Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Beschluss, 11. Mai 2016 - 54 Verg 3/16

ECLI:ECLI:DE:OLGSH:2016:0511.54VERG3.16.0A
bei uns veröffentlicht am11.05.2016

Tenor

Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer vom 19.04.2016 wird zurückgewiesen.

Die Kostenverteilung folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen den Ausschluss ihres Angebots aus einem Vergabeverfahren.

2

Der Beschwerdegegner schrieb am 20.11.2015 die grundhafte Erneuerung des Asphaltausbaus der Richtungsfahrbahn … der A zwischen W. und S. aus. Anzubieten waren u. a. Schutzeinrichtungen (Leitplanken). Das Leistungsverzeichnis (Anlage BB 3, Bl. 19 - 26 d. A.) sah bei der Beschreibung bestimmte Anforderungen an die Schutzeinrichtungen vor, u. a. für die Anpralllast eine maximale Horizontalkraft von 49,6 kN/m und ein maximales Moment von 12,4 kN/m. Zu ergänzen waren von den Anbietern eine Modulbezeichnung und ein Systemname.

3

Die Beschwerdeführerin trug bei ihrem Angebot in das Leistungsverzeichnis die Modulbezeichnung „M03-4“ und den Systemnamen „Super Rail Eco BW, H2“ ein. Dieses System erfüllt die Anforderungen an die Anpralllast nicht.

4

Mit Schreiben vom 02.02.2016 bat der Beschwerdegegner um den Nachweis, dass das System die Anforderungen erfülle. Die Beschwerdeführerin teilte darauf mit, sie habe aufgrund eines Übertragungsfehlers eine falsche Bezeichnung eingetragen. Sie habe anbieten wollen das System „M04-5 Super Rail BW, H2“. Dieses System erfüllt die Anforderungen an die Anpralllast.

5

Mit Schreiben vom 19.02.2016 informierte der Beschwerdegegner die Beschwerdeführerin über den Ausschluss ihres Angebots. Die Beschwerdeführerin rügte dies mit Schreiben vom 23.02.2016.

6

Die Beschwerdeführerin hat behauptet, das System „M04-5 Super Rail BW, H2“ sei das einzige, das die Anforderungen des Leistungsverzeichnisses erfülle. Sie hat die Auffassung vertreten, im Wegen der Auslegung sei zu ermitteln gewesen, dass sie dieses System habe anbieten wollen. Das folge auch daraus, dass der Beschwerdegegner habe unterstellen müssen, sie habe ein zuschlagsfähiges Angebot abgeben wollen.

7

Die Beschwerdeführerin hat beantragt,

8

1. den Antragsgegner zu verpflichten, die Wertung ihres Angebots betreffend die Erneuerung der Fahrbahn B. bis S. und die grundhafte Erneuerung der Richtungsfahrbahn … der A unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu durchzuführen und ihr Angebot zuzulassen;

9

2. hilfsweise das Vergabeverfahren in den Stand vor Versendung der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen;

10

3. äußerst hilfsweise das Verfahren aufzuheben;

11

4. festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten auf ihrer Seite notwendig gewesen ist;

12

5. dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

13

Der Beschwerdegegner hat beantragt,

14

1. den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen;

15

2. die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten auf seiner Seite für notwendig zu erklären;

16

3. der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

17

Der Beschwerdegegner hat behauptet, auch andere Systeme erfüllten die im Leistungsverzeichnis wiedergegebenen Anforderungen.

18

Er hat die Auffassung vertreten, das Angebot der Beschwerdeführerin sei wegen seines eindeutigen Inhalts nicht auslegungsfähig.

