Sozialgericht Halle Beschluss, 23. Nov. 2012 - S 10 AL 155/12

ECLI:ECLI:DE:SGHALLE:2012:1123.S10AL155.12.0A
23.11.2012

Tenor

Das Sozialgericht Halle erklärt sich für örtlich unzuständig. Der Rechtsstreit wird an das zuständige Sozialgericht Konstanz zurückverwiesen.

Das Bundessozialgericht wird zur Bestimmung des zuständigen Gerichts innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit angerufen.

Gründe

1

I. Gegenstand des Rechtsstreits war eine Untätigkeitsklage. Die Beteiligten streiten nach Erledigung der Hauptsache durch den Kläger noch darüber, ob sie einander außergerichtliche Kosten zu erstatten haben.

2

Der im Gerichtsbezirk des hiesigen Gerichts wohnhafte Kläger hat am 05.03.2012 vor dem Sozialgericht Konstanz Untätigkeitsklage erhoben und Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt (dortiges Az. S 7 AL 545/12). Mit der Eingangsverfügung vom 06.03.2012 hat die Vorsitzende der 7. Kammer des Sozialgerichts Konstanz die Beteiligten hinsichtlich einer Verweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht Halle angehört. Nachdem die Beteiligten am 13.03.2012 bzw. 16.04.2012 mitgeteilt haben, dass sie keine Einwände gegen eine Verweisung an das Sozialgericht Halle hätten, hat der Kläger den Rechtsstreit am 02.05.2012 in der Hauptsache für erledigt erklärt und beantragt, der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Hierauf hat die Kammervorsitzende aufgrund Verfügung vom selben Tag beim Kläger nachgefragt, ob die Erledigungserklärung auch den PKH-Antrag umfasse. Ferner hat sie der Beklagten mitgeteilt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei und bezüglich der Kosten um Stellungnahme gebeten werde. Zudem unterzeichnete sie die Schlussverfügung. Nachdem die Beklagte mitgeteilt hat, dass sie nicht bereit sei, die Kosten des Klägers zu übernehmen, hat die Kammervorsitzende den Beteiligten mitgeteilt, dass nunmehr vorgesehen sei, den Rechtsstreit an das Sozialgericht Halle zu verweisen.

3

Mit Beschluss vom 08.06.2012 hat die 7. Kammer des Sozialgerichts Konstanz durch die Kammervorsitzende das Sozialgericht Konstanz für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Halle verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Rechtsstreit gem. §§ 98 SGG, 17a II und IV GVG wegen örtlicher Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts an das gem. § 57 SGG zuständige Sozialgericht Halle zu verweisen sei. Der Rechtsstreit sei zwar in der Hauptsache bereits erledigt. Offen seien aber noch der PKH-Antrag und das Kostenverfahren.

4

Der Kammervorsitzende hat nach Eingang der Akten des Sozialgerichts Konstanz der Vorsitzenden der 7. Kammer des Sozialgerichts Konstanz mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, den Rechtsstreit hinsichtlich des Kostenantrags zurückzuverweisen, da infolge der Erledigung der Hauptsache kein Rechtsstreit mehr anhängig sei, der verwiesen werden könnte. Ferner hat er angefragt, ob der Verweisungsbeschluss so auszulegen sei, dass der Rechtsstreit nur insoweit verwiesen werden sollte, wie noch ein der Verweisung zugängliches Verfahren anhängig gewesen sei. Dies beträfe dann lediglich die PKH, während die Verweisung im Übrigen ins Leere gehe und die Kostenentscheidung ohne weiteres durch das Sozialgericht Konstanz zu treffen wäre. Nach Entscheidung über die PKH würde dann der Vorgang formlos zurückgesandt. Anderenfalls bedürfe es aus Gründen der Klarstellung der förmlichen Zurückverweisung. Entsprechend hat der Kammervorsitzende die Beteiligten angehört. Mit Schreiben vom 20.07.2012 hat die Vorsitzende der 7. Kammer des Sozialgerichts Konstanz zum hiesigen Verfahren und zum Verfahren S 10 AL 163/12, dem im Wesentlichen derselbe Sachverhalt zugrunde liegt, mitgeteilt, dass von den Verweisungsbeschlüssen vom 08.06.2012 Kosten- und PKH-Verfahren erfasst wären. Für klarstellende, d.h. abändernde Beschlüsse, sehe sie keine Rechtsgrundlage.

