Sozialgericht Halle Beschluss, 23. Nov. 2012 - S 10 AL 155/12
Gericht
Tenor
Das Sozialgericht Halle erklärt sich für örtlich unzuständig. Der Rechtsstreit wird an das zuständige Sozialgericht Konstanz zurückverwiesen.
Das Bundessozialgericht wird zur Bestimmung des zuständigen Gerichts innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit angerufen.
Gründe
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I. Gegenstand des Rechtsstreits war eine Untätigkeitsklage. Die Beteiligten streiten nach Erledigung der Hauptsache durch den Kläger noch darüber, ob sie einander außergerichtliche Kosten zu erstatten haben.
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Der im Gerichtsbezirk des hiesigen Gerichts wohnhafte Kläger hat am 05.03.2012 vor dem Sozialgericht Konstanz Untätigkeitsklage erhoben und Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt (dortiges Az. S 7 AL 545/12). Mit der Eingangsverfügung vom 06.03.2012 hat die Vorsitzende der 7. Kammer des Sozialgerichts Konstanz die Beteiligten hinsichtlich einer Verweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht Halle angehört. Nachdem die Beteiligten am 13.03.2012 bzw. 16.04.2012 mitgeteilt haben, dass sie keine Einwände gegen eine Verweisung an das Sozialgericht Halle hätten, hat der Kläger den Rechtsstreit am 02.05.2012 in der Hauptsache für erledigt erklärt und beantragt, der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Hierauf hat die Kammervorsitzende aufgrund Verfügung vom selben Tag beim Kläger nachgefragt, ob die Erledigungserklärung auch den PKH-Antrag umfasse. Ferner hat sie der Beklagten mitgeteilt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei und bezüglich der Kosten um Stellungnahme gebeten werde. Zudem unterzeichnete sie die Schlussverfügung. Nachdem die Beklagte mitgeteilt hat, dass sie nicht bereit sei, die Kosten des Klägers zu übernehmen, hat die Kammervorsitzende den Beteiligten mitgeteilt, dass nunmehr vorgesehen sei, den Rechtsstreit an das Sozialgericht Halle zu verweisen.
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Mit Beschluss vom 08.06.2012 hat die 7. Kammer des Sozialgerichts Konstanz durch die Kammervorsitzende das Sozialgericht Konstanz für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Halle verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Rechtsstreit gem. §§ 98 SGG, 17a II und IV GVG wegen örtlicher Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts an das gem. § 57 SGG zuständige Sozialgericht Halle zu verweisen sei. Der Rechtsstreit sei zwar in der Hauptsache bereits erledigt. Offen seien aber noch der PKH-Antrag und das Kostenverfahren.
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Der Kammervorsitzende hat nach Eingang der Akten des Sozialgerichts Konstanz der Vorsitzenden der 7. Kammer des Sozialgerichts Konstanz mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, den Rechtsstreit hinsichtlich des Kostenantrags zurückzuverweisen, da infolge der Erledigung der Hauptsache kein Rechtsstreit mehr anhängig sei, der verwiesen werden könnte. Ferner hat er angefragt, ob der Verweisungsbeschluss so auszulegen sei, dass der Rechtsstreit nur insoweit verwiesen werden sollte, wie noch ein der Verweisung zugängliches Verfahren anhängig gewesen sei. Dies beträfe dann lediglich die PKH, während die Verweisung im Übrigen ins Leere gehe und die Kostenentscheidung ohne weiteres durch das Sozialgericht Konstanz zu treffen wäre. Nach Entscheidung über die PKH würde dann der Vorgang formlos zurückgesandt. Anderenfalls bedürfe es aus Gründen der Klarstellung der förmlichen Zurückverweisung. Entsprechend hat der Kammervorsitzende die Beteiligten angehört. Mit Schreiben vom 20.07.2012 hat die Vorsitzende der 7. Kammer des Sozialgerichts Konstanz zum hiesigen Verfahren und zum Verfahren S 10 AL 163/12, dem im Wesentlichen derselbe Sachverhalt zugrunde liegt, mitgeteilt, dass von den Verweisungsbeschlüssen vom 08.06.2012 Kosten- und PKH-Verfahren erfasst wären. Für klarstellende, d.h. abändernde Beschlüsse, sehe sie keine Rechtsgrundlage.
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Mit Beschluss vom 14.11.2012 hat die 10. Kammer des Sozialgerichts Halle den Antrag des Klägers auf PKH und die Beiordnung eines Rechtsanwalts abgelehnt.
