Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 05. Juni 2003 - 1 Ws 131/03

published on 05.06.2003 00:00
Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 05. Juni 2003 - 1 Ws 131/03
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Tenor

Die Untätigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird als unzulässig

v e r w o r f e n.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

 
I.
Das Amtsgericht - Schöffengericht - Stuttgart hat den Angeklagten, der aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Stuttgart vom 20. März 2002 bis zum 10. April 2002 in vorliegender Sache in Untersuchungshaft eingesessen hatte und der sich seitdem in anderer Sache in Strafhaft befindet, am 18. September 2002 wegen Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung sowie wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus Urteilen des Amtsgerichts Stuttgart vom 03. November 1997 und des Amtsgerichts Göppingen vom 11. März 1998 zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sieben Monaten verurteilt. Seine am 23. September 2002 selbst eingelegte Berufung hat der Angeklagte auf den Vorwurf des Raubes (Einzelstrafe ein Jahr und sechs Monate Freiheitsstrafe) beschränkt. Nach Urteilszustellung noch im Oktober 2002 lehnte das Amtsgericht am 13. November 2002 den Antrag des Angeklagten auf Aufhebung der mit der notierten Untersuchungsüberhaft verbundenen Einschränkungen im Strafvollzug ab. Am 20. November 2002 wurden die Akten dem Landgericht Stuttgart als Berufungsgericht vorgelegt. Der Vorsitzende der Berufungsstrafkammer hat inzwischen sowohl dem Angeklagten als auch der Justizvollzugsanstalt H., in der der Angeklagte einsitzt, mitgeteilt, dass - bei Gestattung von Arbeit - die Vollzugsbeschränkungen aufrechterhalten bleiben. Am 05. Mai 2003 hat er der Staatsanwaltschaft auf deren Sachstandsanfrage mitgeteilt, dass wegen vorrangiger anderer Haftsachen - und weil sich der Angeklagte in Strafhaft befinde - Termin zur Berufungshauptverhandlung noch nicht bestimmt worden sei, ein solcher jedoch voraussichtlich im vierten Quartal 2003 stattfinden werde.
Der - anwaltlich verteidigte - Angeklagte, dem die Terminsplanung nicht mitgeteilt wurde, beschwert sich nunmehr über die Untätigkeit der Berufungsstrafkammer des Landgerichts.
II.
Die Untätigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht zulässig, da die Strafprozessordnung für Fälle der vorliegenden Art ein solches Rechtsmittel nicht bereitstellt.
1. Zwar unterliegt grundsätzlich auch die Unterlassung einer von Amts wegen oder auf Antrag zu treffenden gerichtlichen Entscheidung der Anfechtung, falls die unterlassene Entscheidung oder deren Ablehnung anfechtbar ist; dies gilt jedoch nur dann, wenn der gerichtlichen Unterlassung die Bedeutung einer endgültigen Ablehnung und nicht nur einer Verzögerung der zu treffenden Entscheidung zukommt (vgl. BGH NJW 1993, 1279 = NStZ 1993, 296; Engelhardt in KK, StPO, 4. Aufl., § 304 Rdn. 3; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 304 Rdn. 3, jeweils m.w.N.). Denn der Strafprozessordnung ist eine reine Untätigkeitsbeschwerde fremd, weil in der bloßen Untätigkeit keine sachliche Entscheidung liegt, jedoch nur eine solche Gegenstand der Überprüfung durch das Beschwerdegericht sein kann (vgl. BGH a.a.O.; OLG Frankfurt NJW 2002, 220 und 453; OLG Düsseldorf MDR 1988, 164; Meyer-Goßner a.a.O.; Plöd in KMR, StPO, Rdn. 3 vor § 304).
