Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 29. Juli 2010 - L 2 AL 5/10

ECLI:ECLI:DE:LSGST:2010:0729.L2AL5.10.0A
bei uns veröffentlicht am29.07.2010

Tenor

Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld und die Verpflichtung zur Erstattung erhaltener Leistungen und darauf entrichteter Sozialversicherungsbeiträge wegen der Aufnahme einer nicht mehr geringfügigen Beschäftigung.

2

Der am 1944 geborene Kläger war in der Vergangenheit unter anderem als Meister, Montagehelfer und Wachmann und in verschiedenen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen tätig. Er bezog ab dem 1. Juli 2003 Arbeitslosengeld, das die Beklagte für 360 Tage nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 270,98 Euro (im Jahr 2003 wöchentlicher Leistungssatz 119,42 Euro, täglicher Leistungssatz 17,06 Euro; im Jahr 2004 wöchentlicher Leistungssatz 121,59 Euro, täglicher Leistungssatz 17,37 Euro) bewilligte und auszahlte. Für den Zeitraum vom 9. Februar 2004 bis 24. Juni 2004 zahlte die Beklagte Arbeitslosengeld in Höhe von 2.379,69 Euro sowie Beiträge zur Sozialversicherung in Höhe von 678,85 Euro.

3

In Folge einer Meldung der K R GmbH (Arbeitgeberin) an die Einzugsstelle erhielt auch die Datenstelle der Beklagten Kenntnis von einer als geringfügig gemeldeten Beschäftigung des Klägers ab dem 9. Februar 2004. Mit Schreiben vom 25. April 2004 informierte die Beklagte ihre örtliche Arbeitsagentur hierüber. Diese bat mit Schreiben an die Arbeitgeberin vom 7. Mai 2004 um die Zusendung von Nebenverdienstbescheinigungen.

4

Am 7. Juni 2004 beantragte der Kläger die Zahlung von Arbeitslosenhilfe ab dem 25. Juni 2004 und gab an, vom 19. Februar 2004 bis zum 15. Mai 2004 als Bote wöchentlich 14 Stunden bei der Arbeitgeberin zu einem Monatsbruttolohn von 165 Euro beschäftigt gewesen zu sein.

5

Die Arbeitgeberin erklärte in den bei der Beklagten eingereichten Nebenverdienstbescheinigungen, dass der Kläger ab dem Februar 2004 wöchentlich nicht mehr als 14,5 Stunden beschäftigt gewesen sei und ihm Erstattungen für Fahrtkosten gewährt worden seien. Der Kläger unterzeichnete die Erklärungen mit seinem Namen.

6

Ab dem 1. Oktober 2004 bezieht der Kläger eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit.

7

Das Hauptzollamt M ersuchte die Beklagte am 14. September 2006 um Auskunft zu den Leistungen an den Kläger: Im Ergebnis einer Durchsuchung bei der Arbeitgeberin seien Stundennachweise sichergestellt worden, aufgrund derer davon auszugehen sei, dass der Kläger ein höheres Arbeitsentgelt erhalten habe, als in den Nebenverdienstbescheinigungen ausgeführt wurde. Die tatsächlich geleisteten Stunden gingen über das Maß von 14,9 Stunden wöchentlich hinaus. Denn es sei nachvollziehbar, dass die Stunden, die über das Maß der Geringfügigkeit hinausgingen, mit fünf Euro je Stunde vergütet und als Kilometervergütung angegeben seien, so dass die tatsächliche Arbeitsstundenzahl verschleiert worden sei. Dies ergebe sich aus den Stundennachweisen für April 2004 und Mai 2004. Für Februar 2004 bis März 2004 seien zwar keine Stundennachweise erstellt worden, es lägen aber vom Bauleiter unterschriebene Einzeltagesnachweise vor. Eine Notiz lasse auch hier die Abrechnungsweise erkennen und nachvollziehbar erscheinen. Im Juni 2004 seien keine Überschreitungen der Geringfügigkeitsgrenze eingetreten, aber die Fahrten von der Wohnung zur Arbeitsstelle und zurück doppelt berücksichtigt worden. Nach der Vernehmungsniederschrift beim Hauptzollamt vom 11. Juni 2007 räumte der Kläger ein, dass die Stundengrenze für eine geringfügige Beschäftigung überschritten worden sei. Die Zeiten seien für ihn unerheblich gewesen, da nach seiner Ansicht der Lohn wichtiger gewesen sei. Er habe nie mehr als 165 Euro monatlich erhalten. Die Nebenverdienstbescheinigungen und die darin bescheinigten Stunden seien ihm egal gewesen. Es sei ihm nicht bekannt gewesen, dass die Bescheinigungen im Büro "passend gemacht" worden seien. Er bereue die Sache. Die Auswirkungen seines Handelns seien ihm nicht bewusst gewesen. Er sei bereit, die eventuellen Überzahlungen an die Beklagte zu erstatten.