19

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurückgewiesen. Sie hat im Wesentlichen ausgeführt, das Angebot der Beschwerdeführerin sei nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. b i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A-EG vom weiteren Verfahren auszuschließen gewesen. Die Beschwerdeführerin habe eine Änderung der Vergabeunterlagen vorgenommen, da das von ihr angebotene System den Anforderungen aus dem Leistungsverzeichnis nicht entsprochen habe. Für eine Auslegung sei kein Raum, denn der Wortlaut des Angebots sei eindeutig. Folge man der Argumentation der Beschwerdeführerin, dass ein Bieter ein zuschlagsfähiges Angebot abgeben wolle und ihm im Rahmen des Vergabeverfahrens zu unterstellen sei, dass er vernünftige Ziele und redliche Absichten verfolge und sich im Zweifel vergaberechtskonform verhalten wolle, liefe die Vorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A-EG leer. Einen Erfahrungssatz, dass ein Bieter immer das anbieten wolle, was der Auftraggeber ausgeschrieben habe, gebe es nicht. Vielmehr könne es Gründe für ein abweichendes Angebot geben, etwa hinsichtlich des Preises oder der Eignung. Im Übrigen gebe es mehrere Systeme, die den Anforderungen des Beschwerdegegners entsprächen, sodass erst recht nicht habe unterstellt werden könne, die Beschwerdeführerin habe das System „M04-5 Super Rail BW, H2“ anbieten wollen.

20

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin. Sie macht im Wesentlichen geltend, ihr Angebot sei widersprüchlich und damit auslegungsfähig gewesen. Das Angebot sei im Ganzen zu betrachten, also nicht nur die von ihr eingetragene Systembezeichnung, sondern auch die vorgegebenen Anforderungen. Da das von ihr angebotene System die Anforderungen aber nicht erfüllt habe, habe sie etwas angeboten, was es nicht gebe. Das habe zu Nachfragen Anlass geben müssen. Daraus, dass sie eine Modulnummer angegeben habe, sei deutlich geworden, dass sie ein System aus der Einsatzfreigabeliste (EFL) des Bundesamts für Straßenwesen (Anlage BB 4, Bl. 29 d. A.) habe anbieten wollen. Das einzige System aus dieser Liste, das die Anforderungen des Leistungsverzeichnisses erfülle, sei das System „M04-5 Super Rail BW, H2“. Damit sei klar gewesen, dass sie dieses System habe anbieten wollen. Einen Grund für eine Abweichung gebe es nicht, da beide Systeme den gleichen Preis hätten. Die Vergabekammer habe nicht den streitigen Vortrag des Beschwerdegegner ungeprüft übernehmen dürfen, es gebe weitere Systeme, die den Anforderungen aus dem Leistungsverzeichnis entsprächen. Im Bereich der Bundesfernstraßen seien grundsätzlich nur Systeme einzusetzen, für die eine Einsatzfreigabe vorliege.

II.

21

Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg. Im Interesse des zügigen Abschlusses des Vergabeverfahrens ist die aufschiebende Wirkung der Beschwerde nicht zu verlängern.

22

Bei der Entscheidung über die Verlängerung der aufschiebenden Wirkung sind nach § 118 Abs. 2 GWB die widerstreitenden Interessen gegeneinander abzuwägen, aufseiten des Beschwerdeführers der drohende Schaden durch den anderweitigen Zuschlag, aufseiten des Beschwerdegegners das Interesse an einem zügigen Abschluss des Vergabeverfahrens, wobei auch das Interesse der Allgemeinheit an einer wirtschaftlichen Vergabe zu berücksichtigen ist. Außerdem sind die Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde zu beachten. Sind sie hoch, so gebietet das Gebot des effektiven Rechtsschutzes i. d. R. die Anordnung der Verlängerung, sind sie gering, so kann das Interesse des Beschwerdeführers das Interesse an einem zügigen Verfahrensabschluss i. d. R. nicht überwiegen (Ziekow/Völlink - Losch, Vergaberecht, 2. Aufl., § 118 GWB, Rn. 39, 45).