Die Untätigkeit der Berufungsstrafkammer, die nunmehr schon über sechs Monate das Verfahren nicht gefördert hat, kommt hier einer endgültigen Entscheidung nicht gleich. Anders als in den vom OLG Frankfurt (a.a.O.) entschiedenen Fällen, in denen die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens vom Gericht so weit hinausgeschoben wurde, dass der Eintritt der Doppelverjährung (§ 78 c Abs. 3 Satz 2 StGB) unmittelbar bevorstand, ist der staatliche Strafanspruch dem Grunde nach hier nicht in Frage gestellt, weil die Verjährung seit dem erstinstanzlichen Urteil ruht (§ 78 b Abs. 3 StGB). Auch die Verteidigungsposition des Angeklagten, der den ihm vorgeworfenen Raub bestreitet, wird durch den Zeitablauf jedenfalls nicht schlechter. Weder der Staatsanwaltschaft noch dem Angeklagten droht daher der endgültige Verlust einer wesentlichen Rechtsposition. Dass der früher nach Bali/Indonesien geflohene Angeklagte - wie er jetzt beklagt - durch die Anordnung von Überhaft verschiedene Vollzugslockerungen nicht erhält (§ 122 StVollzG), die der Zweck der Untersuchungshaft (Verhinderung der Flucht) nicht zulässt (§ 119 Abs. 3 StPO), stellt keinen so schwerwiegenden prozessualen Nachteil dar, dass deswegen die aus dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Untätigkeitsbeschwerde ausnahmsweise für zulässig erachtet werden müsste. Die Untätigkeitsbeschwerde soll nur schwerste, nicht erträgliche Rechtsverluste durch Zeitablauf verhindern. Der Kontrolle der Verfahrensweise der Instanzgerichte in Bezug auf die Beschleunigung dient dieses Rechtsinstitut nicht. Hierfür hat der Gesetzgeber die §§ 121, 122 StPO geschaffen, die hier, da bereits ein auf Verurteilung lautendes Erkenntnis ergangen ist, nicht anwendbar sind.
2. Allerdings gilt das aus Art. 5 Abs. 3 Satz 2, 6 Abs. 1 MRK abzuleitende Beschleunigungsgebot in abgemilderter Form auch dann, wenn - wie hier - Untersuchungshaft neben der vollzogenen Strafhaft nur als Überhaft vorgemerkt ist; auch die nur angeordnete, aber nicht vollzogene Untersuchungshaft ist wegen der Beschränkungen des § 122 StVollzG auf das sachlich vertretbare Mindestmaß zu beschränken (OLG Stuttgart, StV 1990, 213 = Die Justiz 1989, 401; Boujong in KK, StPO, 4. Aufl., Rdn. 19 vor § 112; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 120 Rdn. 6). Das hat der Senat (a.a.O.) auch aus dem in § 120 Abs. 1 Satz 1 StPO verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hergeleitet. Ob eine Terminierung erst auf das vierte Quartal des Jahres 2003 diesen Ansprüchen - trotz der vom Vorsitzenden der Berufungsstrafkammer mitgeteilten Überlastung mit Haftsachen - noch genügt, hat der Senat aufgrund des ausdrücklich als bloße Untätigkeitsbeschwerde bezeichneten Rechtsmittels nicht zu prüfen.
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(1) Solange kein Urteil ergangen ist, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt, darf der Vollzug der Untersuchungshaft wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden

