Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 10. Dez. 2014 - 10 M 7/14
Gericht
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Magdeburg - Disziplinarkammer - vom 27. August 2014 geändert.
Die Anträge auf Aufhebung der Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung und auf Aufhebung der Einbehaltung von Bezügen werden abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.
Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei.
Gründe
I.
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Gegenstand dieses Verfahrens ist die Verfügung der Antragsgegnerin vom 14.02.2014, mit welcher deren Präsident die Antragstellerin gem. § 38 Abs. 1 Satz 1 und 2 DG LSA vorläufig des Dienstes enthoben hat, ergänzt durch Verfügung vom 13.05.2014 über die Einbehaltung eines Teils der Dienstbezüge (17 v. H.) der Antragstellerin gem. § 38 Abs. 2 DG LSA.
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Der Suspendierungsverfügung liegt vor allem der Vorwurf zugrunde, die in B-Stadt wohnende und als Verwaltungsleiterin des ZED der Antragsgegnerin mit Hauptsitz in A-Stadt verwendete Antragstellerin habe gegen die ihr am 22.05.2013 und erneut am 13.01.2014 im Rahmen eines Personalgesprächs durch ihren Dienstvorgesetzten POR (.E.) - wiederholt - erteilten dienstlichen Weisungen folgenden Inhalts verstoßen:
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o Dienstort der Antragstellerin sei A-Stadt, mithin habe der Dienstantritt grundsätzlich in A-Stadt zu erfolgen,
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o die Anreise nach A-Stadt habe mit dem privaten PKW zu erfolgen; ein Dienst-Kfz stehe nicht zur Verfügung,
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o in besonderen Ausnahmefällen könne Dienstbeginn und Dienstende nach Genehmigung durch den Leiter ZED in der Außenstelle Harz erfolgen.
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Zur Begründung führt die Suspendierungsverfügung aus, es habe sich im Rahmen einer Kontrolle am 03.02.2014 herausgestellt, dass die Antragstellerin in dem Zeitraum vom 23.05.2013 bis zum 03.02.2014 (101 Arbeitstage) an 99 Arbeitstagen den Dienst verbotswidrig in der Außenstelle Halberstadt begonnen und beendet habe. Zudem habe sie an 55 Tagen ein Dienst-Kfz für die Fahrten von Halberstadt nach A-Stadt und zurück benutzt, ohne hierfür eine Genehmigung eingeholt zu haben. Es sei danach davon auszugehen, dass die Antragstellerin die Weisung bezüglich des Dienstantritts in A-Stadt bewusst ignoriert habe, um die Kosten für die Hin- und Rückfahrt von und zu ihrem Wohnort zu sparen (ca. 700,00 Euro in dem o. g. Zeitraum) und sich die Fahrtzeiten als Dienstzeiten anrechnen lassen zu können (ca. 82,5 Stunden in dem o. g. Zeitraum).
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Das Verwaltungsgericht hat sowohl die Suspendierungsverfügung als auch diejenige über die Einbehaltung eines Teils der Dienstbezüge mit folgender Begründung aufgehoben: Es sei „wiederholt festzustellen, dass die vorgehaltenen Pflichtenverstöße nicht hinreichend subsumiert im Sinne eines Anklagesatzes formuliert, sondern im Sachverhalt gestreut“ seien. In der Sache bestünden gegenwärtig ernstliche Zweifel daran, dass bei Fortgang des Disziplinarverfahrens tatsächlich die Entfernung als Höchstmaßnahme anstehe; es sei nicht nachvollziehbar, dass „diese Art und Weise des täglichen Dienstantritts und dessen Beendigung ohne Kenntnis des unmittelbaren Dienstvorgesetzten bzw. der Behördenleitung geschehen konnten“. Es müsse daher im weiteren Verfahren geprüft werden, „inwieweit das Verhalten der Antragstellerin den Dienstvorgesetzten bekannt war und geduldet wurde“. Schließlich ließen beide streitgegenständlichen Verfügungen die für die Bejahung der Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA erforderlichen Ausführungen dazu vermissen, weshalb voraussichtlich auf eine Entfernung der Antragstellerin aus dem Dienst erkannt werde.
