Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 30. Okt. 2014 - 15 UF 209/14

bei uns veröffentlicht am30.10.2014

Tenor

Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgewiesen.

Gründe

 
Die Rechtsverfolgung des Antragstellers bietet keine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne der §§ 113 Abs. 1 FamFG, 114 ZPO, so dass ihm für seine Beschwerde keine Verfahrenskostenhilfe gewährt werden kann.
Auch unter Berücksichtigung der gesteigerten Unterhaltsverpflichtung der Antragsgegnerin gemäß § 1603 Abs. 2 BGB steht dem Antragsteller mangels Leistungsfähigkeit kein Anspruch auf Kindesunterhalt zu.
Die Antragsgegnerin hat im verfahrensgegenständlichen Zeitraum ab 01.03.2014 bis 15.09.2014 keine ihren notwendigen Bedarf übersteigenden Einkünfte erzielt.
Das aus ihrer seit 16.09.2014 ausgeübten Tätigkeit
bei der Bäckerei … (Bl. 223/227)
        
im Umfang von 120 Std/Monat erzielte monatliche   
Bruttoeinkommen (120 * 9 EUR) von
1.080,00 EUR
netto (Stkl 2, 1,0)
861,95 EUR
und bereinigt um 5 %
818,85 EUR
übersteigt nicht ihren notwendigen Bedarf von
1.000,00 EUR
Zwar sind der Antragsgegnerin grundsätzlich fiktive Einkünfte aus vollschichtiger Tätigkeit zuzurechnen, da sie sich nicht ausreichend um eine vollschichtige Tätigkeit bemüht hat. Die für den Zeitraum vom 24.06. - 08.09.2014 vorgelegten insgesamt 26 Bewerbungen (vgl. Bl. 195 ff.), die Bewerbungen Bl. 12/120 sind identisch mit Bl. 213/220, genügen schon zahlenmäßig nicht den im Hinblick auf ihre gesteigerte Unterhaltsverpflichtung zu stellenden Anforderungen. Unabhängig von kleineren grammatikalischen Fehlleistungen, die in erster Instanz Gegenstand ausführlicher Diskussionen waren, hat sie sich auch weitgehend nur um Teilzeittätigkeiten unter Hinweis auf das Alter der von ihr betreuten Tochter beworben. Insbesondere der Hinweis auf die Tochter dürfte viele potenzielle Arbeitgeber abschrecken.
Indessen ist auch bei Zurechnung fiktiver Einkünfte aus einer vollschichtigen Tätigkeit unter Berücksichtigung der notwendigen Fremdbetreuungskosten für die bei ihr lebende Tochter Laura sowie eines ihr zuzubilligenden Betreuungsbonus keine Leistungsfähigkeit gegeben.
Als gelernte Einzelhandelskauffrau (vgl. Lebenslauf Bl. 126,
Arbeitszeugnisse Bl. 127 ff.) könnte die Antragsgegnerin
ausweislich der Internetrecherchen (vgl. Anl. Lohnspiegel)
ein monatliches Bruttoeinkommen von erzielen.
1.830,00 EUR
Nach Gehaltsvergleich.com beträgt das durchschnittliche
Gehalt als Verkäufer im Einzelhandel in Baden-Württemberg   
1.804,00 EUR
Soweit der Antragsteller meint, die Antragsgegnerin könne einen Stundenlohn von 13 EUR (vgl. Bl. 54) nebst Zusatzleistungen erzielen, hält der Senat dies für unrealistisch. Zum Einen bezieht sich das Stellenangebot bei ALDI auch nur auf eine Teilzeitstelle. Zum Anderen sind die Öffnungszeiten bei ALDI von Mo - Sa von 8:00 Uhr - 20:00 Uhr nicht mit der Betreuung der Tochter … und dem Umgang mit dem Antragsteller zu vereinbaren. Dies dürfte für sämtliche Tätigkeiten bei Lebensmitteldiscountern gelten.
Auch der Hinweis auf den Manteltarifvertrag verfängt nicht. Abgesehen davon, dass sich viele Firmen einer Tarifbindung entziehen, beträgt die Stundenvergütung nach dem MTV
10 
ab 01.04.2014 für die Zeiten 6:00 Uhr - 20:00 Uhr   
9,74 EUR
Dies entspricht bei 174 Std./monatlich rd.
1.695,00 EUR
11 
Soweit der Antragsteller auf die tariflichen Regelungen (Bl. 186 ff.) Bezug nimmt und von einem erzielbaren Gehalt von 2.236 EUR ausgeht, ist eine Eingruppierung in Gruppe III unrealistisch, da die Antragsgegnerin eine lange Berufspause aufweist. Außerdem stellt sich auch hier das Problem, dass die Antragsgegnerin nicht innerhalb der handelsüblichen Öffnungszeiten von z.T. 7:00 Uhr - 24:00 Uhr an sechs Wochentagen eingesetzt werden kann.
12 
Ausgehend von dem monatlichen Bruttoeinkommen von   
1.830,00 EUR
ergibt sich ein monatliches Nettoeinkommen von
1.317,79 EUR
bereinigt um 5 %
1.251,90 EUR
Leistungsfähigkeit besteht nach Abzug des
notwendigen Bedarfs von
- 1.000,00 EUR
Danach nur in Höhe von
251,90 EUR
aufgerundet:
252,00 EUR
13 
Die Zurechnung des dargestellten fiktiven Einkommens setzt weiter voraus, dass während der vollschichtigen Tätigkeit der Antragsgegnerin die Betreuung der 7 jährigen Tochter gewährleistet ist.
14 
Derzeit besucht diese die Kernzeitbetreuung (Bl. 228), in der von Montag - Donnerstag von 7:00 Uhr - 15:00 Uhr , freitags nur bis 14:00 Uhr eine Betreuung angeboten wird.
15 
Hierfür fallen allein für die Betreuung monatlich   
85,00 EUR
an.
    
