rs. 148/78 - , Slg. 1979, 1629 Rn. 23; Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Kommentar, 2. Aufl. (2002), Art. 249 EGV RdNr. 73 ff.). Diese Voraussetzungen liegen im Fall der Qualifikationsrichtlinie vor; die darin enthaltenen Regelungen erfüllen zum ganz überwiegenden Teil diese Voraussetzungen. Dies hat zur Folge, dass die nationalen Bestimmungen unter Berücksichtigung der Richtlinienbestimmung richtlinienkonform auszulegen sind, und im Falle des Entgegenstehens der nationalen Bestimmung die Richtlinienbestimmung unmittelbare Anwendung findet (vgl. auch Hinweise des Bundesministerium des Innern vom 13.09.2006 zur Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG, S. 2 - künftig: Hinweise des BMI -). Hierbei sind die Anforderungen an die Verfolgungsmotivation und an die in Betracht kommenden (staatlichen und nichtstaatlichen) Verfolgungssubjekte in der RL 2004/83/EG und in dem ihr insoweit nachgebildeten § 60 Abs. 1 AufenthG deckungsgleich geregelt.
23 
Ob und inwieweit sich bei anderen Verfolgungsmerkmalen Abweichungen bei den Voraussetzungen und beim Verfolgungsmaßstab zwischen § 60 Abs. 1 AufenthG und der RL 2004/83/EG ergeben könnten, kann der Senat weitgehend offen lassen. Denn auch wenn von der für die Kläger jeweils günstigsten tatsächlichen und rechtlichen Konstellation hinsichtlich einer Vorverfolgung in Tschetschenien vor der Ausreise ausgegangen wird (dazu 1.) und der Senat zudem auch ihre Verfolgung in Tschetschenien im Falle der Rückkehr unterstellt , können sie Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AuslG und nach der RL 2004/83/EG jedenfalls deswegen nicht erhalten, weil ihnen jedenfalls eine inländische Fluchtalternative i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 4 c) AufenthG bzw. interner Schutz im Sinne von Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie in Gebieten außerhalb Tschetscheniens zur Verfügung steht (dazu 2.).
24 
1. Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war, kommt nach nationalem Recht wie nach der RL 2004/83/EG ein herabgestufter Verfolgungsmaßstab zugute. Nach nationalem Recht kann ihm eine Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (vgl. BVerwGE 70, 169 <170 f.>). Nach diesem Maßstab wird nicht verlangt, dass die Gefahr erneuter Übergriffe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Vielmehr ist - über die theoretische Möglichkeit, Opfer eines Übergriffs zu werden, hinaus - erforderlich, dass objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernt und damit als durchaus reale Möglichkeit erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.09.1992 - 9 C 62/91 -, NVwZ 1993 S. 191). Dem entspricht im Ergebnis Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie, wonach die Tatsache einer bereits eingetretenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung als ernsthafter Hinweis darauf zu werten ist, dass die Furcht des Schutzsuchenden vor Verfolgung begründet ist.
25 
Der Senat unterstellt zugunsten der Kläger, dass sie vor der Ausreise aus Tschetschenien dort von einer derartigen Verfolgung in Form einer regionalen Gruppenverfolgung betroffen waren. Ob dies tatsächlich der Fall war - ob mithin tschetschenische Volkszugehörige aus Tschetschenien dort aus asylerheblichen Gründen (wegen ihres Volkstums oder ihrer politischen Überzeugung) in der erforderlichen Verfolgungsdichte und -intensität von staatlichen russischen Stellen verfolgt wurden - braucht demgemäß nicht entschieden zu werden. Allerdings folgt der Senat dem Verwaltungsgericht darin, dass die Kläger jedenfalls eine individuelle Vorverfolgung nicht belegen können. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann zunächst auf die überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts hierzu verwiesen werden. Auch der Senat hat in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Kläger jedenfalls hinsichtlich des Vorfalls im Jahre 2003, der Auslöser für seine Flucht gewesen sein soll, von Geschehnissen berichtet hat, die er nicht selbst erlebt hat. Zu oberflächlich und unbeteiligt geriet seine Schilderung. Auch soweit er erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat von sexuellen Erniedrigungen und Demütigungen berichtet hat, zeigte er keine Emotionen und vermittelte dem Senat einen durchweg unbeteiligten Eindruck. Hinzu kommt, dass es sich hierbei um eine deutliche Steigerung seines Vorbringens handelt, und er nicht plausibel erklären konnte, weshalb er diese Geschehnisse nicht bereits bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt oder dem Verwaltungsgericht offenbart hat. Seine Einlassung auf den Vorhalt des Gerichts, es sei ihm schwer gefallen, die sexuellen Demütigungen und Erniedrigungen einem Richter gegenüber zu bekunden, weil es sich bei den Soldaten ja um Männer gehandelt habe, überzeugen den Senat schon deshalb nicht, weil der Kläger sich in einer Art und Weise geäußert hat, die eine wirkliche Betroffenheit vermissen ließ.
26 
2. Auf der Grundlage der (unterstellten) (Gruppen-) Vorverfolgung der Kläger wäre ein Anspruch auf Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG dann gegeben, wenn sie zum einen auch bei einer Rückkehr nach Tschetschenien wegen ihrer tschetschenischen Volkszugehörigkeit einer (regionalen) Gruppenverfolgung - mit der erforderlichen Verfolgungsmotivation und Verfolgungsdichte - unterlägen, wobei sie sich auf einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab berufen könnten, und wenn ihnen zum anderen eine zumutbare inländische Flüchtalternative in anderen Landesteilen Russlands nicht zur Verfügung stünde. Ob die erstgenannte Voraussetzung (Gruppenverfolgung in Tschetschenien, hinreichende Sicherheit) gegeben ist, braucht der Senat ebenfalls nicht zu entscheiden. Denn auch wenn er diesen Verfolgungssachverhalt zu Gunsten der Kläger unterstellt, können sich die Kläger jedenfalls an einen Ort innerhalb der Russischen Föderation begeben, an dem sie eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 c) AufenthG nach Maßgabe der Auslegungskriterien nach Art. 8 RL 2004/83/EG (interner Schutz) finden können.
27 
a) Gemäß Art. 8 Abs. 1 RL 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) können die Mitgliedsstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht, und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Gemäß Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG berücksichtigen die Mitgliedsstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Abs. 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Art. 8 RL 2004/83/EG ermächtigt die Mitgliedsstaaten zunächst grundsätzlich, den internationalen Schutz einzuschränken, wenn die betreffende Person in einem Teil des Herkunftslandes unter zumutbaren Umständen Schutz vor Verfolgung gefunden hat oder findet. Wie Art. 1 Nr. 38 a) bb) und cc) des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (Stand: 13.03.2006) zeigt, werden diese Vorgaben in der Neufassung des § 60 Abs. 1 AufenthG aufgegriffen und umgesetzt.
28 
Nach Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG kommt es nunmehr auf die am Ort des internen Schutzes bestehenden „allgemeinen Gegebenheiten“ und zusätzlich auch auf die „persönlichen Umstände“ des Asylsuchenden im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag an (so auch die Begründung des oben genannten Gesetz-Entwurfs zu Art. 1, Nr. 38 zur Auslegung von Art. 8 RL 2004/83/EG, S. 193 f.). Zur Interpretation des Begriffs der persönlichen Umstände kann auf Art. 4 Abs. 3 Buchst. c RL 2004/83/EG zurückgegriffen werden, wonach die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Asylsuchenden einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, bei der Entscheidung zugrunde zu legen sind. Zu fragen ist sodann auf der Grundlage dieses gemischt objektiv-individuellen Maßstabs, ob von einem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich am Ort der internen Fluchtalternative aufhält. Erforderlich hierfür ist , dass er am Zufluchtsort unter persönlich zumutbaren Bemühungen jedenfalls sein Existenzminimum sichern kann. Fehlt es an einer solchen Möglichkeit der Existenzsicherung, ist eine interne Schutzmöglichkeit nicht gegeben.
29 
Dies entspricht im Kern der geltenden Rechtsprechung zu den Mindestanforderungen einer inländischen Fluchtalternative. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierbei auch bisher schon die individuellen Umstände des Asylsuchenden in den Blick genommen. So hat es eine inländische Fluchtalternative beispielsweise dann verneint, wenn für einen vorverfolgten Flüchtling am Zufluchtsort das wirtschaftliche Existenzminimum wegen in seiner Person liegender Merkmale - etwa wegen Behinderung oder wegen hohen Alters - nicht gewährleistet ist oder wenn der Vorverfolgte am Ort der Fluchtalternative keine Verwandten oder Freunde hat, bei denen er Obdach oder Unterstützung finden könnte, und ohne eine solche Unterstützung dort kein Leben über dem Existenzminimum möglich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.1993 - 9 C 45.92 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 166). In einer neuen Entscheidung hat sich das Bundesverwaltungsgericht ferner mit der Frage auseinandergesetzt, was dem Betroffenen am Ort der Fluchtalternative an Tätigkeiten zumutbar ist, um seinen Lebensunterhalt zu sichern (Beschluss vom 31.08.2006 - 1 B 96/06 - ) und hat damit Erwägungen angestellt, die auch den Anforderungen des Art. 8 RL 2004/83/EG Rechnung tragen. Nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts, denen der Senat folgt, bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen das wirtschaftliche Existenzminimum grundsätzlich dann, wenn sie dort - was grundsätzlich zumutbar ist - durch eigene und notfalls auch weniger attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten im Bereich einer "Schatten- oder Nischenwirtschaft" stattfinden. Der Verweis auf eine entwürdigende oder eine kriminelle Arbeit - etwa durch Beteiligung an Straftaten im Rahmen „mafiöser“ Strukturen - ist dagegen nicht zumutbar (BVerwG, Beschluss vom 17.05.2005 - 1 B 100/05 - ). Maßgeblich ist grundsätzlich auch nicht, ob der Staat den Flüchtlingen einen durchgehend legalen Aufenthaltsstatus gewähren würde, vielmehr ist in tatsächlicher Hinsicht zu fragen, ob das wirtschaftliche Existenzminimum zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.08.2006 - 1 B 96/06 - a.a.O.; a.A. OVG Magdeburg, Urteil v. 31.03.2006 - 2 L 40/06 - , d.h. ob mit den erlangten Mitteln auch die notwendigsten Aufwendungen für Leben und Gesundheit aufgebracht werden können.
30 
b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist es den Klägern - nach der gegenwärtigen Sachlage (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG sowie Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG) - zuzumuten und kann von ihnen daher auch vernünftigerweise erwartet werden, dass sie ihren Aufenthalt in einem anderen Landesteil der Russischen Föderation nehmen, an dem sie vor Verfolgung sicher sind und wo ihr soziales und wirtschaftliches Existenzminimum gewährleistet ist. Selbst wenn dabei mit dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof (Hess. VGH, Urteil vom 18.05.2006 - 3 UE 177/04.A - ) und dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Bay.VGH, Urteil vom 31.01.2005 - 11 B 02.31597 - ) die Regionen Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Krasnodar und Stawropol als Orte/Räume einer inländischen Fluchtalternative ebenso ausgenommen werden wie die russische Hauptstadt Moskau und Petersburg, hat zumindest die Klägerin zu 2 gegenwärtig die Möglichkeit, in der tschetschenischen Diaspora innerhalb Russlands eine Registrierung zu erhalten und mit ihrer Registrierung für die ganze Familie das soziale und wirtschaftliche Existenzminimum zu sichern, denn sie verfügt über einen neuen gültigen russischen Inlandspass, der u.a. Voraussetzung für eine Registrierung ist. Hierzu ist im Einzelnen folgendes auszuführen:
31 
Art. 27 der russischen Verfassung von 1993 garantiert zwar die Niederlassungsfreiheit. Dieses Recht ist indessen strikt begrenzt durch regionale und lokale Bestimmungen und durch das de facto vielerorts noch gültige Propiska-System, das vor dem mit dem Föderationsgesetz im Jahre 1993 eingeführten Registrierungssystem galt und das nicht nur eine Meldung durch den Bürger, sondern auch die Gestattung oder Verweigerung durch die Behörden vorsah. Nach dem Registrierungssystem ist nunmehr Voraussetzung für eine dauerhafte Registrierung, dass der Antragsteller einen Wohnraumnachweis führen kann und über einen russischen Inlandspass verfügt. Ein in Deutschland ausgestelltes Passersatzpapier reicht für eine dauerhafte Registrierung nicht aus (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 26). Trotz der Systemumstellung durch das Föderationsgesetz wenden viele Regionalbehörden der Russischen Föderation restriktive örtliche Vorschriften oder Verwaltungspraktiken an, weshalb Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens erhebliche Schwierigkeiten haben, eine offizielle Registrierung zu erhalten. Besonders in Moskau haben zurückgeführte Tschetschenen in der Regel nur dann eine Chance, in der Stadt Aufnahme zu finden, wenn sie über genügend Geld verfügen oder auf ein Netzwerk von Bekannten oder Verwandten zurückgreifen können. Hierbei haben sich die administrativen Schwierigkeiten und auch die Behördenwillkür nach der Geiselnahme im Oktober 2002 gegenüber - besonderes auch rückkehrenden - Tschetschenen verstärkt; daran dürfte sich auf absehbare Zeit angesichts der weiterhin fortbestehenden Terrorgefahr auch nichts ändern (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 26).
32 
Die genannten Registrierungsvoraussetzungen gelten im ganzen Land. Gleichwohl ist eine offizielle Registrierung in anderen Regionen der Russischen Föderation, vor allem in Südrussland, grundsätzlich leichter möglich als in Moskau, unter anderem weil Wohnraum - eine der Registrierungsvoraussetzungen - dort erheblich billiger ist als in der russischen Hauptstadt mit ihren hohen Mieten. Neben Moskau, wo etwa 200.000 Tschetschenen leben und den oben genannten, als Ort des internen Schutzes möglicherweise nicht in Betracht kommenden Regionen, ist es Tschetschenen auch gelungen, sich im Gebiet Rostow (70.000), in der Wolgaregion (50.000), in Nordossetien (4.000) und in Karatschajewo-Tscherkessien (23.000) anzusiedeln (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 18).
