Sozialgericht München Urteil, 22. Sept. 2015 - S 15 R 1125/14

22.09.2015

Gericht

Sozialgericht München

Tenor

I.

Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 16.08.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.05.2014 verurteilt, dem Kläger ab dem 01.08.2013 unbefristet eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach den gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.

II.

Die Beklagte erstattet dem Kläger die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit mit Wirkung ab dem 01.08.2013.

Der 1958 geborene Kläger, der ausgebildeter Kachelofensetzer und Luftheizungsbauer ist, war zuletzt im Zeitraum vom 01.04.2008 bis zum 30.09.2012 als angelernter Maschinenbediener bei der Firma I. GmbH in B-Stadt als Saisonkraft beschäftigt. Bezahlt wurde der Kläger nach dem ETU für das Braugewerbe in Bayern in der Bewertungsgruppe 4 (Arbeitgeberauskunft vom 25.09.2014). Diese beinhaltet als Gruppenmerkmal das Ausführen von Tätigkeiten auch in Teilbereichen, die Kenntnisse und Fertigkeiten voraussetzen, die üblicherweise durch eine abgeschlossene Berufsausbildung erworben werden oder das Ausführen von Tätigkeiten von Arbeitnehmern, die ohne Berufsausbildung auf andere Weise entsprechende Kenntnisse und Fertigkeiten erworben haben und in dieser Tätigkeit gleichwertige Leistungen erbringen. Das Führen eines Flaschenfüllers/Dosenfüllers, wie der Kläger dies bei der Firma I. ausgeübt hat, wird tariflich entsprechend eingeordnet. Gem. der Arbeitgeberauskunft vom 17.09.2015 arbeiten an diesem Arbeitsplatz dementsprechend auch ausgelernte Auszubildende der Berufe Brauer und Mälzer sowie Industriemechaniker zu denselben Konditionen wie Saisonarbeitskräfte.

Der Kläger beantragte im Juli 2013 Rente wegen Erwerbsminderung. Diese wurde mit Bescheid vom 16.08.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.05.2014 zurückgewiesen. Hierbei wurde der Kläger als ungelernter Arbeitnehmer auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen. Die Beklagte stützt sich insbesondere auf ein Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Nervenheilkunde Frau Dr. C., die nach ambulanter Untersuchung am 21.02.2014 aufgrund der erhobenen und aktenkundigen Befunde insbesondere eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, eine Lumboischalgie, Angst und Depression gemischt sowie Alkoholmissbrauch diagnostizierte.

Die Leistungsfähigkeit für die letzte Tätigkeit als Maschinenführer sei mit unter drei Stunden zu beurteilen. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, die überwiegend im Sitzen auszuführen seien, könne der Kläger sechs Stunden und mehr ausüben. Die psychische Belastbarkeit sei eingeschränkt, so dass ein besonderes Konzentrations- und Reaktionsvermögen nicht verlangt werden dürfe. Die Schädigungen des Bewegungs- und Haltungsapparates würden häufiges Bücken, Ersteigen von Leitern und Gerüsten, Heben, Tragen und Bewegen von schweren Lasten sowie wirbelsäulenfixierende Zwangshaltungen ausschließen. Auch Tätigkeiten mit häufig wechselnden Arbeitszeiten seien zu vermeiden.

Der Kläger ließ am 20.06.2014 Klage zum Sozialgericht München erheben. Bei dem Kläger würden zahlreiche orthopädische Einschränkungen und eine psychische Minderbelastbarkeit aufgrund von Depressionen und Ängsten bestehen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung der Befundberichte der behandelnden Ärzte und durch Beauftragung der medizinischen Sachverständigen Dr. J. und Dr. K. (Beweisanordnung vom 10.12.2014 und vom 05.03.2015).

Dr. J. legte ihr Sachverständigengutachten auf internistischem Fachgebiet datierend auf den 23.01.2015 nach ambulanter Untersuchung am 16.01.2015 am 29.01.2015 dem Gericht vor.

