Gründe

Landgericht München I

Az.: 12 O 22252/13

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am 09.04.2015

gez. E., JSekr’in Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

...

- Kläger

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte L. und Kollegen, L1-straße ..., M., Gz.: ...

gegen

...krankenkasse AG,

vertreten durch d. Vorstand Dr. H. B., W-straße ..., M., Gz.: ...

- Beklagte

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte ...

wegen Forderung

erlässt das Landgericht München I - 12. Zivilkammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Kroner, den Richter am Landgericht Dr. von Hardenberg und den Richter am Landgericht Bühring aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26.02.2015 folgendes

Endurteil

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger nach Maßgabe der Versicherungsbedingungen des Tarifes BTB 30 die Kosten für den Rollstuhl samt Zubehör gemäß dem Kostenvoranschlag der R. M. GbR vom 09.04.2013 zu gewähren.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 5.407,46 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer zwischenzeitlich beendeten Krankenversicherung.

Der Kläger war bei der Beklagten krankenversichert. Er ist an Multipler Sklerose (MS) erkrankt und vielfältig körperlich eingeschränkt.

Der Kläger erhielt im Zeitraum Ende 2010 bis Anfang 2013 Krankengymnastik, wobei diese im Rahmen einer sogenannten Reit- oder Hippotherapie (mit Pferd) durchgeführt wurde. Die Beklagte erstattete zunächst Ende 2010/Anfang 2011 eine erste Rechnung, die auch Reittherapie auswies, und wies den Kläger bzw. dessen Ehefrau Mitte 2011 daraufhin, dass eine solche Reittherapie nicht vom Versicherungschutz erfasst sei, erfasst sei jedoch eine Krankengymnastik auf neurophysiologischer Basis. Im weiteren Verlauf erhielt die Beklagte weitere Rechnungen, die zwar eine normale Krankengymnastik auf neurophysiologischer Basis auswiesen und auch als solche verordnet waren, tatsächlich jedoch Behandlungen im Rahmen einer Reittherapie betrafen. Tatsächlich waren die Rechnungen manipuliert, um die Beklagte darüber zu täuschen, dass eine Reittherapie weiterhin durchgeführt wurde.

Die Beklagte erhielt insgesamt 7 manipulierte Rechnungen über je € 280,-- die sie, bis auf eine, auch sämtlich tarifgemäß erstattete (Anlage B1, 2. Seite, wobei der Erstattungsantrag vom 31.12.2010 nicht manipuliert war, siehe Seite 1 der Anlage B1)

Am 23.01.2013 wurde dem Kläger ein Elektrorollstuhl verordnet, der insbesondere auch eine Aufstehhilfe beinhaltet, der Kläger holte sodann einen Kostenvoranschlag, der am 09.04.2013 erstellt wurde, über 22.531,10 € ein, reichte diesen mit Schreiben vom 22.04.2013 bei der Beklagten ein und beantragte die Übernahme der Kosten im tarifgemäßen Umfang (30%, entsprechend 6759,33 €).

Mit Schreiben vom 21.06.2013 kündigte die Beklagte das Krankenversicherungsverhältnis mit dem Kläger fristlos, nachdem sie zuvor festgestellt hatte, dass die Rechnungen über Krankengymnastik, die der Kläger bis dahin, zuletzt am 27.02.2013 und 28.05.2013, eingereicht hatte, tatsächlieh Kosten einer Reittherapie betrafen und keine „normale“ Krankengymnastik.

Mit Schreiben vom 18.09.2013 lehnte die Beklagte eine Leistung für Kosten des Rollstuhles ab.

Der Kläger behauptet, dass die Anschaffung des Rollstuhles medizinisch notwendig sei, insbesondere da die bisherige Versorgung des Klägers mit Rollstühlen im Hinblick auf den Gesundheitszustand nicht ausreichend sei und der Kläger einer Aufstehhilfe bedürfe.

Er ist weiter der Auffassung, dass die Beklagte zur Leistung verpflichtet sei. Weder die Einreichung gefälschter Rechnungen noch die Kündigung stehe dem entgegen, da der Leistungsantrag bereits eingereicht gewesen sei, bevor die Beklagte Massnahmen getroffen habe. Der Versicherungsfall falle in die Versicherungszeit bei der Beklagten.

