Oberlandesgericht Naumburg Beschluss, 27. Feb. 2013 - 1 U 145/12

Gericht
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 6.11.2012 verkündete Urteil des Landgerichts Halle (6 O 1697/11) wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf die Gebührenstufe bis 16.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
- 1
Die Klägerin erlitt am 12.11.2007 einen Wegeunfall, bei dem sie mit dem rechten Fußgelenk umknickte. In der Notaufnahme im Uniklinikum H. wurden Röntgen- und Belastungsaufnahmen gefertigt, deren Auswertung ohne Befund blieb. Der diensttuende Arzt verwies auf den Hausarzt. Am 20.11.2007 begab sich die Klägerin in die Behandlung des Beklagten zu 1). Dieser veranlasste das Anlegen eines Zinkleimverbandes, die Kühlung und Hochlagerung des Fußes und stellte die Arbeitsunfähigkeit fest. Am Folgetermin wurde zur Thromboseprophylaxe Heparin gespritzt. In weiteren Behandlungsterminen wurde der Zinkleimverband gewechselt. Da die Schmerzen anhielten, wurde eine erneute Röntgenuntersuchung durchgeführt, die ohne Befund blieb. Der letzte Behandlungstermin war am 20.12.2007, in dem der Beklagte zu 1) die Arbeitsfähigkeit der Klägerin feststellte. Am 9.1.2008 wurde eine MRT Untersuchung im Uniklinikum H. durchgeführt (dazu: Schreiben von Dr. B. vom 10.1.2008; Anlagenband [AB]). Am 25.2.2008 erfolgte eine Arthroskopie am rechten Sprunggelenk im Uniklinikum L. (dazu OP-Bericht vom 25.2.2008; Zwischenbericht des Uniklinikums L. vom 26.2.2008 an die Unfallkasse S. [jeweils AB]). Vom 14.3.2008 bis 27.3.2008 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung in der Klink für Innere Medizin II des Krankenhauses M. in H. . Im vorläufigen Entlassungsbericht vom 27.3.2008 (AB) heißt es u.a.:
- 2
Die stationäre Aufnahme der Patientin erfolgte zunächst unter dem dringenden Verdacht einer Lungenembolie bei Z.n. Arthroskopie des rechten Sprunggelenks, ambulanter Immobilität und progredienter Dyspnoe. Bei Aufnahme berichtet die Patientin über progrediente Belastungsdyspnoe. Seit der Entlassung aus der stationären Behandlung in L. sei diese aufgetreten. Am Entlassungstag seien bereits hochfebrile Temperaturen bis 40° C aufgetreten, verbunden mit Husten, seitdem sei sie kaum belastbar. …
- 3
In der Folgezeit wurde eine Vielzahl weiterer Untersuchungen durchgeführt. Verwiesen sei auf die Schreiben von Dr. H. vom 8.4.2008 und Dr. Hn. vom 14.7.2009 (jeweils AB).
- 4
Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagten die Existenz einer Unterschenkelvenenthrombose rechts verkannt hätten, die schließlich zu einer Lungenembolie geführt habe. Die Embolie sei zu verhindern gewesen, wenn bereits am 20.11.2007 und nicht erst am 26.11.2007 Heparin gespritzt worden wäre.
- 5
Die Klägerin verlangt ein Schmerzensgeld von 10.000,-- Euro, weiteren Schadensersatz in Höhe von 173,18 Euro, die Feststellung der Einstandspflicht für zukünftige Schäden sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten.
- 6
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung, mit der sie ihre erstinstanzlichen Klageanträge weiterverfolgt. Sie ist der Ansicht, dass das Landgericht ihren Vortrag nicht habe als unsubstanziiert beurteilen dürfen. Es hätte vielmehr ein Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen.
- 7
Der Senat hat der Klägerin einen rechtlichen Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 ZPO erteilt, zu dem sie mit Schriftsatz vom 18.2.2013 Stellung genommen hat.
II.
- 8
Die zulässige Berufung ist durch Beschluss zurückzuweisen, weil das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat und die übrigen Voraussetzungen von § 522 Abs. 2 ZPO vorliegen. Es wird Bezug genommen auf die im Ergebnis zutreffenden Gründe in der angefochtenen Entscheidung, sowie auf den Inhalt des rechtlichen Hinweises vom 31.1.2012 (Bl. 79 ff. II). Der Inhalt des Schriftsatzes vom 18.2.2013 rechtfertigt keine abweichende Bewertung.
