Oberlandesgericht Köln Beschluss, 26. Aug. 2016 - 1 RVs 186/16
Gericht
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 1. kleinen Strafkammer des Landgerichts Aachen vom 07.01.2016 wird als unbegründet verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Rechtsmittels.
1
Gründe:
2I.
3Durch Urteil des Amtsgerichts Jülich vom 03.08.2015 wurde der Angeklagte wegen Störung öffentlicher Betriebe zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15,00 € verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Berufung hat die 1. kleine Strafkammer des Landgerichts Aachen verworfen.
4Zur Sache hat die Strafkammer folgende Feststellungen getroffen:
5„Am 01.08.2014 beteiligte sich der Angeklagte an einem so genannten Aktionstag von Klimaaktivisten. Um seinen Unmut gegen die Braunkohleförderung und -verbrennung im Rheinischen Revier zum Ausdruck zu bringen, betrat der Angeklagte mit mindestens einem unbekannt gebliebenen Mittäter und zwei weiteren Personen gegen 10.00 Uhr in O unweit des Kohlebunkers bei F die Gleise der Privatbahnstrecke der S AG, die den von dieser betriebenen Tagebau I mit den ebenfalls von ihr betriebenen Kraftwerken und Brikettfabriken im S2-Kreis verbindet. Von unbekannt gebliebenen Personen aus dieser Gruppe wurde zunächst an zwei Stellen der Gleisschotter auf einem kurzen Gleisstück der Gleisanlagen beseitigt.
6Nach dieser sogenannten Ausschotterung kettete sich der Angeklagte – möglicherweise mit Hilfe anderer Personen aus der Gruppe – an das östliche Gleis zwischen BW 152 und BW 154 auf Höhe Kilometer 2,4 derart an, dass seine Arme innerhalb eines Stahlrohres gefesselt waren und auch die eingesetzten polizeilichen Kräfte den Angeklagten zunächst von den Gleisen nicht entfernen konnten. Innerhalb des Stahlrohres waren Gipsfesseln angelegt, woran eine kleine Kette mit einem Schloss befestigt war. Die ausgebreiteten Arme befanden sich in einem rechten Winkel. Das Rohr hatte etwa eine Länge von 50-60 cm. Neben dem Angeklagten kettete sich eine unbekannt gebliebene Person an das westliche Gleis in gleicher Weise an. Auf Nachfrage gab der Angeklagte gegenüber den eingesetzten Polizeibeamten an, sich nicht befreien zu können und zu wollen, dies sei auch nicht die einzige Aktion an diesem Tag.
7Durch die Ankettung des Angeklagten wurde der Schienen- und Bahnverkehr der S – wie von dem Angeklagten gewollt – behindert. Die Firma S hielt sofort viertelstündlich fahrende Bahnen mit mehreren Tonnen Kohle zurück, was zu einer schnellen Erschöpfung der Lagerungskapazitäten der Kraftwerke führen kann. Erst nach Hinzuziehung der technischen Einsatzeinheit L konnte der Angeklagte mittels technischer Hilfsmittel gegen 11:45 Uhr von den Gleisen gelöst werden. Zu einer tatsächlichen Erschöpfung der Lagerungskapazitäten und einer damit einhergehenden Betriebsunterbrechung der Kraftwerke im S2-Kreis ist es jedoch nicht gekommen.“
8Gegen dieses Urteil richtet sich die mit der Verletzung materiellen Rechts begründete Revision des Angeklagten, mit welcher er beantragt, das Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.
9II.
10Das statthafte und auch im Übrigen keinen Zulässigkeitsbedenken unterliegende Rechtsmittel hat auch in der Sache keinen Erfolg. Das angefochtene Urteil hält in jeder Hinsicht materiell-rechtlicher Nachprüfung stand.
11Die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen zur Sache tragen insbesondere den Schuldspruch wegen Störung öffentlicher Betriebe gemäß § 316b StGB.
12Die Vorschrift sanktioniert in der vorliegend allein in Betracht kommenden Begehungsvariante des Abs. 1 Nr. 2 die Störung einer der öffentlichen Versorgung mit Kraft dienenden Anlage durch Veränderung einer dem Betrieb dienenden Sache.
13Vom Vorliegen dieser Merkmale hat sich die Kammer in rechtsfehlerfreier Weise überzeugt.
