Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 26. Aug. 2013 - 14 UF 92/13

Gericht
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Detmold vom 21.05.2013 (Akz.: 31 F 83/13) abgeändert.
Der Antragstellerin wird die eheliche Wohnung im Hause T-Str. in ##### T2, bestehend aus Küche, Wohnzimmer, Essraum, Gästetoilette im Erdgeschoss, Schlafraum, Ankleidezimmer, Bad und Kinderzimmer im Dachgeschoß sowie Keller, bestehend aus Waschküche, Dusche, Heizungsraum, zwei Kellerräumen sowie Gartenfläche nebst Carport zur alleinigen Nutzung zugewiesen.
Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird angeordnet.
Die gerichtlichen Kosten werden den Beteiligten je zur Hälfte auferlegt. Die außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000,- € festgesetzt.
1
Gründe:
2I.
3Die seit dem 24.05.2006 verheirateten und seit dem 23.12.2012 getrennt lebenden Beteiligten streiten sich um die Zuweisung einer vor der Trennung von ihnen gemeinsam als Ehewohnung genutzten Immobilie in der T-Str. in ##### T2, die sie im Dezember 2004 zu hälftigen Miteigentum erwarben. Bei der Immobilie handelt es sich um ein Einfamilienhaus, das im Keller, der einen eigenen Zugang hat, über eine Küche, eine Dusche, eine Waschküche, einen Heizungskeller und zwei weitere Kellerräumlichkeiten verfügt. Aus der Ehe der Beteiligten sind keine gemeinsamen Kinder hervorgegangen. Die Antragstellerin brachte ihre am ####1997 geborene Tochter M und ihren am ####2000 geborenen Sohn M2 mit in die Ehe, mit denen sie nach dem Auszug des Antragsgegners im Dezember 2012 die streitgegenständliche Immobilie alleine bewohnt. Der Antragsgegner bewohnt zurzeit eine von ihm angemietete Wohnung im Keller eines Einfamilienhauses.
4Zwischen M und dem Antragsgegner kam es in der Vergangenheit wiederholt zu Auseinandersetzungen, deren Umfang und Ausmaß zwischen den Beteiligten streitig sind. Nach einem Streit zwischen dem Antragsgegner und M im September 2012 zog M im Zeitraum von September 2012 bis zum 23.12.2013 bei ihrem leiblichen Vater ein. Eine von den Beteiligten gemeinsam mit M begonnene Familientherapie wurde abgebrochen. Nach dem Auszug des Antragsgegners am 23.12.2012 zog sie wieder bei der Mutter ein.
5Die Antragstellerin hat behauptet, dass M im September 2012 vom Antragsgegner geschlagen worden sei. Der Antragsgegner habe angedroht, die Türen aufzubrechen und die Kellerräumlichkeiten in Besitz zu nehmen.
6Der Antragsgegner hat behauptet, dass M ihn bei dem Vorfall im September 2012 geschlagen und getreten habe, nachdem er versucht habe, ihr die Fernbedienung für den Fernseher wegzunehmen. Im Rahmen dieser Auseinandersetzung sei es zu einem Abwehrreflex seinerseits gekommen.
7Wegen des weiteren Vortrages der Beteiligten nimmt der Senat Bezug auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung.
8Das Amtsgericht hat für die Zeit der Trennung der Antragstellerin das erste Obergeschoss und das Erdgeschoss, der Ehewohnung dem Antragsgegner im Kellergeschoss die Kellerräume 1 und 2 und den Duschraum, sowie beiden Beteiligten zur gemeinsamen Nutzung im Keller Flur und Waschküche, zugewiesen und der Antragstellerin aufgegeben, die dem Antragsgegner zugesprochenen Räumlichkeiten zu räumen und an ihn herauszugeben. Die Überlassung der Räumlichkeiten im ersten Obergeschoss und im Erdgeschoss an die Antragstellerin sei ausreichend, um eine unbillige Härte zu vermeiden. Eine Zuweisung auch des Kellergeschosses bedürfe es nicht, da dieses über einen eigenen Eingang verfüge und deshalb Berührungspunkte zwischen den Beteiligten im Haus nicht gegeben seien.
9Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages ihren auf Zuweisung der gesamten Ehewohnung gerichteten Antrag weiterverfolgt. Durch die vom Amtsgericht vorgenommene Aufteilung seien Begegnungen nicht zu vermeiden. M leide seit dem Vorfall im September 2012, bei dem der Antragsgegner ihr die Lippe blutig geschlagen habe, unter psychosomatischen Beschwerden. Das Jugendamt sei fehlerhaft nicht angehört worden.
