Sozialgericht Mainz Gerichtsbescheid, 28. Nov. 2016 - S 14 P 53/16

ECLI:ECLI:DE:SGMAINZ:2016:1128.S14P53.16.0A
bei uns veröffentlicht am28.11.2016

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Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beklagte hat dem Kläger außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Gewährung eines Wohngruppenzuschlags nach § 38a Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI).

2

Der bei der Beklagten pflegeversicherte Kläger lebt seit August 2011 im C.-Zentrum S. R. in M., einer Wohngemeinschaft für demenziell Erkrankte mit zwei Gruppen mit jeweils zwölf Bewohnerinnen und Bewohnern, die sämtlich pflegebedürftig im Sinne der sozialen Pflegeversicherung sind. Er leidet an einer Demenz. Seit Januar 2013 bezog er zunächst Leistungen der Pflegestufe I, seit Mai 2014 bezieht er Leistungen der Pflegestufe II.

3

Am 25.01.2013 beantragte der Kläger die Gewährung des Wohngruppenzuschlags nach § 38a SGB XI, den die Beklagte unter Berücksichtigung des damals vorliegenden Vertragsgefüges mit Bescheid vom 05.03.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.06.2014 ablehnte. Die Klage vor dem Sozialgericht Mainz (S 14 P 45/14) und die Berufung vor dem Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (L 5 P 32/15) blieben erfolglos.

4

Das Vertragsgefüge hat sich seither geändert. Träger der Wohngemeinschaften ist weiterhin der C. Verband M. e.V.. Mit Letzterem als Eigentümer der Wohn- und Gemeinschaftsräume der Wohngemeinschaften S. R. als Vermieter schloss der Kläger als Mieter am 15.07.2011 einen Mietvertrag über einen Wohnraum in der Wohngemeinschaft 2 und die Mitbenutzung der Gemeinschaftsräume (Wohnzimmer, Wohnküche, Balkon, WC, Personenaufzug).

5

Der Kläger schloss außerdem mit der C. Altenhilfe S. M. R. gGmbH einen Gesamtversorgervertrag mit Wirkung vom 1. März 2016. Dieser Vertrag regelt im § 2, dass der Auftragnehmer im Wesentlichen zuständig ist für die Organisation der Gesamtversorgung der Mieter. Dabei übernimmt der Vertragspartner unter Verweis auf § 5 Nr. 1 LWTG die Funktion des Organisators für das Angebot von Pflege-, Teilhabe- und anderen Unterstützungsleistungen und Verpflegung. Hierfür fallen monatlich 205 Euro an. Der Vertrag ist auf unbestimmte Zeit geschlossen. Er endet mit Tod, Beendigung des Mietvertrags oder aus wichtigem Grund.

6

Ein weiterer Betreuungsvertrag mit der C. Altenhilfe S. M. R. gGmbH regelt Dienstleistungen wie Unterstützung bei der Haushaltsorganisation, gemeinsames Kochen, gemeinsame Mahlzeiten, Gruppenaktivitäten, Freizeitgestaltung, Unterstützung bei der Reinigung und Aktivierungsangebote. Der Vertrag ist auf unbestimmte Zeit geschlossen. Er endet mit Tod, Beendigung des Mietvertrags oder aus wichtigem Grund.

7

Schließlich hat der Kläger mit der im selben Gebäude ansässigen C. Sozialstation H. G. einen Pflegevertrag über Sachleistungen der Behandlungspflege abgeschlossen.

8

Die Neugestaltung des Vertragsgefüges verfolgte in Reaktion auf die sozialgerichtliche Rechtsprechung. In dem „Protokoll der Mieterversammlung S. R., M., WG 2 am 1.3.2016“ heißt es unter TOP 1 Vertragsänderung:

9

Um die Wählbarkeit des Betreuungsdienstes (24h Präsenz) eindeutig zu ermöglichen wurden die Verträge neu gestaltest. Statt des bisherigen Mieterversorgungsvertrages gibt es nun einen Gesamtversorgervertrag und eine Betreuungsvertrag für jeden Mieter. Die neuen Verträge wurden vorgestellt und erläutert. Sie treten mit Wirkung 01.03.2016 in Kraft. Damit sind die Kriterien zur Beantragung des Wohngruppenzuschlags nach § 38a SGB XI erfüllt. Mieter, die den Zuschlag von Ihrer Pflegekasse bisher noch nicht erhalten, können Ihnen auf dieser Grundlage erneut anfordern (siehe Anlage LSG Urteil) und so die Kosten, die aus dem Gesamtversorger Vertrag entstehenden decken.

10

Die Verträge wurden den Mietervertretern mit der Bitte um Unterschrift und Rückgabe an die Leitung der WGs ausgehändigt. Nach Unterzeichnung durch die Geschäftsführung erhalten die Mieter Vertreter je ein Exemplar zurück.

11

Nach Gespräch um Beratung in der Versammlung wurde die Ca. Altenhilfe S. M. R. gGmbH als Träger der Betreuungsleistungen einstimmig bestätigt.

12

Mit Schreiben vom 8. April 2016 beantragte der Kläger, vertreten durch seinen Betreuer, erneut den Wohngruppenzuschlag. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 6. Mai 2016 ab.

13

Hiergegen richtete der Kläger am 30. Mai 2016 seinen Widerspruch.

14

Diesen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3. August 2016 zurück.

15

Hiergegen richtet sich die Klage vom 2. September 2016.

16

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

17

den Bescheid der Beklagten vom 06.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm den Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI für die Zeit ab dem 08.04.2016 zu zahlen.

18

Die Beklagte beantragt,

19

die Klage zurückzuweisen.

20

Sie bezieht sich auf die Verwaltungsakte und den Widerspruchsbescheid.

21

Das Gericht hat die Beteiligten am 07.10.2016 zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Beide Beteiligte waren hiermit einverstanden.

22

Wegen der übrigen Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe

23

Die Kammer entscheidet nach § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.

24

Die zulässige Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf einen pauschalen Zuschlag in Höhe von 205 € monatlich ab dem 08.04.2016 nicht zu. Die Voraussetzungen des § 38a SGB XI liegen nicht vollumfänglich vor. Jedenfalls ist § 38a Abs. 1 Nr. 3 SGB XI nicht gegeben.

25

Nach § 38a Abs. 1 Nr. 3 SGB XI in der Fassung des Ersten Pflegestärkungsgesetzes (PSG I) vom 17.12.2014 (BGBl. I S. 2222) m. W. v. 01.01.2015 ist u.a. Voraussetzung der Leistung, dass eine Person von den Mitgliedern der Wohngruppe gemeinschaftlich beauftragt ist, unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine, organisatorische, verwaltende, betreuende und für das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten oder hauswirtschaftliche Unterstützung zu leisten. Diese Regelung wurde im zuständigen Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages in den Gesetzentwurf aufgenommen und von Bundestag und Bundesrat als Gesetz beschlossen. In der Ausschussbegründung (Bundestags- Drucksache 18/2909, S. 42) heißt es:

26

Unterstützt wird diese „geteilte Verantwortung“ durch die Ergänzung des Absatzes 1 Nummer 3, wonach die Präsenzkraft von den Mitgliedern der Wohngruppe gemeinschaftlich zur Aufgabenerbringung beauftragt werden muss. Diese Regelung dient zugleich dazu, die Verwendung des Wohngruppenzuschlages für die im Gesetz beschriebenen Aufgaben zu sichern. Der Gesetzgeber hatte sich bewusst dafür entschieden, für die Verwendung des Wohngruppenzuschlages keine konkreten oder nachprüfbaren Nachweise zu fordern. In der Folge sind Fallkonstellationen entstanden, in denen die Versicherten ihren Leistungsanspruch regelhaft an den in der Wohngruppe tätigen Pflegedienst abtreten und weder für sie noch für die Pflegekassen die Verwendung der Mittel nachvollziehbar ist. Mit der Pflicht zur gemeinschaftlichen Beauftragung der Präsenzkraft wird (z. B. bei Neueinzügen) immer wieder eine nachvollziehbare Information zur bisherigen Verwendung der Mittel erfolgen und die Möglichkeit einer veränderten Beauftragung geschaffen. Die beauftragte Person wird in der Regel eine Vielfalt an Aufgaben in der Wohngruppe übernehmen. Es genügt jedoch, dass ihr eine der alternativ genannten Aufgaben übertragen wird. Eine Reinigungskraft oder eine Kraft, die nur hauswirtschaftliche Tätigkeiten selbst erbringt, ohne die Bewohnerinnen und Bewohner in die Tätigkeiten einzubeziehen, erfüllt nicht die Voraussetzung der „hauswirtschaftlichen Unterstützung“.

27

Eine Unterstützung im Sinne dieser Vorschrift ist keine vollständige Übernahme von Tätigkeiten, sondern setzt eine Einbeziehung des Pflegebedürftigen voraus. Eine solche Unterstützung liegt z. B. beim gemeinschaftlichen Kochen vor. Unterstützung ist die teilweise Übernahme, aber auch die Beaufsichtigung der Ausführung von Verrichtungen oder die Anleitung zu deren Selbstvornahme.“

28

Die ebenfalls erfolgte Neufassung des Absatzes 2 ermöglicht der Pflegekasse u.a. Vorname, Name, Anschrift und Telefonnummer sowie Unterschrift der Person nach Absatz 1 Nummer 3 und die vereinbarten Aufgaben der Person nach Absatz 1 Nummer 3 anzufordern. In der Begründung zur Änderung des Gesetzentwurfs durch den Gesundheitsausschuss heißt es (ebenda):

29

„Bei Zweifeln am Vorliegen der leistungsrechtlichen Tatbestandsmerkmale soll zudem die Abfrage der mit der Präsenzkraft vereinbarten Aufgaben möglich sein, was beispielsweise durch die Vorlage einer entsprechenden Vereinbarung mit der Auftraggebergemeinschaft beantwortet werden kann.“

30

Diese Begründung, die der Gesetzgeber durch Beschlussfassung der Änderungen sich zu Eigen gemacht hat, zeigen, dass der Gesetzgeber die gemeinschaftliche Beauftragung einer natürlichen Person als Präsenzkraft für eine selbstbestimmte Pflegewohngemeinschaft als Leitbild vor Augen hatte. Die historische Auslegung ist nur eine Methode zum Verständnis des Gesetzes. Aus dem Wortlaut und nach dem Sinn und Zweck der Regelung, die den Wohngruppenzuschlag einer bestimmten Form der selbstbestimmten Pflegewohngruppe vorbehalten möchte, wird deutlich, dass die Beauftragung eines Dienstleisters durch Einzelverträge nicht dem Gesetzeswortlaut entspricht (ebenso: LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 07.01.2016 – L 5 P 32/15). Die Beauftragung erfolgt durch die Gemeinschaft aufgrund einer gemeinsamen Auswahl einer bestimmten Präsenzkraft aus Alternativen und nicht durch Einzelmieter.

31

Es bedarf der gemeinschaftlichen Beauftragung einer Präsenzkraft und Festlegung ihres konkreten Aufgabenkreises (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 2016 – B 3 P 5/14 R – juris Rn. 21). Eine Mehrzahl an Präsenzkräften schließt das Gesetz nicht aus.

32

Auszuwählen ist eine bestimmte natürliche Person. Die Präsenzkraft muss namentlich beauftragt werden (vgl. Abs. 2). Das Gesetz schließt nicht aus, dass die Präsenzkraft bei einem Unternehmen angestellt ist. Gegenstand des Vertrages mit dem Unternehmen ist aber dann, dass die ausgewählte Person oder die ausgewählten Personen fest die Aufgaben wahrzunehmen hat.

33

Die gemeinschaftliche Entscheidung über die Auswahl darf nicht nur bei einer Mieter- oder Bewohnerversammlung im Innenverhältnis getroffen werden sondern muss sich im Außenverhältnis durch einen gemeinsamen vertraglichen Akt („gemeinschaftlich beauftragt“) realisieren. Erforderlich ist, dass der innere Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung nach außen hin objektiviert wird; dazu bedarf es der gemeinschaftliche Beauftragung einer Präsenzkraft und Festlegung ihres konkreten Aufgabenkreises zur Erfüllung dieses Zwecks (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 2016 – B 3 P 5/14 R – juris Rn. 21).

34

Ob es sich dabei um einen vollständigen Vertrag mit Bindungswirkung zwischen allen Bewohnern und der Präsenzkraft (und dem Nachteil gesamtschuldnerischer Haftung) oder um einen Rahmenvertrag, von dessen Bestand Einzelverträge abhängig gemacht werden (mit dem Vorteil der Einzelhaftung) handelt, gibt das Gesetz nicht vor.

35

Der Vertrag soll nach der Begründung bei Wechseln der Bewohnerschaft einer Erneuerung bedürfen. Dies ist vertragsrechtlich kritisch zu sehen. Entscheidend ist, dass die vertragliche Bindung regelmäßig und insbesondere bei Änderungen der Bewohnerstruktur der Neubestätigung bedarf oder zumindest durch anlassbezogene Kündigung den Wechsel zu einem anderen Anbieter ermöglicht. Eine unabhängige Wohngemeinschaft wird dabei wirtschaftliche Alternativen in den Blick nehmen und Vergleichsangebote einholen. Denn dies kann eine selbstbestimmte Pflegewohngemeinschaft im Gegensatz zu den Bewohnern einer Einrichtung aus einer Hand aus eigenem Willen bewirken.

36

Nach diesem Maßstab liegt bei der Pflegewohngemeinschaft S. R. eine gemeinschaftliche Beauftragung nicht vor. Die allgemeinen, organisatorischen, verwaltenden, betreuenden und für das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten sind in zwei Verträgen geregelt. Weder der Gesamtversorgervertrag noch der Betreuungsvertrag sind von der Mietergemeinschaft abgeschlossen worden. Lediglich zu den konkreten Betreuungsleistungen liegt im Innenverhältnis eine Entscheidung der Mieterversammlung vor, wenngleich Alternativen nicht zur Entscheidung standen. Der Kläger hat vielmehr individuell den Wohngruppenbetreiber im Mieterversorgungsvertrag mit der Erbringung der Leistungen beauftragt. In den Verträgen existieren weder eine Befristung noch ein Kündigungsgrund bei Mieterwechsel oder bei einer Neuentscheidung der Mietergemeinschaft nach gewisser Frist.

37

Ob die Voraussetzungen des § 38a Abs. 1 SGB XI im Übrigen vorliegen, bedarf keiner Entscheidung, da alle Merkmale kumulativ vorliegen müssen, um den Anspruch zu bejahen.

38

Die Klage war daher abzuweisen.

39

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 105 Abs. 1, 193 SGG.