5

Mit Beschluss vom 14.11.2012 hat die 10. Kammer des Sozialgerichts Halle den Antrag des Klägers auf PKH und die Beiordnung eines Rechtsanwalts abgelehnt.

6

II. Das Sozialgericht Halle ist für die Entscheidung über den auf Grundlage des § 193 I 3 SGG gestellten Kostenantrag unzuständig. Zuständig ist das Sozialgericht Konstanz.

7

Nach § 57 I 1 SGG ist das Sozialgericht, in dessen Bezirk der Kläger zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz hat, örtlich zuständig. Für den Rechtsstreit des Klägers, der bei Klageerhebung vor dem Sozialgericht Konstanz seinen Wohnsitz bereits unter der im Rubrum ersichtlichen Anschrift eingenommen hatte, war damit das Sozialgericht Halle örtlich zuständig.

8

Mit der Erklärung der Erledigung der Hauptsache durch den Kläger am 02.05.2012, die als Klagerücknahme auszulegen war, war der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Damit wurde das Sozialgericht Konstanz für den gleichzeitig gestellten Kostenantrag sachlich und örtlich zuständig. Denn nach § 193 I 3 SGG entscheidet das Gericht auf Antrag durch Beschluss, wenn das Verfahren unstreitig beendet wird. Gericht ist dabei das Gericht, an dem der Rechtsstreit seine Erledigung gefunden hat, da eine Verweisung nicht mehr in Betracht kommt.

9

Dies folgt daraus, dass erst nach Eintritt der Rechtskraft eines Verweisungsbeschlusses der Rechtsstreit mit Eingang der Akten bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht anhängig wird (§§ 98 SGG, 17b I 1 GVG). Rechtsstreit im Sinne dieser Vorschrift kann nur ein noch rechtshängiger Rechtsstreit sein, wie die §§ 98 SGG, 17b I 2 GVG zeigen. Dort ist ohne Einschränkung bestimmt, dass die Wirkungen der Rechtshängigkeit bestehen bleiben, wofür kein Raum ist, wenn die Hauptsache bereits erledigt ist. Erfährt ein Rechtsstreit – wie hier – schon vor der Verweisung seine Erledigung, fehlt es damit schlichtweg an einem der Verweisung zugänglichen Rechtsverhältnis. Eine Verweisung scheidet m.a.W. nach Ende der Rechtshängigkeit aus (ebenso OLG Frankfurt 14.07.2005, 14 UH 13/05; BayVGH 18.08.1999, 5 C99.1776; OVG Lüneburg 12.05.2010, 7 OB 26/10; VG Halle 30.06.2008, 3 A 48/08; zur Vereinbarkeit mit Art.101 I 2 GG ThürOVG 01.10.1998, 2 VO 622/98).

10

Dem steht nicht entgegen, dass die Kammer sich für die PKH-Entscheidung infolge der Verweisung als zuständig angesehen hat. Dies folgt aus dem Umstand, dass ein PKH-Verfahren auch isoliert geführt werden kann, ohne (zunächst) eine Hauptsache anhängig zu machen. In diesen Fällen ist vor dem Hintergrund des Art.101 I 2 GG eine analoge Anwendung der §§ 17a f. GVG im durch § 98 SGG vorgegeben Rahmen gerechtfertigt, zumal – anders als im Rahmen des § 193 I 3 SGG – die Erfolgsaussichten zu prüfen sind und nicht bloß eine Billigkeitsentscheidung zu treffen ist. Mit dem isolierten PKH-Verfahren vergleichbar ist die hiesige Konstellation, in der das PKH-Verfahren nach Erledigung der Hauptsache noch offen ist. Anders verhält es sich dagegen bei der Kostenentscheidung nach § 193 I 3 SGG, die in jedem Fall die Frage der Erstattung außergerichtlicher Kosten eines Klageverfahrens dem Grunde und des Umfangs nach umfasst und deshalb nie isoliert anhängig gemacht werden kann.

11

Die abschließende Zuständigkeit des Sozialgerichts Halle folgt auch nicht aus dem Verweisungsbeschluss. Zwar ist ein Gericht, an das ein Rechtsstreit verwiesen wird, nach den §§ 98 SGG, 17a II GVG an die Verweisung gebunden. Hier greift die Bindungswirkung jedoch nicht, da der Verweisungsbeschluss – wie gezeigt – mangels eines der Verweisung zugänglichen Rechtsstreits ins Leere geht, soweit die noch zu treffende Kostengrundentscheidung betroffen ist. Die im Tenor ausgesprochene Zurückverweisung ist mithin nur klarstellend, aber auch notwendig, nachdem das hiesige Gericht nicht befugt ist, den Beschluss eines anderen Sozialgerichts aufzuheben.