Der Kläger schilderte, dass er im Juni 2012 gesundheitsbedingt arbeitsunfähig geworden sei. Der Kläger berichtete weiter, dass sein Diabetes mittlerweile gut eingestellt sei mit regelmäßigen Kontrolluntersuchungen alle drei Monate bei der Diabetologin. Er leide unter Schmerzen, für die eine Polyneuropathie im Gespräch sei, unterhalb des Rippenbogens beidseits sowie im linken Bein bei weiten Gehstrecken im Hüftbereich. Weiter beklagt er ein ständiges Taubheitsgefühl im rechten Fuß sowie im linken Bein beim Gehen. Seit der Alkoholkarenz habe er keine Magenprobleme mehr. Eine Arthrose am linken Ellenbogen würde ihn noch sehr behindern, zumal er Linkshänder sei. Zudem sei er mit den „Nerven fertig“, ohne dass bisher eine richtige Psychotherapie durchgeführt worden sei.

Im Befund wird von keiner nennenswerten Fehlhaltung der Wirbelsäule berichtet. Der Finger-Boden-Abstand wird mit 30 cm gemessen und das Schober-Zeichen betrug 10/13 cm bei Schmerzangabe ab 11 cm.

Aufgrund der weiteren erhobenen sowie der aktenkundigen Befunde diagnostizierte die Gutachterin insbesondere einen Adipositas Grad II, einen Diabetes mellitus Typ 2b mit Spätkomplikationen, eine essentielle Hypertonie, eine Hyperlipidämie, eine vermehrte Fetteinlagerung in die Leber ohne entzündliche Aktivität, eine Ellenbogengelenksarthrose links, einen Verdacht auf degenerative Kniegelenksveränderungen rechts, eine Lumbalgie und rezidivierende Lumboischalgie rechts sowie eine somatoforme Schmerzstörung und Angst und Depression gemischt.

Bei Visuswerten von 0,8 und 0,5 bestehe von Seiten der Augen noch keine relevante Beeinträchtigung des beruflichen Leistungsvermögens. Auch von Seiten der Nierensituation bestehe derzeit weder eine Behandlungsbedürftigkeit noch eine Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens. Festgestellt worden sei eine distale sensible Polyneuropathie, so dass Tätigkeiten mit einer besonderen Verletzungsgefahr im Beinbereich oder mit höherer Anforderung an die Trittsicherheit nicht ausgeübt werden könnten. Weiter würde eine degenerative Lendenwirbelsäulenveränderung mit Spondyloarthrose, Osteochondrose und einem Bandscheibenvorfall L5/S1 bestehen, weshalb bis zum April 2013 eine intradiskale elektrothermale Therapie stattgefunden habe. Trotz Besserung sei keine Beschwerdefreiheit gegeben, so dass Lendenwirbelsäulen-belastende Tätigkeiten (schweres Heben und Tragen, häufiges Bücken oder länger anhaltende Fehlhaltungen) zu vermeiden seien.

Es gebe noch keinen Hinweis für eine klinisch relevante arteriosklerotische Gefäßstenosierung. Die vergrößerte Leber habe keine entzündliche Aktivität aufgezeigt. Orthopädisch sei das Leistungsvermögen auch durch die Ellenbogengelenksarthrose links beeinträchtigt. Am Begutachtungstag sei keine Bewegungseinschränkung festzustellen gewesen; der Kläger habe aber über deutliche belastungsabhängige Schmerzen berichtet. Der Kläger könne daher nicht mehr als Maschinenbediener in einer Brauerei arbeiten. Eine generelle zeitliche Limitierung für körperlich leichte Tätigkeiten ließe sich aber nicht begründen.

Aufgrund der Knieschmerzen sollte eine Tätigkeit ausgeübt werden ohne häufiges Treppensteigen oder lange Hocke. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit sei dadurch aber nicht gegeben.

Der Gesundheitszustand des Klägers habe sich seit dem letzten Rentenverfahren nicht anhaltend wesentlich verschlechtert, wobei die Kniebeschwerden rechts neu hinzugekommen seien. Ohne Berücksichtigung des neurologisch-psychiatrischem Gebiets, wozu die Einholung eines gesonderten Gutachtens angeregt werde, könne der Kläger körperlich leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr mit den üblichen Unterbrechungen mit der Möglichkeit einer kurzen Überprüfung des Blutzuckers ausüben. Zusätzlich zu den genannten qualitativen Einschränkungen sollten auch psychische Belastungen (erhöhter Zeitdruck, Nacht- und Wechselschichten) vermieden werden. Der Kläger müsse sein Körpergewicht reduzieren, um die internistischen Gesundheitsstörungen besser in den Griff zu bekommen.