8

Mit Schreiben vom 21. Juni 2007 gab die Beklagte dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme zu einer Aufhebung der Bewilligung des Arbeitslosengeldes für den Zeitraum vom 9. Februar 2004 bis 24. Juni 2004 in Höhe von 2.379,69 Euro sowie Beiträgen zur Sozialversicherung in Höhe von 678,85 Euro und deren Erstattung: Der Kläger habe in diesem Zeitraum in einem nicht mehr geringfügigen Beschäftigungsverhältnis gestanden und sei daher nicht arbeitslos gewesen. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger zumindest hätte erkennen können, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld weggefallen sei.

9

Mit Bescheid vom 11. Juli 2007 hob die Beklagte die Bewilligung des Arbeitslosengeldes für den Zeitraum vom 9. Februar 2004 bis 24. Juni 2004 auf und verlangte die Erstattung in Höhe von 2.379,69 Euro sowie von Beiträgen zur Sozialversicherung in Höhe von 678,85 Euro.

10

Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers vom 7. August 2007 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. September 2007 zurück: Es sei anhand der Tagesberichte der Nachweis erbracht worden, dass der Kläger regelmäßig mehr als 15 Stunden wöchentlich gearbeitet habe.

11

Am 12. Oktober 2007 hat der Kläger beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) Klage erhoben, die das SG mit Gerichtsbescheid vom 28. Dezember 2009 abgewiesen hat: Die Klage sei unbegründet, da die Beklagte die Bewilligung des Arbeitslosengeldes im Zeitraum vom 9. Februar 2004 bis 24. Juni 2004 zu Recht aufgehoben habe und eine Erstattung von insgesamt 3.058,54 Euro fordern könne. Der Kläger habe in diesem Zeitraum keinen Anspruch auf das Arbeitslosengeld gehabt, weil er eine Beschäftigung aufgenommen habe, die seine Arbeitslosigkeit beendet habe. Insoweit sei eine nachträgliche Veränderung in den Verhältnissen eingetreten. Der Kläger habe die Beklagte durch die wahrheitswidrige Angabe, nicht mehr als 14,9 Stunden beschäftigt gewesen zu sein, getäuscht, so dass, wenn nicht schon Vorsatz, so doch grobe Fahrlässigkeit vorliege.

12

Gegen den ihm am 30. Dezember 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 10. Januar 2010 Berufung eingelegt: Das SG habe nur die Stundennachweise verwertet. Ihm habe der Geschäftsführer aber mitgeteilt, dass bei der Durchsuchung keine Lohnunterlagen beschlagnahmt worden seien. In seinem Arbeitsvertrag sei genau geregelt, wie hoch die Zahl der Beschäftigungsstunden und die Vergütung gewesen sei. Die Auflistung in den Tagesberichten habe nichts mit seinen geleisteten Stunden zu tun. Er habe das Firmenfahrzeug auch privat nutzen können, aber alle Stunden angegeben. Er bitte, den Fahrtenschreiber und das Fahrtenbuch einzusehen. Seine normale Arbeitszeit in der Woche habe weniger als 15 Stunden betragen. In den Fahrtenbüchern sei ersichtlich, dass alle anderen Stunden ab 23 Uhr bis 3 Uhr gefahren worden seien. Wichtig sei auch, die Lohnzettel einzusehen, da darin der Lohn unterschrieben sei. Alles andere seien nur Vermutungen. Die Tagesberichte seien nur zur Abwesenheit des Fahrzeuges geführt worden, so dass darin nicht stehe, wann die Submission stattgefunden habe. Er habe immer zur Arbeitgeberin zurückkehren müssen. Es sei eine Unterstellung, dass er sofort nach Hause gefahren sei. Die Hin- und Rückfahrt sei ihm nicht als Arbeitszeit vergütet worden. In seiner Freizeit könne er machen, was er wolle. Er bitte, ihm genauestens nachzuweisen, was er zuviel an Lohn erhalten habe.

