Oberlandesgericht Rostock Beschluss, 13. Juni 2013 - 2 HEs 9/13 (5/13)

Gericht
Tenor
Gründe
I.
1.
- 1
Der Angeklagte befand sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Bergen auf Rügen vom 29.11.2012 - 13 Gs 8/12 -, aufrechterhalten mit Beschluss des selben Gerichts vom 11.04.2013 - 13 Ls 5/13 -, seit seiner Festnahme am 29.11.2012 bis zu der auf die Beschwerde des Angeklagten mit Beschluss des Landgerichts Stralsund vom 22.05.2013 - 23 Qs 9/13 - erfolgten Aufhebung des Haftbefehls ununterbrochen in Untersuchungshaft in der JVA Stralsund. Mit dem Haftbefehl wurde ihm vorgeworfen, sich in dem Zeitraum von August bis November 2012 in Bergen auf Rügen des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß §§ 176 a Abs. 2 Nr. 1, 176 Abs. 1 StGB in drei Fällen zum Nachteil der damals dreizehnjährigen S. N. und als Person über 21 Jahre der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln an eine Person unter 18 Jahren gemäß § 29 a Abs. 1 Nr. 1 BtMG in zwei Fällen schuldig gemacht zu haben.
- 2
Die Staatsanwaltschaft hat wegen der in dem Haftbefehl dargestellten Tatvorwürfe unter dem 03.01.2013 vor dem Amtsgericht Bergen auf Rügen - Jugendschöffengericht - gemäß § 26 GVG Anklage erhoben, die mit Eröffnungsbeschluss vom 11.04.2013 - 13 Ls 5/13 - zur Hauptverhandlung zugelassen wurde.
2.
- 3
Die Hauptverhandlung begann am 23.05.2013, mithin am Tag nach der Entlassung des Angeklagten aus der Untersuchungshaft. Der Angeklagte räumte sexuelle Handlungen mit der Zeugin S. N. ein und gab an, nicht gewusst zu haben, dass sie unter vierzehn Jahre alt gewesen sei. Er habe ihr nur ein Mal einen Joint gegeben. Die Zeugin N. bekundete zunächst, dass sie drei oder vier Mal miteinander geschlafen hätten. Der Angeklagte habe gewusst, wie alt sie sei. Sie habe es ihm gesagt. Er habe von Anfang an gewusst, wann sie Geburtstag hatte, auch zu welcher Uhrzeit. Sie hätten zwei bis drei Mal zusammen einen Joint geraucht.
- 4
Nachdem die zur Tatzeit vierzehn Jahre alte Zeugin L. M. R. in der Hauptverhandlung weitere gemeinsame sexuelle Handlungen des Angeklagten mit der Zeugin N., dem Zeugen A. W. und ihr schilderte, bestätigte die Zeugin N. unter Darstellung weiterer Einzelheiten, dass sexuelle Handlungen auch zu Dritt und zu Viert stattgefunden hätten. Das Amtsgericht erließ daraufhin in der Hauptverhandlung erneut Haftbefehl gegen den Angeklagten, der um zwei weitere Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie ein Betäubungsmitteldelikt ergänzt wurde, verkündete diesen dem Angeklagten und fertigte ein Aufnahmeersuchen für die JVA Stralsund, wo sich der Angeklagte aufgrund des neuen Haftbefehls seit dem 23.05.2013 befindet. Das Amtsgericht verwies das Verfahren mit Beschluss vom selben Tag gemäß § 270 Abs. 1 StPO an das Landgericht Stralsund. Der Verteidiger legte gegen die Haftentscheidung vom 23.05.2013 mit Schreiben vom 24.05.2013 Beschwerde ein. Das Amtsgericht hielt am 27.05.2013 die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich.
3.
- 5
Die Staatsanwaltschaft legte die Akten dem Landgericht Stralsund wegen des Verweisungsbeschlusses vor und kündigte die Erhebung einer Nachtragsanklage an. Sie hält die Fortdauer der Untersuchungshaft ebenfalls für erforderlich und eine Vorlage an den Senat für unerlässlich.
II.