33 
c) Zur Überzeugung des Senats wird es auch der Klägerin zu 2, die im Besitz eines neuen gültigen russischen Inlandspasses ist, gelingen, in diesen tschetschenischen Siedlungsgebieten Wohnraum für sich und ihre Familie zu erlangen und damit grundsätzlich die geforderten Rechtsvoraussetzungen für eine Registrierung zu erfüllen. Im Hinblick auf die Möglichkeit, eine Registrierung zu erhalten bzw. ohne eine solche zu leben, führt MEMORIAL in seinem Schreiben vom 16.10.2005 allerdings aus, dass es sich auch an kleinen Orten nicht ohne Registrierung leben lasse, denn diese werde an jedem Ort benötigt. Hinzu komme, dass in kleinen Ortschaften alles sichtbar sei und man nicht „mit der großen Masse verschmelzen“ könne. Der Senat geht gleichwohl nicht davon aus, dass die Klägerin zu 2 an einem solchen Ort ohne Registrierung wird leben müssen. Trotz aller Schwierigkeiten, vor die sich die Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe bei Registrierungen gestellt sehen, ist nach Auskunft des Auswärtigen Amtes eine Registrierung in vielen Landesteilen möglich, wenn auch oft erst nach Intervention von Nicht-Regierungsorganisationen, Duma-Abgeordneten oder anderen einflussreichen Persönlichkeiten oder durch Bestechung (Lagebericht des AA vom 18.08.2006, Stand Juli 2006, S. 27). Bei ihren diesbezüglichen Bemühungen kann die Klägerin zu 2 auch auf die Unterstützung ihres Ehemannes zählen. Auch wenn dieser selbst über keinen gültigen Inlandspass verfügt und damit die Registrierungsvoraussetzungen für seine Person nicht erfüllt, wird es ihm gelingen, in der stark männlich dominierten tschetschenischen Diaspora Wohnraum zu organisieren und für sich selbst - auch ohne eigene Registrierung (dazu sogleich) - zumindest in der so genannten „Schattenwirtschaft“ eine Arbeit zu finden, die es ihm ermöglicht, das wirtschaftliche Existenzminimum für sich und seine Familie zu sichern. Darauf, ob er sich selbst registrieren lassen kann - wofür mangels eines gültigen Passes wenig spricht - und ob es ihm zumutbar wäre, zunächst nach Tschetschenien zurückzukehren, um sich einen neuen Pass zu beschaffen (dazu AA vom 22.11.2005 an VG Berlin), kommt es vorliegend nicht an. Denn für ihn als Angehörigen einer grundsätzlich registrierungsberechtigten Ehefrau ist auch ohne gültigen Pass eine Aufenthaltsnahme in einer als Ort des internen Schutzes in Betracht kommenden anderen Region der Russischen Föderation möglich und zumutbar (vgl. hierzu auch Hess. VGH, Urteil vom 18.05.2006 - 3 UE 177/04.A- Nr. 53 des Dokuments; für den Fall eines 35jährigen allein stehenden Mannes).
34 
Der Senat verkennt nicht, dass die Konsequenzen einer Nichtregistrierung gravierend sind und Rechtspositionen sowie eine Reihe sozialer Leistungen von der Registrierung abhängen, so das Recht auf Beschäftigung, auf medizinische Versorgung und Ausbildung. Gleichwohl werden sich die Kläger nach den besonderen Umständen des Falles in den Zufluchtgebieten mit zumutbaren Anstrengungen eine ausreichende Lebensgrundlage schaffen können ( zu den generellen Verhältnissen nicht registrierter Tschetschenen vgl. zuletzt AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 27). Entscheidend ist, dass die Klägerin zu 2 über einen gültigen russischen Inlandspass verfügt. Damit wird es ihr nach Einschätzung des Senats möglich sein, in der Russischen Föderation - außerhalb der oben angeführten Regionen, die als Orte des internen Schutzes nicht in Betracht kommen - eine Registrierung zu erhalten. Jedenfalls auf Grundlage dieser Registrierung wird es den Klägern im Familienverbund gelingen, sich durch eine Tätigkeit des Klägers in der in der Russischen Föderation weit verbreiteten sog. „Schattenwirtschaft“ eine ausreichende Lebensgrundlage zu schaffen. Der Kläger ist ersichtlich gesund und zu körperlicher Arbeit in der Lage. Er hat auch bereits in der Landwirtschaft gearbeitet und beim Bau mitgeholfen. Darauf, ob der Familie auch ohne Registrierung „vernünftigerweise“ angesonnen werden könnte, sich in einer der Zufluchtsregionen aufzuhalten - laut MEMORIAL („Menschen aus Tschetschenien in der Russischen Föderation, Juli 2005 bis Juli 2006“, S. 35) ist seit Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 122 der Empfang von staatlichen Unterstützungsgeldern und Renten bei fehlender Registrierung nicht möglich und wird der Besuch des Kindergartens und manchmal sogar der Schulbesuch erschwert - kommt es nicht an.
III.
35 
Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG vor, wobei für die Auslegung Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und die Art. 6 bis 8 RL 2004/83/EG jeweils heranzuziehen sind (vgl. Hinweise des BMI, S.15). Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern bei einer Rückkehr in die Russische Föderation Folter (§ 60 Abs. 2 AufenthG), die Todesstrafe (§ 60 Abs. 3 AufenthG) oder insbesondere eine unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 der EMRK (§ 60 Abs. 5 AufenthG) droht. Art. 2 e RL 2004/83/EG definiert die „Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz“ als Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der bei einer Rückkehr Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie zu erleiden. Auch für diese Personen sieht Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG vor, dass für sie - falls sie bereits vor ihrer Ausreise einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten haben -, der herab gestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab Anwendung findet. Auch wenn der Senat dessen Vorliegen auch hier bei den Klägern unterstellt, scheidet ein Anspruch aus den oben genannten Gründen aus.
36 
Auch für eine Schutzgewährung nach § 60 Abs. 7 AufenthG gilt entsprechendes. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Mit Blick auf die Qualifikationsrichtlinie ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt ist. Bei der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG gelten Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und die Art. 6 bis 8 der Richtlinie 2004/83/EG. Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Hinblick auf die Tatsache, dass die Umsetzungsfrist für die Qualifikationsrichtlinie mittlerweile abgelaufen ist, hilfsweise beantragt haben, zusätzlich festzustellen, dass die Voraussetzungen des Art. 15 c RL 2004/83/EG vorliegen, können sie damit gleichfalls nicht durchdringen, denn Art. 15 c RL 2004/83/EG ist ein Unterfall des § 60 Abs. 7 AufenthG und regelt die subsidiäre Schutzgewährung in Fällen willkürlicher Gewalt im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten. Ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall auf die Situation in Tschetschenien zutreffen, kann dahinstehen, denn auch hier gilt, dass den Klägern nach den obigen Ausführungen eine zumutbare interne Schutzalternative zur Verfügung steht, diese auch erreichbar ist und von ihnen vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie sich dort aufhalten.
IV.
37 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
38 
Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist. Insbesondere kommt es auf die Frage, ob (und welche) tschetschenische Volkszugehörige in Tschetschenien einer (regionalen) Gruppenverfolgung ausgesetzt sind, wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls nicht an.

Gründe

 
I.
19 
Die Berufung des Beklagten ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere sind die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 3, Abs. 3 Satz 4 VwGO erfüllt, wonach die Berufungsbegründung einen bestimmten Antrag und die im Einzelnen anzuführenden Berufungsgründe enthalten muss. Welche Mindestanforderungen danach an die Berufungsbegründung zu stellen sind, hängt wesentlich von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab. Das gesetzliche Erfordernis der Einreichung eines Schriftsatzes zur Berufungsbegründung kann grundsätzlich auch eine auf die erfolgreiche Begründung des Zulassungsantrags verweisende Begründung erfüllen, wenn damit hinreichend zum Ausdruck gebracht werden kann, dass und weshalb das erstinstanzliche Urteil weiterhin angefochten wird. In asylrechtlichen Streitigkeiten genügt eine Berufungsbegründung den Anforderungen des § 124 a Abs. 6 VwGO regelmäßig etwa dann, wenn sie zu einer entscheidungserheblichen Frage ihre von der Vorinstanz abweichende Beurteilung deutlich macht, was auch durch die Bezugnahme auf die Begründung des insoweit erfolgreichen Zulassungsantrags und auf den Zulassungsbeschluss geschehen kann (st. Rechtspr. des BVerwG, z.B. Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - ; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.11.1997 - A 16 S 193/97 -, NVwZ 1998, 1089 f.). Dem wird die auf den Berufungszulassungsantrag sowie den Zulassungsbeschluss des erkennenden Senats verweisende Berufungsbegründung der Beklagten vom 02.02.2006 gerecht.
II.
20 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit dem angefochtenen Urteil zu Unrecht verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erfüllt sind und daher auch zu Unrecht den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Den Klägern steht nämlich der mit der Berufung weiterverfolgte Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht zu, und die Beklagte kann auch nicht zur (hilfsweise beantragten) Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG, § 60 Abs. 7 AufenthG und Art. 15 c RL 2004/83/EG verpflichtet werden (siehe § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
21 
1. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (Abkommen vom 28.07.1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge, BGBl. 1953 II, S. 559 - GFK -) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Nach Satz 4 dieser Bestimmung kann eine Verfolgung im Sinne des Satzes 1 ausgehen vom Staat selbst, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder von nichtstaatliche Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten; dies gilt nach der gesetzlichen Regelung unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative. Eine Verfolgung liegt vor, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an eines der genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (siehe grundsätzlich: BVerfG, Urteil vom 10.07.1989 - 2 BvR 502, 1000 und 961/86 -, BVerfGE 80, 315, S. 339 und Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, Stand Oktober 2006, RdNr. 41 zu § 60 AufenthG).
22 
Bei Auslegung und Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG ist die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004, ABl. vom 30.09.2004 L 304/12 (Qualifikationsrichtlinie) zu berücksichtigen, denn am 10.10.2006 ist gemäß Art. 38 Abs. 1 RL 2004/83/EG die Umsetzungsfrist für diese Richtlinie abgelaufen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kommt nicht fristgerecht umgesetzten Richtlinien im Recht der Mitgliedstaaten eine unmittelbare Wirkung zu, wenn die Richtlinie von ihrem Inhalt her unbedingt und hinreichend bestimmt ist, um im Einzelfall angewandt zu werden, und sie dem Einzelnen subjektiv-öffentliche Rechte einräumt oder jedenfalls seine rechtlichen Interessen schützen will (vgl. EuGH, Urteile vom 05.04.1979 - Rs. 148/78 - , Slg. 1979, 1629 Rn. 23; Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Kommentar, 2. Aufl. (2002), Art. 249 EGV RdNr. 73 ff.). Diese Voraussetzungen liegen im Fall der Qualifikationsrichtlinie vor; die darin enthaltenen Regelungen erfüllen zum ganz überwiegenden Teil diese Voraussetzungen. Dies hat zur Folge, dass die nationalen Bestimmungen unter Berücksichtigung der Richtlinienbestimmung richtlinienkonform auszulegen sind, und im Falle des Entgegenstehens der nationalen Bestimmung die Richtlinienbestimmung unmittelbare Anwendung findet (vgl. auch Hinweise des Bundesministerium des Innern vom 13.09.2006 zur Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG, S. 2 - künftig: Hinweise des BMI -). Hierbei sind die Anforderungen an die Verfolgungsmotivation und an die in Betracht kommenden (staatlichen und nichtstaatlichen) Verfolgungssubjekte in der RL 2004/83/EG und in dem ihr insoweit nachgebildeten § 60 Abs. 1 AufenthG deckungsgleich geregelt.
23 
Ob und inwieweit sich bei anderen Verfolgungsmerkmalen Abweichungen bei den Voraussetzungen und beim Verfolgungsmaßstab zwischen § 60 Abs. 1 AufenthG und der RL 2004/83/EG ergeben könnten, kann der Senat weitgehend offen lassen. Denn auch wenn von der für die Kläger jeweils günstigsten tatsächlichen und rechtlichen Konstellation hinsichtlich einer Vorverfolgung in Tschetschenien vor der Ausreise ausgegangen wird (dazu 1.) und der Senat zudem auch ihre Verfolgung in Tschetschenien im Falle der Rückkehr unterstellt , können sie Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AuslG und nach der RL 2004/83/EG jedenfalls deswegen nicht erhalten, weil ihnen jedenfalls eine inländische Fluchtalternative i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 4 c) AufenthG bzw. interner Schutz im Sinne von Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie in Gebieten außerhalb Tschetscheniens zur Verfügung steht (dazu 2.).
24 
1. Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war, kommt nach nationalem Recht wie nach der RL 2004/83/EG ein herabgestufter Verfolgungsmaßstab zugute. Nach nationalem Recht kann ihm eine Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (vgl. BVerwGE 70, 169 <170 f.>). Nach diesem Maßstab wird nicht verlangt, dass die Gefahr erneuter Übergriffe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Vielmehr ist - über die theoretische Möglichkeit, Opfer eines Übergriffs zu werden, hinaus - erforderlich, dass objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernt und damit als durchaus reale Möglichkeit erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.09.1992 - 9 C 62/91 -, NVwZ 1993 S. 191). Dem entspricht im Ergebnis Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie, wonach die Tatsache einer bereits eingetretenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung als ernsthafter Hinweis darauf zu werten ist, dass die Furcht des Schutzsuchenden vor Verfolgung begründet ist.
