Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 24. Mai 2016 - 6 WF 115/16
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers vom 07.04.2016 wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Gelsenkirchen vom 30.03.2016 (101 F 170/15) dahin abgeändert, dass die dem Antragsteller aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 901,07 € festgesetzt werden.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
1
Gründe:
3I.
4Der Antragsteller wurde dem Kindesvater im Rahmen der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe als Rechtsanwalt in einem Sorgerechtsverfahren beigeordnet. Die Kindesmutter hatte einen Antrag gestellt, ihr das alleinige Sorgerecht für das gemeinsame Kind M zu übertragen. Der Antragsteller beantragte schriftsätzlich für den Kindesvater, den Antrag der Kindesmutter zurückzuweisen. Mit Bericht vom 25.01.2016 regte das Jugendamt an, das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge, das Recht zur Antragstellung auf Leistungen nach dem SGB und die Sorge in schulischen Angelegenheiten auf die Kindesmutter zu übertragen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht am 10.02.2016 erörterten die Kindeseltern unter Mitwirkung ihrer jeweiligen Verfahrensbevollmächtigten und die Vertreterin des Jugendamtes die Möglichkeit, einzelne Teilbereiche des Sorgerechts auf die Kindesmutter zur alleinigen Ausübung zu übertragen. Der Antragsteller erklärte für den Kindesvater dessen Einverständnis hinsichtlich der Teilbereiche Gesundheitsfürsorge, Antragstellung nach dem SGB und schulische Angelegenheiten, widersprach aber einer Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Kindesmutter zur alleinigen Ausübung. Nach weiteren Erörterungen verpflichteten sich die Kindeseltern, sich mit der Vertreterin des Jugendamtes in Verbindung zu setzen, um eine Umgangsregelung für das Kind zu erarbeiten. Sie erklärten außerdem ihr Einvernehmen, dass Teilbereiche des elterlichen Sorgerechts entsprechend der Anregung im Bericht des Jugendamtes vom 25.01.2016 auf die Kindesmutter zur alleinigen Ausübung übertragen werden sollten. Die Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter erklärte abschließend, dass eine vollständige Übertragung des gesamten Sorgerechtes zumindest derzeit nicht weiter verfolgt werde. Durch Beschluss vom 16.02.2016 übertrug das Amtsgericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge, das Recht zur Antragstellung auf Leistungen nach dem SGB sowie den Bereich der schulischen Angelegenheiten auf die Kindesmutter zur alleinigen Ausübung und verwies in der Begründung seiner Entscheidung auf § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB.
5Unter dem 12.02.2016 hat der Antragsteller beantragt, seine Vergütung als beigeordneter Rechtsanwalt auf 901,07 € festzusetzen. Ausgehend von einem Verfahrenswert von 3.000,00 € hat er eine 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG, eine 1,2 Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV-RVG sowie eine 1,0 Einigungsgebühr nach Nr. 1000, 1003 VV-RVG zuzüglich einer Pauschale für Post-und Telekommunikationsdienstleistungen, Fahrtkosten, einem Abwesenheitsgeld sowie der gesetzlichen Umsatzsteuer angesetzt. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat durch Entscheidung vom 26.02.2016 die Vergütung auf 661,88 € festgesetzt. Die geltend gemachte Einigungsgebühr ist mit der Begründung abgesetzt worden, dass die Kindeseltern keinen Vergleich geschlossen hätten, sondern die Kindesmutter lediglich auf die Übertragung des gesamten Sorgerechts verzichtet habe. Der hiergegen gerichteten Erinnerung des Antragstellers vom 15.03.2016 hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 30.03.2016 „nicht abgeholfen“. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 07.04.2016.
6II.
7Die gemäß §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 RVG zulässige Beschwerde hat Erfolg. Zu Gunsten der Beteiligten ist antragsgemäß ein Betrag von 901,07 € festzusetzen. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist eine Einigungsgebühr entstanden.
8Gemäß Nr. 1000 Abs. 1, 1003 VV-RVG entsteht die Einigungsgebühr für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht.