12

Im Übrigen käme einem Verweisungsbeschluss auch dann keine Bindungswirkung zu, wenn die Verweisung auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze oder auf willkürlichem Verhalten beruht (stRspr. des BSG, zuletzt Beschluss vom 18.07.2012, B 12 SF 5/12 S m.w.N.). Willkürlich ist dabei eine gerichtliche Entscheidung, wenn sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar ist, sodass sich der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht und deshalb auch Art.3 I GG verletzt. Hierfür sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, da die Erwägungen der Vorsitzenden der 7. Kammer des Sozialgerichts Konstanz zur Verweisung an das Sozialgericht Halle in 2 erledigten Verfahren nach der Erklärung der Beklagten, die Kosten nicht zu übernehmen, nicht dokumentiert sind. Es liegt jedoch ein Fall der Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze vor, da erledigte Verfahren – wie dargestellt – nicht der Verweisung zugänglich sind.

13

Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 58 I Nr.4 SGG durch das BSG liegen vor. Es ist als gemeinsam nächsthöheres Gericht im Sinne dieser Vorschrift zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem Sozialgericht Halle und dem Sozialgericht Konstanz berufen, nachdem das Sozialgericht Konstanz seine örtliche Zuständigkeit verneint und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Halle verwiesen hat, dieses Gericht sich jedoch ebenfalls nicht für örtlich zuständig hält, sondern weiterhin das Sozialgericht Konstanz mangels Bindungswirkung als zuständig ansieht.

14

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.


ra.de-Urteilsbesprechung zu Sozialgericht Halle Beschluss, 23. Nov. 2012 - S 10 AL 155/12

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Sozialgericht Halle Beschluss, 23. Nov. 2012 - S 10 AL 155/12

Referenzen - Gesetze

Sozialgericht Halle Beschluss, 23. Nov. 2012 - S 10 AL 155/12 zitiert 5 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 57


(1) Örtlich zuständig ist das Sozialgericht, in dessen Bezirk der Kläger zur Zeit der Klageerhebung seinen Sitz oder Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthaltsort hat; steht er in einem Beschäftigungsverhältnis, so kann er auch vor dem fü

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 98


Für die sachliche und örtliche Zuständigkeit gelten die §§ 17, 17a und 17b Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend. Beschlüsse entsprechend § 17a Abs. 2 und 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes sind unanfechtbar.

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Sozialgericht Halle Beschluss, 23. Nov. 2012 - S 10 AL 155/12 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).

Sozialgericht Halle Beschluss, 23. Nov. 2012 - S 10 AL 155/12 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundessozialgericht Beschluss, 18. Juli 2012 - B 12 SF 5/12 S

bei uns veröffentlicht am 18.07.2012

Tenor Das Sozialgericht Berlin wird zum zuständigen Gericht bestimmt. Gründe 1 I.

Referenzen

Für die sachliche und örtliche Zuständigkeit gelten die §§ 17, 17a und 17b Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend. Beschlüsse entsprechend § 17a Abs. 2 und 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes sind unanfechtbar.

(1) Örtlich zuständig ist das Sozialgericht, in dessen Bezirk der Kläger zur Zeit der Klageerhebung seinen Sitz oder Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthaltsort hat; steht er in einem Beschäftigungsverhältnis, so kann er auch vor dem für den Beschäftigungsort zuständigen Sozialgericht klagen. Klagt eine Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts, in Angelegenheiten nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch ein Unternehmen der privaten Pflegeversicherung oder in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts oder des Schwerbehindertenrechts ein Land, so ist der Sitz oder Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Beklagten maßgebend, wenn dieser eine natürliche Person oder eine juristische Person des Privatrechts ist.