23

Im vorliegenden Fall sind die Erfolgsaussichten der Beschwerde gering. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag zu Recht zurückgewiesen. Gründe, die ausnahmsweise dennoch für ein Überwiegen der Interessen der Beschwerdeführerin sprechen könnten, liegen nicht vor.

24

Die Entscheidung, ob das Angebot der Beschwerdeführerin nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 lit b i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A-EG auszuschließen ist, ist im Spannungsverhältnis der verschiedenen Anforderungen an das Vergabeverfahren und die Angebote der Bieter zu treffen. Eine Änderung der Vergabeunterlagen liegt dabei u. a. dann vor, wenn das angebotene Produkt den Anforderungen in der Ausschreibung nicht gerecht wird, der Bieter also nicht das anbietet, was der Ausschreibende bestellt hat (Vergabekammer Brandenburg, Beschluss vom 19.12.2013, VK 25/13, Rn. 52 bei juris).

25

Einerseits sind an die Angebote strenge Anforderungen zu stellen. Um eine Vergleichbarkeit der Angebote und die Gefahr inhaltlich falscher Beauftragungen auszuschließen, darf ein Bieter nach § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A-EG keine Änderungen der Ausschreibungsunterlagen vornehmen (Ziekow/Völlink - Vavra, Vergaberecht, 2. Aufl., § 13 VOB/A-EG, Rn. 1, § 13 VOB/A, Rn. 13). Ferner sind im Interesse der Gleichbehandlung der Bieter und der Transparenz des Verfahrens Änderungen des Angebots in einem späteren Aufklärungsverfahren nach § 15 VOB/A-EG ausgeschlossen (a. a. O., § 15 VOB/A-EG, Rn. 1, § 15 VOB/A, Rn. 17). So darf das einmal angebotene Produkt nicht später wieder geändert werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.10.2009, Verg 9/09, Rn. 18 bei juris; OLG München, Beschluss vom 02.09.2010, Verg 17/10, Rn. 22 bei juris).

26

Andererseits soll ein Angebot nicht aufgrund der Verletzung bloßer Formalien ausgeschlossen werden, um die Wahl des wirtschaftlichsten Angebots zu ermöglichen (OLG München, Beschluss vom 29.07.2010, Verg 9/10, Rn. 73 bei juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.10.2015, Verg 35/15, Rn. 35 bei juris). Deswegen sind Angebote vor einem Ausschluss zunächst nach Möglichkeit auszulegen, wobei dem Bieter zu unterstellen ist, dass er redliche und wirtschaftlich vernünftige Absichten verfolgt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.09.2006, Verg 36/06, Rn. 31 ff. bei juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.06.2012, 11 Verg 12/11, Rn. 93 bei juris).

27

Hier scheidet eine Auslegung des Angebots der Beschwerdeführerin aus, so dass eine Anpassung des angebotenen Systems zu einer im Aufklärungsverfahren ausgeschlossenen Änderung des Angebots führen würde. Aus der Sicht des Beschwerdegegners war weder eindeutig erkennbar, dass die Beschwerdeführerin das im Leistungsverzeichnis aufgeführte System nicht anbieten wollte, noch welches System sie stattdessen anbieten wollte.

28

Die Bezeichnung des angebotenen Systems ist eindeutig. Produktangaben in Angeboten sind wörtlich zu nehmen, wenn sie eindeutig sind (OLG Koblenz, Beschluss vom 30.03.2012, 1 Verg 1/12, Rn. 21 bei juris; im Ergebnis auch Vergabekammer Südbayern, Beschluss vom 15.05.2015, Z 3-3194-1-05-01/15, Rn. 142, 147 bei juris). An der Eindeutigkeit des Angebots ändert es nichts, dass das System den im Leistungsverzeichnis formulierten Anforderungen nicht gerecht wird. Das erlaubt nicht zwingend den Umkehrschluss, dass dieses System nicht hätte angeboten werden sollen. Vielmehr wäre es zirkulär, die Anforderungen zur Auslegung des Angebots heranzuziehen. Der Zweck der formulierten Anforderungen ist es, einen Maßstab zu setzen, an dem sich das angebotene Produkt messen lassen muss. Sie dienen nicht dazu zu ermitteln, was der Bieter hätte anbieten wollen.

