Oberlandesgericht München Endurteil, 04. Dez. 2015 - 25 U 1732/15

bei uns veröffentlicht am04.12.2015

Gründe

Oberlandesgericht München

25 U 1732/15

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am 04.12.2015

12 O 22252/13 LG München I

gez. O., JAng Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

...

- Kläger und Berufungsbeklagter -

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte L. und Kollegen, L1-straße ..., M., Gz.: ...

gegen

...krankenkasse AG,

vertreten durch den Vorstand Dr. H. B., W-straße ..., M., Gz.: ...

- Beklagte und Berufungsklägerin -

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte H1 N., B1 Straße ..., M., Gz.: ...

wegen Forderung

erlässt das Oberlandesgericht München - 25. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Bischoff, die Richterin am Oberlandesgericht Kornprobst und den Richter am Oberlandesgericht Gäbhard aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17.11.2015 folgendes

Endurteil

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 09.04.2015 und das Ergänzungsurteil vom 02.07.2015, Az. 12 O 22252/13, wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des je aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des je zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.407,46 € festgesetzt.

Gründe:

i.

Der Kläger ist an multipler Sklerose erkrankt; er will im Hauptantrag festgestellt wissen, dass die Beklagte trotz fristloser Kündigung wegen einer Leistungserschleichung in anderen Versicherungsfällen (Krankengymnastikfälle) verpflichtet ist, ihm im tarifgemäßen Umfang (30%) Kosten für einen Rollstuhl mit Aufstehhilfe zu erstatten. Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Bezug genommen (Bl. 74/76 dA).

Das Landgericht hat mit Endurteil vom 09.04.2015 festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger nach Maßgabe der Versicherungsbedingungen des Tarifs BTB 30 die Kosten für den Rollstuhl samt Zubehör gemäß Kostenvoranschlag der R. M.GbR vom 09.04.2013 zu gewähren und mit dem Ergänzungsurteil vom 02.07.2015 die Beklagte verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten und Zinsen hieraus zu bezahlen. Nach Auffassung des Landgerichts ist der Rollstuhl medizinisch notwendig - insoweit folgt das Landgericht den Ausführungen des gerichtlich beauftragten Sachverständigen. Es läge trotz fristloser Kündigung auch kein schwebender Versicherungsfall vor, so dass die Beklagte nicht leistungsfrei sei. Treu und Glauben stünde einer Geltendmachung des Anspruchs nicht entgegen. Der Kläger habe auch Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten und Zinsen hieraus. Auf die Entscheidungsgründe des Endurteils und des Ergänzungsurteils des Landgerichts wird Bezug genommen (BI.76/82, 98/99 dA).

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten. In der Berufungsinstanz bezweifelt die Beklagte die medizinische Notwendigkeit nicht mehr. Sie ist allerdings der Auffassung es läge ein schwebender Versicherungsfall vor, so dass sie nach § 7 AVB/BT, den sie für wirksam hält, leistungsfrei sei, weil sie vor Leistungserbringung fristlos gekündigt habe. Zudem könne sie den Arglisteinwand erheben - auch deshalb müsse sie nicht leisten. Der Kläger - der selbst nicht handlungsfähig sei - müsse sich die Leistungserschleichung seiner Ehefrau, der er im Jahr 2000 umfassend Vollmacht erteilt habe, zurechnen lassen. Auf die Berufungsbegründung vom 22.07.2015 (Bl. 118/124 d. A.) und den Schriftsatz vom 20.10.2015 (Bl. 140/142 d. A.) wird Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt im Berufungsverfahren:

1. Das Endurteil des Landgerichts München I vom 09.04.2015, Gz. 12 O 22252/13 sowie das zum gleichen Geschäftszeichen ergangene Ergänzungsurteil vom 02.07.2015 werden aufgehoben.

2. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das landgerichtliche Urteil. Er hält darüber hinaus § 7 AVB/BT für unwirksam. Auf die Berufungserwiderung vom 11.08.2015 (Bl. 134/136 d. A.) wird verwiesen.

II. Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger hat Anspruch gegen die Beklagte aus dem Krankenversicherungsvertrag in Verbindung mit §§ 192 Abs. 1, 1 WG darauf, dass die Beklagte ihm im tarifgemäßen Umfang (30%) die Kosten für den am 23.01.2013 ärztlich verordneten Rollstuhl samt Zubehör gemäß Kostenvoranschlag der R. M. GbR vom 09.04.2013 erstattet.

1. Der Kläger war im Jahr 2013 bis 21.06.2013 und auch schon zuvor bei der Beklagten krankenversichert.

2. Der verordnete Rollstuhl ist medizinisch notwendig, da er eine Aufstehhilfe und eine Dekubitus-vorsorge hat, worauf der Kläger aufgrund seiner Einschränkungen angewiesen ist. Das Landgericht hat sich bei dieser Beurteilung zu Recht den Ausführungen des gerichtlich bestellten Gutachters angeschlossen. Das wird von der Beklagten mit der Berufung nicht angegriffen.

3. Die Beklagte ist nicht leistungsfrei, weder wegen § 7 AVB/BT 2009 noch nach § 242 BGB; auch kann die Beklagte dem Anspruch des Klägers nicht einredeweise einen Arglisteinwand nach § 242 BGB entgegenhalten.

3.1. Nach § 7 der vorliegend vereinbarten AVB/BT 2009 endet der Versicherungsschutz - auch für schwebende Versicherungsfälle - mit der Beendigung des Versicherungsverhältnisses.

Vorliegend kann es dahinstehen, ob diese Allgemeine Versicherungsbedingung ausreichend transparent und wirksam ist (vgl. zum Meinungsstand betreffend § 7 MB/KK, der § 7 AVB/BT 2009 entspricht: Hütt in Bach/Moser Private Krankenversicherung, 4. Auflage 2009, § 7 MB/KK Rn.4; Voit in Prölls/Martin VVG, 29. Auflage 2015, § 7 MB/KK Rn. 2 ; Buchholz - Duffner in r+s 2005, 93), da es sich nicht um einen schwebenden Versicherungsfall handelt.

Zutreffend stellt das Landgericht darauf ab, dass die ärztliche Verordnung den Versicherungsfall darstellt, und dass mit dieser Verordnung der Versicherungsfall beendet ist. Nach § 1 Abs. 2 AVB/BT 2009 ist der Versicherungsfall die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung; er endet, wenn nach medizinischem Befund Behandlungsbedürftigkeit nicht mehr besteht. Der Versicherungsfall endet auch dann, wenn eine Besserung des Zustands des Versicherungsnehmers nicht zu erwarten ist, sofern nicht eine weitere ärztliche Behandlung medizinisch notwendig ist (Voit in Prölls/Martin VVG 29. Auflage 2015 MB/KK 2009 § 1 Rn. 16).

Mit der Verordnung ist die ärztliche Behandlung beendet und nur noch technisch praktisch umzusetzen. Entscheidend ist, dass die ärztlicherseits zu erbringende Heilbehandlung in Hinblick auf das Hilfsmittel Rollstuhl durch die Untersuchung und Verordnung abgeschlossen und ärztlicherseits nichts mehr veranlasst ist. Eine weitere medizinische Behandlung ist nicht mehr notwendig, eine Besserung des Zustandes des Versicherungsnehmers nicht zu erwarten. Für diese Auslegung spricht auch, dass andernfalls bei Hilfsmittelverordnungen, wie bei Brillen oder Rollstühlen, ein Ende des Versicherungsfalles in vielen Fällen nicht oder sehr spät eintreten würde, etwa wenn man darauf abstellen würde, dass der Versicherungsfall erst endet, wenn der Versicherte - beispielsweise durch eine Operation oder den Tod - auf das Hilfsmittel nicht mehr angewiesen ist.

Auf die Bezahlung der Rechnung kann es genauso wenig ankommen wie auf die Auslieferung, die Inbesitznahme, den ersten Gebrauch oder weitere Benutzungen. Die Bestellung bzw. der Erwerb des Hilfsmittels auf Grundlage der ärztlichen Verordnung stellt sich insoweit nur als technischer Vollzug ohne eigentlichen Heilbehandlungscharakter dar. Es handelt sich um von der ärztlichen Behandlung abgekoppelte von Umständen abhängige Zeitpunkte, die oftmals keinen Zusammenhang zur ärztlichen Behandlung aufweisen, etwa bei Verzögerungen durch Lieferschwierigkeiten, oder auch bei Zahlungsschwierigkeiten. Eine (weitere) ärztliche Behandlung ist in solchen Fällen nicht mehr notwendig und wird regelmäßig auch nicht mehr durchgeführt. Soweit die Beklagte auf den Charakter der Versicherung als Passivversicherung abstellt, ist dies kein maßgeblicher Gesichtspunkt. Richtig ist, dass die Aufwendungen erst im Nachhinein zu ersetzen sind. Dieser Umstand steht aber in keinem Zusammenhang mit der Definition der Dauer und des Endes des Versicherungsfalles als solchem, sondern betrifft nur die Voraussetzungen und die Fälligkeit des Zahlungsanspruchs.

3.2. Die Beklagte kann sich nicht neben der fristlosen Kündigung wegen der Leistungserschleichung und neben einer Leistungsverweigerung aufgrund von Obliegenheitspflichtverletzungen bezüglich der konkreten erschlichenen Leistungen auf ein allgemeines Leistungsverweigerungsrecht für nicht unmittelbar von der Leistungserschleichung betroffene Versicherungsfälle - hier der geltend gemachte Anspruch auf einen Rollstuhl - berufen.

Zwar hat jedermann hat in Ausübung seiner Rechte und Erfüllung seiner Pflichten nach dem Grundsatz von Treu und Glauben zu handeln. Dieser das gesamte Rechtsleben beherrschende Grundsatz ist aus § 242 BGB abzuleiten (vgl. Palandt-Grüneberg BGB 75. Auflage, § 242 Rn. 1; BGH, Urteil vom 23.09.1982 - Az.VII ZR 183/80). Die Verwirkung ist ein Unterfall der wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben unzulässigen Rechtsausübung. Die Voraussetzungen einer Verwirkung sind vorliegend jedoch nicht gegeben. Die Beklagte ist weder leistungsfrei noch kann sie ihrer Leistungsverpflichtung die Einrede der Verwirkung entgegensetzen; zwar hat die Ehefrau des Klägers verfälschte Rechnungen bei der Beklagten eingereicht - somit wurden Erstattungen erschlichen -; diese stehen allerdings nicht im Zusammenhang mit dem hier streitgegenständlichen Rollstuhl.

Zunächst wird insoweit auf die sorgfältige in jeder Hinsicht überzeugende Begründung des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen. Ergänzend ist auszuführen: Der Gesetzgeber räumt der Krankenversicherung im Rahmen der Daseinsfürsorge in Hinblick auf die existentielle Bedeutung einen hohen Rang ein und schließt ein Kündigungsrecht durch den Versicherer aus (§ 206 Abs. 1 Satz 1 VVG). Ausnahmsweise lässt der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 07.12.2011, Az.: IV ZR 50/11; Urteil vom 7. 12. 2011 - IV ZR 105/11) ein solches für Fälle schwerer Vertragsverletzungen wie z. B. Leistungserschleichung nach § 314 Abs. 1 BGB zu. Neben diesem vom Bundesgerichtshof zugebilligten Kündigungsrecht steht dem Krankenversicherer frei, für Obliegenheitspflichtverletzungen - wie Leistungserschleichungen - eine Leistungsfreiheit für Versicherungsfälle zu vereinbaren, die mit der jeweiligen Obliegenheitspflichtverletzung in Zusammenhang stehen. Daneben gibt es ein allgemeines Leistungsverweigerungsrecht - wenn überhaupt - nur in sehr eng begrenzten Ausnahmefällen, da dem Vertrauensbruch durch die Möglichkeit der fristlosen Kündigung Rechnung getragen wird, so dass der Vertrauensverlust zu einer Beendigung des Vertragsverhältnisses für die Zukunft führt, aber grundsätzlich keine Rückwirkung hat, abgesehen von einem Leistungsverweigerungsrecht aufgrund einer Obliegenheitspflichtverletzung in Hinblick auf einen konkreten Versicherungsfall. Einer weitergehenden zivilrechtlichen Sanktion dergestalt, dass der Versicherer berechtigte Leistungsansprüche nicht regulieren müsste, bedarf es grundsätzlich nicht.

Dafür sprechen auch folgende Erwägungen: Abgesehen davon, dass vorliegend nicht der Kläger selbst gehandelt hat, ist es der Rechtsordnung fremd, Personen, die Straftaten oder erhebliche Pflichtverletzungen zum Nachteil ihres Vertragspartners begangen haben, zivilrechtlich auch im jeweiligen Vertragsverhältnis weitgehend rechtlos zu stellen. Lediglich wenn ein unmittelbarer Zusammenhang besteht (hier: bei den Krankengymnastikleistungen) mag eine Verwirkung in Betracht kommen. Dauerschuldverhältnisse (wie z. B. Versicherungsverhältnisse, Arbeitsverhältnisse oder Mietverhältnisse) können zwar in Fällen schwerwiegender erheblicher Pflichtverletzung außerordentlich gekündigt werden; allerdings führt das nicht zu einem Wegfall jeglicher Leistungsverpflichtung des Geschädigten, so dass beispielsweise auch der bestohlene Arbeitgeber in der Regel rückständigen Lohn bezahlen muss, oder der betrogene Mieter rückständige Miete. Damit können weitergehende als ausdrücklich im Gesetz angeordnete Sanktionen, die den Gläubiger begünstigen, nach Treu und Glauben wegen Verwirkung nur in absoluten Ausnahmefällen in Betracht kommen.

Ein solcher besonderer Ausnahmefall liegt hier bezüglich des - nicht mit der Leistungserschleichung der Leistungen für die Krankengymnastik zusammenhängenden - medizinisch notwendigen Rollstuhls unter Abwägung aller Umstände nicht vor. Richtig wendet das Landgericht insoweit § 242 BGB deshalb auch nur leistungsfallbezogen und nicht allgemein an. Das Verhalten des Klägers oder auch seiner Ehefrau gegenüber der Vorversicherung ist vorliegend nicht relevant. Grundsätzlich spielt ein Fehlverhalten im Rahmen eines anderen Versicherungsvertrages keine Rolle, noch weniger ein Fehlverhalten einer anderen Versicherungsgesellschaft gegenüber. Tatsachen, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, trägt die Beklagte nicht vor. Der Umstand der Kündigung der Vorversicherung wegen Leistungserschleichung führt daher nicht zu einer anderen Bewertung. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Krankenversicherung gerade für den schwer kranken Kläger von elementarer Bedeutung ist. Vorliegend hat nicht der Kläger, sondern seine Ehefrau die verfälschten Rechnungen bei der Beklagten eingereicht. Auch dieser Umstand ist bei der Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Der durch die Leistungserschleichung angerichtete Schaden (ca. 1.000,00 €) ist ausgeglichen. Die Täuschung erfolgte nicht zur persönlichen Bereicherung, sondern um die krankengymnastischen Behandlungen (mit Pferd) für den an multipler Sklerose erkrankten Kläger durchführen zu lassen, die ohne Pferd ersatzfähig wären.

Das vom Landgericht erzielte Ergebnis ist - entgegen der Auffassung der Beklagten - auch nicht unangemessen oder gar unerträglich. Überlegungen der Beklagten zu einem fiktiven früherem Kündigungszeitpunkt können im Rahmen der Abwägung keine Rolle spielen. Abzustellen ist auf die tatsächlichen Gegebenheiten. Es ist nicht erkennbar, dass die Beklagte unbillig belastet wird dadurch, dass sie den vorliegenden Versicherungsfall zu regulieren hat.

