Sozialgericht Dortmund Urteil, 18. Aug. 2014 - S 35 AL 827/12
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, mit dem die Beklagte einen an den Kläger gerichtete Bewilligung von Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) aufgehoben hat.
3Der Kläger stand bereits im Jahr 2009 bei der Beklagten im Bezug von Arbeitslosengeld. Zuletzt meldete er sich am 09.05.2012 arbeitslos und stellte einen Antrag auf Arbeitslosengeld. Ausweislich seiner Unterschrift auf dem Antrag auf Arbeitslosengeld erhielt er in diesem Zusammenhang das Merkblatt 1 für Arbeitslose und nahm von dessen Inhalt Kenntnis.
4Hierin heißt es auf Seite 19:
5"Um Anspruch auf Arbeitslosengeld zu haben, müssen Sie für Vermittlungsbemühungen Ihrer Agentur für Arbeit zur Verfügung stehen. Sie müssen
61. persönlich für Ihre Agentur für Arbeit an jedem Werktag unter der von Ihnen benannten Anschrift erreichbar sein und die Agentur für Arbeit auch täglich aufsuchen können. Wenn Sie dennoch beabsichtigen, sich vorübergehend unter einer anderen Anschrift aufzuhalten, benachrichtigen Sie die Agentur für Arbeit rechtzeitig, möglichst innerhalb von einer Woche vor der geplanten Ortsabwesenheit/Reise. Sie wird Sie informieren, ob und unter welcher Bedingung ein leistungsunschädlicher Aufenthalt möglich ist. Verreisen Sie ohne vorherige Unterrichtung und Zustimmung Ihrer Agentur für Arbeit, wird die Bewilligung der Leistung rückwirkend vom Reisebeginn an aufgehoben (vgl. die Hinweise zur Erstattungspflicht in Abschnitt 8.3). Nähere Informationen enthält das Faltblatt "Wissenswertes zum Thema Umzug und Reisen".
7Mit Bescheid vom 21.05.2012 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 01.04.2012 bis zum 30.03.2013 in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von EUR 50,03.
8In einem Beratungsvermerk der Mitarbeiterin der Beklagten, Frau XXX, über ein Gespräch mit dem Kläger am 01.06.2012 heißt es: "Hat Interesse an einer XXX-Weiterbildung im Bereich Schweißen oder als CNC-Maschinen- und Systembediener. Start im Juni bzw. Juli, hier möchte er in den Urlaub fahren v. 09.07.- 29.07.2012. Hingewiesen, dass dann eine Weiterbildung/Umschulung nicht möglich ist und dass OAW 1 Woche vor Antritt angemeldet werden muss."
9Der Kläger reiste am 09.07.2012 in die Türkei ab.
10Am 16.07.2012 setzte der Kläger sich aus der Türkei telefonisch mit der Beklagten in Verbindung. Frau XXX von der Beklagten erstellte diesbezüglich nachfolgenden Telefonvermerk:
11"Anrufer wünscht einen Rückruf durch Hauptbetreuer aus folgendem Grund: Kunde hat Schreiben bekommen bzgl. Kürzungen der Leistungen, weil er zu Terminen nicht erschienen ist. Der Kunde hatte am 11.07.12 und 18.07.12 jeweils einen Termin. Der Kunde ist vom 10.07.2012 bis 30.07.12 im Urlaub (Türkei). Kunde wünscht den Rückruf auf Mobil. Kunden mitgeteilt, dass der AV entscheidet bzgl. des RR in die Türkei. Sollte kein RR erfolgen, dem Kunden mitgeteilt, sich am 31.07.2012 pers. in der zuständigen AA zu melden. OAW ist im Lebenslauf ersichtlich jedoch nicht in der Kundenhistorie. Wiedervorlage auf Hauptbetreuer gesetzt."
12Ein weiterer Vermerk ebenfalls vom 16.07.2012 besagt: "Kein RR, da Kunde sich im Ausland befindet. OAW wurde nicht genehmigt, daher Abmeldung wegen mangelnder Verfügbarkeit, Info an EZ zwecks Erledigung Kolibri."
13Am 17.07.2012 meldete der Kläger sich erneut telefonisch bei der Beklagten. Herr XXX von der Beklagten erstellte diesbezüglich folgenden Verbis-Vermerk:
14"Kd. meldet sich wg. OAW 1007-300712 zurück (vgl. Vermerke 160712). Kd. auf Abmeldung zum 100712 wg. ungenehmigter OAW hingewiesen. Kd. hat neA am 030712 OAW im SC beantragt und genehmigt bekommen. Kein entsprechender Vermerk ersichtlich. Kd hat neA Zeugen für TK. Lt. SC-Vermerk 160712 war Zeitraum d. OAW im LL eingetragen. Kd. auf erneut notwendige pV zur Alome. mit gültigem Pass und aktueller Meldebescheinigung am Tag d. Rückkehr hingewiesen. Kd. mitgeteilt, dass Alt weiterbewilligt werden kann, nach aktuellen Sachstand erst ab Tag d. erneuten Aloe. Kd. will bei pV auch Sachstand OAW klären."
15Mit Bescheid vom 17.07.2012 hob die Beklagte die an den Kläger gerichtete Bewilligung von Arbeitslosengeld für den Zeitraum ab dem 10.07.2012 auf.
16Am 30.07.2012 meldete der Kläger sich persönlich bei der Beklagten zurück. Er führte hierbei erneut aus, dass er am 03.07.2012 im Servicecenter der Beklagten angerufen habe und seine Ortsabwesenheit im Zeitraum vom 10.07.2012 bis zum 30.07.2012 mitgeteilt habe. In diesem Zusammenhang sei er nach seinem Namen, seiner Kundennummer, seiner Telefonnummer und seiner Adresse gefragt worden. Ihm sei mitgeteilt worden, dass er nicht mehr persönlich zu erscheinen brauche, weil seine Ortsabwesenheit aufgenommen worden sei, und man habe ihm einen schönen Urlaub gewünscht. Er kündigte an, eine Auflistung der Telefonate aus dem Monat Juli 2012 zu besorgen und das Telefonat nachzuweisen.
17Ebenfalls am 30.07.2012 beantragte der Kläger erneut Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 03.08.2012 gewährte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 30.07.2012 bis zum 19.04.2013.
18Bereits am 02.08.2012 hatte der Kläger gegen den Aufhebungsbescheid vom 17.07.2012 Widerspruch erhoben. Zur Begründung des Widerspruchs wiederholte er, dass er am 03.07.2012 in der Agentur für Arbeit Plettenberg angerufen habe, um nachzufragen, welche Dokumente er für die Anmeldung seines dreiwöchigen Urlaubs mitbringen müsse. Dort sei ihm gesagt worden, dass er nicht zu erscheinen brauche, weil die Angelegenheit auch telefonisch geregelt werden könne. Auf seine Anregung, doch lieber persönlich zu erscheinen, sei ihm mitgeteilt worden, dass der Anruf völlig ausreichend sei. Seine Ehefrau XXX und deren Freundin XXX hätten das Gespräch mitgehört. Außerdem habe er nunmehr eine Liste seiner ausgegangenen Anrufe für den Monat Juli 2012 angefordert.
19Am 21.08.2012 teilte der Kläger der Beklagten telefonisch mit, dass sein Anbieter keinen Einzelverbindungsnachweis erteilen könne. Er habe mit einer jungen Dame gesprochen, deren Namen er nicht benennen könne.
20Mit Widerspruchsbescheid vom 22.08.2012 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld sei ab dem 10.07.2012 entfallen, weil dieser ab diesem Zeitpunkt nicht mehr im Sinne des 138 Abs.5 Nr.2 SGB III den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung gestanden habe und damit keine Arbeitslosigkeit im Sinne von § 138 Abs.1 SGB III mehr vorgelegen habe. Eine Zustimmung zur Ortsabwesenheit des Klägers im Sinne von § 3 Abs.1 der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit zur Pflicht des Arbeitslosen, Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten zu können (EAO), liege nicht vor. Das vom Kläger vorgetragene Telefonat sei nicht feststellbar und dieser könne auch keine diesbezüglichen Nachweise vorlegen. Zudem sei die vom Kläger vorgetragene "Anmeldung" des Urlaubs nicht ausreichend gewesen. Vielmehr sei vor der erforderlichen Zustimmung seitens der Beklagten zu prüfen gewesen, ob die Vermittlungsbemühungen zugunsten des Klägers durch die Ortsabwesenheit beeinträchtigt würden. Die Beklagte könne ihre Aufhebung sowohl auf die § § 48 Abs.1 Satz 1, 48 Abs.1 Satz 2 Nr.2 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) als auch auf die § § 48 Abs.1 Satz 1, 48 Abs.1 Satz 2 Nr.4 SGB X stützen. Der Kläger sei zunächst seiner durch § 60 Abs.1 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuchs (SGB I) normierten Mitteilungspflicht nicht nachgekommen. Weiter habe er ohne Weiteres erkennen müssen, dass sein Anspruch mit dem 10.07.2012 entfallen sei. Ausreichende Informationen ergäben sich aus dem dem Kläger ausgehändigten Merkblatt 1 der Beklagten.
21Am 21.09.2012 hat der Kläger Klage erhoben.
22Er trägt ergänzend vor, dass seine Beraterin ihm mitgeteilt habe, dass der von ihm beabsichtigte Urlaub grundsätzlich kein Problem sei, er aber vorher erscheinen solle, um den Urlaub konkret zu regeln. Als er die Nebenstelle der Agentur für Arbeit in Werdohl aufgesucht habe, sei diese aber geschlossen gewesen. Den geschilderten Telefonanruf habe er in der Folge vorgenommen. Sofern die Beklagte bei ihr eingehende Telefonanrufe nicht dokumentiere, gehe das zu ihren Lasten. Seine Ehefrau habe das von ihm geführte Telefongespräch in allen Einzelheiten über den eingeschalteten Lautsprecher des Telefons mitverfolgt. Auf Nachfrage des Gerichts hat der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung am 18.08.2014 mitgeteilt, dass er seiner Gesprächspartnerin nicht mitgeteilt habe, dass eine dritte Person das Gespräch mithöre. Der Kläger beantragt,
23den Bescheid vom 17.07.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2012 aufzuheben, hilfsweise, die Sache zu vertagen und die Zeugin XXX in einem weiteren Termin zur mündlichen Verhandlung zum Beweisthema "Anruf des Klägers bei der Beklagten am 03.07.2012" zu vernehmen.
24Die Beklagte beantragt,
25die Klage abzuweisen.
26Sie bezieht sich maßgeblich auf ihren Vortrag im Verwaltungsverfahren.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen.
28Entscheidungsgründe:
29Die zulässige Klage ist unbegründet.
30Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 17.07.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2012 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs.2 Satz 1 SGG). Zu Recht hat die Beklagte mit diesem Bescheid die dem Kläger erteilte Bewilligung von Arbeitslosengeld für den Zeitraum ab dem 10.07.2012 aufgehoben.
31Die Beklagte kann diese Aufhebung auf die §§ 48 Abs.1 Satz 1, 48 Abs.1 Satz 2 Nr.4 SGB X stützen. Gemäß § 48 Abs.1 Satz 1 SGB X ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Gemäß § 48 Abs.1 Satz 2 Nr.4 SGB X soll er mit Wirkung vom Zeitpunkt der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
32Zunächst liegt für den Zeitraum ab dem 10.07.2012 die in § 48 Abs.1 Satz 1 SGB X normierte Voraussetzung einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen vor. Diese wesentliche Änderung besteht darin, dass ab diesem Zeitraum der Kläger nicht mehr im Sinne von § 138 Abs.5 Nr.2 SGB III für die Vermittlungsbemühungen der Beklagten verfügbar war. Diese Verfügbarkeit ist aber gemäß § 138 Abs.1 SGB III Voraussetzung für die Annahme von Arbeitslosigkeit und damit auch für den Bezug von Arbeitslosengeld.
33Verfügbarkeit liegt gemäß § 138 Abs.5 Nr.2 SGB III insbesondere nur dann vor , wenn der Erwerbslose Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann. Im Weiteren werden die Voraussetzungen des § 138 Abs.5 Nr.2 SGB III durch die auf der Grundlage von § 164 Nr.2 SGB III erlassene EAO konkretisiert.
34Gemäß § 1 Abs.1 EAO kann Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten, wer in der Lage ist, unverzüglich
351. Mitteilungen des Arbeitsamtes persönlich zur Kenntnis zu nehmen,&8232;
362. das Arbeitsamt aufzusuchen,
373.mit einem möglichen Arbeitgeber oder Träger einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme in Verbindung zu treten und bei Bedarf persönlich mit diesem zusammenzutreffen und 4. eine vorgeschlagene Arbeit anzunehmen oder an einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme teilzunehmen. Der Arbeitslose hat deshalb sicherzustellen, dass das Arbeitsamt ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift (Wohnung) durch Briefpost erreichen kann.
38Gemäß § 2 EAO kann sich der Arbeitslose vorübergehend auch von seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt entfernen, wenn 1. er dem Arbeitsamt rechtzeitig seine Anschrift für die Dauer der Abwesenheit mitgeteilt hat,&8232; 2. er auch an seinem vorübergehenden Aufenthaltsort die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 erfüllen kann und 3. er sich im Nahbereich des Arbeitsamtes aufhält. Zum Nahbereich gehören alle Orte in der Umgebung des Arbeitsamtes, von denen aus der Arbeitslose erforderlichenfalls in der Lage wäre, das Arbeitsamt täglich ohne unzumutbaren Aufwand zu erreichen.
39Eine Ausnahme zu den Anforderungen der §§ 1,2 EAO normiert § 3 Abs.1 EAO. Hier heißt es: "Erfüllt der Arbeitslose nicht die Voraussetzungen des § 2 Nrn. 1 bis 3, steht dies der Verfügbarkeit bis zu drei Wochen im Kalenderjahr nicht entgegen, wenn das Arbeitsamt vorher seine Zustimmung erteilt hat. In den ersten drei Monaten der Arbeitslosigkeit soll das Arbeitsamt die Zustimmung nur in begründeten Ausnahmefällen erteilen. Die Zustimmung darf jeweils nur erteilt werden, wenn durch die Zeit der Abwesenheit die berufliche Eingliederung nicht beeinträchtigt wird."
40Der Kläger erfüllte während seines Aufenthalts in der Türkei zunächst nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs.1 EAO. Er konnte die dort dargestellten Voraussetzungen, insbesondere die Möglichkeit, die Beklagte unverzüglich aufzusuchen oder unverzüglich mit einem Arbeitgeber oder Träger einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme zusammenzutreffen, in diesem Zeitraum nicht erfüllen. Eine die Verfügbarkeit des Klägers fingierende Zustimmung zur Ortsabwesenheit liegt nach dem von der Kammer zugrundezulegenden Sachverhalt nicht vor. Eine Zustimmung ergibt sich zunächst nicht aus dem von der Beklagten gefertigten Vermerk über ein Gespräch des Klägers mit seiner Arbeitsvermittlerin Frau XXX am 01.06.2012. Zwar hat der Kläger nach dem zur Akte genommenen Verbis-Vermerk darauf hingewiesen, dass er im Zeitraum vom 09.07.2012 bis zum 29.07.2012 in den Urlaub fahren wolle. Eine Zustimmung ergibt sich aus diesem Vermerk jedoch gerade nicht. Vielmehr ist hiernach zwischen dem Kläger und Frau XXX besprochen worden, dass die vom Kläger grundsätzlich anvisierten Weiterbildungsmaßnahmen im Juni beziehungsweise Juli 2013 beginnen sollten und ein solcher Beginn bei einer Urlaubsabwesenheit des Klägers im Juli 2012 nicht möglich sei. Jedenfalls müsse eine Ortsabwesenheit noch eine Woche vor ihrem Antritt angemeldet werden.
41Aus den vom Kläger am 16.07.2012 und am 17.07.2012 mit der Beklagten geführten Telefonaten ergibt sich eine Zustimmung bereits deshalb nicht, weil diese gemäß § 3 Abs.1 EAO nur "vorher" (also vor Beginn der Ortsabwesenheit) erteilt werden kann. Zudem ist den gefertigten Telefonvermerken auch keine nachträgliche Zustimmung der Beklagten zur Ortsabwesenheit des Klägers zu entnehmen. Vielmehr wurde der vom Kläger erbetene Rückruf seines Arbeitsvermittlers in dem Gespräch am 16.07.2012 von dessen weiterer Entscheidung abhängig gemacht. Im weiteren Telefongespräch vom 17.07.2012 ist dem Kläger nach dem Stand der Akte ausdrücklich verdeutlicht worden, dass die Beklagte von einer ungenehmigten Ortsabwesenheit ausging und den Kläger aus diesem Grund aus dem Leistungsbezug "abgemeldet" hatte.
42Weiter kann der Entscheidung der Kammer nicht eine vom Kläger vorgetragene telefonische Zustimmung zu seiner Ortsabwesenheit am 03.07.2012 zugrundegelegt werden. Diese von der Beklagten ausdrücklich bestrittene Zustimmung ließ sich nach den der Urteilsfindung zugrundeliegenden Sachverhaltsermittlungen nämlich nicht nachweisen; auch ein Nachweis durch weitere Sachverhaltsermittlungen im Sinne des von ihm gestellten Hilfsantrags wäre – wie noch weiter auszuführen ist - zur Überzeugung der Kammer nicht möglich gewesen.
43Dieses Beweisergebnis geht zur Überzeugung der Kammer zu Lasten des Klägers. Zwar ist im Rahmen eines Aufhebungsverfahrens grundsätzlich die Behörde hinsichtlich der Voraussetzungen einer Aufhebung beweisbelastet. Ob diese Beweislastverteilung auch für die Negativtatsache der fehlenden Zustimmung der Beklagten zur Ortsabwesenheit des Klägers gilt (so wohl für die Negativtatsache der fehlenden Mitteilung eines Wohnortwechsels im Rahmen von § 48 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB X Hessisches LSG, Urteil vom 20.01.2011, L 7 AL 209/10 ZVW - juris (Rdnr.17 ff.)) oder ob der Kläger diesen für ihn günstigen und zur Fiktion der Verfügbarkeit führenden Ausnahmetatbestand nachzuweisen hat (grds. zur Beweislastverteilung nach den Maßstäben des materiellen Rechts BSG, Urteil vom 26.11.1992, 7 Rar 38/92 - juris (Rdnr.23)), kann zur Überzeugung der Kammer aber dahinstehen. Auch sofern man die Beweislast auch diesbezüglich der Beklagten auferlegt, ergibt sich im vorliegenden Fall nämlich ein Beweis des ersten Anscheins für eine fehlende Zustimmung zur Ortsabwesenheit des Klägers, der zur Überzeugung der Kammer nicht durch weitere Sachverhaltsermittlungen entkräftet werden kann. Ein solcher Beweis des ersten Anscheins ergibt sich aus einem aus der Lebenserfahrung beruhenden Schluss, dass gewisse typische Sachverhalte regelmäßig bestimmte Folgen auslösen (LSG Berlin, Urteil vom 04.04.2003, L 10 AL 96/01 - juris (Rdnr.26); LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.04.2014, L 18 KN 120/12 - juris (Rdnr.27)). Zur Überzeugung des Gerichts wäre es jedoch die typische Folge einer telefonisch erteilten Zustimmung zur Ortsabwesenheit eines Empfängers von Arbeitslosengeld, dass der Zustimmende diese durch einen Vermerk (insbesondere im Verbis-System der Beklagten) dokumentiert. Die Zustimmung zur Ortsabwesenheit ist nämlich für die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld maßgeblich und damit rechtserheblich. Sie darf nur erteilt werden, wenn durch die Zeit der Abwesenheit die berufliche Eingliederung nicht beeinträchtigt wird. Sie setzt also in jedem Fall eine Prüfung der Vermittlungssituation des Arbeitslosen voraus und kann nicht "ohne Weiteres" erfolgen. Dies galt insbesondere im vorliegenden Fall, weil die Zustimmung in den ersten drei Monaten (die Arbeitslosmeldung des Klägers war am 09.05.2012 erfolgt) der Arbeitslosigkeit gemäß § 3 Abs.1 Satz 2 EAO nur in Ausnahmefällen erteilt werden soll. Im vorliegenden Fall kam weiter hinzu, dass gemäß dem Vermerk vom 01.06.2012 für den Monat Juli 2012 eine Weiterbildung des Klägers in Betracht kam. Gleichwohl finden sich in der Verwaltungsakte der Beklagten keinerlei Anhaltspunkte für ein Telefongespräch des Klägers mit der Beklagten am 03.07.2012 und damit auch nicht für eine an diesem Tag telefonisch erteilte Zustimmung zur Ortsabwesenheit. Auch aus dem weiteren Ablauf der Akte ergeben sich keine Hinweise darauf, dass ein wie auch immer gearteter telefonischer Kontakt des Klägers mit der Beklagten am 03.07.2012 stattgefunden hat. Im Telefonvermerk vom 17.07.2012 heißt es ausdrücklich, dass kein Vermerk über ein früheres Gespräch des Klägers vom 03.07.2012 vorliege.