- 6
Eine Entscheidung des Senates ist derzeit - auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Verteidigung im Schriftsatz vom 05.06.2013 - nicht veranlasst.
1.
- 7
Wenn man der Ansicht folgen würde, dass durch die Erweiterung eines Haftbefehls die Sechs-Monats-Frist des § 121 StPO nicht erneut in Lauf gesetzt wird (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.09.2010 - 1 Ws 202-204/10 -), würde die Frist am 28.05.2013 ablaufen.
2.
- 8
Diese Auffassung vermag jedoch nicht zu überzeugen.
- 9
a) Nach überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur fallen unter "dieselbe Tat" im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO alle Taten des Beschuldigten von dem Zeitpunkt an, in dem sie - im Sinne eines dringenden Tatverdachts - bekannt geworden sind und in den bestehenden Haftbefehl hätten aufgenommen werden können, wobei es nicht darauf ankommt, ob sie Gegenstand desselben Verfahrens oder getrennter Verfahren sind. Die Frist des § 121 Abs. 1 StPO beginnt danach nicht erneut zu laufen, wenn die Untersuchungshaft aufgrund eines neuen oder erweiterten Haftbefehls vollzogen wird, wenn dieser lediglich Tatvorwürfe enthält, die bereits bei Erlass des ersten Haftbefehls - im Sinne eines dringenden Tatverdachts - bekannt waren. Wird dagegen erst nach dem Erlass des ersten Haftbefehls eine neue Tat - im Sinne eines dringenden Tatverdachts - bekannt und ergeht deswegen ein neuer oder erweiterter Haftbefehl, so wird dadurch ohne Anrechnung der bisherigen Haftdauer eine neue Frist von sechs Monaten in Gang gesetzt. Fristbeginn ist in diesem Fall der Zeitpunkt, ab dem wegen des neuen Tatvorwurfs erstmals die Voraussetzungen für den Erlass oder die Erweiterung eines Haftbefehls vorgelegen haben (vgl. KK-Schultheis, StPO, § 121 Rz. 10 f. m.w.N.). Dies ist regelmäßig der Tag der neuen Haftbefehlsentscheidung, es sei denn, der neue Haftbefehl bzw. die Haftbefehlserweiterung ist verzögerlich ergangen. Diese Ansicht führt zu sachgerechten Ergebnissen, ohne den von § 121 Abs. 1 StPO eingeräumten Schutz des Beschuldigten in unzulässiger Weise einzuschränken (Beschluss des Senats vom 01.03.1999 - HEs 5/99 I 5/99 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.12.2003 - III - 3 Ws 460/03 -).
- 10
b) Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Frist des § 121 Abs. 1 StPO am 23.05.2013 neu begonnen hat. Der Haftbefehl wurde neu erlassen und erweitert, nachdem am selben Tag aufgrund der glaubhaften Bekundungen der Zeuginnen N. und R. sich dringender Tatverdacht hinsichtlich weiterer Taten ergeben hat. Zuvor waren nur Fälle einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs des Angeklagten mit der Zeugin N. ohne Beteiligung weiterer Personen oder sonstige erschwerende Umstände angeklagt und Gegenstand des (aufgehobenen) Haftbefehls. Erstmals aus der Vernehmung der Zeugin R. erlangten die Strafverfolgungsbehörden Kenntnis davon, dass es zwei weitere Fälle gegeben hat, bei denen der Angeklagte in einem Fall mit der Zeugin R. und der Zeugin N. den Geschlechtsverkehr vollzogen haben und in einem anderen Fall ein weiterer erwachsener Mann anwesend gewesen sein soll, der gemeinsam mit dem Angeklagten den Geschlechtsverkehr sowohl mit der Zeugin N. als auch mit der Zeugin R. vollzogen haben soll.
3.
- 11
Mit Ablauf des 22.11.2013 wird die Sache dem Senat, sofern bis dahin kein Urteil ergangen sein sollte, zur Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO vorzulegen sein.