Der Anspruch auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und die Zinsen folgt aus §§ 288, 291, 280 Abs. 2 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf§§ 708 Nr. 10,711 ZPO.

Die Revision war nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO beschränkt auf die Frage, ob vorliegend von einem schwebenden Versicherungsfall auszugehen ist, zuzulassen. Die Rechtssache hat insoweit grundsätzliche Bedeutung, da eine klärungsbedürftige Frage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist und die deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Handhabung der Regelung berührt. Klärungsbedürftig erscheint die Rechtsfrage, wann bei Hilfsmittelverordnungen der Versicherungsfall endet.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 48 (i. V. m. § 3 ff ZPO) GKG.

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 543 Zulassungsrevision


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Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 242 Leistung nach Treu und Glauben


Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

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(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. (2) Schadensersatz weg

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 288 Verzugszinsen und sonstiger Verzugsschaden


#BJNR001950896BJNE028103377 (1) Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. (2) Bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, betr

Zivilprozessordnung - ZPO | § 3 Wertfestsetzung nach freiem Ermessen


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Gesetz über den Versicherungsvertrag


Versicherungsvertragsgesetz - VVG

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 291 Prozesszinsen


Eine Geldschuld hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 Satz 2, Ab

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 314 Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund


(1) Dauerschuldverhältnisse kann jeder Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung

Versicherungsvertragsgesetz - VVG 2008 | § 206 Kündigung des Versicherers


(1) Jede Kündigung einer Krankheitskostenversicherung, die eine Pflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 erfüllt, ist durch den Versicherer ausgeschlossen. Darüber hinaus ist die ordentliche Kündigung einer Krankheitskosten-, Krankentagegeld- und einer Pfleg

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Az.: 12 O 22252/13

IM NAMEN DES VOLKES

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gez. E., JSekr’in Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

...

- Kläger

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte L. und Kollegen, L1-straße ..., M., Gz.: ...

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...krankenkasse AG,

vertreten durch d. Vorstand Dr. H. B., W-straße ..., M., Gz.: ...

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erlässt das Landgericht München I - 12. Zivilkammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Kroner, den Richter am Landgericht Dr. von Hardenberg und den Richter am Landgericht Bühring aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26.02.2015 folgendes

Endurteil

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger nach Maßgabe der Versicherungsbedingungen des Tarifes BTB 30 die Kosten für den Rollstuhl samt Zubehör gemäß dem Kostenvoranschlag der R. M. GbR vom 09.04.2013 zu gewähren.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 5.407,46 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer zwischenzeitlich beendeten Krankenversicherung.

Der Kläger war bei der Beklagten krankenversichert. Er ist an Multipler Sklerose (MS) erkrankt und vielfältig körperlich eingeschränkt.

Der Kläger erhielt im Zeitraum Ende 2010 bis Anfang 2013 Krankengymnastik, wobei diese im Rahmen einer sogenannten Reit- oder Hippotherapie (mit Pferd) durchgeführt wurde. Die Beklagte erstattete zunächst Ende 2010/Anfang 2011 eine erste Rechnung, die auch Reittherapie auswies, und wies den Kläger bzw. dessen Ehefrau Mitte 2011 daraufhin, dass eine solche Reittherapie nicht vom Versicherungschutz erfasst sei, erfasst sei jedoch eine Krankengymnastik auf neurophysiologischer Basis. Im weiteren Verlauf erhielt die Beklagte weitere Rechnungen, die zwar eine normale Krankengymnastik auf neurophysiologischer Basis auswiesen und auch als solche verordnet waren, tatsächlich jedoch Behandlungen im Rahmen einer Reittherapie betrafen. Tatsächlich waren die Rechnungen manipuliert, um die Beklagte darüber zu täuschen, dass eine Reittherapie weiterhin durchgeführt wurde.

Die Beklagte erhielt insgesamt 7 manipulierte Rechnungen über je € 280,-- die sie, bis auf eine, auch sämtlich tarifgemäß erstattete (Anlage B1, 2. Seite, wobei der Erstattungsantrag vom 31.12.2010 nicht manipuliert war, siehe Seite 1 der Anlage B1)

Am 23.01.2013 wurde dem Kläger ein Elektrorollstuhl verordnet, der insbesondere auch eine Aufstehhilfe beinhaltet, der Kläger holte sodann einen Kostenvoranschlag, der am 09.04.2013 erstellt wurde, über 22.531,10 € ein, reichte diesen mit Schreiben vom 22.04.2013 bei der Beklagten ein und beantragte die Übernahme der Kosten im tarifgemäßen Umfang (30%, entsprechend 6759,33 €).

Mit Schreiben vom 21.06.2013 kündigte die Beklagte das Krankenversicherungsverhältnis mit dem Kläger fristlos, nachdem sie zuvor festgestellt hatte, dass die Rechnungen über Krankengymnastik, die der Kläger bis dahin, zuletzt am 27.02.2013 und 28.05.2013, eingereicht hatte, tatsächlieh Kosten einer Reittherapie betrafen und keine „normale“ Krankengymnastik.

Mit Schreiben vom 18.09.2013 lehnte die Beklagte eine Leistung für Kosten des Rollstuhles ab.

Der Kläger behauptet, dass die Anschaffung des Rollstuhles medizinisch notwendig sei, insbesondere da die bisherige Versorgung des Klägers mit Rollstühlen im Hinblick auf den Gesundheitszustand nicht ausreichend sei und der Kläger einer Aufstehhilfe bedürfe.

Er ist weiter der Auffassung, dass die Beklagte zur Leistung verpflichtet sei. Weder die Einreichung gefälschter Rechnungen noch die Kündigung stehe dem entgegen, da der Leistungsantrag bereits eingereicht gewesen sei, bevor die Beklagte Massnahmen getroffen habe. Der Versicherungsfall falle in die Versicherungszeit bei der Beklagten.

Dementsprechend sei die Beklagte verpflichtet, eine Leistungszusage im Rahmen des versicherten Tarifs (30% der Kosten) abzugeben.

Der Kläger beantragt zuletzt,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger nach Maßgabe der Versicherungsbedingungen des Tarifes BTB 30 die Kosten für den Rollstuhl samt Zubehör gemäß dem Kostenvoranschlag der R. M. GbR vom 09.04.2013 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt Klageabweisung.

Sie bestreitet die medizinische Notwendigkeit und ist der Auffassung, dass aufgrund der Kündigung schon deswegen keine Leistungsansprüche bestünden, weil es sich um einen schwebenden Versicherungsfall handele. Auch für diese entfalle die Leistungspflicht nach § 7 MB/KK bei Beendigung des Vertrages. Die Kündigung werde nicht angegriffen.

Sie behauptet zuletzt, dass sie im Zuge ihrer Prüfungen hinsichtlich der Erforderlichkeit des Rollstuhles auf die Abrechnungen der Krankengymnastik gestoßen sei, diese als auffällig erschienen seien, und sie dann erfahren habe, dass tatsächlich auf den Originalrechnungen der Krankengymnastin der Begriff Reit- bzw. Hippotherapie enthalten gewesen seien, so dass sie deswegen, weil dies bei den bei ihr eingereichten Rechnungen nicht der Fall gewesen sei, erst da habe feststellen können, dass die eingereichten Rechnungen manipuliert worden seien. Im Zuge dieser Ermittlungen habe sie die Bearbeitung des Antrags des Klägers zurückgestellt.

Darüber hinaus ist sie der Auffassung, dass der Umstand, dass der Kläger offensichtlich einen Betrug gegenüber der Beklagten begangen habe, nach Treu und Glauben einem weiteren Leistungsanspruch des Klägers auch für nicht unmittelbar vom Betrug betroffene Versicherungsfälle bzw. Leistungsansprüche entgegenstehe. In dem Betrug liege eine so schwerwiegende Verletzung der notwendigen Vertrauensbasis, dass der Beklagten nicht zugemutet werden könne, selbst vertragstreu sein zu müssen, obwohl der Kläger es nicht gewesen sei, Es stelle letztlich eine unerträgliche und nicht hinzunehmende Verzerrung dar, wenn der Betrüger sich darauf verlassen könne, dass er für andere Sachverhalte dennoch Leistungen erhalte. Dass der begangene Betrug ein außerordentliches Kündigungsrecht gebe, reiche nicht aus. Die Kündigung beseitige nur zukünftige Leistungsansprüche. Würde man zulassen, dass die Beklagte für solche Sachverhalte, bei denen kein Betrug vorliege, dennoch leistungspflichtig bleibe, obwohl bei anderen ein Betrug unzweifelhaft vorliege, so führe dies dazu, dass es letztlich vom Zufall abhänge, wann und wie die Beklagte von dem Betrug erfahren und dann die Kündigung aussprechen könne. Es könne insoweit keinen Unterschied machen, ob die Beklagte vor oder nach Einreichung des Leistungsantrags auf den Rollstuhl von dem Betrug erfahren habe. Hätte sie dies schon Anfang 2013 erfahren, hätte sie bereits da gekündigt, so dass sie dann unzweifelhaft nicht mehr leistungspflichtig gewesen wäre.

Schließlich habe die Beklagte ja auch die Interessen der Versichertengemeinschaft zu wahren.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der medizinischen Notwendigkeit samt Ergänzungsgutachten.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme hat die Kammer keine Zweifel daran, dass der Rollstuhl, den der Kläger anschaffen möchte, und der ihm verordnet wurde, medizinisch notwendig ist. Die Ausführungen des Sachverständigen, dass die bisherige Versorgung des Klägers mit Rollstühlen nicht ausreichend ist und der Kläger insbesondere aufgrund seiner bestehenden Einschränkungen eines Rollstuhls, der auch eine Aufstehhilfe und eine Dekubitusvorsorge beinhaltet,

bedarf, sind in sich schlüssig, nachvollziehbar und überzeugen die Kammer vollumfänglich. Zweifel an den Ausführungen des Sachverständigen hat die Kammer nicht.

Nach Überzeugung der Kammer ist die Beklagte auch nicht deswegen leistungsfrei, weil die Beendigung des Versicherungsvertrages im Juni 2013 auch den noch schwebenden Versicherungsfall „Rollstuhl“ beendet hat, da die Leistungspflicht für schwebende Versicherungsfälle mit der Beendigung des Vertrages ebenfalls endet.

Denn die Kammer sieht nicht, dass hier ein schwebender Versicherungsfall vorliegt. Verordnet wurde bereits im Januar 2013 ein Hilfsmittel, nämlich der Rollstuhl. Auch wenn die Verordnung des Hilfsmittels alleine noch nicht den Bedarf des Klägers befriedigt, weil der Rollstuhl erst angeschafft werden muss, stellt sich die Sachlage jedoch aus Sicht der Kammer letztlich so dar, dass die Verordnung des Hilfsmittels bereits letztlich den eigentlichen Versicherungsfall darstellt, jedenfalls dann, wenn es nur um die Verordnung eines Hilfsmittels geht. Denn mit der Verordnung ist die „Behandlung“ durch den Arzt im wesentlichen beendet. Letztlich fehlt noch die eher technisch-praktische Abwicklung. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte erst zu einer Leistung verpflichtet ist und leisten muss, wenn der Kläger selbst Aufwendungen gehabt hat bzw. mit solchen belastet ist, sich also den Rollstuhl angeschafft hat. Denn auch wenn die Krankenversicherung eine nachschüssige Versicherung ist, ist letztlich die Frage, wann die Beklagte Leistungen erbringen muss, nämlich erst nach Vorlage einer Rechnung, nur eine Frage der Fälligkeit, nicht aber eine Frage der Beendigung oder Fortdauer des Versicherungsfalles.

Soweit die Parteien über die Frage streiten, ob die Beklagte sich hinsichtlich einer Leistungsfreiheit darauf berufen kann, dass der Kläger in anderem Zusammenhang gegenüber der Beklagten einen Betrug begangen hat, sieht die Kammer solches nicht.

Unzweifelhaft ist für die Kammer zwar, dass, macht ein Versicherungsnehmer bewusst falsche Angaben zu einem Versicherungsfall, um die Versicherung über dessen Ausmaß oder die Erstattungsfähigkeit zu täuschen, während ein Teil grundsätzlich erstattungsfähig wäre, er sich bei Aufdeckung des Betruges nicht darauf berufen kann, dass er zumindest Anspruch auf den erstattungsfähigen Teil hat. Denn es wäre in der Tat unerträglich und widerspräche dem Anstandsgefühl der billig und gerecht Denkenden, wenn der Betrüger sozusagen gefahrlos betrügen könnte, weil er sich sicher sein kann, dass er zumindest den Teil erhält, der ihm zugestanden hätte, wenn er nicht betrogen hätte.

Anders liegt die Sache jedoch nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Fall. Denn es geht gerade nicht darum, dass innerhalb eines Versicherungsfalles sowohl betrügerische als auch er stattungsfähige Leistungen begehrt werden, sondern es handelt sich letztlich um zwei von einander unabhängige Leistungsfälle, die letztlich nur dadurch verbunden sind, dass zum einen die Grunderkrankung des Klägers inmitten steht und dass für beide der gleiche Versicherungsvertrag Grundlage für Leistungsansprüche ist.

Diese Verbindung reicht nach Auffassung der Kammer auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben bzw. des Grundsatzes des tu-quoque Einwandes nicht aus, um das Fehlverhalten in dem einen Leistungsfall zur Grundlage einer Leistungsfreiheit in dem anderen Leistungsfall zu machen.

Grundsätzlich sind Leistungsansprüche von einander getrennt zu betrachten, so dass auch die Anspruchsvoraussetzungen für jeden Leistungsanspruch gesondert zu prüfen sind, insbesondere etwa auch Obliegenheitsverletzungen, unrichtige Angaben, Fristen und ähnliches. Anders ist dies nur, wenn es um Angaben geht, die den Abschluss des Versicherungsvertrages selbst betreffen, zum Beispiel die Falschangaben im Antragsformular bei etwaigen Gesundheitsfragen. Demnach wäre auch aus Sicht der Kammer grundsätzlich die Frage, ob wegen Vorspiegeln falscher Tatsachen Leistungsfreiheit besteht, in dem jeweiligen Leistungsantrag zu berücksichtigen, hätte aber zunächst keine Auswirkungen auf andere Leistungsfälle, bei denen solches nicht vorliegt.

Andererseits weist die Beklagte zurecht darauf hin, dass ein Betrug nicht nur den eigentlichen Leistungsfall berührt, sondern auch die Grundlagen des Vertrags, insbesondere das notwendige Vertrauensverhältnis erschüttert, so dass jedenfalls eine Kündigung aus wichtigem Grund möglich sein muss und möglich ist. Dennoch vermag die Kammer nicht zu sehen, dass eine solche punktuelle Erschütterung des Vertrauensverhältnisses generell zu einer Leistungsfreiheit führt, unabhängig davon, wieweit der Betrug gegangen ist. Denn es kann auch nicht übersehen werden, dass tatsächlich trotz des Betruges zwischen den Parteien ein wirksamer Vertrag bestand, mit gegenseitigen Vertragspflichten, der erst durch die berechtigte Kündigung ex nunc aufgehoben worden ist. Eine allgemeine Rückwirkung wichtiger Kündigungsgründe sieht die Kammer nicht. Gerade der Umstand, dass grundsätzlich jedoch jeder Leistungsfall gesondert zu beurteilen ist und auch gesondert durch die Beklagte beschieden wird, und auch etwa Obliegenheitsverletzungen grundsätzlich nur im jeweiligen Leistungsfall greifen und zu Folgen führen und gerade nicht allgemein, ist für die Kammer der ausschlaggebende Gesichtspunkt. Denn insoweit hat der vom Kläger - bzw. dessen Ehefrau - begangene Betrug zwei Komponenten:

Zum einen die Täuschung der Beklagten im konkreten Leistungsfall und bezüglich konkreter Leistungsansprüche - nicht aber z. B. über das Vorliegen der Erkrankungen selbst - und andererseits die Erschütterung des Vertrauensverhältnisses, das dazu führt, dass die Beklagte sich letztlich zukünftig nicht mehr auf wahrheitsgemäße Angaben verlassen kann, was für sie eine nicht mehr zumutbare Fortführung des Vertragsverhältnisses bedeutet.

