Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 19. Jan. 2006 - 11 Wx 140/05

published on 19.01.2006 00:00
Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 19. Jan. 2006 - 11 Wx 140/05
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Tenor

1. Die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten Ziffer 4 gegen den Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 20. März 2002 -11 T 39/02 -wird zurückgewiesen.

2. Die Beteiligte Ziffer 4 hat den übrigen Beteiligten ihre im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

3. Der Wert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird auf Euro 3.000,00 festgesetzt.

Gründe

 
I.
Die Beteiligten zu 1 und 2 haben für ihren am 14. September 2001 in Karlsruhe geborenen Sohn, den Beteiligten zu 3, die Vornamen "Andersson B. P." gewählt. Der Standesbeamte der Stadt K. hat die Eintragung des Namens "Andersson" abgelehnt, da er als Vorname nicht geeignet sei. Die Eltern haben daraufhin beim Amtsgericht Karlsruhe beantragt, den Standesbeamten anzuweisen, für ihren Sohn die Vornamen "Anderson B. P." einzutragen. Das Amtsgericht hat dem Antrag entsprochen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Stadt K. (Beteiligte zu 4) blieb ohne Erfolg. Im Verlauf des Verfahrens vor dem Landgericht haben die Eltern klargestellt, dass die ursprünglich angegebene Schreibweise "Andersson" (mit zwei "s") auf einem Versehen beruhte. Gegen den ihre Beschwerde zurückweisenden Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 20.3.2002 hat die Beteiligte zu 4 sofortige weitere Beschwerde eingelegt. Mit Beschluss vom 24. Juli 2002 hat das Oberlandesgericht Karlsruhe den angegriffenen Beschluss aufgehoben und die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Landgericht Karlsruhe zurückverwiesen. Daraufhin hat das Landgericht Karlsruhe mit Beschluss vom 26.11.2002 den Beschluss des Amtsgerichts Karlsruhe vom 10.1.2002 aufgehoben und den Antrag, den Standesbeamten zur Eintragung des Vornamens Anderson B. P. in das Geburtenbuch anzuweisen, zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 2 hat das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 21.02.2003 zurückgewiesen. Auf deren Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht durch Kammerentscheidung vom 3.11.2005 (1 BvR 691/03) die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 21.2.2003 -11 Wx 101/02 -sowie vom 24.7.2002 -11 Wx 26/02 -und den Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 26.11.2002 -11 T 342/02 -aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht Karlsruhe zur Fortführung des ersten Beschwerdeverfahrens zum Geschäftszeichen 11 Wx 26/02 zurückverwiesen.
II.
Die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 4 ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts vom 20.3.2002 lässt Rechtsfehler nicht erkennen, das Landgericht hat die Wahl und Eintragung des Vornamens "Anderson B. P." für den Beteiligten zu 3 zu Recht für zulässig erachtet.
1. Allgemein verbindliche gesetzliche Vorschriften über die Wahl von Vornamen gibt es im deutschen Recht nicht, die inhaltlichen Grenzen der Vornamensgebung sind einfachrechtlich nicht geregelt (vgl. Hepting/Gaaz, Personenstandsrecht, Band II Rn. IV-681; BGHZ 73, 240 f.; BayObLG StAZ 1992, 72). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umfasst das in Art. 6 Abs. 2 GG verankerte Elternrecht, Sorge für ihr Kind zu tragen, auch das Recht, ihrem Kind einen Namen zu geben. Der Name eines Menschen ist Ausdruck seiner Identität sowie Individualität und begleitet die Lebensgeschichte seines Trägers, die unter dem Namen als zusammenhängend erkennbar wird. Dem heranwachsenden Kind hilft er, seine Identität zu finden und gegenüber anderen zum Ausdruck zu bringen. Die Namensgebung soll dem Kind die Chance für die Entwicklung seiner Persönlichkeit eröffnen und seinem Wohl dienen, dessen Wahrung den Eltern als Recht und Pflicht gleichermaßen anvertraut ist. Zur Namensgebung gehört die Namenswahl. Auch die Entscheidung, welchen Namen es tragen soll, ist bedeutsam für das Kind, lebt es doch nunmehr mit dem für ihn bestimmten Namen und wird mit ihm identifiziert. Dies betrifft zunächst die Wahl eines Vornamens für das Kind, der ausschließlich der Individualität seiner Person Ausdruck verleiht, den Einzelnen bezeichnet und diesen von anderen unterscheidet. Es ist zuvörderst Aufgabe der Eltern, ihrem Kind in freier gemeinsamer Wahl einen Namen zu bestimmen, den es sich selbst noch nicht geben kann. Diesem Recht der Eltern zur Vornamenswahl für ihr Kind darf allein dort eine Grenze gesetzt werden, wo seine Ausübung das Kindeswohl zu beeinträchtigen droht. Der Staat ist in Wahrnehmung seines Wächteramtes nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, das Kind als Grundrechtsträger vor verantwortungsloser Namenswahl durch die Eltern zu schützen. Für einen darüber hinausgehenden Eingriff in das Elternrecht auf Bestimmung des Vornamens für ihr Kind bietet Art. 6 Abs. 2 GG keine Grundlage (BVerfGE 104, 373 [385] f.; BVerfGK FPR 2004, 258 ff.). Das Bundesverfassungsgericht verwirft damit die bisher herrschende Rechtsprechung der Fachgerichte, der auch der Senat gefolgt war, die maßgeblich auf öffentliche Belange, nicht allein auf das -eine Beschränkung des Rechts der Eltern zur Vornamenswahl allein rechtfertigende -Kindeswohl abgestellt hat. Der Bundesgerichtshof hatte bisher in seinen Entscheidungen aus dem Jahr 1959 und dem Jahr 1979 (BGHZ 29, 256 ff.; BGHZ 30, 132 ff.; BGHZ 73, 239 ff.) als Grenze der Vornamenswahl formuliert, dass die allgemeine Sitte und Ordnung nicht verletzt werden darf, geht aber von einem Abwehrrecht gegen solche Eingriffe des Staates in das Erziehungsrecht aus, die nicht durch Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG gedeckt sind (BGHZ 30, 133 ff [139]).
2. Die Grenze des Namenswahlrechtes beginnt damit dort, wo eine Beeinträchtigung des Kindeswohls droht. Gemessen daran ist die Beurteilung der Namenswahl durch die Vorinstanzen im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden.
a) Die in der Rechtsprechung bisher häufig herangezogene Ordnungsfunktion der Namensgebung kann nach den oben aufgezeigten Maßstäben nur dann noch von Bedeutung sein, wenn wegen der fehlenden Individualisierung und fehlenden Kennzeichnung der einzelnen Persönlichkeit ein Schaden für die Entwicklung und Lebensgestaltung wahrscheinlich ist, weil sich der Namensträger nicht als einzelne Person, als Individuum, sondern nur als Teil einer Gruppe von den eigenen Eltern und seiner übrigen Welt wahrgenommen sieht oder der Name zu erheblichen Belästigungen seines Trägers führt. Dies gilt umso mehr, als die Vornamensgebung heute weniger familiären Überlieferungen folgt, sondern einerseits modischen Entwicklungen unterworfen ist und andererseits ein Bedürfnis nach individueller Namenswahl erkennen lässt (so schon 1983 das BayObLG zur Namenswahl "Samandu-Bastian", NJW 1984, 1362). Die bisherige Rechtsprechung, die grundsätzlich Familiennamen als Vornamen ablehnte, kann damit im Rahmen der Kindeswohlprüfung in den verfassungsrechtlich gezogenen Grenzen noch sinnvolle Kriterien liefern. Die Gefahr der Verwechslung mit dem wirklichen Familiennamen haben bereits das Bayerische Oberste Landesgericht und die Oberlandesgerichte Celle und Hamburg nur gesehen für die Verwendung offensichtlicher Familiennamen, was zur Beurteilung der Namen "Wannek", "Adermann", "Timpe" und "Lafayette" als mögliche Vornamen führte (BayObLG StAZ 1992, 72; StAZ 1991, 313; OLG Hamburg StAZ 1980, 193; OLG Celle StAZ 1992, 