9Der Vertrag kann grundsätzlich auch stillschweigend geschlossen werden und ist nicht formbedürftig, sofern dies materiell-rechtlich nicht besonders vorgeschrieben ist (BGH NJW 2007, 2187). Die Einigungsgebühr nach Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 RVG-VV soll die frühere Vergleichsgebühr des § 23 BRAGO ersetzen und gleichzeitig inhaltlich erweitern. Während die Vergleichsgebühr nach § 23 BRAGO durch Verweisung auf § 779 BGB ein gegenseitiges Nachgeben voraussetzte, soll die Einigungsgebühr jegliche vertragliche Beilegung eines Streits der Parteien honorieren und dadurch einen Anreiz schaffen, diesen Weg der Erledigung eines Rechtsstreits zu beschreiten. Durch den Wegfall der bis dahin geltenden Voraussetzung des gegenseitigen Nachgebens wird insbesondere der in der Vergangenheit häufig ausgetragene Streit darüber vermieden, welche Abrede noch und welche nicht mehr als gegenseitiges Nachgeben zu bewerten ist (BT-Drucks. 15/1971, S. 147, 204). Unter der Geltung des RVG kommt es deswegen nicht mehr auf einen Vergleich im Sinne von § 779 BGB, sondern nur noch auf eine Einigung an (BGH NJW 2007, 2187; Hartmann, Kostengesetze 46. Auflage 2016, Nr. 1000 VV RVG Rn. 5 und 9; Gerold/Schmidt-Müller-Rabe, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 22. Auflage 2015, Nr. 1000 VV RVG Rn. 55). Durch die zusätzliche Gebühr soll die mit der Einigung verbundene Mehrbelastung und erhöhte Verantwortung des beteiligten Rechtsanwalts vergütet werden; zudem soll die Belastung der Gerichte gemindert werden. Die Einigungsgebühr entsteht demnach nur dann nicht, wenn der von den Beteiligten geschlossene Vertrag das Anerkenntnis der gesamten Forderung durch den Schuldner oder den Verzicht des Gläubigers auf den gesamten Anspruch ausschließlich zum Inhalt hat (BGH NJW-RR 2007, 359; Gerold/Schmidt-Müller-Rabe, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 22. Auflage 2015, Nr. 1000 VV RVG Rn. 49).
10Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen einer Einigungsgebühr vor. Die Kindeseltern haben sich während der Erörterungen im Termin vor dem Amtsgericht darauf verständigt, dass einzelne Teilbereiche der elterlichen Sorge auf die Kindesmutter zur alleinigen Ausübung übertragen werden sollten. Ein einseitiger Verzicht der Kindesmutter kann darin nicht gesehen werden, weil sie im Verfahren zunächst umfassend die Alleinsorge begehrt und der Kindesvater zunächst den Fortbestand der gemeinsamen elterlichen Sorge und während der Erörterungen auch noch den Fortbestand des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts angestrebt hatte. Da sich die Kindeseltern – auch mit Absichtserklärungen zum Umgangsrecht – in ihren gegensätzlichen Positionen zum Sorgerecht annäherten, liegt eine Vereinbarung der Kindeseltern und nicht lediglich ein einseitiger Verzicht der Kindesmutter vor. Mit dieser Vereinbarung haben die Kindeseltern auch den Streit über die Ungewissheit eines Rechtsverhältnisses im Sinne der Nr. 1000 Abs. 1 S. 1 VV-RVG beseitigt, weil sie einvernehmlich geregelt haben, dass weder die Kindesmutter die Übertragung der gesamten elterlichen Sorge auf sich beansprucht noch es bei einer gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge in allen Bereichen bleibt, wie dies ursprünglich der Kindesvater angestrebt hat. Die einschränkende Erklärung der Verfahrensbevollmächtigten der Kindesmutter, wonach „derzeit“ keine weitergehende Sorgerechtsübertragung angestrebt werde, steht einer Beseitigung der Ungewissheit nicht entgegen. Dieser Vorbehalt ergibt sich bereits aus § 1696 Abs. 1 S. 1 BGB, der eine Änderung von gerichtlichen Entscheidungen und gerichtlich gebilligten Vergleich zum Sorge- oder Umgangsrecht regelt. Die Entscheidung des Amtsgerichts zum Sorgerecht folgt auch der Einigung der Kindeseltern, was sich bereits aus dem Verweis auf § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB ergibt.
11Insgesamt können die Beteiligten einen Betrag von 901,07 € beanspruchen:
121,3 Verfahrensgebühr, Wert 3.000 € 261,30 €
131,2 Terminsgebühr, Wert 3.000 € 241,20 €
141,0 Einigungsgebühr, Wert 3.000 € 201,00 €
15Auslagenpauschale 20,00 €
16Fahrtkosten 8,70 €
17Abwesenheitsgeld 25,00 €
18------------------------------------------------------------------------------------------------------------
19Zwischensumme 757,20 €
20Umsatzsteuer 143,87 €
21------------------------------------------------------------------------------------------------------------
22Summe 901,07 €
23Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 56 Abs. 2 S. 2, 3 RVG.
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(1) Leben Eltern nicht nur vorübergehend getrennt und steht ihnen die elterliche Sorge gemeinsam zu, so kann jeder Elternteil beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein überträgt. Dem Antrag ist stattzugeben, soweit
- 1.
der andere Elternteil zustimmt, es sei denn, das Kind hat das 14. Lebensjahr vollendet und widerspricht der Übertragung, oder - 2.
zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht.
(2) Leben Eltern nicht nur vorübergehend getrennt und steht die elterliche Sorge nach § 1626a Absatz 3 der Mutter zu, so kann der Vater beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein überträgt. Dem Antrag ist stattzugeben, soweit
- 1.
die Mutter zustimmt, es sei denn, die Übertragung widerspricht dem Wohl des Kindes oder das Kind hat das 14. Lebensjahr vollendet und widerspricht der Übertragung, oder - 2.
eine gemeinsame Sorge nicht in Betracht kommt und zu erwarten ist, dass die Übertragung auf den Vater dem Wohl des Kindes am besten entspricht.