Dr. K. legte sein Sachverständigengutachten auf nervenärztlichem Fachgebiet datierend auf den 02.07.2015 nach ambulanter Untersuchung am 29.06.2015 am 06.07.2015 dem Gericht vor.

Gegenüber Dr. K. gab der Kläger an, dass er den Rentenantrag aus eigener Entscheidung heraus gestellt habe, da er zunehmend unter seinen Erkrankungen leiden würde. Die Arbeit als Flaschenabfüller sei schwierig, mit Lärm- und Nässeexposition verbunden gewesen, so dass er sich nach ihrem Auslaufen nicht um eine Verlängerung bemüht habe. Seit November 2014 lebe er von seinen Ersparnissen.

Er leide unter Nervenschmerzen, insbesondere im Bereich des rechten Beins. Schwierigkeiten habe er insbesondere beim Treppensteigen. Er könne ca. 200 m auf gerader Strecke gehen. Danach würden die Schmerzen immer größer. Weiter klagte er über sein kaputtes linkes Ellenbogengelenk und über Taubheit am Ringfinger und am kleinen Finger der linken Hand. Durch die letztere Gesundheitsstörung habe er keine Kraft mehr in der linken Hand.

Früher habe er einen gesundheitsschädlichen Alkoholkonsum gehabt. Jetzt sei er seit April 2014 abstinent, brauche aber noch 50-60 Zigaretten am Tag. Aufgrund seines starken Übergewichts habe er auch Probleme mit seinem Blutzucker. In letzter Zeit habe er sich mehrmals als Pförtner beworben. Er könne sich aber gar nicht vorstellen, wie er seine zahlreichen Behandlungstermine mit einer beruflichen Tätigkeit in Einklang bringen könne.

Vom Tagesablauf her stehe er frühmorgens auf. Dann fahre er meistens zu seiner Freundin, die halbseitig gelähmt sei und 100% schwerbehindert. Er kümmere sich um sie, kaufe mit ihr ein und koche. Wenn er nicht zu seiner Freundin fahre, habe er Kontakt auch zu seinen Nachbarn. Am Abend sehe er meistens fern.

Im psychischen Befund wird von einer ausgeglichenen, freundlichen Stimmung berichtet. Bezüglich der Schilderung der gesundheitlichen Situation seiner Freundin war der Kläger vorübergehend betroffen, nachdenklich und besorgt. Die affektive Schwingungsfähigkeit ist erhalten. Der Gutachter beschreibt eine gedankliche Einengung auf die körperlichen Beschwerden. Von seiner Persönlichkeit her wirke der Kläger gutmütig, freundlich und angepasst. Der neurologische Befund erscheint regelrecht bis auf Sensibilitätsstörungen im gesamten rechten Bein.

Diagnostisch würden eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren bei einer Lumboischalgie rechts ohne objektivierbares neurologisches Defizit, eine ängstlich-depressive Entwicklung, ein Zustand nach Alkoholmissbrauch und der Verdacht auf eine beginnende diabetische/alkoholtoxische Polyneuropathie vorliegen.

Die psychischen Faktoren der Schmerzstörung würden sich aus einer Krankheitsfehlverarbeitung ergeben. Ende 2013 sei es zu einer Erschöpfungsdepression gekommen, wobei eine ambulante Psychotherapie bis dato nicht absolviert worden sei. Die zu erhebenden Befunde im psychischen und neurologischen Bereich seien leichtgradig. Die Sensibilitätsstörung im Bereich der Finger IV und V habe nicht objektiviert werden können. Die Beugung der Finger beider Hände gegen den Widerstand sei kraftvoll gelungen. Auch die Sensibilitätsstörung mit Schmerzwahrnehmung im rechten Bein sei durch eine neurologische Läsion nicht zu erklären.