25 
Der Senat unterstellt zugunsten der Kläger, dass sie vor der Ausreise aus Tschetschenien dort von einer derartigen Verfolgung in Form einer regionalen Gruppenverfolgung betroffen waren. Ob dies tatsächlich der Fall war - ob mithin tschetschenische Volkszugehörige aus Tschetschenien dort aus asylerheblichen Gründen (wegen ihres Volkstums oder ihrer politischen Überzeugung) in der erforderlichen Verfolgungsdichte und -intensität von staatlichen russischen Stellen verfolgt wurden - braucht demgemäß nicht entschieden zu werden. Allerdings folgt der Senat dem Verwaltungsgericht darin, dass die Kläger jedenfalls eine individuelle Vorverfolgung nicht belegen können. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann zunächst auf die überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts hierzu verwiesen werden. Auch der Senat hat in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Kläger jedenfalls hinsichtlich des Vorfalls im Jahre 2003, der Auslöser für seine Flucht gewesen sein soll, von Geschehnissen berichtet hat, die er nicht selbst erlebt hat. Zu oberflächlich und unbeteiligt geriet seine Schilderung. Auch soweit er erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat von sexuellen Erniedrigungen und Demütigungen berichtet hat, zeigte er keine Emotionen und vermittelte dem Senat einen durchweg unbeteiligten Eindruck. Hinzu kommt, dass es sich hierbei um eine deutliche Steigerung seines Vorbringens handelt, und er nicht plausibel erklären konnte, weshalb er diese Geschehnisse nicht bereits bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt oder dem Verwaltungsgericht offenbart hat. Seine Einlassung auf den Vorhalt des Gerichts, es sei ihm schwer gefallen, die sexuellen Demütigungen und Erniedrigungen einem Richter gegenüber zu bekunden, weil es sich bei den Soldaten ja um Männer gehandelt habe, überzeugen den Senat schon deshalb nicht, weil der Kläger sich in einer Art und Weise geäußert hat, die eine wirkliche Betroffenheit vermissen ließ.
26 
2. Auf der Grundlage der (unterstellten) (Gruppen-) Vorverfolgung der Kläger wäre ein Anspruch auf Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG dann gegeben, wenn sie zum einen auch bei einer Rückkehr nach Tschetschenien wegen ihrer tschetschenischen Volkszugehörigkeit einer (regionalen) Gruppenverfolgung - mit der erforderlichen Verfolgungsmotivation und Verfolgungsdichte - unterlägen, wobei sie sich auf einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab berufen könnten, und wenn ihnen zum anderen eine zumutbare inländische Flüchtalternative in anderen Landesteilen Russlands nicht zur Verfügung stünde. Ob die erstgenannte Voraussetzung (Gruppenverfolgung in Tschetschenien, hinreichende Sicherheit) gegeben ist, braucht der Senat ebenfalls nicht zu entscheiden. Denn auch wenn er diesen Verfolgungssachverhalt zu Gunsten der Kläger unterstellt, können sich die Kläger jedenfalls an einen Ort innerhalb der Russischen Föderation begeben, an dem sie eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 c) AufenthG nach Maßgabe der Auslegungskriterien nach Art. 8 RL 2004/83/EG (interner Schutz) finden können.
27 
a) Gemäß Art. 8 Abs. 1 RL 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) können die Mitgliedsstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht, und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Gemäß Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG berücksichtigen die Mitgliedsstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Abs. 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Art. 8 RL 2004/83/EG ermächtigt die Mitgliedsstaaten zunächst grundsätzlich, den internationalen Schutz einzuschränken, wenn die betreffende Person in einem Teil des Herkunftslandes unter zumutbaren Umständen Schutz vor Verfolgung gefunden hat oder findet. Wie Art. 1 Nr. 38 a) bb) und cc) des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (Stand: 13.03.2006) zeigt, werden diese Vorgaben in der Neufassung des § 60 Abs. 1 AufenthG aufgegriffen und umgesetzt.
28 
Nach Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG kommt es nunmehr auf die am Ort des internen Schutzes bestehenden „allgemeinen Gegebenheiten“ und zusätzlich auch auf die „persönlichen Umstände“ des Asylsuchenden im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag an (so auch die Begründung des oben genannten Gesetz-Entwurfs zu Art. 1, Nr. 38 zur Auslegung von Art. 8 RL 2004/83/EG, S. 193 f.). Zur Interpretation des Begriffs der persönlichen Umstände kann auf Art. 4 Abs. 3 Buchst. c RL 2004/83/EG zurückgegriffen werden, wonach die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Asylsuchenden einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, bei der Entscheidung zugrunde zu legen sind. Zu fragen ist sodann auf der Grundlage dieses gemischt objektiv-individuellen Maßstabs, ob von einem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich am Ort der internen Fluchtalternative aufhält. Erforderlich hierfür ist , dass er am Zufluchtsort unter persönlich zumutbaren Bemühungen jedenfalls sein Existenzminimum sichern kann. Fehlt es an einer solchen Möglichkeit der Existenzsicherung, ist eine interne Schutzmöglichkeit nicht gegeben.
29 
Dies entspricht im Kern der geltenden Rechtsprechung zu den Mindestanforderungen einer inländischen Fluchtalternative. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierbei auch bisher schon die individuellen Umstände des Asylsuchenden in den Blick genommen. So hat es eine inländische Fluchtalternative beispielsweise dann verneint, wenn für einen vorverfolgten Flüchtling am Zufluchtsort das wirtschaftliche Existenzminimum wegen in seiner Person liegender Merkmale - etwa wegen Behinderung oder wegen hohen Alters - nicht gewährleistet ist oder wenn der Vorverfolgte am Ort der Fluchtalternative keine Verwandten oder Freunde hat, bei denen er Obdach oder Unterstützung finden könnte, und ohne eine solche Unterstützung dort kein Leben über dem Existenzminimum möglich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.1993 - 9 C 45.92 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 166). In einer neuen Entscheidung hat sich das Bundesverwaltungsgericht ferner mit der Frage auseinandergesetzt, was dem Betroffenen am Ort der Fluchtalternative an Tätigkeiten zumutbar ist, um seinen Lebensunterhalt zu sichern (Beschluss vom 31.08.2006 - 1 B 96/06 - ) und hat damit Erwägungen angestellt, die auch den Anforderungen des Art. 8 RL 2004/83/EG Rechnung tragen. Nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts, denen der Senat folgt, bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen das wirtschaftliche Existenzminimum grundsätzlich dann, wenn sie dort - was grundsätzlich zumutbar ist - durch eigene und notfalls auch weniger attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten im Bereich einer "Schatten- oder Nischenwirtschaft" stattfinden. Der Verweis auf eine entwürdigende oder eine kriminelle Arbeit - etwa durch Beteiligung an Straftaten im Rahmen „mafiöser“ Strukturen - ist dagegen nicht zumutbar (BVerwG, Beschluss vom 17.05.2005 - 1 B 100/05 - ). Maßgeblich ist grundsätzlich auch nicht, ob der Staat den Flüchtlingen einen durchgehend legalen Aufenthaltsstatus gewähren würde, vielmehr ist in tatsächlicher Hinsicht zu fragen, ob das wirtschaftliche Existenzminimum zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.08.2006 - 1 B 96/06 - a.a.O.; a.A. OVG Magdeburg, Urteil v. 31.03.2006 - 2 L 40/06 - , d.h. ob mit den erlangten Mitteln auch die notwendigsten Aufwendungen für Leben und Gesundheit aufgebracht werden können.
30 
b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist es den Klägern - nach der gegenwärtigen Sachlage (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG sowie Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG) - zuzumuten und kann von ihnen daher auch vernünftigerweise erwartet werden, dass sie ihren Aufenthalt in einem anderen Landesteil der Russischen Föderation nehmen, an dem sie vor Verfolgung sicher sind und wo ihr soziales und wirtschaftliches Existenzminimum gewährleistet ist. Selbst wenn dabei mit dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof (Hess. VGH, Urteil vom 18.05.2006 - 3 UE 177/04.A - ) und dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Bay.VGH, Urteil vom 31.01.2005 - 11 B 02.31597 - ) die Regionen Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Krasnodar und Stawropol als Orte/Räume einer inländischen Fluchtalternative ebenso ausgenommen werden wie die russische Hauptstadt Moskau und Petersburg, hat zumindest die Klägerin zu 2 gegenwärtig die Möglichkeit, in der tschetschenischen Diaspora innerhalb Russlands eine Registrierung zu erhalten und mit ihrer Registrierung für die ganze Familie das soziale und wirtschaftliche Existenzminimum zu sichern, denn sie verfügt über einen neuen gültigen russischen Inlandspass, der u.a. Voraussetzung für eine Registrierung ist. Hierzu ist im Einzelnen folgendes auszuführen:
31 
Art. 27 der russischen Verfassung von 1993 garantiert zwar die Niederlassungsfreiheit. Dieses Recht ist indessen strikt begrenzt durch regionale und lokale Bestimmungen und durch das de facto vielerorts noch gültige Propiska-System, das vor dem mit dem Föderationsgesetz im Jahre 1993 eingeführten Registrierungssystem galt und das nicht nur eine Meldung durch den Bürger, sondern auch die Gestattung oder Verweigerung durch die Behörden vorsah. Nach dem Registrierungssystem ist nunmehr Voraussetzung für eine dauerhafte Registrierung, dass der Antragsteller einen Wohnraumnachweis führen kann und über einen russischen Inlandspass verfügt. Ein in Deutschland ausgestelltes Passersatzpapier reicht für eine dauerhafte Registrierung nicht aus (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 26). Trotz der Systemumstellung durch das Föderationsgesetz wenden viele Regionalbehörden der Russischen Föderation restriktive örtliche Vorschriften oder Verwaltungspraktiken an, weshalb Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens erhebliche Schwierigkeiten haben, eine offizielle Registrierung zu erhalten. Besonders in Moskau haben zurückgeführte Tschetschenen in der Regel nur dann eine Chance, in der Stadt Aufnahme zu finden, wenn sie über genügend Geld verfügen oder auf ein Netzwerk von Bekannten oder Verwandten zurückgreifen können. Hierbei haben sich die administrativen Schwierigkeiten und auch die Behördenwillkür nach der Geiselnahme im Oktober 2002 gegenüber - besonderes auch rückkehrenden - Tschetschenen verstärkt; daran dürfte sich auf absehbare Zeit angesichts der weiterhin fortbestehenden Terrorgefahr auch nichts ändern (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 26).
32 
Die genannten Registrierungsvoraussetzungen gelten im ganzen Land. Gleichwohl ist eine offizielle Registrierung in anderen Regionen der Russischen Föderation, vor allem in Südrussland, grundsätzlich leichter möglich als in Moskau, unter anderem weil Wohnraum - eine der Registrierungsvoraussetzungen - dort erheblich billiger ist als in der russischen Hauptstadt mit ihren hohen Mieten. Neben Moskau, wo etwa 200.000 Tschetschenen leben und den oben genannten, als Ort des internen Schutzes möglicherweise nicht in Betracht kommenden Regionen, ist es Tschetschenen auch gelungen, sich im Gebiet Rostow (70.000), in der Wolgaregion (50.000), in Nordossetien (4.000) und in Karatschajewo-Tscherkessien (23.000) anzusiedeln (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 18).
33 
c) Zur Überzeugung des Senats wird es auch der Klägerin zu 2, die im Besitz eines neuen gültigen russischen Inlandspasses ist, gelingen, in diesen tschetschenischen Siedlungsgebieten Wohnraum für sich und ihre Familie zu erlangen und damit grundsätzlich die geforderten Rechtsvoraussetzungen für eine Registrierung zu erfüllen. Im Hinblick auf die Möglichkeit, eine Registrierung zu erhalten bzw. ohne eine solche zu leben, führt MEMORIAL in seinem Schreiben vom 16.10.2005 allerdings aus, dass es sich auch an kleinen Orten nicht ohne Registrierung leben lasse, denn diese werde an jedem Ort benötigt. Hinzu komme, dass in kleinen Ortschaften alles sichtbar sei und man nicht „mit der großen Masse verschmelzen“ könne. Der Senat geht gleichwohl nicht davon aus, dass die Klägerin zu 2 an einem solchen Ort ohne Registrierung wird leben müssen. Trotz aller Schwierigkeiten, vor die sich die Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe bei Registrierungen gestellt sehen, ist nach Auskunft des Auswärtigen Amtes eine Registrierung in vielen Landesteilen möglich, wenn auch oft erst nach Intervention von Nicht-Regierungsorganisationen, Duma-Abgeordneten oder anderen einflussreichen Persönlichkeiten oder durch Bestechung (Lagebericht des AA vom 18.08.2006, Stand Juli 2006, S. 27). Bei ihren diesbezüglichen Bemühungen kann die Klägerin zu 2 auch auf die Unterstützung ihres Ehemannes zählen. Auch wenn dieser selbst über keinen gültigen Inlandspass verfügt und damit die Registrierungsvoraussetzungen für seine Person nicht erfüllt, wird es ihm gelingen, in der stark männlich dominierten tschetschenischen Diaspora Wohnraum zu organisieren und für sich selbst - auch ohne eigene Registrierung (dazu sogleich) - zumindest in der so genannten „Schattenwirtschaft“ eine Arbeit zu finden, die es ihm ermöglicht, das wirtschaftliche Existenzminimum für sich und seine Familie zu sichern. Darauf, ob er sich selbst registrieren lassen kann - wofür mangels eines gültigen Passes wenig spricht - und ob es ihm zumutbar wäre, zunächst nach Tschetschenien zurückzukehren, um sich einen neuen Pass zu beschaffen (dazu AA vom 22.11.2005 an VG Berlin), kommt es vorliegend nicht an. Denn für ihn als Angehörigen einer grundsätzlich registrierungsberechtigten Ehefrau ist auch ohne gültigen Pass eine Aufenthaltsnahme in einer als Ort des internen Schutzes in Betracht kommenden anderen Region der Russischen Föderation möglich und zumutbar (vgl. hierzu auch Hess. VGH, Urteil vom 18.05.2006 - 3 UE 177/04.A- Nr. 53 des Dokuments; für den Fall eines 35jährigen allein stehenden Mannes).