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II. Das Sozialgericht Halle ist für die Entscheidung über den auf Grundlage des § 193 I 3 SGG gestellten Kostenantrag unzuständig. Zuständig ist das Sozialgericht Konstanz.
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Nach § 57 I 1 SGG ist das Sozialgericht, in dessen Bezirk der Kläger zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz hat, örtlich zuständig. Für den Rechtsstreit des Klägers, der bei Klageerhebung vor dem Sozialgericht Konstanz seinen Wohnsitz bereits unter der im Rubrum ersichtlichen Anschrift eingenommen hatte, war damit das Sozialgericht Halle örtlich zuständig.
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Mit der Erklärung der Erledigung der Hauptsache durch den Kläger am 02.05.2012, die als Klagerücknahme auszulegen war, war der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Damit wurde das Sozialgericht Konstanz für den gleichzeitig gestellten Kostenantrag sachlich und örtlich zuständig. Denn nach § 193 I 3 SGG entscheidet das Gericht auf Antrag durch Beschluss, wenn das Verfahren unstreitig beendet wird. Gericht ist dabei das Gericht, an dem der Rechtsstreit seine Erledigung gefunden hat, da eine Verweisung nicht mehr in Betracht kommt.
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Dies folgt daraus, dass erst nach Eintritt der Rechtskraft eines Verweisungsbeschlusses der Rechtsstreit mit Eingang der Akten bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht anhängig wird (§§ 98 SGG, 17b I 1 GVG). Rechtsstreit im Sinne dieser Vorschrift kann nur ein noch rechtshängiger Rechtsstreit sein, wie die §§ 98 SGG, 17b I 2 GVG zeigen. Dort ist ohne Einschränkung bestimmt, dass die Wirkungen der Rechtshängigkeit bestehen bleiben, wofür kein Raum ist, wenn die Hauptsache bereits erledigt ist. Erfährt ein Rechtsstreit – wie hier – schon vor der Verweisung seine Erledigung, fehlt es damit schlichtweg an einem der Verweisung zugänglichen Rechtsverhältnis. Eine Verweisung scheidet m.a.W. nach Ende der Rechtshängigkeit aus (ebenso OLG Frankfurt 14.07.2005, 14 UH 13/05; BayVGH 18.08.1999, 5 C99.1776; OVG Lüneburg 12.05.2010, 7 OB 26/10; VG Halle 30.06.2008, 3 A 48/08; zur Vereinbarkeit mit Art.101 I 2 GG ThürOVG 01.10.1998, 2 VO 622/98).
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Dem steht nicht entgegen, dass die Kammer sich für die PKH-Entscheidung infolge der Verweisung als zuständig angesehen hat. Dies folgt aus dem Umstand, dass ein PKH-Verfahren auch isoliert geführt werden kann, ohne (zunächst) eine Hauptsache anhängig zu machen. In diesen Fällen ist vor dem Hintergrund des Art.101 I 2 GG eine analoge Anwendung der §§ 17a f. GVG im durch § 98 SGG vorgegeben Rahmen gerechtfertigt, zumal – anders als im Rahmen des § 193 I 3 SGG – die Erfolgsaussichten zu prüfen sind und nicht bloß eine Billigkeitsentscheidung zu treffen ist. Mit dem isolierten PKH-Verfahren vergleichbar ist die hiesige Konstellation, in der das PKH-Verfahren nach Erledigung der Hauptsache noch offen ist. Anders verhält es sich dagegen bei der Kostenentscheidung nach § 193 I 3 SGG, die in jedem Fall die Frage der Erstattung außergerichtlicher Kosten eines Klageverfahrens dem Grunde und des Umfangs nach umfasst und deshalb nie isoliert anhängig gemacht werden kann.
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Die abschließende Zuständigkeit des Sozialgerichts Halle folgt auch nicht aus dem Verweisungsbeschluss. Zwar ist ein Gericht, an das ein Rechtsstreit verwiesen wird, nach den §§ 98 SGG, 17a II GVG an die Verweisung gebunden. Hier greift die Bindungswirkung jedoch nicht, da der Verweisungsbeschluss – wie gezeigt – mangels eines der Verweisung zugänglichen Rechtsstreits ins Leere geht, soweit die noch zu treffende Kostengrundentscheidung betroffen ist. Die im Tenor ausgesprochene Zurückverweisung ist mithin nur klarstellend, aber auch notwendig, nachdem das hiesige Gericht nicht befugt ist, den Beschluss eines anderen Sozialgerichts aufzuheben.