Annotations

(1) Soweit dies zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr (§§ 112, 112a) erforderlich ist, können einem inhaftierten Beschuldigten Beschränkungen auferlegt werden. Insbesondere kann angeordnet werden, dass

1.
der Empfang von Besuchen und die Telekommunikation der Erlaubnis bedürfen,
2.
Besuche, Telekommunikation sowie der Schrift- und Paketverkehr zu überwachen sind,
3.
die Übergabe von Gegenständen bei Besuchen der Erlaubnis bedarf,
4.
der Beschuldigte von einzelnen oder allen anderen Inhaftierten getrennt wird,
5.
die gemeinsame Unterbringung und der gemeinsame Aufenthalt mit anderen Inhaftierten eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.
Die Anordnungen trifft das Gericht. Kann dessen Anordnung nicht rechtzeitig herbeigeführt werden, kann die Staatsanwaltschaft oder die Vollzugsanstalt eine vorläufige Anordnung treffen. Die Anordnung ist dem Gericht binnen drei Werktagen zur Genehmigung vorzulegen, es sei denn, sie hat sich zwischenzeitlich erledigt. Der Beschuldigte ist über Anordnungen in Kenntnis zu setzen. Die Anordnung nach Satz 2 Nr. 2 schließt die Ermächtigung ein, Besuche und Telekommunikation abzubrechen sowie Schreiben und Pakete anzuhalten.

(2) Die Ausführung der Anordnungen obliegt der anordnenden Stelle. Das Gericht kann die Ausführung von Anordnungen widerruflich auf die Staatsanwaltschaft übertragen, die sich bei der Ausführung der Hilfe durch ihre Ermittlungspersonen und die Vollzugsanstalt bedienen kann. Die Übertragung ist unanfechtbar.

(3) Ist die Überwachung der Telekommunikation nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 angeordnet, ist die beabsichtigte Überwachung den Gesprächspartnern des Beschuldigten unmittelbar nach Herstellung der Verbindung mitzuteilen. Die Mitteilung kann durch den Beschuldigten selbst erfolgen. Der Beschuldigte ist rechtzeitig vor Beginn der Telekommunikation über die Mitteilungspflicht zu unterrichten.

(4) Die §§ 148, 148a bleiben unberührt. Sie gelten entsprechend für den Verkehr des Beschuldigten mit

1.
der für ihn zuständigen Bewährungshilfe,
2.
der für ihn zuständigen Führungsaufsichtsstelle,
3.
der für ihn zuständigen Gerichtshilfe,
4.
den Volksvertretungen des Bundes und der Länder,
5.
dem Bundesverfassungsgericht und dem für ihn zuständigen Landesverfassungsgericht,
6.
dem für ihn zuständigen Bürgerbeauftragten eines Landes,
7.
dem oder der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, den für die Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz in den Ländern zuständigen Stellen der Länder und den Aufsichtsbehörden nach § 40 des Bundesdatenschutzgesetzes,
8.
dem Europäischen Parlament,
9.
dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte,
10.
dem Europäischen Gerichtshof,
11.
dem Europäischen Datenschutzbeauftragten,
12.
dem Europäischen Bürgerbeauftragten,
13.
dem Europäischen Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe,
14.
der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz,
15.
dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen,
16.
den Ausschüssen der Vereinten Nationen für die Beseitigung der Rassendiskriminierung und für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau,
17.
dem Ausschuss der Vereinten Nationen gegen Folter, dem zugehörigen Unterausschuss zur Verhütung von Folter und den entsprechenden Nationalen Präventionsmechanismen,
18.
den in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 genannten Personen in Bezug auf die dort bezeichneten Inhalte,
19.
soweit das Gericht nichts anderes anordnet,
a)
den Beiräten bei den Justizvollzugsanstalten und
b)
der konsularischen Vertretung seines Heimatstaates.
Die Maßnahmen, die erforderlich sind, um das Vorliegen der Voraussetzungen nach den Sätzen 1 und 2 festzustellen, trifft die nach Absatz 2 zuständige Stelle.

(5) Gegen nach dieser Vorschrift ergangene Entscheidungen oder sonstige Maßnahmen kann gerichtliche Entscheidung beantragt werden, soweit nicht das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft ist. Der Antrag hat keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht kann jedoch vorläufige Anordnungen treffen.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch, wenn gegen einen Beschuldigten, gegen den Untersuchungshaft angeordnet ist, eine andere freiheitsentziehende Maßnahme vollstreckt wird (§ 116b). Die Zuständigkeit des Gerichts bestimmt sich auch in diesem Fall nach § 126.