Die Befunde würden gut übereinstimmen mit denen, die Frau Dr. C. im Februar 2014 im Rahmen des Rentenverfahrens erhoben hat. Es würden sich Einschränkungen des qualitativen Leistungsvermögens ergeben. Insbesondere könne der Kläger keine schweren körperlichen Tätigkeiten sowie keine Tätigkeiten unter Zeit- und Termindruck ausführen. Auch Arbeiten mit erhöhter persönlicher Verantwortung seien ausgeschlossen. Trotz der festgestellten Multimorbidität auf orthopädischem, internistischem und nervenärztlichem Fachgebiet könne der Kläger noch vollschichtig Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten. Der Einschätzung von Frau Dr. J., dass die seelische Störung im Vordergrund stehen würde, könne nicht gefolgt werden. Die ängstlich-depressive Entwicklung sei durch die Einnahme des Antidepressivums gut behandelt. Es ließe sich nur eine leichtgradige Ausprägung dieser Gesundheitsstörung nachweisen. Auch die benannte Schmerzstörung habe die Begutachtung selbst kaum beeinträchtigt (kein häufiges wechselnder Körperhaltung, flüssiges Aus- und Ankleiden, keine nachweisliche Beeinträchtigung beim Sitzen, Stehen und Gehen). Unter Berücksichtigung des vom Kläger beschriebenen Tagesablaufs würden sich auch keine Hinweise darauf ergeben, dass der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage wäre, eine befriedigende Freizeitgestaltung vorzunehmen.

Wegefähigkeit sei gegeben. Der erhobene neurologische Befund habe keine Auffälligkeiten gezeigt, die für eine Verkürzung der zu bewältigenden Wegstrecke auf 500 m und weniger sprechen würde. Der Kläger könne auch ein öffentliches Verkehrsmittel benutzen. Es sollte geprüft werden, inwieweit durch eine berufliche Rehabilitation die Wiedereingliederung des Klägers in das Berufsleben unterstützt werden könne.

Der Klägerbevollmächtigte regte die Prüfung des Vorliegens einer Berufsunfähigkeit an, da gemäß dem Tarifvertrag die Tätigkeit Kenntnisse und Fertigkeiten voraussetzt, die üblicherweise durch eine abgeschlossene Berufsausbildung erworben werden (so auch richterlicher Hinweis vom 13.10.2014).

Der Kläger ließ ein Attest vom 18.08.2015 des Neurologen Dr. G. vorlegen. Danach würden unverändert belastungsabhängige und haltungsabhängig auftretende Schmerzen zum einen im Bereich der Lendenwirbelsäule, zum anderen zirkulär um den Rippenbogen beidseits ausstrahlend in das rechte Bein bestehen. Der Zehengang rechts sei beeinträchtigt, so dass das Körpergewicht fast nicht übernommen werden könne. Weiter habe der Kläger Gefühlsstörungen im Bereich der Innenseite des Unterschenkels und am äußeren Fußrand angegeben. Bei der EMG-Diagnostik sei kein Hinweis für aktuellen Faseruntergang gefunden worden. Allerdings würden einige chronisch neurogen umgebaute Einheiten als Hinweis für stattgefundene Denervierungen und Reinnervationen bestehen.

In der mündlichen Verhandlung begrenzte der Klägerbevollmächtigte sein Klagebegehren auf die Bewilligung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit mit folgendem Antrag:

Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 16.08.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.05.2014 verurteilt, dem Kläger ab dem 01.08.2013 unbefristet eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach den gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage auch insoweit abzuweisen.

Der Kläger sei aufgrund der tariflichen Einstufung und der vom Gericht eingeholten Arbeitgeberauskunft als Facharbeiter einzustufen. Die von der Beklagten im Gerichtsverfahren (Schriftsatz vom 16.09.2015) angegebenen Verweisungsberufe Löter in der Einzelfertigung, Bürohelfer in Poststellen und Montierer im Kleingerätebau seien dem Kläger nicht zuzumuten. Allerdings könne der Kläger auf den Beruf des Qualitätskontrolleurs/-prüfers und auf den Beruf des Registrators verwiesen werden.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie die vorliegende Prozessakte, hierbei insbesondere auf die Sitzungsniederschrift, Bezug genommen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Klage (§§ 87, 90 SGG) ist auch im Übrigen zulässig. Sie ist im Hinblick auf den begrenzten Klageantrag begründet. Insoweit ist der Kläger durch die angegriffenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert.