Dementsprechend sei die Beklagte verpflichtet, eine Leistungszusage im Rahmen des versicherten Tarifs (30% der Kosten) abzugeben.

Der Kläger beantragt zuletzt,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger nach Maßgabe der Versicherungsbedingungen des Tarifes BTB 30 die Kosten für den Rollstuhl samt Zubehör gemäß dem Kostenvoranschlag der R. M. GbR vom 09.04.2013 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt Klageabweisung.

Sie bestreitet die medizinische Notwendigkeit und ist der Auffassung, dass aufgrund der Kündigung schon deswegen keine Leistungsansprüche bestünden, weil es sich um einen schwebenden Versicherungsfall handele. Auch für diese entfalle die Leistungspflicht nach § 7 MB/KK bei Beendigung des Vertrages. Die Kündigung werde nicht angegriffen.

Sie behauptet zuletzt, dass sie im Zuge ihrer Prüfungen hinsichtlich der Erforderlichkeit des Rollstuhles auf die Abrechnungen der Krankengymnastik gestoßen sei, diese als auffällig erschienen seien, und sie dann erfahren habe, dass tatsächlich auf den Originalrechnungen der Krankengymnastin der Begriff Reit- bzw. Hippotherapie enthalten gewesen seien, so dass sie deswegen, weil dies bei den bei ihr eingereichten Rechnungen nicht der Fall gewesen sei, erst da habe feststellen können, dass die eingereichten Rechnungen manipuliert worden seien. Im Zuge dieser Ermittlungen habe sie die Bearbeitung des Antrags des Klägers zurückgestellt.

Darüber hinaus ist sie der Auffassung, dass der Umstand, dass der Kläger offensichtlich einen Betrug gegenüber der Beklagten begangen habe, nach Treu und Glauben einem weiteren Leistungsanspruch des Klägers auch für nicht unmittelbar vom Betrug betroffene Versicherungsfälle bzw. Leistungsansprüche entgegenstehe. In dem Betrug liege eine so schwerwiegende Verletzung der notwendigen Vertrauensbasis, dass der Beklagten nicht zugemutet werden könne, selbst vertragstreu sein zu müssen, obwohl der Kläger es nicht gewesen sei, Es stelle letztlich eine unerträgliche und nicht hinzunehmende Verzerrung dar, wenn der Betrüger sich darauf verlassen könne, dass er für andere Sachverhalte dennoch Leistungen erhalte. Dass der begangene Betrug ein außerordentliches Kündigungsrecht gebe, reiche nicht aus. Die Kündigung beseitige nur zukünftige Leistungsansprüche. Würde man zulassen, dass die Beklagte für solche Sachverhalte, bei denen kein Betrug vorliege, dennoch leistungspflichtig bleibe, obwohl bei anderen ein Betrug unzweifelhaft vorliege, so führe dies dazu, dass es letztlich vom Zufall abhänge, wann und wie die Beklagte von dem Betrug erfahren und dann die Kündigung aussprechen könne. Es könne insoweit keinen Unterschied machen, ob die Beklagte vor oder nach Einreichung des Leistungsantrags auf den Rollstuhl von dem Betrug erfahren habe. Hätte sie dies schon Anfang 2013 erfahren, hätte sie bereits da gekündigt, so dass sie dann unzweifelhaft nicht mehr leistungspflichtig gewesen wäre.

Schließlich habe die Beklagte ja auch die Interessen der Versichertengemeinschaft zu wahren.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der medizinischen Notwendigkeit samt Ergänzungsgutachten.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme hat die Kammer keine Zweifel daran, dass der Rollstuhl, den der Kläger anschaffen möchte, und der ihm verordnet wurde, medizinisch notwendig ist. Die Ausführungen des Sachverständigen, dass die bisherige Versorgung des Klägers mit Rollstühlen nicht ausreichend ist und der Kläger insbesondere aufgrund seiner bestehenden Einschränkungen eines Rollstuhls, der auch eine Aufstehhilfe und eine Dekubitusvorsorge beinhaltet,

bedarf, sind in sich schlüssig, nachvollziehbar und überzeugen die Kammer vollumfänglich. Zweifel an den Ausführungen des Sachverständigen hat die Kammer nicht.