(2) Ist die erstmalige Bewilligung einer Hinterbliebenenrente streitig, so ist der Wohnsitz oder in Ermangelung dessen der Aufenthaltsort der Witwe oder des Witwers maßgebend. Ist eine Witwe oder ein Witwer nicht vorhanden, so ist das Sozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die jüngste Waise im Inland ihren Wohnsitz oder in Ermangelung dessen ihren Aufenthaltsort hat; sind nur Eltern oder Großeltern vorhanden, so ist das Sozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Eltern oder Großeltern ihren Wohnsitz oder in Ermangelung dessen ihren Aufenthaltsort haben. Bei verschiedenem Wohnsitz oder Aufenthaltsort der Eltern- oder Großelternteile gilt der im Inland gelegene Wohnsitz oder Aufenthaltsort des anspruchsberechtigten Ehemanns oder geschiedenen Mannes.

(3) Hat der Kläger seinen Sitz oder Wohnsitz oder Aufenthaltsort im Ausland, so ist örtlich zuständig das Sozialgericht, in dessen Bezirk der Beklagte seinen Sitz oder Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthaltsort hat.

(4) In Angelegenheiten des § 51 Abs. 1 Nr. 2, die auf Bundesebene festgesetzte Festbeträge betreffen, ist das Sozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Bundesregierung ihren Sitz hat, in Angelegenheiten, die auf Landesebene festgesetzte Festbeträge betreffen, das Sozialgericht, in dessen Bezirk die Landesregierung ihren Sitz hat.

(5) In Angelegenheiten nach § 130a Absatz 4 und 9 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch ist das Sozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die zur Entscheidung berufene Behörde ihren Sitz hat.

(6) Für Antragsverfahren nach § 55a ist das Landessozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Körperschaft, die die Rechtsvorschrift erlassen hat, ihren Sitz hat.

(7) In Angelegenheiten nach § 7a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch ist das Sozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Auftraggeber seinen Sitz oder in Ermangelung dessen seinen Wohnsitz hat. Hat dieser seinen Sitz oder in Ermangelung dessen seinen Wohnsitz im Ausland, ist das Sozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Auftragnehmer seinen Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthaltsort hat.

Für die sachliche und örtliche Zuständigkeit gelten die §§ 17, 17a und 17b Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend. Beschlüsse entsprechend § 17a Abs. 2 und 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes sind unanfechtbar.

Tenor

Das Sozialgericht Berlin wird zum zuständigen Gericht bestimmt.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten in dem zugrundeliegenden Rechtsstreit darüber, ob der Kläger, ein Verein mit Sitz im Zuständigkeitsbereich des SG Osnabrück, als Träger eines in Berlin ansässigen Krankenhauses einen Anspruch gegen die beklagte Krankenkasse auf Auszahlung von 9660,45 Euro hat, die die Beklagte von den vom Krankenhaus abgerechneten Krankenhausleistungen in den Jahren 2006 bis 2008 einbehalten hat. Der Kläger macht mit der beim SG Osnabrück eingereichten Klage geltend, die Beklagte sei nicht berechtigt, die Beträge auf der Grundlage des § 140d Abs 1 S 1 SGB V zur Förderung der integrierten Versorgung von der an den Kläger gemäß § 85 Abs 1 SGB V zu entrichtenden Gesamtvergütung einzubehalten, weil diese Mittel ausschließlich zur Finanzierung der nach § 140c Abs 1 S 1 SGB V vereinbarten Vergütungen verwendet werden dürften, die Beklagte jedoch nicht gemäß § 140d Abs 1 S 4 SGB V nachgewiesen habe, dass die einbehaltenen Beträge gesetzeskonform verwendet worden seien. Die Beklagte macht geltend, als Nachweis genügten die sog Konformitätserklärungen für die Jahre 2006, 2007 und 2008 über die über den 31.12.2008 hinauslaufenden IV-Verträge "Verbundversorgung Berlin-Brandenburg" und "H.-Kliniken". Auf Anfrage des SG Osnabrück hat die Beklagte mitgeteilt, dass Verträge zur integrierten Versorgung ausschließlich in den Bundesländern und nicht auf Bundesebene bestünden und den Kläger betreffende Verträge für Berlin-Brandenburg vorlägen, es allerdings nicht nachvollziehbar sei, dass die Regelung des § 57a SGG einschlägig sein solle. Nach Anhörung der Beteiligten hat sich das SG Osnabrück mit Beschluss vom 29.11.2011 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit mit Hinweis auf § 57a Abs 3 SGG an das SG Berlin verwiesen.