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(1) Solange kein Urteil ergangen ist, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt, darf der Vollzug der Untersuchungshaft wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 ist der Haftbefehl nach Ablauf der sechs Monate aufzuheben, wenn nicht der Vollzug des Haftbefehls nach § 116 ausgesetzt wird oder das Oberlandesgericht die Fortdauer der Untersuchungshaft anordnet.
(3) Werden die Akten dem Oberlandesgericht vor Ablauf der in Absatz 2 bezeichneten Frist vorgelegt, so ruht der Fristenlauf bis zu dessen Entscheidung. Hat die Hauptverhandlung begonnen, bevor die Frist abgelaufen ist, so ruht der Fristenlauf auch bis zur Verkündung des Urteils. Wird die Hauptverhandlung ausgesetzt und werden die Akten unverzüglich nach der Aussetzung dem Oberlandesgericht vorgelegt, so ruht der Fristenlauf ebenfalls bis zu dessen Entscheidung.
(4) In den Sachen, in denen eine Strafkammer nach § 74a des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständig ist, entscheidet das nach § 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständige Oberlandesgericht. In den Sachen, in denen ein Oberlandesgericht nach den §§ 120 oder 120b des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständig ist, tritt an dessen Stelle der Bundesgerichtshof.
(1) In den Fällen des § 121 legt das zuständige Gericht die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor, wenn es die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich hält oder die Staatsanwaltschaft es beantragt.
(2) Vor der Entscheidung sind der Beschuldigte und der Verteidiger zu hören. Das Oberlandesgericht kann über die Fortdauer der Untersuchungshaft nach mündlicher Verhandlung entscheiden; geschieht dies, so gilt § 118a entsprechend.
(3) Ordnet das Oberlandesgericht die Fortdauer der Untersuchungshaft an, so gilt § 114 Abs. 2 Nr. 4 entsprechend. Für die weitere Haftprüfung (§ 117 Abs. 1) ist das Oberlandesgericht zuständig, bis ein Urteil ergeht, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt. Es kann die Haftprüfung dem Gericht, das nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständig ist, für die Zeit von jeweils höchstens drei Monaten übertragen. In den Fällen des § 118 Abs. 1 entscheidet das Oberlandesgericht über einen Antrag auf mündliche Verhandlung nach seinem Ermessen.
(4) Die Prüfung der Voraussetzungen nach § 121 Abs. 1 ist auch im weiteren Verfahren dem Oberlandesgericht vorbehalten. Die Prüfung muß jeweils spätestens nach drei Monaten wiederholt werden.
(5) Das Oberlandesgericht kann den Vollzug des Haftbefehls nach § 116 aussetzen.
(6) Sind in derselben Sache mehrere Beschuldigte in Untersuchungshaft, so kann das Oberlandesgericht über die Fortdauer der Untersuchungshaft auch solcher Beschuldigter entscheiden, für die es nach § 121 und den vorstehenden Vorschriften noch nicht zuständig wäre.
(7) Ist der Bundesgerichtshof zur Entscheidung zuständig, so tritt dieser an die Stelle des Oberlandesgerichts.
(1) Für Straftaten Erwachsener, durch die ein Kind oder ein Jugendlicher verletzt oder unmittelbar gefährdet wird, sowie für Verstöße Erwachsener gegen Vorschriften, die dem Jugendschutz oder der Jugenderziehung dienen, sind neben den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten auch die Jugendgerichte zuständig. Die §§ 24 und 25 gelten entsprechend.
(2) In Jugendschutzsachen soll die Staatsanwaltschaft Anklage bei den Jugendgerichten erheben, wenn damit die schutzwürdigen Interessen von Kindern oder Jugendlichen, die in dem Verfahren als Zeugen benötigt werden, besser gewahrt werden können. Im Übrigen soll die Staatsanwaltschaft Anklage bei den Jugendgerichten nur erheben, wenn aus sonstigen Gründen eine Verhandlung vor dem Jugendgericht zweckmäßig erscheint.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend für die Beantragung gerichtlicher Untersuchungshandlungen im Ermittlungsverfahren.