(3) Ruht die elterliche Sorge der Mutter nach § 1751 Absatz 1 Satz 1, so gilt der Antrag des Vaters auf Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach § 1626a Absatz 2 als Antrag nach Absatz 2. Dem Antrag ist stattzugeben, soweit die Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater dem Wohl des Kindes nicht widerspricht.
(4) Den Anträgen nach den Absätzen 1 und 2 ist nicht stattzugeben, soweit die elterliche Sorge auf Grund anderer Vorschriften abweichend geregelt werden muss.
(1) Über Erinnerungen des Rechtsanwalts und der Staatskasse gegen die Festsetzung nach § 55 entscheidet das Gericht des Rechtszugs, bei dem die Festsetzung erfolgt ist, durch Beschluss. Im Fall des § 55 Absatz 3 entscheidet die Strafkammer des Landgerichts. Im Fall der Beratungshilfe entscheidet das nach § 4 Absatz 1 des Beratungshilfegesetzes zuständige Gericht.
(2) Im Verfahren über die Erinnerung gilt § 33 Absatz 4 Satz 1, Absatz 7 und 8 und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Entscheidung über die Erinnerung § 33 Absatz 3 bis 8 entsprechend. Das Verfahren über die Erinnerung und über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
(1) Ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird (Vergleich), ist unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vertrags als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde.
(2) Der Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis steht es gleich, wenn die Verwirklichung eines Anspruchs unsicher ist.
(1) Eine Entscheidung zum Sorge- oder Umgangsrecht oder ein gerichtlich gebilligter Vergleich ist zu ändern, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist. Entscheidungen nach § 1626a Absatz 2 können gemäß § 1671 Absatz 1 geändert werden; § 1671 Absatz 4 gilt entsprechend. § 1678 Absatz 2, § 1680 Absatz 2 sowie § 1681 Absatz 1 und 2 bleiben unberührt.
(2) Eine Maßnahme nach den §§ 1666 bis 1667 oder einer anderen Vorschrift des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die nur ergriffen werden darf, wenn dies zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung oder zum Wohl des Kindes erforderlich ist (kindesschutzrechtliche Maßnahme), ist aufzuheben, wenn eine Gefahr für das Wohl des Kindes nicht mehr besteht oder die Erforderlichkeit der Maßnahme entfallen ist.
(3) Eine Anordnung nach § 1632 Absatz 4 ist auf Antrag der Eltern aufzuheben, wenn die Wegnahme des Kindes von der Pflegeperson das Kindeswohl nicht gefährdet.
(1) Leben Eltern nicht nur vorübergehend getrennt und steht ihnen die elterliche Sorge gemeinsam zu, so kann jeder Elternteil beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein überträgt. Dem Antrag ist stattzugeben, soweit
- 1.
der andere Elternteil zustimmt, es sei denn, das Kind hat das 14. Lebensjahr vollendet und widerspricht der Übertragung, oder - 2.
zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht.
(2) Leben Eltern nicht nur vorübergehend getrennt und steht die elterliche Sorge nach § 1626a Absatz 3 der Mutter zu, so kann der Vater beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein überträgt. Dem Antrag ist stattzugeben, soweit
- 1.
die Mutter zustimmt, es sei denn, die Übertragung widerspricht dem Wohl des Kindes oder das Kind hat das 14. Lebensjahr vollendet und widerspricht der Übertragung, oder - 2.
eine gemeinsame Sorge nicht in Betracht kommt und zu erwarten ist, dass die Übertragung auf den Vater dem Wohl des Kindes am besten entspricht.
(3) Ruht die elterliche Sorge der Mutter nach § 1751 Absatz 1 Satz 1, so gilt der Antrag des Vaters auf Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach § 1626a Absatz 2 als Antrag nach Absatz 2. Dem Antrag ist stattzugeben, soweit die Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater dem Wohl des Kindes nicht widerspricht.
(4) Den Anträgen nach den Absätzen 1 und 2 ist nicht stattzugeben, soweit die elterliche Sorge auf Grund anderer Vorschriften abweichend geregelt werden muss.
(1) Über Erinnerungen des Rechtsanwalts und der Staatskasse gegen die Festsetzung nach § 55 entscheidet das Gericht des Rechtszugs, bei dem die Festsetzung erfolgt ist, durch Beschluss. Im Fall des § 55 Absatz 3 entscheidet die Strafkammer des Landgerichts. Im Fall der Beratungshilfe entscheidet das nach § 4 Absatz 1 des Beratungshilfegesetzes zuständige Gericht.
(2) Im Verfahren über die Erinnerung gilt § 33 Absatz 4 Satz 1, Absatz 7 und 8 und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Entscheidung über die Erinnerung § 33 Absatz 3 bis 8 entsprechend. Das Verfahren über die Erinnerung und über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.