34 
Der Senat verkennt nicht, dass die Konsequenzen einer Nichtregistrierung gravierend sind und Rechtspositionen sowie eine Reihe sozialer Leistungen von der Registrierung abhängen, so das Recht auf Beschäftigung, auf medizinische Versorgung und Ausbildung. Gleichwohl werden sich die Kläger nach den besonderen Umständen des Falles in den Zufluchtgebieten mit zumutbaren Anstrengungen eine ausreichende Lebensgrundlage schaffen können ( zu den generellen Verhältnissen nicht registrierter Tschetschenen vgl. zuletzt AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 27). Entscheidend ist, dass die Klägerin zu 2 über einen gültigen russischen Inlandspass verfügt. Damit wird es ihr nach Einschätzung des Senats möglich sein, in der Russischen Föderation - außerhalb der oben angeführten Regionen, die als Orte des internen Schutzes nicht in Betracht kommen - eine Registrierung zu erhalten. Jedenfalls auf Grundlage dieser Registrierung wird es den Klägern im Familienverbund gelingen, sich durch eine Tätigkeit des Klägers in der in der Russischen Föderation weit verbreiteten sog. „Schattenwirtschaft“ eine ausreichende Lebensgrundlage zu schaffen. Der Kläger ist ersichtlich gesund und zu körperlicher Arbeit in der Lage. Er hat auch bereits in der Landwirtschaft gearbeitet und beim Bau mitgeholfen. Darauf, ob der Familie auch ohne Registrierung „vernünftigerweise“ angesonnen werden könnte, sich in einer der Zufluchtsregionen aufzuhalten - laut MEMORIAL („Menschen aus Tschetschenien in der Russischen Föderation, Juli 2005 bis Juli 2006“, S. 35) ist seit Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 122 der Empfang von staatlichen Unterstützungsgeldern und Renten bei fehlender Registrierung nicht möglich und wird der Besuch des Kindergartens und manchmal sogar der Schulbesuch erschwert - kommt es nicht an.
III.
35 
Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG vor, wobei für die Auslegung Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und die Art. 6 bis 8 RL 2004/83/EG jeweils heranzuziehen sind (vgl. Hinweise des BMI, S.15). Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern bei einer Rückkehr in die Russische Föderation Folter (§ 60 Abs. 2 AufenthG), die Todesstrafe (§ 60 Abs. 3 AufenthG) oder insbesondere eine unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 der EMRK (§ 60 Abs. 5 AufenthG) droht. Art. 2 e RL 2004/83/EG definiert die „Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz“ als Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der bei einer Rückkehr Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie zu erleiden. Auch für diese Personen sieht Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG vor, dass für sie - falls sie bereits vor ihrer Ausreise einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten haben -, der herab gestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab Anwendung findet. Auch wenn der Senat dessen Vorliegen auch hier bei den Klägern unterstellt, scheidet ein Anspruch aus den oben genannten Gründen aus.
36 
Auch für eine Schutzgewährung nach § 60 Abs. 7 AufenthG gilt entsprechendes. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Mit Blick auf die Qualifikationsrichtlinie ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt ist. Bei der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG gelten Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und die Art. 6 bis 8 der Richtlinie 2004/83/EG. Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Hinblick auf die Tatsache, dass die Umsetzungsfrist für die Qualifikationsrichtlinie mittlerweile abgelaufen ist, hilfsweise beantragt haben, zusätzlich festzustellen, dass die Voraussetzungen des Art. 15 c RL 2004/83/EG vorliegen, können sie damit gleichfalls nicht durchdringen, denn Art. 15 c RL 2004/83/EG ist ein Unterfall des § 60 Abs. 7 AufenthG und regelt die subsidiäre Schutzgewährung in Fällen willkürlicher Gewalt im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten. Ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall auf die Situation in Tschetschenien zutreffen, kann dahinstehen, denn auch hier gilt, dass den Klägern nach den obigen Ausführungen eine zumutbare interne Schutzalternative zur Verfügung steht, diese auch erreichbar ist und von ihnen vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie sich dort aufhalten.
IV.
37 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
38 
Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist. Insbesondere kommt es auf die Frage, ob (und welche) tschetschenische Volkszugehörige in Tschetschenien einer (regionalen) Gruppenverfolgung ausgesetzt sind, wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls nicht an.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.

(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 05. Oktober 2005 - A 11 K 11032/05 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger zu 1 ist am ....1977 in Atsch’Choi-Martan (südlich von Grosny) geboren und nach seinen Angaben ein tschetschenischer Volkszugehöriger. Seine Ehefrau, die Klägerin zu 2 ist am ....1982 ebenfalls in Atsch’Choi-Martan geboren, wo die Eheleute nach ihren Angaben zuletzt auch ihren Wohnort hatten. Am 20.01.2004 reisten die Kläger zusammen mit der Klägerin zu 3, ihrer am ....2003 geborenen Tochter, aus. Am 27.01.2004 wurden sie um 2.05 Uhr, versehen mit einer Bahnfahrkarte nach Belgien, in Dortmund aufgegriffen und suchten um Asyl nach.
Die Klägerin zu 2 war im Besitz eines am 08.05.2003 ausgestellten russischen Inlandspasses (neu). Der Kläger führte hingegen keinen neuen russischen Inlandspass mit, sondern nur eine vorläufige Bescheinigung, eine Art Passersatz, die ihm der Schlepper abgenommen hatte. Ansonsten hatte der Kläger an Dokumenten einen Führerschein, ein Schulzeugnis, eine Heiratsurkunde, die Geburtsurkunde seiner Tochter sowie eine Bescheinigung über die bestandene Fahrprüfung dabei.
Bei der Anhörung vor dem Bundesamt gab der Kläger an, er habe von Herbst/Winter 1996 bis Juni 1997 in einer Spezialeinheit von Maschadow gedient, die in einer ehemaligen Bleistiftfabrik in Atsch’Choi-Martan untergebracht gewesen sei. Danach sei er zur Bahnpolizei gekommen und habe dort bis 1999 in Grosny gearbeitet. Im letzten Jahr habe er von der Landwirtschaft gelebt. Im Sommer 2001 habe er eine Vorladung zur Miliz in Atsch’Choi-Martan erhalten. Er habe ein Gespräch mit drei russischen Milizoffizieren geführt, die von ihm verlangt hätten, wieder bei der Miliz zu arbeiten. Außerdem hätten sie Informationen darüber gefordert, wer noch Waffen besitzen könnte und wer früher noch bei der Miliz gearbeitet habe. Er habe zahlreiche Formulare mitgenommen und sei ohne sich festzulegen gegangen. Sein Vater habe ihm danach geraten, diese Sache bleiben zu lassen, obwohl er 1.000 Dollar bekommen hätte. Im September 2001 sei es nachts zu einer Säuberungsaktion gekommen, bei der einige Personen festgenommen worden seien, darunter auch er. Sie hätten nach Alchasur Dasajew gesucht, ihn dabei auch gefasst und in einem anderen Zimmer verhört. Er - der Kläger - sei erniedrigt, beschimpft, geschlagen und nach Waffen befragt worden. Danach sei er mit 10 Leuten in eine Zelle gesperrt worden. Auch die drei Brüder D. seien bei ihm in der Zelle gewesen. Diese seien abgeholt, schwer misshandelt und dann wieder zurück in die Zelle gebracht worden. Ihn selbst habe man in Ruhe gelassen, weil er sich beim Treppensteigen die Rippen gebrochen habe. Drei Nächte habe er in dieser Zelle verbracht, dann habe ihn sein Vater freigekauft. In der Zeit danach habe er ein einigermaßen friedliches Leben geführt, im Garten und der Landwirtschaft gearbeitet und auch Kontakte zu seinen ehemaligen Kameraden aufrechterhalten. Am 12.12.2003 seien gegen 10.00 Uhr oder 11.00 Uhr vormittags zwei ehemalige Kameraden, Leibwächter von Dudajew, zu ihm nach Hause gekommen. Sie hätten ihn gebeten, ihr Motorrad mit Beiwagen zu verstecken, in dem sich vermutlich Utensilien zum Bau einer Bombe befunden hätten. Er habe nicht Nein sagen können. Nachmittags gegen 3.00 Uhr oder 4.00 Uhr habe er seine Frau zu seinen Schwiegereltern geschickt, weil er ein komisches Gefühl gehabt habe. Er habe an diesem Abend lange gewartet, aber seine Kameraden seien nicht zurückgekommen. Um 0.00 Uhr sei er ins Bett gegangen, gegen 3.00 Uhr oder 4.00 Uhr morgens seien die Militärs gekommen, einige maskiert, und hätten das Haus gestürmt. Ihn hätten sie verprügelt und festgenommen. Auch sein Vater und sein Bruder M. seien verprügelt worden, das Motorrad hätten sie beschlagnahmt. Wohin ihn die Militärs gebracht hätten, wisse er nicht, er sei dort in einer Zelle sieben bis acht Tage eingesperrt gewesen. Ca. 5 bis 6 Tage nach seiner Inhaftierung habe man ihn nach einer halbstündigen Fahrt an einen Ort, nicht weit von Schami-Jurt, einem Nachbardorf, gebracht. Dort habe er die beiden Freunde R. N. und H. Z. getroffen. Alle drei hätten sie Handschellen getragen und seien mit einer Video-Kamera aufgenommen worden, was wohl als Beweis dafür habe dienen sollen, dass sie an dieser Stelle hätten eine Bombe zünden wollen. Nachdem er 8 Tage beim Militär inhaftiert gewesen sei, habe man ihn für 15 Tage zur Miliz gebracht, bevor ihn sein Vater wiederum habe freikaufen können. Dies sei am 04.01.2004 vormittags gewesen. Am 05.01. habe ihn ein Cousin zu der Verwandtschaft seiner Frau für acht Tage nach Walerik gebracht, anschließend sei er noch ein paar Tage bei seiner Tante in Walerik geblieben. Vom 17.01. bis zum 20.01. habe er sich bei seinem Cousin in Atsch’Choi-Martan aufgehalten. Seine Ausreise habe sein Vater organisiert.
Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt bestätigte die Klägerin zu 2, dass der Kläger zu 1 am 12.12.2003 festgenommen worden sei. Sie sei nicht zu Hause gewesen, denn ihr Mann habe sie nachmittags zu ihren Eltern geschickt. Er sei dann am 04.01.2004 wieder freigekommen, nachdem ihn ihr Schwiegervater freigekauft habe. Weiter berichtete sie, dass der Kläger nicht immer zu Hause gewesen sei, sondern mal in Inguschetien und in Walerik gelebt habe. Vom September bis Dezember 2003 habe er in Inguschetien eine Wohnung gemietet gehabt, eigentlich schon von Juni ab, und sei dort in Nasran als Bauarbeiter beschäftigt gewesen.
Mit Bescheid vom 18.07.2005 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Asylanträge ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 des AufenthG nicht vorliegen. Außerdem wurden die Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Im Falle einer nicht freiwilligen Ausreise wurde ihre Abschiebung in die Russische Föderation oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen dürfen oder der zu ihrer Rücknahme verpflichtet ist, angedroht. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, eine Asylanerkennung gem. Art. 16 a Abs. 1 GG scheitere schon daran, dass die Kläger das Bundesgebiet auf dem Landweg erreicht hätten. Es bestünde aber auch kein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG, denn die Kläger seien nicht individuell vorverfolgt ausgereist. Die vom Kläger vorgetragene Verfolgungsgeschichte sei nicht glaubhaft. Wenn es tatsächlich zugetroffen hätte, dass sich in dem bei ihm untergestellten Motorrad samt Beiwagen Utensilien für den Bau einer Bombe befunden hätten, wäre er mit Sicherheit von der russischen Armee nicht mehr auf freien Fuß gesetzt worden. Ein weiteres Indiz dafür, dass er nicht die Wahrheit gesagt habe, sei seine Aussage, wonach er im letzten Jahr von der Landwirtschaft gelebt habe, während seine Ehefrau angegeben habe, er sei von September bis Dezember 2003 in Inguschetien gewesen, habe dort eine Wohnung gemietet und sei einer Beschäftigung als Bauarbeiter nachgegangen. Offenbar habe er von Inguschetien aus seine Ausreise betrieben. Dass diese längerfristig geplant gewesen sei, beweise die Vielzahl der Unterlagen, besonders sein Schulzeugnis, das er mitgeführt habe. Seine Festnahme im Rahmen einer Säuberungsaktion im Jahr 2001 könne als wahr unterstellt werden, stehe jedoch nicht mehr im kausalen Zusammenhang mit der Ausreise. Nach seinen eigenen Angabe habe er danach längere Zeit unbehelligt leben können. Auch die allgemeine Lage in der russischen Teilrepublik Tschetschenien führe zu keiner anderen Einschätzung des Asylantrags. Es werde nicht verkannt, dass eine Rückkehr in die russische Teilrepublik Tschetschenien auf Grund der derzeitigen allgemeinen Lage den Ausländern nur schwerlich zugemutet werden könne. Die Kläger könnten ihren Aufenthalt aber in anderen Teilen der Russischen Föderation nehmen. Vor allem in Südrussland sei eine Registrierung und der für die Registrierung notwendige Wohnraum eher möglich als in den großen Städten, wie etwa in den Regionen Stawropol oder der Wolgaregion. Da die Familie nicht in das Blickfeld der russischen Sicherheitsorgane geraten sei und die Kläger somit auch nicht als potentielle Unterstützer der tschetschenischen Sache angesehen würden, sei eine Wohnsitznahme außerhalb Tschetscheniens durchaus möglich, wie vom Kläger bereits unter Beweis gestellt worden sei. Dieser könne durch Arbeiten am Bau oder durch Mitarbeit in der Landwirtschaft den Lebensunterhalt seiner Familie sicherstellen. Gründe für ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG seien ebenfalls nicht ersichtlich. Der schwierige Prozess des Wiederaufbaus einer funktionstüchtigen Wirtschaft habe in den neunziger Jahren zu einem sinkenden Lebensstandard und einer angespannten sozialen Lage in der Russischen Föderation geführt. Der 1999 einsetzende Wirtschaftsaufschwung habe eine allmähliche Verbesserung bewirkt. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln sei vom Nahrungsmittelangebot her gewährleistet und es gebe staatliche Unterstützung, z.B. Sozialhilfe für bedürftige Personen auf sehr niedrigem Niveau (AA, Lagebericht vom 26.03.2004). Dieser Bescheid wurde den Klägern am 20.07.2005 zugestellt.