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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 105


(1) Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Die

Sozialgesetzbuch (SGB) - Elftes Buch (XI) - Soziale Pflegeversicherung (Artikel 1 des Gesetzes vom 26. Mai 1994, BGBl. I S. 1014) - SGB 11 | § 38a Zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen


(1) Pflegebedürftige haben Anspruch auf einen pauschalen Zuschlag in Höhe von 214 Euro monatlich, wenn 1. sie mit mindestens zwei und höchstens elf weiteren Personen in einer ambulant betreuten Wohngruppe in einer gemeinsamen Wohnung zum Zweck der ge

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Bundessozialgericht Urteil, 18. Feb. 2016 - B 3 P 5/14 R

bei uns veröffentlicht am 18.02.2016

Tenor Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 27. August 2014 und des SG Münster vom 17. Januar 2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Referenzen

(1) Pflegebedürftige haben Anspruch auf einen pauschalen Zuschlag in Höhe von 214 Euro monatlich, wenn

1.
sie mit mindestens zwei und höchstens elf weiteren Personen in einer ambulant betreuten Wohngruppe in einer gemeinsamen Wohnung zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung leben und davon mindestens zwei weitere Personen pflegebedürftig im Sinne der §§ 14, 15 sind,
2.
sie Leistungen nach den §§ 36, 37, 38, 45a oder § 45b beziehen,
3.
eine Person durch die Mitglieder der Wohngruppe gemeinschaftlich beauftragt ist, unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten oder die Wohngruppenmitglieder bei der Haushaltsführung zu unterstützen, und
4.
keine Versorgungsform einschließlich teilstationärer Pflege vorliegt, in der ein Anbieter der Wohngruppe oder ein Dritter den Pflegebedürftigen Leistungen anbietet oder gewährleistet, die dem im jeweiligen Rahmenvertrag nach § 75 Absatz 1 für vollstationäre Pflege vereinbarten Leistungsumfang weitgehend entsprechen; der Anbieter einer ambulant betreuten Wohngruppe hat die Pflegebedürftigen vor deren Einzug in die Wohngruppe in geeigneter Weise darauf hinzuweisen, dass dieser Leistungsumfang von ihm oder einem Dritten nicht erbracht wird, sondern die Versorgung in der Wohngruppe auch durch die aktive Einbindung ihrer eigenen Ressourcen und ihres sozialen Umfelds sichergestellt werden kann.

Leistungen der Tages- und Nachtpflege gemäß § 41 können neben den Leistungen nach dieser Vorschrift nur in Anspruch genommen werden, wenn gegenüber der zuständigen Pflegekasse durch eine Prüfung des Medizinischen Dienstes nachgewiesen ist, dass die Pflege in der ambulant betreuten Wohngruppe ohne teilstationäre Pflege nicht in ausreichendem Umfang sichergestellt ist; dies gilt entsprechend für die Versicherten der privaten Pflege-Pflichtversicherung.

(2) Die Pflegekassen sind berechtigt, zur Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen bei dem Antragsteller folgende Daten zu verarbeiten und folgende Unterlagen anzufordern:

1.
eine formlose Bestätigung des Antragstellers, dass die Voraussetzungen nach Absatz 1 Nummer 1 erfüllt sind,
2.
die Adresse und das Gründungsdatum der Wohngruppe,
3.
den Mietvertrag einschließlich eines Grundrisses der Wohnung und den Pflegevertrag nach § 120,
4.
Vorname, Name, Anschrift und Telefonnummer sowie Unterschrift der Person nach Absatz 1 Nummer 3 und
5.
die vereinbarten Aufgaben der Person nach Absatz 1 Nummer 3.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 27. August 2014 und des SG Münster vom 17. Januar 2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten sind in allen drei Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung eines Wohngruppenzuschlags nach § 38a SGB XI.

2

Die 1927 geborene, an den Folgen des Alters leidende Klägerin ist bei der Beklagten pflegeversichert. Sie bezieht Leistungen bei häuslicher Pflege der Pflegestufe I als Kombinationsleistung (§ 38 SGB XI). Zusammen mit ihrem 1931 geborenen Ehemann, zwei Söhnen, einer Schwiegertochter und drei erwachsenen Enkeln lebt sie auf einem landwirtschaftlichen Hof. Der Ehemann der Klägerin - der Beigeladene zu 1. - und ein Sohn der Klägerin - der Beigeladene zu 2. - beziehen ebenfalls Leistungen bei häuslicher Pflege als Kombinationsleistung; der Ehemann von der Beklagten nach der Pflegestufe I und der an einer Behinderung leidende Sohn von der Beigeladenen zu 3. nach der Pflegestufe II. Die Klägerin und die Beigeladenen zu 1. und 2. bewohnen einen im Hofgebäude abgetrennten Wohnbereich mit separaten Schlafzimmern, Bad, Wohn- und Essraum. Die im Haus befindliche Küche wird von allen Bewohnern gemeinschaftlich genutzt. Die Klägerin und die Beigeladenen zu 1. und 2. werden durch einen ambulanten Pflegedienst und die im Haus lebende Schwiegertochter betreut.

3

Der im Januar 2013 gestellte Antrag der Klägerin auf Bewilligung des Wohngruppenzuschlags nach § 38a SGB XI blieb erfolglos(Bescheid vom 24.4.2013, Widerspruchsbescheid vom 16.9.2013). Das Zusammenleben innerhalb eines Familienverbundes verfolge nicht den Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung innerhalb einer ambulant betreuten Wohngruppe in einer gemeinsamen Wohnung.

4

Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 24.4.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.9.2013 verurteilt, der Klägerin für die Zeit ab 1.1.2013 einen Wohngruppenzuschlag in Höhe von 200 Euro monatlich zu zahlen (Urteil vom 17.1.2014). Bei verfassungskonformer Auslegung (Art 6 Abs 1, Art 3 Abs 1 GG) sei § 38a SGB XI auch auf das Zusammenleben in einem Familienverbund anzuwenden. Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Das familiäre Leben stehe dem Wohnzweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung iS des § 38a SGB XI jedenfalls dann nicht entgegen, wenn es sich - wie hier - um erwachsene Pflegebedürftige in einer Großfamilie handele. In einer familiären Wohngruppe lasse sich die gemeinschaftlich organisierte Pflege in häuslicher Umgebung leichter durchführen als in fremder Umgebung. Dadurch könne die Inanspruchnahme von stationärer Pflege vermieden werden. Die Einbeziehung von familiären Wohngruppen in § 38a SGB XI entspreche dem Gesetzeszweck. Dass neben der pflegerischen Versorgung auch andere Gesichtspunkte - wie etwa besondere Beziehungen zu den Mitbewohnern, Freundschaften, gemeinsame Interessen oder die Förderung des familiären Zusammenhalts - für das gemeinsame Wohnen maßgeblich seien, stehe dem Anspruch nicht entgegen. § 38a SGB XI enthalte keinen gesetzlichen Leistungssauschluss bei familiärer Pflege. Weder die familiäre Verbundenheit noch Unterstützungspflichten untereinander seien geeignet, den Wohngruppenzuschlag zu versagen. Die nicht konkret nachzuweisenden Aufwendungen, die für die Organisation von Wohngruppen anfielen, entstünden unabhängig von der Art der Zusammensetzung der Wohngruppe. Dies trage einem ohne Formalitäten und bürokratischen Aufwand zu verwirklichenden Leistungsanspruch Rechnung.