Dem Kläger steht bei Annahme eines Leistungsfalls im Monat der Antragstellung eine unbefristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab dem 01.08.2013 zu (§ 99 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI). Dies entspricht dem klägerischen Antrag.

Die Beklagte hat den Kläger im Hinblick auf den Bezugsberuf Brauer rechtsfehlerhaft auf die Berufe Qualitätskontrolleur/-prüfer sowie Registrator verwiesen.

1.

Nach § 240 Abs. 2 Satz 2 SGB VI ist ein Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente dann nicht gegeben, wenn zwar die Ausübung des bisherigen Berufs bzw. des Hauptberufs aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich ist, der Kläger aber zumutbar auf eine andere Erwerbstätigkeit verwiesen werden kann. Zur Feststellung der Wertigkeit des bisherigen Berufs und der Möglichkeiten der Verweisung auf andere Tätigkeiten sind in der Rechtsprechung des BSG die Arbeiter- und die Angestelltenberufe in Gruppen eingeteilt worden (Mehrstufenschema, vgl. BSG, Urteil vom 14. Januar 1986 - 5a Kn 1/85, BSGE 59, 249 [259] zu den Angestelltenberufen, Urteil vom 14. Mai 1991 - 5 RJ 82/89, BSGE 68, 277 [279] zu den Arbeiterberufen). Bei der Einordnung in die einzelnen Gruppen und bei der Stufenbildung wird grundsätzlich im Ansatz die zur Erreichung einer bestimmten beruflichen Qualifikation normalerweise erforderliche Ausbildung zugrunde gelegt. Danach werden bei Arbeitern die Berufsgruppen von der Gruppe mit dem höchsten Ausbildungsgrad beginnend nach unten durch folgende Leitberufe charakterisiert:

1. Stufe

Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion,

2. Stufe

Facharbeiter (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von mehr als zwei Jahren),

3. Stufe

angelernte Arbeiter (sonstiger Beruf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren oder betrieblicher Anlernzeit von mindestens drei Monaten),

4. Stufe

ungelernte Arbeiter.

Ausschlaggebend für die Zuordnung einer bestimmten Tätigkeit zu einer Gruppe des Mehrstufenschemas ist allein die Wertigkeit der verrichteten Arbeit, das heißt der aus einer Mehrheit von Faktoren zu ermittelnde qualitative Wert der Arbeit für den Betrieb, wie er sich durch Ausbildung, die tarifliche Einstufung, die Dauer der Berufsausbildung, die Höhe der Entlohnung und die Anforderungen des Berufs ergibt (vgl. zum Mehrstufenschema sowie zur Verweisbarkeit: BSG, Urteil vom 15. März 1978 - 1/5 RJ 128/76, SozR 2200 § 1246 Nr. 29,Urteil vom 15. November 1983 - 1 RJ 112/82, SozR 2200 § 1246 Nr. 109,Urteil vom 28. November 1985 - 4a RJ 51/84, SozR 2200 § 1246 Nr. 132, undUrteil vom 09. September 1986 - 5b RJ 82/85, SozR 2200 § 1246 Nr. 140). Sozial zumutbar ist nach der genannten Rechtsprechung grundsätzlich die Verweisung auf eine Tätigkeit, die eine Stufe unter der Stufe, welcher der bislang ausgeübte Beruf zugehörig ist, einzuordnen ist (BSG, Urteil vom 20. Juli 2007 - B 13 RJ 19/04 R, zitiert nach juris).

Ausgehend von diesen Grundsätzen sieht das Gericht in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung der Beklagten (vergleiche die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung) beim Kläger aufgrund seiner tariflichen Einstufung den Berufsschutz als Facharbeiter (mit Bezugsberuf Brauer) für gegeben an. Der Kläger kann nach den Ermittlungen der Beklagten im Verwaltungsverfahren sowie aufgrund der Amtsermittlung des Gerichts diesen Beruf unstreitig nur noch weniger als drei Stunden pro Tag ausüben.

2.

Die Beklagte hat keine Tätigkeit benannt, die dem verbliebenen Leistungsvermögen des Klägers entspricht und ihm sozial zumutbar ist.