Bereits am 19.07.2005 haben die Kläger Klage erhoben. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht haben sie am 05.10.2005 ihr Klagebegehren dahingehend beschränkt, dass sie nunmehr unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 18.07.2005 die Feststellung begehren, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erfüllt sind; hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG vorliegen, weiter hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG gegeben sind.
Mit Urteil vom 05.10.2005 - A 11 K 11032/05 - hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe der Klage stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AuslG vorliegen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Gericht sei davon überzeugt, dass die Kläger tschetschenische Volkszugehörige seien. Es habe zwar nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die Kläger individuell vorverfolgt ausgereist seien, indessen sei die Kriegsführung der russischen Seite im und seit dem 2. Tschetschenienkrieg sowie die Übergriffe der in Tschetschenien stationierten russischen Streitkräfte und der pro-russischen Sicherheitskräfte zur Überzeugung des Gerichts gegenüber der tschetschenischen Zivilbevölkerung als Gruppenverfolgung zu bewerten, von der die in Tschetschenien verbliebene tschetschenische Bevölkerung betroffen sei. Auf eine inländische Fluchtalternative in den restlichen Gebieten der russischen Föderation könnten die Kläger nicht verwiesen werden, denn ihnen drohe im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in der russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens ebenfalls mit hinreichender Sicherheit politische Verfolgung, nämlich durch die in ihrem Fall zu erwartende Verweigerung der Registrierung und deren Folgen. Weder in Inguschetien, noch in Kabardino-Balkarien oder Krasnador und Stawropol sei hinreichend gewährleistet, dass die Kläger dort einen legalen Aufenthalt begründen könnten. Auch in den übrigen Teilen der Russischen Föderation könne nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Kläger eine Registrierung fänden, und dass sie ohne registriert zu sein, nicht in eine ausweglose Lage gerieten. Das Fehlen der Registrierung sperre den Zugang zum Gesundheits- und Schulwesen, zum freien Wohnungs- und in der Regel auch zum Arbeitsmarkt für unselbständige Tätigkeiten. Ein Aufenthalt in der Russischen Föderation, ohne registriert zu sein, sei generell geeignet, die Kläger aus der Rechtsgemeinschaft des Staates, auszugrenzen und in eine ausweglose Lage zu bringen. Eine solche Maßnahme sei asylerheblich. Ob den Klägern ein Leben in der Illegalität zumutbar sei, hänge von der Prognose über die zu erwartenden Folgen und Beeinträchtigungen ab. Maßgebend hierfür seien etwa die Vermögensverhältnisse des Betroffenen und seiner Familie und seine Fähigkeiten, etwa erlernte Berufe und bisherige Beschäftigungen sowie Kontakte zu ansässig gewordenen Tschetschenen, mittels denen der Betreffende seinen Lebensunterhalt bestreiten könne. Solche Besonderheiten seien für die gesamte Familie vorliegend nicht gegeben. Diese existenzielle Gefährdung sei auch verfolgungsbedingt, denn die Kläger hätten sich in Tschetschenien, wenn sie es nicht verfolgungsbedingt hätten verlassen müssen, weiterhin und wie bisher in dem vertrauten Umfeld ihrer Heimat mit dem Existenznotwendigen versorgen können.
Gegen das ihr am 17.10.2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19.10.2005 beim Verwaltungsgericht die Zulassung der Berufung beantragt.
Mit Beschluss vom 11.01.2006 - A 3 S 990/05 - hat der Senat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der (Tatsachen)Frage zugelassen, ob tschetschenische Volkszugehörige in Tschetschenien einer Gruppenverfolgung unterliegen und ob für sie in den restlichen Gebieten der Russischen Föderation eine inländische Fluchtalternative besteht. Der Beschluss ist der Beklagten am 19.01.2006 zugestellt worden.
10 
Am 07.02.2006 hat die Beklagte die Berufung begründet, in dem sie auf die Ausführungen in der Antragsschrift auf Zulassung der Berufung vom 19.10.2005 sowie auf die Ausführungen im Zulassungsbeschluss vom 11.01.2006 verwiesen hat.
11 
Die Beklagte beantragt,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 05.10.2005 - A 11 K 11032/05 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
13 
Die Kläger beantragen,
14 
die Berufung zurückzuweisen,
15 
hilfsweise, zusätzlich festzustellen, dass die Voraussetzungen des Art. 15 c RL 2004/83/EG vorliegen.
16 
Zur Begründung beziehen sie sich auf die Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts.
17 
In der mündlichen Verhandlung ist der Kläger zu den Gründen seines Asylantrags angehört worden. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf die darüber gefertigte Niederschrift verwiesen.
18 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten, die beigezogenen Behördenakten und die Erkenntnismittel, aufgelistet in der den Beteiligten mit Schreiben vom 28.09.2006 übermittelten Erkenntnisquellenliste Russische Föderation (Stand: 28.09.2006) sowie die Gerichts- und Behördenakten im Verfahren der Tochter der Kläger zu 1 und 2 (- A 3 S 48/06 -). Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung, ebenso wie der Bericht von MEMORIAL „Menschen aus Tschetschenien in der Russischen Föderation, Juli 2005 bis Juli 2006“.

Entscheidungsgründe

 
I.
19 
Die Berufung des Beklagten ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere sind die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 3, Abs. 3 Satz 4 VwGO erfüllt, wonach die Berufungsbegründung einen bestimmten Antrag und die im Einzelnen anzuführenden Berufungsgründe enthalten muss. Welche Mindestanforderungen danach an die Berufungsbegründung zu stellen sind, hängt wesentlich von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab. Das gesetzliche Erfordernis der Einreichung eines Schriftsatzes zur Berufungsbegründung kann grundsätzlich auch eine auf die erfolgreiche Begründung des Zulassungsantrags verweisende Begründung erfüllen, wenn damit hinreichend zum Ausdruck gebracht werden kann, dass und weshalb das erstinstanzliche Urteil weiterhin angefochten wird. In asylrechtlichen Streitigkeiten genügt eine Berufungsbegründung den Anforderungen des § 124 a Abs. 6 VwGO regelmäßig etwa dann, wenn sie zu einer entscheidungserheblichen Frage ihre von der Vorinstanz abweichende Beurteilung deutlich macht, was auch durch die Bezugnahme auf die Begründung des insoweit erfolgreichen Zulassungsantrags und auf den Zulassungsbeschluss geschehen kann (st. Rechtspr. des BVerwG, z.B. Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - ; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.11.1997 - A 16 S 193/97 -, NVwZ 1998, 1089 f.). Dem wird die auf den Berufungszulassungsantrag sowie den Zulassungsbeschluss des erkennenden Senats verweisende Berufungsbegründung der Beklagten vom 02.02.2006 gerecht.
II.
20 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit dem angefochtenen Urteil zu Unrecht verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erfüllt sind und daher auch zu Unrecht den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Den Klägern steht nämlich der mit der Berufung weiterverfolgte Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht zu, und die Beklagte kann auch nicht zur (hilfsweise beantragten) Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG, § 60 Abs. 7 AufenthG und Art. 15 c RL 2004/83/EG verpflichtet werden (siehe § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
21 
1. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (Abkommen vom 28.07.1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge, BGBl. 1953 II, S. 559 - GFK -) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Nach Satz 4 dieser Bestimmung kann eine Verfolgung im Sinne des Satzes 1 ausgehen vom Staat selbst, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder von nichtstaatliche Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten; dies gilt nach der gesetzlichen Regelung unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative. Eine Verfolgung liegt vor, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an eines der genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (siehe grundsätzlich: BVerfG, Urteil vom 10.07.1989 - 2 BvR 502, 1000 und 961/86 -, BVerfGE 80, 315, S. 339 und Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, Stand Oktober 2006, RdNr. 41 zu § 60 AufenthG).
22 
Bei Auslegung und Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG ist die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004, ABl. vom 30.09.2004 L 304/12 (Qualifikationsrichtlinie) zu berücksichtigen, denn am 10.10.2006 ist gemäß Art. 38 Abs. 1 RL 2004/83/EG die Umsetzungsfrist für diese Richtlinie abgelaufen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kommt nicht fristgerecht umgesetzten Richtlinien im Recht der Mitgliedstaaten eine unmittelbare Wirkung zu, wenn die Richtlinie von ihrem Inhalt her unbedingt und hinreichend bestimmt ist, um im Einzelfall angewandt zu werden, und sie dem Einzelnen subjektiv-öffentliche Rechte einräumt oder jedenfalls seine rechtlichen Interessen schützen will (vgl. EuGH, Urteile vom 05.04.1979 - Rs. 148/78 - , Slg. 1979, 1629 Rn. 23; Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Kommentar, 2. Aufl. (2002), Art. 249 EGV RdNr. 73 ff.). Diese Voraussetzungen liegen im Fall der Qualifikationsrichtlinie vor; die darin enthaltenen Regelungen erfüllen zum ganz überwiegenden Teil diese Voraussetzungen. Dies hat zur Folge, dass die nationalen Bestimmungen unter Berücksichtigung der Richtlinienbestimmung richtlinienkonform auszulegen sind, und im Falle des Entgegenstehens der nationalen Bestimmung die Richtlinienbestimmung unmittelbare Anwendung findet (vgl. auch Hinweise des Bundesministerium des Innern vom 13.09.2006 zur Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG, S. 2 - künftig: Hinweise des BMI -). Hierbei sind die Anforderungen an die Verfolgungsmotivation und an die in Betracht kommenden (staatlichen und nichtstaatlichen) Verfolgungssubjekte in der RL 2004/83/EG und in dem ihr insoweit nachgebildeten § 60 Abs. 1 AufenthG deckungsgleich geregelt.
23 
Ob und inwieweit sich bei anderen Verfolgungsmerkmalen Abweichungen bei den Voraussetzungen und beim Verfolgungsmaßstab zwischen § 60 Abs. 1 AufenthG und der RL 2004/83/EG ergeben könnten, kann der Senat weitgehend offen lassen. Denn auch wenn von der für die Kläger jeweils günstigsten tatsächlichen und rechtlichen Konstellation hinsichtlich einer Vorverfolgung in Tschetschenien vor der Ausreise ausgegangen wird (dazu 1.) und der Senat zudem auch ihre Verfolgung in Tschetschenien im Falle der Rückkehr unterstellt , können sie Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AuslG und nach der RL 2004/83/EG jedenfalls deswegen nicht erhalten, weil ihnen jedenfalls eine inländische Fluchtalternative i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 4 c) AufenthG bzw. interner Schutz im Sinne von Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie in Gebieten außerhalb Tschetscheniens zur Verfügung steht (dazu 2.).
24 
1. Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war, kommt nach nationalem Recht wie nach der RL 2004/83/EG ein herabgestufter Verfolgungsmaßstab zugute. Nach nationalem Recht kann ihm eine Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (vgl. BVerwGE 70, 169 <170 f.>). Nach diesem Maßstab wird nicht verlangt, dass die Gefahr erneuter Übergriffe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Vielmehr ist - über die theoretische Möglichkeit, Opfer eines Übergriffs zu werden, hinaus - erforderlich, dass objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernt und damit als durchaus reale Möglichkeit erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.09.1992 - 9 C 62/91 -, NVwZ 1993 S. 191). Dem entspricht im Ergebnis Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie, wonach die Tatsache einer bereits eingetretenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung als ernsthafter Hinweis darauf zu werten ist, dass die Furcht des Schutzsuchenden vor Verfolgung begründet ist.
25 
Der Senat unterstellt zugunsten der Kläger, dass sie vor der Ausreise aus Tschetschenien dort von einer derartigen Verfolgung in Form einer regionalen Gruppenverfolgung betroffen waren. Ob dies tatsächlich der Fall war - ob mithin tschetschenische Volkszugehörige aus Tschetschenien dort aus asylerheblichen Gründen (wegen ihres Volkstums oder ihrer politischen Überzeugung) in der erforderlichen Verfolgungsdichte und -intensität von staatlichen russischen Stellen verfolgt wurden - braucht demgemäß nicht entschieden zu werden. Allerdings folgt der Senat dem Verwaltungsgericht darin, dass die Kläger jedenfalls eine individuelle Vorverfolgung nicht belegen können. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann zunächst auf die überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts hierzu verwiesen werden. Auch der Senat hat in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Kläger jedenfalls hinsichtlich des Vorfalls im Jahre 2003, der Auslöser für seine Flucht gewesen sein soll, von Geschehnissen berichtet hat, die er nicht selbst erlebt hat. Zu oberflächlich und unbeteiligt geriet seine Schilderung. Auch soweit er erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat von sexuellen Erniedrigungen und Demütigungen berichtet hat, zeigte er keine Emotionen und vermittelte dem Senat einen durchweg unbeteiligten Eindruck. Hinzu kommt, dass es sich hierbei um eine deutliche Steigerung seines Vorbringens handelt, und er nicht plausibel erklären konnte, weshalb er diese Geschehnisse nicht bereits bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt oder dem Verwaltungsgericht offenbart hat. Seine Einlassung auf den Vorhalt des Gerichts, es sei ihm schwer gefallen, die sexuellen Demütigungen und Erniedrigungen einem Richter gegenüber zu bekunden, weil es sich bei den Soldaten ja um Männer gehandelt habe, überzeugen den Senat schon deshalb nicht, weil der Kläger sich in einer Art und Weise geäußert hat, die eine wirkliche Betroffenheit vermissen ließ.