5

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Revision. Sie rügt die Verletzung des § 38a SGB XI und verweist zur Begründung auf das "Gemeinsame Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes und der Verbände der Pflegekassen auf Bundesebene zu den leistungsrechtlichen Vorschriften des PflegeVG vom 17.4.2013" (im Folgenden: "Gemeinsames Rundschreiben", abrufbar unter www.gkv.spitzenverband.de), wonach das Zusammenleben innerhalb eines Familienverbundes nicht den Zweck der gemeinschaftlichen pflegerischen Versorgung in einer gemeinsamen Wohnung verfolge (Nummer 2.2 Gemeinsames Rundschreiben zu § 38a SGB XI, Fassungen vom 22.5.2013 und vom 19.12.2014 ). Der Vorschrift des § 38a SGB XI liege das besondere Konzept der sogenannten "neuen Wohnformen" zugrunde. Sprachlich zum Ausdruck komme dies in dem Begriff der "Wohngruppe". Hierunter falle nicht das traditionelle Wohnen in einer aus mehreren Generationen bestehenden Familie. Vielmehr bezwecke die Regelung die Förderung neuer Wohnkonzepte für Pflegebedürftige als Alternative sowohl zur stationären Pflege als auch zur Pflege in der Familie ("Modellvorhaben"). Die bloße Aufrechterhaltung der jeweiligen Lebensgestaltung nach Eintritt der Pflegebedürftigkeit - wie das Zusammenleben von mehreren Personen in einem Familienverbund in einem ehemals landwirtschaftlich genutzten Gebäude - sei daher nicht geeignet, die nach der gesetzlichen Regelung erforderliche Zweckbestimmung einer gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung zu begründen. Ein Verstoß gegen Verfassungsrecht liege hierin nicht.

6

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. August 2014 und das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 17. Januar 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie verteidigt die vorinstanzlichen Urteile. Das von der Beklagten erwähnte Gemeinsame Rundschreiben schränke in rechtswidriger Weise den Gesetzeswortlaut von § 38a SGB XI ein. Danach seien nämlich keine Wohngruppen ausgeschlossen, die aus Familienmitgliedern bestehen. Auch sie könnten den Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung verfolgen. Dass das gemeinschaftliche Wohnen mit weiteren Zwecken einhergehe, stehe dem Wohngruppenzuschlag nicht entgegen.

9

Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision der Beklagten ist begründet. Daher waren die angefochtenen Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

11

A. Die Klägerin verfolgt ihren im Januar 2013 gestellten Antrag auf Gewährung des Wohngruppenzuschlags zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG). Ein Anspruch auf Bewilligung dieser Leistung steht ihr nach § 38a SGB XI aber nicht zu. Zwar ist mit dem LSG davon auszugehen, dass Familienverbünde nach dem Wortlaut sowie einer am Sinn und Zweck orientierten Auslegung der Norm nicht generell von ihrem Anwendungsbereich ausgeschlossen sind (B.). Jedoch muss auch die aus Familienmitgliedern bestehende Wohngruppe zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung zusammenleben. Dieser über die individuelle häusliche Pflege und Betreuung der einzelnen Bewohner der Gruppe hinausgehende Zweck wird nach außen durch die gemeinsame Beauftragung einer Person, der zur Erfüllung dieses Zwecks bestimmte Aufgaben übertragen sind, objektiviert (1. bis 4.). Diese Voraussetzung erfüllt die Klägerin nicht (5.). Aus Verfassungsrecht kann sie keinen weitergehenden Anspruch herleiten (6.).

12

B. Rechtsgrundlage für den im Januar 2013 gestellten Antrag ist für die Zeit bis zum 31.12.2014 § 38a SGB XI idF des Art 1 Nr 13 des Pflege-Neuausrichtungs-Gesetzes(PNG vom 23.10.2012, BGBl I 2246 - aF) und für die Zeit ab 1.1.2015 § 38a SGB XI idF des Art 1 Nr 8 des Ersten Pflegestärkungsgesetzes(PSG I vom 17.12.2014, BGBl I 2222), geändert durch Art 8 Nr 3 des Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf vom 23.12.2014 (BGBl I 2462 - nF). Vorliegend ist die aktuelle Gesetzesfassung von § 38a SGB XI erst nach Erlass der mit der Revision angefochtenen gerichtlichen Entscheidung in Kraft getreten. Die gültige Gesetzesfassung hat aber im Hinblick auf die hier streitigen Voraussetzungen - über eine Konkretisierung des Wohngruppenzuschlags hinaus - zu keiner maßgeblichen Rechtsänderung geführt. Auch wenn die og Gesetzesfassungen von § 38a SGB XI einen unterschiedlichen Wortlaut aufweisen, kann die Klägerin weder nach neuer noch nach alter Rechtslage einen Wohngruppenzuschlag beanspruchen.

13

1. Nach § 38a Abs 1 SGB XI haben Pflegebedürftige Anspruch auf einen pauschalen Zuschlag in Höhe von 205 Euro monatlich, wenn sie mit mindestens zwei und höchstens elf weiteren Personen in einer ambulant betreuten Wohngruppe in einer gemeinsamen Wohnung zum Zwecke der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung leben und davon mindestens zwei weitere Personen pflegebedürftig iS der §§ 14, 15 SGB XI sind oder eine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI bei ihnen festgestellt wurde(Nr 1), sie Leistungen nach den §§ 36, 37, 38, 45b SGB XI oder § 123 SGB XI beziehen(Nr 2), eine Person von den Mitgliedern der Wohngruppe gemeinschaftlich beauftragt ist, unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten oder hauswirtschaftliche Unterstützung zu leisten (Nr 3) und keine Versorgungsform vorliegt, in der der Anbieter der Wohngruppe oder ein Dritter den Pflegebedürftigen Leistungen anbietet oder gewährleistet, die dem im jeweiligen Rahmenvertrag nach § 75 Abs 1 SGB XI für vollstationäre Pflege vereinbarten Leistungsumfang weitgehend entsprechen; der Anbieter einer ambulant betreuten Wohngruppe hat die Pflegebedürftigen vor deren Einzug in die Wohngruppe in geeigneter Weise darauf hinzuweisen, dass dieser Leistungsumfang von ihm oder einem Dritten in der Wohngruppe nicht erbracht wird, sondern die Versorgung auch durch die aktive Einbindung ihrer eigenen Ressourcen und ihres sozialen Umfeldes sichergestellt werden kann (Nr 4).

14

§ 38a Abs 1 SGB XI aF bestimmte, dass Pflegebedürftige Anspruch auf einen pauschalen Zuschlag in Höhe von 200 Euro monatlich haben, wenn sie in ambulant betreuten Wohngruppen in einer gemeinsamen Wohnung mit häuslicher pflegerischer Versorgung leben(Nr 1), Leistungen nach § 36, § 37 oder § 38 beziehen(Nr 2), in der ambulant betreuten Wohngruppe eine Pflegekraft tätig ist, die organisatorische, verwaltende oder pflegerische Tätigkeiten verrichtet (Nr 3), und es sich um ein gemeinschaftliches Wohnen von regelmäßig mindestens drei Pflegebedürftigen handelt mit dem Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung, dem die jeweils maßgeblichen heimrechtlichen Vorschriften oder ihre Anforderungen an Leistungserbringer nicht entgegenstehen (Nr 4). Nach § 38a Abs 2 SGB XI aF lag keine ambulante Versorgungsform im Sinne von Absatz 1 vor, wenn die freie Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen rechtlich oder tatsächlich eingeschränkt ist(Satz 1).