(1) Solange kein Urteil ergangen ist, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt, darf der Vollzug der Untersuchungshaft wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 ist der Haftbefehl nach Ablauf der sechs Monate aufzuheben, wenn nicht der Vollzug des Haftbefehls nach § 116 ausgesetzt wird oder das Oberlandesgericht die Fortdauer der Untersuchungshaft anordnet.

(3) Werden die Akten dem Oberlandesgericht vor Ablauf der in Absatz 2 bezeichneten Frist vorgelegt, so ruht der Fristenlauf bis zu dessen Entscheidung. Hat die Hauptverhandlung begonnen, bevor die Frist abgelaufen ist, so ruht der Fristenlauf auch bis zur Verkündung des Urteils. Wird die Hauptverhandlung ausgesetzt und werden die Akten unverzüglich nach der Aussetzung dem Oberlandesgericht vorgelegt, so ruht der Fristenlauf ebenfalls bis zu dessen Entscheidung.

(4) In den Sachen, in denen eine Strafkammer nach § 74a des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständig ist, entscheidet das nach § 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständige Oberlandesgericht. In den Sachen, in denen ein Oberlandesgericht nach den §§ 120 oder 120b des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständig ist, tritt an dessen Stelle der Bundesgerichtshof.

(1) In den Fällen des § 121 legt das zuständige Gericht die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor, wenn es die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich hält oder die Staatsanwaltschaft es beantragt.

(2) Vor der Entscheidung sind der Beschuldigte und der Verteidiger zu hören. Das Oberlandesgericht kann über die Fortdauer der Untersuchungshaft nach mündlicher Verhandlung entscheiden; geschieht dies, so gilt § 118a entsprechend.

(3) Ordnet das Oberlandesgericht die Fortdauer der Untersuchungshaft an, so gilt § 114 Abs. 2 Nr. 4 entsprechend. Für die weitere Haftprüfung (§ 117 Abs. 1) ist das Oberlandesgericht zuständig, bis ein Urteil ergeht, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt. Es kann die Haftprüfung dem Gericht, das nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständig ist, für die Zeit von jeweils höchstens drei Monaten übertragen. In den Fällen des § 118 Abs. 1 entscheidet das Oberlandesgericht über einen Antrag auf mündliche Verhandlung nach seinem Ermessen.

(4) Die Prüfung der Voraussetzungen nach § 121 Abs. 1 ist auch im weiteren Verfahren dem Oberlandesgericht vorbehalten. Die Prüfung muß jeweils spätestens nach drei Monaten wiederholt werden.

(5) Das Oberlandesgericht kann den Vollzug des Haftbefehls nach § 116 aussetzen.

(6) Sind in derselben Sache mehrere Beschuldigte in Untersuchungshaft, so kann das Oberlandesgericht über die Fortdauer der Untersuchungshaft auch solcher Beschuldigter entscheiden, für die es nach § 121 und den vorstehenden Vorschriften noch nicht zuständig wäre.

(7) Ist der Bundesgerichtshof zur Entscheidung zuständig, so tritt dieser an die Stelle des Oberlandesgerichts.

(1) Der Haftbefehl ist aufzuheben, sobald die Voraussetzungen der Untersuchungshaft nicht mehr vorliegen oder sich ergibt, daß die weitere Untersuchungshaft zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis stehen würde. Er ist namentlich aufzuheben, wenn der Beschuldigte freigesprochen oder die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder das Verfahren nicht bloß vorläufig eingestellt wird.

(2) Durch die Einlegung eines Rechtsmittels darf die Freilassung des Beschuldigten nicht aufgehalten werden.

(3) Der Haftbefehl ist auch aufzuheben, wenn die Staatsanwaltschaft es vor Erhebung der öffentlichen Klage beantragt. Gleichzeitig mit dem Antrag kann die Staatsanwaltschaft die Freilassung des Beschuldigten anordnen.