13

Der Kläger beantragt,

14

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 28. Dezember 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 11. Juli 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2007 aufzuheben.

15

Die Beklagte beantragt,

16

die Berufung zurückzuweisen.

17

Sie führt aus: In den Tagesberichten seien die Zeiten des Arbeitsbeginns und des Beginns der Submission angegeben. Der Kläger sei also von seinem Wohnort zur Arbeitgeberin gefahren, habe die Unterlagen zur Submission entgegengenommen und zur Submission gefahren. Danach sei er zur Arbeitgeberin zurückgefahren und sodann nach Hause zurückgekehrt. An manchen Tagen sei er auch sofort nach Hause zurückgekehrt. Aufgrund der Perforierung der Nebenverdienstbescheinigungen sei davon auszugehen, dass der Kläger die Nebenverdienstbescheinigungen vollständig gesehen, zur Kenntnis genommen und dann unterschrieben habe. Sie gehe davon aus, dass der Kläger somit gemeinsam mit der Arbeitgeberin getäuscht habe. Die Vereinbarungen im Arbeitsvertrag seien unerheblich, da auf die tatsächliche Arbeitszeit abzustellen sei.

18

Die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau 397 Js 24766/07 haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

19

Die Berufung des Klägers ist fristgerecht im Sinne des § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingelegt. Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Berufung nicht nach § 144 Abs. 1 SGG ausgeschlossen.

20

Die Berufung ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 11. Juli 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2007 verletzt den Kläger nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 1 SGG in seinen Rechten.

21

Die Aufhebung des Arbeitslosengeldes ab dem 9. Februar 2004 ist formell und materiell rechtmäßig. Der Kläger ist mit Schreiben von 21. Juni 2007 auch wirksam zu der beabsichtigten Entscheidung angehört worden.

22

Rechtliche Anknüpfung für die Aufhebung der Leistungsbewilligung ist § 48 Abs. 1 S. 1 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) i.V.m. § 330 Abs. 3 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III). Danach ist ein Verwaltungsakt aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. In materieller Hinsicht stand dem Kläger ab dem 9. Februar 2004 kein Anspruch auf Arbeitslosengeld zu. Der Kläger war nicht im Sinne des § 118 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 SGB III arbeitslos, da er eine Beschäftigung in einem Umfang von mehr als 15 Stunden wöchentlich ausübte. Zudem erlosch die Wirkung der Arbeitslosmeldung nach § 122 Abs. 2 Nr. 2 SGB III mit der Aufnahme der Beschäftigung, weil er dies der Beklagten nicht unverzüglich angezeigt hatte.

23

Der Senat geht nach den sichergestellten Beweismitteln davon aus, dass der Kläger am 9. Februar 2004 mit der Arbeitgeberin einen schriftlichen Arbeitsvertrag über einen Pauschallohn von 165 Euro im Monat zuzüglich einer Fahrtkostenentschädigung von 0,27 Euro je km für die Fahrten von R. nach G und zurück bei einer Arbeitszeit von 14,5 Stunden wöchentlich unterzeichnete. Die Arbeitsaufgabe des Klägers bestand darin, als Bote Angebotsunterlagen der Arbeitgeberin für Bauvorhaben im Rahmen einer öffentlichen oder beschränkten Ausschreibung zu übergeben (sog. Submissionstermine). Eine Fahrtkostenerstattung für die Fahrten zu den Submissionen war im Arbeitsvertrag nicht geregelt.