29

Es gibt keinen Erfahrungssatz dahin, dass der Bieter stets das vom Ausschreibenden Nachgefragte anbieten will (OLG Koblenz, Beschluss vom 30.03.2012, 1 Verg 1/12, Rn. 22 bei juris), auch wenn ihm redliche und interessengerechte Absichten zu unterstellen sind. Vielmehr kann es Gründe für eine Abweichung des Angebots von den Anforderungen geben, und sei es, dass die Anforderungen übersehen worden sind oder irrtümlich angenommen worden ist, sie würden erfüllt.

30

Auch im vorliegenden Fall war es aus Sicht des Beschwerdegegners nicht zwingend, dass die Beschwerdeführerin aus der Einsatzfreigabeliste das einzige System anbieten wollte, das den Anforderungen aus dem Leistungsverzeichnis gerecht wird. Es erschien nicht ausgeschlossen, dass die Beschwerdeführerin das in das Leistungsverzeichnis eingetragene System anbieten wollte, weil sie es irrtümlich für geeignet hielt.

31

So trägt die Beschwerdeführerin vor, das System Super Rail Eco sei an sich höherwertiger als das System „M04-5 Super Rail BW, H2“, weil es höhere Anpralllasten aufnehmen könne, aber zum Einsatz auf Brücken nicht geeignet, da diese die Lasten ihrerseits nicht aufnehmen könnten. Aus Sicht des Beschwerdegegners kam ein Irrtum der Beschwerdeführerin dahin, das angebotene System sei besser geeignet, in Betracht. Daran ändert es nichts, dass nach den Richtlinien des Bundesministeriums für Verkehr (Anlage BB 6, Bl. 32 - 34 d. A.) an Bundesfernstraßen nur Systeme aus der Einsatzfreigabeliste eingesetzt werden sollen, weil ein solches System von der Beschwerdeführerin angeboten worden ist.

32

Zudem steht nicht fest, wie ein etwaiger Irrtum des Mitarbeiters der Beschwerdeführerin, der das Leistungsverzeichnis ausgefüllt hat, zustande gekommen ist. Die Beschwerdeführerin unterstellt, er habe das richtige System ermittelt und sei dann beim Abschreiben in die falsche Zeile gerutscht. Aus Sicht des Beschwerdegegners kam aber auch infrage, dass der Mitarbeiter der Beschwerdeführerin in der Einsatzfreigabeliste die im Leistungsverzeichnis geforderten Parameter ermittelt und sie dann versehentlich der falschen Zeile, also dem falschen System zugeordnet hat. Dann hätte die Beklagte das angebotene System auch tatsächlich anbieten wollen, weil sei es für ausschreibungsgerecht gehalten hätte.

33

Keineswegs lässt sich eindeutig sagen, dass im Streitfall, wenn der Auftrag nach dem Angebot der Beschwerdeführerin erteilt worden wäre, durch Auslegung zu ermitteln wäre, dass sie mit dem System „M 04-5 Super Rail BW, H2“ ein nicht vertragsgerechtes System eingebaut hätte, so dass die Schutzsysteme auszutauschen wären. Vielmehr würde man den Vertragsgegenstand anhand der Systembezeichnung ermitteln und zu dem Ergebnis kommen, dass die Leistung mangelhaft ist, weil sie den Anforderungen nicht gerecht wird. Die Kosten des Austausches müsste der Beschwerdegegner wegen Mitverschuldens mit tragen, weil ihm die Abweichung bei der Prüfung des Angebots nicht aufgefallen wäre.