II.
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Der Senat stellt zunächst klar, dass die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung in der Verfügung vom 14.02.2014 ausdrücklich auf das Vorliegen der Voraussetzungen von § 38 Abs. 1 Satz 1 und 2 DG LSA gestützt worden ist.
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In formaler Hinsicht vermag sich der Senat nicht der Auffassung des Verwaltungsgerichts anzuschließen, es fehle den zugrunde liegenden Verfügungen an der gebotenen Substantiierung der gegen die Antragstellerin erhobenen Vorwürfe. Zum einen ist zu bemerken, dass es zur Begründung einer Suspendierungsverfügung eines „Anklagesatzes“ grundsätzlich nicht bedarf; zum anderen wird der Vorwurf der Verletzung von Dienstpflichten wegen verbotswidriger Zeiterfassung und privater Nutzung von Dienst-Kfz.- einschließlich deren rechtlicher Bewertung - durchaus in der erforderlichen Weise konkretisiert; dies ergibt sich schon aus der differenzierten Aufstellung in der Anlage 1 zur Suspendierungsverfügung vom 14.02.2014.
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Im Übrigen bemerkt der Senat, dass die Voraussetzungen für eine vorläufige Dienstenthebung gem. § 38 Abs. 1 Sätze 1 und 2 DG LSA nebeneinander stehen, d. h. nicht kumulativ erfüllt sein müssen. Während Satz 1 die Prognose erfordert, dass voraussichtlich auf die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird, erfordert Satz 2 - lediglich - die Feststellung, dass durch ein Verbleiben des Beamten im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht. Es bedarf somit nicht der Feststellung des Vorliegens beider Alternativen des § 38 Abs. 1 DG LSA.
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1) Unter Berücksichtigung des Vorbringens beider Beteiligter im Beschwerdeverfahren bestehen keine ernstlichen Zweifel gem. § 61 Abs. 2 DG LSA an der Rechtmäßigkeit der Suspendierungsverfügung.
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a) Für die im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 DG LSA erforderliche Prognoseentscheidung hinsichtlich der „voraussichtlichen“ Erkennung auf die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis genügt es, dass aufgrund der summarischen Prüfung des dem Beamten vorgeworfenen Sachverhalts überwiegend wahrscheinlich ist, dass gegen ihn die disziplinare Höchstmaßnahme verhängt werden wird. Diese überwiegende Wahrscheinlichkeit ist vorliegend gegeben:
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Es besteht aufgrund der dem Senat bisher vorliegenden Unterlagen kein vernünftiger Zweifel daran, dass die Antragstellerin schon angesichts des ihr übertragenen Dienstpostens - Verwaltungsleiterin des zentralen Einsatzdienstes (ZED) der Polizeidirektion Nord in A-Stadt - ihren Dienst regelmäßig in A-Stadt anzutreten und dort auch zu beenden hatte und dass ihr diese Verpflichtung auch bewusst war. Insofern bedurfte es keiner ausdrücklichen - wiederholten - Belehrung durch Dienstvorgesetzte. Nur aus besonderen dienstlichen Gründen war es der Antragstellerin gestattet, ihren Dienst in der Außenstelle Halberstadt zu beginnen bzw. zu beenden.