Das erstere kann aus Sicht der Kammer aber nur Auswirkungen für den Leistungsfall selbst haben, weil nämlich nur über die Umstände der Behandlung getäuscht worden ist, das andere kann letztlich nur Auswirkungen auf den Bestand und die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses als solchem haben und der Beklagten eine Lösungsmöglichkeit eröffnen.

Die Kammer sieht aber nicht, dass der Einwand, dass der Kläger sich in einem konkreten Leistungsfall nicht vertragstreu verhalten hätte - was möglicherweise zutrifft - dazu führen kann, dass die Beklagte ihrerseits dem Kläger auch für die Einzelfälle und Leistungsansprüche, bei denen der Kläger sich vertragstreu verhält, Leistungen verweigern dürfte.

Auch der tu-quoque-Einwand hilft hier aus Sicht der Kammer nicht weiter. Er besagt letztlich, dass derjenige, der sich selbst nicht vertragstreu verhält, nicht darauf berufen kann, dass der andere sich nicht vertragstreu verhalte. Auch hier - obwohl dies im Grundsatz auch für den vorliegenden Fall gilt, weil der Kläger sich tatsächlich nicht vertragstreu verhalten hat - schlägt nach Auffassung der Kammer durch, dass zwei Ebenen zu betrachten sind. Einerseits die Ebene des Vertrages als solchem und andererseits die Ebene der Leistungsabwicklung mit jeweils gesondert zu betrachtenden Leistungsfällen.

Denn gerade der Umstand, dass die hier vorliegenden beiden Leistungsfälle - Reittherapie einerseits und Rollstuhl andererseits - gerade nur lose durch den Vertrag an sich und die grundsätzlich bestehende Erkrankung verbunden sind, die Pflichtverletzung des Kläger aber gerade auf diesen Ebenen nicht direkt erfolgte, sondern eben nur spezielle Anspruchsvoraussetzungen des einen Leistungsfalles betraf, die mit dem anderen Leistungsfall gerade nichts zu tun haben, verbietet es hier nach Auffassung der Kammer, mit dem Argument der fehlenden Vertragstreue bei der Abwicklung des einen Leistungsfalls die Leistungen im anderen Leistungsfall zu verweigern.

Hinzukommt aus Sicht der Kammer, dass die Beklagte letztlich die Prüfung der Erforderlichkeit des Rollstuhles im Hinblick darauf verzögert hat und letztlich nicht vorgenommen hat, weil sie andere, mit dem Rollstuhl nicht zusammenhängende Umstände nachträglich überprüfen wollte. Eingereicht hatte der Kläger seinen Antrag Ende April 2013, die Beklagte hat nach eigenem Vortrag erste Hinweise auf Auffälligkeiten bei der Reittherapie bzw. den ihr dazu vorliegenden, manipulierten Rechnungen Ende Mai 2013 erhalten, also letztlich zu einem Zeitpunkt, als nach normalem Geschäftsgang über den Antrag des Klägers ohne weiteres schon entschieden hätte werden können. Gründe dafür, warum - außer den Ermittlungen hinsichtlich der Reittherapie - die Beklagte keine Entscheidung getroffen hat, sind nicht vorgetragen. Warum die Beklagte im Zuge der Prüfung der Notwendigkeit des Rollstuhls die Rechnungen der Reittherapie geprüft hat, ist unklar, allerdings fällt auf, dass am 28.05.13 noch eine entsprechende Rechnung eingereicht wurde

Auch wenn die Versicherung grundsätzlich nachschüssig ist, und die Beklagte nur bei Vorlage von Rechnungen zur Leistung verpflichtet ist, wäre die Beklagte jedoch -nach der Rechtsprechung des BGH zur Frage der Feststellung der Leistungspflicht bei unmittelbar bevorstehenden Behandlungen - verpflichtet gewesen, entsprechend nach Prüfung über den Antrag des Klägers zumindest im Hinblick auf die grundsätzliche Erstattungsfähigkeit zu entscheiden.

Stattdessen hat sie mit diesem Antrag nicht zusammenhängende Ermittlungen zum Anlass genommen, gar nichts zu tun. Insofern sieht die Kammer durchaus auch, dass die Beklagte sich selbst nicht vertragsgemäß verhalten hat - in Bezug auf einen nicht mit dem Betrug zusammenhängenden Leistungsfall - und zwar zu einem Zeitpunkt, als ein Betrug noch gar nicht, jedenfalls nicht hinreichend bekannt war.

Zuzugeben ist der Beklagten zwar, dass es letztlich vom Zufall abhängt, wann die Beklagte dem Betrug auf die Spur kommt und die Gelegenheit zur Kündigung hat, und es damit auch vom Zufall abhängt, wie viele - mit dem Betrug nicht zusammenhängende - Leistungsanträge sie noch positiv zu entscheiden hat, obwohl sie diese nicht mehr hätte erstatten müssen, wenn sie den Betrug rechtzeitig bemerkt hätte und früher hätte kündigen können. Allerdings ist eben gerade nicht vorgesehen, dass der wichtige Grund des Betruges in Vertragsbeziehungen das Recht zur rückwirkenden Auflösung des Vertrages gibt, sondern eben nur das Recht zur Kündigung, und schließlich bestehen daneben auch Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung und Schadenersatz, so dass die Beklagte gerade nicht rechtlos gestellt ist.

Schließlich kann auch nicht übersehen werden, dass die Beklagte ja weiterhin die Beiträge des Versicherungsnehmers erhält.

Letztlich sieht die Kammer im Ergebnis nicht, dass ein Betrug oder eine sonstige schwere Vertrauensverletzung, die zur Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt, auch dazu führt, dass sämtliche Vertrags- und Leistungspflichten, unabhängig davon, ob sie direkt mit dem Betrug zusammenhängen oder nicht, automatisch entfielen und nicht mehr erbracht werden müssten. Die Kammer sieht gerade nicht, dass nach dem Grundsatz von Treu und Glauben es schon als unerträglich einzustufen wäre, dass derjenige, der sich bei zwei unterschiedlichen Leistungsfällen sich unterschiedlich verhält und einmal betrügt und einmal nicht, dennoch für den Fall, indem ersieh rechtmäßig verhalten hat, Ansprüche behalten kann. Der mögliche Verlust des Versicherungsschutzes und des Vertrages für die Zukunft und der Verlust etwaiger Ansprüche in den Fällen wo ein Betrug begangen wurde, sowie das Bestehen etwaiger Rückforderungs- und Schadenersatzansprüche ist als Sanktion für das vertragsuntreue Verhalten ausreichend. Es erscheint auch aus Sicht der billig und gerecht Denkenden nicht erforderlich, auch den Verlust von Ansprüchen durchzusetzen die schon entstanden sind. Denn im Ergebnis würde die Auffassung der Beklagten ja auch dazu führen, dass die Beklagte letztlich, mit dem Argument des begangenen Betruges, sämtlich, auch bereits erfüllten Ansprüche in dem Zeitraum ab Juli 2011 zurückfordern könnte und sich nur darauf berufen müsste, dass wegen der in diesem Zeitraum begangenen Betrügereien allgemeine Leistungsfreiheit bestünde. Solches sieht die Kammer keineswegs.

Schlussendlich stellt sich für die Kammer auch die Frage, inwieweit, selbst wenn man grundsätzlich nach Treu und Glauben zulassen wollte, dass die Beklagte wegen eines betrügerisch abgewickelten Leistungsfalles alle sonstigen Leistungen, die damit nicht in Zusammenhang stehen, verweigern könnte, dies auch dann möglich ist, wenn nicht der Versicherungsnehmer, sondern die mit der Abwicklung betraute Ehefrau betrügerisch vorgegangen ist. Anzeige hat die Beklagte nämlich nur gegen die Ehefrau des Klägers gestellt, die von diesem bevollmächtigt war. Selbst wenn man davon ausgehen muss, dass der Kläger sich das Verhalten seiner Ehefrau zurechnen lassen muss, stellt sich für die Kammer die Frage, ob nicht im Rahmen des Grundsatzes von Treu und Glauben auch mit berücksichtigt werden muss, dass gerade der Kläger nicht selbst gehandelt hat. Dafür, dass der Kläger einverstanden gewesen ist, Bescheid gewusst hat oder ähnliches, ist bislang nichts vorgetragen.

Schließlich sieht die Kammer auch, dass - geht man von einer allgemeinen Leistungsfreiheit aus, gegebenenfalls auch zu berücksichtigen ist, welchen Umfang der Schaden hat, der angerichtet worden ist. Nach der Anlage B1 - wobei die erste Rechnung, die die Beklagte in Kenntnis, was abgerechnet wird, erstattet hat, außer Betracht bleiben muss - summieren sich die zu Unrecht erhaltenen Beträge auf wenige Hundert €. Dies relativiert zwar nicht den Betrug und die strafbare Handlung, die dem zugrunde liegt, hat jedoch Einfluss darauf, ob die Beklagte wegen dieser Beträge, die sie durch Verrechnung mit anderen Leistungen zurückerhalten hat, die Leistungen in anderem Zusammenhang, die deutlich höher sind, verweigern kann.

Insgesamt sieht die Kammer vorliegend nicht, dass zum einen strafbare Handlungen und bewusste Täuschungen zur Erlangung nicht zustehender Leistungen grundsätzlich und generell zur Leistungsfreiheit in anderen damit nicht zusammenhängenden Leistungsfällen führen, und sieht zum anderen nicht, dass sich allgemeingültig der Grundsatz ergäbe, dass bei Vertragsuntreue in konkret abgegrenzten Bereichen eine allgemeine Aussetzung aller, auch davon unabhängiger Vertragspflichten entstünde. Vielmehr ist konkret immer auf den Einzelfall abzustellen und auf die konkrete Handlung. Bei dieser Grundlage sieht die Kammer vorliegend keine Leistungsfreiheit der Beklagten und keine Berechtigung für die Beklagte, die Prüfung des Antrags des Klägers zurückzustellen und erst nach Abschluss damit grundsätzlich nicht zusammenhängender Prüfungen zu verbescheiden. Vielmehr hätte die Beklagte grundsätzlich entscheiden können und müssen, so dass dann der Kläger auch entsprechende Maßnahmen hätte treffen können.

Dementsprechend war die Beklagte hier zur Gewährung von Versicherungsschutz für den vor Beendigung des Vertrages beendeten Versicherungsfall eines verordneten Hilfsmittels zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 3 ZPO, 40, 48 GKG. Die Entscheidung über die Vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Jede Kündigung einer Krankheitskostenversicherung, die eine Pflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 erfüllt, ist durch den Versicherer ausgeschlossen. Darüber hinaus ist die ordentliche Kündigung einer Krankheitskosten-, Krankentagegeld- und einer Pflegekrankenversicherung durch den Versicherer ausgeschlossen, wenn die Versicherung ganz oder teilweise den im gesetzlichen Sozialversicherungssystem vorgesehenen Kranken- oder Pflegeversicherungsschutz ersetzen kann. Sie ist weiterhin ausgeschlossen für eine Krankenhaustagegeld-Versicherung, die neben einer Krankheitskostenvollversicherung besteht. Eine Krankentagegeldversicherung, für die kein gesetzlicher Anspruch auf einen Beitragszuschuss des Arbeitgebers besteht, kann der Versicherer abweichend von Satz 2 in den ersten drei Jahren unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten zum Ende eines jeden Versicherungsjahres kündigen.

(2) Liegen bei einer Krankenhaustagegeldversicherung oder einer Krankheitskostenteilversicherung die Voraussetzungen nach Absatz 1 nicht vor, kann der Versicherer das Versicherungsverhältnis nur innerhalb der ersten drei Versicherungsjahre zum Ende eines Versicherungsjahres kündigen. Die Kündigungsfrist beträgt drei Monate.

(3) Wird eine Krankheitskostenversicherung oder eine Pflegekrankenversicherung vom Versicherer wegen Zahlungsverzugs des Versicherungsnehmers wirksam gekündigt, sind die versicherten Personen berechtigt, die Fortsetzung des Versicherungsverhältnisses unter Benennung des künftigen Versicherungsnehmers zu erklären; die Prämie ist ab Fortsetzung des Versicherungsverhältnisses zu leisten. Die versicherten Personen sind vom Versicherer über die Kündigung und das Recht nach Satz 1 in Textform zu informieren. Dieses Recht endet zwei Monate nach dem Zeitpunkt, zu dem die versicherte Person Kenntnis von diesem Recht erlangt hat.

(4) Die ordentliche Kündigung eines Gruppenversicherungsvertrags, der Schutz gegen das Risiko Krankheit enthält, durch den Versicherer ist zulässig, wenn die versicherten Personen die Krankenversicherung unter Anrechnung der aus dem Vertrag erworbenen Rechte und der Alterungsrückstellung, soweit eine solche gebildet wird, zu den Bedingungen der Einzelversicherung fortsetzen können. Absatz 3 Satz 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 50/11 Verkündet am:
7. Dezember 2011
Heinekamp
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin Dr. Kessal-Wulf, die Richter Wendt, Felsch, die Richterin
Harsdorf-Gebhardt und den Richter Dr. Karczewski auf die mündliche
Verhandlung vom 7. Dezember 2011

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 24. Februar 2011 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger unterhielt bei der Beklagten seit dem 1. August 1995 eine private Krankheitskosten- und Pflegepflichtversicherung als Restkostenversicherung zu seinem Beihilfeanspruch. Eine private Krankenversicherung bestand darüber hinaus bereits seit dem 1. Januar 1984. Mit Schreiben vom 7. Juli 2009 kündigte die Beklagte den Krankenversicherungsvertrag fristlos gemäß § 314 BGB, da der Kläger in den Jahren 2007 bis 2009 insgesamt 168 angebliche Medikamentenbezüge zur Abrechnung eingereicht habe, tatsächlich viele der Medikamente aber nicht bezogen und bezahlt worden seien, so dass eine Überzahlung von 3.813,21 € vorgelegen habe. Der Kläger widersprach dieser Kündigung und machte geltend, wegen seines schlechten gesundheitlichen Zustandes infolge einer Karzinomerkrankung habe seit Beginn des Jahres 2007 seine Ehefrau die Abrechnungen vorgenommen. Ihm seien mögliche Ma- nipulationen nicht bekannt gewesen. Berechtigte Ansprüche der Beklagten seien allenfalls in Höhe von 1.246,81 € gegeben. Die Beklagte verrechnete in der Folgezeit den von ihr geltend gemachten Rückzahlungsanspruch mit weiteren Erstattungsansprüchen des Klägers.
2
Der Kläger hat die Beklagte zunächst auf Feststellung in Anspruch genommen, dass das Versicherungsverhältnis zwischen den Parteien über den 10. Juli 2009 hinaus fortbesteht. Ferner hat er beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.566,60 € sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren zu zahlen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Im Berufungsrechtszug hat der Kläger nur noch den Feststellungsantrag sowie den Zahlungsantrag hinsichtlich der Rechtsanwaltsgebühren verfolgt. Seine Berufung ist erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich seine Revision.