16 
Der Antragsteller hat in erster Instanz ein Betreuungsangebot in einem Kinderhaus (Bl. 109 ff.) vorgelegt, das eine ganzjährige Betreuung von 6:00 Uhr - 19:00 Uhr anbietet.
17 
Mit diesem Betreuungsrahmen wäre zumindest eine 8-stündige Arbeitszeit inclusive Pausen und Anfahrt in Einklang zu bringen. Es besteht auch am Wohnort der Antragsgegnerin die Möglichkeit einer Betreuung im Kinderhaus …. Die Kosten belaufen sich bei Ausschöpfen der maximalen Betreuungszeit von 50 Std/Woche auf 460 EUR (Bl. 109).
18 
Diese Kosten wären als Mehrbedarf der Tochter … (vgl. BGH, FamRZ 2009, 962, 965) anteilig von der Antragsgegnerin und dem Vater des Antragstellers aufzubringen.
19 
Eine anteilige Haftung der Antragsgegnerin scheidet aus, da ihr fiktives Einkommen noch nicht einmal zur Deckung des Mindestunterhalts für den Antragsteller ausreicht.
20 
Auch das Einkommen des Vaters des Antragstellers reicht zur Deckung der Fremdbetreuungskosten nicht aus.
21 
Der Vater des Antragstellers hat in 2013 ein
durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen   
in Höhe von (vgl. Bl. 238)
1.846,13 EUR
erzielt.
        
Bereinigt um 5% verbleiben
1.753,82 EUR
abzügl. des für Laura geleisteten Unterhalts von
272,00 EUR
und des Barunterhalts für … (317 EUR - 215/2)
219,50 EUR
verbleiben
1.262,32 EUR
22 
Für 2014 hat er bis einschl. August (vgl. Bl. 252/256) Gehaltsabrechnungen vorgelegt.
23 
Danach ergibt sich (ohne Erstattung Verpflegungsmehraufwand) ein
24 
Auszahlungsbetrag von
14.701,98 EUR
monatlich (:8)
1.837,75 EUR
bereinigt um 5%
- 91,89 EUR
verbleiben
1.745,86 EUR
abzügl. des für … geleisteten Unterhalts von   
272,00 EUR
und des Barunterhalts für … (317 EUR - 215/2)
219,50 EUR
verbleiben
1.254,36 EUR
25 
Der Vater des Antragstellers ist zur Deckung   
des Mehrbedarfs von … unter Wahrung
        
seines angemessenen Bedarfs von
1.200,00 EUR
allenfalls in Höhe von
62,32 EUR
in der Lage.
        