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Gleiches gilt für die Benutzung eines Dienst-Kfz für Fahrten von Halberstadt nach A- Stadt und zurück: Auch insoweit besteht kein vernünftiger Zweifel daran, dass es der Antragstellerin regelmäßig nicht gestattet war, für ihre nach verbotswidrig selbst bestimmtem Dienstantritt in Halberstadt durchgeführten Fahrten zum Dienstort A-Stadt und zurück den Dienstwagen zu benutzen. Für die Fahrten von ihrem Wohnort B-Stadt zu ihrem Dienstort A-Stadt und zurück nach Hause hatte sie vielmehr regelmäßig ihren Privat-Pkw zu benutzen. Es stand auch keineswegs im Ermessen der Antragstellerin, selbst über die Benutzung eines Dienstfahrzeugs zu befinden; hierzu bedurfte es - wie es allgemein bekannt ist - der jeweiligen Genehmigung im Einzelfall. Der Senat geht davon aus, dass diese Genehmigungspflicht insbesondere einer langjährig erfahrenen Beamtin des gehobenen Verwaltungsdienstes präsent ist, so dass es einer gesonderten Belehrung hierüber gar nicht bedurft hätte. Auch der Umstand, dass es der Antragstellerin aufgrund der Anordnung vom 22.05.2013 noch bis zum 12.01.2014 gestattet gewesen sein mag, ein Dienst-Kfz.- allerdings nur bei dienstlicher Notwendigkeit - zu benutzen, konnte sie erkennbar nicht dazu berechtigen, mit diesem in dem von der Antragsgegnerin festgestellten Umfang die Fahrten nach A-Stadt und zurück durchzuführen; insbesondere gilt dies für den Zeitraum nach dem 12.01.2014, in dem der Antragstellerin die Benutzung des Dienst-Kfz. dezidiert nur „in besonderen Ausnahmefällen“ gestattet war. Die Einlassung der Antragstellerin, sie habe Material von Halberstadt nach A-Stadt transportiert, vermag die Benutzung des Dienst-Kfz. schon deswegen nicht zu rechtfertigen, weil - worauf die Antragsgegnerin mit Recht hinweist - insoweit ein regelmäßiger Kurierdienst zur Verfügung steht.
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Es ist danach derzeit davon auszugehen, dass die Antragstellerin in dem hier maßgeblichen Zeitraum in einer Vielzahl von Fällen ihren Dienst unerlaubt in Halberstadt angetreten bzw. beendet und für die Fahrten von und nach A-Stadt unerlaubt ein Dienst-Kfz. benutzt hat. Es kommt letztlich auch nicht darauf an, ob das Verhalten der Antragstellerin etwa durch mangelnde Kontrollen durch die Behördenleitung ermöglicht bzw. gefördert worden ist. Vielmehr ist zu bemerken, dass sich der Dienstherr grundsätzlich auf das korrekte Verhalten seiner Bediensteten verlassen muss und sich insoweit auf stichprobenartige Kontrollen beschränken kann. Dies gilt insbesondere in einem Bereich, der durch klare Richtlinien bzw. Genehmigungsvorbehalte geregelt ist. In der hier zugrunde liegenden Konstellation kommt hinzu, dass die Antragstellerin mehrfach über ihre Pflichten zur Erfassung ihrer Arbeitszeit und zur Benutzung ihres Privat-Kfz. ausdrücklich belehrt worden ist. Schließlich hat der Dienstherr seiner Kontrollpflicht mit der am 03.02.2014 durch POR (.E.) getroffenen Feststellung durchaus genügt.
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Anhaltspunkte dafür, dass dem unmittelbaren Dienstvorgesetzten der Antragstellerin oder der Behördenleitung das unerlaubte Verhalten der Antragstellerin in einer solchen Weise bekannt war, dass von einer Duldung dieses Verhaltens auszugehen ist, liegen nicht vor. Die Vermutung des Verwaltungsgerichts, dieses Verhalten könne nicht "unbemerkt von Kollegen und Vorgesetzten" geschehen, ist nicht ausreichend. Ebenfalls nicht genügend ist die bloße Behauptung der Antragstellerin, POR (.E.) seien ihr Dienstantritt in Halberstadt und die Dienstwagenfahrten nach A-Stadt bekannt gewesen, sowie ihr Hinweis, sie sei ausdrücklich für das Zeiterfassungssystem in Halberstadt freigeschaltet gewesen.