44Die Möglichkeit weiterer Sachverhaltsermittlungen, die zum Nachweis der vom Kläger vorgetragenen Zustimmung führen konnten, sah die Kammer nicht. Der Kläger konnte die Mitarbeiterin der Beklagten, die ihm gemäß seinem Vortrag eine Zustimmung zu der von ihm geplanten Ortsabwesenheit erteilt hatte, nicht benennen. Weiter sah die Kammer sich nicht veranlasst, den Sachverhalt durch eine Vernehmung der Ehefrau des Klägers, Frau XXX, weiter aufzuklären. Eine solche Vernehmung hätte nur dann zum Nachweis einer dem Kläger erteilten Zustimmung führen können, wenn Frau XXX glaubhaft ausgesagt hätte, dass die vom Kläger in Bezug genommene Mitarbeiterin der Beklagten eine Erklärung abgegeben hat, die vom Horizont eines verständigen Empfängers im Sinne von §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) als Zustimmung zur Ortsabwesenheit gemäß § 3 Abs.1 EAO gewertet werden konnte. Hierfür hätte Frau XXX zur Überzeugung der Kammer die Erklärungen der Mitarbeiterin wiedergeben müssen; die bloße Schilderung von Reaktionen des Klägers auf die Aussagen eines telefonischen Gesprächspartners wäre für den Nachweis einer Zustimmung dagegen nicht ausreichend gewesen.
45Zwar hat der Kläger vorgetragen, dass seine Ehefrau das von ihm genannte Telefongespräch über den eingeschalteten Lautsprecher seines Telefons mitgehört habe. Da der Kläger seine Gesprächspartnerin - wie er auf Nachfrage der Kammer ebenfalls mitgeteilt hat - jedoch nicht hierüber unterrichtet und damit auch nicht deren Zustimmung zum Mithören des Telefongesprächs durch einen Dritten erhalten hat, wäre eine diesbezügliche Aussage der Frau XXX nicht verwertbar gewesen. Sowohl die Vernehmung der Zeugin Güzel über von ihr mitgehörte telefonische Äußerungen der vom Kläger nicht näher benannten Mitarbeiterin der Beklagten als auch die Verwertung dieser Aussage hätte das durch Art.2 Abs.1 i. V.m. Art.1 Abs.1 des Grundgesetzes (GG) geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht dieser Mitarbeiterin verletzt.
46Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinen Beschlüssen vom 09.10.2002, 1 BvR 1611/96; 1 BvR 805/98 - juris umfänglich mit der Fragestellung der Verwertung von Zeugenaussagen über den Inhalt von Telefongesprächen, die von den Zeugen über eine Mithörvorrichtung mit Wissen nur eines der Gesprächspartner mitverfolgt worden waren, auseinandergesetzt (hierauf Bezug nehmend für den Zivilprozess u.a. BGH, Urteil vom 18.02.2003, XI ZR 165/02 - juris (Rdnr.14); BGH, Urteil vom 17.02.2010, VIII ZR 70/07- juris (Rdnr.28), die Rechtsfrage für das sozialgerichtliche Verfahren mangels Entscheidungserheblichkeit offenlassend LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17.07.2014, L 16 KR 429/13 - juris (Rdnr.43).
47In den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts heißt es in den Rdnrn. 32,33 (juris):
48"In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass das Grundgesetz neben dem Recht am eigenen Bild auch das Recht am gesprochenen Wort schützt (vgl. BVerfGE 34, 238 (246 f.); 54, 148 (154)). Dieses gewährleistet die Selbstbestimmung über die eigene Darstellung der Person in der Kommunikation mit anderen (vgl. BVerfGE 54, 148 (155)). Der Schutz umfasst die Möglichkeit, sich in der Kommunikation nach eigener Einschätzung situationsangemessen zu verhalten und sich auf die jeweiligen Kommunikationspartner einzustellen. Zum Grundrecht gehört die Befugnis selbst zu bestimmen, ob der Kommunikationsinhalt einzig dem Gesprächspartner, einem bestimmten Personenkreis oder der Öffentlichkeit zugänglich sein soll (vgl. BVerfGE 54, 148 (155) unter Bezugnahme auf BGHZ 27, 284 (286); vgl. auch BAGE 41, 37 (42) sowie - unter Anschluss an diese Entscheidung - BGH, NJW 1991, S. 1180). Das Selbstbestimmungsrecht erstreckt sich also auf die Auswahl der Personen, die Kenntnis vom Gesprächsinhalt erhalten sollen. Dieses Selbstbestimmungsrecht findet einen Ausdruck in der Befugnis des Menschen, selbst und allein zu entscheiden, ob sein Wort auf einen Tonträger aufgenommen und damit möglicherweise Dritten zugänglich werden soll, womit Wort und Stimme von dem Kommunikationsteilnehmer losgelöst und in einer für Dritte verfügbaren Gestalt verselbständigt werden (vgl. grundlegend BVerfGE 34, 238 (246 f.); BGHZ 27, 284). Menschliche Kommunikation soll durch das Grundrecht dagegen geschützt sein, dass die Worte - eine vielleicht unbedachte oder unbeherrschte Äußerung, eine bloß vorläufige Stellungnahme im Rahmen eines sich entfaltenden Gesprächs oder eine nur aus einer besonderen Situation heraus verständliche Formulierung - bei anderer Gelegenheit und in anderem Zusammenhang hervorgeholt werden, um durch Inhalt, Ausdruck oder Klang gegen den Sprechenden zu zeugen." Schutz besteht in diesem Zusammenhang nicht nur vor der heimlichen Aufnahme von Gesprächen, sondern auch davor, dass ein Kommunikationspartner ohne Kenntnis des anderen eine dritte Person als Zuhörer in das Gespräch mit einbezieht oder die unmittelbare Kommunikationsteilhabe durch den Dritten gestattet (BVerfG, a.a.O., juris (Rdnr.34).
49Im Hinblick darauf, dass der Schutz des gesprochenen Worts grundsätzlich unabhängig vom Inhalt des von den Partnern des Telefonats geführten Gesprächs ist, führt das Bundesverfassungsgericht in den Rdnrn. 36/37 (juris) der vorgenannten Beschlüsse aus: "Demgegenüber ist der Schutz des Rechts am gesprochenen Wort nicht auf bestimmte Inhalte und Örtlichkeiten begrenzt, sondern bezieht sich allein auf die Selbstbestimmung über die unmittelbare Zugänglichkeit der Kommunikation, also etwa über die Herstellung einer Tonaufnahme oder die Kommunikationsteilhabe einer dritten Person. Der Schutz des Rechts am gesprochenen Wort hängt weder davon ab, ob es sich bei den ausgetauschten Informationen um personale Kommunikationsinhalte oder gar besonders persönlichkeitssensible Daten handelt, noch kommt es auf die Vereinbarung einer besonderen Vertraulichkeit der Gespräche an. Vielfach lässt sich nicht vorhersehen, in welche Richtung ein Gespräch verläuft. So kann eine Unterhaltung, die sich zunächst auf nicht besonders geheimhaltungsbedürftige geschäftliche Dinge beschränkt, in ein persönliches Gespräch übergehen oder ein persönliches in ein geschäftliches mit sensiblen Inhalten. Dem Gespräch einen neuen Verlauf geben zu können, ohne die eigene Unbefangenheit in der Kommunikation verlieren zu müssen, ist vom Selbstbestimmungsrecht der Kommunikationsteilnehmer umfasst. Dieses Selbstbestimmungsrecht soll den Sprecher auch befähigen, sich auf mögliche Folgen der Kommunikation einzustellen. Wäre ihm etwa bewusst, dass ein Dritter zuhört, so dass bei einer anschließenden rechtlichen Auseinandersetzung ein Beweismittel zur Verfügung steht (vgl. BGH, NJW 1970, S. 1848; NJW 1991, S.1180; BAGE 41, 37), könnte der Sprecher vor dem Hintergrund einer andernfalls bestehenden eigenen Beweislosigkeit entscheiden, jedwede Äußerung von rechtlicher Relevanz zu unterlassen. Er könnte sich auch um einen behutsameren Gebrauch solcher Formulierungen bemühen, die unter Umständen beweiserheblich werden. Oder er könnte seinerseits dafür sorgen, über ein eigenes Beweismittel zu verfügen. Solche Möglichkeiten, sich am jeweiligen Kommunikationspartner auszurichten und sich im Hinblick auf die eigenen Kommunikationsinteressen situationsangemessen zu verhalten, werden ihm genommen, wenn nicht in seiner Entscheidung steht, wer die Kommunikationsinhalte unmittelbar wahrnehmen kann."
50Nach diesen Maßgaben war es zur Überzeugung der Kammer unerheblich, dass die vom Kläger angegebene Gesprächspartnerin - seinen Vortrag unterstellt - das Telefongespräch in ihrer Funktion als Mitarbeiterin der Beklagten geführt hat und allein über Themen gesprochen hat, die ihren dienstlichen Bereich betrafen. Auch in diesem Zusammenhang bedurfte sie eines Schutzes dagegen, dass "eine vielleicht unbedachte oder unbeherrschte Äußerung, eine bloß vorläufige Stellungnahme im Rahmen eines sich entfaltenden Gesprächs oder eine nur aus einer besonderen Situation heraus verständliche Formulierung - bei anderer Gelegenheit und in anderem Zusammenhang hervorgeholt werden, um durch Inhalt, Ausdruck oder Klang gegen den Sprechenden zu zeugen." Auch - und gerade - in diesem Zusammenhang bedurfte sie überdies der Fähigkeit, sich auf mögliche Folgen der Kommunikation einzustellen, gegebenenfalls eine erhöhte Vorsicht bei Äußerungen mit rechtlicher Relevanz walten zu lassen oder sich ihrerseits Beweismittel zu sichern. Überdies bestand auch hier die Möglichkeit, dass das Gespräch, das zunächst einen rein "dienstlichen" Inhalt hatte, in ein solches überging, das auch persönliche Elemente enthielt.
51Eine Einwilligung der Gesprächspartnerin des Klägers lag nicht vor. Der Kläger selbst hat erklärt, dass er seine Gesprächspartnerin nicht darüber informiert hat, dass seine Ehefrau das Telefonat mithöre. Auch von einer konkludenten Einwilligung ist nicht auszugehen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Voraussetzung einer stillschweigenden Einwilligung in den vorab zitierten Beschlüssen (Rdnrn. 50-52- juris) wie folgt dargestellt:
52"Die Annahme einer stillschweigenden Einwilligung in das Mithören erfordert insoweit entsprechende Feststellungen der Gerichte, die sie unter hinreichender Berücksichtigung des grundrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts der Gesprächsteilnehmer zu bewerten haben. Aus der tatsächlichen Verbreitung eines bestimmten Verhaltens in Verbindung mit dem Fehlen eines vorsorglichen Widerspruchs allein kann die konkludente Einwilligung des davon nachteilig Betroffenen nicht geschlossen werden (vgl. die Rechtsprechung zu der Problematik einer konkludenten Einwilligung in eine Telefonwerbung BGH, NJW 1989, S. 2820; JZ 1990, S. 251; OLG Köln, NJW-RR 1993, S. 753). Es hätte daher auch der Feststellung bedurft, dass in den jeweils beteiligten Kreisen das Unterbleiben eines Widerspruchs auf Grund einer Verkehrssitte als stillschweigende Einwilligung gedeutet wird. Das bloße faktische Verbreitetsein von Mithöreinrichtungen rechtfertigt nicht einmal den Schluss auf deren allgemeine Nutzung zum Mithören durch Dritte. Die an den Telefongeräten angebrachten Mithöreinrichtungen (Lautsprecher oder Zweithörer) dienen unterschiedlichen Zwecken. So begründen sie eine technische Option für die Gesprächsteilnehmer, den Kreis der Kommunikationspartner zu erweitern. Daneben kann die Lautsprecherfunktion aber auch dazu genutzt werden, während des Telefonierens beide Hände frei zu haben, um sich Notizen zu machen oder in Unterlagen zu blättern, ohne das Gespräch unterbrechen zu müssen. Ob dafür geeignete Einrichtungen üblicherweise zum Mithören Dritter ohne Kenntnis des Gesprächspartners eingesetzt werden, haben die Gerichte in den Ausgangsverfahren nicht festgestellt. Aber selbst wenn das heimliche Mithören in bestimmten Bereichen, beispielsweise im Geschäftsverkehr, faktisch häufig oder gar weitgehend üblich sein sollte, reichte dies nicht, um das Fehlen der Einwilligung in das Mithören deshalb als unerheblich anzusehen, weil der Gesprächspartner nicht widersprochen hat. Aus dem Umstand allein, dass jemand von einer Mithörmöglichkeit Kenntnis hat, folgt jedenfalls nicht notwendig, dass er mit einem tatsächlichen Mithören auch rechnet und zugleich stillschweigend einverstanden ist (vgl. auch BVerfGE 85, 386 (398) zu der vergleichbaren Problematik im Fernmeldeverkehr). Dies gilt auch, wenn ein Gespräch zunächst von einer anderen Person entgegengenommen und dann an den maßgebenden Gesprächspartner weitergereicht wird. In solchen Fällen ist schon zweifelhaft, ob es üblich ist, dass die zuerst eingeschaltete Person weiter mithört." Nach Auffassung der Kammer kann es überdies auch nicht als allgemeinüblich oder sozialadäquat angesehen werden, dass bei Telefonaten zwischen Leistungsempfängern und Mitarbeitern der Beklagten eine dritte Person "heimlich" mithört, so dass ohne ausdrücklichen Widerspruch des Kommunikationspartners von dessen stillschweigender Einwilligung ausgegangen werden könnte (vgl. hierzu BVerfG, a.a.O.,Rdnr. 53).
53Die durch eine Vernehmung der Zeugin XXX hinsichtlich des Telefongesprächs gezeitigte Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Mitarbeiterin der Beklagten wäre auch nicht gerechtfertigt gewesen. Eine entsprechende Rechtfertigung kommt insbesondere im Strafprozess bei der Verfolgung besonders schwerer Straftaten, daraüberhinaus auch beim Bestehen eines Notwehrrechts und bei kriminellen Angriffen auf die berufliche Existenz eines Verfahrensbeteiligten in Betracht (BVerfG, a.a.O., Rdnr.62-64). Eine vergleichbare Situation ist hier nicht ersichtlich. Da durch eine Vernehmung der Zeugin XXX und ihre Verwertung eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der nicht näher genannten Mitarbeiterin der Beklagten eingetreten wäre, kann die Frage dahinstehen, ob auch die Beklagte als juristische Person des öffentlichen Rechts Trägerin des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sein und sich hierauf berufen kann (vgl. zur Frage der Grundrechtsbindung und - verpflichtung gemischtwirtschaftlicher Unternehmen BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011 – 1 BvR 699/06 –, BVerfGE 128, 226-278 - juris). Die Bewilligung des Klägers konnte auch für den Zeitraum ab der Änderung der Verhältnisse - mithin ab dem 10.07.2012 - aufgehoben werden.
54Die Voraussetzungen des § 48 Abs.1 Satz 2 Nr.4 SGB X lagen vor. Der Kläger musste den Wegfall seines Anspruchs für den Zeitraum ab dem 10.07.2012 ohne Weiteres kennen, so dass ihn diesbezüglich zumindest eine grob fahrlässige Unkenntnis trifft. Das Merkblatt 1 der Beklagten weist in der im Tatbestand zitierten Textpassage unmissverständlich daraufhin, dass für die Annahme einer leistungsunschädlichen Ortsabwesenheit nicht nur eine Anmeldung bei der Beklagten, sondern auch deren Zustimmung zur Ortsabwesenheit erforderlich war. Dass eine Prüfung der Voraussetzungen für eine Zustimmung unter Gesichtspunkten der Arbeitsvermittlung erforderlich war, ergab sich um so mehr daraus, dass die Auswirkungen einer Ortsabwesenheit des Klägers auf eine von ihm grundsätzlich anvisierte Weiterbildungsmaßnahme Gegenstand des Gesprächs mit seiner Arbeitsvermittlerin am 01.06.2012 waren. Auch bei zweideutigen Aussagen einer telefonischen Gesprächspartnerin, die über die Auswirkungen einer Ortsabwesenheit des Klägers auf seine Vermittlungschancen gar nicht befinden konnte, wäre der Kläger gehalten gewesen, sich nochmals bei der Beklagten - ggf. im Rahmen einer persönlichen Vorsprache - zu erkundigen. Jedenfalls nach den Telefonaten mit der Beklagten am 16.07.2012 und am 17.07.2012 war dem Kläger überdies positiv bewusst, dass die Beklagte von einer ungenehmigten Ortsabwesenheit ausging.
55Die Beklagte war aufgrund der Vorschrift des § 330 Abs.3 Satz 1 SGB III von der Ermessensausübung entbunden.
56Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Sozialgericht Dortmund Urteil, 18. Aug. 2014 - S 35 AL 827/12
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Urteil einreichenSozialgericht Dortmund Urteil, 18. Aug. 2014 - S 35 AL 827/12 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).
(1) Arbeitslos ist, wer Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer ist und
- 1.
nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit), - 2.
sich bemüht, die eigene Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen), und - 3.
den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit).
(2) Eine ehrenamtliche Betätigung schließt Arbeitslosigkeit nicht aus, wenn dadurch die berufliche Eingliederung der oder des Arbeitslosen nicht beeinträchtigt wird.
(3) Die Ausübung einer Beschäftigung, selbständigen Tätigkeit, Tätigkeit als mithelfende Familienangehörige oder mithelfender Familienangehöriger (Erwerbstätigkeit) schließt die Beschäftigungslosigkeit nicht aus, wenn die Arbeits- oder Tätigkeitszeit (Arbeitszeit) weniger als 15 Stunden wöchentlich umfasst; gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer bleiben unberücksichtigt. Die Arbeitszeiten mehrerer Erwerbstätigkeiten werden zusammengerechnet.
(4) Im Rahmen der Eigenbemühungen hat die oder der Arbeitslose alle Möglichkeiten zur beruflichen Eingliederung zu nutzen. Hierzu gehören insbesondere
- 1.
die Wahrnehmung der Verpflichtungen aus der Eingliederungsvereinbarung, - 2.
die Mitwirkung bei der Vermittlung durch Dritte und - 3.
die Inanspruchnahme der Selbstinformationseinrichtungen der Agentur für Arbeit.
(5) Den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit steht zur Verfügung, wer
- 1.
eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für sie oder ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben kann und darf, - 2.
Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann, - 3.
bereit ist, jede Beschäftigung im Sinne der Nummer 1 anzunehmen und auszuüben, und - 4.
bereit ist, an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilzunehmen.
(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit
- 1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, - 2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, - 3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder - 4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.
(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.
(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.
(1) Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, hat
- 1.
alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen, - 2.
Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen, - 3.
Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen.
(2) Soweit für die in Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Angaben Vordrucke vorgesehen sind, sollen diese benutzt werden.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.
(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.
(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.
(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.
(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit
- 1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, - 2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, - 3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder - 4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.
(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.
(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.
(1) Arbeitslos ist, wer Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer ist und
- 1.
nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit), - 2.
sich bemüht, die eigene Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen), und - 3.
den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit).
(2) Eine ehrenamtliche Betätigung schließt Arbeitslosigkeit nicht aus, wenn dadurch die berufliche Eingliederung der oder des Arbeitslosen nicht beeinträchtigt wird.
(3) Die Ausübung einer Beschäftigung, selbständigen Tätigkeit, Tätigkeit als mithelfende Familienangehörige oder mithelfender Familienangehöriger (Erwerbstätigkeit) schließt die Beschäftigungslosigkeit nicht aus, wenn die Arbeits- oder Tätigkeitszeit (Arbeitszeit) weniger als 15 Stunden wöchentlich umfasst; gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer bleiben unberücksichtigt. Die Arbeitszeiten mehrerer Erwerbstätigkeiten werden zusammengerechnet.
(4) Im Rahmen der Eigenbemühungen hat die oder der Arbeitslose alle Möglichkeiten zur beruflichen Eingliederung zu nutzen. Hierzu gehören insbesondere
- 1.
die Wahrnehmung der Verpflichtungen aus der Eingliederungsvereinbarung, - 2.
die Mitwirkung bei der Vermittlung durch Dritte und - 3.
die Inanspruchnahme der Selbstinformationseinrichtungen der Agentur für Arbeit.
(5) Den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit steht zur Verfügung, wer
- 1.
eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für sie oder ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben kann und darf, - 2.
Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann, - 3.
bereit ist, jede Beschäftigung im Sinne der Nummer 1 anzunehmen und auszuüben, und - 4.
bereit ist, an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilzunehmen.
Die Bundesagentur wird ermächtigt, durch Anordnung Näheres zu bestimmen
- 1.
zu den Eigenbemühungen von Arbeitslosen (§ 138 Absatz 1 Nummer 2, Absatz 4), - 2.
zu den Pflichten von Arbeitslosen, Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung Folge leisten zu können (§ 138 Absatz 5 Nummer 2), und - 3.
zu den Voraussetzungen einer Zustimmung zur Teilnahme an Bildungsmaßnahmen nach § 139 Absatz 3.
(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit
- 1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, - 2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, - 3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder - 4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.