Nach Überzeugung der Kammer ist die Beklagte auch nicht deswegen leistungsfrei, weil die Beendigung des Versicherungsvertrages im Juni 2013 auch den noch schwebenden Versicherungsfall „Rollstuhl“ beendet hat, da die Leistungspflicht für schwebende Versicherungsfälle mit der Beendigung des Vertrages ebenfalls endet.

Denn die Kammer sieht nicht, dass hier ein schwebender Versicherungsfall vorliegt. Verordnet wurde bereits im Januar 2013 ein Hilfsmittel, nämlich der Rollstuhl. Auch wenn die Verordnung des Hilfsmittels alleine noch nicht den Bedarf des Klägers befriedigt, weil der Rollstuhl erst angeschafft werden muss, stellt sich die Sachlage jedoch aus Sicht der Kammer letztlich so dar, dass die Verordnung des Hilfsmittels bereits letztlich den eigentlichen Versicherungsfall darstellt, jedenfalls dann, wenn es nur um die Verordnung eines Hilfsmittels geht. Denn mit der Verordnung ist die „Behandlung“ durch den Arzt im wesentlichen beendet. Letztlich fehlt noch die eher technisch-praktische Abwicklung. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte erst zu einer Leistung verpflichtet ist und leisten muss, wenn der Kläger selbst Aufwendungen gehabt hat bzw. mit solchen belastet ist, sich also den Rollstuhl angeschafft hat. Denn auch wenn die Krankenversicherung eine nachschüssige Versicherung ist, ist letztlich die Frage, wann die Beklagte Leistungen erbringen muss, nämlich erst nach Vorlage einer Rechnung, nur eine Frage der Fälligkeit, nicht aber eine Frage der Beendigung oder Fortdauer des Versicherungsfalles.

Soweit die Parteien über die Frage streiten, ob die Beklagte sich hinsichtlich einer Leistungsfreiheit darauf berufen kann, dass der Kläger in anderem Zusammenhang gegenüber der Beklagten einen Betrug begangen hat, sieht die Kammer solches nicht.

Unzweifelhaft ist für die Kammer zwar, dass, macht ein Versicherungsnehmer bewusst falsche Angaben zu einem Versicherungsfall, um die Versicherung über dessen Ausmaß oder die Erstattungsfähigkeit zu täuschen, während ein Teil grundsätzlich erstattungsfähig wäre, er sich bei Aufdeckung des Betruges nicht darauf berufen kann, dass er zumindest Anspruch auf den erstattungsfähigen Teil hat. Denn es wäre in der Tat unerträglich und widerspräche dem Anstandsgefühl der billig und gerecht Denkenden, wenn der Betrüger sozusagen gefahrlos betrügen könnte, weil er sich sicher sein kann, dass er zumindest den Teil erhält, der ihm zugestanden hätte, wenn er nicht betrogen hätte.

Anders liegt die Sache jedoch nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Fall. Denn es geht gerade nicht darum, dass innerhalb eines Versicherungsfalles sowohl betrügerische als auch er stattungsfähige Leistungen begehrt werden, sondern es handelt sich letztlich um zwei von einander unabhängige Leistungsfälle, die letztlich nur dadurch verbunden sind, dass zum einen die Grunderkrankung des Klägers inmitten steht und dass für beide der gleiche Versicherungsvertrag Grundlage für Leistungsansprüche ist.

Diese Verbindung reicht nach Auffassung der Kammer auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben bzw. des Grundsatzes des tu-quoque Einwandes nicht aus, um das Fehlverhalten in dem einen Leistungsfall zur Grundlage einer Leistungsfreiheit in dem anderen Leistungsfall zu machen.

Grundsätzlich sind Leistungsansprüche von einander getrennt zu betrachten, so dass auch die Anspruchsvoraussetzungen für jeden Leistungsanspruch gesondert zu prüfen sind, insbesondere etwa auch Obliegenheitsverletzungen, unrichtige Angaben, Fristen und ähnliches. Anders ist dies nur, wenn es um Angaben geht, die den Abschluss des Versicherungsvertrages selbst betreffen, zum Beispiel die Falschangaben im Antragsformular bei etwaigen Gesundheitsfragen. Demnach wäre auch aus Sicht der Kammer grundsätzlich die Frage, ob wegen Vorspiegeln falscher Tatsachen Leistungsfreiheit besteht, in dem jeweiligen Leistungsantrag zu berücksichtigen, hätte aber zunächst keine Auswirkungen auf andere Leistungsfälle, bei denen solches nicht vorliegt.