10Die Antragstellerin beantragt,
11den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Detmold vom 21.05.2013 aufzuheben und der Antragstellerin die eheliche Wohnung im Haus T-Str. in ##### T2, bestehend aus Küche, Wohnzimmer, Essraum, Gästetoilette im Erdgeschoss, Schlafraum, Ankleidezimmer, Bad und Kinderzimmer im Dachgeschoss sowie Keller, bestehend aus Waschküche, Dusche, Heizungsraum, zwei Kellerräumen sowie Gartenflächen nebst Carport zur alleinigen Nutzung zuzuweisen.
12Der Antragsgegner beantragt,
13die Beschwerde zurückzuweisen.
14Der Antragsgegner verteidigt den angefochtenen Beschluss. Die Beteiligten hätten bis zum Auszug des Antragsgegners im Dezember 2012 ohne M harmonisch im Haus zusammen gewohnt. Die von ihm angemietete Wohnung müsse er in Kürze aufgrund eines Wasserschadens verlassen und bei Freunden unterkommen.
15Der Senat hat die zuständige Mitarbeiterin des Jugendamtes der Stadt Detmold, Frau K, angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf den Berichterstattervermerk vom 26.08.2013 verwiesen.
16II.
17Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
18Die Antragstellerin hat aus § 1361 b BGB einen Anspruch auf alleinige Zuweisung der vormals von den Beteiligten als gemeinsame Ehewohnung bewohnten Immobilie in der T-Str. in T2.
19Nach dieser Vorschrift kann ein Ehegatte von dem anderen Ehegatten im Falle der Trennung verlangen, dass ihm der andere die Ehewohnung oder Teile der Ehewohnung zur alleinigen Nutzung überlässt, soweit dies auch unter Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten notwendig ist, um eine unbillige Härte zu vermeiden, wobei eine unbillige Härte auch dann gegeben sein kann, wenn das Wohl von im Haushalt lebenden Kinder beeinträchtigt ist.
20Vorliegend ist zur Vermeidung einer unbilligen Härte die Zuweisung der gesamten Ehewohnung an die Antragstellerin erforderlich.
21Der Begriff „Ehewohnung“ in § 1361 b BGB ist weit auszulegen und umfasst alle zu Wohnzwecken geeigneten Räume, die die Ehepartner gemeinsam bewohnt haben, einschließlich Nebenräumen wie den Keller, sofern sie – wie vorliegend – auch zum Wohnen benutzt werden (Johannsen/Heinrich/Götz, Familienrecht, 5. Auflage, § 1361 b BGB Rn. 8).
22Die Eigenschaft der Immobilie als Ehewohnung wird nicht dadurch aufgehoben, dass sich ein Ehepartner wegen der ehelichen Spannungen zum Verlassen der Wohnung veranlasst sieht, sondern erst dann, wenn der Ehepartner, der die Wohnung verlassen hat, die Wohnung endgültig aufgibt (Johannsen/Heinrich/Götz, Familienrecht, 5. Auflage, § 1361 b BGB Rn. 11). Der Antragsgegner hatte unstreitig nach seinem Auszug im Dezember 2012 die nie aufgegebene Absicht, wieder in die streitgegenständliche Immobilie einzuziehen.
23Voraussetzung für die Zuweisung der Ehewohnung an einen Ehepartner ist eine unbillige Härte, welche neben den Fällen angedrohter oder ausgeübter Gewalt auch solche außergewöhnlichen Umstände umfasst, die auch bei Berücksichtigung der Interessen des anderen Ehepartners dessen Verbleib in der Wohnung für die Antragstellerin zu einer unerträglichen Belastung werden lassen (Johannsen/Heinrich/Götz, Familienrecht, 5. Auflage, § 1361 b BGB Rn. 14). Zwar ist eine Wohnungszuweisung zum Schutz eines Kindes vor Gewalt weder nach § 1361 b BGB noch nach dem Gewaltschutzgesetz gerechtfertigt, doch können Gewalttätigkeiten gegenüber Kindern im Rahmen der Billigkeitsabwägung nach § 1361 b Abs.1 BGB, im Rahmen derer eine Gesamtabwägung stattzufinden hat, zu berücksichtigen sein (Johannsen/Heinrich/Götz, Familienrecht, 5. Auflage, § 1361 b BGB Rn. 2). Vorliegend kann dahinstehen bleiben, ob der Antragsgegner - wie von der Antragstellerin behauptet - M bei der Auseinandersetzung im September 2012 geschlagen hat. Denn gesundheitliche oder seelische Störungen bei Kindern können nicht nur bei tätlichen Auseinandersetzungen, sondern auch durch eine - hier unstreitig vorliegende - spannungsgeladene Atmosphäre ausgelöst werden. Das Verhältnis zwischen dem Antragsgegner und insbesondere M ist hoch konfliktbeladen. Sie - wie auch der Sohn der Antragstellerin, M2, - fühlen sich durch den Antragsgegner kontrolliert, was ein Zusammenleben der Beteiligten ausweislich der Stellungnahme der Mitarbeiterin des Jugendamtes der Stadt T2, Frau K sehr schwierig macht. Ist ein erträgliches Zusammenleben der Familie unter einem Dach nicht mehr möglich, hat das Interesse der Kinder – auch der nicht gemeinschaftlichen Stiefkinder – an einer geordneten, ruhigen und entspannten Familiensituation Vorrang (Johannsen/Heinrich/Götz, Familienrecht, 5. Auflage, § 1361 b BGB Rn. 16 m.w.N. aus der obergerichtlichen Rechtsprechung). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der finanziell gut gestellte Antragsgegner, der sich nicht um die Kinder kümmern muss, eher in der Lage ist, sich Ersatzwohnraum zu beschaffen und die Nachteile eines Wohnungswechsels in Kauf zu nehmen, als die Antragstellerin, die die Kinder betreut und auch deren Bedürfnissen Rechnung zu tragen hat. Er bewohnt derzeit auch eine von ihm angemietete Wohnung in den Kellerräumlichkeiten eines Einfamilienhauses. Ein Wasserschaden in dieser Wohnung wird zurzeit von einer Fachfirma behoben.