Die in der mündlichen Verhandlung benannten Verweisungsberufe Qualitätskontrolleur/-prüfer sowie Registrator sind dem Kläger sozial nicht zumutbar.

Zuvörderst ist hierbei anzumerken, dass die Beklagte die Pflicht hat, mit einem substantiierten Vortrag nachzuweisen, dass der jeweilige Beruf für den Kläger mit seinen tatsächlichen fachlichen und gesundheitlichen Voraussetzungen zumutbar ist (LSG Nds.-Bremen, Urteil vom 25.9.2013, L 2 R 236/13, Rn. 66 ff. unter juris). Dieser Substantiierungspflicht ist die Beklagte mit der bloßen Nennung von Verweisungsberufen nicht nachgekommen.

Eine Verweisung ist nur dann sozial zumutbar, wenn eine Einarbeitung aufgrund von Vorkenntnissen in bis zu drei Monaten möglich ist (vgl. KassKomm-Niesel, § 240 Rn. 92: „In eine angelernte Tätigkeit, die begrifflich eine Ausbildung von mindestens drei Monaten voraussetzt, können sich in kürzerer Zeit in der Regel nur Versicherte einarbeiten, die gewisse Vorkenntnisse haben. Ist ein Verweisungsberuf schneller erlernbar, schließt dies die Qualifikation als sonstiger Ausbildungsberuf (angelernte Tätigkeit) aus. (...) Da für angelernte Tätigkeiten eine Mindestausbildung von drei Monaten erforderlich ist, kann auf solche in der Regel nur verwiesen werden, wenn es sich um eine mit dem bisherigen Beruf verwandte Tätigkeit handelt oder eine solche bereits früher ausgeübt wurde.“). Dies ist im Hinblick auf den Beruf des Qualitätskontrolleurs nicht der Fall.

Qualitätskontrolleure erarbeiten Qualitätsvorschriften, legen den Qualitätsstandard fest und setzen ihn um. Sie machen Verbesserungsvorschläge und entwickeln Prüftechniken. Sie beanstanden Qualitätsmängel, wickeln Retouren und Reklamationen ab und veranlassen gegebenenfalls Nachlieferungen. In der Fertigung legen sie Kontrollpläne für die Zwischen- und Endabnahme fest, kontrollieren die Produktion, analysieren Verarbeitungs- bzw. Materialfehler und erstellen Prüfberichte. Mithilfe von optischen, berührungslosen dreidimensionalen Verfahren prüfen Sie die Maße und Qualität der Produkte. Dabei untersuchen sie zum Beispiel fertig geschliffene und gefräste Werkstücke auf Beschaffenheit und Qualität der Produkte. Als Unterlagen verwenden sie Qualitätsvorschriften, Kontrollpläne, Prüfberichte und -pläne, technische Vorgaben, Mess-, Test- und Prüfdaten. Sie arbeiten mit Qualitätssicherungssystemen, Messdatenmanagementsystemen und Plattformkonzepten und analysieren Prüfdaten im Büro am Computer mithilfe fachspezifischer Software (Quelle: Berufenet der Arbeitsagentur).

Qualitätskontrolleure haben ohne Einarbeitungszeit Zugang zur Gesamttätigkeit des Qualitätsfachmanns, welcher eine von der IHK geregelte berufliche Weiterbildung von ein bis zwei Jahren darstellt (Quelle: Berufenet der Arbeitsagentur).

Brauer hingegen gewinnen aus Getreide Malz und verarbeiten es zusammen mit Wasser, Hopfen und Hefe zu verschiedenen Biersorten. Daneben stellen sie Biermischgetränke und alkoholfreie Erfrischungsgetränke her. Sie steuern Maschinen und Anlagen, z. B. zur Zerkleinerung von Rohstoffen, Sudhausanlagen, Lager-, Pump- und Abfüllsysteme. Von Hand pumpen sie z. B. Jungbier in Tanks. Aufmerksam und konzentriert überwachen sie den Betrieb, um Störungen sofort erkennen und Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Reinigungs- und Instandhaltungsarbeiten an den Produktionseinrichtungen erfordern handwerkliche Fähigkeiten und technisches Verständnis. Sorgfältig und verantwortungsbewusst halten sie die lebensmittelrechtlichen und Hygienerichtlinien ein. Für das Verkosten von Bier ist ein guter Geruchs- und Geschmackssinn wichtig (Quelle: Berufenet der Arbeitsagentur).