34

Insgesamt kann es nicht Aufgabe einer Auslegung sein, Irrtümer beim Ausfüllen des Leistungsverzeichnisses zu korrigieren. Angesichts der Vielzahl der möglichen Irrtümer kann weder ausgeschlossen werden, dass der Anbietende das Angebotene tatsächlich anbieten wollte, noch ermitteln werden, was er ggf. stattdessen hätte anbieten wollen. Der Umstand, dass leicht zu ermitteln wäre, welches Angebot den Anforderungen entsprochen hätte, und dass nur dieses Angebot wirtschaftlich sinnvoll wäre, ändert daran nichts.


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(1) Öffentliche Auftraggeber können das Recht zur Teilnahme an Vergabeverfahren Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und Unternehmen vorbehalten, deren Hauptzweck die soziale und berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen oder von be

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Oberlandesgericht Koblenz Beschluss, 30. März 2012 - 1 Verg 1/12

bei uns veröffentlicht am 30.03.2012

Tenor 1. Auf sofortige Beschwerde des Auftraggebers wird der Beschluss der 1. Vergabekammer Rheinland-Pfalz vom 26. Januar 2012 aufgehoben, soweit dem Auftraggeber aufgegeben wurde, das Angebot der Antragstellerin zu werten. 2. Der Nachprü
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Vergabekammer Südbayern Beschluss, 25. Jan. 2018 - Z3-3-3194-1-52-10/17

bei uns veröffentlicht am 25.01.2018

Tenor 1.Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen. 2.Die Antragstellerin trägt die Kosten (Gebühren und Auslagen) des Verfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin z

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(1) Öffentliche Auftraggeber können das Recht zur Teilnahme an Vergabeverfahren Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und Unternehmen vorbehalten, deren Hauptzweck die soziale und berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen oder von benachteiligten Personen ist, oder bestimmen, dass öffentliche Aufträge im Rahmen von Programmen mit geschützten Beschäftigungsverhältnissen durchzuführen sind.

(2) Voraussetzung ist, dass mindestens 30 Prozent der in diesen Werkstätten oder Unternehmen Beschäftigten Menschen mit Behinderungen oder benachteiligte Personen sind.


Tenor

1. Auf sofortige Beschwerde des Auftraggebers wird der Beschluss der 1. Vergabekammer Rheinland-Pfalz vom 26. Januar 2012 aufgehoben, soweit dem Auftraggeber aufgegeben wurde, das Angebot der Antragstellerin zu werten.

2. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen, soweit über ihn noch nicht bestandskräftig entschieden ist.

3. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Auftraggebers.

4. Der Auftraggeber und die Beigeladene zu 1 tragen die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer (Gebühren und Auslagen) als Gesamtschuldner zu 2/3, die Antragstellerin zu 1/3. Die Beigeladene zu 1 und der Auftraggeber haben der Antragstellerin je 1/3 der notwendigen Auslagen der Antragstellerin zu erstatten. Die Antragstellerin trägt 1/3 der notwendigen Auslagen des Auftraggebers. Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre Auslagen selbst.

5. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch den Auftraggeber und die Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer war notwendig.

6. Der Beschwerdewert wird auf 68.302 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

1. Der Beschwerdeführer (Auftraggeber) ist ein gemeinnütziger Verein. Er betreibt in B. ein Krankenhaus, das umgestaltet und erweitert werden soll. Die geschätzten Gesamtkosten in einer Größenordnung von 8,3 Mio. € sollen zu mehr als 50% aus staatlichen Fördermitteln finanziert werden.

2

Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens ist das Los „Lüftungsinstallation“. Nebenangebote sind nicht zugelassen.