24Eine Aufteilung der ehelichen Wohnung in der Weise, dass den Beteiligten unterschiedliche Teilbereiche der Wohnung zugewiesen werden, ist vorliegend nicht möglich. Nach § 1361 b BGB ist in der Regel die gesamte Wohnung zuzuweisen. Eine Aufteilung der Wohnung kann - sofern ein erträgliches Nebeneinander gewährleistet ist - ausnahmsweise dann in Betracht kommen, wenn die Wohnverhältnisse so großzügig bemessen sind, dass mit einem Zusammentreffen der zerstrittenen Beteiligten entweder nicht zu rechnen ist, oder wenn sich die Streitparteien wenigstens im Interesse der Kinder zu arrangieren bereit sind und ein Mindestmaß an gegenseitiger Rücksichtnahme walten lassen (Johannsen/Heinrich/Götz, Familienrecht, 5. Auflage, § 1361 b BGB Rn. 30). Dieses ist vorliegend, auch wenn der Keller des streitgegenständlichen Einfamilienhauses über einen separaten Eingang verfügt, nicht der Fall. Es steht lediglich ein Waschkeller zur Verfügung. Der Antragsgegner möchte den Einzug in den Keller nach seinen Angaben vor dem Senat auch dazu nutzen, den gemeinsamen Hund regelmäßig zu sehen, was zu regelmäßigen Kontakten zwischen den Beteiligten führen würde. Aufgrund des sehr konfliktbeladenen Verhältnisses ist auch nicht damit zu rechnen, dass die Beteiligten nunmehr ein Mindestmaß an gegenseitiger Rücksichtnahme walten lassen werden.
25Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit folgt aus §§ 209 Abs. 2 S. 2, 200 Abs. 1 Nr. 1 FamFG
26Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 FamFG.
27Rechtsbehelfsbelehrung:
28Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Annotations
(1) Das Gericht soll mit der Endentscheidung die Anordnungen treffen, die zu ihrer Durchführung erforderlich sind.
(2) Die Endentscheidung in Ehewohnungs- und Haushaltssachen wird mit Rechtskraft wirksam. Das Gericht soll in Ehewohnungssachen nach § 200 Abs. 1 Nr. 1 die sofortige Wirksamkeit anordnen.
(3) Mit der Anordnung der sofortigen Wirksamkeit kann das Gericht auch die Zulässigkeit der Vollstreckung vor der Zustellung an den Antragsgegner anordnen. In diesem Fall tritt die Wirksamkeit in dem Zeitpunkt ein, in dem die Entscheidung der Geschäftsstelle des Gerichts zur Bekanntmachung übergeben wird. Dieser Zeitpunkt ist auf der Entscheidung zu vermerken.
(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.
(2) Das Gericht soll die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen, wenn
- 1.
der Beteiligte durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat; - 2.
der Antrag des Beteiligten von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Beteiligte dies erkennen musste; - 3.
der Beteiligte zu einer wesentlichen Tatsache schuldhaft unwahre Angaben gemacht hat; - 4.
der Beteiligte durch schuldhaftes Verletzen seiner Mitwirkungspflichten das Verfahren erheblich verzögert hat; - 5.
der Beteiligte einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder über eine sonstige Möglichkeit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung nach § 156 Absatz 1 Satz 3 oder einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einer Beratung nach § 156 Absatz 1 Satz 4 nicht nachgekommen ist, sofern der Beteiligte dies nicht genügend entschuldigt hat.
(3) Einem minderjährigen Beteiligten können Kosten in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, nicht auferlegt werden.
(4) Einem Dritten können Kosten des Verfahrens nur auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft.
(5) Bundesrechtliche Vorschriften, die die Kostenpflicht abweichend regeln, bleiben unberührt.