Andererseits weist die Beklagte zurecht darauf hin, dass ein Betrug nicht nur den eigentlichen Leistungsfall berührt, sondern auch die Grundlagen des Vertrags, insbesondere das notwendige Vertrauensverhältnis erschüttert, so dass jedenfalls eine Kündigung aus wichtigem Grund möglich sein muss und möglich ist. Dennoch vermag die Kammer nicht zu sehen, dass eine solche punktuelle Erschütterung des Vertrauensverhältnisses generell zu einer Leistungsfreiheit führt, unabhängig davon, wieweit der Betrug gegangen ist. Denn es kann auch nicht übersehen werden, dass tatsächlich trotz des Betruges zwischen den Parteien ein wirksamer Vertrag bestand, mit gegenseitigen Vertragspflichten, der erst durch die berechtigte Kündigung ex nunc aufgehoben worden ist. Eine allgemeine Rückwirkung wichtiger Kündigungsgründe sieht die Kammer nicht. Gerade der Umstand, dass grundsätzlich jedoch jeder Leistungsfall gesondert zu beurteilen ist und auch gesondert durch die Beklagte beschieden wird, und auch etwa Obliegenheitsverletzungen grundsätzlich nur im jeweiligen Leistungsfall greifen und zu Folgen führen und gerade nicht allgemein, ist für die Kammer der ausschlaggebende Gesichtspunkt. Denn insoweit hat der vom Kläger - bzw. dessen Ehefrau - begangene Betrug zwei Komponenten:

Zum einen die Täuschung der Beklagten im konkreten Leistungsfall und bezüglich konkreter Leistungsansprüche - nicht aber z. B. über das Vorliegen der Erkrankungen selbst - und andererseits die Erschütterung des Vertrauensverhältnisses, das dazu führt, dass die Beklagte sich letztlich zukünftig nicht mehr auf wahrheitsgemäße Angaben verlassen kann, was für sie eine nicht mehr zumutbare Fortführung des Vertragsverhältnisses bedeutet.

Das erstere kann aus Sicht der Kammer aber nur Auswirkungen für den Leistungsfall selbst haben, weil nämlich nur über die Umstände der Behandlung getäuscht worden ist, das andere kann letztlich nur Auswirkungen auf den Bestand und die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses als solchem haben und der Beklagten eine Lösungsmöglichkeit eröffnen.

Die Kammer sieht aber nicht, dass der Einwand, dass der Kläger sich in einem konkreten Leistungsfall nicht vertragstreu verhalten hätte - was möglicherweise zutrifft - dazu führen kann, dass die Beklagte ihrerseits dem Kläger auch für die Einzelfälle und Leistungsansprüche, bei denen der Kläger sich vertragstreu verhält, Leistungen verweigern dürfte.

Auch der tu-quoque-Einwand hilft hier aus Sicht der Kammer nicht weiter. Er besagt letztlich, dass derjenige, der sich selbst nicht vertragstreu verhält, nicht darauf berufen kann, dass der andere sich nicht vertragstreu verhalte. Auch hier - obwohl dies im Grundsatz auch für den vorliegenden Fall gilt, weil der Kläger sich tatsächlich nicht vertragstreu verhalten hat - schlägt nach Auffassung der Kammer durch, dass zwei Ebenen zu betrachten sind. Einerseits die Ebene des Vertrages als solchem und andererseits die Ebene der Leistungsabwicklung mit jeweils gesondert zu betrachtenden Leistungsfällen.

Denn gerade der Umstand, dass die hier vorliegenden beiden Leistungsfälle - Reittherapie einerseits und Rollstuhl andererseits - gerade nur lose durch den Vertrag an sich und die grundsätzlich bestehende Erkrankung verbunden sind, die Pflichtverletzung des Kläger aber gerade auf diesen Ebenen nicht direkt erfolgte, sondern eben nur spezielle Anspruchsvoraussetzungen des einen Leistungsfalles betraf, die mit dem anderen Leistungsfall gerade nichts zu tun haben, verbietet es hier nach Auffassung der Kammer, mit dem Argument der fehlenden Vertragstreue bei der Abwicklung des einen Leistungsfalls die Leistungen im anderen Leistungsfall zu verweigern.