Entscheidungsgründe:


3
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
4
I. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in VersR 2011, 738 veröffentlicht ist, hat ausgeführt, dass das Recht der Beklagten zur Kündigung des Krankenversicherungsvertrages gemäß § 314 BGB nicht durch die Bestimmung des § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG ausgeschlossen werde. Der nur scheinbar eindeutige Wortlaut des § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG werde durch die Entstehungsgeschichte der Norm relativiert, aus der sich ergebe, dass lediglich die Kündigung wegen fehlender Prämienzahlung habe untersagt werden sollen. Die Norm sei teleologisch dahin zu reduzieren, dass sonstige gewichtige Vertragsverletzungen weiterhin eine Kündigung aus wichtigem Grund ermöglichten. Jeder Vertragspartner eines Dauerschuldverhältnisses müsse die Möglichkeit haben, sich nach dem Prinzip der subjektiven Äquivalenz von einem vertragsuntreuen Vertragspartner zu lösen. Der gekündigte Versicherungsnehmer werde auch nicht rechtlos gestellt, weil er einen Anspruch darauf habe, bei einem anderen Versicherer im Basistarif versichert zu werden.
5
Auch die Voraussetzungen des außerordentlichen Kündigungsrechts lägen vor. Die Ehefrau des Klägers sei als dessen Repräsentantin anzusehen, da sie die Abrechnungen gegenüber der Beklagten eigenverantwortlich vorgenommen habe. Einer vorherigen Abmahnung vor Ausspruch der fristlosen Kündigung habe es nicht bedurft. Das dem Kläger zuzurechnende betrügerische Verhalten durch Erschleichen von Leistungen rechtfertige eine außerordentliche Kündigung. Die Beklagte müsse den Kläger auch nicht im Basistarif weiter versichern, zumal dieser selbst erklärt habe, hieran kein Interesse zu haben.
6
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
7
1. Das Recht der Beklagten zur fristlosen Kündigung des Krankheitskostenversicherungsvertrages gemäß § 314 Abs. 1 BGB ist nicht durch § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG ausgeschlossen.
8
a) Grundsätzlich steht den Parteien eines Versicherungsvertrages ein Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund nach § 314 Abs. 1 Satz 1 BGB zu (Senatsurteile vom 20. Mai 2009 - IV ZR 274/06, VersR 2009, 1063 Rn. 15; vom 18. Juli 2007 - IV ZR 129/06, VersR 2007, 1260 unter B I 1). Allerdings bestimmt der zum 1. Januar 2009 durch das Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsgesetzes vom 23. November 2007 (BGBl. I S. 2631) neu gefasste § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG, dass jede Kündigung einer Krankheitskostenversicherung, die eine Pflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG erfüllt, durch den Versicherer ausgeschlossen ist. Der Anwendungsbereich der Regelung erstreckt sich auf die überwiegende Mehrzahl der bestehenden privaten Krankheitskostenversicherungsverträge , da nach § 193 Abs. 3 Satz 3 VVG alle vor dem 1. April 2007 - wie hier - abgeschlossenen Krankheitskostenversicherungsverträge unter die Definition der Pflichtversicherung fallen (HK-VVG/Rogler, 2. Aufl. § 206 Rn. 2; Marko, Private Krankenversicherung 2. Aufl. Rn. 126). § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG findet über Art. 1 Abs. 1 EGVVG auf den Versicherungsvertrag Anwendung, da die Beklagte die Kündigung erst im Jahr 2009 erklärt hat.
9
b) Ob ein Versicherer trotz des Wortlauts von § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG jedenfalls dann ein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Vertrages nach § 314 Abs. 1 BGB hat, wenn er sich nicht auf einen Prämienverzug des Versicherungsnehmers, sondern andere schwere Vertragsverletzungen - etwa Leistungserschleichungen - stützt, wird unterschiedlich beurteilt.
10
aa) Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG eine abschließende Regelung für den Bereich der Krankheitskostenversicherung enthalte und jede Art von Kündigung verbiete, unabhängig davon, ob es sich um eine ordentliche oder um eine außerordentliche handele (OLG Hamm r+s 2011, 396; Voit in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 206 Rn. 7; Brömmelmeyer in Schwintowski, VVG 2. Aufl. § 206 Rn. 6; Sauer in Bach/Moser, Private Krankenversicherung 4. Aufl.
nach § 2 MB/KK Rn. 82 f.; Lehmann, r+s 2011, 300, 301 f.; Grote/Bronkars , VersR 2008, 580, 583 f.; HK-VVG/Rogler, § 206 Rn. 3; ders. juris PR-VersR 10/2010 Anm. 1; Langheid, NJW 2007, 3745, 3749). Dies wird mit dem einschränkungslosen Wortlaut des § 206 Abs. 1 S. 1 VVG sowie der systematischen Stellung zu Satz 2 ("darüber hinaus …") begründet. Ferner sei es dem Gesetzgeber um die Gewährleistung eines durchgängigen Krankenversicherungsschutzes für jeden Bürger gegangen , was durch Ausnahmen vom Kündigungsverbot nicht unterlaufen werden dürfe. Ein hinreichender Schutz des Versicherers für den Fall des Prämienverzuges werde durch das Ruhen des Vertrages nach § 193 Abs. 6 VVG erreicht. Außerdem sei der Versicherer berechtigt, unter den Voraussetzungen der §§ 19 ff., 22 VVG vom Vertrag zurückzutreten bzw. diesen anzufechten. Soweit es demgegenüber um die spätere Kündigung gehe, sei § 206 VVG als Spezialvorschrift zu §§ 19 Abs. 4, 194 Abs. 1 Satz 3 VVG anzusehen. Schließlich seien gemäß § 110 Abs. 4 SGB XI in der privaten Pflegepflichtversicherung Rücktritts- und Kündigungsrechte des Versicherers ausgeschlossen, solange der Kontrahierungszwang bestehe.
11
bb) Demgegenüber geht eine andere Ansicht davon aus, dass § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG nicht schlechthin jede außerordentliche Kündigung wegen einer schwerwiegenden Vertragsverletzung nach § 314 Abs. 1 Satz 1 BGB untersage, soweit es nicht um Fälle des Prämienverzugs gehe, für die § 193 Abs. 6 VVG eine Sonderregelung enthalte. Insoweit sei eine teleologische Reduktion der Vorschrift vorzunehmen (OLG Celle VersR 2011, 738; OLG Brandenburg ZfS 2011, 396; OLG Oldenburg, Urteil vom 23. November 2011 - 5 U 141/11; Marko, Private Krankenversicherung 2. Aufl. Rn. 127 ff.; MünchKomm-VVG/Hütt, § 206 Rn. 47 ff.; ders. in Bach/Moser, § 14 MB/KK Rn. 8; Fortmann/Hütt, Krankheitskostenversicherung und Krankenhaustagegeldversicherung, 2. Aufl. S. 183 f.; Wandt, Versicherungsrecht 5. Aufl. Rn. 484, 1366; Boetius, Private Krankenversicherung § 206 VVG Rn. 90 ff.; VersR 2007, 431, 436; Die Systemänderung der privaten Krankenversicherung (PKV) durch die Gesundheitsreform S. 30-33; Brand VersR 2011, 1337, 1344 f.; verfassungsrechtliche Bedenken äußernd Reinhard in Looschelders/ Pohlmann, VVG 2. Aufl. § 206 Rn. 3).
12
cc) Schließlich werden differenzierende Positionen vertreten. So geht Eichelberger davon aus, § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG sei teleologisch dahin zu reduzieren, dass eine außerordentliche Kündigung zulässig sei, soweit sie sich auf einen qualitativ oder quantitativ über den Basistarif hinausreichenden Versicherungsschutz beziehe (VersR 2010, 886, 887). Ähnlich nehmen Marlow/Spuhl an, eine Kündigung des Versicherers sei zwar generell ausgeschlossen, er könne jedoch in entsprechender Anwendung von § 193 Abs. 6 Satz 9 VVG die Fortsetzung des Vertrages im Basistarif verlangen (VersR 2009, 593, 604).
13
c) Die zweitgenannte Ansicht trifft zu. § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG ist teleologisch dahin zu reduzieren, dass er ausnahmslos eine außerordentliche Kündigung wegen Prämienverzugs verbietet, während eine Kündigung wegen sonstiger schwerer Vertragsverletzungen unter den Voraussetzungen des § 314 BGB möglich ist.
14
aa) Ausgangspunkt für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck gekommene objektivierte Wille des Gesetzgebers , so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt (BGH, Urteil vom 30. Juni 1966 - KZR 5/65, BGHZ 46, 74, 76). Dem Ziel, den im Gesetz objektivierten Willen des Gesetzgebers zu erfassen, dienen die nebeneinander zulässigen, sich gegenseitig ergänzenden Methoden der Auslegung aus dem Wortlaut der Norm, ihrem Sinnzusammenhang, ihrem Zweck sowie aus den Gesetzgebungsmaterialien und der Entstehungsgeschichte.
15
Hiervon ausgehend ist der Wortlaut der Vorschrift eindeutig (so auch Brand aaO). Er schließt schlechthin "jede" Kündigung einer Krankheitskostenversicherung , die eine Pflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG erfüllt, durch den Versicherer aus. Eine Differenzierung zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung erfolgt nicht. Der Umstand, dass die Regelung auch außerordentliche Kündigungen erfasst, ergibt sich zudem aus einem Vergleich zu § 206 Abs. 1 Satz 2 VVG, in der weitere Einschränkungen der ordentlichen Kündigung geregelt sind ("dar- über hinaus …"). In der Vorgängervorschrift des § 178i Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. war lediglich die ordentliche Kündigung ausgeschlossen. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich ferner, dass durch den Kündigungsausschluss das Ziel erreicht werden soll, den Versicherungsschutz dauerhaft aufrecht zu erhalten und einen Versicherungsschutz für alle in Deutschland lebenden Personen zu bezahlbaren Konditionen herzustellen (BT-Drucks. 16/4247, S. 66, 68).
16
bb) Dieser eindeutige Wortlaut verbietet es allerdings nicht, die Norm teleologisch dahin zu reduzieren, dass sie unmittelbar lediglich die außerordentliche Kündigung wegen Prämienverzugs ausschließt, während in anderen Fällen schwerer Vertragsverletzung im Einzelfall eine außerordentliche Kündigung nach § 314 Abs. 1 BGB in Betracht kommen kann (für eine derartige teleologische Reduktion etwa Marko aaO; MünchKomm-VVG/Hütt aaO Rn. 52; ders. in Bach/Moser, § 14 MB/KK Rn. 8; Brand aaO 1344 f.). Eine teleologische Reduktion setzt eine ver- deckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus (BGH, Urteile vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27 Rn. 22; vom 13. November 2001 - X ZR 134/00, BGHZ 149, 165, 174; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre 3. Aufl. S. 621). Ob eine derartige Lücke besteht, ist vom Standpunkt des Gesetzes und der ihm zugrunde liegenden Regelungsabsicht zu beurteilen. Das Gesetz muss also, gemessen an seiner eigenen Regelungsabsicht, unvollständig sein. Diesem methodischen Ansatz steht der Wortlaut der Norm nicht entgegen, da es Sinn und Zweck der teleologischen Reduktion ist, eine zu weit gefasste Norm auf ihren sachgerechten Inhalt zu reduzieren (Hütt, Brand, je aaO).
17
cc) Für eine teleologische Reduktion spricht zunächst die Entstehungsgeschichte der Norm. So heißt es im Gesetzentwurf zu der Neufassung des § 178i VVG a.F., welche dann endgültig in Gestalt von § 206 VVG in das Gesetz einging (BT-Drucks. 16/4247 S. 68): "Durch diese Regelung soll der Versicherungsschutz dauerhaft aufrechterhalten werden. Bisher verlieren Versicherte häufig ihre Altersrückstellungen dadurch, dass der Versicherer ihnen kündigt, weil sie mit der Zahlung einer Folgeprämie in Verzug sind. Dieses ist nunmehr ausgeschlossen. Der Versicherer wird durch diese Regelung nur gering belastet, da der Leistungsanspruch des Versicherten nach § 178a Abs. 8 weitgehend ruht und während des Prämienzahlungsverzugs Säumniszuschläge geltend gemacht werden können."
18
Dem Gesetzgeber ging es also in erster Linie darum, den Versicherungsnehmer vor den Folgen des Verlustes des Versicherungsschutzes durch eine Kündigung wegen Verzugs mit der Prämienzahlung zu schützen und ihm seine Altersrückstellungen zu erhalten. Demgegenüber ergibt sich aus der Gesetzgebungsgeschichte nicht, dass dem Versicherer ein außerordentliches Kündigungsrecht versagt werden sollte, sofern es um andere schwerwiegende Vertragsverletzungen außerhalb des Prämienverzugs geht, insbesondere um Fälle der Leistungserschleichung oder sonstiger gegenüber dem Versicherer bzw. seinen Mitarbeitern verübter Straftaten. So war schon zum bisherigen Recht anerkannt, dass eine Kündigung aus wichtigem Grund in Betracht kommen kann (vgl. Senatsurteile vom 20. Mai 2009 aaO Rn. 17; vom 18. Juli 2007 aaO; OLG Koblenz VersR 2010, 58; LG Essen r+s 2005, 428).
19
dd) Ein vollständiger Ausschluss des Kündigungsrechts hätte demgegenüber zur Folge, dass der Versicherer selbst in Fällen schwerster Vertragsverletzungen an den Versicherungsnehmer gebunden bliebe. Der Versicherer wäre gezwungen, das Vertragsverhältnis mit einem Versicherungsnehmer fortzusetzen, der bereits in der Vergangenheit versucht hat, durch betrügerische Handlungen Leistungen zu erschleichen. Diese Gefahr bestünde für den Versicherer auch in Zukunft fort, da es ihm bei dem Massengeschäft der Abrechnung von Krankenversicherungsleistungen häufig nicht möglich ist, in jedem Einzelfall zu überprüfen , ob die eingereichten Belege tatsächlich auch auf Leistungen beruhen , die erbracht und vom Versicherungsnehmer bezahlt wurden. Insoweit setzt das Versicherungsverhältnis ein auf Treu und Glauben beruhendes Vertrauen zwischen den Vertragsparteien voraus. Umgekehrt könnte der Versicherungsnehmer - von strafrechtlichen Folgen abgesehen - sanktionslos Versicherungsbetrug begehen. Wird sein Handeln nicht aufgedeckt, verbleiben ihm die hiermit verbundenen wirtschaftlichen Vorteile. Wird es im Einzelfall entdeckt, so ist der Versicherer allein darauf verwiesen, einen Rückzahlungsanspruch ihm gegenüber geltend zu machen, dessen tatsächliche Realisierbarkeit nicht in jedem Falle feststehen dürfte.
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Ein derart vollständiger Ausschluss des Kündigungsrechts auch bei schwerwiegenden Vertragsverletzungen verstieße gegen den in § 314 BGB zum Ausdruck kommenden allgemeinen Grundsatz des Zivilrechts , dass Dauerschuldverhältnisse bei Vorliegen eines wichtigen Grundes gekündigt werden können (BGH, Urteil vom 26. Mai 1986 - VIII ZR 218/85, NJW 1986, 3134 unter A II 2 a; Brand aaO 1343).
21
ee) Auch der Gesetzgeber selbst will den Versicherer in den von ihm allein berücksichtigten Fällen des Prämienverzugs, für die er eine außerordentliche Kündigung ausdrücklich ausgeschlossen hat, keineswegs rechtlos stellen. So bestimmt § 193 Abs. 6 VVG, dass bei einem qualifizierten Prämienrückstand das Ruhen der Versicherung eintritt. Während dieser Ruhenszeit haftet der Versicherer ausschließlich für Aufwendungen zur Behandlung akuter Erkrankungen und von Schmerzzuständen sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft. Weitere Leistungen hat er nicht zu erbringen. Ferner stehen ihm Säumniszuschläge gegen den Versicherungsnehmer zu. Sind die Rückstände nicht innerhalb eines Jahres ausgeglichen, so wird die Versicherung nur noch im Basistarif fortgesetzt. Wenn aber der Versicherer schon für die Fälle des Prämienverzugs, der häufig auf der schlechten wirtschaftlichen oder persönlichen Situation des Versicherungsnehmers beruhen kann, nur noch in eingeschränktem Umfang Leistungen erbringen muss, so muss dem Versicherer erst recht ein Kündigungsrecht zustehen, wenn der Versicherungsnehmer wesentlich schwerwiegendere Vertragsverletzungen wie etwa Leistungserschleichungen oder sonstige Straftaten begeht (Brand aaO 1345).