(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.
(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 2.7.2012 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Streitig ist Regelaltersrente.
3Der 1938 in Marokko geborene Kläger kam 1963 unter dem Namen B D nach Deutschland und war hier bis Juni 1978 erwerbstätig, zunächst vom 16.4.1963 bis zum 28.8.1965 als Kranhelfer bei der Bauunternehmung P KG X, danach vom 31.8.1965 bis zum 30.4.1969 bei der Stadt X, vom 5.5.1969 bis zum 31.3.1970 bei der G & Co. KG X und zuletzt als Fahrzeugreiniger vom 1.7.1970 bis zum 30.6.1978 bei der (damaligen) Deutschen Bundesbahn, Bahnwerk X W. Während der Tätigkeit bei der Stadt X will der Kläger am 9.10. und am 10.12.1966 Arbeitsunfälle mit Verletzung im Kopfbereich erlitten haben. Während der Tätigkeit bei der Deutschen Bahn AG erlitt er am 9.10.1970 einen Arbeitsunfall mit Knieverletzung rechts. Wegen der Unfallfolgen "Leichtes Wackelknie rechts infolge einer Lockerung des äußeren Seitenbandes, Muskelminderung am rechten Ober- und Unterschenkel und beginnende chronisch verbildende Veränderungen im rechten Kniegelenk" gewährte ihm die Eisenbahn Unfallkasse (EUK) "Unfallrente" nach einer MdE um 20 vH. Diese "Unfallrente" wurde später abgefunden (Bescheid vom 2.6.1978; Betrag: DM 64.060,20). Am 24.6.1978 reiste der Kläger zurück nach Marokko und lebt seither dort.
4Am 9.6.1978, also kurz vor seiner Ausreise, beantragte der Kläger bei der Bahnversicherungsanstalt (fortan: BVA), Rechtsvorgängerin der Beklagten bis zum 30.9.2005, die Erstattung der von ihm zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichteten Arbeitnehmerbeiträge und fügte dem Antrag eine beglaubigte Vollmacht für seinen Stiefbruder M B bei, auf dessen Konto bei der Stadt Sparkasse X das Geld überwiesen werden solle. Die Beklagte leitete den Antrag (mit Entgeltbescheinigungen) am 1.12.1978 weiter an ihre Bezirksleitung in S und informierte den Kläger darüber schriftlich (nach Marokko). Nachdem die vor dem 1.7.1970 für den Kläger zuständige LVA Rheinprovinz (seit dem 1.10.2005: DRV Rheinland) die Versicherungskarten 1 und 2 übermittelt hatte, fragte die BVA beim Stiefbruder des Klägers (als Bevollmächtigtem) schriftlich nach, aus welchen Gründen 1964, 1965 und 1970 nicht belegte Zeiträume vorhanden seien (Anfrage vom 30.3.1979). Dazu teilte der Kläger selbst handschriftlich mit, er sei in den fraglichen Zeiträumen in Marokko im Urlaub gewesen (Schreiben vom 16.5.1979).
5Die BVA erstattete dem Kläger "nach § 1303 RVO" die Hälfte der von ihm in der Zeit vom 16.4.1963 bis zum 30.6.1978 zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichteten Pflichtbeiträge. Die Erstattung schließe weitere Ansprüche aus den bisher zurückgelegten Versicherungszeiten und das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung aus, auch wenn die für diese Zeiten entrichteten Beiträge nicht erstattet worden seien. Die Erstattung in Höhe von DM 19.655,30 erfolgte wunschgemäß an den Stiefbruder des Klägers (an den Kläger in Marokko adressierter Bescheid vom 29.5.1979, abgesandt am 5. Juni 1979). Ein Zustellungsnachweis oder ein Überweisungsbeleg (auf das Konto des Stiefbruders) findet sich nicht in den Akten. Ein in den Akten befindlicher "Beitragsnachweis" für 1970-1972 sowie die ebenfalls in den Akten befindlichen Versicherungskarten 1-3 der LVA Rheinprovinz einschließlich Aufrechnungsbescheinigung enthalten sämtlich den Stempelaufdruck "Beiträge nach § 1303 RVO erstattet".
6Im Oktober 2009 beantragte der Kläger unter seinem jetzigen neuen Namen bei der Beklagten als Rechtsnachfolgerin der BVA Altersrente ("pension de vieillesse") mit der Begründung, er habe 15 Jahre in Deutschland gearbeitet. Die Beklagte entnahm den bei ihr elektronisch gespeicherten Daten, dass 1978 eine Beitragserstattung erfolgt war, und lehnte den Antrag deshalb ab.
7Im Mai 2010 stellte der Kläger (dieses Mal auf Deutsch) einen weiteren Rentenantrag ("Rentenbetrag"), den die Beklagte in einem zweisprachig in Deutsch und Französisch gehaltenen Bescheid aus den gleichen Gründen ablehnte (Bescheid vom 14. September 2010). Mit seinem Widerspruch trug der Kläger vor, er habe das Recht von seiner Versicherung und seine Renten immer noch nicht erhalten. Er habe in Deutschland drei Unfälle erlitten, bei denen zweimal der Kopf und einmal das Knie betroffen gewesen seien. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 4.7.2011).
8Dagegen hat der Kläger am 5.8.2011 Klage zum Sozialgericht (SG) Dortmund erhoben und seinen Rentenanspruch weiter verfolgt. Er habe lange in der Bundesrepublik Deutschland gearbeitet, sei dort krank gewesen und habe drei Unfälle erlitten. Eine Erstattung habe er nicht erhalten. Er möchte seine "Rechtsrenten" erhalten.
9Die Beklagte hat ihre Entscheidung weiter für richtig gehalten.
10Nach Hinweis auf die beabsichtigte Entscheidung durch Gerichtsbescheid hat das SG die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 2.7.2012, ein Zustellungsnachweis befindet sich nicht in den Akten).
11Gegen diese Entscheidung hat sich der Kläger mit am 5.9.2012 beim SG und am 12.9.2012 beim erkennenden Gericht eingegangenem Schreiben vom 8.8.2012 gewandt, darauf hingewiesen, dass er den Bescheid vom SG erhalten habe und seine Angelegenheit auf "Altersrenten als Krankgeld" weiterverfolge. Er habe schon drei Unfälle gehabt, sei damals krank geworden und sei jetzt noch krank. Deswegen sei er in seine Heimat zurückgereist und dort geblieben. Er bitte um sein Recht auf Altersrente von seiner Versicherung. Er hat im Berufungsverfahren einen Bescheid der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen (UK NRW) vom 1.2.2013 zu den Akten gereicht, mit dem ein Anspruch auf Entschädigung wegen eines Unfalls aus dem Jahr 1966 abgelehnt wurde.
12Der Kläger ist zum Termin zur mündlichen Verhandlung mit dem Hinweis geladen worden, dass auch im Falle seines Ausbleibens verhandelt und entschieden werden könne. Er hat mitgeteilt, er habe die Ladung zum Termin erhalten, könne selbst nicht anreisen, warte auf den Termin und traue dem Gericht (Schreiben vom 13.3.2014).
13Im Termin zur mündlichen Verhandlung ist für den Kläger niemand erschienen.
14Die Beklagte beantragt,
15die Berufung zurückzuweisen.
16Sie hält ihrer Entscheidung sowie den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
17Der Senat hat eine Auskunft der EUK eingeholt. Aufgrund eines Schreibens des Klägers vom 25.5.2010 sei ein "mehrmaliger Schriftverkehr" erfolgt, in den auch die zuständige Verbindungsstelle einbezogen worden sei. Nachdem der Kläger nicht mehr reagiert habe, sei Anfang 2012 weiterer Handlungsbedarf nicht mehr gesehen worden.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten einschließlich der Verwaltungsakten der früheren BVA, der beigezogenen Verwaltungsakten der EUK und der Gerichtsakten Bezug genommen. Sämtliche Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
19Entscheidungsgründe:
20Der Senat kann trotz Nichterscheinens des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung entscheiden. Denn der Kläger ist in der ordnungsgemäß erfolgten Ladung (§§ 63 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), 175 Zivilprozessordnung iVm Art 31 Abs. 1 Satz 3 des Deutsch-Marokkanischen Sozialversicherungsabkommens (DMSVA) vom 25.03.1981, in Kraft seit dem 01.08.1986, BGBl II 1986; 550 ff, 562, 772) auf diese Möglichkeit hingewiesen worden. Das Schreiben des Klägers vom 13.3.2014 bietet keine Veranlassung, von einer Entscheidung abzusehen und den Termin aufzuheben oder zu verlegen, weil der Kläger einen solchen Antrag weder ausdrücklich noch konkludent gestellt hat, sondern sein Nichterscheinen zum Termin und außerdem - sinngemäß - erklärt hat, er sei auch mit einer Entscheidung in seiner Abwesenheit einverstanden.
21Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht und wirksam eingelegt worden. Der Gerichtsbescheid vom 2.7.2012 wurde dem Kläger ausweislich der Akten am 5.7.2012 zugesandt. Die Frist zur Einlegung der Berufung beträgt drei Monate seit der Zustellung, §§ 153 Abs 1 iVm § 87 Abs 1 S 2, 151 SGG (allgemeine Meinung, vgl BSG SozR Nr. 11 zu § 151 SGG). Auch wenn sich bei den Akten kein Zustellungsnachweis befindet und der genaue Zeitpunkt der Übergabe/Zustellung des Gerichtsbescheides deshalb nicht feststeht, ist doch die Berufung unabhängig vom genauen Zeitpunkt des Zugang des angefochtenen Gerichtsbescheids selbst mit dem Eingang beim Landessozialgericht am 12.9.2012 noch innerhalb der Dreimonatsfrist und damit fristgerecht eingegangen.
22Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 14.9.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.7.2011 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte den Anspruch des Klägers auf (Regel-)Altersrente erneut ablehnt. Nur gegen diese ablehnende Regelung wendet sich der Kläger, wenn er unter Hinweis auf seine 15jährige Beschäftigungszeit in Deutschland (mit unterschiedlichen Formulierungen) eine Altersrente aus seiner Versicherung begehrt. Soweit er außerdem auf seine 3 (Arbeits-)Unfälle und seine daraus resultierenden Krankheiten hinweist, dient dieses Vorbringungen (nur) zur Untermauerung des Rentenanspruchs. Dass er insoweit nicht weitergehende Ansprüche gegen die Beklagte (als sachlich unzuständigen Leistungsträger) geltend macht, entnimmt der Senat auch daraus, dass dazu zwischenzeitlich eigenständige Verfahren bei der EUK und bei der UK NW anhängig (gewesen?) sind.
23Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger wird durch den Bescheid vom 14.9.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides 4.7.2011 nicht beschwert, §§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Die Klage ist unbegründet, weil ein Anspruch des Klägers auf (Regel)Altersrente nach der hier noch maßgeblichen Vorschrift des § 35 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) nicht besteht.
24Nach § 35 SGB VI aF erhält Regelaltersrente, wer das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Zwar hat der Kläger das 65. Lebensjahr (bereits 2003) vollendet, er hat indes nicht die allgemeine Wartezeit erfüllt. Die allgemeine Wartezeit beträgt für die Regelaltersrente fünf Jahre, § 50 Abs 1 SGB VI. Die vom Kläger in der Bundesrepublik Deutschland erworbenen Versicherungszeiten können nicht (mehr) auf die Wartezeit angerechnet werden. Deshalb liegen beim Kläger für die Erfüllung der Wartezeit anrechenbare Beitragszeiten (§§ 51 Abs 1 und 4, 54 f SGB VI) überhaupt nicht (mehr) vor (vgl dazu BSG, Beschluss vom 07.04.2008, Az 5b KN 1/08 BH mwN).
25Zwar trifft zu, dass der Kläger (mit kurzen Unterbrechungen) von April 1963 bis Juni 1978 in Deutschland gearbeitet und Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet hat. Dadurch sind zunächst - eine Rentenanwartschaft begründende - Beitragszeiten vorhanden gewesen. Daraus kann der Kläger jedoch heute keine Rechte mehr herleiten, weil ihm die gezahlten Beiträge 1979 nach der damals maßgeblichen Vorschrift des § 1303 Abs 7 Reichsversicherungsordnung (RVO) erstattet worden sind und die Anwartschaft damit erloschen ist.
26Durch die Beitragserstattung ist das zuvor bestehende Versicherungsverhältnis aufgelöst worden. Ansprüche aus den bis zur Erstattung zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten bestehen nicht mehr, § 210 Abs 6 S 2 und 3 SGB VI (im Zeitpunkt der Erstattung maßgeblich: § 1303 Abs 7 RVO gleichlautend § 95 Abs 7 RKG in der vom 01.01.1984 bis 31.12.1991 geltenden Fassung, vgl. dazu BSG SozR 3 - 2200 § 1303 Nr 5). Die Gesetzesregelung ist so konzipiert, dass - und das galt auch schon früher - eine Erstattung nur insgesamt und nicht teilweise beansprucht werden kann, § 210 Abs 6 Satz 1 SGB VI. Kommt es zu einer (immer: vollständigen) Erstattung, wird das Versicherungsverhältnis, das bis zum Erstattungszeitpunkt bestand, gänzlich und unwiederbringlich aufgelöst (§ 210 Abs 6 Satz 2 SGB VI). Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass dem Kläger nur die Hälfte der gezahlten Beiträge zu erstatten war und erstattet wurde (BSG, Beschluss vom 07.04.2008, Az 5b KN 1/08 BH), und ist mit deutschem Verfassungsrecht vereinbar (BVerfG SozR 2200 § 1303 Nr. 34; BSG SozR 3-2600 § 210 Nr 2).
27Nach dem Gesamtinhalt der Akten steht zur Überzeugung des Senats fest, dass dem Kläger 1979 sämtliche Beiträge (wie gesetzlich vorgesehen: zur Hälfte) rechtswirksam erstattet worden sind.
28Eine rechtswirksame Beitragserstattung setzt voraus, dass nachweislich (1) ein Erstattungsantrag, (2) ein wirksamer Erstattungsbescheid und (3) eine rechtswirksame, befreiende Bewirkung der Leistung (= Erfüllung des Erstattungsanspruchs entsprechend § 362 des Bürgerlichen Gesetzbuches) vorliegen (vgl dazu und besonders zur Beweislast: BSGE 80, 41 ff = SozR 3 - 2200 § 1303 Nr. 6; vgl auch LSG NRW, Beschluss vom 21.09.2003, Az L 2 KN 19/03 und Urteil vom 16.08.2007, Az L 2 KN 259/06; stRspr des Senats, vgl Urteile vom 13.9.2011, Az L 18 (2) KN 223/07, vom 15.11.2011, Az L 18 KN 30/10, L 18 (2) KN 42/08 und L 18 (2) KN 239/09, zuletzt Urteil vom 24.4.2012, Az L 18 KN 32/10, alle bei juris). Das ist hier der Fall. Denn für den Senat steht aufgrund der Angaben in den Verwaltungsakten der Beklagten, insbesondere der früheren BVA und nach der allgemeinen Lebenserfahrung unter Berücksichtigung der eigenen Angaben des Klägers mit an Sicherheit grenzender, vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit (Beweismaßstab des Vollbeweises) fest, dass alle drei Voraussetzungen erfüllt sind.
29Nach dem Inhalt der Akten der BVA hat der Kläger am 9.6.1978 kurz vor seiner Rückkehr nach Marokko bei der Beklagten eigenhändig die Beitragserstattung durch Überweisung des Erstattungsbetrages auf ein Konto seines Stiefbruders beantragt. Der auf diesen Antrag ergangene Erstattungsbescheid vom 29.5.1979 wurde am 5.6.1979 an den Kläger abgesandt. Urkunden, die die Haupttatsachen des Zugangs dieses Bescheides und des Eingangs des Erstattungsbetrags auf dem angegebenen Konto des Stiefbruders unmittelbar belegen (Zustellungsnachweis; Überweisungsträger; Eingangsbestätigung der Sparkasse X; Empfangsquittung), befinden sich nicht bei den Akten. Zur Überzeugung des Senats steht gleichwohl fest, dass der Kläger (bzw. sein Stiefbruder als Bevollmächtigter) den Erstattungsbescheid erhalten hat, und der geschuldete Erstattungsbetrag auch tatsächlich in die Verfügungsgewalt des Klägers bzw. seines (insoweit auch geldempfangsbevollmächtigten) Stiefbruders gelangt ist, die Beklagte damit den Erstattungsanspruch auch vollständig erfüllt hat. Diese Überzeugung leitet der Senat aus einem Beweis des ersten Anscheins her (sog. prima facie - Beweis). Diese Beweisregel gilt auch im sozialgerichtlichen Verfahren (BSGE 8, 245, 247; 12, 242, 246; 19, 52, 54; Leitherer in: Meyer-Ladewig u.a. SGG. Kommentar. 10. Auflage 2010. § 128 Rdnr 9 mwN; Pawlak in: Hennig. SGG. Stand August 2007. § 128 Rdnr 96; Zeihe. Das SGG und seine Anwendung. Stand November 2010. 3.G. vor § 103; stRspr des Senats, vgl Urteile vom 13.9.2011, Az L 18 (2) KN 223/07, vom 15.11.2011, Az L 18 KN 30/10, L 18 (2) KN 42/08 und L 18 (2) KN 239/09, zuletzt Urteil vom 24.4.2012, Az L 18 KN 32/10, alle bei juris). Sie besagt, dass bei typischen Geschehensabläufen auf eine Tatsache geschlossen werden kann, die nach der allgemeinen Lebenserfahrung regelmäßig Folge eines solchen Geschehensablaufs ist (BSG in: Breithaupt 1999, 357, 362; Leitherer aaO Rdnr 9a). Dabei wird der (Voll-)Beweis einer Tatsache vermutet, so lange nicht Tatsachen erwiesen sind, die den vermuteten typischen Geschehensablauf in Zweifel ziehen (vgl Leitherer. aaO. Rndnr 9e mwN; Pawlak. aaO. Rdnrn 94, 99). Ein durch bewilligenden Bescheid abgeschlossenes Verwaltungsverfahren zur (vollständigen) Beitragserstattung lässt typischerweise den Schluss zu, dass der Bescheid zugegangen und die geschuldete Leistung bewirkt worden ist (stRspr des Senats, vgl Urteile vom 13.9.2011, Az L 18 (2) KN 223/07, vom 15.11.2011, Az L 18 KN 30/10, L 18 (2) KN 42/08 und L 18 (2) KN 239/09, zuletzt Urteil vom 24.4.2012, Az L 18 KN 32/10, alle bei juris; LSG NRW, Urteil vom 22.11.2007, Az L 2 KN 140/06 LSG NRW, Urteil vom 03.06.2005, Az L 4 RJ 12/03; LSG Hamburg, Urteil vom 27.04.2006, Az L 6 RJ 89/04 mwN). Dies muss jedenfalls gelten, wenn die Leistungsbewirkung nicht substantiiert bestritten worden ist und sich auch sonst keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Leistungserbringung nicht zeitnah erfolgt ist (wie etwa zeitnahe Nachfragen des Versicherten, wo das Geld bleibe, vgl LSG NRW, Urteile vom 17.02.1997, Az L 4 J 16/95, und vom 03.06.2005 aE, Az L 4 RJ 12/03; Bay. LSG, Urteile vom 14.05.2002, Az L 19 RJ 3/02, und 08.12.2004, Az L 19 RJ 203/03).
30Dem liegen folgende Überlegungen zugrunde: Eine Beitragserstattung wird regelmäßig mit dem Ziel beantragt, zeitnah einen (idR hohen) Geldbetrag zur weiteren Verfügung zu erhalten. Ist ein solches Beitragserstattungsverfahren - wie hier - aktenkundig dokumentiert und besteht kein besonderer, konkreter Anlass zu zweifeln, dass der verfolgte Zweck auch erfüllt worden ist, darf regelmäßig auf ein ordnungsgemäß durch Bewirken der Leistung abgeschlossenes Verfahren geschlossen werden. Es entspricht nämlich der allgemeinen Lebenserfahrung, dass derjenige, der die Erstattung von über einen Zeitraum von etwa 15 Jahren zur Rentenversicherung entrichteten Beiträgen erwartet, nachfragt, wenn er auf seinen Antrag keine weitere Nachricht (mehr) erhält. Dies kommt auch im vorliegenden Fall besonders deutlich zum Tragen. Der Kläger hat nämlich im Verwaltungsverfahren auf die Nachfrage der BVA (gerichtet an seinen Stiefbruder) selbst (wohl aus Marokko) handschriftlich mitgeteilt, dass er in den von der BVA bezeichneten, nicht mit Beiträgen belegten Zeiten in Marokko Urlaub gemacht habe. Dies zeugt von seinem Interesse an einem raschen Abschluss des Erstattungsverfahrens. Wenn er bei dieser Sachlage später nicht mehr zeitnah nach dem (Aus-)Gang des Verfahrens fragt, lässt dies nur den Schluss zu, dass das Verfahren ordnungsgemäß abgeschlossen wurde und das Geld vollständig in seine oder mindestens seines Stiefbruders Verfügungsgewalt gelangt ist.