Hinzukommt aus Sicht der Kammer, dass die Beklagte letztlich die Prüfung der Erforderlichkeit des Rollstuhles im Hinblick darauf verzögert hat und letztlich nicht vorgenommen hat, weil sie andere, mit dem Rollstuhl nicht zusammenhängende Umstände nachträglich überprüfen wollte. Eingereicht hatte der Kläger seinen Antrag Ende April 2013, die Beklagte hat nach eigenem Vortrag erste Hinweise auf Auffälligkeiten bei der Reittherapie bzw. den ihr dazu vorliegenden, manipulierten Rechnungen Ende Mai 2013 erhalten, also letztlich zu einem Zeitpunkt, als nach normalem Geschäftsgang über den Antrag des Klägers ohne weiteres schon entschieden hätte werden können. Gründe dafür, warum - außer den Ermittlungen hinsichtlich der Reittherapie - die Beklagte keine Entscheidung getroffen hat, sind nicht vorgetragen. Warum die Beklagte im Zuge der Prüfung der Notwendigkeit des Rollstuhls die Rechnungen der Reittherapie geprüft hat, ist unklar, allerdings fällt auf, dass am 28.05.13 noch eine entsprechende Rechnung eingereicht wurde

Auch wenn die Versicherung grundsätzlich nachschüssig ist, und die Beklagte nur bei Vorlage von Rechnungen zur Leistung verpflichtet ist, wäre die Beklagte jedoch -nach der Rechtsprechung des BGH zur Frage der Feststellung der Leistungspflicht bei unmittelbar bevorstehenden Behandlungen - verpflichtet gewesen, entsprechend nach Prüfung über den Antrag des Klägers zumindest im Hinblick auf die grundsätzliche Erstattungsfähigkeit zu entscheiden.

Stattdessen hat sie mit diesem Antrag nicht zusammenhängende Ermittlungen zum Anlass genommen, gar nichts zu tun. Insofern sieht die Kammer durchaus auch, dass die Beklagte sich selbst nicht vertragsgemäß verhalten hat - in Bezug auf einen nicht mit dem Betrug zusammenhängenden Leistungsfall - und zwar zu einem Zeitpunkt, als ein Betrug noch gar nicht, jedenfalls nicht hinreichend bekannt war.

Zuzugeben ist der Beklagten zwar, dass es letztlich vom Zufall abhängt, wann die Beklagte dem Betrug auf die Spur kommt und die Gelegenheit zur Kündigung hat, und es damit auch vom Zufall abhängt, wie viele - mit dem Betrug nicht zusammenhängende - Leistungsanträge sie noch positiv zu entscheiden hat, obwohl sie diese nicht mehr hätte erstatten müssen, wenn sie den Betrug rechtzeitig bemerkt hätte und früher hätte kündigen können. Allerdings ist eben gerade nicht vorgesehen, dass der wichtige Grund des Betruges in Vertragsbeziehungen das Recht zur rückwirkenden Auflösung des Vertrages gibt, sondern eben nur das Recht zur Kündigung, und schließlich bestehen daneben auch Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung und Schadenersatz, so dass die Beklagte gerade nicht rechtlos gestellt ist.

Schließlich kann auch nicht übersehen werden, dass die Beklagte ja weiterhin die Beiträge des Versicherungsnehmers erhält.

Letztlich sieht die Kammer im Ergebnis nicht, dass ein Betrug oder eine sonstige schwere Vertrauensverletzung, die zur Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt, auch dazu führt, dass sämtliche Vertrags- und Leistungspflichten, unabhängig davon, ob sie direkt mit dem Betrug zusammenhängen oder nicht, automatisch entfielen und nicht mehr erbracht werden müssten. Die Kammer sieht gerade nicht, dass nach dem Grundsatz von Treu und Glauben es schon als unerträglich einzustufen wäre, dass derjenige, der sich bei zwei unterschiedlichen Leistungsfällen sich unterschiedlich verhält und einmal betrügt und einmal nicht, dennoch für den Fall, indem ersieh rechtmäßig verhalten hat, Ansprüche behalten kann. Der mögliche Verlust des Versicherungsschutzes und des Vertrages für die Zukunft und der Verlust etwaiger Ansprüche in den Fällen wo ein Betrug begangen wurde, sowie das Bestehen etwaiger Rückforderungs- und Schadenersatzansprüche ist als Sanktion für das vertragsuntreue Verhalten ausreichend. Es erscheint auch aus Sicht der billig und gerecht Denkenden nicht erforderlich, auch den Verlust von Ansprüchen durchzusetzen die schon entstanden sind. Denn im Ergebnis würde die Auffassung der Beklagten ja auch dazu führen, dass die Beklagte letztlich, mit dem Argument des begangenen Betruges, sämtlich, auch bereits erfüllten Ansprüche in dem Zeitraum ab Juli 2011 zurückfordern könnte und sich nur darauf berufen müsste, dass wegen der in diesem Zeitraum begangenen Betrügereien allgemeine Leistungsfreiheit bestünde. Solches sieht die Kammer keineswegs.