24

Nach der Überzeugung des Senats ist aufgrund der bei der Durchsuchung der Arbeitgeberin sichergestellten Beweismittel erwiesen, dass der Kläger in den Beschäftigungswochen ab Montag dem 9. Februar 2004 (Montag bis Freitag) nicht wie schriftlich niedergelegt 14,5 Stunden, sondern wie folgt beschäftigt war:

25

1. Woche

26,5 Stunden

2. Woche

14,75 Stunden

3. Woche

19,50 Stunden

4. Woche

24,75 Stunden

5. Woche

21,50 Stunden

6. Woche

14,25 Stunden

7. Woche

23,50 Stunden

8. Woche

19,25 Stunden

9. Woche

7,25 Stunden

10. Woche

11,75 Stunden

11. Woche

91,00 Stunden

12. Woche

22,00 Stunden

13. Woche

19,00 Stunden

14. Woche

3,00 Stunden

15. Woche

0 Stunden

16. Woche

0 Stunden

17. Woche

16 Stunden

18. Woche

14,75 Stunden

19. Woche

11,75 Stunden

20. Woche

0 Stunden

26

Die demgegenüber schriftlich formulierte arbeitsvertragliche Regelung vom 9. Februar 2004, dass die Arbeitszeit nur 14,5 Stunden je Woche betragen soll, ist unbeachtlich. Entscheidend für die Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses als geringfügig oder nicht ist nicht die schriftliche Abfassung des Vertrages, sondern wie dieser Vertrag tatsächlich durchgeführt wird.

27

Die eingereichten Nebeneinkommensbescheinigungen mit einer Wochenarbeitszeit von nicht mehr als 14,5 Stunden entsprechen nicht der tatsächlichen Vertragsdurchführung und sind damit wahrheitswidrig erstellt und vom Kläger mitgezeichnet, d.h. akzeptiert worden.