Es erschließt sich dem Gericht nicht, wie der Kläger als Brauer in der Lage sein soll, innerhalb von drei Monaten Anlernzeit die vielfältigen Aufgaben zu erlernen, die an den Qualitätsprüfer gestellt werden. Weder verfügt der Kläger über das technisches Vorwissen, um mit dreidimensionalen Prüfverfahren umzugehen, noch über vertiefte Computerkenntnisse im Bereich von fachspezifischer Prüfsoftware. Hiermit hat sich die Beklagte schon nicht auseinandergesetzt.

Der Kläger kann auch nicht auf den Beruf des Registrators verwiesen werden. Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, dass der Beruf des gehobenen Poststellenmitarbeiters/Registrators mit Entlohnung BAT VIII (heute TVÖD Entgeltgruppe 3) deswegen dem Facharbeiter zumutbar ist, weil die regelmäßige Einarbeitungszeit (ohne Vorkenntnisse) mehr als drei Monate benötigt.

Das LSG Thüringen führt in einer Entscheidung vom 26.05.2015 (Aktenzeichen L 6 R 1362/12, Rn. 21, juris) zum Berufsbild des gehobenen Registrators zutreffend aus:

„Nach den Ausführungen der Sachverständigen J., die sich der Senat zu Eigen macht, handelt es sich um eine kaufmännisch-verwaltende Tätigkeit auf der Ebene der Angestellten mit einer Ausbildung von bis zu zwei Jahren. Der Zugang ist geregelt; bevorzugt wird das Einarbeiten/Anlernen von Bewerbern aus kaufmännischen und verwaltenden Berufen. Registratoren führen eine vielfach gegliederte Registratur; sie sind verantwortlich für das Registrieren und Archivieren von Akten und anfallendem Schriftverkehr, Vergeben von Aktenzeichen nach den geltenden Aktenplänen und von fortlaufenden Aktennummern sowie das Anlegen von Neuakten und Aussondern von Altakten unter Beachtung von Aufbewahrungsfristen. Die Tätigkeit umfasst folgende Aufgaben und Anforderungen: Kenntnis der Unternehmens- und Betriebsstruktur und Kenntnis der Betriebsabläufe, Erkennen der verschiedenen Sachverhalte und Kenntnis der verschiedenen Belege für die richtige Zuordnung, Einsortieren bzw. Entnahme von Schriftstücken zur Weiterbearbeitung, Kontrolle der Entnahme von Schriftstücken zum Schutz vor Verlusten, Aussortieren nicht mehr benötigter Schriftstücke, Beherrschen der Ordnungssysteme (alphabetisch, numerisch, chronologisch), Beherrschen der Ablagesysteme (Ordner, Stehsammler, vertikale Hängeregistratur etc.), Arbeiten mit alternativen Registraturformen (z. B. Mikroverfilmung), Arbeit mit Karteien (z. B. Karteikarten), zum Teil Arbeit mit Dateien (Disketten, CD-Rom), Arbeit mit weiterer Bürotechnik (z. B. Schreibmaschine). Es handelt sich um eine körperlich leichte Tätigkeit, die überwiegend im Sitzen, gelegentlich im Stehen und Gehen ausgeübt wird. Diese Beschreibung entspricht der aktuellen Berufsbeschreibung im BERUFENET.“

Der Kläger beherrscht aufgrund seiner Vorbildung weder Ordnungs- noch Ablagesysteme noch hat er berufliche Vorkenntnisse am Computer oder im Hinblick auf alternative Registraturformen. Ggf. vorhandene private PC-Kenntnisse, sofern vorhanden, reichen nicht aus (vgl. insoweit auch LSG Berlin-Brandenburg, Entscheidung vom 17.11.2011, L 4 R 380/11). Der Kläger kommt gerade nicht aus dem kaufmännischen oder verwaltenden Bereich. Er kann somit nicht aufgrund seiner Vorkenntnisse innerhalb von drei Monaten den Beruf des gehobenen Registrators erlernen.

