Oberlandesgericht Naumburg Beschluss, 17. Juni 2013 - 1 Ws 335/13

Gericht
Tenor
Die Beschwerde des Erinnerungs- und Beschwerdeführers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Magdeburg vom 21. Mai 2013 wird als unbegründet verworfen.
Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
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Dem Verurteilten C. P. ist Rechtsanwalt W. mit Beschluss des Amtsgerichts Quedlinburg vom 12. März 2012 (2 Gs 13/12) als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. In diesem Verfahren hat die 5. große Strafkammer des Landgerichts Magdeburg mit Urteil vom 04. Oktober 2012 (25 KLs 346 Js 5795/12 (31/12)) gegen den Verurteilten C. P. eine Freiheitsstrafe von acht Jahren verhängt sowie seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Gegen dieses Urteil hat der Verteidiger Rechtsanwalt W. im Namen seines Mandanten durch Schriftsatz vom 4. Oktober 2012 Revision eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 16. November 2012 in Form der allgemeinen Sachrüge auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt. Mit Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 10. Januar 2013 ist die Verwerfung der Revision des Angeklagten durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 2 StPO beantragt worden. Bereits mit Schriftsatz vom 9. Januar 2013 hat der Verteidiger namens und in Vollmacht des C. P. die Revision noch vor Eingang der Akten bei dem Bundesgerichtshof zurückgenommen.
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Der Verteidiger Rechtsanwalt W. hat mit Schriftsatz vom 9. Januar 2013 die Erstattung von insgesamt 1254,50 € beantragt, wobei er sowohl die Verfahrensgebühr für Revisionsverfahren gemäß Nrn. 4131,4130 VV RVG sowie eine Verfahrensgebühr für Mitwirkung an der Rücknahme eines Rechtsmittels gemäß Nr. 4141 Anm. 1 Ziff. 3, 4130 VV RVG begehrt hat. Festgesetzt worden sind mit Beschluss vom 05. März 2013 die Verfahrensgebühr nach Nrn. 4131, 4130 VV RVG, Reisekosten sowie die Pauschale für Post und Telekommunikation nach Nr. 7002 VV RVG, woraus sich unter Zuschlag der gesetzlichen Umsatzsteuer ein Erstattungsbetrag in Höhe von insgesamt 764,22 € ergeben hat.
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Der dagegen gerichteten Erinnerung des Beschwerdeführers mit Schriftsatz vom 12. März 2013 hat die Rechtspflegerin nicht abgeholfen und die Sache der 5. großen Strafkammer zur Entscheidung vorgelegt.
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Mit Beschluss vom 21. Mai 2013 hat die 5. große Strafkammer des Landgerichts Magdeburg in der Besetzung mit drei Berufsrichtern die Erinnerung des Beschwerdeführers als unbegründet zurückgewiesen.
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Gegen den Beschluss hat der Beschwerdeführer mit am 29. Mai 2013 bei dem Landgericht Magdeburg eingegangenem Schriftsatz vom 27. Mai 2013 Beschwerde eingelegt.
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Die 5. große Strafkammer des Landgerichts Magdeburg hat der Beschwerde laut Verfügung vom 30. Mai 2013 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Naumburg zur Entscheidung vorgelegt.
II.
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Die Beschwerde, über die der Senat in der Besetzung mit 3 Richtern zu entscheiden hatte (§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 1 2. Halbsatz RVG), ist zulässig (§ 56 Abs. 2 S. 1 RVG i. V. m. § 33 Abs. 3 RVG), hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
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Die zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VVRVG steht dem Beschwerdeführer nicht zu.
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Diese Gebühr ist verdient, wenn durch die anwaltliche Mitwirkung die Hauptverhandlung entbehrlich wird. Sie entsteht nach Nr. 4141 Anm. 1 Ziff. 3 VV RVG, wenn unter anderem wie hier sich das gerichtliche Verfahren durch Rücknahme der Revision des Angeklagten erledigt. Dies gilt im Falle eines bereits bestimmten Termins zur Hauptverhandlung nur dann, wenn sie früher als 2 Wochen vor Beginn des für die Hauptverhandlung vorgesehenen Tages zurückgenommen wird. Nach 4141 II VV RVG entsteht die Gebühr nicht, wenn eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit nicht ersichtlich ist.