28

Die tatsächliche Zeit der Beschäftigung gemäß der obigen Darstellung ergibt sich aus den bei der Durchsuchung vorgefundenen sog. Tagesberichten, die bei der Arbeitgeberin geführt wurden. Zu deren Inhalt wird ergänzend auf die Bl. 175 ff. der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Nach diesen Tagesberichten ist der Kläger beispielsweise am 9. Februar 2004 von 08.00 Uhr bis 11.45 Uhr als anwesend geführt. Da er in der restlichen Beschäftigungswoche noch am 10. Februar 2004 sechs Stunden abzüglich 0,25 Stunde Pause, am 11. Februar 2004 fünf Stunden mit 0,5 Stunde Pause, am 12. Februar 2004 3,75 Stunden mit 0,25 Stunde Pause und am 13. Februar 2004 acht Stunden mit 0,5 Stunde Pause anwesend gezählt ist, ergibt sich eine tatsächliche Wochenarbeitszeit von 26,50 Stunden. Die Beschäftigungszeit für den restlichen Zeitraum im Februar 2004 lässt sich in gleicher Weise aus den Tagesberichten entnehmen. Mithin ergibt sich für den Februar eine tatsächliche Gesamtarbeitszeit von 60,75 Stunden. Dass die Beschäftigungszeit in den Tagesberichten den Tatsachen entsprechend aufgezeichnet ist und die Beschäftigungszeiten in den Nebenverdienstbescheinigungen falsch sind, wird durch die Berechnung der Arbeitgeberin zur Zahlung der Vergütung erhärtet. Zum Beispiel wird auf der sichergestellten Berechnung der Arbeitgeberin (hierzu wird auf Blatt 188 der Verwaltungsakte verwiesen) deutlich, wie die Vergütung für die tatsächliche Arbeitszeit an die bescheinigte Arbeitszeit durch Aufteilung der Vergütung "angepasst" wurde: Da die für die Beklagte bescheinigte Wochenarbeitszeit im Februar 2004 statt der tatsächlichen 60,75 Stunden nur 43,5 Stunden betragen sollte (3 Wochen x 14,5 Stunden), hat auch die Vergütung nur 123,75 Stunden betragen "dürfen" und ist auch nach der Verdienstbescheinigung so ausgewiesen. Dass der Kläger aber auch für die restliche Zeit tatsächlich wie in den Tagesberichten vermerkt arbeitete, wird daraus deutlich, dass ihm auch für die Differenz eine Entlohnung gewährt wurde. Die Differenz von 17,25 Stunden wurde ihm mit einem Stundensatz von fünf Euro vergütet. Denn aus der Rückrechnung der auf der Nebenverdienstbescheinigung als Fahrtkostenerstattung angegebenen 86,25 Euro ergibt sich durch fünf (Euro) geteilt die Bezahlung für noch 17,25 Stunden, d.h. für die Differenzzeit zwischen den Beschäftigungszeiten nach den Nebenverdienstbescheinigungen und nach den Tagesberichten. Die Differenz ist also wahrheitswidrig nicht als Arbeitszeit in den Nebentätigkeitsbescheinigungen berücksichtigt. Daraus schließt der Senat, dass in den Nebentätigkeitsbescheinigungen jeweils eine Aufteilung nach Entgelt und so bezeichneter Fahrtkostenerstattung vorgenommen wurde, um die tatsächliche Arbeitszeit zu verschleiern. Auch eine weitere Berechnung stützt diese Annahme: Nach dem vereinbarten Pauschalarbeitsentgelt von 165 Euro ergibt sich bei einer schriftlich niedergelegten Wochenarbeitszeit von 14,5 Stunden (x 4) ein "Stundenlohn" von genau 2,844 Euro. Dieser multipliziert mit den bescheinigten Stunden ergibt rechnerisch die Lohnsumme für den Februar 2004 von 123,75 Euro, wie sie in der Nebenverdienstbescheinigung ausgewiesen ist. Mithin ist die weitere in der Nebenverdienstbescheinigung ausgewiesene Zahlung von 86,25 Euro nicht als Ergebnis einer nur allgemein höheren Vergütung oder als Wegstreckenentschädigung zu erklären, sondern wird nur durch die tatsächliche Arbeitszeit entsprechend der internen Aufzeichnungen der Arbeitgeberin nachvollziehbar.

29

In gleicher Weise ging die Arbeitgeberin im Monat März 2004 vor. Die als Lohn deklarierte Vergütung betrug nur 165 Euro und erscheint auch nur so auf der Vergütungsabrechnung. Weitere 137,50 Euro waren in der Nebentätigkeitsbescheinigung als Fahrtkostenerstattung deklariert und ergeben sich aus der als tatsächliche Arbeitszeit erfassten Stundenzahl von 93,50 und den bescheinigten Stunden von 66, d.h. der Differenz von 27,5 Stunden. Die Zahlung von 137,50 Euro ergibt geteilt durch einen Stundensatz von fünf Euro genau 27,50 Stunden über das "zulässige" Maß.

30

Ab April 2004 liegen sodann die sichergestellten dezidierten Anwesenheitslisten vor, aus denen nachvollziehbar wird, dass bei der Abrechnung der Wege von der Wohnung zum Arbeitsplatz tatsächlich die 0,27 Euro je km gewährt werden, aber erneut die über dem "Soll" liegenden Stunden von 11,5 mit einem Stundenhonorar von fünf Euro vergütet wurden. Dies gilt auch für die darauf folgende Beschäftigungszeit.

