Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 08. Sept. 1999 - 18 B 567/98
Tenor
1
G r ü n d e :
2Die Beschwerde hat zum Teil Erfolg.
3Das Verwaltungsgericht hat den mit dem Hauptantrag verfolgten Aussetzungsantrag der Antragstellerinnen zu Recht abgelehnt. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO), die durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet werden.
4Der Hilfsantrag,
5den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellerinnen vorläufig eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen,
6hat Erfolg.
7Er ist - wie der dementsprechende Antrag in den Widerspruchsschreiben vom 13. Januar 1998 - als Minus gegenüber dem hauptsächlich gestellten Aussetzungsantrag nach dem Rechtsschutzziel der Antragstellerinnen, vorerst im Bundesgebiet bleiben zu können, (auch) auf die Gewährung von Abschiebungsschutz gerichtet. Denn die weitergehende Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung im Wege eines einstweiligen Anordnungsverfahrens ist aus Rechtsgründen grundsätzlich ausgeschlossen.
8Der nach § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO erforderliche Anordnungsanspruch liegt ebenso wie der wegen der drohenden Abschiebung gegebene Anordnungsgrund vor. Der Anordnungsanspruch folgt aus § 55 Abs. 2 AuslG. Danach wird einem Ausländer eine Duldung unter anderem dann erteilt, wenn seine Abschiebung aus rechtlichen Gründen unmöglich ist. Diese Voraussetzungen haben die Antragstellerinnen, wie von § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO gefordert, glaubhaft gemacht.
9Rechtlich unmöglich ist die Abschiebung, wenn sie aus rechtlichen Gründen nicht durchgeführt werden darf, weil ein Abschiebungsverbot (§ 51 Abs. 1 AuslG) oder ein zwingendes Abschiebungshindernis nach § 53 AuslG oder aufgrund vorrangigen Rechts, namentlich der Grundrechte, gegeben ist. Ein zwingendes Abschiebungshindernis aufgrund von Art. 6 Abs. 1 GG liegt insbesondere auch dann vor, wenn es dem Ausländer nicht zuzumuten ist, seine familiären Beziehungen durch Ausreise zu unterbrechen.
10Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1997 - 1 C 19.96 -, InfAuslR 1998, S. 213, 214 m.w.N.
11Dies kann unter anderem dann der Fall sein, wenn die erneute Ausreise faktisch zu einem Abbruch der familiären Beziehungen führt, weil dem Ausländer die Mittel für eine erneute Einreise fehlen.
12Vgl. Schleswig Holsteinisches OVG, Urteil vom 30. April 1996 - 4 L 62/95 -, InfAuslR 1996, 258, 262.
13Von einer dementsprechenden Fallkonstellation ist hier sowohl für die Antragstellerin zu 1. (I.) als auch für die Antragstellerinnen zu 2. und 3. (II.) auszugehen.
14I. Die Antragstellerin zu 1. ist seit dem 25. August 1996 mit dem deutschen Staatsangehörigen D. K. verheiratet, mit dem sie seit ihrer Einreise nach Deutschland am 1. September 1997 nach ihrem unwidersprochenen Sachvortrag in häuslicher Gemeinschaft lebt. Die Antragstellerin zu 1. hat weiterhin vorgetragen, ihre gemeinsame Ausreise mit ihren Töchtern, den Antragstellerinnen zu 2. und 3., und die anschließende Wiedereinreise nach Deutschland nach Erteilung von dementsprechenden Visa sei aus finanziellen Gründen nicht realisierbar. Dieser Behauptung ist der Antragsgegner nicht entgegengetreten. Sie ist auch nicht etwa unglaubhaft, denn die Antragstellerin zu 1. hat zur Substantiierung ihrer Behauptung - ebenfalls unwidersprochen - angegeben, sie habe derzeit keine eigenen Einkünfte und ihr Ehemann verdiene nicht genug, um eine dementsprechende Reise finanzieren zu können.