Schlussendlich stellt sich für die Kammer auch die Frage, inwieweit, selbst wenn man grundsätzlich nach Treu und Glauben zulassen wollte, dass die Beklagte wegen eines betrügerisch abgewickelten Leistungsfalles alle sonstigen Leistungen, die damit nicht in Zusammenhang stehen, verweigern könnte, dies auch dann möglich ist, wenn nicht der Versicherungsnehmer, sondern die mit der Abwicklung betraute Ehefrau betrügerisch vorgegangen ist. Anzeige hat die Beklagte nämlich nur gegen die Ehefrau des Klägers gestellt, die von diesem bevollmächtigt war. Selbst wenn man davon ausgehen muss, dass der Kläger sich das Verhalten seiner Ehefrau zurechnen lassen muss, stellt sich für die Kammer die Frage, ob nicht im Rahmen des Grundsatzes von Treu und Glauben auch mit berücksichtigt werden muss, dass gerade der Kläger nicht selbst gehandelt hat. Dafür, dass der Kläger einverstanden gewesen ist, Bescheid gewusst hat oder ähnliches, ist bislang nichts vorgetragen.

Schließlich sieht die Kammer auch, dass - geht man von einer allgemeinen Leistungsfreiheit aus, gegebenenfalls auch zu berücksichtigen ist, welchen Umfang der Schaden hat, der angerichtet worden ist. Nach der Anlage B1 - wobei die erste Rechnung, die die Beklagte in Kenntnis, was abgerechnet wird, erstattet hat, außer Betracht bleiben muss - summieren sich die zu Unrecht erhaltenen Beträge auf wenige Hundert €. Dies relativiert zwar nicht den Betrug und die strafbare Handlung, die dem zugrunde liegt, hat jedoch Einfluss darauf, ob die Beklagte wegen dieser Beträge, die sie durch Verrechnung mit anderen Leistungen zurückerhalten hat, die Leistungen in anderem Zusammenhang, die deutlich höher sind, verweigern kann.

Insgesamt sieht die Kammer vorliegend nicht, dass zum einen strafbare Handlungen und bewusste Täuschungen zur Erlangung nicht zustehender Leistungen grundsätzlich und generell zur Leistungsfreiheit in anderen damit nicht zusammenhängenden Leistungsfällen führen, und sieht zum anderen nicht, dass sich allgemeingültig der Grundsatz ergäbe, dass bei Vertragsuntreue in konkret abgegrenzten Bereichen eine allgemeine Aussetzung aller, auch davon unabhängiger Vertragspflichten entstünde. Vielmehr ist konkret immer auf den Einzelfall abzustellen und auf die konkrete Handlung. Bei dieser Grundlage sieht die Kammer vorliegend keine Leistungsfreiheit der Beklagten und keine Berechtigung für die Beklagte, die Prüfung des Antrags des Klägers zurückzustellen und erst nach Abschluss damit grundsätzlich nicht zusammenhängender Prüfungen zu verbescheiden. Vielmehr hätte die Beklagte grundsätzlich entscheiden können und müssen, so dass dann der Kläger auch entsprechende Maßnahmen hätte treffen können.

Dementsprechend war die Beklagte hier zur Gewährung von Versicherungsschutz für den vor Beendigung des Vertrages beendeten Versicherungsfall eines verordneten Hilfsmittels zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 3 ZPO, 40, 48 GKG. Die Entscheidung über die Vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Landgericht München I Endurteil, 09. Apr. 2015 - 12 O 22252/13

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht


(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

Zivilprozessordnung - ZPO | § 3 Wertfestsetzung nach freiem Ermessen


Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.

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(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.

Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.