22
ff) Das Gesetz schließt ohnehin nicht jede Möglichkeit des Versicherers aus, sich von einem Krankheitskostenversicherungsvertrag auch dann zu lösen, wenn mit diesem eine Pflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG erfüllt wird. So finden wegen Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten weiterhin die §§ 19 ff., 22 VVG Anwendung. Sie erfahren lediglich gemäß § 194 Abs. 1 Satz 3 VVG eine Modifikation dahin, dass § 19 Abs. 4 VVG auf die Krankenversicherung nicht anzuwenden ist, wenn der Versicherungsnehmer die Verletzung der Anzeigepflicht nicht zu vertreten hat. Dem Versicherer bleibt daher auch im Bereich der Pflichtversicherung nach § 193 Abs. 3 VVG das Recht zum Rücktritt vom Vertrag bzw. der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung bei Verletzung der Anzeigepflicht anlässlich des Vertragsschlusses erhalten.
23
Zudem bestimmt § 193 Abs. 5 Satz 4 VVG, dass der Versicherer den Antrag auf Abschluss einer Versicherung im Basistarif ablehnen kann, wenn der Antragsteller bereits bei dem Versicherer versichert war und der Versicherer den Versicherungsvertrag wegen Drohung oder arglistiger Täuschung angefochten hat oder vom Versicherungsvertrag wegen einer vorsätzlichen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht zurückgetreten ist. Es ist nicht ersichtlich, warum ein Versicherungsnehmer , der bei Vertragsschluss seine Anzeigepflicht verletzt hat, den Versicherungsschutz nachträglich durch Rücktritt oder Anfechtung seitens des Versicherers wieder verlieren kann, im Falle einer sonstigen schweren Vertragsverletzung wie etwa der Leistungserschleichung aber einen Anspruch auf unveränderten Fortbestand des Vertrages haben soll (so auch Brand aaO). Zwar handelt es sich in diesen Fällen erst um eine nachträgliche Störung des zunächst einwandfrei zustande gekommenen Vertragsverhältnisses , während sich Rücktritt und Anfechtung auf eine An- zeigepflichtverletzung vor Vertragsschluss beziehen. Inhaltlich vermag dies eine unterschiedliche Behandlung aber nicht zu rechtfertigen. Auch beim Rücktritt oder der Anfechtung ist der Vertrag zunächst "ins Werk gesetzt" worden und wird erst nachträglich nach Aufdeckung der Anzeigepflichtverletzung rückwirkend wieder beseitigt. Warum es dem Versicherer dann nicht möglich sein soll, bei häufig noch wesentlich gravierenderen Vertragsverletzungen den Vertrag nicht zumindest mit Wirkung für die Zukunft aus wichtigem Grund kündigen zu können, leuchtet nicht ein.
24
gg) Den Interessen des Versicherungsnehmers wird dadurch Rechnung getragen, dass er seinen Versicherungsschutz nicht vollständig verliert. Vielmehr hat er weiterhin Anspruch darauf, gemäß § 193 Abs. 5 VVG bei jedem in Deutschland zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Versicherungsunternehmen im Basistarif nach § 12 Abs. 1a VAG versichert zu werden. Auf die Frage, ob der gekündigte Versicherungsnehmer einen Anspruch auf Abschluss einer Krankheitskostenversicherung zum Basistarif beim bisherigen Versicherer oder lediglich bei einem anderen Versicherer hat, kommt es hier nicht an (hierzu Senatsurteil IV ZR 105/11 vom heutigen Tag unter II 3). Der Kläger hat selbst erklärt, kein Interesse an einer Fortsetzung des Vertragsverhältnisses mit der Beklagten zum Basistarif zu haben.
25
hh) Ein vollständiger Ausschluss des Kündigungsrechts kann auch nicht aus einem Vergleich mit § 110 Abs. 4 SGB XI hergeleitet werden. Hiernach sind in der privaten Pflegeversicherung Rücktritts- und Kündigungsrechte des Versicherungsunternehmens ausgeschlossen, solange der Kontrahierungszwang besteht. Zwar schließt diese Regelung jede Kündigung aus wichtigem Grund, auch die nicht lediglich auf Prämien- verzug beruhende, aus (vgl. Senatsurteil IV ZR 105/11 vom heutigen Tag unter II 1 b). Dies führt aber nicht dazu, dass auch bei § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG jedes Kündigungsrecht ausgeschlossen wäre (so aber Lehmann , r+s 2011 aaO). Der Unterschied besteht darin, dass bei Zulassung eines außerordentlichen Kündigungsrechts im Bereich der Pflegepflichtversicherung der Versicherungsnehmer seines Versicherungsschutzes vollständig verlustig ginge, während im Bereich der privaten Krankenversicherung immer noch ein Anspruch auf Abschluss eines Versicherungsvertrages im Basistarif nach § 193 Abs. 5 VVG verbleibt.
26
ii) Auch die Gefahr eines Verlustes von Altersrückstellungen rechtfertigt nicht den vollständigen Ausschluss eines außerordentlichen Kündigungsrechts. Zwar hat der Gesetzgeber den Ausschluss des Kündigungsrechts ausdrücklich damit begründet, dass bisher viele Versicherte ihre Altersrückstellungen dadurch verlieren, dass der Versicherer ihnen kündigt, weil sie mit der Zahlung einer Folgeprämie in Verzug sind (BT-Drucks. 16/4247 S. 68). Der Fall eines Prämienverzuges, der auf Seiten des Versicherungsnehmers die unterschiedlichsten wirtschaftlichen und persönlichen Gründe haben kann, ist aber mit Fällen sonstiger schwerer Vertragsverletzungen nicht zu vergleichen. Wer etwa durch Leistungserschleichungen in betrügerischer Weise versucht, Leistungen des Versicherers zu erhalten, auf die er keinen Anspruch hat, muss die Folgen seines Handelns, die gegebenenfalls auch im Verlust des Versicherungsschutzes einschließlich der Altersrückstellungen liegen können, selbst tragen.
27
jj) Schließlich steht der Zulassung einer außerordentlichen Kündigung auch nicht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entgegen, das die entsprechenden Regelungen für verfassungsgemäß erachtet hat (so auch Boetius, Private Krankenversicherung Rn. 91 ff.; Brand aaO 1344). Es hat mit Urteil vom 10. Juni 2009 entschieden, dass die Einführung des Basistarifs durch die Gesundheitsreform 2007 in der privaten Krankenversicherung verfassungsmäßig war (BVerfGE 123, 186) und dazu ausgeführt, dass das absolute Kündigungsverbot des § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG Grundrechte der Versicherer nicht unverhältnismäßig beeinträchtige (aaO 249 f.). Dem Gesetzgeber sei es darum gegangen, in dem weitaus häufigsten Fall der Vertragsverletzung, nämlich dem Prämienverzug, den mit einer Kündigung des Versicherungsvertrages verbundenen Verlust der Altersrückstellung zu verhindern. Da es sich bei der Krankenversicherung um ein nicht personifiziertes Massengeschäft handele, sei es nicht sachwidrig und unzumutbar, dass der Gesetzgeber auf eine Kündigungsregelung wegen anderer Vertragsverletzungen , die nur relativ selten vorkämen, verzichtet habe. Ergänzend hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 10. Juni 2009 entschieden , dass diese Grundsätze auch auf kleine Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit Anwendung fänden (BVerfGE 124, 25, 42 f.). Soweit es um andere Fälle von Vertragsverletzungen außerhalb des Prämienverzuges gehe, sei eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 9 Abs. 1 GG zwar nicht immer auszuschließen. Insoweit seien die Beschwerdeführer aber gehalten, zunächst gegebenenfalls Rechtsschutz vor den Fachgerichten zu suchen.
28
Diese Entscheidungen befassen sich mithin nur mit der Verfassungsmäßigkeit der Regelung insgesamt, betreffen aber nicht die Frage der Auslegung einfach gesetzlicher Rechtsvorschriften, stehen also einer einschränkenden Auslegung der Norm für die Fälle sonstiger schwerer Vertragsverletzungen nicht entgegen (Brand aaO; Boetius aaO).
29
2. a) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist ferner, dass das Berufungsgericht die Beklagte als berechtigt angesehen hat, das Versicherungsverhältnis mit dem Kläger gemäß § 314 Abs. 1 BGB zu kündigen. Voraussetzung für eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund ist, dass dem Kündigenden die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht zugemutet werden kann (BGH, Urteil vom 11. November 2010 - III ZR 57/10, WM 2011, 81 unter II 1 b). An eine derartige Kündigung eines privaten Krankheitskostenversicherungsvertrages sind hohe Anforderungen zu stellen, so dass sie nur bei Vorliegen besonders schwerwiegender Umstände des Einzelfalles in Betracht kommt. Ein wichtiger Grund kann insbesondere dann vorliegen, wenn sich der Versicherungsnehmer Leistungen erschleicht oder zu erschleichen versucht (Senatsurteile vom 20. Mai 2009 aaO; vom 18. Juli 2007 aaO Rn. 16; OLG Koblenz VersR 2010, 58). Ob nach diesen Kriterien bestimmte Umstände als wichtiger Grund zu werten sind, hat in erster Linie der Tatrichter zu entscheiden. Die revisionsgerichtliche Kontrolle erstreckt sich allein darauf, ob das Tatsachengericht den Rechtsbegriff des wichtigen Grundes richtig erfasst, ob es den Sachverhalt vollständig ermittelt und in seine Wertung sämtliche Umstände des konkreten Falles einbezogen hat (BGH, aaO).
30
b) Ohne Erfolg macht die Revision auf dieser Grundlage zunächst geltend, der Kläger müsse sich das Handeln seiner Ehefrau nicht über die Rechtsfigur des Repräsentanten zurechnen lassen.
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aa) Repräsentant ist, wer in dem Geschäftsbereich, zu dem das versicherte Risiko gehört, aufgrund eines Vertretungs- oder sonstigen Verhältnisses an die Stelle des Versicherungsnehmers getreten ist. Re- präsentant kann nur sein, wer befugt ist, selbständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutenden Umfang für den Versicherungsnehmer zu handeln. Übt der Dritte aufgrund eines Vertrags- oder ähnlichen Verhältnisses die Verwaltung des Versicherungsvertrages eigenverantwortlich aus, kann dies für seine Repräsentantenstellung sprechen (Senatsurteile vom 21. April 1993 - IV ZR 34/92, BGHZ 122, 250, 252 ff.; vom 10. Juli 1996 - IV ZR 287/95, VersR 1996, 1229 unter 2 b). Der Grund der Haftungszurechnung liegt darin, dass es dem Versicherungsnehmer nicht freistehen darf, den Versicherer dadurch schlechter und sich besser zu stellen, dass er einen Dritten an seine Stelle hat treten lassen. Dieser Zurechnungsgrund greift auch dann ein, wenn das geschützte Interesse des Versicherers deshalb durch einen Dritten verletzt werden kann, weil der Versicherungsnehmer den Dritten in die Lage versetzt hat, insoweit selbständig und in nicht unbedeutendem Umfang für ihn zu handeln (Senatsurteil vom 14. März 2007 - IV ZR 102/03, BGHZ 171, 304, 306 f.).
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Der Versicherungsnehmer kann sich seiner Verantwortung für die Vertragsverwaltung nicht dadurch entziehen, dass er einem Dritten eigenständig die Abwicklung eingetretener Leistungsfälle überlässt, um sich dann später darauf zu berufen, er habe vom betrügerischen Verhalten des Dritten keine Kenntnis erlangt.
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bb) Zutreffend ist das Berufungsgericht auf dieser Grundlage davon ausgegangen, dass die Ehefrau des Klägers als dessen Repräsentantin anzusehen ist. So hat sie selbst in ihrer eidesstattlichen Erklärung vom 23. Juli 2009 erklärt, seit der Erkrankung ihres Ehemannes habe sie es übernommen, die Abrechnungen mit der Krankenkasse vorzunehmen. Sie sei allein dafür zuständig gewesen, die Rezepte bei dem Versicherer einzureichen. Die Abrechnungen seien vollständig und allein verantwort- lich durch sie vorgenommen worden. Sei etwa ein Rezept mit drei Medikamenten eingereicht und nur eines abgeholt worden, so seien von ihr die Preise und weiteren Daten der anderen beiden Medikamente hinzugefügt und das Rezept so beim Versicherer eingereicht worden. Von dieser Vorgehensweise habe sie dem Kläger nie etwas berichtet. In dem außergerichtlichen Schreiben der Bevollmächtigten des Klägers an die Beklagte vom 15. Juli 2009 wird ebenfalls bestätigt, dass die Abrechnungen vollständig und verantwortlich durch die Ehefrau des Klägers erstellt worden und diesem zu keinem Zeitpunkt bekannt gewesen seien.
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Mithin ist die Ehefrau des Klägers - von diesem beauftragt - eigenverantwortlich tätig geworden. Eine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör liegt nicht vor. Das Berufungsgericht musste seine Ehefrau nicht als Zeugin vernehmen. Ob diese als Repräsentantin anzusehen ist, stellt eine Rechtsfrage dar. Angesichts der Erklärungen des Klägers und seiner Ehefrau entlastet es den Kläger nicht, wenn er behauptet, seine Ehefrau habe die Zusammenstellung der abzurechnenden Belege nach vorheriger Absprache mit ihm vorgenommen bzw. er habe die Zusendung der Abrechnungsbelege weder in die alleinige Verfügungsbefugnis noch die alleinige Verantwortlichkeit seiner Ehefrau gegeben. Die gesamte Abrechnung ist einschließlich der vorgenommenen Manipulationen über Jahre hinweg eigenständig durch die Ehefrau des Klägers vorgenommen worden. Sonst hätten dem Kläger die zahlreichen Manipulationen auf den Rezepten sowie die zu hohen Erstattungen auf seinem Konto entgehen können.
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c) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Abwägung des Berufungsgerichts, mit dem es zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der Beklagten gemäß § 314 Abs. 1 BGB eine Fortsetzung des Vertrags- verhältnisses nicht zuzumuten ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Betrugshandlungen sich über drei Jahre von 2007 bis 2009 erstreckten und insgesamt 47 Rezepte betrafen, die zur Erstattung eingereicht wurden, obwohl die dort aufgeführten Medikamente entweder überhaupt nicht oder jedenfalls nicht in diesem Umfang vom Kläger erworben und bezahlt wurden.
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Schließlich ist es nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht dem möglichen Verlust von Altersrückstellungen kein ausschlaggebendes Gewicht bei der Abwägung beigemessen hat. Abgesehen davon, dass Klägervortrag dazu fehlt, ob und inwieweit es durch die Kündigung überhaupt zu einem Verlust von Altersrückstellungen gekommen ist, muss er diese Folgen, wenn er sich in betrügerischer Weise Leistungen erschleicht, selbst tragen. Dr. Kessal-Wulf Wendt Felsch Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Vorinstanzen:
LG Hannover, Entscheidung vom 10.08.2010- 2 O 262/09 -
OLG Celle, Entscheidung vom 24.02.2011- 8 U 157/10 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 105/11 Verkündet am:
7. Dezember 2011
Bott
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
1. § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG schließt nicht jede außerordentliche Kündigung eines
Krankheitskostenversicherungsvertrages durch den Versicherer aus.
2. In diesem Fall wird weder die Krankheitskostenversicherung mit dem bisherigen
Versicherer im Basistarif (§ 12 Abs. 1a VAG) fortgesetzt, noch steht dem Versicherungsnehmer
gegen diesen ein Anspruch auf Abschluss eines derartigen Vertrages
zu.
3. Im Bereich der Pflegepflichtversicherung ist jede außerordentliche Kündigung des
Versicherers ausgeschlossen (§ 110 Abs. 4 SGB XI)
BGH, Urteil vom 7. Dezember 2011 - IV ZR 105/11 - OLG Brandenburg
LG Frankfurt/Oder
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin Dr. Kessal-Wulf, die Richter Wendt, Felsch, die Richterin
Harsdorf-Gebhardt und den Richter Dr. Karczewski auf die mündliche
Verhandlung vom 7. Dezember 2011