3

Im Leistungsverzeichnis sind unter der Ordnungsziffer 01.02 die Lieferung, die Roh- und Endmontage sowie die Inbetriebnahme (einschließlich verschiedener Prüfungen) von 3 Filterflächendecken (Reinluftdecken) für Operationsräume näher beschrieben. Zum vorgegeben Lieferumfang gehören auch je 8 „Filter der Filterklasse H14 gemäß DIN EN“. Als technische Daten sind u.a. vorgegeben:

4

Volumenstrom:

9100 m³/h

Außenabmessungen

        

Länge:

3185 mm

Breite:

3185 mm

Einbauhöhe

450 mm

Abströmgeschwindigkeit

ca. 0,26 m/s

Filterklasse

H14   

Anzahl/Abmessungen Filter        

4 Stk. 1.220 x 1.220 mm

        

4 Stk. 1.220 x 610 mm

5

Die Bieter mussten die technischen Daten der angebotenen Decken dem Angebot beifügen sowie Fabrikat und Typ bezeichnen.

6

Die Beschwerdegegnerin trug in ihr Angebot ein:

7

V. CG3-P-93-H13-3170x3170“.

8

Aus dem beigefügten Produktdatenblatt ergibt sich, dass die Reinluftdecke CG3-P ein variierbares Standardprodukt des Herstellers V. ist. Zu der Filtertechnologie ist zu lesen:

9

„Unsere Filter halten zuverlässig Keime und Partikel zurück. Die üblicherweise verwendeten H13 Filter halten 99,95 % der Partikel und Keime zurück, H14 Filter 99,995% beim MPPS.“

10

Die von der Antragstellerin vorgenommene Eintragung ist auf mangelnde Sorgfalt beim Ausfüllen des Angebots zurückzuführen. V. hatte ihr auf Anfrage als „reine Kalkulationsgröße“ das Produkt „CG3-P-93-H13-3170x3170“ und den entsprechenden Preis benannt. Diese Produktbezeichnung wurde von der Antragstellerin unverändert übernommen.

11

Die Angabe „3170x3170“ bezieht sich auf die Innenabmessung des Deckenfeldes; die entsprechende Außenabmessung ist 3272 mm x 3272 mm. Nach einer Mitteilung von V. an die Vergabekammer ist das Unternehmen auch in der Lage, jedem Anlagenbauer Elemente für Reinluftdecken mit den von der Beschwerdeführerin gewünschten Maßen (3185 mm x 3185 mm) zu liefern.

12

2. Nachdem der Auftraggeber mitgeteilt hatte, er beabsichtigte, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu 1 zu erteilen und eine Rüge erfolglos geblieben war, beantragte die Antragstellerin mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 18. November 2011 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.

13

Ihr Ziel war der Ausschluss der in der Wertung an erster bzw. zweiter Stelle liegenden Angebote der Beigeladenen. Dieses Ziel hat sie auch erreicht; mit Beschluss vom 26. Januar 2012, der insoweit bestandskräftig ist, hat die Vergabekammer den Auftraggeber verpflichtet, die Angebote der Beigeladenen aus der Wertung zu nehmen.

14

Während des Nachprüfungsverfahrens berief sich der Auftraggeber erstmals darauf, auch das - preislich an dritter Stelle liegende - Angebot der Antragstellerin sei nicht zuschlagsfähig, weil es hinsichtlich der Filterflächendecken nicht ausschreibungskonform sei, und müsse deshalb ausgeschlossen werden. Die Antragstellerin erweiterte daraufhin ihren Nachprüfungsantrag entsprechend und wehrte sich gegen den Angebotsausschluss.

15

Nachdem diese Frage in der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer vom 18. Januar 2012 erörtert worden war, erklärte die Antragstellerin auf Anregung der Vorsitzenden mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 24. Januar 2012 „hilfsweise“ die Anfechtung der Produktbezeichnung wegen eines durch einen Schreibfehler des Herstellers hervorgerufenen Erklärungsirrtums.