31Hinzu kommt, dass der Kläger mit der Beitragserstattung 1978/79 die (damals) einzige Möglichkeit der wirtschaftlichen Verwertung seiner Beiträge wahrgenommen hat. Denn es gab im Zeitpunkt der Beitragserstattung (noch) keine Möglichkeit, Renten aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung an in ihrem Heimatland lebende Marokkaner zu zahlen; damit war es für einen in sein Heimatland zurückkehrenden Marokkaner sinnlos, die Beiträge auf seinem Versicherungskonto stehen zu lassen. Einer (späteren) Rentenzahlung stand die Regelung des § 1315 Abs 1 Nr 1 RVO aF (gleichlautend § 105 Abs 1 Nr 1 RKG aF) entgegen; danach ruhte die Rente eines Ausländers, der sich freiwillig gewöhnlich außerhalb des Bundesgebiets aufhielt. Deshalb konnte der Kläger zur damaligen Zeit die entrichteten Rentenversicherungsbeiträge lediglich in Form der Beitragserstattung (§ 1303 RVO, entsprechend § 95 RKG) verwerten. Etwas anderes galt damals auch nicht kraft eines Sozialversicherungsabkommens, da das DMSVA vom 25.3.1981 erst 1986 in Kraft trat (BGBl II 1986; 550ff, 562, 772; vgl zu alledem BSG SozR 3 - 6610 Artikel 5 Nr 1). Dies alles spricht aus Sicht des Senats dafür, dass die jetzigen abweichenden Angaben des Klägers ("keine Erstattung erhalten") nicht den objektiven Tatsachen entsprechen. Der Senat hält sie deshalb nicht für geeignet, Zweifel an der Richtigkeit des angenommenen typischen Geschehensablaufs zu begründen. Im Gegenteil bestätigen die Stempelaufdrucke auf Versicherungskarten 1-3 der LVA Rheinprovinz einschließlich Aufrechnungsbescheinigung "Beiträge nach § 1303 RVO erstattet", dass man ein ordnungsgemäß abgeschlossenes Erstattungsverfahren stattgefunden hat.
32Sonstige Tatbestände, die abgesehen von den Zeiten, für die die Beiträge erstattet worden sind, die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit begründen könnten, sind nicht ersichtlich, insbesondere nicht solche der vorzeitigen Wartezeiterfüllung im Sinne von § 53 SGB VI.
33Selbst wenn man dem Vorbringen des Klägers (außerdem) entnähme, er begehrte (hilfsweise) auch eine "Rente wegen Krankheit", also nach der Systematik des SGB VI eine "Rente wegen (voller) Erwerbsminderung, gälte für eine solche Rente im Ergebnis das das zuvor Gesagte gleichermaßen.
34Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 Abs 1 S 1 SGG.
35Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, da die Voraussetzungen des § 160 Abs 1 oder 2 SGG nicht vorliegen. Maßgeblich für die Entscheidung sind nämlich die konkreten Umstände des Einzelfalls.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 10. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Rückzahlung von fünf Darlehen über insgesamt 180.000 DM in Anspruch, die er ihr in den Jahren 1993 bis 1995 ohne Belege gewährt habe, da die Parteien seinerzeit noch gut befreundet gewesen seien. Er hat - u.a. - vorgetragen, auf Anraten von
Rechtsanwalt Be. habe er am 10. Juni 1996 mit der Beklagten ein Tele- fongespräch geführt, in dem sie den Erhalt der Darlehen bestätigt habe. Dieses Telefongespräch habe sein damaliger Rechtsanwalt ohne Wissen der Beklagten über eine Mithöreinrichtung verfolgt. Die Beklagte bestreitet , vom Kläger Geldbeträge erhalten und darüber Darlehensvereinbarungen getroffen zu haben, und nimmt in Abrede, mit dem Kläger ein Telefongespräch über die Rückzahlung von Darlehen geführt zu haben.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat gegen den Widerspruch der Beklagten Rechtsanwalt Be. zu dem behaupteten Telefongespräch vom 10. Juni 1996 vernommen, die Beklagte zur Zahlung von 87.942,20 172.000 DM) nebst Zinsen verurteilt und die Klage im übrigen abgewiesen. Mit der - zugelassenen - Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat - soweit für die Revision von Interesse - im wesentlichen ausgeführt:
Aufgrund in erster Linie der Aussagen der Zeugen Be. und Ba. stehe zur Überzeugung des Senats fest, daß der Kläger der Beklagten Geldbeträge in Höhe von insgesamt 172.000 DM als Darlehen gewährt habe. Der Zeuge Be. habe das von ihm über eine Mithöreinrichtung verfolgte Telefongespräch der Parteien vom 10. Juni 1996 bestätigt. Hierin habe der Kläger die Beklagte mit jedem einzelnen der von ihm gewährten Darlehen konfrontiert; die Beklagte habe daraufhin geäußert, sie würde dem Kläger alles zurückgeben, wenn sie jemanden hätte, der für sie bürge.
Gegen die Verwertbarkeit der Aussage des Zeugen Be. bestünden keine Bedenken. Lasse jemand ein Gespräch unter vier Augen ohne Wissen seines Gesprächspartners von einem Dritten belauschen, um sich ein Beweismittel zu verschaffen, so seien die Zeugenvernehmung des Dritten und die Verwertung seiner Aussage zwar unzulässig, wenn eine Güterabwägung im Einzelfall ergebe, daß dem verletzten Persönlichkeitsrecht des Belauschten der Vorrang gegenüber dem Beweisführungsinteresse des anderen gebühre. Vorliegend ergebe die Interessenabwägung jedoch einen Vorrang des Beweisführungsinteresses des Klägers gegenüber der Persönlichkeitsrechtsverletzung der Beklagten. Hier sei der Kläger darauf angewiesen gewesen, sich einen Beweis für seine Rückzahlungsansprüche durch Belauschenlassen eines von ihm mit der Beklagten geführten Telefongesprächs zu verschaffen. Ihm könne nicht angelastet werden, daß er es versäumt habe, sich die Darlehenshingabe von der Beklagten quittieren zu lassen, da die Parteien seinerzeit eng miteinander befreundet gewesen seien. Eine Forderung des Klägers nach schriftlicher Fixierung der Darlehenshingaben habe von der Beklagten als Mißtrauensbekundung aufgefaßt werden und zu einer dem
Kläger nicht zumutbaren Beeinträchtigung des Freundschaftsverhältnisses führen können. Die Beklagte habe dem Kläger auch Anlaß gegeben, sich ein Beweismittel auf die geschehene Art und Weise zu verschaffen. Sie habe sich auf mündliche und schriftliche Anfragen des Klägers nicht gemeldet. Er habe deshalb davon ausgehen müssen, daß die Beklagte ihre Darlehensrückzahlungsverpflichtung nicht freiwillig einräumen würde.
Da das zur Verschaffung eines Beweismittels geführte Telefonat auf sachliche Angaben zu den von dem Kläger behaupteten Darlehensrückzahlungsansprüchen beschränkt geblieben und die Offenbarung persönlicher , in die Intimsphäre der Beklagten hineinreichender Umstände weder beabsichtigt gewesen noch erfolgt sei, komme der durch das Telefonat verursachten Persönlichkeitsrechtsverletzung der Beklagten im Vergleich zu dem Beweisführungsinteresse des Klägers kein größeres Gewicht zu.
II.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung im entscheidenden Punkt nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts , das die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs weitgehend unberücksichtigt läßt, verletzen die Vernehmung des Zeugen Be. zum Inhalt des angeblichen Telefongesprächs der Parteien am 10. Juni 1996 sowie die Verwertung seiner Aussage die Beklagte in ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 1 i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG.
1. Das von Art. 2 Abs. 1 i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG erfaßte allgemei- ne Persönlichkeitsrecht schützt - u.a. - auch das Recht am gesprochenen Wort. Das Recht am gesprochenen Wort entspricht einem Grundbedürfnis für die Sicherung des Eigenwertes der Persönlichkeit und ihrer freien Entfaltung in der Kommunikation mit dem anderen und ist in der Rechtsprechung seit langem anerkannt (vgl. grundlegend BGHZ 27, 284, 286 f.; BGH, Urteile vom 24. November 1981 - VI ZR 164/79, NJW 1982, 277 und vom 13. Oktober 1987 - VI ZR 83/87, NJW 1988, 1016, 1017; BVerfGE 34, 238, 246 f.; 54, 148, 154 f.; BVerfG NJW 1992, 815; BVerfG WM 2002, 2290, 2292 f.). Zu diesem Grundrecht gehört auch die Befugnis , selbst zu bestimmen, ob der Kommunikationsinhalt einzig dem Gesprächspartner , einem bestimmten Personenkreis oder der Öffentlichkeit zugänglich sein soll (BGHZ 27, 284, 286; BVerfG NJW 1992, aaO; WM 2002, aaO; BAG NJW 1998, 1331, 1332).
a) Der Schutz des Rechts am gesprochenen Wort beschränkt sich nicht auf bestimmte Inhalte, sondern bezieht sich allein auf die Selbstbestimmung über die unmittelbare Zugänglichkeit der Kommunikation, also etwa über die Teilhabe einer dritten Person. Der Schutz des Rechts am gesprochenen Wort hängt auch weder davon ab, ob es sich bei den ausgetauschten Informationen um personale Kommunikationsinhalte oder gar um besonders persönlichkeitssensible Daten handelt, noch kommt es auf die Vereinbarung einer besonderen Vertraulichkeit des Gesprächs an (BVerfG WM 2002, 2290, 2293).
b) Außerhalb eines - hier erkennbar nicht berührten - letzten unantastbaren Bereichs privater Lebensgestaltung des Bürgers (vgl. BVerfGE 34, 238, 245; 80, 367, 373 f.) ist das allgemeine Persönlich-
keitsrecht jedoch nicht vorbehaltlos gewährleistet. Nach Art. 2 Abs. 1 GG wird deshalb auch das Recht am eigenen Wort durch die verfassungsmäßige Ordnung beschränkt. Hierzu gehören als Ausfluß des u.a. in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips die Gewährleistung einer funktionstüchtigen Rechtspflege und das Streben nach einer materiell richtigen Entscheidung (BVerfG WM 2002, 2290, 2295).
Ob eine Beweisaufnahme durch Vernehmung eines Zeugen über ein von ihm heimlich mitgehörtes Telefongespräch zulässig und verwertbar ist, richtet sich nach dem Ergebnis der Abwägung zwischen dem gegen die Verwertung streitenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht auf der einen und einem für die Verwertung sprechenden rechtlich geschützten Interesse auf der anderen Seite (BGHZ 27, 284, 289 f.; BGH, Urteile vom 24. November 1981 - VI ZR 164/79, NJW 1982, 277, 278; vom 13. Oktober 1987 - VI ZR 83/87, NJW 1988, 1016, 1017 f. und vom 3. Juni 1997 - VI ZR 133/96, NJW 1998, 155; BVerfG WM 2002, aaO S. 2295).
2. Das Berufungsgericht hat diese rechtlichen Maßstäbe zwar nicht grundsätzlich verkannt; die von ihm vorgenommene Abwägung erweist sich jedoch als rechtsfehlerhaft.
a) Der Kläger war entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts keineswegs darauf "angewiesen", sich einen Beweis für seine Rückzahlungsansprüche durch das Belauschenlassen des von ihm angeblich mit der Beklagten geführten Telefongesprächs zu verschaffen. Zwar mag die Erwägung, das Freundschaftsverhältnis zur Beklagten nicht durch eine Forderung nach Quittungserteilung zu belasten, menschlich nachvoll-
ziehbar sein; einen späteren Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechte der Beklagten vermag sie aber nicht zu rechtfertigen. Im übrigen hätte der Kläger auch ohne Forderung einer Quittung geeignete Schritte unternehmen können, um Beweise für eine Darlehenshingabe zu sichern. So hätten etwa bei der Wahl unbarer Zahlungsweise die Geldzahlungen sowie auch deren Zweck durch Kontounterlagen bzw. Auskünfte der beteiligten Kreditinstitute belegt werden können. Wenn der Kläger es - aus welchen Gründen auch immer - versäumt hat, sich die behaupteten Darlehenshingaben von der Beklagten bestätigen zu lassen oder in anderer Weise ihre Beweisbarkeit sicherzustellen, vermag das die Verschaffung eines Beweismittels unter Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Beklagten nicht zu rechtfertigen (vgl. Senat, Urteil vom 4. Dezember 1990 - XI ZR 310/89, WM 1991, 566, 568).
Das Berufungsgericht ist zu Unrecht der Auffassung, die Beklagte habe dem Kläger "Anlaß" gegeben, sich ein Beweismittel auf die hier in Rede stehende Art und Weise zu verschaffen; da sie sich auf Anfragen des Klägers nicht gemeldet habe, habe dieser davon ausgehen müssen, daß sie ihre Darlehensrückzahlungsverpflichtungen nicht freiwillig einräumen würde. Diese Ausführungen sind bereits deshalb rechtsirrig, weil sie voraussetzen, was erst noch zu beweisen war, nämlich die Hingabe von Geld als Darlehen.
b) Von Rechtsirrtum ist auch die Auffassung des Berufungsgerichts beeinflußt, der Persönlichkeitsrechtsverletzung der Beklagten komme deshalb kein größeres Gewicht zu, weil das von dem Zeugen Be. abgehörte Telefonat auf sachliche Angaben zu den von dem Kläger behaupteten Darlehensrückzahlungsansprüchen beschränkt geblieben sei und
die Offenbarung persönlicher oder in die Intimsphäre der Beklagten hineinreichender Umstände weder beabsichtigt gewesen noch erfolgt sei. Wie bereits ausgeführt (1. a) hängt der Schutz des Rechts am gesprochenen Wort nicht davon ab, ob es sich bei den ausgetauschten Informationen um personale Kommunikationsinhalte oder gar besonders persönlichkeitssensible Daten handelt.
c) Das Ergebnis der vom Berufungsgericht vorgenommenen Abwägung erweist sich auch nicht deshalb als zutreffend, weil dem allgemeinen Interesse an einer funktionstüchtigen Zivilrechtspflege stets ein gleiches oder gar höheres Gewicht zukommt als dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Das ist nicht der Fall; vielmehr müssen weitere Gesichtspunkte hinzutreten, die das Interesse an der Beweiserhebung trotz der Verletzung des Persönlichkeitsrechts als schutzbedürftig erscheinen lassen (BVerfG WM 2002, aaO S. 2295). Das kann etwa der Fall sein, wenn sich der Beweisführer in einer Notwehrsituation oder einer notwehrähnlichen Lage befindet (vgl. BGHZ 27, 284, 289 f.). Allein das nach dem Vortrag des Klägers überraschende Bestreiten des Darlehenserhalts durch die Beklagte reicht hierfür jedoch nicht aus. Damit verbleibt auf seiten des Klägers lediglich das für den beweisbelasteten Anspruchsteller stets bestehende schlichte Beweisinteresse. Allein das Interesse, sich ein Beweismittel für zivilrechtliche Ansprüche zu sichern, reicht jedoch nicht aus, um die Verletzung des Persönlichkeitsrechts der anderen Prozeßpartei zu rechtfertigen (BGHZ 27, 284, 290; BGH, Urteile vom 24. November 1981 - VI ZR 164/79, aaO S. 278; vom 13. Oktober 1987 - VI ZR 83/87, aaO, S. 1018; BVerfG WM 2002, aaO). Ob der Kläger aufgrund der Angaben seines damaligen Rechtsanwalts von der Zuläs-
sigkeit des verabredeten Vorgehens ausging, ist entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung in diesem Zusammenhang ohne Belang.
3. Erweist sich somit die Vernehmung des Zeugen Be. über das von ihm belauschte Telefonat der Parteien als Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beklagten, kommt eine Verwertung seiner Aussage als Beweismittel im vorliegenden Verfahren nicht in Betracht (vgl. BGH, Urteile vom 24. November 1981 - VI ZR 164/79, NJW 1982, 277; vom 13. Oktober 1987 - VI ZR 83/87, NJW 1988, 1016 f.; Senat, Urteil vom 4. Dezember 1990 - XI ZR 310/89, WM 1991, 566, 567 f.; BGH, Urteil vom 3. Juni 1997 - VI ZR 133/96, NJW 1998, 155; BVerfG NJW 1992, 815, 816; BAG NJW 1998, 1331, 1332).
III.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dabei hat der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.
Das Berufungsgericht wird, da die Verwertung der Aussage des Zeugen Be. unzulässig ist, das Ergebnis der Beweisaufnahme ohne Berücksichtigung der Aussage dieses Zeugen über den Inhalt des Telefongesprächs vom 10. Juni 1996 sowie der von ihm darüber gefertigten Aktennotiz neu zu bewerten haben. Das Berufungsgericht wird auch zu prüfen haben, ob Anlaß besteht, den Sachverhalt - wie vom Kläger be-
reits angeregt - durch eine Anhörung der Parteien (§ 141 ZPO) oder durch eine Vernehmung von Amts wegen (§ 448 ZPO) näher aufzuklären.
Nobbe Müller Joeres
Wassermann Mayen
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Klägerin begehrt von dem Beklagten aus abgetretenem Recht der B. Corporation mit Sitz in F. (USA) die Zahlung des Kaufpreises von 54.510 US-Dollar für einen Personenkraftwagen Chevrolet Corvette, Modell 2005 (im Folgenden: Corvette), Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, sowie die Feststellung, dass sich der Beklagte in Annahmeverzug befindet. Daneben begehrt sie aus eigenem Recht die Zahlung von 14.347,55 € für die Umrüstung, die Verzollung und den Transport des Fahrzeugs aus den USA nach Deutschland sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 749,95 €.
- 2
- Die Parteien kamen Anfang des Jahres 2005 miteinander in Kontakt, da der Beklagte eine Corvette der neuesten Modellreihe erwerben wollte. Dieses Modell wurde damals erst seit kurzer Zeit auf dem amerikanischen Markt gehandelt und war begehrt. Mit Schreiben vom 24. Januar 2005 teilte der Beklagte der Klägerin die Ausstattungsmerkmale mit, die das Fahrzeug haben sollte. Als gewünschte Farbe gab er "black oder le mans blue metallic" an. Daraufhin teilte die Klägerin ihm durch Schreiben vom 11. Februar 2005 mit, wie die Beschaffung des Fahrzeugs erfolgen werde. Die wesentlichen Punkte dieses Schreibens lauten: "Wenn wir ein Fahrzeug gefunden haben, schicken wir Ihnen ein Angebot zur Unterschrift von der B. Corporation in USA. Bei Auftragserteilung wird eine Zahlung von 20 % fällig, die Sie bitte bei Auftragserteilung auf unser US-$ Konto […] in Deutschland überweisen. […] Bezüglich der Restsumme gehen wir in Vorauslage bis zur Auslieferung. Für diesen Zeitraum zahlen Sie uns die anfallenden Zinsen von z. Zt. 6,8 %. […] Die Restsumme in US-$ wird fällig bei Übernahme nebst Zinsen und Auslagen."
- 3
- Darüber hinaus enthält das Schreiben die Mitteilung, dass die Klägerin zusätzlich damit zu beauftragen sei, den Transport des Fahrzeugs nach Deutschland und die Verzollung sowie die TÜV-Umrüstung vorzunehmen, und der Beklagte für die im Schreiben im Einzelnen aufgelisteten Kosten eine gesonderte Rechnung erhalten werde.
- 4
- Mit Schreiben vom 18. März 2005 übersandte die Klägerin dem Beklagten ein Angebot der B. Corporation über eine Corvette zum Preis von 51.950 US-Dollar zuzüglich Frachtkosten von 900 US-Dollar und bat den Beklagten , dieses Schreiben unterzeichnet als Kaufbestätigung zurückzusenden sowie eine schnellstmögliche Überweisung des genannten Betrages zu veranlassen. Das dem Schreiben beigefügte Angebot über eine "2005 Chevrolet Corvette 2dr Coupe Base" zu dem genannten Preis enthielt neben weiteren Aus- stattungsmerkmalen des Fahrzeugs als Farbbezeichnung die Angabe "Le Mans Blue Metallic". Der Beklagte sandte dieses Angebot am selben Tag unterschrieben an die B. Corporation zurück, die ebenfalls noch am selben Tag den Auftrag schriftlich bestätigte.