2

Mit Beschluss vom 16.4.2012 hat sich das SG Berlin ebenfalls nach Anhörung der Beteiligten für örtlich unzuständig erklärt und die Streitsache dem BSG zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorgelegt, weil die Verweisung des SG Osnabrück willkürlich sei bzw auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze beruhe und deshalb nicht binde. Die Zuständigkeit ergebe sich nicht aus § 57a Abs 3 SGG, da Verträge auf Landesebene nicht betroffen seien.

3

II. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG durch das BSG liegen vor. Es ist als gemeinsam nächsthöheres Gericht im Sinne dieser Vorschrift zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem SG Osnabrück und dem SG Berlin berufen, nachdem das SG Osnabrück seine örtliche Zuständigkeit verneint und den Rechtsstreit an das SG Berlin verwiesen hat, dieses Gericht sich jedoch ebenfalls nicht für örtlich zuständig hält, sondern weiterhin das SG Osnabrück mangels Bindungswirkung als zuständig ansieht. Das SG Berlin konnte von einem eigenen Verweisungsbeschluss absehen und von seiner Unzuständigkeit ausgehend unmittelbar das BSG zur Bestimmung des zuständigen Gerichts anrufen (vgl BSG SozR 4-1500 § 57a Nr 2 RdNr 8).

4

Zum zuständigen Gericht ist das SG Berlin zu bestimmen, weil dieses an den Verweisungsbeschluss des SG Osnabrück vom 29.11.2011 gebunden ist.

5

Gemäß § 98 Abs 1 SGG iVm § 17a Abs 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ist ein Verweisungsbeschluss wegen örtlicher oder sachlicher Zuständigkeit für das Gericht, an das verwiesen wurde, bindend. Dies gilt im Interesse des verfassungsrechtlich gewährleisteten effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG) und einer möglichst zügigen sachlichen Entscheidung grundsätzlich unabhängig von der Verletzung prozessualer oder materieller Vorschriften. Den Streit der beteiligten Gerichte über die Anwendung von Regelungen über die örtliche Zuständigkeit zu entscheiden oder in jedem Einzelfall die Richtigkeit des dem Verweisungsbeschluss zugrundeliegenden Subsumtionsvorgangs zu überprüfen, ist gerade nicht Aufgabe des gemeinsamen übergeordneten Gerichts im Verfahren nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG.

6

Ausnahmsweise kommt dem Verweisungsbeschluss dann keine Bindungswirkung zu, wenn die Verweisung auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze oder auf willkürlichem Verhalten beruht (stRspr, vgl BSG SozR 3-1720 § 17a Nr 11 S 19 ff, SozR 4-1500 § 57a Nr 2 RdNr 11, SozR 4-1500 § 58 Nr 6 RdNr 15 und SozR 4-1500 § 57 Nr 2 RdNr 4, sowie BVerfG Kammerbeschluss vom 19.12.2001 - 1 BvR 814/01 - NVwZ-RR 2002, 389; zuletzt Beschlüsse des Senats vom 4.1.2012 - B 12 SF 2/11 S - SGb 2012, 369 f, und vom 5.1.2012 - B 12 SF 4/11 S). Willkürlich ist eine gerichtliche Entscheidung in dem aufgezeigten Zusammenhang dann, wenn sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar ist, sodass sich der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht und deshalb auch Art 3 Abs 1 GG verletzt (vgl BVerfG, aaO). Für eine abweichende Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts in Anwendung dieser strengen Maßstäbe, die das BSG in seiner Rechtsprechung ausgeformt hat, ist vorliegend noch kein Raum.

7

Zwar verletzt das SG Osnabrück zwingendes Recht, weil der Verweisungsbeschluss entgegen § 17a Abs 4 S 2 GVG mit keiner Begründung versehen ist. Insoweit genügt nicht die Angabe der angewandten Rechtsnorm im Beschlusstenor. Vielmehr hat die Begründung mindestens auch die für erfüllt oder nicht erfüllt gehaltenen Tatbestandsmerkmale und die dafür ausschlaggebenden tatsächlichen und rechtlichen Gründe zu bezeichnen (zu den Mindestanforderungen an eine Begründung vgl BSG SozR 1500 § 136 Nr 10; BSG Urteil vom 8.2.2007 - B 9b SO 5/05 R; Beschluss vom 6.2.2003 - B 7 AL 32/02 B). Diese Missachtung nicht zur Disposition des einzelnen Richters stehenden Verfahrensrechts allein führt jedoch nicht dazu, dass der Beschluss grob verfahrensfehlerhaft bzw willkürlich wäre (vgl BSG Beschluss vom 25.10.2004 - B 7 SF 20/04 S). Vielmehr ist dem Akteninhalt noch mit ausreichender Sicherheit zu entnehmen, dass die Verweisung des SG Osnabrück zwar auf wohl unzutreffenden, aber nicht auf sachfremden Erwägungen beruht hat, was auch für die Beteiligten erkennbar war.