26 
2. Auf der Grundlage der (unterstellten) (Gruppen-) Vorverfolgung der Kläger wäre ein Anspruch auf Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG dann gegeben, wenn sie zum einen auch bei einer Rückkehr nach Tschetschenien wegen ihrer tschetschenischen Volkszugehörigkeit einer (regionalen) Gruppenverfolgung - mit der erforderlichen Verfolgungsmotivation und Verfolgungsdichte - unterlägen, wobei sie sich auf einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab berufen könnten, und wenn ihnen zum anderen eine zumutbare inländische Flüchtalternative in anderen Landesteilen Russlands nicht zur Verfügung stünde. Ob die erstgenannte Voraussetzung (Gruppenverfolgung in Tschetschenien, hinreichende Sicherheit) gegeben ist, braucht der Senat ebenfalls nicht zu entscheiden. Denn auch wenn er diesen Verfolgungssachverhalt zu Gunsten der Kläger unterstellt, können sich die Kläger jedenfalls an einen Ort innerhalb der Russischen Föderation begeben, an dem sie eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 c) AufenthG nach Maßgabe der Auslegungskriterien nach Art. 8 RL 2004/83/EG (interner Schutz) finden können.
27 
a) Gemäß Art. 8 Abs. 1 RL 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) können die Mitgliedsstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht, und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Gemäß Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG berücksichtigen die Mitgliedsstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Abs. 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Art. 8 RL 2004/83/EG ermächtigt die Mitgliedsstaaten zunächst grundsätzlich, den internationalen Schutz einzuschränken, wenn die betreffende Person in einem Teil des Herkunftslandes unter zumutbaren Umständen Schutz vor Verfolgung gefunden hat oder findet. Wie Art. 1 Nr. 38 a) bb) und cc) des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (Stand: 13.03.2006) zeigt, werden diese Vorgaben in der Neufassung des § 60 Abs. 1 AufenthG aufgegriffen und umgesetzt.
28 
Nach Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG kommt es nunmehr auf die am Ort des internen Schutzes bestehenden „allgemeinen Gegebenheiten“ und zusätzlich auch auf die „persönlichen Umstände“ des Asylsuchenden im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag an (so auch die Begründung des oben genannten Gesetz-Entwurfs zu Art. 1, Nr. 38 zur Auslegung von Art. 8 RL 2004/83/EG, S. 193 f.). Zur Interpretation des Begriffs der persönlichen Umstände kann auf Art. 4 Abs. 3 Buchst. c RL 2004/83/EG zurückgegriffen werden, wonach die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Asylsuchenden einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, bei der Entscheidung zugrunde zu legen sind. Zu fragen ist sodann auf der Grundlage dieses gemischt objektiv-individuellen Maßstabs, ob von einem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich am Ort der internen Fluchtalternative aufhält. Erforderlich hierfür ist , dass er am Zufluchtsort unter persönlich zumutbaren Bemühungen jedenfalls sein Existenzminimum sichern kann. Fehlt es an einer solchen Möglichkeit der Existenzsicherung, ist eine interne Schutzmöglichkeit nicht gegeben.
29 
Dies entspricht im Kern der geltenden Rechtsprechung zu den Mindestanforderungen einer inländischen Fluchtalternative. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierbei auch bisher schon die individuellen Umstände des Asylsuchenden in den Blick genommen. So hat es eine inländische Fluchtalternative beispielsweise dann verneint, wenn für einen vorverfolgten Flüchtling am Zufluchtsort das wirtschaftliche Existenzminimum wegen in seiner Person liegender Merkmale - etwa wegen Behinderung oder wegen hohen Alters - nicht gewährleistet ist oder wenn der Vorverfolgte am Ort der Fluchtalternative keine Verwandten oder Freunde hat, bei denen er Obdach oder Unterstützung finden könnte, und ohne eine solche Unterstützung dort kein Leben über dem Existenzminimum möglich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.1993 - 9 C 45.92 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 166). In einer neuen Entscheidung hat sich das Bundesverwaltungsgericht ferner mit der Frage auseinandergesetzt, was dem Betroffenen am Ort der Fluchtalternative an Tätigkeiten zumutbar ist, um seinen Lebensunterhalt zu sichern (Beschluss vom 31.08.2006 - 1 B 96/06 - ) und hat damit Erwägungen angestellt, die auch den Anforderungen des Art. 8 RL 2004/83/EG Rechnung tragen. Nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts, denen der Senat folgt, bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen das wirtschaftliche Existenzminimum grundsätzlich dann, wenn sie dort - was grundsätzlich zumutbar ist - durch eigene und notfalls auch weniger attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten im Bereich einer "Schatten- oder Nischenwirtschaft" stattfinden. Der Verweis auf eine entwürdigende oder eine kriminelle Arbeit - etwa durch Beteiligung an Straftaten im Rahmen „mafiöser“ Strukturen - ist dagegen nicht zumutbar (BVerwG, Beschluss vom 17.05.2005 - 1 B 100/05 - ). Maßgeblich ist grundsätzlich auch nicht, ob der Staat den Flüchtlingen einen durchgehend legalen Aufenthaltsstatus gewähren würde, vielmehr ist in tatsächlicher Hinsicht zu fragen, ob das wirtschaftliche Existenzminimum zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.08.2006 - 1 B 96/06 - a.a.O.; a.A. OVG Magdeburg, Urteil v. 31.03.2006 - 2 L 40/06 - , d.h. ob mit den erlangten Mitteln auch die notwendigsten Aufwendungen für Leben und Gesundheit aufgebracht werden können.
30 
b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist es den Klägern - nach der gegenwärtigen Sachlage (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG sowie Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG) - zuzumuten und kann von ihnen daher auch vernünftigerweise erwartet werden, dass sie ihren Aufenthalt in einem anderen Landesteil der Russischen Föderation nehmen, an dem sie vor Verfolgung sicher sind und wo ihr soziales und wirtschaftliches Existenzminimum gewährleistet ist. Selbst wenn dabei mit dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof (Hess. VGH, Urteil vom 18.05.2006 - 3 UE 177/04.A - ) und dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Bay.VGH, Urteil vom 31.01.2005 - 11 B 02.31597 - ) die Regionen Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Krasnodar und Stawropol als Orte/Räume einer inländischen Fluchtalternative ebenso ausgenommen werden wie die russische Hauptstadt Moskau und Petersburg, hat zumindest die Klägerin zu 2 gegenwärtig die Möglichkeit, in der tschetschenischen Diaspora innerhalb Russlands eine Registrierung zu erhalten und mit ihrer Registrierung für die ganze Familie das soziale und wirtschaftliche Existenzminimum zu sichern, denn sie verfügt über einen neuen gültigen russischen Inlandspass, der u.a. Voraussetzung für eine Registrierung ist. Hierzu ist im Einzelnen folgendes auszuführen:
31 
Art. 27 der russischen Verfassung von 1993 garantiert zwar die Niederlassungsfreiheit. Dieses Recht ist indessen strikt begrenzt durch regionale und lokale Bestimmungen und durch das de facto vielerorts noch gültige Propiska-System, das vor dem mit dem Föderationsgesetz im Jahre 1993 eingeführten Registrierungssystem galt und das nicht nur eine Meldung durch den Bürger, sondern auch die Gestattung oder Verweigerung durch die Behörden vorsah. Nach dem Registrierungssystem ist nunmehr Voraussetzung für eine dauerhafte Registrierung, dass der Antragsteller einen Wohnraumnachweis führen kann und über einen russischen Inlandspass verfügt. Ein in Deutschland ausgestelltes Passersatzpapier reicht für eine dauerhafte Registrierung nicht aus (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 26). Trotz der Systemumstellung durch das Föderationsgesetz wenden viele Regionalbehörden der Russischen Föderation restriktive örtliche Vorschriften oder Verwaltungspraktiken an, weshalb Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens erhebliche Schwierigkeiten haben, eine offizielle Registrierung zu erhalten. Besonders in Moskau haben zurückgeführte Tschetschenen in der Regel nur dann eine Chance, in der Stadt Aufnahme zu finden, wenn sie über genügend Geld verfügen oder auf ein Netzwerk von Bekannten oder Verwandten zurückgreifen können. Hierbei haben sich die administrativen Schwierigkeiten und auch die Behördenwillkür nach der Geiselnahme im Oktober 2002 gegenüber - besonderes auch rückkehrenden - Tschetschenen verstärkt; daran dürfte sich auf absehbare Zeit angesichts der weiterhin fortbestehenden Terrorgefahr auch nichts ändern (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 26).
32 
Die genannten Registrierungsvoraussetzungen gelten im ganzen Land. Gleichwohl ist eine offizielle Registrierung in anderen Regionen der Russischen Föderation, vor allem in Südrussland, grundsätzlich leichter möglich als in Moskau, unter anderem weil Wohnraum - eine der Registrierungsvoraussetzungen - dort erheblich billiger ist als in der russischen Hauptstadt mit ihren hohen Mieten. Neben Moskau, wo etwa 200.000 Tschetschenen leben und den oben genannten, als Ort des internen Schutzes möglicherweise nicht in Betracht kommenden Regionen, ist es Tschetschenen auch gelungen, sich im Gebiet Rostow (70.000), in der Wolgaregion (50.000), in Nordossetien (4.000) und in Karatschajewo-Tscherkessien (23.000) anzusiedeln (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 18).
33 
c) Zur Überzeugung des Senats wird es auch der Klägerin zu 2, die im Besitz eines neuen gültigen russischen Inlandspasses ist, gelingen, in diesen tschetschenischen Siedlungsgebieten Wohnraum für sich und ihre Familie zu erlangen und damit grundsätzlich die geforderten Rechtsvoraussetzungen für eine Registrierung zu erfüllen. Im Hinblick auf die Möglichkeit, eine Registrierung zu erhalten bzw. ohne eine solche zu leben, führt MEMORIAL in seinem Schreiben vom 16.10.2005 allerdings aus, dass es sich auch an kleinen Orten nicht ohne Registrierung leben lasse, denn diese werde an jedem Ort benötigt. Hinzu komme, dass in kleinen Ortschaften alles sichtbar sei und man nicht „mit der großen Masse verschmelzen“ könne. Der Senat geht gleichwohl nicht davon aus, dass die Klägerin zu 2 an einem solchen Ort ohne Registrierung wird leben müssen. Trotz aller Schwierigkeiten, vor die sich die Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe bei Registrierungen gestellt sehen, ist nach Auskunft des Auswärtigen Amtes eine Registrierung in vielen Landesteilen möglich, wenn auch oft erst nach Intervention von Nicht-Regierungsorganisationen, Duma-Abgeordneten oder anderen einflussreichen Persönlichkeiten oder durch Bestechung (Lagebericht des AA vom 18.08.2006, Stand Juli 2006, S. 27). Bei ihren diesbezüglichen Bemühungen kann die Klägerin zu 2 auch auf die Unterstützung ihres Ehemannes zählen. Auch wenn dieser selbst über keinen gültigen Inlandspass verfügt und damit die Registrierungsvoraussetzungen für seine Person nicht erfüllt, wird es ihm gelingen, in der stark männlich dominierten tschetschenischen Diaspora Wohnraum zu organisieren und für sich selbst - auch ohne eigene Registrierung (dazu sogleich) - zumindest in der so genannten „Schattenwirtschaft“ eine Arbeit zu finden, die es ihm ermöglicht, das wirtschaftliche Existenzminimum für sich und seine Familie zu sichern. Darauf, ob er sich selbst registrieren lassen kann - wofür mangels eines gültigen Passes wenig spricht - und ob es ihm zumutbar wäre, zunächst nach Tschetschenien zurückzukehren, um sich einen neuen Pass zu beschaffen (dazu AA vom 22.11.2005 an VG Berlin), kommt es vorliegend nicht an. Denn für ihn als Angehörigen einer grundsätzlich registrierungsberechtigten Ehefrau ist auch ohne gültigen Pass eine Aufenthaltsnahme in einer als Ort des internen Schutzes in Betracht kommenden anderen Region der Russischen Föderation möglich und zumutbar (vgl. hierzu auch Hess. VGH, Urteil vom 18.05.2006 - 3 UE 177/04.A- Nr. 53 des Dokuments; für den Fall eines 35jährigen allein stehenden Mannes).
34 
Der Senat verkennt nicht, dass die Konsequenzen einer Nichtregistrierung gravierend sind und Rechtspositionen sowie eine Reihe sozialer Leistungen von der Registrierung abhängen, so das Recht auf Beschäftigung, auf medizinische Versorgung und Ausbildung. Gleichwohl werden sich die Kläger nach den besonderen Umständen des Falles in den Zufluchtgebieten mit zumutbaren Anstrengungen eine ausreichende Lebensgrundlage schaffen können ( zu den generellen Verhältnissen nicht registrierter Tschetschenen vgl. zuletzt AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 27). Entscheidend ist, dass die Klägerin zu 2 über einen gültigen russischen Inlandspass verfügt. Damit wird es ihr nach Einschätzung des Senats möglich sein, in der Russischen Föderation - außerhalb der oben angeführten Regionen, die als Orte des internen Schutzes nicht in Betracht kommen - eine Registrierung zu erhalten. Jedenfalls auf Grundlage dieser Registrierung wird es den Klägern im Familienverbund gelingen, sich durch eine Tätigkeit des Klägers in der in der Russischen Föderation weit verbreiteten sog. „Schattenwirtschaft“ eine ausreichende Lebensgrundlage zu schaffen. Der Kläger ist ersichtlich gesund und zu körperlicher Arbeit in der Lage. Er hat auch bereits in der Landwirtschaft gearbeitet und beim Bau mitgeholfen. Darauf, ob der Familie auch ohne Registrierung „vernünftigerweise“ angesonnen werden könnte, sich in einer der Zufluchtsregionen aufzuhalten - laut MEMORIAL („Menschen aus Tschetschenien in der Russischen Föderation, Juli 2005 bis Juli 2006“, S. 35) ist seit Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 122 der Empfang von staatlichen Unterstützungsgeldern und Renten bei fehlender Registrierung nicht möglich und wird der Besuch des Kindergartens und manchmal sogar der Schulbesuch erschwert - kommt es nicht an.