- 5
- In der Folgezeit versuchte die B. Corporation, in den USA ein entsprechendes Fahrzeug anzukaufen, was wegen dessen erst kurz zuvor erfolgter Markteinführung und der hohen Nachfrage Schwierigkeiten bereitete. Als die B. Corporation am 7. April 2005 noch kein Fahrzeug für den Beklagten gefunden hatte, rief deren Geschäftsführer bei dem Beklagten an und hinterließ eine Nachricht auf dessen Anrufbeantworter, wonach noch "zwei Eisen im Feuer seien" und deshalb um weitere 24 Stunden gebeten werde, nach deren Ablauf dem Beklagten gegebenenfalls abgesagt werden müsse. Zwischen den Parteien ist streitig, ob anschließend in der Zeit zwischen dem 7. und 10. April 2005 in einem Telefonat des Geschäftsführers der B. Corporation mit dem Beklagten eine Einigung auf die Lieferung einer schwarzen Corvette erfolgte. Der B. Corporation gelang es kurz darauf, eine schwarze Corvette mit gegenüber dem Angebot vom 18. März 2005 weiterem Zubehör anzukaufen. Dies teilte sie dem Beklagten mit Schreiben vom 10. April 2005 mit, dessen Inhalt auszugsweise lautet: "Nach vielem ‚Hin- und Her’ freuen wir uns, Ihnen mitteilen zu können daß wir die schwarze Corvette jetzt fest für Sie kaufen konnten. Diese Autos sind derzeit so gefragt, daß wir von Glück sagen können, dieses Fahrzeug bekommen zu haben. Wie wir Ihnen telefonisch mitgeteilt hatten, bekommen Sie jetzt etwas mehr Zubehör wie folgt: […]. Dieses Fahrzeug bekommen Sie zum vereinbarten Preis von 53.610,-- US-Dollar zuzüglich Shipping. Die Rechnung […] erstellen wir Ihnen morgen. Wir werden für schnellste Verschiffung sorgen - bitte überweisen Sie umgehend die Anzahlung , da wir das Fahrzeug ab heute in voller Höhe bezahlt haben."
- 6
- Noch am selben Tag wurde dem Beklagten die Fahrzeugrechnung übersandt , in der als Fahrzeugfarbe "black" angegeben war. Einen Tag später wies die Klägerin den Beklagten schriftlich darauf hin, dass Ihr ein Rechenfehler bei der Bildung der Gesamtsumme unterlaufen sei, die 54.510 US-Dollar lauten müsse, kündigte die Übersendung einer korrigierten Rechnung an und wies darauf hin, dass die Anzahlung des Beklagten in Höhe von 10.500 US-Dollar bisher nicht eingegangen sei. In der korrigierten Rechnung über 54.510 USDollar ist als Fahrzeugfarbe wiederum "black" angegeben. In der Folgezeit veranlasste die B. Corporation die Verschiffung der schwarzen Corvette nach Deutschland und teilte dem Beklagten mit Schreiben vom 2. Mai 2005 den 17. Mai 2005 als Ankunftstermin mit. Zur Vorbereitung der Verzollung unterzeichnete der Beklagte am 16. Mai 2005 eine Vollmacht für die Firma R. in Br. , die von ihm ermächtigt wurde "für mich mein Fahrzeug Corvette Coupe […] zu verzollen." In der Folgezeit wurde das Fahrzeug verzollt und von der Klägerin für die TÜV-Abnahme umgerüstet. Die hierfür angefallenen Kosten stellte die Klägerin dem Beklagten gesondert in Rechnung. Am 1. Juni 2005 war das Fahrzeug auslieferungsbereit.
- 7
- Der Beklagte lehnte die Abnahme des Fahrzeugs ab und leistete keine Zahlung. Er vertritt die Auffassung, zwischen den Kaufvertragsparteien sei am 18. März 2005 ein Vertrag über eine blaue Corvette zustande gekommen. Mit der angebotenen Lieferung einer schwarzen Corvette habe die Verkäuferin diesen Vertrag jedoch nicht ordnungsgemäß erfüllt. Zum einen habe die Verkäuferin die Erfüllung abgelehnt, indem sie am 7. April 2005 mitgeteilt habe, vom Vertrag Abstand zu nehmen, wenn sie nicht innerhalb von 24 Stunden eine entsprechende Corvette finden werde. Daher sei aus seiner Sicht der Vertrag bereits erledigt gewesen, als die Verkäuferin ihm am 10. April 2005 - nach Fristablauf - mitgeteilt habe, dass sie nun doch ein Fahrzeug gefunden habe. Zum an- deren habe er einer Vertragsänderung von einer blauen zu einer schwarzen Corvette nicht zugestimmt.
- 8
- Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die von dem Beklagten hiergegen eingelegte Berufung hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
- 9
- Die Revision hat Erfolg.
I.
- 10
- Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
- 11
- Der Klägerin stehe aus abgetretenem Recht der geltend gemachte Kaufpreisanspruch Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung der in Rechnung gestellten schwarzen Corvette, mit deren Annahme sich der Beklagte im Verzug befinde, sowie ein Anspruch auf Zahlung der mit der Verbringung des Fahrzeugs nach Deutschland verbundenen Kosten zu. Auch hinsichtlich der von der Klägerin aus eigenem Recht geltend gemachten weiteren Forderungen sei die Klage begründet.
- 12
- Auf die Vertragsbeziehung zwischen der B. Corporation und dem Beklagten finde deutsches Recht Anwendung. Zwischen der B. Corporation und dem Beklagten sei am 18. März 2005 ein wirksamer Kaufvertrag über eine gattungsmäßig bestimmte Corvette Baujahr 2005 mit der Farbe Le Mans Blue Metallic zustande gekommen. Dieser Kaufvertrag sei nicht infolge des Anrufs des Geschäftsführers der B. Corporation bei dem Beklagten am 7. April 2005 aufgehoben worden. Entgegen der Auffassung des Beklagten habe es sich bei diesem Anruf um keine rechtsgeschäftliche Erklärung in Richtung einer Aufhebung des Kaufvertrags, sondern lediglich um eine Sachstandsmitteilung gehandelt.
- 13
- Ein Recht zur Zurückweisung der schwarzen Corvette stehe dem Beklagten nicht zu. Voraussetzung eines Zurückweisungsrechts noch vor der Lieferung der Kaufsache sei das Bestehen eines Rücktrittsrechts. Gemäß § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB könne der Gläubiger jedoch nur bei einer erheblichen Pflichtverletzung vom Vertrag zurücktreten, an der es hier fehle. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob angesichts des dem Kaufvertragsangebot vom 18. März 2005 vorausgegangenen Schreibens des Beklagten vom 24. Januar 2005, in welchem dieser Interesse am Erwerb einer schwarzen oder blauen Corvette bekundet habe, das Kaufvertragsangebot vom 18. März 2005 überhaupt eine Festlegung auf die Farbe Blue Metallic beinhalte und die Lieferung einer schwarzen statt einer blauen Corvette eine Vertragsverletzung darstelle. Denn selbst bei einer Eingrenzung der Gattung auf eine blaue Corvette, bestehe kein Rücktrittsrecht des Beklagten. Unabhängig davon, ob überhaupt die übrigen Rücktrittsvoraussetzungen vorlägen, sei ein Rücktritt deshalb ausgeschlossen , weil die Lieferung einer schwarzen statt einer blauen Corvette hier keine erhebliche Pflichtverletzung darstelle. Mit seinem Schreiben vom 24. Januar 2005 habe der Beklagte zu erkennen gegeben, dass die blaue oder schwarze Farbe des Fahrzeugs für ihn kein maßgebliches Kaufkriterium gewesen sei.
- 14
- Unabhängig davon sei der Senat davon überzeugt, dass sich die Parteien in einem zwischen dem 7. und 10. April 2005 geführten Telefonat des Geschäftsführers der B. Corporation mit dem Beklagten darauf geeinigt hätten, dass statt einer blauen eine schwarze Corvette geliefert werden solle. Dies ergebe sich aus der Aussage der Zeugin Bü. . Das Landgericht sei an einer Verwertung der Angaben dieser Zeugin nicht gehindert gewesen, obwohl sie das Telefonat ohne Kenntnis des Beklagten über eine Freisprechanlage mitgehört habe. In der Verwertung der Zeugenaussage liege kein Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Recht am gesprochenen Wort. Denn die vorzunehmende Abwägung zwischen dem gegen die Verwertung streitenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Interesse an einer funktionstüchtigen Straf- und Zivilrechtspflege sowie dem Streben nach einer gerechten Entscheidung falle hier zugunsten der letztgenannten Gesichtspunkte aus. Das Mithören sei im Rahmen des allgemeinen Geschäftsbetriebs und lediglich zur Erleichterung des von der Zeugin vorzubereitenden weiteren Schriftverkehrs erfolgt, nicht aber zum Zwecke der Beweisverschaffung. Die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin Bü. werde dadurch gestützt, dass auf Klägerseite die gesamte Geschäftsbeziehung sehr ausführlich durch zahlreiche Schreiben dokumentiert sei, während auf Seiten des Beklagten ein Widerspruch gegen die Ankündigung, dass nunmehr ein schwarzes Fahrzeug geliefert werde, nicht einmal vorgetragen, geschweige denn schriftlich dokumentiert sei. Die Aussage der Zeugin diene daher lediglich der Abrundung der vorgelegten, für sich allein bereits für eine (nachträgliche) Einigung der Parteien auf eine schwarze Corvette sprechenden Unterlagen. So ergebe sich unter anderem bereits aus der Rechnung vom 11. April 2005, dass statt einer blauen eine schwarze Corvette geliefert werde. Der Beklagte habe nicht vorgetragen, zu irgendeinem Zeitpunkt erklärt zu haben, dass er keine schwarze Corvette erhalten wolle, sondern auf der Vertragserfüllung mit einer blauen Corvette bestehe. Im Gegenteil habe er noch am 18. Mai 2005 die Firma R. schriftlich beauftragt, für ihn die schwarze Corvette zu verzollen. Da der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht angegeben habe, zwischenzeitlich anderweitig eine blaue Corvette erworben zu haben, sei davon auszugehen, dass er an der schwarzen Corvette schlicht kein Interesse mehr habe und nunmehr nach Ausflüchten suche, um aus dem Vertrag herauszukommen.
II.
- 15
- Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann ein Zurückweisungsrecht des Beklagten nicht mit der Begründung verneint werden, die Voraussetzungen für einen Rücktritt des Beklagten vom Kaufvertrag lägen schon deshalb nicht vor, weil die Lieferung eines schwarzen statt eines blauen Fahrzeugs keine erhebliche Pflichtverletzung darstelle. Zudem darf die vom Berufungsgericht angenommene spätere einvernehmliche Änderung des Vertragsgegenstandes von einer blauen in eine schwarze Corvette nicht auf die Aussage der in erster Instanz vernommenen Zeugin Bü. gestützt werden, weil dieser Teil der Zeugenaussage auf dem heimlichen Mithören eines Telefonats beruht und insoweit nicht erhoben werden durfte und einem Beweisverwertungsverbot unterliegt.
- 16
- 1. Im Ergebnis zutreffend und von der Revision unbeanstandet hat das Berufungsgericht auf den vorliegenden Fall internes deutsches Recht angewendet. Die vom Berufungsgericht dafür gegebene Hilfsbegründung, dass der Kaufvertrag insbesondere in Anbetracht der von der Klägerin in Deutschland vorzunehmenden zusätzlichen Leistungen, vor allem der hier zu erbringenden Umrüstung des Fahrzeugs für den deutschen Markt, die engsten Beziehungen mit Deutschland aufweise (Art. 28 Abs. 1 Satz 1 EGBGB), ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
- 17
- 2. Auch die Feststellung des Berufungsgerichts, dass zwischen den Parteien am 18. März 2005 ein Kaufvertrag über einen noch zu beschaffenden Neuwagen vom Typ Corvette geschlossen wurde, ist frei von Rechtsfehlern. Ob in diesem Vertrag die Farbe des Fahrzeugs verbindlich vereinbart worden ist, hat das Berufungsgericht offen gelassen. Revisionsrechtlich ist demnach davon auszugehen, dass im Vertrag eine Festlegung auf die Farbe Blue Metallic erfolgt und damit eine dementsprechende Beschaffenheitsvereinbarung im Sinne des § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB getroffen worden ist.
- 18
- Entgegen der Auffassung der Revision ist dem Berufungsgericht auch darin beizupflichten, dass der Kaufvertrag nicht infolge des Anrufs des Geschäftsführers der B. Corporation bei dem Beklagten am 7. April 2005 aufgehoben worden ist. Die Annahme des Berufungsgerichts, die auf dem Anrufbeantworter des Beklagten aufgezeichnete, im Tatbestand wiedergegebene Mitteilung des Geschäftsführers der B. Corporation, sei nicht so zu verstehen , dass für den Fall eines erfolglosen Ablaufs der Frist eine Aufhebung des Kaufvertrags angeboten werde, lässt entgegen der Ansicht der Revision keinen Rechtsfehler erkennen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ging offenbar auch der Beklagte selbst - trotz seines gegenteiligen Vortrags - damals nicht davon aus, dass mit dem erfolglosen Verstreichen der 24Stunden -Frist die Bestellung der Corvette hinfällig werden sollte. Anderenfalls hätte er nicht am 16. Mai 2005 eine Vollmacht für die Verzollung der Corvette erteilt.
- 19
- Anders als die Revision meint, ist in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht auch nicht davon auszugehen, dass der Kaufvertrag erst zustande kommen sollte, wenn der Beklagte die geforderte Anzahlung von 10.500 USDollar geleistet hat. Die im Schreiben vom 11. April 2005 enthaltene Formulierung , es werde um schnellstmögliche Anweisung (der Anzahlung) gebeten, da diese die Voraussetzung für das Geschäft sei, ist lediglich als dringende Zahlungsaufforderung zu sehen, die im Zusammenhang mit dem Schreiben vom 10. April 2005 steht, in welchem unter Hinweis darauf, dass die B. Corporation das Fahrzeug bereits in voller Höhe bezahlt habe, um Überweisung der Anzahlung gebeten worden war. Zudem ergibt sich aus dem Kaufvertrag selbst kein Hinweis darauf, dass die Anzahlung Voraussetzung für dessen Zustandekommen sein sollte. Nichts anderes gilt für das dem Kaufvertragsschluss vorausgegangene Schreiben der Klägerin vom 11. Februar 2005. Darin wird lediglich mitgeteilt, dass im Falle einer Auftragserteilung eine Anzahlung von 20 % des Kaufpreises fällig werde, nicht aber, dass sie Voraussetzung für den Abschluss des Kaufvertrags sei.
- 20
- 3. Nicht gefolgt werden kann dagegen den Ausführungen des Berufungsgerichts zum Nichtbestehen eines Rechts des Beklagten, die Lieferung der schwarzen Corvette zurückzuweisen. Mit der gegebenen Begründung, es bestehe kein Rücktrittsrecht, weil es jedenfalls an der Erheblichkeit einer möglichen Pflichtverletzung fehle, kann ein Zurückweisungsrecht nicht verneint werden.
- 21
- a) Dabei kann offen bleiben, unter welchen Voraussetzungen ein Zurückweisungsrecht besteht. In der Literatur wird entgegen dem Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, wonach ein Zurückweisungsrecht nur dann in Betracht komme, wenn dem Beklagten ein Rücktrittsrecht zustehe, die Auffassung vertreten , dass der Käufer grundsätzlich zur Zurückweisung der ihm vom Verkäufer als Vertragserfüllung angebotenen Sache berechtigt sei, wenn diese eine vertragswidrige Beschaffenheit aufweise oder sonst mit Mängeln behaftet sei (vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB, 69. Aufl., § 433 Rdnr. 47; MünchKommBGB/ Westermann, 5. Aufl., § 437 Rdnr. 16; Staudinger/Beckmann, BGB (2004), § 433 Rdnr. 89 und 160; Jauernig/Berger, BGB, 13. Aufl., § 437 Rdnr. 29; Ernst, NJW 1997, 896, 897 und 901; Jud, JuS 2004, 841, 843 f.; Lamprecht, ZIP 2002, 1790; vgl. auch OLG Hamm, BB 1995, 1925). Dabei sei unter Zurückweisung der Ware die Weigerung des Käufers oder sonstigen Sachgläubigers zu verstehen , die ihm angebotene Ware als Erfüllung anzunehmen (Jud, aaO, S. 841; vgl. auch Lamprecht, aaO). Dabei soll eine Berechtigung zur Zurückweisung der zur Abnahme angebotenen Sache - anders als vom Berufungsgericht angenommen - nicht zwingend voraussetzen, dass die Voraussetzungen eines Rücktrittsrechts bestünden; sie komme vielmehr grundsätzlich auch sonst in Betracht, wenn die angebotene Ware aufgrund ihrer Mangelhaftigkeit zurückzugewähren sei (vgl. Jauernig/Bender, aaO; Ernst, aaO, S. 901; Jud, aaO, S. 843 f.; MünchKommBGB/Westermann, aaO), beispielsweise wenn der Käufer eine Nacherfüllung in Form der Ersatzlieferung verlangen könne (vgl. Palandt /Weidenkaff, aaO). Überdies stehe dem Käufer hinsichtlich der Kaufpreiszahlung die Einrede aus § 320 BGB zu (vgl. MünchKommBGB/Westermann, aaO, § 433 Rdnr. 60).
- 22
- b) Einer Entscheidung der vorstehend genannten Fragen bedarf es hier nicht. Denn dem Berufungsgericht kann nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachverhalt jedenfalls darin nicht gefolgt werden, dass in der hier gegebenen Farbabweichung nur eine unerhebliche Pflichtverletzung gemäß § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB zu sehen sei.
- 23
- aa) Die Beurteilung, ob eine Pflichtverletzung unerheblich im Sinne des § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB ist, erfordert eine umfassende Interessenabwägung (OLG Düsseldorf, NJW-RR 2008, 1230, 1231; OLG Nürnberg, NJW 2005, 2019, 2020; Bamberger/Roth/Grothe, BGB, 2. Aufl., § 323 Rdnr. 39; Palandt /Grüneberg, aaO, § 323 Rdnr. 32; Palandt/Weidenkaff, aaO, § 437 Rdnr. 23), wobei es auf die Umstände des Einzelfalls ankommt (MünchKommBGB /Ernst, aaO, § 323 Rdnr. 243; vgl. hierzu Senatsurteile vom 14. Sep- tember 2005 - VIII 363/04, NJW 2005, 3490, unter II 2; vom 12. März 2008 - VIII ZR 253/05, NJW 2008, 1517, Tz. 22; vom 5. November 2008, VIII ZR 166/07, NJW 2009, 508, Tz. 18 - 21; Senatsbeschluss vom 8. Mai 2007 - VIII ZR 19/05, NJW 2007, 2111, Tz. 3). Dabei wird in der Regel ein Verstoß gegen eine Beschaffenheitsvereinbarung - hier die Vereinbarung einer bestimmten Wagenfarbe - die Erheblichkeit der Pflichtverletzung indizieren (Palandt /Grüneberg, aaO).
- 24
- bb) Danach kann im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht von einer unerheblichen Pflichtverletzung im Sinne der genannten Vorschrift ausgegangen werden. Die Lieferung eines Kraftfahrzeugs in einer anderen als der bestellten Farbe stellt im Regelfall einen erheblichen Sachmangel und damit auch eine erhebliche Pflichtverletzung gemäß § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB dar. Dies gilt auch dann, wenn der Käufer im Rahmen der dem Vertragsschluss vorausgegangenen Verhandlungen neben der im Kaufvertrag festgelegten zunächst auch eine andere Fahrzeugfarbe in Betracht gezogen hatte.
- 25
- Hinsichtlich der Farbe der bestellten Corvette haben die B. Corporation und der Beklagte, wie revisionsrechtlich zu unterstellen ist (siehe oben unter 2), im Kaufvertrag vom 18. März 2005 eine Beschaffenheitsvereinbarung im Sinne des § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB dahingehend getroffen, dass ein Fahrzeug in der Farbe Blue Metallic geliefert werden sollte. Gemessen an dieser Beschaffenheitsvereinbarung ist die von der Klägerin angebotene schwarze Corvette daher nicht frei von Sachmängeln (vgl. OLG Köln, NJW 2006, 781, 782; OLG Karlsruhe NJW-RR 2009, 777, 778; LG Aachen NJW 2005, 2236, 2238). Der in dieser Farbabweichung liegende Sachmangel ist nicht als eine nur unerhebliche Pflichtverletzung gemäß § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB zu bewerten. Die Lackfarbe stellt ein äußeres Merkmal des Kraftfahrzeugs dar, welches regelmäßig zu den für den Käufer im Rahmen seiner Kaufentscheidung maßgeblichen Gesichtspunkten gehört (so auch OLG Köln, aaO). Der Entscheidung des Käufers für eine bestimmte Farbe kann auch eine wirtschaftliche Bedeutung zukommen, etwa weil bei einem späteren Verkauf des Fahrzeugs für bestimmte Wagenfarben eine stärkere Nachfrage zu erwarten ist.
- 26
- cc) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lässt sich aus dem Umstand, dass der Beklagte ursprünglich Interesse am Erwerb einer Corvette in Schwarz oder Blue Metallic gezeigt hat, nicht ableiten, dass die Lieferung einer schwarzen statt der im Kaufvertrag vereinbarten blauen Corvette eine nur unerhebliche Pflichtverletzung gemäß § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB darstelle. Dass der Käufer eines Neufahrzeugs vor dem Abschluss des Kaufvertrags sowohl hinsichtlich der technischen als auch der optischen Ausstattung des Fahrzeugs alternative Überlegungen anstellt, dürfte in der Praxis nicht selten der Fall sein. Entscheidend kommt es darauf an, ob im Kaufvertrag eine eindeutige Wahl der Fahrzeugfarbe erfolgt ist. Dies ist, wie revisionsrechtlich zu unterstellen ist (siehe oben unter 2), hier der Fall. Die Argumentation des Berufungsgerichts läuft letztlich darauf hinaus, dass die Farbwahl im Kaufvertrag nicht ernst gemeint gewesen sei. Das hat das Berufungsgericht in dieser Form jedoch weder festgestellt noch lassen sich den von ihm in Bezug genommenen Unterlagen ausreichende Anhaltspunkte hierfür entnehmen.