16

3. Mit Beschluss vom 26. Januar 2012 hat die Vergabekammer u.a. den Auftraggeber verpflichtet, das Angebot der Antragstellerin zu werten: Zwar spreche einiges dafür, dass die Antragstellerin ein Aliud angeboten habe. Dies beruhe aber auf einem Erklärungsirrtum, der die Antragstellerin zur Anfechtung gemäß § 119 Abs. 1 BGB berechtige. Mit der Anfechtungserklärung sei die Typenbezeichnung weggefallen, weshalb sie fehle und vom Auftraggeber gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A nachgefordert werden müsse. Weil die Antragstellerin inzwischen klargestellt habe, dass sie das vom Auftraggeber Gewollte anbiete, sei ihr Angebot zu werten.

II.

17

Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Auftraggebers hat Erfolg.

18

1. Die Antragstellerin hat keine Abweichung von einer technischen Spezifikation im Sinne des § 7 Abs. 5 VOB/A (siehe dazu OLG München v. 28.07.2008 - Verg 10/08 - VergabeR 2008, 965) unterbreitet, sondern ein nicht zuschlagsfähiges Aliud angeboten, das auch als Nebenangebot schon deshalb nicht gewertet werden kann, weil Varianten nicht zugelassen sind.

19

a) Entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin spielen im vorliegenden Verfahren „erklärungsbedürftige komplexe technische“ Fragen nicht die geringste Rolle. Es ist unerheblich, dass - wovon der Senat ausgeht - die Fa. V. in der Lage wäre, die Antragstellerin mit allen Elementen zu beliefern, die eine Herstellung der Filterflächendecken exakt nach den Wünschen des Auftraggebers ermöglichten. Ebenso ist es irrelevant, dass die Filter erst am Ende des Herstellungsprozesses vor Ort eingebaut werden und es z.B. problemlos möglich wäre, Filter der falschen Filterklasse auszutauschen. Schließlich kommt es auch nicht darauf an, ob der Wert der Filter in Relation zum Gesamtpreis einer Filterflächendecke gering ist.

20

b) Entscheidend ist einzig und alleine die Frage: Entspräche die vertraglich geschuldete Leistung exakt dem, was der Auftraggeber haben will, wenn er den Zuschlag auf das Angebot der Antragstellerin erteilte? Die Antwort ist Nein, denn es kommt nicht darauf an, was technisch möglich wäre, sondern allein darauf, was im Angebot steht und wie dies zu verstehen ist.

21

Die Angabe „V. CG3-P-93-H13-3170x3170” ist eindeutig und unmissverständlich: Angeboten werden Filterflächendecken mit H13-Filtern und von den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses abweichenden Maßen. Im Angebot selbst finden sich keine Anknüpfungspunkte dafür, dass etwas anderes angeboten werden sollte als das, was dem Wortlaut entspricht. Auch aus dem beigefügten Produktdatenblatt ergibt sich nichts anders; vielmehr ist dort zu lesen, dass es nicht ungewöhnlich ist, wenn CG3-P-Filterflächendecken mit H13-Filtern ausgestattet werden. Dies entspricht im Übrigen der DIN 1946-4, die für Räume der Raumklasse I, wozu auch Operationsräume gehören, Schwebstofffilter der Filterklasse H13 ausreichen lässt.

22

Die Praxis zeigt, dass es auch keinen Erfahrungssatz des Inhalts gibt, dass Unternehmen immer genau das anbieten wollen, was der Auftraggeber über die Leistungsbeschreibung „bestellt“ hat und Abweichungen im Angebot auf einem - vom Auftraggeber als solches erkennbarem - Versehen beruhen.

23

Es gab somit für einen verständigen und redlichen Erklärungsempfänger keinen Anlass anzunehmen, die Eintragung „CG3-P-93-H13-3170x3170“ beruhe auf einem Schreibfehler o.ä., und daraus den Schluss zu ziehen, nach dem wahren Willen des Erklärenden werde entgegen dem Wortlaut der Eintragung doch ausschreibungskonform angeboten.