III.
35 
Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG vor, wobei für die Auslegung Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und die Art. 6 bis 8 RL 2004/83/EG jeweils heranzuziehen sind (vgl. Hinweise des BMI, S.15). Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern bei einer Rückkehr in die Russische Föderation Folter (§ 60 Abs. 2 AufenthG), die Todesstrafe (§ 60 Abs. 3 AufenthG) oder insbesondere eine unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 der EMRK (§ 60 Abs. 5 AufenthG) droht. Art. 2 e RL 2004/83/EG definiert die „Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz“ als Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der bei einer Rückkehr Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie zu erleiden. Auch für diese Personen sieht Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG vor, dass für sie - falls sie bereits vor ihrer Ausreise einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten haben -, der herab gestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab Anwendung findet. Auch wenn der Senat dessen Vorliegen auch hier bei den Klägern unterstellt, scheidet ein Anspruch aus den oben genannten Gründen aus.
36 
Auch für eine Schutzgewährung nach § 60 Abs. 7 AufenthG gilt entsprechendes. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Mit Blick auf die Qualifikationsrichtlinie ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt ist. Bei der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG gelten Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und die Art. 6 bis 8 der Richtlinie 2004/83/EG. Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Hinblick auf die Tatsache, dass die Umsetzungsfrist für die Qualifikationsrichtlinie mittlerweile abgelaufen ist, hilfsweise beantragt haben, zusätzlich festzustellen, dass die Voraussetzungen des Art. 15 c RL 2004/83/EG vorliegen, können sie damit gleichfalls nicht durchdringen, denn Art. 15 c RL 2004/83/EG ist ein Unterfall des § 60 Abs. 7 AufenthG und regelt die subsidiäre Schutzgewährung in Fällen willkürlicher Gewalt im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten. Ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall auf die Situation in Tschetschenien zutreffen, kann dahinstehen, denn auch hier gilt, dass den Klägern nach den obigen Ausführungen eine zumutbare interne Schutzalternative zur Verfügung steht, diese auch erreichbar ist und von ihnen vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie sich dort aufhalten.
IV.
37 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
38 
Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist. Insbesondere kommt es auf die Frage, ob (und welche) tschetschenische Volkszugehörige in Tschetschenien einer (regionalen) Gruppenverfolgung ausgesetzt sind, wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls nicht an.

Gründe

 
I.
19 
Die Berufung des Beklagten ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere sind die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 3, Abs. 3 Satz 4 VwGO erfüllt, wonach die Berufungsbegründung einen bestimmten Antrag und die im Einzelnen anzuführenden Berufungsgründe enthalten muss. Welche Mindestanforderungen danach an die Berufungsbegründung zu stellen sind, hängt wesentlich von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab. Das gesetzliche Erfordernis der Einreichung eines Schriftsatzes zur Berufungsbegründung kann grundsätzlich auch eine auf die erfolgreiche Begründung des Zulassungsantrags verweisende Begründung erfüllen, wenn damit hinreichend zum Ausdruck gebracht werden kann, dass und weshalb das erstinstanzliche Urteil weiterhin angefochten wird. In asylrechtlichen Streitigkeiten genügt eine Berufungsbegründung den Anforderungen des § 124 a Abs. 6 VwGO regelmäßig etwa dann, wenn sie zu einer entscheidungserheblichen Frage ihre von der Vorinstanz abweichende Beurteilung deutlich macht, was auch durch die Bezugnahme auf die Begründung des insoweit erfolgreichen Zulassungsantrags und auf den Zulassungsbeschluss geschehen kann (st. Rechtspr. des BVerwG, z.B. Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - ; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.11.1997 - A 16 S 193/97 -, NVwZ 1998, 1089 f.). Dem wird die auf den Berufungszulassungsantrag sowie den Zulassungsbeschluss des erkennenden Senats verweisende Berufungsbegründung der Beklagten vom 02.02.2006 gerecht.
II.
20 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit dem angefochtenen Urteil zu Unrecht verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erfüllt sind und daher auch zu Unrecht den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Den Klägern steht nämlich der mit der Berufung weiterverfolgte Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht zu, und die Beklagte kann auch nicht zur (hilfsweise beantragten) Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG, § 60 Abs. 7 AufenthG und Art. 15 c RL 2004/83/EG verpflichtet werden (siehe § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
21 
1. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (Abkommen vom 28.07.1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge, BGBl. 1953 II, S. 559 - GFK -) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Nach Satz 4 dieser Bestimmung kann eine Verfolgung im Sinne des Satzes 1 ausgehen vom Staat selbst, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder von nichtstaatliche Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten; dies gilt nach der gesetzlichen Regelung unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative. Eine Verfolgung liegt vor, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an eines der genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (siehe grundsätzlich: BVerfG, Urteil vom 10.07.1989 - 2 BvR 502, 1000 und 961/86 -, BVerfGE 80, 315, S. 339 und Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, Stand Oktober 2006, RdNr. 41 zu § 60 AufenthG).
22 
Bei Auslegung und Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG ist die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004, ABl. vom 30.09.2004 L 304/12 (Qualifikationsrichtlinie) zu berücksichtigen, denn am 10.10.2006 ist gemäß Art. 38 Abs. 1 RL 2004/83/EG die Umsetzungsfrist für diese Richtlinie abgelaufen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kommt nicht fristgerecht umgesetzten Richtlinien im Recht der Mitgliedstaaten eine unmittelbare Wirkung zu, wenn die Richtlinie von ihrem Inhalt her unbedingt und hinreichend bestimmt ist, um im Einzelfall angewandt zu werden, und sie dem Einzelnen subjektiv-öffentliche Rechte einräumt oder jedenfalls seine rechtlichen Interessen schützen will (vgl. EuGH, Urteile vom 05.04.1979 - Rs. 148/78 - , Slg. 1979, 1629 Rn. 23; Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Kommentar, 2. Aufl. (2002), Art. 249 EGV RdNr. 73 ff.). Diese Voraussetzungen liegen im Fall der Qualifikationsrichtlinie vor; die darin enthaltenen Regelungen erfüllen zum ganz überwiegenden Teil diese Voraussetzungen. Dies hat zur Folge, dass die nationalen Bestimmungen unter Berücksichtigung der Richtlinienbestimmung richtlinienkonform auszulegen sind, und im Falle des Entgegenstehens der nationalen Bestimmung die Richtlinienbestimmung unmittelbare Anwendung findet (vgl. auch Hinweise des Bundesministerium des Innern vom 13.09.2006 zur Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG, S. 2 - künftig: Hinweise des BMI -). Hierbei sind die Anforderungen an die Verfolgungsmotivation und an die in Betracht kommenden (staatlichen und nichtstaatlichen) Verfolgungssubjekte in der RL 2004/83/EG und in dem ihr insoweit nachgebildeten § 60 Abs. 1 AufenthG deckungsgleich geregelt.
23 
Ob und inwieweit sich bei anderen Verfolgungsmerkmalen Abweichungen bei den Voraussetzungen und beim Verfolgungsmaßstab zwischen § 60 Abs. 1 AufenthG und der RL 2004/83/EG ergeben könnten, kann der Senat weitgehend offen lassen. Denn auch wenn von der für die Kläger jeweils günstigsten tatsächlichen und rechtlichen Konstellation hinsichtlich einer Vorverfolgung in Tschetschenien vor der Ausreise ausgegangen wird (dazu 1.) und der Senat zudem auch ihre Verfolgung in Tschetschenien im Falle der Rückkehr unterstellt , können sie Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AuslG und nach der RL 2004/83/EG jedenfalls deswegen nicht erhalten, weil ihnen jedenfalls eine inländische Fluchtalternative i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 4 c) AufenthG bzw. interner Schutz im Sinne von Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie in Gebieten außerhalb Tschetscheniens zur Verfügung steht (dazu 2.).
24 
1. Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war, kommt nach nationalem Recht wie nach der RL 2004/83/EG ein herabgestufter Verfolgungsmaßstab zugute. Nach nationalem Recht kann ihm eine Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (vgl. BVerwGE 70, 169 <170 f.>). Nach diesem Maßstab wird nicht verlangt, dass die Gefahr erneuter Übergriffe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Vielmehr ist - über die theoretische Möglichkeit, Opfer eines Übergriffs zu werden, hinaus - erforderlich, dass objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernt und damit als durchaus reale Möglichkeit erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.09.1992 - 9 C 62/91 -, NVwZ 1993 S. 191). Dem entspricht im Ergebnis Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie, wonach die Tatsache einer bereits eingetretenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung als ernsthafter Hinweis darauf zu werten ist, dass die Furcht des Schutzsuchenden vor Verfolgung begründet ist.
25 
Der Senat unterstellt zugunsten der Kläger, dass sie vor der Ausreise aus Tschetschenien dort von einer derartigen Verfolgung in Form einer regionalen Gruppenverfolgung betroffen waren. Ob dies tatsächlich der Fall war - ob mithin tschetschenische Volkszugehörige aus Tschetschenien dort aus asylerheblichen Gründen (wegen ihres Volkstums oder ihrer politischen Überzeugung) in der erforderlichen Verfolgungsdichte und -intensität von staatlichen russischen Stellen verfolgt wurden - braucht demgemäß nicht entschieden zu werden. Allerdings folgt der Senat dem Verwaltungsgericht darin, dass die Kläger jedenfalls eine individuelle Vorverfolgung nicht belegen können. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann zunächst auf die überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts hierzu verwiesen werden. Auch der Senat hat in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Kläger jedenfalls hinsichtlich des Vorfalls im Jahre 2003, der Auslöser für seine Flucht gewesen sein soll, von Geschehnissen berichtet hat, die er nicht selbst erlebt hat. Zu oberflächlich und unbeteiligt geriet seine Schilderung. Auch soweit er erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat von sexuellen Erniedrigungen und Demütigungen berichtet hat, zeigte er keine Emotionen und vermittelte dem Senat einen durchweg unbeteiligten Eindruck. Hinzu kommt, dass es sich hierbei um eine deutliche Steigerung seines Vorbringens handelt, und er nicht plausibel erklären konnte, weshalb er diese Geschehnisse nicht bereits bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt oder dem Verwaltungsgericht offenbart hat. Seine Einlassung auf den Vorhalt des Gerichts, es sei ihm schwer gefallen, die sexuellen Demütigungen und Erniedrigungen einem Richter gegenüber zu bekunden, weil es sich bei den Soldaten ja um Männer gehandelt habe, überzeugen den Senat schon deshalb nicht, weil der Kläger sich in einer Art und Weise geäußert hat, die eine wirkliche Betroffenheit vermissen ließ.
26 
2. Auf der Grundlage der (unterstellten) (Gruppen-) Vorverfolgung der Kläger wäre ein Anspruch auf Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG dann gegeben, wenn sie zum einen auch bei einer Rückkehr nach Tschetschenien wegen ihrer tschetschenischen Volkszugehörigkeit einer (regionalen) Gruppenverfolgung - mit der erforderlichen Verfolgungsmotivation und Verfolgungsdichte - unterlägen, wobei sie sich auf einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab berufen könnten, und wenn ihnen zum anderen eine zumutbare inländische Flüchtalternative in anderen Landesteilen Russlands nicht zur Verfügung stünde. Ob die erstgenannte Voraussetzung (Gruppenverfolgung in Tschetschenien, hinreichende Sicherheit) gegeben ist, braucht der Senat ebenfalls nicht zu entscheiden. Denn auch wenn er diesen Verfolgungssachverhalt zu Gunsten der Kläger unterstellt, können sich die Kläger jedenfalls an einen Ort innerhalb der Russischen Föderation begeben, an dem sie eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 c) AufenthG nach Maßgabe der Auslegungskriterien nach Art. 8 RL 2004/83/EG (interner Schutz) finden können.
27 
a) Gemäß Art. 8 Abs. 1 RL 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) können die Mitgliedsstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht, und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Gemäß Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG berücksichtigen die Mitgliedsstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Abs. 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Art. 8 RL 2004/83/EG ermächtigt die Mitgliedsstaaten zunächst grundsätzlich, den internationalen Schutz einzuschränken, wenn die betreffende Person in einem Teil des Herkunftslandes unter zumutbaren Umständen Schutz vor Verfolgung gefunden hat oder findet. Wie Art. 1 Nr. 38 a) bb) und cc) des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (Stand: 13.03.2006) zeigt, werden diese Vorgaben in der Neufassung des § 60 Abs. 1 AufenthG aufgegriffen und umgesetzt.
28 
Nach Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG kommt es nunmehr auf die am Ort des internen Schutzes bestehenden „allgemeinen Gegebenheiten“ und zusätzlich auch auf die „persönlichen Umstände“ des Asylsuchenden im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag an (so auch die Begründung des oben genannten Gesetz-Entwurfs zu Art. 1, Nr. 38 zur Auslegung von Art. 8 RL 2004/83/EG, S. 193 f.). Zur Interpretation des Begriffs der persönlichen Umstände kann auf Art. 4 Abs. 3 Buchst. c RL 2004/83/EG zurückgegriffen werden, wonach die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Asylsuchenden einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, bei der Entscheidung zugrunde zu legen sind. Zu fragen ist sodann auf der Grundlage dieses gemischt objektiv-individuellen Maßstabs, ob von einem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich am Ort der internen Fluchtalternative aufhält. Erforderlich hierfür ist , dass er am Zufluchtsort unter persönlich zumutbaren Bemühungen jedenfalls sein Existenzminimum sichern kann. Fehlt es an einer solchen Möglichkeit der Existenzsicherung, ist eine interne Schutzmöglichkeit nicht gegeben.