378). Bei einem Namen, mit dem die Allgemeinheit nicht die Vorstellung eines typischen Familiennamens verbindet, besteht die Gefahr der Verwechslung mit dem wirklichen Familiennamen oder die Gefahr des Anscheins eines Doppelnamens nicht. Es kommt dabei nicht auf die Gebräuchlichkeit des Vornamens an, es reicht vielmehr, dass die Bezeichnung als Vorname denkbar ist und dem jeweiligen Sprachempfinden nicht widerspricht (BayObLG StAZ 1992, 72; OLG Karlsruhe StAZ 1986, 286). Da eine Gebräuchlichkeit erst eintreten kann, wenn zuvor ein Gebrauch zugelassen worden ist, und das weitzufassende Wahlrecht der Eltern sich legitimerweise an einer zunehmenden Internationalisierung, aber auch Individualisierung bei der Vornamensgebung orientiert, ist dieses Kriterium regelmäßig als zu eng zu erachten, vielmehr ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob eine etwaige Ungebräuchlichkeit zu einer Beeinträchtigung des Namensträgers führt.
b) Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen ist davon auszugehen, dass der Vorname "Anderson", auch wenn er in Deutschland als Familienname nicht ungebräuchlich ist, als Vorname erkannt werden kann. Nach der Stellungnahme der Namensberatungsstelle der Universität Leipzig, Gesellschaft für Namenskunde e.V., vom 2.10.2001 handelt es sich bei dem Namen Anderson um einen patronymischen Beinamen oder Vatersnamen, der aus dem Vornamen "Andreas" und "-son" gebildet und im Sinne von "Sohn des Andreas" gebraucht wurde. In der Regel werden diese Namen nicht als Vornamen getragen, aber es gibt einige Namen dieses Typs, die sich in Deutschland als männliche Vornamen durchgesetzt haben, wie beispielsweise Petersen, Johnson, Jonasson, Robinson und Nilsson. Der Name Anderson sei im englischen und la-tein-amerikanischen Sprachraum als männlicher Vorname belegt. Diese Beurteilung wird bestätigt durch die Aufnahme des Namen Anderson in das Internationale Handbuch der Vornamen (Frankfurt am Main 1986, Seite 26) und die Informationen der Social Security Administration für die "Most popular names for births in the United States 2004", aus denen sich ergibt, dass der Vorname Anderson in den Vereinigten Staaten seit 1900 gebräuchlich ist und auf einer Rangliste des Jahres 2004 aller männlichen Vornamen auf Platz 594 rangiert. Auch die im deutschen Sprachraum nahe liegende klangliche Assoziation an bekannte männliche Vornamen wie Anders, André, Andreas, Andrej, Andres, Andries lässt auf die Erkennbarkeit dieses Namens als Vornamen schließen. Insbesondere in der Kombination mit den bekannten männlichen Vornamen Bernd und Peter erscheint eine Verwechslung mit einem Familiennamen wenig wahrscheinlich, auch nicht der Anschein eines Doppelnamens.
c) Da danach die Verwechslungsgefahr nicht als sehr groß zu bewerten ist, auch im deutschen Sprachraum eine Erkennbarkeit als männlicher Name gegeben ist und eine verunglimpfende Auswirkung auf den Namensträger wegen der Assoziation mit bekannten männlichen Vornamen nach vorliegenden Erkenntnissen ausgeschlossen erscheint, erscheint die Namenswahl nicht als verantwortungslos und wurde vom Landgericht zu Recht nicht beanstandet.
Nachdem die Beteiligte zu 4 auch in der Rechtsbeschwerdeinstanz unterlegen ist, war ihr gem. § 13 a Abs. 1 FGG die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der übrigen Beteiligten für das gesamte Verfahren der weiteren Beschwerde einschließlich der durch die Zurückverweisung an das Landgericht und die erneute Entscheidung des Landgerichts entstandenen Kosten aufzuerlegen.
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1 Referenzen - Gesetze

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(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinsc

Annotations

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.