- 27
- 4. Nicht frei von Rechtsfehlern ist auch die alternative Begründung des Berufungsgerichts, wonach sich die Kaufvertragsparteien in einem zwischen dem 7. und dem 10. April 2005 geführten Telefonat auf die Lieferung einer schwarzen statt einer blauen Corvette geeinigt hätten. Soweit sich das Berufungsgericht hierbei auf die Aussage der Zeugin Bü. über den Inhalt eines Telefonats zwischen ihrem Ehemann und dem Beklagten stützt, begegnet dies durchgreifenden Bedenken.
- 28
- a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts durfte die Aussage der Zeugin Bü. über den Inhalt dieses Telefongesprächs, das sie ohne Wissen des Beklagten mitgehört hat, nicht verwertet werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt in der Erhebung und Verwertung der Aussage eines Zeugen, der ein Telefonat ohne Einwilligung des Gesprächspartners mitgehört hat, ein Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Recht des Gesprächspartners am gesprochenen Wort, für den es einer dem Rang des grundrechtlichen Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Rechnung tragenden Rechtfertigung bedarf (vgl. BVerfGE 106, 28, 44 ff.; ebenso BGH, Urteil vom 18. Februar 2003 – XI ZR 165/02, NJW 2003, 1727, unter II 1; vgl. auch BGHZ 162, 1, 5 f.). Dabei reicht das allgemeine Interesse an einer funktionstüchtigen Straf- und Zivilrechtspflege nicht aus, um im Rahmen der erforderlichen Abwägung von einem gleichen oder höheren Gewicht ausgehen zu können, als es dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zukommt. Vielmehr müssen weitere Aspekte hinzutreten, die ergeben , dass das Interesse an der Beweiserhebung trotz der Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung schutzwürdig ist. Das Bundesverfassungsgericht und die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verweisen insoweit auf notwehrähnliche Situationen wie die Anfertigung heimlicher Tonbandaufnahmen zur Feststellung der Identität eines anonymen Anrufers oder zur Feststellung erpresserischer Drohungen oder den Fall eines auf andere Weise nicht abwehrbaren Angriffs auf die berufliche Existenz (vgl. BVerfGE 106, 28, 49 f.; BGHZ 162, 1, 6; BGH, Urteil vom 18. Februar 2003, aaO, unter II 2 c).
- 29
- b) Damit ist der hier zu beurteilende Fall nicht annähernd vergleichbar. Die Zeugin Bü. hat das Telefonat nach den Feststellungen des Berufungsgerichts mitgehört, um den Inhalt anschließend buchmäßig leichter verarbeiten zu können. Das Mithören ist deshalb möglicherweise nicht mit dem Ziel geschehen, der Klägerin ein Beweismittel zu verschaffen. Gleichwohl bedeutet die Vernehmung der Zeugin Bü. zu dem Inhalt des Telefongesprächs einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Beklagten, für den es keine Rechtfertigung gibt. Dass die Zeugin Bü. dieselben Informationen im Anschluss an das Telefonat von ihrem Ehemann hätte erhalten können, ist rechtlich ohne Bedeutung. Das Recht am gesprochenen Wort schützt nicht die Privatsphäre, sondern die Selbstbestimmung über die unmittelbare Zugänglichkeit der Kommunikation ; dabei hängt der Schutz des Rechts am gesprochenen Wort weder davon ab, ob es sich bei den ausgetauschten Informationen um personale Kommunikationsinhalte oder gar besonders persönlichkeitssensible Daten handelt , noch kommt es auf die Vereinbarung einer besonderen Vertraulichkeit an (BVerfGE 106, 28, 41).
- 30
- 5. Das Berufungsurteil beruht auf den unter 3 und 4 aufgezeigten Rechtsfehlern (§ 545 Abs. 1 ZPO).
- 31
- a) Ein Beruhen der Entscheidung auf der Rechtsverletzung ist bei der Verletzung materiellen Rechts (vgl. oben unter 3) dann gegeben, wenn die Entscheidung ohne den Gesetzesverstoß im Ergebnis für den Revisionskläger günstiger ausgefallen wäre (MünchKommZPO/Wenzel, 3. Aufl., § 545 Rdnr. 14; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 30. Aufl., § 545 Rdnr. 12). Bei der Verletzung verfahrensrechtlicher Bestimmungen (vgl. oben unter 4) genügt hingegen bereits die Möglichkeit, dass das Berufungsgericht ohne den Verfahrensfehler zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre (BGH, Urteil vom 20. März 1995 - II ZR 198/94, NJW 1995, 1841, unter II 2; MünchKommZPO/Wenzel, aaO). Danach erweisen sich beide Begründungsstränge des Berufungsurteils als mit Rechtsfehlern behaftet, auf denen die Entscheidung beruht. Hinsichtlich der ersten Begründung ist davon auszugehen, dass das Berufungsgericht ohne den unter 3 aufgezeigten Rechtsfehler voraussichtlich nicht zur Verneinung eines Zurückweisungsrechts gelangt wäre. Hinsichtlich der alternativen Begründung (nachträgliche einvernehmliche Änderung des Vertragsgegenstands) ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht ohne die verfahrensfehlerhafte Verwertung der einem Beweisverwertungsverbot unterliegenden Aussage der Zeugin Bü. zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
- 32
- b) An dieser Möglichkeit eines anderen Ergebnisses ändert der Umstand nichts, dass das Berufungsgericht im Rahmen seines zweiten Begründungsstrangs insbesondere den Unterlagen, die aus der Zeit nach Abschluss des Kaufvertrags stammen, eine erhebliche Bedeutung für die Annahme einer nachträglichen Einigung der Kaufvertragsparteien auf eine schwarze Corvette beigemessen hat. Das Berufungsgericht gelangt in diesem Zusammenhang zwar zu der - durchaus nicht fern liegenden - Einschätzung, die genannten Unterlagen sprächen für sich alleine bereits für eine (nachträgliche) Einigung der Parteien auf eine schwarze Corvette. Diese für die rechtliche Beurteilung des Streitfalles wichtige Einschätzung hat das Berufungsgericht jedoch nicht als eigenen Gesichtspunkt angeführt, sondern lediglich in dem Teil der Urteilsbegründung erwähnt, der sich mit der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin Bü. befasst. Bei dieser Sachlage spricht zwar einiges dafür, dass das Berufungsgericht ohne die verfahrensfehlerhafte Verwertung der Aussage der Zeugin Bü. zu keinem anderen Ergebnis gelangt wäre. Angesichts des Aufbaus der Urteilsbegründung kann jedoch die Möglichkeit einer anderen Entscheidung des Berufungsgerichts nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden. Es bedarf daher einer erneuten Würdigung durch den Tatrichter. Dieser wird insbesondere zu beurteilen haben, ob bereits die verwertbaren Gesichtspunkte ausreichen, um zu der Annahme einer nachträglichen Einigung auf eine schwarze Corvette zu gelangen.
III.
- 33
- Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben; es ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil es einer erneuten tatrichterlichen Würdigung bedarf. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Dr. Fetzer Dr. Bünger Vorinstanzen:
LG Ellwangen, Entscheidung vom 15.09.2006 - 3 O 579/05 -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 05.03.2007 - 5 U 173/06 -
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 15.03.2013 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 11.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.03.2009 verurteilt, der Klägerin Krankengeld über den 31.01.2009 hinaus bis zum Erreichen der Höchstanspruchsdauer nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beklagte trägt die Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Krankengeld (Krg) über den 31.01.2009 hinaus.
3Die 1963 geborene Klägerin war bei der Fa. U Regioservice GmbH beschäftigt und Mitglied der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis am 21.01.2009 zum 31.01.2009.
4Die Klägerin erkrankte arbeitsunfähig (au) mit dem 12.12.2008 (bis zum 13.12.2008). Folgebescheinigungen wurden ausgestellt am 15.12.2008 bis 20.12.2008, am 22.12.2008 bis 31.12.2008, am 02.01.2009 bis 07.01.2009, am 06.01.2009 bis 10.01.2009, am 12.01.2009 bis 17.01.2009, am 16.01.2009 bis 24.01.2009, am 23.01.2009 bis 31.01.2009, am 03.02.2009 bis zum 09.02.2009 und am 09.02.2009 bis zum 15.02.2009. Am 23.01.2009 beantragte die Klägerin Krg bei der Beklagten.
5Mit Bescheid vom 11.02.2009 bewilligte die Beklagte für den Zeitraum vom 26.01. bis zum 31.01.2009 Krg. Grundsätzlich bestehe ein Krg-Anspruch ab dem 13.12.2008. Da jedoch der Arbeitgeber den Lohn bis zum 25.01.2009 fortgezahlt habe, ruhe der Anspruch auf Krg bis zu diesem Tag. Mit dem 03.02.2009 als Feststellungstag sei eine neue AU-Bescheinigung bis 09.02.2009 ausgestellt worden. Das Beschäftigungsverhältnis und damit die Mitgliedschaft zur AOK Westfalen-Lippe habe mit dem 31.01.2009 geendet. Ab dem 01.02.2009 habe weder eine Mitgliedschaft noch Krankenversicherungsschutz bestanden, die einen Krg-Anspruch hätten auslösen können.
6Zur Begründung ihres dagegen gerichteten Widerspruchs vom 18.02.2009 trug die Klägerin vor, sie sei seit dem 12.12.2008 ohne Unterbrechung au erkrankt. Am 03.02.2009 sei keine neue AU-Bescheinigung, sondern eine Folgebescheinigung vorgelegt worden. Die Klägerin legte dazu ein ärztliches Attest des die AU bescheinigenden Arztes Dr. U vom 16.02.2009 vor: "O.g. Patientin stellte sich am 03.02.09 vor. Am gleichen Tage wurde eine AU-Folgebescheinigung ausgestellt. Nun fehlen der 01. + 02.02.09 für den Krankengeldbezug. Hiermit bescheinigen wir Frau H, dass sie durchgehend, einschließlich der beiden oben genannten Daten, arbeitsunfähig erkrankt war. Außerdem ist es unseres Wissens nach rechtens, zwei Werktage rückwirkend eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auszustellen." Weiter machte die Klägerin geltend, sie sei gesundheitlich am 02.02.2009 nicht in der Lage gewesen, den behandelnden Arzt aufzusuchen. Sie habe sich daher bei dem Arzt erkundigt, ob eine AU-Bescheinigung auch ohne Arztbesuch erteilt werden könnte, was zunächst bejaht worden sei. Erst am nachfolgenden Tag sei sie in der Lage gewesen, den Arzt persönlich aufzusuchen, um die Bescheinigung abzuholen. Ihr sei dann erklärt worden, dass sie persönlich mit dem Arzt sprechen müsse, um die Bescheinigung zu erhalten. Daher habe die Bescheinigung erst am 03.02.2009 ausgestellt werden können. Am 01.02.2009 hätte sie keine AU-Bescheinigung erhalten können, da dies ein Sonntag gewesen sei. Im Übrigen habe sie von der Beklagten den Hinweis erhalten, sie bräuchte gar keine AU-Bescheinigungen mehr vorzulegen, was nicht nur irreführend, sondern schlichtweg falsch gewesen sei. Die Mitgliedschaft habe nicht am 31.01.2009 geendet, sondern bestehe unverändert fort.
7Mit Widerspruchsbescheid vom 18.03.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung verwies sie auf Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Danach könne AU grundsätzlich nicht rückwirkend festgestellt werden. Anspruch auf Krg bei AU entstehe erst mit dem Tag nach der ärztlichen Feststellung, unabhängig davon, ab wann AU tatsächlich bestehe. Die Voraussetzungen des Krg-Anspruchs müssten bei zeitlich befristeter AU-Feststellung und dementsprechender Krg-Gewährung für jeden Bewilligungsabschnitt erneut festgestellt werden. Die Regelung finde auch uneingeschränkt Anwendung, wenn es um eine Folge-AU aufgrund derselben Krankheit gehe. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG habe es die Klägerin bis zum 31.01.2009 schuldhaft versäumt, ihre weitere AU rechtzeitig ärztlich feststellen zu lassen. Das vorgelegte ärztliche Attest entbinde die Klägerin nicht von dieser Verpflichtung. Die Klägerin hätte sich spätestens bis zum 31.01.2009 (einem Samstag) bei dem behandelnden Arzt vorstellen müssen, um sich ggf. von ihm die weitere AU bestätigen zu lassen. Für die AU ab 03.02.2009 hätte die Klägerin allenfalls ab dem 04.02.2009, dem Tag nach der ärztlichen Feststellung, im Rahmen des § 19 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) Anspruch auf Krg.
8Die Klägerin hat zur Begründung der Klage in Ergänzung des Widerspruchs ausgeführt: Es liege ein Ausnahmefall vor, der die rückwirkende Feststellung von AU zulasse. Sie sei an der rechtzeitigen ärztlichen Feststellung durch das Verhalten der Beklagten gehindert gewesen. Diese habe gegen ihre Aufklärungspflichten verstoßen und sie, die Klägerin, nicht ausreichend über ihre Pflichten aufgeklärt, insbesondere nicht über die Folgen einer verspätet ausgestellten AU-Bescheinigung und darüber, wann diese als verspätet ausgestellt gelte. Nach Erhalt der Kündigung durch ihren Arbeitgeber habe sie sich mit der Beklagten telefonisch in Verbindung gesetzt. Die Sachbearbeiterin habe ihr erklärt, sie bräuchte keine AU-Bescheinigungen mehr einzureichen, da sie ab dem 01.02.2009 ohnehin nicht mehr versichert sei (Zeugnis des H). Alles Weitere habe in einem persönlichen Gespräch am 30.01.2009 geklärt werden sollen. Anlässlich dieses Gesprächs sei nur die Rede davon gewesen, dass sie ab dem 01.02.2009 nicht mehr versichert sei. Es sei die Frage einer Familienversicherung diskutiert, auf die Stellung eines Rentenantrages und zuletzt noch auf die Möglichkeit der freiwilligen Mitgliedschaft hingewiesen worden. All diese Informationen seien falsch gewesen und hätten sie daran gehindert, noch an diesem Tag den behandelnden Arzt aufzusuchen und eine rechtzeitige weitere AU-Bescheinigung beizubringen. Sie sei zu keinem Zeitpunkt darüber aufgeklärt worden, dass sie weiterhin beitragsfreies Mitglied der Beklagten sein würde, wenn sie eine rechtzeitige AU-Bescheinigung vorlegen würde. Wäre die Beklagte ihren Pflichten nachgekommen und hätte sie sie ordnungsgemäß aufgeklärt, statt ihr nur Vorschläge zu unterbreiten, welche auf jeden Fall zum Verlust des Krg führen mussten, hätte sie noch vor Ablauf der bescheinigten AU den behandelnden Arzt aufgesucht. Die Beklagte habe ihr auch keinen Auszahlschein überlassen, auf dem der behandelnde Arzt hätte die AU bestätigen können. Diese rückwirkenden Bestätigungen erkenne die Beklagte im Übrigen ohne Weiteres an. Die Folgebescheinigung bestätige zwar den Fortbestand der AU, der Krg-Anspruch bestehe jedoch unabhängig davon. Es lägen die Voraussetzungen des sogenannten sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs vor.
9Die Klägerin hat ein weiteres ärztliches Attest ihrer die AU bescheinigenden Ärzte vom 31.03.2009 zu den Gerichtsakten gereicht. Darin ist ausgeführt: "Frau H hatte bei uns eine AU zum 31.01.2009 erhalten. Am 03.02.09 wurde eine AU-Folgebescheinigung ausgestellt, die unseres Wissens auch bis zu 3 Werktagen rückwirkend ausgestellt werden kann. Zur Dokumentation sind beide AU-Bescheinigungen als Duplikat beigefügt. Am 02.02.09 hatte sich die Patientin jedoch telefonisch in der Praxis gemeldet und nach Rücksprache für den nächsten Tag, dem 03.02.09 einen Termin erhalten, da sie am 02.02.09 nicht in der Lage war, aus gesundheitlichen Gründen persönlich zu erscheinen. Diesen Vorgang haben wir in einem Attest vom 16.02.09 bereits ebenfalls bescheinigt."
10Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass die Klägerin zum 01.02.2009 gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V hätte eine freiwillige Mitgliedschaft begründen können. Die Klägerin sei, da sie diese Option nicht genutzt habe, gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V pflichtversichert. Ein Beratungsfehler liege nicht vor, vielmehr habe die Klägerin ihre Obliegenheiten verletzt. Sie hat eine von der Zeugin S unter dem 02.11.2009 gefertigte Stellungnahme zum Vorwurf der Erteilung einer Falschauskunft vorgelegt, auf die Bezug genommen wird.
11Das Sozialgericht hat am 05.03.2012 einen Termin zur Erörterung und Beweisaufnahme durchgeführt und Beweis erhoben durch die Vernehmung des von der Klägerin benannten Zeugen H sowie der Zeugin S, Sozialversicherungsfachangestellte. Wegen der Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift der nichtöffentlichen Sitzung des Sozialgerichts Dortmund vom 05.03.2012 verwiesen.
12Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 15.03.2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG sei ein Versicherter arbeitsunfähig, wenn er durch Krankheit gehindert sei, seine arbeitsvertraglich geschuldete, zuletzt ausgeübte Arbeit zu vernichten. Der Anspruch auf Krg entstehe nach § 46 Abs. 1 Nr. 2 SGB V von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der AU folge. Zur Überzeugung der Kammer lasse sich nicht feststellen, dass im Fall der Klägerin ein Ausnahmefall greifen würde. Es stehe nämlich nicht fest, dass sie alles in ihrer Macht Stehende getan habe, um das Fortbestehen des Anspruchs auf Krg und der entsprechenden Mitgliedschaft zu sichern. Die erneute Feststellung der AU erst am 03.02.2009 sei verspätet. Die von der Klägerin geschilderte Falschberatung der Beklagten sei nicht erwiesen. Die Zeugin S habe glaubhaft versichert, dass sie einem Versicherten, der au sei und die Arbeit verloren habe, nicht dahingehend berate, dass er keine AU-Bescheinigungen mehr vorlegen bräuchte. Dies sei im Hinblick auf die Erfahrung auch fernliegend. Die Aussage des Zeugen H sei demgegenüber nicht geeignet, die Kammer zu veranlassen, von der gegenteiligen Sachverhaltsschilderung der Klägerin überzeugt zu sein. Dabei sei zu berücksichtigen, dass er als ehemaliger Lebensgefährte der Klägerin in ihrem Lager stehe. Dies gehe nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast im sozialgerichtlichen Verfahren zulasten der Klägerin. Dahinstehen könne schließlich, dass die ärztlich festgestellten AU-Zeiten der Klägerin im weiteren Verlauf ebenfalls Lücken aufwiesen.
13Gegen das ihr am 22.04.2013 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 03.05.2013. Die Klägerin verweist auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und hält an ihrer Auffassung fest, dass ihr über den 31.01.2009 hinaus Krg zustehe. Die in ihrem Fall erfolgte Falschberatung sei eine bei der Beklagten offensichtlich gängige Praxis, denn ihr seien mindestens zwei weitere Fälle bekannt, in denen Sachbearbeiter der Beklagten genau denselben Hinweis erteilt hätten. Der Klägerin sei dies selbst widerfahren am 26.10.2010, als sie der Beklagten mitgeteilt habe, dass ein von ihr zwischenzeitlich eingegangenes Arbeitsverhältnis gekündigt worden sei. Ihr sei - bei wiederum bestehender AU - durch den zuständigen Sachbearbeiter bedeutet worden, sie solle sich an das Jobcenter wenden, damit sie dort Leistungen erhalte und über das Jobcenter krankenversichert sei. In einem weiteren Telefonat am 03.11.2011 habe ihr eine andere Sachbearbeiterin den Rat erteilt, keine weiteren AU-Bescheinigungen des Arztes mehr ausstellen zu lassen und sich sodann beim Jobcenter arbeitsuchend zu melden. Sie würde kein Krg mehr erhalten. Einem Zeugen seien ähnliche Ratschläge erteilt worden. Die Fehlinformationen hätten offenbar Methode, um sich berechtigten Krg-Zahlungen zu entziehen. Möglich sei allerdings auch, dass die einzelnen Sachbearbeiter der Beklagten völlig falsch unterrichtet seien. Aber auch dies müsste der Beklagten angelastet werden. Belegt werde dies durch ein Rundschreiben des Bundesversicherungsamtes an alle bundesunmittelbaren Krankenkassen vom 12.11.2010. Darin werde ausführlich dargelegt, dass es oft Verfahrensfehler bei der Einstellung von Krg-Zahlungen gebe, die unrechtmäßig seien.
14Die Klägerin beantragt,
15das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 15.03.013 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 11.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.03.2009 zu verurteilen, ihr Krankengeld über den 31.01.2009 hinaus bis zum Erreichen der Höchstanspruchsdauer nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
16Die Beklagte beantragt,
17die Berufung zurückzuweisen.