15

2. Da die Klägerin Leistungen der häusliche Pflege in Form der Kombinationsleistung nach § 38 SGB XI bezieht, gehört sie zum anspruchsberechtigten Personenkreis für die Gewährung des Wohngruppenzuschlags(§ 38a Abs 1 Nr 2 SGB XI). Die weitere Voraussetzung des Zusammenlebens in einer ambulant betreuten Wohngruppe (§ 38a Abs 1 Nr 1 SGB XI) liegt ebenfalls vor. Entgegen der Ansicht der Beklagten liegt kein sachlicher Grund vor, Familienverbünde vom Anwendungsbereich des § 38a SGB XI generell auszuschließen. Vielmehr gebietet die Auslegung dieser Vorschrift unter Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben (Art 6 Abs 1, Art 3 Abs 1 GG), dass auch Wohngruppen, in denen die Mitglieder familiär miteinander verbunden sind, von der Norm erfasst sind.

16

a) § 38a SGB XI enthält keine Definition des Begriffs der "Wohngruppe". Zwar findet sich in den Heimgesetzen der Länder in Bezug auf ambulant betreute Wohnformen ganz überwiegend der Begriff der "Wohngemeinschaft" (vgl Klie/Richter in Klie/Krahmer/Plantholz, SGB XI, 4. Aufl 2013, § 38a RdNr 11). Die Wohngemeinschaft wird in der Regel definiert als Wohnform, die dem Zweck dient, pflegebedürftigen oder behinderten Menschen das Leben in einem gemeinsamen Haushalt unter gleichzeitiger Inanspruchnahme externer Pflege- und Betreuungs-/Unterstützungsleistungen gegen Entgelt zu ermöglichen. In der Praxis werden die beiden Begriffe "Wohngruppe" und "Wohngemeinschaft" weitgehend synonym verwandt, sodass aus der unterschiedlichen Begriffsbildung kein struktureller oder rechtlicher Unterschied hergeleitet werden kann (Klie/Richter, aaO, § 38a RdNr 6; Richter, GuP 2013, 226, 227). Daher verschließt sich der Begriff der Wohngruppe in § 38a SGB XI nicht von vornherein der familiären Bindung der Mitglieder untereinander.

17

b) Von Bedeutung für die nach § 38a SGB XI geförderte Wohnform ist, dass es sich um eine "ambulant betreute Wohngruppe" handeln muss. Denn Ziel der durch das PNG mit Wirkung vom 30.10.2012 neu eingeführten Regelung von § 38a SGB XI aF war die Stärkung neuer Wohn- und Betreuungsformen, um den Bedürfnissen vieler Pflegebedürftiger zu entsprechen, um stationäre Pflege zu vermeiden und so den Vorrang der ambulanten vor der stationären Versorgung zu stärken(vgl BT-Drucks 17/9369, S 20). Parallel zu dem neu eingeführten Wohngruppenzuschlag wurden mit §§ 45e und 45f SGB XI Regelungen zur Förderung der neuen Wohn- und Betreuungsformen geschaffen, denen Modellvorhaben insbesondere für demenzkranke Pflegebedürftige nach § 8 Abs 3 SGB XI zugrunde lagen(vgl Dalichau, GuP 2013, 50, 51, 57). Auch wenn Wohngruppen grundsätzlich in stationärer und in ambulanter Form organisiert sein können, bezieht sich § 38a SGB XI ausdrücklich nur auf ambulant betreute Wohngruppen. Das in der ursprünglichen Fassung (§ 38a Abs 2 Satz 1 SGB XI aF)enthaltene Kriterium der "freien Wählbarkeit" des Pflegedienstes sollte ausschließen, dass der Anspruch auf den Zuschlag nach § 38a SGB XI für stationäre Formen des betreuten Wohnens geöffnet wird(vgl BT-Drucks 17/9669, S 21). Auch der Neufassung des § 38a SGB XI durch das PSG I liegt die Zielsetzung zugrunde, Pflegewohnformen außerhalb der stationären Pflegeeinrichtungen und außerhalb des klassischen "betreuten Wohnens" leistungsrechtlich besonders zu unterstützen(vgl BT-Drucks 18/2909, S 41). Durch § 38a Abs 1 Nr 4 Halbs 1 SGB XI, der den Anspruch auf den Wohngruppenzuschlag davon abhängig macht, dass keine Versorgungsform vorliegt, in der der Anbieter der Wohngruppe oder ein Dritter den Pflegebedürftigen Leistungen anbietet oder gewährleistet, die dem im jeweiligen Rahmenvertrag nach § 75 Abs 1 SGB XI für vollstationäre Pflege vereinbarten Leistungsumfang weitgehend entsprechen, soll ausgeschlossen werden, dass der Anspruch aus § 38a SGB XI für stationäre oder quasi-stationäre Wohnformen geöffnet wird(vgl BT-Drucks 18/2909, S 42).

18

c) Die nach dem Wortlaut und den Gesetzesmaterialien von § 38a SGB XI ausschließlich erfassten ambulant betreuten Wohngruppen existieren in den Grundformen der selbst organisierten Wohngruppe(selbstverantwortete Wohngruppe, Wohngruppe in Eigeninitiative) und der fremd organisierten Wohngruppe (betreiberverantwortete/anbieterorientierte Wohngruppe, trägerinitiiertes Modell). Bei der selbst organisierten Wohngruppe geht die Initiative zur Gründung von den Bewohnern oder ihren Angehörigen aus. Bei den fremd organisierten Wohngruppen kann als Initiator zB ein Verein, ein Pflegedienst (vgl Klie, Die Ersatzkasse 2006, 140, 141) oder ein Vermieter (vgl Schmäing, Die Ersatzkasse 2006, 144, 145) hinter der Wohngruppe stehen. Das PNG hatte bei Einführung des § 38a SGB XI in erster Linie die selbst organisierte Wohngruppe vor Augen(vgl BT-Drucks 17/9369, S 41), erfasst jedoch auch fremd organisierte Wohngruppen (vgl BT-Drucks 17/9669, S 21). Entsprechendes gilt für das PSG I (vgl BT-Drucks 18/2909, S 42). Auch diesen Vorgaben stehen Wohngruppen, die familiär miteinander verbunden sind, nicht entgegen.

19

d) Hinsichtlich der Personen hat § 38a Abs 1 Nr 1 SGB XI die Zahl der Mitglieder der Wohngruppe einerseits begrenzt, andererseits auch Personen mit eingeschränkter Alltagskompetenz, die keine Pflegestufe erfüllen(§§ 45a SGB XI, 123 SGB XI) als Mitbewohner in die Wohngruppe miteinbezogen (Pflegebedürftige mit mindestens zwei und höchstens elf weiteren Personen, davon mindestens zwei Pflegebedürftige iS von §§ 14, 15 SGB XI oder mit erheblicher Einschränkung der Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI; vgl BT-Drucks 18/2909, S 41).

20

e) Der Wohngruppenzuschlag verschließt sich Familien nicht, wenn nach beiden Gesetzesfassungen die Wohngruppe in einer gemeinsamen Wohnung zusammenleben muss. Von einer gemeinsamen Wohnung kann ausgegangen werden, wenn der Sanitärbereich, die Küche und, wenn vorhanden, der Aufenthaltsraum einer abgeschlossenen Wohneinheit von allen Bewohnern jederzeit allein oder gemeinsam genutzt werden. Die Wohnung muss von einem eigenen, abschließbaren Zugang vom Freien, von einem Treppenhaus oder einem Vorraum zugänglich sein. Nicht von der Regelung erfasst werden Gemeinschaften von Pflegebedürftigen in der Nachbarschaft, lose Zusammenschlüsse ohne gemeinsame Wohnung (vgl BT-Drucks 17/9669, S 22).