8

Den Verweisungsbeschluss hat das SG Osnabrück lediglich mit dem Hinweis auf § 57a Abs 3 SGG versehen. Jedoch kann im Hinblick auf seine vorhergehende, unter Verweis auf § 57a Abs 3 und 4 SGG an die Beklagte gerichtete Anfrage, "ob Integrationsverträge ausschließlich mit einzelnen Bundesländern oder auf Bundesebene" bestünden, und die diesbezügliche Antwort geschlossen werden, dass das SG Osnabrück von Verträgen zur integrierten Versorgung "in Bundesländern" ausging. Aufgrund seiner Auslegung des § 57a Abs 3 SGG ist es danach zu dem Ergebnis gelangt, dass im vorliegenden Fall diese Vorschrift die örtliche Zuständigkeit regele und danach das SG Berlin zuständig sei. Die mögliche fehlerhafte Anwendung des § 57a Abs 3 SGG durch das SG ist als solche nicht geeignet, die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses zu beseitigen. Das SG konnte sich nämlich für seine Rechtsauffassung immerhin auf Rechtsprechung des LSG Niedersachsen-Bremen stützen (vgl zB Beschlüsse vom 11.12.2008 - L 4 B 79/08 KR - NdsRpfl 2009, 261, und vom 5.1.2009 - L 1 B 73/08 KR). Den Inhalt der in der Tendenz gegenteiligen Beschlüsse des erkennenden Senats vom 4.1.2012 (B 12 SF 2/11 S - SGb 2012, 369 f, und vom 5.1.2012 - B 12 SF 4/11 S) sowie der dazu verfassten Anmerkung von Bockholdt (SGb 2012, 317) konnte es dagegen noch nicht berücksichtigen. Ob § 57a Abs 3 SGG auch in dem Fall anwendbar ist, dass sich Entscheidungen oder Verträge auf mehrere Länder (hier: Berlin und Brandenburg?) beziehen, oder ob es bei der Zuständigkeitsregelung des § 57 Abs 1 SGG verbleibt(vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 57a RdNr 6), kann hier offenbleiben, weil eine ggf insoweit fehlerhafte Rechtsanwendung durch das SG Osnabrück mangels Anhaltspunkt für besondere, auf ein willkürliches Verhalten hindeutende Umstände ebenfalls die Bindung der Verweisung nicht beseitigen könnte.

9

Allerdings weist der Senat für die Auslegung des § 57a Abs 3 SGG zur Vermeidung wechselseitiger Verweisungen in Fällen der vorliegenden Art darauf hin, dass ebenso wie in Bezug auf § 57a Abs 4 SGG(BSG Beschlüsse vom 4.1.2012 - B 12 SF 2/11 S - SGb 2012, 369 f, und vom 5.1.2012 - B 12 SF 4/11 S) auch für die Sonderregelung bzw Spezialzuweisung des § 57a Abs 3 SGG gelten dürfte, dass die letztgenannte Vorschrift für die örtliche Zuständigkeit Angelegenheiten voraussetzt, die Entscheidungen oder Verträge auf Landesebene "betreffen", und nicht sämtliche Streitigkeiten aus dem Leistungserbringerrecht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) durch diese Vorschrift zugewiesen werden sollten. Aus ähnlichen Gründen wie bei § 57a Abs 4 SGG(vgl Beschlüsse des Senats vom 4.1.2012 und 5.1.2012, aaO) spricht mehr dafür, dass die örtliche Zuständigkeit der dort genannten SGe nur für solche Streitigkeiten aus dem Leistungserbringerrecht der GKV angeordnet wird, die sich ausschließlich auf die Ebene der Entscheidung oder des Vertrages auf Landesebene beziehen, also Entscheidungen oder Verträge auf Landesebene insoweit "betreffen", als diese selbst und unmittelbar im Streit stehen (vgl Bockholdt, aaO, speziell zu Vergütungsstreitigkeiten zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen S 322 f).