- 10
Die Frage, welches Verfahrensstadium das Revisionsverfahren erreicht haben muss sowie ob und ggf. welche weiteren konkrete Anhaltspunkte für die Mitwirkung des Verteidigers ersichtlich sein müssen, damit die Gebühr, die keine „bloße Rücknahmegebühr“ darstellt (vgl. Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG, 20. Aufl., Nr. 4141 VV RVG, Rn. 34), verdient ist, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet.
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So lässt etwa der 3. Senat des OLG Düsseldorf (RVG Report 2006,67 f.) es für die Entstehung der Gebühr ausreichen, dass die Revision unabhängig vom Stand des Revisionsverfahrens und der Frage ihrer Begründung zurückgenommen wird und der Verteidiger vorträgt, er habe dies seinem Mandanten empfohlen.
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Eine andere Auffassung in der Rechtsprechung geht davon aus, dass die VV 4141 Anm. 1 Ziff. 3 im Revisionsverfahren nicht entsteht, wenn die Revision nicht zumindest, also wenigstens mit der allgemeinen Sachrüge begründet worden war (vgl. KG NStZ 2006,239 f.).
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Die wohl überwiegende Auffassung der Oberlandesgerichte geht davon aus, dass die zusätzliche Gebühr nur entstehen kann, wenn nicht nur eine zulässig eingelegte – also auch begründete – Revision zurückgenommen wurde, sondern darüber hinaus auch konkrete Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass im Falle der Fortführung des Revisionsverfahrens eine Hauptverhandlung durchgeführt worden wäre, wobei sich derartige Umstände aus einem entsprechenden Antrag in der Zuschrift des Generalstaatsanwalts oder daraus ergeben können, dass ein Hauptverhandlungstermin anberaumt worden ist, das Verfahren also jedenfalls beim Revisionsgericht anhängig geworden ist (vergleiche OLG Düsseldorf, 2. Strafsenat, JurBüro 2008, 85 sowie die weiteren Nachweise bei Burhoff in Gerold/Schmidt, a. a. O., Fn. 101).
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Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung und der hierfür mit Beschluss des OLG Düsseldorf, 2. Strafsenat, a. a. O., dargelegten Begründung an:
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Die im Anschluss an die gebührenrechtlich neutrale Einlegung der Revision vorzunehmende prüfende und beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts wird bereits durch die Gebühr Nrn. 4130/4131 VV RVG abgedeckt. Diese umfasst die Prüfung und Beratung, ob und mit welchem Inhalt die Revision durchgeführt werden soll. Das Ergebnis dieser Beratung kann sein, die Revision weitergehend zu begründen oder aber auch sie mangels Erfolgsaussicht zurückzunehmen. Vor diesem Hintergrund hält der Senat dafür, dass jedenfalls allein die theoretische Möglichkeit der Durchführung einer Revisionshauptverhandlung durch Einlegung der Revision und gegebenenfalls ihre Begründung den Anfall der geltend gemachten Zusatzgebühr nicht zu rechtfertigen vermag. Sofern sich aus der Stellungnahme des Generalstaatsanwalts indes neue rechtliche Gesichtspunkte ergeben, die den Verteidiger zum Überdenken seines bis dahin vertretenen Standpunkts zwingen und so eine weitere Prüfung und gegebenenfalls Beratung erfordern, die mit der Gebühr nach Nrn. 4130/4131 VV RVG nicht bereits abgegolten ist und im Ergebnis zur Revisionsrücknahme führt, ist die – weitere – anwaltliche Mitwirkung, welche eine Hauptverhandlung im Sinne der Gebührenvorschrift entbehrlich macht, und damit das Entstehen dieser – zusätzlichen – Gebühr zu bejahen.
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Hier hat der Beschwerdeführer die mit der allgemeinen Sachrüge begründete Revision nach gebührenrechtlich bereits abgegoltener Überprüfung der schriftlichen Urteilsgründe und ohne Kenntnis der – im Übrigen keine neuen rechtlichen Gesichtspunkte aufzeigenden - Ausführungen des Generalbundesanwalts mit Schriftsatz vom 9. Januar 2013 zurückgenommen. Anhaltspunkte für eine weitere anwaltliche Mitwirkung im oben dargelegten Sinne sind nicht ersichtlich geworden. Die beanspruchte Zusatzgebühr nach Nr. 4141 VV RVG war damit nicht verdient.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 S. 2 RVG.

Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Über Erinnerungen des Rechtsanwalts und der Staatskasse gegen die Festsetzung nach § 55 entscheidet das Gericht des Rechtszugs, bei dem die Festsetzung erfolgt ist, durch Beschluss. Im Fall des § 55 Absatz 3 entscheidet die Strafkammer des Landgerichts. Im Fall der Beratungshilfe entscheidet das nach § 4 Absatz 1 des Beratungshilfegesetzes zuständige Gericht.
(2) Im Verfahren über die Erinnerung gilt § 33 Absatz 4 Satz 1, Absatz 7 und 8 und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Entscheidung über die Erinnerung § 33 Absatz 3 bis 8 entsprechend. Das Verfahren über die Erinnerung und über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
(1) Berechnen sich die Gebühren in einem gerichtlichen Verfahren nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert oder fehlt es an einem solchen Wert, setzt das Gericht des Rechtszugs den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf Antrag durch Beschluss selbstständig fest.
(2) Der Antrag ist erst zulässig, wenn die Vergütung fällig ist. Antragsberechtigt sind der Rechtsanwalt, der Auftraggeber, ein erstattungspflichtiger Gegner und in den Fällen des § 45 die Staatskasse.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 1 können die Antragsberechtigten Beschwerde einlegen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt. Die Beschwerde ist auch zulässig, wenn sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zulässt. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung eingelegt wird.
(4) Soweit das Gericht die Beschwerde für zulässig und begründet hält, hat es ihr abzuhelfen; im Übrigen ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Beschwerdegericht ist das nächsthöhere Gericht, in Zivilsachen der in § 119 Absatz 1 Nummer 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes bezeichneten Art jedoch das Oberlandesgericht. Eine Beschwerde an einen obersten Gerichtshof des Bundes findet nicht statt. Das Beschwerdegericht ist an die Zulassung der Beschwerde gebunden; die Nichtzulassung ist unanfechtbar.
(5) War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden. Gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung findet die Beschwerde statt. Sie ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von zwei Wochen eingelegt wird. Die Frist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung. Absatz 4 Satz 1 bis 3 gilt entsprechend.
(6) Die weitere Beschwerde ist nur zulässig, wenn das Landgericht als Beschwerdegericht entschieden und sie wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zugelassen hat. Sie kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht; die §§ 546 und 547 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Über die weitere Beschwerde entscheidet das Oberlandesgericht. Absatz 3 Satz 3, Absatz 4 Satz 1 und 4 und Absatz 5 gelten entsprechend.
(7) Anträge und Erklärungen können ohne Mitwirkung eines Bevollmächtigten schriftlich eingereicht oder zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Für die Bevollmächtigung gelten die Regelungen der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensordnung entsprechend. Die Beschwerde ist bei dem Gericht einzulegen, dessen Entscheidung angefochten wird.
(8) Das Gericht entscheidet über den Antrag durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter; dies gilt auch für die Beschwerde, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde. Der Einzelrichter überträgt das Verfahren der Kammer oder dem Senat, wenn die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Das Gericht entscheidet jedoch immer ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter. Auf eine erfolgte oder unterlassene Übertragung kann ein Rechtsmittel nicht gestützt werden.
(9) Das Verfahren über den Antrag ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet; dies gilt auch im Verfahren über die Beschwerde.
(1) Über Erinnerungen des Rechtsanwalts und der Staatskasse gegen die Festsetzung nach § 55 entscheidet das Gericht des Rechtszugs, bei dem die Festsetzung erfolgt ist, durch Beschluss. Im Fall des § 55 Absatz 3 entscheidet die Strafkammer des Landgerichts. Im Fall der Beratungshilfe entscheidet das nach § 4 Absatz 1 des Beratungshilfegesetzes zuständige Gericht.
(2) Im Verfahren über die Erinnerung gilt § 33 Absatz 4 Satz 1, Absatz 7 und 8 und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Entscheidung über die Erinnerung § 33 Absatz 3 bis 8 entsprechend. Das Verfahren über die Erinnerung und über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.