(1) Hält ein Gericht nach Beginn einer Hauptverhandlung die sachliche Zuständigkeit eines Gerichts höherer Ordnung für begründet, so verweist es die Sache durch Beschluß an das zuständige Gericht; § 209a Nr. 2 Buchstabe a gilt entsprechend. Ebenso ist zu verfahren, wenn das Gericht einen rechtzeitig geltend gemachten Einwand des Angeklagten nach § 6a für begründet hält.
(2) In dem Beschluß bezeichnet das Gericht den Angeklagten und die Tat gemäß § 200 Abs. 1 Satz 1.
(3) Der Beschluß hat die Wirkung eines das Hauptverfahren eröffnenden Beschlusses. Seine Anfechtbarkeit bestimmt sich nach § 210.
(4) Ist der Verweisungsbeschluß von einem Strafrichter oder einem Schöffengericht ergangen, so kann der Angeklagte innerhalb einer bei der Bekanntmachung des Beschlusses zu bestimmenden Frist die Vornahme einzelner Beweiserhebungen vor der Hauptverhandlung beantragen. Über den Antrag entscheidet der Vorsitzende des Gerichts, an das die Sache verwiesen worden ist.
(1) Solange kein Urteil ergangen ist, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt, darf der Vollzug der Untersuchungshaft wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 ist der Haftbefehl nach Ablauf der sechs Monate aufzuheben, wenn nicht der Vollzug des Haftbefehls nach § 116 ausgesetzt wird oder das Oberlandesgericht die Fortdauer der Untersuchungshaft anordnet.
(3) Werden die Akten dem Oberlandesgericht vor Ablauf der in Absatz 2 bezeichneten Frist vorgelegt, so ruht der Fristenlauf bis zu dessen Entscheidung. Hat die Hauptverhandlung begonnen, bevor die Frist abgelaufen ist, so ruht der Fristenlauf auch bis zur Verkündung des Urteils. Wird die Hauptverhandlung ausgesetzt und werden die Akten unverzüglich nach der Aussetzung dem Oberlandesgericht vorgelegt, so ruht der Fristenlauf ebenfalls bis zu dessen Entscheidung.
(4) In den Sachen, in denen eine Strafkammer nach § 74a des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständig ist, entscheidet das nach § 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständige Oberlandesgericht. In den Sachen, in denen ein Oberlandesgericht nach den §§ 120 oder 120b des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständig ist, tritt an dessen Stelle der Bundesgerichtshof.
(1) In den Fällen des § 121 legt das zuständige Gericht die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor, wenn es die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich hält oder die Staatsanwaltschaft es beantragt.
(2) Vor der Entscheidung sind der Beschuldigte und der Verteidiger zu hören. Das Oberlandesgericht kann über die Fortdauer der Untersuchungshaft nach mündlicher Verhandlung entscheiden; geschieht dies, so gilt § 118a entsprechend.
(3) Ordnet das Oberlandesgericht die Fortdauer der Untersuchungshaft an, so gilt § 114 Abs. 2 Nr. 4 entsprechend. Für die weitere Haftprüfung (§ 117 Abs. 1) ist das Oberlandesgericht zuständig, bis ein Urteil ergeht, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt. Es kann die Haftprüfung dem Gericht, das nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständig ist, für die Zeit von jeweils höchstens drei Monaten übertragen. In den Fällen des § 118 Abs. 1 entscheidet das Oberlandesgericht über einen Antrag auf mündliche Verhandlung nach seinem Ermessen.
(4) Die Prüfung der Voraussetzungen nach § 121 Abs. 1 ist auch im weiteren Verfahren dem Oberlandesgericht vorbehalten. Die Prüfung muß jeweils spätestens nach drei Monaten wiederholt werden.
(5) Das Oberlandesgericht kann den Vollzug des Haftbefehls nach § 116 aussetzen.
(6) Sind in derselben Sache mehrere Beschuldigte in Untersuchungshaft, so kann das Oberlandesgericht über die Fortdauer der Untersuchungshaft auch solcher Beschuldigter entscheiden, für die es nach § 121 und den vorstehenden Vorschriften noch nicht zuständig wäre.
(7) Ist der Bundesgerichtshof zur Entscheidung zuständig, so tritt dieser an die Stelle des Oberlandesgerichts.