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Im Übrigen käme einem Verweisungsbeschluss auch dann keine Bindungswirkung zu, wenn die Verweisung auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze oder auf willkürlichem Verhalten beruht (stRspr. des BSG, zuletzt Beschluss vom 18.07.2012, B 12 SF 5/12 S m.w.N.). Willkürlich ist dabei eine gerichtliche Entscheidung, wenn sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar ist, sodass sich der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht und deshalb auch Art.3 I GG verletzt. Hierfür sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, da die Erwägungen der Vorsitzenden der 7. Kammer des Sozialgerichts Konstanz zur Verweisung an das Sozialgericht Halle in 2 erledigten Verfahren nach der Erklärung der Beklagten, die Kosten nicht zu übernehmen, nicht dokumentiert sind. Es liegt jedoch ein Fall der Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze vor, da erledigte Verfahren – wie dargestellt – nicht der Verweisung zugänglich sind.
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Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 58 I Nr.4 SGG durch das BSG liegen vor. Es ist als gemeinsam nächsthöheres Gericht im Sinne dieser Vorschrift zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem Sozialgericht Halle und dem Sozialgericht Konstanz berufen, nachdem das Sozialgericht Konstanz seine örtliche Zuständigkeit verneint und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Halle verwiesen hat, dieses Gericht sich jedoch ebenfalls nicht für örtlich zuständig hält, sondern weiterhin das Sozialgericht Konstanz mangels Bindungswirkung als zuständig ansieht.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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Annotations
Für die sachliche und örtliche Zuständigkeit gelten die §§ 17, 17a und 17b Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend. Beschlüsse entsprechend § 17a Abs. 2 und 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes sind unanfechtbar.
(1) Örtlich zuständig ist das Sozialgericht, in dessen Bezirk der Kläger zur Zeit der Klageerhebung seinen Sitz oder Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthaltsort hat; steht er in einem Beschäftigungsverhältnis, so kann er auch vor dem für den Beschäftigungsort zuständigen Sozialgericht klagen. Klagt eine Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts, in Angelegenheiten nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch ein Unternehmen der privaten Pflegeversicherung oder in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts oder des Schwerbehindertenrechts ein Land, so ist der Sitz oder Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Beklagten maßgebend, wenn dieser eine natürliche Person oder eine juristische Person des Privatrechts ist.
(2) Ist die erstmalige Bewilligung einer Hinterbliebenenrente streitig, so ist der Wohnsitz oder in Ermangelung dessen der Aufenthaltsort der Witwe oder des Witwers maßgebend. Ist eine Witwe oder ein Witwer nicht vorhanden, so ist das Sozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die jüngste Waise im Inland ihren Wohnsitz oder in Ermangelung dessen ihren Aufenthaltsort hat; sind nur Eltern oder Großeltern vorhanden, so ist das Sozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Eltern oder Großeltern ihren Wohnsitz oder in Ermangelung dessen ihren Aufenthaltsort haben. Bei verschiedenem Wohnsitz oder Aufenthaltsort der Eltern- oder Großelternteile gilt der im Inland gelegene Wohnsitz oder Aufenthaltsort des anspruchsberechtigten Ehemanns oder geschiedenen Mannes.
(3) Hat der Kläger seinen Sitz oder Wohnsitz oder Aufenthaltsort im Ausland, so ist örtlich zuständig das Sozialgericht, in dessen Bezirk der Beklagte seinen Sitz oder Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthaltsort hat.
(4) In Angelegenheiten des § 51 Abs. 1 Nr. 2, die auf Bundesebene festgesetzte Festbeträge betreffen, ist das Sozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Bundesregierung ihren Sitz hat, in Angelegenheiten, die auf Landesebene festgesetzte Festbeträge betreffen, das Sozialgericht, in dessen Bezirk die Landesregierung ihren Sitz hat.
(5) In Angelegenheiten nach § 130a Absatz 4 und 9 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch ist das Sozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die zur Entscheidung berufene Behörde ihren Sitz hat.
(6) Für Antragsverfahren nach § 55a ist das Landessozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Körperschaft, die die Rechtsvorschrift erlassen hat, ihren Sitz hat.
(7) In Angelegenheiten nach § 7a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch ist das Sozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Auftraggeber seinen Sitz oder in Ermangelung dessen seinen Wohnsitz hat. Hat dieser seinen Sitz oder in Ermangelung dessen seinen Wohnsitz im Ausland, ist das Sozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Auftragnehmer seinen Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthaltsort hat.
Für die sachliche und örtliche Zuständigkeit gelten die §§ 17, 17a und 17b Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend. Beschlüsse entsprechend § 17a Abs. 2 und 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes sind unanfechtbar.