18Sie hält das erstinstanzliche Urteil unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG für zutreffend. Die Voraussetzungen eines Krg-Anspruchs und damit auch die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V müssten bei zeitlich befristeten Feststellungen von AU und dementsprechender Krg-Gewährung jeweils erneut für jeden Bewilligungsabschnitt vorliegen. Eine nur in Ausnahmefällen mögliche rückwirkende Nachholung der ärztlichen Feststellung der AU scheide hier aus. Die von der Klägerin benannten Mitarbeiter hätten, zu den Vorwürfen der Klägerin befragt, entweder mitgeteilt, es habe zu keiner Zeit telefonischen Kontakt zur Klägerin gegeben, oder schriftlich dargelegt, die Klägerin in einem Telefonat über die weitere Mitgliedschaft und ihre weitergehenden Ansprüche auf Arbeitslosengeld ordnungsgemäß beraten zu haben.
19In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte erklärt, sie werde der Klägerin Krg nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen bis zum Erreichen der Höchstanspruchsdauer gewähren, falls rechtskräftig entschieden werde, dass bei zeitlich befristeten AU-Bescheinigungen die ärztliche Feststellung des Weiterbestehens der AU nicht spätestens am letzten Tag des zuvor bescheinigten Zeitraums zu erfolgen habe, sondern für den Krg-Anspruch das objektive Bestehen von AU maßgeblich sei.
20Die Klägerin hat Kopien der AU-Bescheinigungen für den Zeitraum vom 23.01.2009 bis zum 08.06.2010 vorgelegt; auf die genannten Unterlagen wird Bezug genommen.
21Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
22Entscheidungsgründe:
23I. Die Berufung der Klägerin ist statthaft und auch sonst zulässig.
24II. Ihre Berufung ist auch begründet. Der Bescheid vom 11.02.2009 ist rechtswidrig, soweit Krg über den 31.01.2009 hinaus verweigert worden ist. Der Klägerin steht Krg auch für die Zeit ab dem 01.02.2009 bis zur Anspruchserschöpfung am 08.06.2009 zu, so dass das Sozialgericht die Klage zu Unrecht abgewiesen hat.
25Nach § 44 Abs. 1 1. Alt. SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krg, wenn Krankheit sie au macht. Ob der Betreffende mit Anspruch auf Krg versichert ist, bestimmt sich nach seinem Status zum Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung der AU (so jetzt BSGE 111, 18, Rn. 15; anders allerdings erneut BSG, Urteil vom 04.03.2014 - B 1 KR 17/13 R - Rn. 14, wo wieder die frühere Formulierung aufgegriffen wird, für den Umfang des Versicherungsschutzes sei auf den Tag abzustellen, der dem Tag der Feststellung der AU folge). Die Klägerin war aufgrund ihrer Beschäftigung bei der Fa. U Regioservice GmbH mit Anspruch auf Krg versichert (§§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 44 SGB V). Ihre Mitgliedschaft endete aber nicht mit dem Wegfall der Beschäftigung gegen Entgelt, sondern blieb nach Maßgabe des § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V durch den Bezug von Krg bzw. einen Anspruch auf Krg erhalten. Somit bestand die Mitgliedschaft aus der Beschäftigtenversicherung bis zum 31.01.2009 schon aufgrund der Gewährung von Krg fort. Sie bestand aber auch im Zeitraum nach dem 31.01.2009 fort, da der Klägerin aufgrund der am 12.12.2008 eingetretenen und festgestellten AU ein durchgehender mitgliedschaftserhaltender Krg-Anspruch zustand, der unabhängig vom Zeitpunkt weiterer ärztlicher AU-Feststellungen bestand.
26Allerdings geht das BSG in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass auch bei fortdauernder AU, "aber abschnittsweiser Krg-Bewilligung" in jedem Bewilligungszeitraum rechtlich selbstständige Ansprüche auf Krg bestehen. Das BSG verlangt "bei zeitlich befristeter AU-Feststellung und dementsprechender Krg-Gewährung", dass die Voraussetzungen des Krg-Anspruchs, vor allem ein Mitgliedschaftsverhältnis mit Anspruch auf Krg, für jeden Bewilligungsabschnitt erneut festgestellt werden müssen, wobei § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V uneingeschränkt auch dann Anwendung finden soll, wenn es um die Folge-AU wegen derselben Krankheit geht (vgl. BSGE 94, 247; 95, 219; SozR 4-2500 § 44 Nr. 12; SozR 4-2500 § 46 Nr. 12; Urteil vom 26.07.2007 - B 1 KR 2/07 R = USK 2007-33; SozR 4-2500 § 44 Nr. 14; SozR 4-2500 § 192 Nr. 4; BSGE 111, 9; 111, 18; Urteil vom 04.03.2014 - B 1 KR 17/13 R). Das BSG nimmt somit eine Kette rechtlich selbstständiger Ansprüche an, die jeweils neu entstehen müssen. Da nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V ein Krg-Anspruch am Tag nach der ärztlichen Feststellung der AU entsteht, muss die weitere AU vor Ablauf des Krg-Bewilligungsabschnitts (und zwar spätestens am letzten Tag des Bewilligungszeitraums) erneut ärztlich festgestellt werden, damit eine nahtlose Reihe von Krg-Ansprüchen besteht, die für die Erhaltung der Mitgliedschaft erforderlich ist. Wegen der verzögerten Anspruchsentstehung erst am Tag nach der ärztlichen Feststellung der AU (anders allerdings bei Versicherten im Rahmen der Krankenversicherung der Arbeitslosen (KVdA), § 47b Abs. 1 Satz 2 SGB V, s. dazu unten 2 f) führt eine "Lücke" in den AU-Feststellungen (in Wahrheit liegt allerdings insoweit keine Lücke vor, weil eine AU-Feststellung am Tag nach dem zuletzt bescheinigten Zeitraum nahtlos an die vorangegangene Feststellung anknüpft; lediglich wegen der Anwendung des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V kommt es zu einer Lücke in den Krg-Anspruchszeiträumen) dazu, dass mit dem Ende des Krg-Anspruchs auch die über ihn aufrecht erhaltene Mitgliedschaft mit Anspruch auf Krg endet und anschließend allenfalls ein nachgehender Krg-Anspruch (§ 19 Abs. 2 SGB V) in Betracht kommt (s. dazu BSGE 111,9 Rn. 30 ff.).
27Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung haben die Beklagte und das Sozialgericht angenommen, die Klägerin sei am 03.02.2009 bei der erneuten ärztlichen Feststellung der AU nicht mehr mit Anspruch auf Krg versichert gewesen, da ihre Mitgliedschaft mit dem Krg-Anspruch am 31.01.2009 geendet habe. Diese Annahme ist allerdings schon auf dem Boden der zitierten Rechtsprechung des BSG deshalb fragwürdig, weil dessen Argumentation immer auf das Ende des Krg-Bewilligungszeitraums abstellt. Da hier die Beklagte Krg erst nachträglich mit Bescheid vom 11.02.2009 bewilligt hat, gab es keinen am 31.01.2009 ablaufenden Krg-Bewilligungsabschnitt, so dass sich damit hätte die Frage aufdrängen müssen, warum trotz durchgehend bescheinigter AU der Krg-Anspruch am 31.01.2009 enden sollte.
28Der Senat, der bisher ebenso wie andere Obergerichte (s. nur LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23.11.2011 - L 9 KR 563/11; LSG Hamburg, Urteil vom 04.12.2012 - L 1 KR 25/11; LSG Hessen, Urteil vom 24.10.2013 - L 8 KR 114/12; LSG NRW, Urteil vom 19.12.2012 - L 11 KR 538/12; Urteil vom 11.4.2013 - L 5 KR 462/12) der genannten Rechtsprechung des BSG gefolgt ist (s. etwa Senat, Urteil vom 14.07.2011 - L 16 KR 73/10; Urteil vom 15.03.2012 - L 16 KR 146/11), hält nach Überprüfung hieran nicht fest und ist der Auffassung, dass es der ärztlichen Feststellung der AU als Voraussetzung der Entstehung des Krg-Anspruchs nur für den Beginn des Krg-Anspruchs bedarf und dieser - unabhängig von ärztlichen Feststellungen und Bescheinigungen - so lange fortbesteht, wie objektiv AU wegen derselben Krankheit vorliegt (ebenso SG Trier, Urteil vom 24.04.2013 - S 5 KR 77/12; SG Mainz, Urteil vom 24.09.2013 - S 17 KR 247/12; SG Speyer, Urteil vom 22.11.2013 - S 19 KR 600/11). Es ist demnach unerheblich, dass hier nach der AU-Bescheinigung bis 31.01.2009 die Folgebescheinigung erst am 03.02.2009 erfolgte und auch später weitere AU-Feststellungen nicht rechtzeitig i.S. der zitierten Rechtsprechung des BSG erfolgt sind.
291. Das BSG hat erstmals im Urteil vom 22.03.2005 (BSGE 94, 247) angenommen, dass bei abschnittsweiser Gewährung von Krg das Vorliegen der leistungsrechtlichen Voraussetzungen für jeden weiteren Bewilligungsabschnitte zu prüfen sei. Es hat dabei an frühere Rechtsprechung angeknüpft (nach dem Leitsatz zu 1) wird das Urteil unter anderem als Fortführung von BSGE 70,31 bezeichnet), die allerdings nur den Inhalt von Krg-Bewilligungen betraf. Das BSG hatte insoweit entschieden, dass in einer Gewährung von Krg wegen AU auf der Grundlage einer befristeten AU-Bescheinigung vorbehaltlich einer abweichenden Bestimmung regelmäßig die Entscheidung der Kasse zu sehen sei, dass Krg für die Zeit der bescheinigten AU gewährt werde, so dass damit mit der Krg-Bewilligung auch über das - vorläufige - Ende der Krg-Bezugszeit entschieden werde (grundlegend BSG SozR 2200 § 182 Nr. 103; BSGE 70, 31). Rechtliche Bedeutung hat diese Aussage des BSG aber allein auf der verfahrensrechtlichen Ebene: Aufgrund der zeitlichen Begrenzung der Bewilligung kann die Kasse über die Weiterbewilligung von Krg ungeachtet der vorangegangenen Bewilligung ohne die Bindungen der §§ 45, 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) entscheiden. Sie kann also eigenständig prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen des Krg-Anspruchs (weiter) vorliegen und dürfte ohne Rücksicht auf die vorangegangene Bewilligung eine Weitergewährung ablehnen, wenn etwa die AU unzutreffend beurteilt oder ein gesetzlicher Ausschlussgrund (s. § 50 Abs. 1 SGB V) nicht beachtet worden wäre. Ebenso liegt in der Ablehnung der Weitergewährung nicht der Entzug der Leistung, so dass § 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG nicht eingreift (s. Bayerisches LSG, NZS 2012, 341; Schleswig-Holsteinisches LSG, Breith. 2013, 657). In den genannten Entscheidungen wird dementsprechend auch nicht vom Ende des Krg-Anspruchs, sondern nur vom "Ende der Krg-Bezugszeit" gesprochen.
30Über diese Rechtsprechung geht das BSG im Urteil vom 22.03.2005 (und in den folgenden Entscheidungen) hinaus, wenn es ausführt, dass auch nach vorangegangener Krg-Gewährung "die rechtlichen Voraussetzungen des Krg-Anspruchs und damit ein neuer Leistungsfall" zu prüfen seien (juris Rn. 31). Es nimmt jetzt also an, dass mit Ablauf des bisher bewilligten Krg-Bezugs ein neuer Krg-Anspruch entstehen muss, so dass folgerichtig auch § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V zur Anwendung kommt (so ausdrücklich BSG SozR 4-2500 § 44 Nr. 12 Rn.16).
31Demgegenüber hatte das BSG im Urteil vom 26.11.1991 (BSGE 70, 31) noch betont, Entstehung und Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bestimmten sich nach dem Recht, das zur Zeit der Anspruchsentstehung gegolten habe, sofern nicht später entstandenes Recht etwas anderes bestimme (juris Rn. 14), so dass es in einem Fall, in dem ein (in der sechsten Blockfrist) im November 1988 wiederaufgelebter Krg-Anspruch für die Zeit ab Inkrafttreten des SGB V (01.01.1989) in Frage stand, ungeachtet einer abschnittsweisen Krg-Bewilligung entschieden hat, dass auf die weitere Dauer des wiederaufgelebten Krg-Anspruchs das alte Recht Anwendung finde (juris Rn. 16). Es war also ersichtlich der Ansicht, dass auch bei abschnittsweiser Krg-Bewilligung ein einheitlicher Leistungsanspruch vorliegt und nicht entsprechend den Bezugszeiträumen jeweils ein neuer selbstständiger Leistungsanspruch entsteht. Diese Sichtweise bestimmt auch noch das Urteil vom 08.02.2000 (BSGE 85,271). Es beschäftigt sich nur mit der Frage, ob einem rückwirkend nach zwei Jahren erhobenen Anspruch auf Krg das Ruhen wegen der unterbliebenen Meldung (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V) entgegenstehe. Das BSG hat zwar in der Entscheidung gefordert, dass die AU vor jeder erneuten Inanspruchnahme des Krg angezeigt werden müsse und dazu ausgeführt, auch wenn bei ununterbrochenem Leistungsbezug wegen der Befristung der bisherigen Krankschreibung über die Weitergewährung neu zu befinden sei, müsse der Versicherte die AU rechtzeitig vor Fristablauf feststellen lassen und seiner Krankenkasse melden, wenn er das Ruhen des Leistungsanspruchs vermeiden wolle (a.a.O. S. 275). Dass das BSG in diesem Zusammenhang aber nur das Ruhen des Anspruchs anspricht, zeigt, dass es offensichtlich die ärztliche Feststellung nicht als Entstehensvoraussetzung des weiteren Krg-Anspruchs angesehen hat, sondern (nur) als selbstverständliche Voraussetzung der Meldung (denn Ruhen kann nur ein entstandener Anspruch).
32Weshalb das BSG in dem Urteil vom 22.03.2005 hiervon abgerückt und - wie der Verweis auf BSGE 90,72, 83, wo es um die erstmalige Entstehung des Krg-Anspruchs gegangen war, zeigt - jetzt annimmt, dass mit jedem Bewilligungszeitraum ein neuer Anspruch auf Krg entstehen muss, wird in der Entscheidung nicht näher begründet. Ohnehin ging es in der genannten Entscheidung nur um die Frage, ob bei einem während des Bezugs von Arbeitslosengeld (Alg) au gewordenen Versicherten die bei Beginn der AU geltenden Zumutbarkeitsbestimmungen des (damals geltenden) § 121 Drittes Buch Sozialgesetzbuch ((SGB III), jetzt § 140 Abs. 3 SGB III) maßgeblich für die Beurteilung der AU auch für die späteren Bewilligungsabschnitte sind. Insoweit hat das BSG sein Abrücken von dem Grundsatz, dass der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche nach dem zur Zeit der Anspruchsentstehung geltenden Recht zu beurteilen sei, u.a. damit begründet, es gehe hier nicht um eine Rechtsänderung, sondern um die Anwendung abgestufter Zumutbarkeitskriterien, die dem Anspruch auf Alg von vornherein innewohnten (juris Rn. 32).
33Im Urteil vom 08.11.2005 (BSGE 95, 219) hat das BSG diese Rechtsprechung nunmehr auch auf das Mitgliedschaftsverhältnis bezogen. Da es zu Lücken bei der ärztlichen Feststellung der AU gekommen sei, habe es an einer den Krg-Anspruch erhaltenden ärztlichen Feststellung durchgehender AU gefehlt, so dass die an die frühere Beschäftigung anknüpfende Mitgliedschaft mangels durchgehenden Krg-Anspruchs bei der späteren Geltendmachung des Krg-Anspruchs nicht mehr bestanden habe (Rn. 14).
342. Der Senat hält diese Rechtsprechung des BSG nicht für überzeugend.
35a) Es fehlt schon an einer nachvollziehbaren Begründung, weshalb das BSG abweichend von seiner früheren Auffassung jetzt annimmt, dass trotz durchgehender AU bei den in der Praxis üblichen zeitlich befristeten AU-Bescheinigungen und Krg-Bewilligungen jeweils rechtlich selbstständige Leistungsansprüche bestehen, auf die jeweils § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V Anwendung findet. Der Wortlaut der Vorschrift spricht nur von der Entstehung "des" Anspruchs auf Krg. Das Gesetz bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass dieser Anspruch nur für die Dauer des prognostizierten Zeitraums entsteht oder an dessen Ende erlischt und damit bei Fortbestehen der AU eine Kette von Krg-Ansprüchen besteht. Regelungen zum Ende bzw. dem Wegfall des Krg-Anspruchs trifft das Gesetz in § 50 Abs. 1 SGB V und § 51 Abs. 3 SGB V. Gerade mit Blick auf § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB V, wonach Krg wegen derselben Krankheit von Beginn der AU für begrenzte Zeit gezahlt wird, liegt es näher, dass der durch die Feststellung der AU ausgelöste Krg-Anspruch so lange besteht, wie die durch dieselbe Krankheit verursachte AU objektiv vorliegt.
36Dagegen spricht auch nicht der Zweck der Vorschrift. Sie soll den Versicherten bewegen, rechtzeitig die AU durch einen Arzt feststellen zu lassen, um damit Missbrauch und Unsicherheiten wegen eines behaupteten früheren Eintritts von AU vorzubeugen (BSGE 95, 219 Rn.16). Die Erforderlichkeit einer ärztlichen Feststellung der AU geht auf eine Neufassung der Vorgängerregelung in § 182 Abs. 3 RVO zurück. Während davor der Nachweis der AU auch rückwirkend geführt werden konnte, hat dann der Gesetzgeber aus Gründen der Praktikabilität und zur Missbrauchsabwehr die Feststellung durch den Arzt für maßgeblich erklärt. Es ging also bei der Neuregelung (nur) darum, den Eintritt des Versicherungsfalls zuverlässig feststellen zu können und die Zuerkennung von Krg vor Aufsuchen eines Arztes auszuschließen (vgl. BSGE 24, 278, 279; Schmidt in Peters, Handbuch der Krankenversicherung - SGB V, § 46 Rn. 21). Dieses Ziel ist erreicht, wenn man die erstmalige Gewährung von Krg von der ärztlichen Feststellung abhängig macht, weil damit das Vorliegen des Versicherungsfalls festgestellt ist und von der Kasse überprüft werden kann. Im Folgenden geht es nur noch um die Prüfung, ob dieser Versicherungsfall weiter vorliegt. Daher ist die Auffassung überzeugend, dass nach der Erstfeststellung der AU alle weiteren Krg-Ansprüche allein in Abhängigkeit vom tatsächlichen Fortbestehen des Versicherungsfalles entstehen und die weiteren AU-Feststellungen nur dem Nachweis des Fortbestehens der AU und nicht der Feststellung einer neuen AU dienen (Berchtold, Krankengeld, 2004, Rn. 527; Schmidt, a.a.O., § 44 Rn. 35a, § 46 Rn.32, § 49 Rn. 110a).
37b) Auch die Leistungsentscheidungen der Krankenkasse können nicht bewirken, dass ein entstandener Krg-Anspruch bei fortbestehender AU erlischt und neu entstehen muss. Dass bei zeitlich befristeten Krg-Bewilligungen schon das Ende des Bezugszeitraums festgelegt wird und dementsprechend eine neue Entscheidung für den Folgezeitraum zu ergehen hat, bedeutet nur, dass über die Folgezeit neu entschieden werden muss, ist aber unerheblich für die Frage, ob auch für die Folgeperiode der Krg-Anspruch neu entstehen muss. Wie oben gezeigt, hat die Rechtsprechung, wonach Krg nur für die Dauer des bescheinigten Zeitraums bewilligt wird, verfahrensrechtliche Bedeutung. Zwar müssen auch für den weiteren Krg-Bezug die gesetzlichen Voraussetzungen, namentlich fortbestehende AU vorliegen und es dürfen keine entgegenstehende Gründe wie die Anspruchserschöpfung (§ 48 Abs. 1 SGB V) oder ein gesetzlicher Ausschlusstatbestand (§ 50 Abs. 1 SGB V) eingreifen. Damit wird aber nur der Fortbestand des materiellen Krg-Anspruchs geprüft. Mit Recht ist daher in den Ausgangsentscheidungen des BSG nicht vom Ende des Krg-Anspruchs, sondern des Krg-Bezugsraums die Rede.
38Wenn demgegenüber das BSG jetzt meint, der Krg-Anspruch müsse für jeden Bewilligungsabschnitt neu entstehen und eigenständig geprüft werden, werden die Fragen des Ent- bzw. Bestehens des materiellen Krg-Anspruchs und dessen Zuerkennung durch die Kasse miteinander vermengt. Der materielle Krg-Anspruch besteht unabhängig von der Entscheidung der Kasse; ein zu Unrecht abgelehnter Anspruch geht, wie schon § 44 SGB X zeigt, nicht unter, sondern muss nur gegen die Kasse durchgesetzt werden. Im Übrigen geht das BSG auch selbst davon aus, dass die Entscheidung der Kasse nicht maßgeblich für das Bestehen des materiellen Krg-Anspruchs ist, wenn es annimmt, dass eine zeitlich nicht eingegrenzte ärztliche AU-Bescheinigung auch einen über den gegenwärtigen Krg-Bewilligungsabschnitt hinausreichenden Anspruch für weitere Bewilligungsabschnitte begründen kann (BSGE 111,18 Rn. 18; BSG, Urteil vom 12.03.2013 - B 1 KR 7/12 R juris Rn. 15). Demnach besteht der materielle Krg-Anspruch unabhängig von der Verwaltungsentscheidung der Kasse.