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Angesichts des Umstandes, dass die Antragstellerin unmittelbar nach der ihr - nach dem Vermerk des POR (.E.) - am 22.05.2013 wiederholt erteilten Belehrung wiederum den Dienst verbotswidrig in Halberstadt antrat, indem sie dort das Zeiterfassungsgerät betätigte und ab dem 18.06.2013 wiederholt verbotswidrig den Dienstwagen für Fahrten nach A-Stadt und zurück benutzte, kommt ihrem Verhalten ein Maß an Pflichtwidrigkeit zu, welches sich durchaus als eine hartnäckige Negierung dienstlicher Pflichten aus rein privatem Interesse bezeichnen lässt. In einem derartigen Verhalten liegt ein ohne Zweifel gravierender Verstoß gegen die beamtenrechtliche Pflicht zur Befolgung dienstlicher Weisungen gem. § 35 Satz 2 BeamtStG und damit ein Dienstvergehen gem. § 77 Abs. 1 BG LSA, welches durchaus geeignet ist, die Achtung und das Vertrauen in einer für das Ansehen des Berufsbeamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.
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b) Ohne dass es hier entscheidend darauf ankommt, erscheint auch die von der Antragsgegnerin für die Anordnung der Suspendierung unter den Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA gegebene Begründung durchaus nachvollziehbar. Die Antragstellerin nimmt als Beamtin des gehobenen Dienstes, vor allem in ihrer Funktion als Verwaltungsleiterin, eine Führungsaufgabe mit zahlreichen Kontakten zu anderen (Polizei-)Dienststellen wahr; die Wahrnehmung dieser Führungsaufgabe erfordert insbesondere ein ungestörtes Vertrauensverhältnis zu den Kolleginnen und Kollegen sowie zur Behördenleitung. Ihr Verbleiben im Dienst - bis zur endgültigen Klärung der gegen sie erhobenen massiven Vorwürfe - würde den Dienstbetrieb der Antragsgegnerin in nicht unerheblichem Maß beeinträchtigen. Die vorläufige Dienstenthebung steht auch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme.
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(2) Die von der Antragsgegnerin angeordnete Einbehaltung eines Teils der Dienstbezüge der Antragstellerin gem. § 38 Abs. 2 DG LSA begegnet - auch der Höhe nach - keinen rechtlichen Bedenken. Die Prognose der Antragsgegnerin, wonach im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird, erscheint nach dem Vorstehenden nicht unberechtigt. Der Einbehaltungssatz von 17 v. H. berücksichtigt die wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin auf der Basis der von ihr hierzu gemachten Angaben, auch soweit es die mit der Schwerbehinderung der Tochter Emily verbundenen besonderen Belastungen betrifft. Hinsichtlich der Aufwendungen für einen Treppenlift hat die Antragstellerin bisher der Aufforderung der Antragsgegnerin, insoweit Nachweise für die Zahlung des Kaufpreises durch sie selbst bzw. für die Rückerstattung des angeblich durch die Eltern vorgeschossenen Betrages an diese vorzulegen, nicht entsprochen. Dementsprechend sieht auch der Senat derzeit - bei allem Verständnis für die mit der Betreuung der schwerbehinderten Tochter verbundenen Belastungen - keine Veranlassung, den Einbehaltungssatz zu mindern bzw. die Antragsgegnerin zu einem vollständigen Absehen von einer Einbehaltung zu veranlassen. Vielmehr kann die Antragsgegnerin selbst den Einbehaltungssatz verringern oder ganz von der Einbehaltung abgesehen werden, wenn die Antragstellerin ihr die noch für erforderlich gehaltenen Belege beibringt (§ 38 Abs. 4 DG LSA); es besteht kein Anlass zu der Annahme, dass einem solchen Anliegen nicht entsprochen würde.
III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 72 Abs. 4 DG LSA i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtsgebührenfreiheit des Verfahrens ergibt sich aus § 73 Abs. 1 Satz 1 DG LSA.
Annotations
(1) Beamtinnen und Beamte haben ihre Vorgesetzten zu beraten und zu unterstützen. Sie sind verpflichtet, deren dienstliche Anordnungen auszuführen und deren allgemeine Richtlinien zu befolgen. Dies gilt nicht, soweit die Beamtinnen und Beamten nach besonderen gesetzlichen Vorschriften an Weisungen nicht gebunden und nur dem Gesetz unterworfen sind.
(2) Beamtinnen und Beamte haben bei organisatorischen Veränderungen dem Dienstherrn Folge zu leisten.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.