für Recht erkannt:
Unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel des Klägers werden das Urteil des 12. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 5. Mai 2011 teilweise aufgehoben und das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 27. August 2010 teilweise geändert.
Es wird festgestellt, dass die Pflegeversicherung nach Tarif PVN zu Versicherungsnummer … zwischen den Parteien fortbesteht und nicht durch fristlose Kündigung der Beklagten vom 29. Mai 2009 beendet wurde. Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 96% und die Beklagte 4%.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger, der als selbständiger Unternehmer einen "RecyclingPark" mit Containerservice, Entrümpelung, Abrissarbeiten etc. betreibt, unterhielt bei der Beklagten seit 2004 eine Krankheitskosten-, Krankentagegeld - und Pflegeversicherung. Nach einer Herzoperation war der Kläger arbeitsunfähig und erhielt Krankentagegeld. Anlässlich eines Besuches durch den für die Beklagte tätigen Zeugen B. am 14. Mai 2009 kam es zu einem Vorfall, den die Beklagte zum Anlass nahm, mit Schreiben vom 29. Mai 2009 den Vertrag über die Krankheitskosten-, Krankentagegeld - und Pflegepflichtversicherung fristlos zu kündigen. Die Beklagte stützte die Kündigung darauf, dass der Kläger ihren Außendienstmitarbeiter tätlich mit einem Bolzenschneider angegriffen und bedroht habe. Sie lehnte es ausdrücklich ab, den Kläger zumindest im Basistarif weiter zu versichern.
2
Nach durchgeführter Beweisaufnahme hat das Landgericht die Klage abgewiesen, mit der der Kläger beantragt hatte festzustellen, dass die Krankheitskosten-, die Krankentagegeld- und die Pflegeversicherung zwischen den Parteien fortbesteht und nicht durch die fristlose Kündigung zum 29. Mai 2009 beendet worden ist, hilfsweise der Beklagten aufzugeben, mit ihm eine Krankheitskostenversicherung im Basistarif zu schließen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers ist nach wiederholter Beweisaufnahme erfolglos geblieben. Mit seiner Revision beantragt der Kläger festzustellen, dass die Krankheitskosten- und die Pflegeversicherung zwischen den Parteien fortbestehen und nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 29. Mai 2009 beendet worden sind, hilfsweise festzustellen, dass die Krankheitskostenversicherung zum Basistarif und die Pflegeversicherung fortbestehen und nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagtenvom 29. Mai 2009 beendet worden sind, weiter hilfsweise der Beklagten aufzugeben, mit dem Kläger eine Krankheitskostenversicherung zum Basistarif abzuschließen.

Entscheidungsgründe:


3
Das Rechtsmittel hat nur zu einem geringen Teil Erfolg.
4
I. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in VersR 2011, 1429 veröffentlicht ist, hat ausgeführt, dem Recht der Beklagten, die Vertragsverhältnisse wirksam aus wichtigem Grund gemäß § 314 Abs. 1 BGB zu kündigen, stehe auch hinsichtlich der Krankheitskostenversicherung nicht das Kündigungsverbot des § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG entgegen. Die Vorschrift sei teleologisch auf die Fälle der Kündigung wegen Prämienverzuges zu reduzieren. Soweit vom Wortlaut auch andere schwerwiegende Vertragsverletzungen des Versicherungsnehmers umfasst seien, liege ein planwidriger Regelungsüberschuss vor. Die Erstreckung des § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG auf alle denkbaren Kündigungsgründe stehe im Widerspruch zu dem das Privatrecht dominierenden Gebot von Treu und Glauben sowie dem in § 314 Abs. 1 BGB enthaltenen Grundsatz der Kündbarkeit von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund. Namentlich bei strafbarem Verhalten des Versicherungsnehmers müsse eine Kündigung aus wichtigem Grund möglich sein. Ein hinreichender Schutz des Versicherungsnehmers werde dadurch erreicht, dass er gegenüber einem anderen Versicherer Anspruch auf Versicherung im Basistarif habe. Hier sei ein wichtiger Grund zur Kündigung vorhanden gewesen, da der Kläger einen Mitarbeiter des Versicherers tätlich angegriffen habe, als dieser ihn während des Bezuges von Krankentagegeld im Gespräch mit Kunden auf dem von ihm betriebenen Recyclinghof angetroffen habe.
5
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung im Wesentlichen stand.
6
1. Die Revision ist unbeschränkt zugelassen. Soweit das Berufungsgericht ausgeführt hat, die Revision werde zugelassen, da die Frage , ob § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG jede Kündigung einer Krankheitskostenversicherung ausschließe, von grundsätzlicher Bedeutung sei, folgt hieraus keine Beschränkung der Zulassung auf die Krankheitskostenversicherung als abtrennbarer Teil des Streitgegenstandes unter Ausschluss der Zulassung der Revision wegen der Kündigung der Pflegepflichtversicherung. Das Berufungsgericht hat eine Differenzierung zwischen diesen beiden Versicherungen nicht vorgenommen, weil es die unterschiedlichen Regelungen des § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG für die Krankheitskostenversicherung und des § 110 Abs. 4 SGB XI für die Pflegepflichtversicherung nicht erkannt hat. Eine Absicht des Berufungsgerichts zur Beschränkung der Zulassung der Revision auf die Kündigungsmöglichkeit einer Krankheitskostenversicherung bestand mithin nicht.
7
2. Der Hauptantrag des Klägers auf Feststellung, dass die Krankheitskostenversicherung nach Tarif NK 4 zwischen den Parteien fortbesteht und nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 29. Mai 2009 beendet wurde, ist nicht begründet. Das Recht der Beklagten zur fristlosen Kündigung des Krankheitskostenversicherungsvertrages gemäß § 314 Abs. 1 BGB ist nicht durch § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG ausgeschlossen.
8
a) Grundsätzlich steht den Parteien eines Versicherungsvertrages ein Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund nach § 314 Abs. 1 Satz 1 BGB zu (Senatsurteile vom 20. Mai 2009 - IV ZR 274/06, VersR 2009, 1063 Rn. 15; vom 18. Juli 2007 - IV ZR 129/06, VersR 2007, 1260 unter B I 1). Allerdings bestimmt der zum 1. Januar 2009 durch das Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23. November 2007 (BGBl. I S. 2631) neu gefasste § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG, dass jede Kündigung einer Krankheitskostenversicherung, die eine Pflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG erfüllt, durch den Versicherer ausgeschlossen ist. Der Anwendungsbereich der Regelung erstreckt sich auf die überwiegende Mehrzahl der bestehenden privaten Krankheitskostenversicherungsverträge , da nach § 193 Abs. 3 Satz 3 VVG alle vor dem 1. April 2007 - wie hier - abgeschlossenen Krankheitskostenversicherungsverträge unter die Definition der Pflichtversicherung fallen (HK-VVG/Rogler, 2. Aufl. § 206 Rn. 2; Marko, Private Krankenversicherung 2. Aufl. Rn. 126). § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG findet über Art. 1 Abs. 1 EGVVG auf den Versicherungsvertrag Anwendung, da die Beklagte die Kündigung erst im Jahr 2009 erklärt hat.
9
b) Ob ein Versicherer trotz des Wortlauts von § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG jedenfalls dann ein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Vertrages nach § 314 Abs. 1 BGB hat, wenn er sich nicht auf einen Prämienverzug des Versicherungsnehmers, sondern andere schwere Vertragsverletzungen - etwa Leistungserschleichungen - stützt, wird unterschiedlich beurteilt.
10
aa) Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG eine abschließende Regelung für den Bereich der Krankheitskostenversicherung enthalte und jede Art von Kündigung verbiete, unabhängig davon, ob es sich um eine ordentliche oder um eine außerordentliche handele (OLG Hamm r+s 2011, 396; Voit in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 206 Rn. 7; Brömmelmeyer in Schwintowski/Brömmelmeyer , VVG 2. Aufl. § 206 Rn. 6; Sauer in Bach/Moser, Private Krankenversicherung 4. Aufl. nach § 2 MB/KK Rn. 82 f.; Lehmann, r+s 2011, 300, 301 f.; Grote/Bronkars, VersR 2008, 580, 583 f.; HK-VVG/Rogler, § 206 Rn. 3; ders. jurisPR-VersR 10/2010 Anm. 1; Langheid, NJW 2007, 3745, 3749). Dies wird mit dem einschränkungslosen Wortlaut des § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG sowie der systematischen Stellung zu Satz 2 ("darüber hin- aus …") begründet. Ferner sei es dem Gesetzgeber um die Gewährleis- tung eines durchgängigen Krankenversicherungsschutzes für jeden Bürger gegangen, was durch Ausnahmen vom Kündigungsverbot nicht unterlaufen werden dürfe. Ein hinreichender Schutz des Versicherers für den Fall des Prämienverzuges werde durch das Ruhen des Vertrages nach § 193 Abs. 6 VVG erreicht. Außerdem sei der Versicherer berechtigt , unter den Voraussetzungen der §§ 19 ff., 22 VVG vom Vertrag zurückzutreten bzw. diesen anzufechten. Soweit es demgegenüber um die spätere Kündigung gehe, sei § 206 VVG als Spezialvorschrift zu §§ 19 Abs. 4, 194 Abs. 1 Satz 3 VVG anzusehen. Schließlich seien gemäß § 110 Abs. 4 SGB XI in der privaten PflegepflichtversicherungRücktrittsund Kündigungsrechte des Versicherers ausgeschlossen, solange der Kontrahierungszwang bestehe.
11
bb) Demgegenüber geht eine andere Ansicht davon aus, dass § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG nicht schlechthin jede außerordentliche Kündigung wegen einer schwerwiegenden Vertragsverletzung nach § 314 Abs. 1 Satz 1 BGB untersage, soweit es nicht um Fälle des Prämienverzugs gehe, für die § 193 Abs. 6 VVG eine Sonderregelung enthalte. Insoweit sei eine teleologische Reduktion der Vorschrift vorzunehmen (OLG Celle VersR 2011, 738; OLG Brandenburg ZfS 2011, 396; OLG Oldenburg, Urteil vom 23. November 2011 - 5 U 141/11; Marko, Private Krankenversicherung 2. Aufl. Rn. 127 ff.; MünchKomm-VVG/Hütt, § 206 Rn. 47 ff.; ders. in Bach/Moser, § 14 MB/KK Rn. 8; Fortmann/Hütt, Krankheitskostenversicherung und Krankenhaustagegeldversicherung, 2. Aufl. S. 183 f.; Wandt, VersR 5. Aufl. Rn. 484, 1366; Boetius, Private Krankenversicherung § 206 VVG Rn. 90 ff.; VersR 2007, 431, 436; Die Systemänderung der privaten Krankenversicherung (PKV) durch die Gesundheitsreform S. 30-33; Brand VersR 2011, 1337, 1344 f.; verfassungsrechtliche Bedenken äußernd Reinhard in Looschelders/Pohlmann, VVG 2. Aufl. § 206 Rn. 3).
12
cc) Schließlich werden differenzierende Positionen vertreten. So geht Eichelberger davon aus, § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG sei teleologisch dahin zu reduzieren, dass eine außerordentliche Kündigung zulässig sei, soweit sie sich auf einen qualitativ oder quantitativ über den Basistarif hinausreichenden Versicherungsschutz beziehe (VersR 2010, 886, 887). Ähnlich nehmen Marlow/Spuhl an, eine Kündigung des Versicherers sei zwar generell ausgeschlossen, er könne jedoch in entsprechender Anwendung von § 193 Abs. 6 Satz 9 VVG die Fortsetzung des Vertrages im Basistarif verlangen (VersR 2009, 593, 604).
13
c) Die zweitgenannte Ansicht trifft zu. § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG ist teleologisch dahin zu reduzieren, dass er ausnahmslos lediglich eine außerordentliche Kündigung wegen Prämienverzugs verbietet, während eine Kündigung wegen sonstiger schwerer Vertragsverletzungen unter den Voraussetzungen des § 314 BGB möglich ist.
14
aa) Ausgangspunkt für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck gekommene objektivierte Wille des Gesetzgebers , so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt (BGH, Urteil vom 30. Juni 1966 - KZR 5/65, BGHZ 46, 74, 76). Dem Ziel, den im Gesetz objektivierten Willen des Gesetzgebers zu erfassen, dienen die nebeneinander zulässigen, sich gegenseitig ergänzenden Methoden der Auslegung aus dem Wortlaut der Norm, ihrem Sinnzusammenhang, ihrem Zweck sowie aus den Gesetzgebungsmaterialien und der Entstehungsgeschichte.
15
Hiervon ausgehend ist der Wortlaut der Vorschrift eindeutig (so auch Brand aaO). Er schließt schlechthin "jede" Kündigung einer Krankheitskostenversicherung , die eine Pflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG erfüllt, durch den Versicherer aus. Eine Differenzierung zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung erfolgt nicht. Der Umstand, dass die Regelung auch außerordentliche Kündigungen erfasst, ergibt sich zudem aus einem Vergleich zu § 206 Abs. 1 Satz 2 VVG, in der weitere Einschränkungen der ordentlichen Kündigung geregelt sind ("dar- über hinaus …"). In der Vorgängervorschrift des § 178i Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. war lediglich die ordentliche Kündigung ausgeschlossen. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich ferner, dass durch den Kündigungsausschluss das Ziel erreicht werden soll, den Versicherungsschutz dauerhaft aufrecht zu erhalten und einen Versicherungsschutz für alle in Deutschland lebenden Personen zu bezahlbaren Konditionen herzustellen (BT-Drucks. 16/4247, S. 66, 68).
16
bb) Dieser eindeutige Wortlaut verbietet es allerdings nicht, die Norm teleologisch dahin zu reduzieren, dass sie unmittelbar lediglich die außerordentliche Kündigung wegen Prämienverzugs ausschließt, wäh- rend in anderen Fällen schwerer Vertragsverletzung im Einzelfall eine außerordentliche Kündigung nach § 314 Abs. 1 BGB in Betracht kommen kann (für eine derartige teleologische Reduktion etwa Marko aaO; MünchKomm-VVG/Hütt aaO Rn. 52; ders. in Bach/Moser, § 14 MB/KK Rn. 8; Brand aaO 1344 f.). Eine teleologische Reduktion setzt eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus (BGH, Urteile vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27 Rn. 22; vom 13. November 2001 - X ZR 134/00, BGHZ 149, 165, 174; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre 3. Aufl. S. 621). Ob eine derartige Lücke besteht, ist vom Standpunkt des Gesetzes und der ihm zugrunde liegenden Regelungsabsicht zu beurteilen. Das Gesetz muss also, gemessen an seiner eigenen Regelungsabsicht, unvollständig sein. Diesem methodischen Ansatz steht der Wortlaut der Norm nicht entgegen, da es Sinn und Zweck der teleologischen Reduktion ist, eine zu weit gefasste Norm auf ihren sachgerechten Inhalt zu reduzieren (Hütt, Brand, je aaO).
17
cc) Für eine teleologische Reduktion spricht zunächst die Entstehungsgeschichte der Norm. So heißt es im Gesetzentwurf zu der Neufassung des § 178i VVG a.F., welche dann endgültig in Gestalt von § 206 VVG in das Gesetz einging (BT-Drucks. 16/4247 S. 68): "Durch diese Regelung soll der Versicherungsschutz dauerhaft aufrechterhalten werden. Bisher verlieren Versicherte häufig ihre Altersrückstellungen dadurch, dass der Versicherer ihnen kündigt, weil sie mit der Zahlung einer Folgeprämie in Verzug sind. Dieses ist nunmehr ausgeschlossen. Der Versicherer wird durch diese Regelung nur gering belastet, da der Leistungsanspruch des Versicherten nach § 178a Abs. 8 weitgehend ruht und während des Prämienzahlungsverzugs Säumniszuschläge geltend gemacht werden können."
18
Dem Gesetzgeber ging es also in erster Linie darum, den Versicherungsnehmer vor den Folgen des Verlustes des Versicherungsschutzes durch eine Kündigung wegen Verzugs mit der Prämienzahlung zu schützen und ihm seine Altersrückstellungen zu erhalten. Demgegenüber ergibt sich aus der Gesetzgebungsgeschichte nicht, dass dem Versicherer ein außerordentliches Kündigungsrecht versagt werden sollte, sofern es um andere schwerwiegende Vertragsverletzungen außerhalb des Prämienverzugs geht, insbesondere um Fälle der Leistungserschleichung oder sonstiger gegenüber dem Versicherer bzw. seinen Mitarbeitern verübter Straftaten. So war schon zum bisherigen Recht anerkannt, dass eine Kündigung aus wichtigem Grund in Betracht kommen kann (vgl. Senatsurteile vom 20. Mai 2009 aaO Rn. 17; vom 18. Juli 2007 aaO; OLG Koblenz VersR 2010, 58; LG Essen r+s 2005, 428).
19
dd) Ein vollständiger Ausschluss des Kündigungsrechts hätte demgegenüber zur Folge, dass der Versicherer selbst in Fällen schwerster Vertragsverletzungen an den Versicherungsnehmer gebunden bliebe. Der Versicherer wäre gezwungen, das Vertragsverhältnis mit einem Versicherungsnehmer fortzusetzen, der bereits in der Vergangenheit versucht hat, durch betrügerische Handlungen Leistungen zu erschleichen, oder - wie hier - einen Mitarbeiter des Versicherers tätlich angreift, nachdem dieser bei einem Besuch vor Ort festgestellt hat, dass der Versicherungsnehmer trotz des Bezuges von Krankentagegeld seiner gewerblichen Tätigkeit nachging. Ein derart vollständiger Ausschluss des Kündigungsrechts auch bei schwerwiegenden Vertragsverletzungen verstieße gegen den in § 314 BGB zum Ausdruck kommenden allgemeinen Grundsatz des Zivilrechts, dass Dauerschuldverhältnisse bei Vorliegen eines wichtigen Grundes gekündigt werden können (BGH, Urteil vom 26. Mai 1986 - VIII ZR 218/85, NJW 1986, 3134 unter A II 2 a; Brand aaO 1343).
20
ee) Auch der Gesetzgeber selbst will den Versicherer in den von ihm allein berücksichtigten Fällen des Prämienverzugs, für die er eine außerordentliche Kündigung ausdrücklich ausgeschlossen hat, keineswegs rechtlos stellen. So bestimmt § 193 Abs. 6 VVG, dass bei einem qualifizierten Prämienrückstand das Ruhen der Versicherung eintritt. Während dieser Ruhenszeit haftet der Versicherer ausschließlich für Aufwendungen zur Behandlung akuter Erkrankungen und von Schmerzzuständen sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft. Weitere Leistungen hat er nicht zu erbringen. Ferner stehen ihm Säumniszuschläge gegen den Versicherungsnehmer zu. Sind die Rückstände nicht innerhalb eines Jahres ausgeglichen, so wird die Versicherung nur noch im Basistarif fortgesetzt. Wenn aber der Versicherer schon für die Fälle des Prämienverzugs, der häufig auf der schlechten wirtschaftlichen oder persönlichen Situation des Versicherungsnehmers beruhen kann, nur noch in eingeschränktem Umfang Leistungen erbringen muss, so muss dem Versicherer erst recht ein Kündigungsrecht zustehen, wenn der Versicherungsnehmer wesentlich schwerwiegendere Vertragsverletzungen wie etwa Leistungserschleichungen oder sonstige Straftaten begeht (Brand aaO 1345).
21
ff) Das Gesetz schließt ohnehin nicht jede Möglichkeit des Versicherers aus, sich von einem Krankheitskostenversicherungsvertrag auch dann zu lösen, wenn mit diesem eine Pflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG erfüllt wird. So finden wegen Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten weiterhin die §§ 19 ff., 22 VVG Anwendung. Sie erfahren lediglich gemäß § 194 Abs. 1 Satz 3 VVG eine Modifikation dahin, dass § 19 Abs. 4 VVG auf die Krankenversicherung nicht anzuwenden ist, wenn der Versicherungsnehmer die Verletzung der Anzeigepflicht nicht zu vertreten hat. Dem Versicherer bleibt daher auch im Bereich der Pflichtversicherung nach § 193 Abs. 3 VVG das Recht zum Rücktritt vom Vertrag bzw. der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung bei Verletzung der Anzeigepflicht anlässlich des Vertragsschlusses erhalten.
22
Zudem bestimmt § 193 Abs. 5 Satz 4 VVG, dass der Versicherer den Antrag auf Abschluss einer Versicherung im Basistarif ablehnen kann, wenn der Antragsteller bereits bei dem Versicherer versichert war und der Versicherer den Versicherungsvertrag wegen Drohung oder arglistiger Täuschung angefochten hat oder vom Versicherungsvertrag wegen einer vorsätzlichen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht zurückgetreten ist. Es ist nicht ersichtlich, warum ein Versicherungsnehmer , der bei Vertragsschluss seine Anzeigepflicht verletzt hat, den Versicherungsschutz nachträglich durch Rücktritt oder Anfechtung seitens des Versicherers wieder verlieren kann, im Falle einer sonstigen schweren Vertragsverletzung wie etwa der Leistungserschleichung oder tätlicher Angriff auf einen Mitarbeiter des Versicherers aber einen Anspruch auf unveränderten Fortbestand des Vertrages haben soll (so auch Brand aaO). Zwar handelt es sich in diesen Fällen erst um eine nachträgliche Störung des zunächst einwandfrei zustande gekommenen Vertragsverhältnisses , während sich Rücktritt und Anfechtung auf eine Anzeigepflichtverletzung vor Vertragsschluss beziehen. Inhaltlich vermag dies eine unterschiedliche Behandlung aber nicht zu rechtfertigen. Auch beim Rücktritt oder der Anfechtung ist der Vertrag zunächst "ins Werk gesetzt" worden und wird erst nachträglich nach Aufdeckung der Anzeigepflichtverletzung rückwirkend wieder beseitigt. Warum es dem Versicherer dann nicht möglich sein soll, bei häufig noch wesentlich gravierenderen Vertragsverletzungen den Vertrag nicht zumindest mit Wirkung für die Zukunft aus wichtigem Grund kündigen zu können,leuchtet nicht ein.
23
gg) Den Interessen des Versicherungsnehmers wird dadurch Rechnung getragen, dass er seinen Versicherungsschutz nicht vollständig verliert. Vielmehr hat er weiterhin Anspruch darauf, gemäß § 193 Abs. 5 VVG bei jedem in Deutschland zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Versicherungsunternehmen im Basistarif nach § 12 Abs. 1a VAG versichert zu werden.
24
hh) Auch die Gefahr eines Verlustes von Altersrückstellungen rechtfertigt nicht den vollständigen Ausschluss eines außerordentlichen Kündigungsrechts. Zwar hat der Gesetzgeber den Ausschluss des Kündigungsrechts ausdrücklich damit begründet, dass bisher viele Versicherte ihre Altersrückstellungen dadurch verlieren, dass der Versicherer ihnen kündigt, weil sie mit der Zahlung einer Folgeprämie in Verzugsind (BT-Drucks. 16/4247 S. 68). Der Fall eines Prämienverzuges, der auf Seiten des Versicherungsnehmers die unterschiedlichsten wirtschaftlichen und persönlichen Gründe haben kann, ist aber mit Fällen sonstiger schwerer Vertragsverletzungen nicht zu vergleichen. Wer etwa durch Leistungserschleichungen in betrügerischer Weise versucht, Leistungen des Versicherers zu erhalten, auf die er keinen Anspruch hat, oder einen Außendienstmitarbeiter des Versicherers im Rahmen einer Leistungsüberprüfung tätlich angreift, muss die Folgen seines Handelns, die gegebenenfalls auch im Verlust des Versicherungsschutzes einschließlich der Altersrückstellungen liegen können, selbst tragen.
25
ii) Schließlich steht der Zulassung einer außerordentlichen Kündigung auch nicht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entgegen, das die entsprechenden Regelungen für verfassungsgemäß erachtet hat (so auch Boetius, Private Krankenversicherung Rn. 91 ff.; Brand aaO 1344). Es hat mit Urteil vom 10. Juni 2009 entschieden, dass die Einführung des Basistarifs durch die Gesundheitsreform 2007 in der privaten Krankenversicherung verfassungsmäßig war (BVerfGE 123, 186) und dazu ausgeführt, dass das absolute Kündigungsverbot des § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG Grundrechte der Versicherer nicht unverhältnismäßig beeinträchtige (aaO 249 f.). Dem Gesetzgeber sei es darum gegangen, in dem weitaus häufigsten Fall der Vertragsverletzung, nämlich dem Prämienverzug, den mit einer Kündigung des Versicherungsvertrages verbundenen Verlust der Altersrückstellung zu verhindern. Da es sich bei der Krankenversicherung um ein nicht personifiziertes Massengeschäft handele, sei es nicht sachwidrig und unzumutbar, dass der Gesetzgeber auf eine Kündigungsregelung wegen anderer Vertragsverletzungen , die nur relativ selten vorkämen, verzichtet habe. Ergänzend hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 10. Juni 2009 entschieden , dass diese Grundsätze auch auf kleine Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit Anwendung fänden (BVerfGE 124, 25, 42 f.). Soweit es um andere Fälle von Vertragsverletzungen außerhalb des Prämienverzuges gehe, sei eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 9 Abs. 1 GG zwar nicht immer auszuschließen. Insoweit seien die Beschwerdeführer aber gehalten, zunächst gegebenenfalls Rechtsschutz vor den Fachgerichten zu suchen.
26
Diese Entscheidungen befassen sich mithin nur mit der Verfassungsmäßigkeit der Regelung insgesamt, betreffen aber nicht die Frage der Auslegung einfach gesetzlicher Rechtsvorschriften, stehen also einer einschränkenden Auslegung der Norm für die Fälle sonstiger schwerer Vertragsverletzungen nicht entgegen (Brand aaO; Boetius,aaO).

27
d) Der Kläger stellt mit seiner Revision nicht mehr in Abrede, dass die Beklagte wegen seines Verhaltens in Form des tätlichen Angriffs auf deren Mitarbeiter sachlich berechtigt war, den Krankheitskostenversicherungsvertrag aus wichtigem Grund gemäß § 314 Abs. 1 BGB fristlos zu kündigen.
28
3. Erfolg hat die Revision mit ihrem Antrag festzustellen, dass die Pflegeversicherung zwischen den Parteien fortbesteht und nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 29. Mai 2009 beendet wurde. Das Berufungsgericht hat übersehen, dass insoweit nicht § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG Anwendung findet, der sich lediglich auf die Krankheitskostenversicherung bezieht. Einschlägig sind vielmehr die Regelungen für die private Pflegeversicherung in § 110 SGB XI, dessen Absatz 4 bestimmt : "Rücktritts- und Kündigungsrechte der Versicherungsunternehmen sind ausgeschlossen, solange der Kontrahierungszwang besteht."
29
Durch diese Regelung sollen grundsätzlich auch außerordentliche Kündigungsrechte des Versicherers ausgeschlossen werden, wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt (BT-Drucks. 12/5952 S. 49): "Der neu eingeführte Absatz 4 schränkt die Kündigungsund Rücktrittsrechte der Versicherungsunternehmen ein. So ist z.B. kein Kündigungsrecht gegeben in Fällen, in denen der Versicherungsnehmer mit seiner Versicherungsprämie in Verzug ist. Der Versicherungsschutz soll auch bei Vertragsverletzungen aufrecht erhalten bleiben, damit soll die private Pflege-Pflichtversicherung auch in dieser Hinsicht einen der sozialen Pflegeversicherung gleichwertigen Schutz gewährleisten. Es soll dem Versi- cherungspflichtigen nicht ermöglicht werden, durch vertragswidriges Verhalten seine Versicherungspflicht zu unterlaufen. Leistungsverweigerungsrechte der Versicherungsunternehmen für den Zeitraum, in dem der Versicherungsnehmer keine Prämien entrichtet, bleiben selbstverständlich erhalten. …"
30
Hieraus wird im sozialversicherungsrechtlichen Schrifttum geschlossen , dass durch § 110 Abs. 4 SGB XI auch die außerordentliche Kündigung des Versicherers ausgeschlossen ist (Gürtner in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht § 110 Rn. 24 ff. (Stand: Juli 2011); Udsching, SGB XI 3. Aufl. § 110 Rn. 16; HK-SGB XI/Gallon, 3. Aufl. § 110 Rn. 27).
31
Bei § 110 Abs. 4 SGB XI kommt anders als bei § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG keine teleologische Reduktion dahingehend in Betracht, dass eine außerordentliche Kündigung bei nicht auf Prämienverzug beruhenden schwerwiegenden Vertragsverletzungen des Versicherungsnehmers möglich ist. So schränkt zunächst das Gesetz selbst die Möglichkeit des Versicherers, sich vom Vertrag zu lösen, in weitergehendem Umfang ein als bei der Krankheitskostenversicherung. § 110 Abs. 4 SGB XI untersagt auch Rücktrittsrechte des Versicherers wegen unzutreffender Angaben des Versicherungsnehmers bei Vertragsschluss (vgl. Gürtner aaO). Dem entspricht es, dass nach § 110 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und Abs. 3 Nr. 2 SGB XI Unternehmen nicht berechtigt sind, Personen wegen Vorerkrankungen vom Pflegepflichtversicherungsvertrag auszuschließen. Im Bereich der Pflegepflichtversicherung besteht also ein noch weitergehender Kontrahierungszwang als bei der Krankheitskostenversicherung, bei der jedenfalls ein Rücktritt vom Vertrag wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht möglich ist, wie sich dies etwa aus § 193 Abs. 5 Satz 4 und § 194 Abs. 1 Satz 3 VVG ergibt.