14Sowohl bei der betroffenen Privatbahnstrecke als auch bei den durch die Strecke mit Braunkohle versorgten Kraftwerken der S AG handelt es sich um eine Anlage im Sinne von § 316b Abs. 1 Nr. 2 StGB, weil sie der öffentlichen Versorgung mit Kraft dient. Es kommt hierbei weder auf die Organisationsform noch auf die Eigentumsverhältnisse an. Denn auch private Anlagen genießen den Schutz der Norm, wenn sie der öffentlichen Versorgung dienen, d.h. ein bestimmtes Gebiet regelmäßig beliefern (vgl. Sternberg-Lieben/Hecker in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 316 b Rdnrn. 1 und 4; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 316b Rdnr. 4). Dies ist bei den von der S AG betriebenen Kraftwerken der Fall, was auch die Revision nicht in Frage stellt.
15Indem er sich in der festgestellten Art und Weise an das zuvor an dieser Stelle ausgeschotterte Gleis der Bahnstrecke angekettet hat, hat der Angeklagte im tatbestandlichen Sinne „eine dem Betrieb dienende Sache verändert“ und dadurch „gestört“.
16Unabhängig davon, ob der Angeklagte an der zuvor erfolgten Manipulation der Strecke beteiligt war, erfüllt bereits die Fixierung an die Gleise in der hier vorgenommenen Weise das Merkmal des „Veränderns“ der Anlage. Der Senat teilt die – verfassungsrechtlich unbedenkliche (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.09.2005 – 2 BvR 1656/03 - = NVwZ 2006, 583-585) – Auffassung des OLG Celle (vgl. Urteil v. 12.08.2003 – 22 Ss 86/03 – bei juris), wonach ein „Verändern“ keinen beschädigenden Eingriff in die Sachsubstanz voraussetzt, sondern bereits dann vorliegt, wenn ohne Einwirkung auf die Substanz der Anlage der bisherige Zustand durch einen anderen ersetzt und hierdurch deren Funktionsfähigkeit gemindert wird (Wolters in SK-StGB, 9. Aufl, § 316b, Rdnr. 12; Sternberg-Lieben/Hecker a.a.O., Rdnr. 7). Einen solchen Eingriff stellt auch das Anketten an die Gleisstrecke dar (vgl. OLG Celle, a.a.O, Rdnr. 59).
17Ohne Erfolg wendet der Angeklagte ferner ein, das Landgericht sei zu Unrecht von einer „Störung“ ausgegangen, indem es den Begriff über dessen Wortlaut hinaus ausgedehnt habe. Die Vorschrift des § 316b StGB schützt, anders als der Angeklagte meint, die Anlage in ihrer Gesamtheit und somit auch die für die Versorgung und Bevorratung bestehende Infrastruktur. In deren Betrieb hat der Angeklagte nach den Feststellungen eingegriffen, weil die Güterzüge der S AG das Gleis an der betreffenden Stelle nicht mehr befahren konnten, wodurch die Belieferung der Kraftwerke mit Kohle vorübergehend unterbrochen wurde. Dadurch ist das ordnungsgemäße Funktionieren der Anlage beeinträchtigt worden.
18Dass es tatsächlich noch nicht zu einer Betriebsunterbrechung der Kraftwerke und damit einhergehend zu einer Unterbrechung der Versorgung der Bevölkerung gekommen ist, schließt eine „Störung“ nicht aus. Denn bei § 316b Abs. 1 Nr. 2 StGB handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das generell den Betrieb bestimmter, gemeinschaftswichtigen Zwecken dienender Unternehmen, Einrichtungen oder Anlage gegen störende Eingriffe schützt (Sternberg-Lieben/Hecker a.a.O.; Wolters a.a.O. Rdnrn. 2 und 10). Die tatsächliche Beeinträchtigung der Versorgung der Bevölkerung erfüllt demgegenüber die tatbestandlichen Voraussetzungen des besonders schweren Falles i.S.d. § 316b Abs. 3 S. 2 StGB.
19Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
Annotations
(1) Wer den Betrieb
- 1.
von Unternehmen oder Anlagen, die der öffentlichen Versorgung mit Postdienstleistungen oder dem öffentlichen Verkehr dienen, - 2.
einer der öffentlichen Versorgung mit Wasser, Licht, Wärme oder Kraft dienenden Anlage oder eines für die Versorgung der Bevölkerung lebenswichtigen Unternehmens oder - 3.
einer der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit dienenden Einrichtung oder Anlage
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter durch die Tat die Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern, insbesondere mit Wasser, Licht, Wärme oder Kraft, beeinträchtigt.
(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.
(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.
(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.
(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.
(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.
(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag
- 1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder - 2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.