21

3. Allerdings müssen auch familiär miteinander verbundene Wohngruppenmitglieder in einer Wohnung "zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung" leben (§ 38a Abs 1 Nr 1 SGB XI , § 38a Abs 1 Nr 4 SGB XI aF). Ob dieser durch den Wohngruppenzuschlag geförderte Wohnzweck vorliegt, oder ob andere Wohnzwecke im Vordergrund stehen, ist im Einzelfall anhand der (behaupteten) inneren und der äußeren Umstände festzustellen. Alle festgestellten inneren und äußeren Umstände sind in eine Gesamtwürdigung einzustellen und unter Berücksichtigung aller weiteren Umstände zu bewerten. Erforderlich ist, dass der innere Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung nach außen hin objektiviert wird. Dies kann regelmäßig durch die gemeinschaftliche Beauftragung einer Präsenzkraft und Festlegung ihres konkreten Aufgabenkreises zur Erfüllung dieses Zwecks (§ 38a Abs 1 Nr 3 SGB XI, s auch Nr 3 aF) erfolgen.

22

a) Mit dem von der Pflegekasse pauschal gewährten Wohngruppenzuschlag sollen jene Aufwendungen zweckgebunden abgegolten werden, die der Wohngruppe durch die gemeinschaftliche Beauftragung der Präsenzkraft entstehen (vgl BT-Drucks 17/9369, S 40 f; BT-Drucks 18/2909, S 42). Damit wird dem besonderen Aufwand Rechnung getragen, der Folge der neu organisierten pflegerischen Versorgung als Wohnform ist. Die Leistung wird pauschal zur eigenverantwortlichen Verwendung für die Organisation sowie Sicherstellung der Pflege in der Wohngemeinschaft gewährt (vgl BT-Drucks 17/9369, S 40). Auf einen konkreten Nachweis der entstandenen Kosten wird verzichtet (vgl BT-Drucks 17/9369, S 41). Die Pflegekassen sind berechtigt, die mit der Präsenzkraft vereinbarten Aufgaben in Zweifelsfällen zu erfragen (vgl BT-Drucks 18/2909, S 42) wie auch entsprechende Unterlagen über den vereinbarten Aufgabenkreis anzufordern (vgl § 38a Abs 2 Nr 5 SGB XI).

23

b) Voraussetzung für die Bewilligung des Zuschlags war nach § 38a Abs 1 Nr 3 SGB XI aF, dass in der Wohngruppe mindestens eine Pflegekraft tätig ist - die keine ausgebildete Pflegefachkraft sein muss(vgl BT-Drucks 17/10170, S 16) -, die organisatorische, verwaltende oder pflegerische Tätigkeiten verrichtet (sog Präsenzkraft). Mit Hilfe dieses Kriteriums sollte schon nach alter Gesetzesfassung das organisierte gemeinschaftliche Wohnen von mindestens drei Pflegebedürftigen mit dem Zweck der gemeinschaftlichen pflegerischen Versorgung sichergestellt werden (vgl dazu BT-Drucks 17/9369, S 41). Diese Voraussetzung verdeutlicht, dass der Wohngruppenzuschlag keine schlichte Aufstockung der den Mitgliedern der Wohngruppe ohnehin individuell gewährten Leistungen der häuslichen Pflege (§§ 36 ff SGB XI) bewirken sollte. Vielmehr ist ein hiervon taugliches Abgrenzungskriterium aufgestellt worden, das der neuen Wohnform der gemeinsamen Organisation der pflegerischen Versorgung und des gemeinschaftlichen Lebens Rechnung trägt. § 38a Abs 1 Nr 3 SGB XI hat diese Voraussetzung dahin näher konkretisiert, dass eine von den Mitgliedern der Wohngruppe gemeinschaftlich beauftragte Person - unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung - allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten verrichtet oder hauswirtschaftliche Unterstützung leistet. Der Leistungsanspruch wurde dadurch aber nicht verschärft. Die Neufassung erging mit Rücksicht auf praktikable Überprüfungsmöglichkeiten des Leistungsanspruchs durch die Behörden (vgl BT-Drucks 18/2909, S 42).

24

Die in § 38a Abs 1 Nr 3 SGB XI genannten unterschiedlichen Aufgaben stehen zwar im Zusammenhang mit der individuellen pflegerischen Versorgung durch die Pflegeperson; die dort genannten Aufgaben gehen aber deutlich darüber hinaus und sind auf die Förderung des gemeinschaftlichen Wohnens ausgerichtet, wie allgemein organisatorische, verwaltende aber auch betreuende Aufgaben, die der Wohngemeinschaft zugutekommen oder die das Gemeinschaftsleben sogar ausdrücklich fördern. Die Verrichtung einer der alternativ genannten Aufgaben in § 38a Abs 1 Nr 3 SGB XI ist bereits ausreichend. Soweit ergänzend auch die hauswirtschaftliche Unterstützung für die Gewährung des Zuschlags in der Norm genannt wird (s Abs 1 Nr 3), zählt hierzu die Beaufsichtigung der Ausführung dieser Verrichtung oder die Anleitung zur Selbstvornahme. Deshalb liegt zB hauswirtschaftliche Unterstützung nicht vor, wenn die Reinigungskraft oder eine Kraft, die lediglich hauswirtschaftliche Tätigkeiten verrichtet, diese Tätigkeiten selbst erbringt, ohne den Pflegebedürftigen in diese Tätigkeiten miteinzubeziehen (vgl BT-Drucks 18/2909, S 42). Neben der Unterstützung durch die Präsenzkraft bleiben aber regelmäßig bei allen Aufgaben - im Sinne einer "geteilten Verantwortung" - Beiträge der Bewohnerinnen und Bewohner selbst, ihres persönlichen und sozialen Umfelds oder von bürgerschaftlich Tätigen zur Versorgung notwendig (vgl aaO).

25

c) Der Aufgabenkreis der von den Mitgliedern der Wohngruppe gemeinsam beauftragten Präsenzkraft, die die gemeinschaftlich organisierte pflegerische Versorgung sicherstellt, muss mithin im og Sinne klar bestimmt sein, sich hinreichend deutlich von Hilfestellungen der individuellen pflegerischen Versorgung, aber auch von rein familiären Verpflichtungen abgrenzen. Der Senat kann an dieser Stelle mangels Entscheidungserheblichkeit offenlassen, ob für die Beauftragung der Präsenzkraft nach § 38a Abs 1 Nr 3 SGB XI das für die häusliche Pflege in § 77 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 SGB XI verankerte Verbot des Vertragsschlusses mit Familien- oder Haushaltsangehörigen greift. Dieser Ausschluss ist als verfassungsgemäß erachtet worden, weil der Gesetzgeber berücksichtigen durfte, dass Pflegeleistungen von diesem Personenkreis aufgrund gesetzlicher (§§ 1353, 1618a BGB)oder sittlicher Verpflichtung unentgeltlich erbracht werden. Mit dem Pflegegeld für die "ehrenamtliche" Pflege (vgl BT-Drucks 12/5262, S 112) durch Angehörige wurde lediglich eine finanzielle Anerkennung vorgesehen, die durch die soziale Absicherung der Pflegeperson in der Unfall- und Rentenversicherung (§ 44 SGB XI) ergänzt wurde (vgl BSG Urteile vom 18.3.1999 - BSGE 84, 1, 7 = SozR 3-3300 § 77 Nr 2 S 16 und BSG SozR 3-3300 § 77 Nr 1 S 4; dazu zuletzt BVerfG vom 26.3.2014 - 1 BvR 1133/12 - NZS 2014, 414, 415 RdNr 5). Dies trägt dem Charakter der Pflegeversicherung als ergänzende Leistung Rechnung, die keine Vollversorgung gewährleistet, sondern im Bereich der häuslichen und der teilstationären Pflege neben die familiäre, nachbarschaftliche oder sonstige ehrenamtliche Pflege und Betreuung tritt (§ 4 Abs 2 Satz 1 SGB XI).