32
Hinzu kommt, dass im Falle der Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung der Pflegepflichtversicherung ein Versicherungsschutz vollständig entfiele und der Versicherungsnehmer auf Sozialhilfeleistungen angewiesen wäre. Anders als im Bereich der Krankheitskostenversicherung fehlt das "Auffangnetz" eines Basistarifs. Vielmehr ist die Pflegepflichtversicherung selbst bereits von ihrer Struktur her mit dem Basistarif in der Krankheitskostenversicherung zu vergleichen. Es handelt sich bei der Pflegepflichtversicherung und der Krankheitskostenversicherung im Basistarif um Versicherungsverträge, bei denen Inhalt und Umfang der Leistungen nur noch eingeschränkt dem Grundsatz der Privatautonomie unterliegen, sondern vielfach durch gesetzgeberische Vorgaben überlagert sind. So muss etwa der Basistarif in der Krankheitskostenversicherung in Art, Umfang und Höhe den Leistungen nach dem dritten Kapitel des SGB V entsprechen (§ 12 Abs. 1a Satz 1, Abs. 1d VAG). Ferner darf der Beitrag für den Basistarif den Höchstbetrag der gesetzlichen Krankenversicherung nicht überschreiten, wozu sich detaillierte Regelungen in § 12 Abs. 1c VAG finden. Im Bereich der Pflegepflichtversicherung kommt dieser Gedanke der Gleichbehandlung und eines solidarischen Ausgleichs zusätzlich noch in der Regelung über den Risikoausgleich in § 111 SGB XI zum Ausdruck. Hiernach müssen Versicherungsunternehmen , die eine private Pflegeversicherung betreiben, ein Ausgleichssystem schaffen und erhalten, durch das ein dauerhafter Ausgleich der unterschiedlichen Belastungen gewährleistet werden soll. Nach Auffassung des Gesetzgebers ist es den Versicherungsunternehmen nicht möglich, für die Versicherungsnehmer einen risikogerechten Beitrag zu kalkulieren (BT-Drucks. 12/5952 S. 49). So könnten einzelne Unternehmen mit einer Häufung von so genannten "schlechten Risiken" benachteiligt werden. Daher sei ein Ausgleich zwischen allen Pflegever- sicherungsunternehmen unerlässlich. So hat der Gesetzgeber sogar eine gemeinsame Kalkulation der Beiträge vorgeschrieben, auch wenn dies nicht mit einer Einheitsprämie verbunden werden soll (aaO S. 50).
33
Aus Vorstehendem ergibt sich, dass im Bereich der Pflegepflichtversicherung die Vertragsfreiheit noch stärkeren Einschränkungen unterliegt als im Bereich der Krankheitskostenversicherung und eine weitgehende Verteilung der Risiken auf die Gemeinschaft stattfindet. Hiermit wäre es unvereinbar, wenn einem Versicherungsnehmer auch bei schweren Vertragsverletzungen aus wichtigem Grund gekündigt werden könnte und er entgegen der in § 23 Abs. 1 SGB XI vorgesehenen Versicherungspflicht keine Möglichkeit mehr hätte, bei einem anderen Versicherer einen entsprechenden Vertrag abzuschließen.
34
4. a) Für die beantragte Aussetzung des Verfahrens gemäß Art. 100 Abs. 1 GG und eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht besteht keine Veranlassung, da es sich lediglich um eine einfachgesetzliche Normauslegung handelt und Anhaltspunkte für eine Verfassungswidrigkeit der Regelung nicht ersichtlich sind.
35
b) Unbegründet sind demgegenüber die weiteren Hilfsanträge, mit denen der Kläger die Feststellung begehrt, dass die Krankheitskostenversicherung zum Basistarif (§ 12 Abs. 1a VAG) fortbesteht und nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 29. Mai 2009 beendet wurde, sowie weiter hilfsweise der Beklagten aufzugeben, mit dem Kläger einen Krankheitskostenversicherungsvertrag zum Basistarif (§ 12 Abs. 1a VAG) abzuschließen.
36
aa) Die Beklagte war berechtigt, gemäß § 314 Abs. 1 BGB den gesamten Krankheitskostenversicherungsvertrag mit dem Kläger zu kündigen. Eine Beschränkung des Kündigungsrechts dahingehend, dass dieses sich nur auf den Teil der Krankheitskostenversicherung bezieht, der über den Basistarif hinausgeht, kommt nichtin Betracht.
37
Nach § 12 Abs. 1a VAG haben Versicherungsunternehmen mit Sitz im Inland, welche die substitutive Krankenversicherung betreiben, einen branchenweiten einheitlichen Basistarif anzubieten, dessen Vertragsleistung in Art, Umfang und Höhe den Leistungen nach dem dritten Kapitel des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches, auf die ein Anspruch besteht , jeweils vergleichbar sind. Gem. § 193 Abs. 5 Satz 1 VVG sind die privaten Versicherer verpflichtet, dem dort im Einzelnen genannten Personenkreis eine Versicherung im Basistarif zu gewähren. Hieraus wird im Schrifttum teilweise geschlossen, der Ausschluss des außerordentlichen Kündigungsrechts nach § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG beschränke sich auf den Basistarif. Die Regelung sei teleologisch dahin zu reduzieren, dass eine außerordentliche Kündigung zulässig ist, soweit sie sich auf einen qualitativ oder quantitativ über den Basistarif hinausreichenden Versicherungsschutz bezieht (Eichelberger, VersR 2010, 886, 887; jedenfalls im Ergebnis ähnlich Marlow/Spuhl, VersR 2009, 593, 604, die davon ausgehen, eine Kündigung des Versicherers sei zwar generell ausgeschlossen , er könne jedoch in entsprechender Anwendung von § 193 Abs. 6 Satz 9 VVG die Versicherung des Vertrages im Basistarif verlangen

).


38
Gegen eine solche Lösung spricht jedoch, dass eine außerordentliche Kündigung durch den Versicherer gemäß § 314 Abs. 1 BGB ohnehin nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt, bei denen das Vertrauens- verhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer nachhaltig und auf Dauer gestört ist, wie etwa bei betrügerischer Leistungserschleichung oder - wie hier - tätlichen Angriffen des Versicherungsnehmers auf einen Mitarbeiter des Versicherers. In einem solchen Fall ist es dem Versicherer nicht zuzumuten, die Kündigung von vornherein nur auf den Vertragsteil zu erstrecken, der über den Basistarif hinausgeht. Ein ausreichender Schutz des Versicherungsnehmers wird dadurch erreicht, dass diesem gemäß § 193 Abs. 5 VVG ein Anspruch auf Versicherung zum Basistarif bei einem anderen Versicherer zusteht (hierzu nachfolgend unter bb).
39
Gegen eine Beschränkung des Kündigungsrechts sprechen auch praktische Erwägungen. Zum einen ist fraglich, ob der Versicherer in diesem Fall ausdrücklich seine außerordentliche Kündigung auf den Teil des Versicherungsvertrages beschränken muss, der über den Basistarif hinausgeht. Wäre dies der Fall, müsste dies in der Kündigung im Einzelnen aufgeführt und jeweils die Tarife genannt werden, auf die sich die Kündigung bezieht, und diejenigen, die weiter im Basistarif bestehen bleiben. Das trüge zur Übersichtlichkeit und Verständlichkeit nicht bei, sondern böte die Gefahr, dass eine im Übrigen berechtigte Kündigung aus formalen Gründen unwirksam wäre. Zum anderen spricht gegen eine automatische Fortsetzung des Vertrages zum Basistarif, dass dies keineswegs immer dem Wunsch des gekündigten Versicherungsnehmers entspricht. Das liegt auf Seiten von Versicherungsnehmern, denen Leistungserschleichungen oder sonstige schwerwiegende Vertragsverletzungen nachgewiesen werden, nicht fern. Hier wird es Fälle geben, in denen der Versicherungsnehmer eher daran interessiert ist, den Basistarifvertrag bei einem anderen Versicherer abzuschließen.
40
bb) Unbegründet ist auch der zweite Hilfsantrag, mit dem der Kläger der Beklagten aufgeben will, mit ihm einen Krankheitskostenversicherungsvertrag zum Basistarif abzuschließen. Grundsätzlich ist gemäß § 193 Abs. 5 Satz 1 VVG jeder Versicherer verpflichtet, dem dort im Einzelnen aufgeführten Personenkreis Versicherungen im Basistarif nach § 12 Abs. 1a VAG zu gewähren. Nach § 193 Abs. 5 Satz 4 VVG darf der Antrag nur abgelehnt werden, wenn der Antragsteller bereits bei dem Versicherer versichert war und der Versicherer den Versicherungsvertrag wegen Drohung oder arglistiger Täuschung angefochten hat oder vom Versicherungsvertrag wegen einer vorsätzlichen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht zurückgetreten ist. Ein derartiger Fall eines Rücktritts nach § 19 ff. VVG oder einer Anfechtung nach § 22 VVG i.V.m. § 123 BGB liegt hier nicht vor.
41
Unterschiedlich beurteilt wird, ob § 193 Abs. 5 Satz 4 VVG entsprechend auf den Fall anzuwenden ist, bei dem der Versicherer den Vertrag berechtigt aus wichtigem Grund gemäß § 314 Abs. 1 BGB gekündigt hat. Eine Ansicht plädiert für eine analoge Anwendung von § 193 Abs. 5 Satz 4 VVG (Kalis in Bach/Moser, Private Krankenversicherung 4. Aufl. § 193 VVG Rn. 13; Reinhard in Looschelders/Pohlmann, § 193 Rn. 19; MünchKomm-VVG/Kalis, § 193 Rn. 26). Andere lehnen eine entsprechende Anwendung von § 193 Abs. 5 Satz 4 VVG auf den Fall der fristlosen Kündigung ab (Voit in Prölss/Martin, § 193 Rn. 30; Eichelberger , VersR 2010, 886, 887 f.).
42
Die erstgenannte Ansicht trifft zu. § 193 Abs. 5 Satz 4 VVG ist entsprechend auf den Fall anzuwenden, in dem der Versicherer ausnahmsweise berechtigt ist, den Krankheitskostenversicherungsvertrag gemäß § 314 Abs. 1 BGB aus wichtigem Grund zu kündigen. In einem solchen Fall hat der Versicherungsnehmer auch keinen Anspruch darauf, dass derselbe Versicherer mit ihm erneut einen Vertrag zum Basistarif abschließt. Vielmehr besteht ein solcher Anspruch nur gegenüber einem anderen Versicherer. Hierfür spricht, dass es einem Versicherer, der ausnahmsweise berechtigt ist, einen Vertrag aus wichtigem Grund zu kündigen, nicht zuzumuten ist, mit dem Versicherungsnehmer ein Vertragsverhältnis , und sei es auch nur im Basistarif, fortzusetzen. Von der Schwere der Pflichtverletzung sind die zur außerordentlichen Kündigung führenden Gründe auch mit den ausdrücklich in § 193 Abs. 5 Satz 4 VVG genannten Fällen der Anzeigepflichtverletzung bzw. der arglistigen Täuschung zu vergleichen. Auch das Argument, es sei nicht einzusehen, warum es einem anderen Versicherer eher zuzumuten sein soll, einen Vertrag mit einem betrügerischen oder in sonstiger Weise vertragsbrüchigen Versicherungsnehmer zu schließen als dem bisherigen Versicherer, vermag nicht zu überzeugen. Die maßgebliche Vertragsverletzung hat sich gerade bei dem bisherigen Versicherer und nicht in der Sphäre des aufnahmepflichtigen Unternehmens ereignet. Mit dieser Begründung hat auch das Bundesverfassungsgericht es als verfassungsgemäß angesehen , dass der Kontrahierungszwang im Basistarif auch solche Versicherer trifft, die Antragsteller aufnehmen müssen, deren Vertrag bei einem anderen Versicherer infolge Anfechtung wegen Drohung oder arglistiger Täuschung bzw. Rücktritts wegen vorsätzlicher Verletzung einer vorvertraglichen Anzeigepflicht erloschen ist (BVerfGE 123, 186, 245 f.). Es steht auch nicht fest, dass der bei dem bisherigen Versicherer entstandene Vertrauensverlust auch bei einem neuen Versicherer eintreten muss, wenn der Versicherungsnehmer dort das Versicherungsverhältnis beanstandungsfrei führt. Im Übrigen stünde dann auch einem anderen Versicherer erneut das Recht zur außerordentlichen Kündigung zu.
Dr. Kessal-Wulf Wendt Felsch
Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Vorinstanzen:
LG Frankfurt (Oder), Entscheidung vom 27.08.2010 - 12 O 209/10 -
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 05.05.2011- 12 U 148/10 -

(1) Dauerschuldverhältnisse kann jeder Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

(2) Besteht der wichtige Grund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Vertrag, ist die Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig. Für die Entbehrlichkeit der Bestimmung einer Frist zur Abhilfe und für die Entbehrlichkeit einer Abmahnung findet § 323 Absatz 2 Nummer 1 und 2 entsprechende Anwendung. Die Bestimmung einer Frist zur Abhilfe und eine Abmahnung sind auch entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Kündigung rechtfertigen.

(3) Der Berechtigte kann nur innerhalb einer angemessenen Frist kündigen, nachdem er vom Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat.

(4) Die Berechtigung, Schadensersatz zu verlangen, wird durch die Kündigung nicht ausgeschlossen.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

*

(1) Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

(2) Bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, beträgt der Zinssatz für Entgeltforderungen neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

(3) Der Gläubiger kann aus einem anderen Rechtsgrund höhere Zinsen verlangen.

(4) Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen.

(5) Der Gläubiger einer Entgeltforderung hat bei Verzug des Schuldners, wenn dieser kein Verbraucher ist, außerdem einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40 Euro. Dies gilt auch, wenn es sich bei der Entgeltforderung um eine Abschlagszahlung oder sonstige Ratenzahlung handelt. Die Pauschale nach Satz 1 ist auf einen geschuldeten Schadensersatz anzurechnen, soweit der Schaden in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist.

(6) Eine im Voraus getroffene Vereinbarung, die den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf Verzugszinsen ausschließt, ist unwirksam. Gleiches gilt für eine Vereinbarung, die diesen Anspruch beschränkt oder den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf die Pauschale nach Absatz 5 oder auf Ersatz des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ausschließt oder beschränkt, wenn sie im Hinblick auf die Belange des Gläubigers grob unbillig ist. Eine Vereinbarung über den Ausschluss der Pauschale nach Absatz 5 oder des Ersatzes des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ist im Zweifel als grob unbillig anzusehen. Die Sätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, wenn sich der Anspruch gegen einen Verbraucher richtet.

Eine Geldschuld hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 und des § 289 Satz 1 finden entsprechende Anwendung.

(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.

(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

1.
das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2.
das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung
zugelassen hat.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.