26 
Da weder die Antragsgegnerin noch der Vater des Antragstellers zur Aufbringung des durch die Betreuung von … entstehenden Mehrbedarfs von insgesamt 460 EUR in der Lage sind, ist der Verweis auf eine vollschichtige Tätigkeit ausgeschlossen.
27 
Schließlich ist der Antragsgegnerin im Hinblick auf die von ihr betreute Tochter Laura bei Ausübung einer vollschichtigen Tätigkeit angesichts des Alters von erst 7 Jahren ein Betreuungsbonus von rund 250 EUR zuzubilligen. Auch in Anbetracht dessen ist sie zur Zahlung des Mindestunterhalts an den Antragsteller nicht leistungsfähig.
28 
Der Antragsteller wird gebeten, baldmöglichst mitzuteilen, ob er zur Vermeidung weiterer Kosten seine Beschwerde zurücknimmt.

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Referenzen - Gesetze

Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 30. Okt. 2014 - 15 UF 209/14 zitiert 3 §§.

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 113 Anwendung von Vorschriften der Zivilprozessordnung


(1) In Ehesachen und Familienstreitsachen sind die §§ 2 bis 22, 23 bis 37, 40 bis 45, 46 Satz 1 und 2 sowie die §§ 47 und 48 sowie 76 bis 96 nicht anzuwenden. Es gelten die Allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung und die Vorschriften der Ziv

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1603 Leistungsfähigkeit


(1) Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. (2) Befinden sich Eltern in dieser Lage, so sind sie ihren min

Referenzen

(1) In Ehesachen und Familienstreitsachen sind die §§ 2 bis 22, 23 bis 37, 40 bis 45, 46 Satz 1 und 2 sowie die §§ 47 und 48 sowie 76 bis 96 nicht anzuwenden. Es gelten die Allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung und die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren vor den Landgerichten entsprechend.

(2) In Familienstreitsachen gelten die Vorschriften der Zivilprozessordnung über den Urkunden- und Wechselprozess und über das Mahnverfahren entsprechend.

(3) In Ehesachen und Familienstreitsachen ist § 227 Abs. 3 der Zivilprozessordnung nicht anzuwenden.

(4) In Ehesachen sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über

1.
die Folgen der unterbliebenen oder verweigerten Erklärung über Tatsachen,
2.
die Voraussetzungen einer Klageänderung,
3.
die Bestimmung der Verfahrensweise, den frühen ersten Termin, das schriftliche Vorverfahren und die Klageerwiderung,
4.
die Güteverhandlung,
5.
die Wirkung des gerichtlichen Geständnisses,
6.
das Anerkenntnis,
7.
die Folgen der unterbliebenen oder verweigerten Erklärung über die Echtheit von Urkunden,
8.
den Verzicht auf die Beeidigung des Gegners sowie von Zeugen oder Sachverständigen
nicht anzuwenden.

(5) Bei der Anwendung der Zivilprozessordnung tritt an die Stelle der Bezeichnung

1.
Prozess oder Rechtsstreit die Bezeichnung Verfahren,
2.
Klage die Bezeichnung Antrag,
3.
Kläger die Bezeichnung Antragsteller,
4.
Beklagter die Bezeichnung Antragsgegner,
5.
Partei die Bezeichnung Beteiligter.

(1) Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren.

(2) Befinden sich Eltern in dieser Lage, so sind sie ihren minderjährigen Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Den minderjährigen Kindern stehen volljährige unverheiratete Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gleich, solange sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden. Diese Verpflichtung tritt nicht ein, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist; sie tritt auch nicht ein gegenüber einem Kind, dessen Unterhalt aus dem Stamme seines Vermögens bestritten werden kann.