29 
Dies entspricht im Kern der geltenden Rechtsprechung zu den Mindestanforderungen einer inländischen Fluchtalternative. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierbei auch bisher schon die individuellen Umstände des Asylsuchenden in den Blick genommen. So hat es eine inländische Fluchtalternative beispielsweise dann verneint, wenn für einen vorverfolgten Flüchtling am Zufluchtsort das wirtschaftliche Existenzminimum wegen in seiner Person liegender Merkmale - etwa wegen Behinderung oder wegen hohen Alters - nicht gewährleistet ist oder wenn der Vorverfolgte am Ort der Fluchtalternative keine Verwandten oder Freunde hat, bei denen er Obdach oder Unterstützung finden könnte, und ohne eine solche Unterstützung dort kein Leben über dem Existenzminimum möglich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.1993 - 9 C 45.92 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 166). In einer neuen Entscheidung hat sich das Bundesverwaltungsgericht ferner mit der Frage auseinandergesetzt, was dem Betroffenen am Ort der Fluchtalternative an Tätigkeiten zumutbar ist, um seinen Lebensunterhalt zu sichern (Beschluss vom 31.08.2006 - 1 B 96/06 - ) und hat damit Erwägungen angestellt, die auch den Anforderungen des Art. 8 RL 2004/83/EG Rechnung tragen. Nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts, denen der Senat folgt, bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen das wirtschaftliche Existenzminimum grundsätzlich dann, wenn sie dort - was grundsätzlich zumutbar ist - durch eigene und notfalls auch weniger attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten im Bereich einer "Schatten- oder Nischenwirtschaft" stattfinden. Der Verweis auf eine entwürdigende oder eine kriminelle Arbeit - etwa durch Beteiligung an Straftaten im Rahmen „mafiöser“ Strukturen - ist dagegen nicht zumutbar (BVerwG, Beschluss vom 17.05.2005 - 1 B 100/05 - ). Maßgeblich ist grundsätzlich auch nicht, ob der Staat den Flüchtlingen einen durchgehend legalen Aufenthaltsstatus gewähren würde, vielmehr ist in tatsächlicher Hinsicht zu fragen, ob das wirtschaftliche Existenzminimum zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.08.2006 - 1 B 96/06 - a.a.O.; a.A. OVG Magdeburg, Urteil v. 31.03.2006 - 2 L 40/06 - , d.h. ob mit den erlangten Mitteln auch die notwendigsten Aufwendungen für Leben und Gesundheit aufgebracht werden können.
30 
b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist es den Klägern - nach der gegenwärtigen Sachlage (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG sowie Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG) - zuzumuten und kann von ihnen daher auch vernünftigerweise erwartet werden, dass sie ihren Aufenthalt in einem anderen Landesteil der Russischen Föderation nehmen, an dem sie vor Verfolgung sicher sind und wo ihr soziales und wirtschaftliches Existenzminimum gewährleistet ist. Selbst wenn dabei mit dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof (Hess. VGH, Urteil vom 18.05.2006 - 3 UE 177/04.A - ) und dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Bay.VGH, Urteil vom 31.01.2005 - 11 B 02.31597 - ) die Regionen Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Krasnodar und Stawropol als Orte/Räume einer inländischen Fluchtalternative ebenso ausgenommen werden wie die russische Hauptstadt Moskau und Petersburg, hat zumindest die Klägerin zu 2 gegenwärtig die Möglichkeit, in der tschetschenischen Diaspora innerhalb Russlands eine Registrierung zu erhalten und mit ihrer Registrierung für die ganze Familie das soziale und wirtschaftliche Existenzminimum zu sichern, denn sie verfügt über einen neuen gültigen russischen Inlandspass, der u.a. Voraussetzung für eine Registrierung ist. Hierzu ist im Einzelnen folgendes auszuführen:
31 
Art. 27 der russischen Verfassung von 1993 garantiert zwar die Niederlassungsfreiheit. Dieses Recht ist indessen strikt begrenzt durch regionale und lokale Bestimmungen und durch das de facto vielerorts noch gültige Propiska-System, das vor dem mit dem Föderationsgesetz im Jahre 1993 eingeführten Registrierungssystem galt und das nicht nur eine Meldung durch den Bürger, sondern auch die Gestattung oder Verweigerung durch die Behörden vorsah. Nach dem Registrierungssystem ist nunmehr Voraussetzung für eine dauerhafte Registrierung, dass der Antragsteller einen Wohnraumnachweis führen kann und über einen russischen Inlandspass verfügt. Ein in Deutschland ausgestelltes Passersatzpapier reicht für eine dauerhafte Registrierung nicht aus (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 26). Trotz der Systemumstellung durch das Föderationsgesetz wenden viele Regionalbehörden der Russischen Föderation restriktive örtliche Vorschriften oder Verwaltungspraktiken an, weshalb Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens erhebliche Schwierigkeiten haben, eine offizielle Registrierung zu erhalten. Besonders in Moskau haben zurückgeführte Tschetschenen in der Regel nur dann eine Chance, in der Stadt Aufnahme zu finden, wenn sie über genügend Geld verfügen oder auf ein Netzwerk von Bekannten oder Verwandten zurückgreifen können. Hierbei haben sich die administrativen Schwierigkeiten und auch die Behördenwillkür nach der Geiselnahme im Oktober 2002 gegenüber - besonderes auch rückkehrenden - Tschetschenen verstärkt; daran dürfte sich auf absehbare Zeit angesichts der weiterhin fortbestehenden Terrorgefahr auch nichts ändern (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 26).
32 
Die genannten Registrierungsvoraussetzungen gelten im ganzen Land. Gleichwohl ist eine offizielle Registrierung in anderen Regionen der Russischen Föderation, vor allem in Südrussland, grundsätzlich leichter möglich als in Moskau, unter anderem weil Wohnraum - eine der Registrierungsvoraussetzungen - dort erheblich billiger ist als in der russischen Hauptstadt mit ihren hohen Mieten. Neben Moskau, wo etwa 200.000 Tschetschenen leben und den oben genannten, als Ort des internen Schutzes möglicherweise nicht in Betracht kommenden Regionen, ist es Tschetschenen auch gelungen, sich im Gebiet Rostow (70.000), in der Wolgaregion (50.000), in Nordossetien (4.000) und in Karatschajewo-Tscherkessien (23.000) anzusiedeln (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 18).
33 
c) Zur Überzeugung des Senats wird es auch der Klägerin zu 2, die im Besitz eines neuen gültigen russischen Inlandspasses ist, gelingen, in diesen tschetschenischen Siedlungsgebieten Wohnraum für sich und ihre Familie zu erlangen und damit grundsätzlich die geforderten Rechtsvoraussetzungen für eine Registrierung zu erfüllen. Im Hinblick auf die Möglichkeit, eine Registrierung zu erhalten bzw. ohne eine solche zu leben, führt MEMORIAL in seinem Schreiben vom 16.10.2005 allerdings aus, dass es sich auch an kleinen Orten nicht ohne Registrierung leben lasse, denn diese werde an jedem Ort benötigt. Hinzu komme, dass in kleinen Ortschaften alles sichtbar sei und man nicht „mit der großen Masse verschmelzen“ könne. Der Senat geht gleichwohl nicht davon aus, dass die Klägerin zu 2 an einem solchen Ort ohne Registrierung wird leben müssen. Trotz aller Schwierigkeiten, vor die sich die Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe bei Registrierungen gestellt sehen, ist nach Auskunft des Auswärtigen Amtes eine Registrierung in vielen Landesteilen möglich, wenn auch oft erst nach Intervention von Nicht-Regierungsorganisationen, Duma-Abgeordneten oder anderen einflussreichen Persönlichkeiten oder durch Bestechung (Lagebericht des AA vom 18.08.2006, Stand Juli 2006, S. 27). Bei ihren diesbezüglichen Bemühungen kann die Klägerin zu 2 auch auf die Unterstützung ihres Ehemannes zählen. Auch wenn dieser selbst über keinen gültigen Inlandspass verfügt und damit die Registrierungsvoraussetzungen für seine Person nicht erfüllt, wird es ihm gelingen, in der stark männlich dominierten tschetschenischen Diaspora Wohnraum zu organisieren und für sich selbst - auch ohne eigene Registrierung (dazu sogleich) - zumindest in der so genannten „Schattenwirtschaft“ eine Arbeit zu finden, die es ihm ermöglicht, das wirtschaftliche Existenzminimum für sich und seine Familie zu sichern. Darauf, ob er sich selbst registrieren lassen kann - wofür mangels eines gültigen Passes wenig spricht - und ob es ihm zumutbar wäre, zunächst nach Tschetschenien zurückzukehren, um sich einen neuen Pass zu beschaffen (dazu AA vom 22.11.2005 an VG Berlin), kommt es vorliegend nicht an. Denn für ihn als Angehörigen einer grundsätzlich registrierungsberechtigten Ehefrau ist auch ohne gültigen Pass eine Aufenthaltsnahme in einer als Ort des internen Schutzes in Betracht kommenden anderen Region der Russischen Föderation möglich und zumutbar (vgl. hierzu auch Hess. VGH, Urteil vom 18.05.2006 - 3 UE 177/04.A- Nr. 53 des Dokuments; für den Fall eines 35jährigen allein stehenden Mannes).
34 
Der Senat verkennt nicht, dass die Konsequenzen einer Nichtregistrierung gravierend sind und Rechtspositionen sowie eine Reihe sozialer Leistungen von der Registrierung abhängen, so das Recht auf Beschäftigung, auf medizinische Versorgung und Ausbildung. Gleichwohl werden sich die Kläger nach den besonderen Umständen des Falles in den Zufluchtgebieten mit zumutbaren Anstrengungen eine ausreichende Lebensgrundlage schaffen können ( zu den generellen Verhältnissen nicht registrierter Tschetschenen vgl. zuletzt AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 27). Entscheidend ist, dass die Klägerin zu 2 über einen gültigen russischen Inlandspass verfügt. Damit wird es ihr nach Einschätzung des Senats möglich sein, in der Russischen Föderation - außerhalb der oben angeführten Regionen, die als Orte des internen Schutzes nicht in Betracht kommen - eine Registrierung zu erhalten. Jedenfalls auf Grundlage dieser Registrierung wird es den Klägern im Familienverbund gelingen, sich durch eine Tätigkeit des Klägers in der in der Russischen Föderation weit verbreiteten sog. „Schattenwirtschaft“ eine ausreichende Lebensgrundlage zu schaffen. Der Kläger ist ersichtlich gesund und zu körperlicher Arbeit in der Lage. Er hat auch bereits in der Landwirtschaft gearbeitet und beim Bau mitgeholfen. Darauf, ob der Familie auch ohne Registrierung „vernünftigerweise“ angesonnen werden könnte, sich in einer der Zufluchtsregionen aufzuhalten - laut MEMORIAL („Menschen aus Tschetschenien in der Russischen Föderation, Juli 2005 bis Juli 2006“, S. 35) ist seit Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 122 der Empfang von staatlichen Unterstützungsgeldern und Renten bei fehlender Registrierung nicht möglich und wird der Besuch des Kindergartens und manchmal sogar der Schulbesuch erschwert - kommt es nicht an.
III.
35 
Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG vor, wobei für die Auslegung Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und die Art. 6 bis 8 RL 2004/83/EG jeweils heranzuziehen sind (vgl. Hinweise des BMI, S.15). Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern bei einer Rückkehr in die Russische Föderation Folter (§ 60 Abs. 2 AufenthG), die Todesstrafe (§ 60 Abs. 3 AufenthG) oder insbesondere eine unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 der EMRK (§ 60 Abs. 5 AufenthG) droht. Art. 2 e RL 2004/83/EG definiert die „Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz“ als Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der bei einer Rückkehr Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie zu erleiden. Auch für diese Personen sieht Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG vor, dass für sie - falls sie bereits vor ihrer Ausreise einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten haben -, der herab gestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab Anwendung findet. Auch wenn der Senat dessen Vorliegen auch hier bei den Klägern unterstellt, scheidet ein Anspruch aus den oben genannten Gründen aus.
36 
Auch für eine Schutzgewährung nach § 60 Abs. 7 AufenthG gilt entsprechendes. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Mit Blick auf die Qualifikationsrichtlinie ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt ist. Bei der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG gelten Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und die Art. 6 bis 8 der Richtlinie 2004/83/EG. Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Hinblick auf die Tatsache, dass die Umsetzungsfrist für die Qualifikationsrichtlinie mittlerweile abgelaufen ist, hilfsweise beantragt haben, zusätzlich festzustellen, dass die Voraussetzungen des Art. 15 c RL 2004/83/EG vorliegen, können sie damit gleichfalls nicht durchdringen, denn Art. 15 c RL 2004/83/EG ist ein Unterfall des § 60 Abs. 7 AufenthG und regelt die subsidiäre Schutzgewährung in Fällen willkürlicher Gewalt im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten. Ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall auf die Situation in Tschetschenien zutreffen, kann dahinstehen, denn auch hier gilt, dass den Klägern nach den obigen Ausführungen eine zumutbare interne Schutzalternative zur Verfügung steht, diese auch erreichbar ist und von ihnen vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie sich dort aufhalten.
IV.
37 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
38 
Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist. Insbesondere kommt es auf die Frage, ob (und welche) tschetschenische Volkszugehörige in Tschetschenien einer (regionalen) Gruppenverfolgung ausgesetzt sind, wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls nicht an.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.

(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.