26

d) Der Senat weist darauf hin, dass je nach Wahl der Wohngruppe verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten für die Verwendung des Wohngruppenzuschlags in Frage kommen, für die jeweils unterschiedliche rechtliche Vorgaben gelten:

27

aa) Wird der Zuschlag dafür genutzt, eine von der Pflegekasse nach § 77 SGB XI anerkannte Einzelpflegekraft zu entlohnen(so BT-Drucks 17/9369, S 41), greift für einen solchen mit der Pflegekasse abgeschlossenen Vertrag das in § 77 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 SGB XI verankerte Verbot des Vertragsschlusses mit Verwandten oder Verschwägerten des Pflegebedürftigen bis zum dritten Grad sowie mit Personen, die mit dem Pflegebedürftigen in häuslicher Gemeinschaft leben. Wenn überdies bei der Einführung des Wohngruppenzuschlags von der "Beschäftigung einer Pflegekraft" die Rede war, die in der Wohngruppe tätig ist (vgl BT-Drucks 17/9369, S 20), ist zu beachten, dass Pflegekräfte mit dem Pflegebedürftigen, dem sie Leistungen der häuslichen Pflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung erbringen, kein Beschäftigungsverhältnis eingehen dürfen (§ 77 Abs 1 Satz 4 SGB XI).

28

bb) Soll dem Wohngruppenzuschlag eine ähnliche Funktion wie dem Pflegegeld (§ 37 SGB XI) zukommen (vgl BT-Drucks 17/9369, S 40), so darf er kein Entgelt sein, sondern entsprechend dem Pflegegeld nicht mehr als eine materielle Anerkennung der erbrachten Aufgaben auch für Angehörige sein, selbst wenn zwischen der Pflegekraft und den Mitgliedern der Wohngruppe ein Auftragsverhältnis besteht, das schriftlich zu fixieren ist (§ 38a Abs 2 Nr 5 SGB XI). Das gesetzliche Konzept des Pflegegelds war von dem Gedanken getragen, dass die familiäre, nachbarschaftliche oder ehrenamtliche Pflege unentgeltlich erbracht wird (vgl dazu zuletzt BVerfG vom 26.3.2014 - 1 BvR 1133/12 - NZS 2014, 414, 415 RdNr 5). Ob die für das Pflegegeld aufgezeigten Grundsätze unmittelbar oder entsprechend für den pauschal zur häuslichen Pflege zusätzlich gewährten Wohngruppenzuschlag gelten, kann offen bleiben, weil der Senat in diesem Rechtsstreit hierüber nicht entscheiden muss. Jedenfalls fehlen sowohl dem Gesetz als auch den Gesetzesmaterialien eindeutige Anhaltspunkte, dass auch Familien- oder Haushaltsangehörige von der Wohngruppe beauftragt werden dürfen.

29

cc) Wird der Wohngruppenzuschlag für die Tätigkeiten eines ambulanten Pflegedienstes (§ 36 SGB XI) in Anspruch genommen, muss sichergestellt sein, dass sich die nach § 38a Abs 1 Nr 3 SGB XI zu erledigenden Aufgaben hinreichend deutlich von der benötigten individuellen pflegerischen Versorgung unterscheiden. Es reicht daher nicht aus, dass die Versicherten ihren Anspruch auf Wohngruppenzuschlag an den in der Wohngruppe tätigen Pflegedienst abtreten, ohne dass klar ist, wofür die Mittel konkrete Verwendung finden sollen (vgl BT-Drucks 18/2909, S 42). Nicht zu übersehen ist, dass der pauschale Wohngruppenzuschlag auch im Fall der Einschaltung eines ambulanten Pflegedienstes (§ 36 SGB XI) nicht höher ausfällt, als wenn die gemeinschaftlich organisierte pflegerische Versorgung durch eine nicht professionelle Pflegeperson erfolgt. Dies unterscheidet sich von der ansonsten im Bereich der häuslichen Pflege unterschiedlichen finanziellen Ausgestaltung durch das reduzierte Pflegegeld bei selbst beschafften Pflegehilfen (§ 37 SGB XI) einerseits und der Inanspruchnahme von ambulanten Pflegediensten (§ 36 SGB XI) andererseits.

30

4. Im Ergebnis folgt aus der Auslegung von § 38a SGB XI und entgegen der Ansicht der Beklagten(vgl dazu das Gemeinsame Rundschreiben unter Nummer 2.2), dass familiäre Familienverbünde nicht vom Wohngruppenzuschlag allein aufgrund ihrer familiären oder verwandtschaftlichen Verhältnisse ausgeschlossen sind. Auch wenn sich die primäre Förderung von neuen ambulant betreuten Wohnformen an solche Personen richten mag, die - aus welchen Gründen auch immer - nicht (mehr) in einem Familienverbund leben. Die vom Senat vorgenommene Auslegung des Gesetzestextes widerspricht entgegen der Auffassung des Rundschreibens weder dem Wortlaut oder dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers noch erweist sich diese Auslegung im Hinblick auf den Gesetzeszweck als kontraproduktiv, sondern wahrt die prinzipielle Zielrichtung des Gesetzgebers (vgl BVerfGE 119, 247, 258 f). Da familiär miteinander verbundene Wohngruppenmitglieder nicht generell vom Wohngruppenzuschlag ausgeschlossen sind, bedarf es keiner weitergehenden Ausführungen, ob ein solcher Ausschluss verfassungskonform wäre.

31

5. Nach den entwickelten Maßgaben erfüllt die Klägerin die Voraussetzungen für die Gewährung des Wohngruppenzuschlags nicht, weil es der Gemeinschaft mit ihrem Ehemann und dem behinderten Sohn am strukturellen Merkmal des Zusammenlebens zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung fehlt, objektiviert durch die Beauftragung einer Person, die die Aufgaben der organisierten pflegerischen Versorgung für die Pflegepersonen übergreifend erledigt (§ 38a Abs 1 Nr 1 und 3 SGB XI; § 38a Abs 1 Nr 3 und 4 SGB XI aF). Das hier maßgebliche Differenzierungskriterium für die Versagung des Wohngruppenzuschlags ist somit nicht das Verwandtschaftsverhältnis zwischen den Mitbewohnern, sondern dass es innerhalb der Familie an der zusätzlich notwendigen organisierten Struktur der pflegerischen Versorgung fehlt, die über die individuelle häusliche Pflege hinausgeht. Eine solche Wohnsituation lag bei der Klägerin nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) nicht vor. Danach erfolgte die herkömmliche häusliche Pflege in Form der Kombinationsleistung (§ 38 SGB XI) von Sachleistung durch einen ambulanten Pflegedienst (§ 36 SGB XI) und von anteiligem Pflegegeld (§ 37 SGB XI) für die Erbringung von Pflegeleistungen und die Unterstützung von Familienangehörigen. Zu Recht verweist die Beklagte darauf, dass allein die Aufrechterhaltung der bisherigen Lebensgestaltung nach Eintritt der Pflegebedürftigkeit die Zweckbestimmung einer gemeinschaftlichen pflegerischen Versorgung nicht zu begründen vermag. Die bindend festgestellten Tatsachen tragen daher nicht den vom LSG gezogenen rechtlichen Schluss, dass die Klägerin sämtliche Voraussetzungen von § 38a Abs 1 SGB XI aF erfüllte. Vielmehr konnte dies nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen ausgeschlossen werden, sodass auch eine Zurückverweisung nach § 170 Abs 2 SGG nicht in Betracht kam.