- 9
Der Berufung ist zuzugeben, dass an die Substanziierungspflicht bei Arzthaftungsprozessen nur maßvolle und verständige Anforderungen gestellt werden dürfen. Es genügt, wenn der Patient bzw. dessen Prozessbevollmächtigter den Ablauf der Behandlung in groben Zügen darstellt und angibt, dass sie misslungen ist, worin das Misslingen besteht, und die Verdachtsgründe mitteilt, die eine vorwerfbare Fehlbehandlung wenigstens plausibel erscheinen lassen (Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 3. Aufl., Rn. S 600 ff.; [S 603]; m.w.N.). Nicht ausreichend ist es allerdings, wenn ausschließlich Spekulationen angestellt werden. Ausgangspunkt der Argumentation der Klägerin ist letztlich, dass bei den Beklagten in der Zeit vom 20.11.2007 bis zum Behandlungsende am 20.12.2007 eine Unterschenkelvenenthrombose verkannt worden sei, aus der sich eine Lungenembolie entwickelt habe. Für die Existenz einer Unterschenkelvenenthrombose in der Behandlungszeit bei den Beklagten gibt es nicht den geringsten Anknüpfungspunkt. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass sich die Klägerin nach dem 20.12.2007 in die Behandlung einer Vielzahl von Ärzten begeben hat. Einschneidend – auch und gerade für einen Kausalverlauf – ist die arthroskopische Revision des rechten Sprunggelenks im Uniklinikum L. . Weder im Operationsbericht noch im Zwischenbericht an die Unfallkasse S., wird die Möglichkeit einer solchen Thrombose oder bereits einer Lungenembolie auch nur ansatzweise angedeutet. Bei ihrer stationären Aufnahme im Krankenhaus M. stellt die Klägerin selbst (wie unter I zitiert) allenfalls einen Zusammenhang zwischen ihren Beschwerden und dem stationären Aufenthalt im Uniklinikum L. her. Die bei ihrer Aufnahme gestellte Verdachtsdiagnose einer Lungenembolie hat sich zudem im weiteren Verlauf der Untersuchungen im Krankenhaus M. nicht einmal bestätigt. Die weiteren Untersuchungen konnten keinen Nachweis dafür erbringen, dass in der Zeit des stationären Aufenthalts zwischen dem 14.3.2008 und dem 27.3.2008 bei der Klägerin eine Lungenembolie bestand, obgleich gezielt nach entsprechender Verdachtsdiagnose dahingehende Untersuchungen angestellt wurden. Nach dem vorläufigen Entlassungsbericht vom 27.3.2008 war nicht eine Lungenembolie Grund für die Beschwerden der Klägerin, sondern eine Broncholitis obliterans mit organisierender Pneumonie. Soweit die Klägerin noch auf den Bericht von Dr. Hn. vom 14.7.2009 verweist, ist dazu anzumerken, dass die Entstehung der dort genannten Embolie nicht einmal ansatzweise zeitlich eingeordnet wird, sich insbesondere daraus keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass ihre Entstehung den Beklagten zugeordnet werden könnte. Aus dem Bericht von Dr. Hi. vom 21.8.2009 lässt sich allenfalls auf einen Zusammenhang zwischen einer Embolie und dem stationären Aufenthalt in L. schließen (um es zu wiederholen: Bei den zeitlich nach dem Aufenthalt in L. liegenden Aufenthalt im Krankenhaus M. konnte gerade keine Embolie diagnostiziert werden). Soweit im vorläufigen Entlassungsbericht des Krankenhauses M. der Verdacht geäußert wird, dass die Pneumonie im Zusammenhang mit dem stationären Aufenthalt im Uniklinikum L. stehen könnte, könnten die Beklagten als sog. Erstbehandlung allenfalls dann haften, wenn bei ihnen ein Fehler vorliegen würde, der sich im weiteren Behandlungsgeschehen fortgesetzt hätte. Nach den vorstehenden Ausführungen gibt es aber überhaupt keinen Anknüpfungspunkt dafür, der auf das Vorliegen einer Thrombose (als Grundursache einer Embolie) im Behandlungszeitraum durch die Beklagten auch nur vage hindeuten würde. Gibt es einen solchen Anknüpfungspunkt nicht, können auch keinerlei Aussagen darüber getroffen werden, ob eine Heparinbehandlung bereits am 20.11.2007 irgendeine positive Folge gehabt hätte. Die Frage würde sich ja überhaupt nur dann stellen, wenn es Anhaltpunkte für eine Thrombose im Behandlungszeitraum durch die Beklagten gäbe. Solche Anhaltspunkte liegen aber gerade nicht vor.
- 10
Wie im rechtlichen Hinweis vom 31.1.2013 bereits ausgeführt, besteht der Vortrag der Klägerin in Bezug auf einen Haftungstatbestand der Beklagten in reiner Spekulation. Dies aber genügt selbst den geringen Anforderungen an die Darlegungslast des Klägers in einem Arzthaftungsprozess nicht. Die Berufung ist daher zurückzuweisen, da auch die übrigen Voraussetzungen von § 522 Abs. 2 ZPO vorliegen.
- 11
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Annotations
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)