Im Übrigen zweifelt die Kammer auch an der medizinischen Zumutbarkeit des Verweisungsberufs Registrator, da der Kläger nicht trittsicher ist und keine Leitern mehr steigen darf. Gerade in größeren Registraturen mit hohen Decken besteht immer noch die Notwendigkeit der Leiterbesteigung.

Eine geeignete Verweisungstätigkeit ist somit nicht benannt und im Übrigen für die Kammer nicht erkennbar, so dass dem Kläger ein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI zusteht. Die Rente ist auf Dauer zu gewähren, § 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI, da der Beruf des Brauers unstreitig nicht mehr ausgeübt werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger im laufenden Klageverfahren von der Geltendmachung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung Abstand genommen hat.

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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

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(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig

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Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kos

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 240 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit


(1) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die 1. vor dem 2. Januar 1961 geboren und2. berufsunfähigsind. (2) Berufsunfähig

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(1) Die Klage ist binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Die Frist beträgt bei Bekanntgabe im Ausland drei Monate. Bei einer öffentlichen Bekanntgabe nach § 85 Abs. 4 beträgt die Frist ein Jahr. Die Frist beginnt mit dem

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 102 Befristung und Tod


(1) Sind Renten befristet, enden sie mit Ablauf der Frist. Dies schließt eine vorherige Änderung oder ein Ende der Rente aus anderen Gründen nicht aus. Renten dürfen nur auf das Ende eines Kalendermonats befristet werden. (2) Renten wegen vermind

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Die Klage ist bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben.

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(1) Die Klage ist binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Die Frist beträgt bei Bekanntgabe im Ausland drei Monate. Bei einer öffentlichen Bekanntgabe nach § 85 Abs. 4 beträgt die Frist ein Jahr. Die Frist beginnt mit dem Tag zu laufen, an dem seit dem Tag der letzten Veröffentlichung zwei Wochen verstrichen sind.

(2) Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so beginnt die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids.

Die Klage ist bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die

1.
vor dem 2. Januar 1961 geboren und
2.
berufsunfähig
sind.

(2) Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(1) Sind Renten befristet, enden sie mit Ablauf der Frist. Dies schließt eine vorherige Änderung oder ein Ende der Rente aus anderen Gründen nicht aus. Renten dürfen nur auf das Ende eines Kalendermonats befristet werden.

(2) Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und große Witwenrenten oder große Witwerrenten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit werden auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Sie kann verlängert werden; dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn. Verlängerungen erfolgen für längstens drei Jahre nach dem Ablauf der vorherigen Frist. Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann; hiervon ist nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren auszugehen. Wird unmittelbar im Anschluss an eine auf Zeit geleistete Rente diese Rente unbefristet geleistet, verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn.

(2a) Werden Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht, ohne dass zum Zeitpunkt der Bewilligung feststeht, wann die Leistung enden wird, kann bestimmt werden, dass Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder große Witwenrenten oder große Witwerrenten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit mit Ablauf des Kalendermonats enden, in dem die Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben beendet wird.

(3) Große Witwenrenten oder große Witwerrenten wegen Kindererziehung und Erziehungsrenten werden auf das Ende des Kalendermonats befristet, in dem die Kindererziehung voraussichtlich endet. Die Befristung kann verlängert werden; dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn.

(4) Waisenrenten werden auf das Ende des Kalendermonats befristet, in dem voraussichtlich der Anspruch auf die Waisenrente entfällt. Die Befristung kann verlängert werden; dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn.

(5) Renten werden bis zum Ende des Kalendermonats geleistet, in dem die Berechtigten gestorben sind.

(6) Renten an Verschollene werden längstens bis zum Ende des Monats geleistet, in dem sie nach Feststellung des Rentenversicherungsträgers als verstorben gelten; § 49 gilt entsprechend. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Feststellung des Rentenversicherungsträgers haben keine aufschiebende Wirkung. Kehren Verschollene zurück, lebt der Anspruch auf die Rente wieder auf; die für den Zeitraum des Wiederauflebens geleisteten Renten wegen Todes an Hinterbliebene sind auf die Nachzahlung anzurechnen.

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.