32

6. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen entgegen der Ansicht der Klägerin nicht. Eine verfassungswidrige Benachteiligung von Familien (Art 6 Abs 1 GG, Art 3 Abs 1 GG) liegt nicht vor.

33

a) Über die verfassungsrechtlich verankerte allgemeine Pflicht Ehe und Familie zu schützen, können aus Art 6 Abs 1 GG keine konkreten Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen hergeleitet werden (BVerfG vom 26.3.2014 - 1 BvR 1133/12 - NZS 2014, 414, 416; BVerfGE 130, 240, 252 = SozR 4-7835 Art 1 Nr 1 S 4 mwN). Solche Ansprüche können sich allenfalls unter dem besonderen Aspekt des Benachteiligungsverbots von Ehe und Familie gegenüber sonstigen gesellschaftlichen Gruppen und damit als Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art 3 Abs 1 GG ergeben (vgl BSG vom 18.3.1999 - SozR 3-3300 § 77 Nr 1 S 6).

34

Art 3 Abs 1 GG gebietet es, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu regeln (stRspr vgl BVerfGE 71, 255, 271). Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche Merkmale er beim Vergleich von Lebenssachverhalten als maßgebend für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung ansieht (stRspr vgl BVerfGE 87, 1, 36 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 7). Vielmehr bleibt es dem Gesetzgeber überlassen, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft, die er also rechtlich gleich behandeln will (vgl BVerfGE 21, 12, 26). Die Auswahl muss allerdings sachgerecht getroffen werden (vgl BVerfGE 67, 70, 85 f). Art 3 Abs 1 GG ist danach verletzt, wenn für die gleiche Behandlung verschiedener Sachverhalte - bezogen auf den in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart - ein vernünftiger, einleuchtender Grund fehlt (vgl BVerfGE 76, 256, 329).

35

b) Hiervon ausgehend, kann die Klägerin nicht verlangen, als Familienverbund besser gestellt zu werden als nicht familiär miteinander verbundene Wohngruppen. Das Merkmal des Wohnzwecks der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung, objektiviert durch die gemeinschaftliche Beauftragung einer Pflegekraft zur Sicherstellung dieses Wohnzwecks, gilt für familiäre wie für nicht familiäre Wohngruppen gleichermaßen. Es ist ein sachgerechtes Differenzierungskriterium, mit Hilfe dessen der Gesetzgeber das Ziel verfolgt, neue, nicht stationäre Wohn- und Betreuungsformen zu fördern. Mit Rücksicht auf den demografischen Wandel sollten Alternativen zu bestehenden Pflegestrukturen entwickelt werden (vgl BT-Drucks 17/9369, S 1), die über die herkömmliche individuelle häusliche Pflege hinausgehen. Damit werden - ohne dass in bestehende Leistungsansprüche eingegriffen wurde - neue Formen der pflegerischen Versorgung eröffnet, unter denen Pflegebedürftige auswählen können (vgl § 2 Abs 2 SGB XI). Für Familien bleibt - ungeachtet der hier offengelassenen Frage, ob Wohngruppen auch Familien- oder Haushaltsangehörige als sog Präsenzkraft beauftragen können - die uneingeschränkte Möglichkeit, einen ambulanten Pflegedienst, eine ausgebildete oder auch nicht professionelle Pflegekraft mit diesen Aufgaben zu beauftragen, um dem Wohnzweck gerecht zu werden. Dass der Gesetzgeber die Leistung des Wohngruppenzuschlags zweckgebunden an bestimmte Merkmale geknüpft hat, um der neuen Wohnform tatsächliche Geltung zu verschaffen (vgl BT-Drucks 18/2909, S 42), ist sachgerecht und nicht unangemessen. Daher ist kein Grund ersichtlich, Familien den Wohngruppenzuschlag unabhängig von der Sicherstellung der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung zu gewähren. Hierin liegt kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot von Ehe von Familie.

36

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Pflegebedürftige haben Anspruch auf einen pauschalen Zuschlag in Höhe von 214 Euro monatlich, wenn

1.
sie mit mindestens zwei und höchstens elf weiteren Personen in einer ambulant betreuten Wohngruppe in einer gemeinsamen Wohnung zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung leben und davon mindestens zwei weitere Personen pflegebedürftig im Sinne der §§ 14, 15 sind,
2.
sie Leistungen nach den §§ 36, 37, 38, 45a oder § 45b beziehen,
3.
eine Person durch die Mitglieder der Wohngruppe gemeinschaftlich beauftragt ist, unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten oder die Wohngruppenmitglieder bei der Haushaltsführung zu unterstützen, und
4.
keine Versorgungsform einschließlich teilstationärer Pflege vorliegt, in der ein Anbieter der Wohngruppe oder ein Dritter den Pflegebedürftigen Leistungen anbietet oder gewährleistet, die dem im jeweiligen Rahmenvertrag nach § 75 Absatz 1 für vollstationäre Pflege vereinbarten Leistungsumfang weitgehend entsprechen; der Anbieter einer ambulant betreuten Wohngruppe hat die Pflegebedürftigen vor deren Einzug in die Wohngruppe in geeigneter Weise darauf hinzuweisen, dass dieser Leistungsumfang von ihm oder einem Dritten nicht erbracht wird, sondern die Versorgung in der Wohngruppe auch durch die aktive Einbindung ihrer eigenen Ressourcen und ihres sozialen Umfelds sichergestellt werden kann.

Leistungen der Tages- und Nachtpflege gemäß § 41 können neben den Leistungen nach dieser Vorschrift nur in Anspruch genommen werden, wenn gegenüber der zuständigen Pflegekasse durch eine Prüfung des Medizinischen Dienstes nachgewiesen ist, dass die Pflege in der ambulant betreuten Wohngruppe ohne teilstationäre Pflege nicht in ausreichendem Umfang sichergestellt ist; dies gilt entsprechend für die Versicherten der privaten Pflege-Pflichtversicherung.

(2) Die Pflegekassen sind berechtigt, zur Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen bei dem Antragsteller folgende Daten zu verarbeiten und folgende Unterlagen anzufordern:

1.
eine formlose Bestätigung des Antragstellers, dass die Voraussetzungen nach Absatz 1 Nummer 1 erfüllt sind,
2.
die Adresse und das Gründungsdatum der Wohngruppe,
3.
den Mietvertrag einschließlich eines Grundrisses der Wohnung und den Pflegevertrag nach § 120,
4.
Vorname, Name, Anschrift und Telefonnummer sowie Unterschrift der Person nach Absatz 1 Nummer 3 und
5.
die vereinbarten Aufgaben der Person nach Absatz 1 Nummer 3.

(1) Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Die Vorschriften über Urteile gelten entsprechend.

(2) Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids das Rechtsmittel einlegen, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Ist die Berufung nicht gegeben, kann mündliche Verhandlung beantragt werden. Wird sowohl ein Rechtsmittel eingelegt als auch mündliche Verhandlung beantragt, findet mündliche Verhandlung statt.

(3) Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen.

(4) Wird mündliche Verhandlung beantragt, kann das Gericht in dem Urteil von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Gerichtsbescheids folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.