39c) Wenn das BSG von zeitlich befristeten AU-Bescheinigungen und dementsprechender Krg-Bewilligung spricht und fordert, dass die weitere Feststellung der AU vor Ablauf des Krg-Bewilligungsabschnitts erfolgen müsse, liegt dem offenbar die Vorstellung zugrunde, dass Krg im Voraus für die Zeit der ärztlich prognostizierten Dauer der AU gewährt werde (s. auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23.11.2011 - L 9 KR 563/07, juris Rn. 39 ff., das unter Zitierung der Rechtsprechung des BSG meint, nach der "gesetzlichen Konzeption" könne ein Anspruch auf Krg nur für zukünftige, der Feststellung der AU folgende Zeiträume begründet werden, so dass es "grob fehlerhaft" sei, wenn eine Kasse für abgelaufene Zeiträume AU-Bescheinigungen verlange und nur für diese Zeiträume Krg zahle).
40Dem entspricht aber die sich auch in § 6 Abs. 2 Satz 2 der "Richtlinien des Gemeinsamen Bundesauschusses über die Beurteilung der AU und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 SGB V" ((AU-RL) i.d.F. vom 14.11.2013 (BAnz AT 27.01.2014 B4)) ausdrückende Praxis der Krankenkassen nicht. Nach Ablauf der Entgeltfortzahlung, während der der Krg-Anspruch ruht (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V), erfolgt die Krg-Gewährung in der Praxis nach Kenntnis des Senats aus zahlreichen Verfahren verbreitet unter Verwendung von Auszahlscheinen. Dabei wird überwiegend das Krg nur bis zum Zeitpunkt der Ausstellung des Auszahlscheins gezahlt, auch wenn der Arzt darüber hinaus für eine Folgezeit AU bescheinigt hat. Andere Kassen - wie in dem mit Urteil vom heutigen Tag entschiedenen Parallelverfahren L 16 KR 208/13 - zahlen das Krg auch über das Datum der Ausstellung hinausgehend bis zum Ende des Monats. In allen Fällen erfolgt aber immer die Gewährung von Krg rückwirkend für einen (zumindest weitgehend) bereits abgelaufenen Zeitraum. Wird von der Krankenkasse Krg nachträglich nur bis zum Datum der Ausstellung der letzten AU-Bescheinigung gezahlt, gibt es also nie einen Bewilligungsabschnitt, vor dessen Ablauf AU erneut festgestellt werden könnte. Dieser Praxis der Kassen entspricht § 6 Abs. 2 Satz 1 AU-RL, der vorsieht, dass die Bescheinigung für die Krg-Zahlung rückwirkend für einen nicht mehr als sieben Tage umfassenden Zeitraum (und nur für zwei Tage im Voraus) erfolgen soll, wobei Abs. 3 sogar davon ausgeht, dass rückwirkend AU auch dann bescheinigt werden darf, wenn der Versicherte mit triftigem Grund einen ärztlichen Behandlungstermin nicht wahrgenommen hat. Die Regelung geht also davon aus, dass es ausreicht, wenn rückblickend zuverlässig das objektive Bestehen von AU festgestellt werden kann. Auch wenn die AU-RL nicht einer gesetzlichen Regelung widersprechen oder sie modifizieren können, zeigen sie doch, dass die Praxis der Krg-Gewährung nicht (und noch nie) dem "Modell" des BSG einer Krg-Zahlung für einen der Bescheinigung nachfolgenden Zeitraum entspricht. Es ist somit festzustellen, dass die Krankenkassen zwar verbal die Rechtsprechung des BSG rezipieren, ihre Praxis der Krg-Zahlung aber einem anderen "Modell" folgt. Warum die Krankenkassen gleichwohl meinen, auf der Grundlage dieser Rechtsprechung Krg verweigern zu dürfen, wenn Versicherte zu einem späteren als dem im Auszahlschein angegebenen Datum den Arzt aufsuchen, um weiter AU bescheinigen zu lassen, bleibt offen. Sie können sich jedenfalls nicht darauf berufen, aufgrund ihrer befristeten Bewilligung habe der Krg-Anspruch mit dem Ende des Bewilligungszeitraums geendet, wenn sie ohnehin nicht für die voraussichtliche weitere Dauer der AU, sondern nur für den zurückliegenden Zeitraum Krg bewilligt haben (daher unter dem Gesichtspunkt des venire contra factum proprium der Krankenkasse die Berufung auf eine rückwirkende Feststellung von AU versagend, wenn bislang immer im Auszahlscheinverfahren Krg für rückwirkend bescheinigte AU-Zeiten gezahlt worden ist LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.04.2012 - L 11 KR 384/10, juris Rn. 38).
41d) In Wahrheit ist aber auch für das BSG die Krg-Bewilligung letztlich ohne rechtliche Bedeutung. Obwohl es immer die Formulierung von "zeitlich befristeter AU-Feststellung und dementsprechender Krg-Gewährung" gebraucht bzw. die "Feststellung von AU vor Ablauf des Krg-Bewilligungsabschnitts" fordert, prüft es in den Entscheidungen nie, wann Bewilligungen erfolgt waren und welchen Inhalt diese hatten. Tatsächlich geht das BSG immer nur vom Inhalt der ärztlichen Bescheinigungen aus. Dies wird besonders deutlich in den Fällen, in denen überhaupt keine Krg-Bewilligung vorlag. So hatte in einem der am 26.06.2007 entschiedenen Fälle der Versicherte Entgeltfortzahlung auf der Grundlage einer entsprechend befristeten AU-Bescheinigung bis zum Ende der Beschäftigung am 31.05. erhalten. Die weitere ärztliche Feststellung der AU erfolgte dann am 01.06. Das BSG behauptet in der Entscheidung ohne weiteres, es gebe einen neuen Bewilligungsabschnitt ab dem 01.06., für den es dann an der Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft fehle (BSG SozR 4-2500 § 44 Nr. 12 Rn. 16), obwohl mit Sicherheit wegen der Entgeltfortzahlung keine Entscheidung über das Krg ergangen war und der noch während der Beschäftigung entstandene Krg-Anspruch lediglich wegen des Bezugs von Arbeitsentgelt geruht hatte (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Auch in dem dem Urteil vom 10.05.2012 (BSGE 111, 9) zugrunde liegenden Fall war keine Krg-Bewilligung erfolgt. Die Kasse hatte nämlich schon von Anfang an die Entstehung eines Krg-Anspruchs verneint, weil die AU erst am letzten Tag des Beschäftigungsverhältnisses festgestellt worden war, was die Kasse unter Hinweis auf ein Besprechungsergebnis der (früheren) Spitzenverbände der Krankenkassen (Besprechungsergebnis vom 07.05.2008, Die Leistungen 2008, 751) nicht für ausreichend gehalten hatte. Ebenso hatte in der Entscheidung vom 02.11.2007 die Krankenkasse aus Rechtsgründen von Anfang an die Zahlung von Krg abgelehnt - das BSG bejahte wohl grundsätzlich einen Krg-Anspruch, hielt aber bei der Prüfung dessen Dauer bei einer Lücke in den AU-Feststellungen den Verlust der Mitgliedschaft mit Krg-Anspruch für möglich (BSG SozR 4-2500 § 44 Nr. 14 Rn. 21). In allen diesen Fällen konnte es mangels Entscheidungen über das Krg auch keine Entscheidung der Kasse über das Ende des Anspruchs geben, so dass entgegen der Formel von "zeitlich befristeter AU-Feststellung und dementsprechender Krg-Gewährung" allein der Inhalt der ärztlichen AU-Bescheinigungen über den Bestand des Krg-Anspruchs entscheiden sollte. Bezeichnenderweise verlangt das BSG in einem obiter dictum sogar bei einem Streit zwischen Kasse und Versichertem über das Bestehen von AU als Voraussetzung eines Krg-Anspruchs, dass der Versicherte sich bei befristeten AU-Bescheinigungen vor Fristablauf die AU erneut ärztlich bescheinigen lassen und der Kasse melden müsse, wenn er das Erlöschen oder das Ruhen des Anspruchs vermeiden wolle (BSGE 111, 18 Rn. 20), obwohl in dieser Zeit gerade keine "dementsprechenden" Krg-Bewilligungen erfolgen. Das behauptete Erlöschen des Krg-Anspruchs mit Ablauf des bescheinigten AU-Zeitraums konnte somit nicht durch eine das Ende des Krg-Anspruchs festlegende Entscheidung der Kasse über den Bezugszeitraum bewirkt worden sein.
42e) Wie dargelegt stellt somit das BSG allein auf den Inhalt der ärztlichen Bescheinigung für den Bestand des Krg-Anspruchs ab. Bescheinigt der Arzt AU auf unbestimmte Zeit, bestünde demnach ein zeitlich nicht begrenzter Krg-Anspruch, während eine befristete Feststellung von AU dazu führen würde, dass auch nur ein entsprechend zeitlich begrenzter Anspruch auf Krg entsteht. Hierfür gibt aber weder der Wortlaut des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V etwas her, noch wäre diese Annahme mit der Bedeutung der ärztlichen Feststellung vereinbar. Die AU ist ein Rechtsbegriff, dessen Bestimmung jenseits der medizinischen Kompetenz des Arztes liegt (Tischler in BeckOK Sozialrecht SGB V, § 46 Rn.15). Der Arzt muss nur die medizinischen Anteile des AU-Begriffs feststellen, also Art und Schwere der Gesundheitsstörung und die damit verbundene Einschränkung des Leistungsvermögens. Demgegenüber obliegt die Entscheidung, ob der Versicherte damit au ist, weil er mit diesem Leistungsvermögen weder seine letzte noch eine ähnliche Tätigkeit verrichten kann, der Krankenkasse. Mit der Befristung trifft der Arzt nur eine prognostische Aussage, wie lange voraussichtlich die Einschränkung des Leistungsvermögens bestehen wird. Auch wenn er in der Bescheinigung eine Aussage über das Vorliegen von AU trifft, hat seine Bescheinigung nur die Bedeutung einer die Kasse nicht bindenden ärztlich-gutachterlichen Stellungnahme (BSGE 111, 18 Rn. 14; KassKomm/Brandts, § 46 SGB V Rn. 14). Dementsprechend hat das BSG in anderem Zusammenhang dezidiert ausgeführt, der Arzt habe nicht über das rechtliche Bestehen von Leistungsansprüchen - hier auf Krg - zu befinden oder gar hierüber Verwaltungsakte zu erlassen (BSG SozR 4-2500 § 44 Nr. 7 Rn. 28; BSGE 95, 219 Rn. 25). Mit dieser Aussage wäre unvereinbar, wenn die ärztliche Bescheinigung für die Dauer des entstandenen Anspruchs auf Krg maßgeblich wäre, weil damit faktisch der Arzt doch über den rechtlichen Bestand des Krg-Anspruchs "entscheiden" würde. Der Befristung einer ärztlichen Bescheinigung kann damit nicht die Bedeutung beigemessen werden, dass nur für den bescheinigten Zeitraum ein Krg-Anspruch entstanden ist. Damit fehlt es aber an einer tragfähigen Begründung für das Erlöschen des Krg-Anspruchs mit dem Ende des ärztlich bescheinigten AU-Zeitraums und die Notwendigkeit der Erfüllung aller leistungsrechtlichen Voraussetzungen einschließlich der ärztlichen Feststellung nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V für die Weiterbewilligung des Krg.
43f) Gegen die Auffassung des BSG ist auch einzuwenden, dass sie zu einer unterschiedlichen Behandlung von Versichertengruppen führt, die auch bei der Umsetzung der Rechtsprechung in der Praxis zu Verwirrungen führen kann. Für Versicherte in der KVdA gilt nämlich nicht § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V, sondern § 47b Abs. 1 Satz 2 SGB V, der ihnen einen Krg-Anspruch schon vom ersten Tag der AU an einräumt. Selbst wenn man entgegen dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift, der nur auf das Bestehen von AU abstellt (daher einen Krg-Anspruch unabhängig von einer ärztlichen AU-Feststellung bejahend Just in Eichenhofer/Wenner, SGB V, § 47b Rn. 5; Joussen in Becker/Kingreen, SGB V, 4. Aufl., § 47b Rn. 2; Berchtold, Krankengeld, 2004, Rn. 888; Meyerhoff in jurisPK-SGB V, 2. Aufl., § 47b Rn. 35; Tischler in BeckOK-Sozialrecht, § 47b SGB V, Rn. 5; Krauskopf/Vay, Soz. Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 47b SGB V Rn. 7), mit dem BSG annimmt, "mit Rücksicht auf § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V" komme es auch bei § 47b Abs. 1 Satz 2 SGB V nicht auf den wirklichen Beginn der AU, sondern deren ärztliche Feststellung an (BSGE 90, 72, 82; ebenso KassKomm/Brandts, § 47b SGB V, Rn. 13), entsteht der Krg-Anspruch bereits mit dem ersten Tag der AU-Feststellung. Bei Annahme rechtlich selbstständiger Einzelansprüche müsste die Vorschrift nach Ablauf der Leistungsfortzahlung (§ 146 SGB III) auch für die Folgeansprüche gelten, so dass bei befristeten AU-Bescheinigungen die Folgefeststellungen nicht schon am letzten Tag des bescheinigten Zeitraums erfolgen müssen, sondern eine Feststellung am folgenden Tag ausreichend wäre. Denn damit würde bereits für diesen Tag der (weitere) Anspruch auf Krg entstehen und somit eine nahtlose Reihe von Krg-Ansprüchen vorliegen, die zur Aufrechterhaltung der mit Krg-Anspruch verbundenen Mitgliedschaft in der KVdA ausreichen würde (so jetzt ausdrücklich BSGE 111, 9 Rn. 18 für die Beschäftigtenversicherung; soweit das BSG in einem Urteil vom 26.07.2007 (B 1 KR 2/07 R) gemeint hat, die Versicherung in der KVdA sei bei einem bis zum 14.08. bestehenden Krg-Anspruch am 15.08. bei der weiteren ärztlichen AU-Feststellung bereits beendet gewesen (juris Rn. 14), dürfte es entweder übersehen haben, dass unabhängig vom Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung an diesem Tag der Krg-Anspruch für den 15.08. entstanden war und dieser Anspruch sich damit nahtlos an den Krg-Bezug bis 14.08. anschloss oder es hat damals noch nicht eine nahtlose Kette von Krg-Ansprüchen für ausreichend gehalten). Es liegt auf der Hand, dass sowohl für Versicherte als auch Ärzte diese unterschiedlichen Voraussetzungen kaum verständlich sind und es damit zu Unsicherheiten hinsichtlich des Zeitpunkts eines Wiedervorstellungtermins kommen kann.
44Der Senat ist somit der Auffassung, dass lediglich für die erstmalige Entstehung des Krg-Anspruchs die ärztliche Feststellung der AU nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V erforderlich ist, während es bei durchgehender AU allein darauf ankommt, ob im gesamten Zeitraum objektiv AU bestanden hat. Aufgrund der vorliegenden AU-Bescheinigungen bestehen keine Zweifel, dass die Klägerin auch im Zeitraum ab dem 01.02.2009 bis 08.06.2010 durchgehend au war. Die Beklagte hat auch trotz ausdrücklicher Nachfrage des Senats weder das Vorliegen von AU bestritten noch sonst einem durchsetzbaren Krg-Anspruch entgegenstehende Gründe geltend gemacht, sondern vielmehr erklärt, sie werde Krg bis zur Anspruchserschöpfung gewähren, wenn rechtskräftig entschieden werde, dass für den Krg-Anspruch allein das objektive Weitebestehen von AU maßgeblich sei. Somit waren weitere Ermittlungen des Senats nicht veranlasst. Die Beklagte war daher entsprechend ihrer Erklärung zur Gewährung von Krg über den 31.01.2009 hinaus bis zur Anspruchserschöpfung zu verurteilen.
453. Von seiner Rechtsauffassung ausgehend kann der Senat dahinstehen lassen, ob hier die AU-Feststellung für den weiteren Bewilligungsabschnitt ab dem 01.02.2009 rückwirkend auf den letzten Tag des vorangegangenen Zeitraums nachgeholt werden könnte. Das BSG hält dies ausnahmsweise für möglich (vgl. zusammenfassend BSGE 95, 219 Rn. 18 ff.), ohne hierfür eine dogmatische Grundlage zu nennen. Daneben scheint das BSG auch einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch für anwendbar zu halten, wie die Prüfung dessen Voraussetzungen zeigt (vgl. BSGE 111, 9 Rn. 24; BSG, Urteil vom 04.03.2014 - B 1 KR 17/13 R Rn. 18). Es erscheint allerdings fraglich, ob hier die Nachholung der ärztlichen Feststellung der AU als Rechtsfolge eines Herstellungsanspruchs in Betracht kommt. Diese richterrechtlich entwickelte Rechtsinstitut knüpft an eine dem Versicherungsträger zuzurechnende Verletzung von Auskunfts-, Beratungs- und Betreuungspflichten an und ist auf die Herstellung derjenigen Position gerichtet, die der Versicherte bei ordnungsgemäßer Wahrnehmung der aus dem Sozialrechtsverhältnis erwachsenden Nebenpflichten innegehabt hätte, wobei die Herstellung dieses Zustandes durch eine rechtmäßige Amtshandlung des Trägers bewirkt werden können muss (vgl. etwa BSG SozR 3-2600 § 58 Nr. 2; SozR 4-3100 § 60 Nr. 1; BSGE 92, 182). Zwar ist im Einzelnen streitig, wie weit auf der Rechtsfolgenseite der Herstellungsanspruch reicht (vgl. Bieback, SGb 1990, 517, 521 ff.; Kreßel, NZS 1994, 395, 396 f.; Gagel, SGb 2000, 517, 518), in der Rechtsprechung des BSG ist es aber regelmäßig abgelehnt worden, die Korrektur von Lebenssachverhalten, die außerhalb des Sozialrechtsverhältnisses liegen, zuzulassen (vgl. SozR 4100 § 103 Nr. 36: fehlende Verfügbarkeit; SozR 4100 § 112 Nr. 52: Aufnahme einer Beschäftigung; Urteil vom 01.06.1994 - 7 RAr 86/93: Eintragung einer ungünstigen Steuerklasse; SozR 3-4100 § 134 Nr. 14 und Urteil vom 31.01.2006 - B 11a AL 15/05 R: Eintritt von Arbeitslosigkeit; BSGE 92, 241: fehlende Arbeitslosmeldung). Auf dem Boden dieser Rechtsprechung erscheint daher zweifelhaft, dass die unterbliebene "zeitgerechte" ärztliche Feststellung von AU im Wege eines Herstellungsanspruchs fingiert und so die Voraussetzung für die (Neu)Entstehung des Krg-Anspruchs geschaffen werden könnte (bejahend aber Keller, KrV 2013, 141, 143). Ob überhaupt der Klägerin die behauptete Auskunft, ihr stehe nach der Kündigung kein Anspruch auf Krg mehr zu und sie brauche keine AU-Bescheinigungen mehr beizubringen, von einer Mitarbeiterin der Beklagten erteilt worden ist und auf welcher rechtlichen Grundlage ggf. die Nachholung der AU-Feststellung möglich wäre, kann aber offen bleiben. Es braucht daher auch nicht entschieden werden, ob der Zeuge H zu dem Inhalt des von ihm (angeblich) mitgehörten Telefonats der Klägerin mit einer Mitarbeiterin der Beklagten gehört werden dürfte (s. dazu Gehrlein, VersR 2011, 1350, 1355).
46Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
47Der Senat hat die Revision wegen Abweichung von der Rechtsprechung des BSG und wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) zugelassen.
(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit
- 1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, - 2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, - 3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder - 4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.
(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.
(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.
(1) Liegen die in § 44 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil er auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt oder in ständiger Rechtsprechung anders als durch die Agentur für Arbeit ausgelegt worden ist, so ist der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen.
(2) Liegen die in § 45 Abs. 2 Satz 3 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes vor, ist dieser auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
(3) Liegen die in § 48 Abs. 1 Satz 2 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vor, ist dieser mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben. Abweichend von § 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches ist mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an ein Verwaltungsakt auch aufzuheben, soweit sich das Bemessungsentgelt auf Grund einer Absenkung nach § 200 Abs. 3 zu Ungunsten der Betroffenen oder des Betroffenen ändert.
(4) Liegen die Voraussetzungen für die Rücknahme eines Verwaltungsaktes vor, mit dem ein Anspruch auf Erstattung des Arbeitslosengeldes durch Arbeitgeber geltend gemacht wird, ist dieser mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
(5) (weggefallen)
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.