15Ob schon die beschriebenen Umstände zwingend zur Unzumutbarkeit der Ausreise führen würden, mag auf sich beruhen. Die Unzumutbarkeit wird hier jedenfalls im Rahmen einer wertenden Gesamtschau - neben den Folgen der Ausreise - des weiteren dadurch begründet, daß der zwingende Versagungsgrund nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Antragstellerin zu 1. nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 AuslG überwunden werden kann und damit das öffentliche Interesse an der Ausreise der Antragstellerin zu 1. an Gewicht verliert. Denn die von § 9 Abs. 1 Nr. 2 AuslG geforderten Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung für die Antragstellerin zu 1. nach §§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 17 Abs. 1 AuslG sind offensichtlich gegeben und werden auch vom Antragsgegner nicht in Frage gestellt. Die danach dem Antragsgegner obliegende Ermessensentscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Abweichung von dem Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG ist noch nicht getroffen worden. Die vom Antragsgegner im Rahmen dieses Eilverfahrens mit Schriftsatz vom 12. August 1998 angestellten Ermessenserwägungen stellen keine zulässige Ergänzung von Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO dar, weil es in dem angefochtenen Bescheid an dementsprechenden Ermessenserwägungen gänzlich fehlt. Die in dem erwähnten Schreiben enthaltenen Ermessensüberlegungen sind überdies ihrerseits nicht frei von Ermessensfehlern. Bei der Ermessensausübung will der Antragsgegner dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der Visavorschriften den Vorrang einräumen im wesentlichen deshalb, weil die Antragstellerin zu 1. trotz von Anfang an beabsichtigten Daueraufenthaltes angegeben hat, nur zu Besuchszwecken in die Bundesrepublik Deutschland einreisen zu wollen und daraufhin ein entsprechendes Besuchsvisum erhalten hat. Allein die darin liegende Täuschung über den wahren Aufenthaltszweck kann indes die ablehnende Ermessensentscheidung nicht rechtfertigen. Denn der durch § 9 Abs. 1 Nr. 2 AuslG gerade überwindbare Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG setzt eine dementsprechende Täuschung zumindest typischerweise voraus.
16Vgl. Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Ausländerrecht, § 9 Rdnr. 6.
17Die vorliegende Täuschung über den wahren Aufenthaltszweck eröffnet deshalb gerade die in § 9 Abs. 1 Nr. 2 AuslG gebotene Ermessensentscheidung über ein Absehen von der zwingenden Versagung und prägt nicht etwa zugleich das Ergebnis der Ermessensentscheidung maßgeblich vor. Abzuwägen ist vielmehr, ob das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Einreisevorschriften das private Interesse der Antragstellerin zu 1. an der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Inlandsverfahren überwiegt. In diese Betrachtung einzubeziehen sind u.a. auch die sich im konkreten Einzelfall für den Ausländer ergebenden Folgen bei einer Ausreise zur Durchführung des Aufenthaltsgenehmigungsverfahrens. Dies zugrundegelegt kommt bei sachgerechter Ermessensentscheidung ein Absehen von dem Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG jedenfalls in Betracht, zumal der Ehemann der Antragstellerin bei der auch vom Antragsgegner hervorgehobenen Vorsprache vom 10. September 1997 - für die Antragstellerin zu 1. - über die zugestandene Täuschung hinaus erklärt hat, es sei zu schwierig, ein Visum zur Familienzusammenführung zu bekommen. Die Erteilung eines solchen Visums sei zu teuer und dauere auch viel zu lange. Es sei ihm auch nicht klar gewesen, daß ein solches Visum benötigt würde, damit eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden könne.
18II. Steht danach der Abschiebung der Antragstellerin zu 1. im Hinblick auf die Lebensgemeinschaft mit ihrem deutschen Ehemann ein zwingendes Abschiebungshindernis entgegen, so gilt entsprechendes für die Antragstellerinnen zu 2. und 3., die mit ihrer Mutter, der Antragstellerin zu 1., in familiärer Gemeinschaft leben.
19Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.
20Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
ra.de-Urteilsbesprechung zu Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 08. Sept. 1999 - 18 B 567/98
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 08. Sept. 1999 - 18 B 567/98
Referenzen - Gesetze
(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.
Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.
(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.
(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.
(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.
(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.
(1) Wegen eines unrichtigen Ansatzes dürfen Kosten nur nachgefordert werden, wenn der berichtigte Ansatz dem Zahlungspflichtigen vor Ablauf des nächsten Kalenderjahres nach Absendung der den Rechtszug abschließenden Kostenrechnung (Schlusskostenrechnung), in Zwangsverwaltungsverfahren der Jahresrechnung, mitgeteilt worden ist. Dies gilt nicht, wenn die Nachforderung auf vorsätzlich oder grob fahrlässig falschen Angaben des Kostenschuldners beruht oder wenn der ursprüngliche Kostenansatz unter einem bestimmten Vorbehalt erfolgt ist.
(2) Ist innerhalb der Frist des Absatzes 1 ein Rechtsbehelf in der Hauptsache oder wegen der Kosten eingelegt worden, ist die Nachforderung bis zum Ablauf des nächsten Kalenderjahres nach Beendigung dieser Verfahren möglich.
(3) Ist der Wert gerichtlich festgesetzt worden, genügt es, wenn der berichtigte Ansatz dem Zahlungspflichtigen drei Monate nach der letzten Wertfestsetzung mitgeteilt worden ist.
(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.