24

c) Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass aus dem Umstand, dass sich der Auftraggeber erst nach Einleitung des Nachprüfungsverfahrens auf die Mangelhaftigkeit des Angebots der Antragstellerin berufen hat, nicht geschlossen werden kann, er habe deren Angebot zunächst „richtig“ (im Sinne der Antragstellerin) verstanden. Dieses Angebot lag in der Wertung an dritter Stelle und kam deshalb zunächst für den Zuschlag nicht in Betracht. Erst als sich abzeichnete, dass die besser bewerteten Angebote wegen Abweichungen von den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses ausschlussgefährdet waren, wurden mehrere Angebote, darunter das der Antragstellerin, erstmals mit der gebotenen Sorgfalt überprüft und der neu entdeckte Mangel im Angebot der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 12. Januar 2012 vorgetragen.

25

2. Die mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 24. Januar 2012 erklärte Irrtumsanfechtung der Antragstellerin kann ihrem Angebot nicht mehr zum Erfolg verhelfen.

26

a) Wäre die Produktbezeichnung - wovon möglicherweise die Vergabekammer ausging - lediglich eine gesondert zu betrachtende Erläuterung zu der Willenserklärung Angebot, ginge die Anfechtungserklärung in Leere, weil nur Willenserklärungen und rechtsgeschäftsähnliche Handlungen anfechtbar sind.

27

b) Ist die Produktbezeichnung - wovon der Senat ausgeht - integraler Bestandteil der Willenserklärung Angebot, weil mit ihr die angebotene (Teil-)Leistung entsprechend dem Wunsch des Auftraggebers konkretisiert wird, kommt zumindest nach Ablauf der Angebotsfrist eine Teilanfechtung (mit der Folge der Teilnichtigkeit entsprechend § 139 BGB) schon deshalb nicht in Betracht, weil ansonsten eine vergaberechtlich unzulässige nachträgliche Änderung des Angebotsinhalts vorläge. Bei unterstellter Zulässigkeit und Wirksamkeit der Anfechtung hat diese vielmehr zur Folge, dass die Antragstellerin so zu behandeln ist, als habe sie nie ein Angebot abgegeben.

28

d) § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A findet keine Anwendung, wenn eine geforderte Erklärung formgerecht, lesbar und vollständig abgegeben wird, aber inhaltlich nicht geeignet ist, dem Angebot zum Erfolg zu verhelfen.

III.

29

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Auftraggebers trägt die Antragstellerin als Unterlegene (§ 78 Satz 1 GWB). Die Beigeladenen bleiben außer Betracht, weil sie sich nicht aktiv am Beschwerdeverfahren beteiligt haben.

30

Die Kostenentscheidung der Vergabekammer (§128 GWB) ist dem Ausgang des Beschwerdeverfahrens anzupassen. Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, dass der Nachprüfungsantrag insgesamt zurückzuweisen gewesen wäre, weil die Antragstellerin kein wertbares Angebot abgegeben hatte und auch keinen Anspruch auf eine „zweite Chance“ hat, da es noch Angebote gibt, auf die der Auftraggeber den Zuschlag erteilen kann. Andererseits ist der die Beigeladenen und insoweit auch den Auftraggeber belastende Teil der Entscheidung der Vergabekammer bestandskräftig. Weil es letztlich nur Verlierer gibt, ist die tenorierte Quotelung angemessen. Die Beigeladene zu 2 bleibt außen vor, weil sie sich nicht aktiv am Verfahren vor der Vergabekammer beteiligt hat.

31

Weil der Beschwerdeführer „Gelegenheitsauftraggeber“ im Sinne des § 98 Nr. 5 GWB ist, war die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch ihn für das Verfahren vor der Vergabekammer notwendig. Hinsichtlich der Antragstellerin verbleibt es bei dem entsprechenden Ausspruch der Vergabekammer.

32

Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 50 Abs. 2 GKG.