31

Bei dieser Beweislage können die Einwände des Klägers die Überzeugung des Senats von der Richtigkeit der internen Aufzeichnungen der Arbeitgeberin nicht mehr erschüttern. Die Auflistung in den Tagesberichten gibt die Abwesenheit und damit auch die Beschäftigungszeit wieder. Auf die Aufzeichnungen in Fahrtenschreibern bzw. im Fahrtenbuch kommt es zur Feststellung des Umfangs der Arbeitszeit des Klägers nicht allein an. Die Hin- und Rückfahrt zu den Submissionsterminen ist als Beschäftigungszeit zu bewerten, weil er in dieser Zeit für den Arbeitgeber tätig war. Daher kann nicht allein die Dauer der Submissionstermine als Arbeitszeit gelten. Die dem Kläger von der Arbeitgeberin ausgestellten Lohnbescheinigungen vermögen die dargestellte Verschleierung der tatsächlichen Arbeitszeit nicht zu widerlegen. Nach der geschilderten Rechtslage ist für das Fehlen der Arbeitslosigkeit nur erheblich, dass der Kläger in einem zeitlichen Umfang oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze beschäftigt war. In diesen Zusammenhang ist nicht von Bedeutung, ob der Kläger zuviel Lohn erhalten hat.

32

Die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung der Bewilligung des Arbeitslosengeldes nach §§ 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X i.V.m. 330 Abs. 3 S. 1 SGB III liegen schon deshalb vor, weil der Kläger die Aufnahme der Beschäftigung als für ihn nachteilige Änderung zunächst nicht angezeigt hatte, sondern sie erst im Antrag auf Arbeitslosenhilfe gegenüber der Beklagten angab. Hinsichtlich dieser Unterlassung muss von grober Fahrlässigkeit ausgegangen werden, weil dem Kläger die Notwendigkeit der Mitteilung auch selbst geringfügiger Beschäftigungen zumindest durch die im Vorbezug erfolgten eigenen Meldungen zu geringfügigen Beschäftigungen auch bekannt war.

33

Nicht weiter von Bedeutung ist, ob der das Arbeitslosengeld bewilligende Verwaltungsakt zudem wegen § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X i.V.m. 330 Abs. 3 S. 1 SGB III mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben war, weil der Kläger vom Wegfall seines Leistungsanspruchs wusste bzw. sich dieser Erkenntnis mindestens derart verschlossen, dass ihm hieraus der Vorwurf einer grobfahrlässigen Unkenntnis gemacht werden kann.

34

Ermessenserwägungen waren angesichts der Pflicht der Beklagten zur rückwirkenden Aufhebung nicht anzustellen (§ 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III).

35

Die Erstattungspflicht folgt der Aufhebung gemäß § 50 Abs. 1 SGB X nach. Die Beklagte hat die Erstattungsforderung gemäß den bezogenen Leistungen und den an die Sozialversicherung gezahlten Beiträgen zutreffend ermittelt.

36

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Rechtsstreits.

37

Die Revision wird nicht zugelassen, weil keine Gründe für die Zulassung im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG vorliegen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter höchstrichterlicher Rechtsprechung, der keine grundsätzliche Bedeutung beizumessen ist.


ra.de-Urteilsbesprechung zu Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 29. Juli 2010 - L 2 AL 5/10

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 29. Juli 2010 - L 2 AL 5/10

Referenzen - Gesetze

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 29. Juli 2010 - L 2 AL 5/10 zitiert 8 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 144


(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

Sozialgesetzbuch (SGB) Drittes Buch (III) - Arbeitsförderung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. März 1997, BGBl. I S. 594) - SGB 3 | § 122 Ausbildungsgeld


(1) Menschen mit Behinderungen haben Anspruch auf Ausbildungsgeld während1.einer Berufsausbildung oder berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme einschließlich einer Grundausbildung,2.einer individuellen betrieblichen Qualifizierung im Rahmen der Unterst

Referenzen

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Menschen mit Behinderungen haben Anspruch auf Ausbildungsgeld während

1.
einer Berufsausbildung oder berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme einschließlich einer Grundausbildung,
2.
einer individuellen betrieblichen Qualifizierung im Rahmen der Unterstützten Beschäftigung nach § 55 des Neunten Buches und
3.
einer Maßnahme im Eingangsverfahren oder Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen oder bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches,
wenn Übergangsgeld nicht gezahlt werden kann.

(2) Für das Ausbildungsgeld gelten die Vorschriften über die Berufsausbildungsbeihilfe entsprechend, soweit nachfolgend nichts Abweichendes bestimmt ist.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.