Landessozialgericht NRW Beschluss, 30. Okt. 2015 - L 11 SF 184/15 E


Gericht
Tenor
Auf die Gegenvorstellung des Erinnerungsführers wird der Beschluss vom 03.06.2015 abgeändert. Die Kostenrechnung vom 22.01.2014 wird aufgehoben.
1
Gründe:
2I.
3Mit Kostenrechnung vom 22.01.2014 ist der Erinnerungsführer zu 17/20 für die Verfahrensgebühr im Verfahren L 11 KA 72/08 in Anspruch genommen worden. Hiergegen legte der Erinnerungsführer am 23.05.2014 Erinnerung ein mit dem Vortrag, das Rubrum des zugrundeliegenden Urteils sei falsch. Kläger sei nicht die Gemeinschaftspraxis gewesen, sondern deren Gesellschafter. Die Berufung sei allein durch Dr. C im eigenen Namen eingelegt worden. Die Erinnerung ist mit Beschluss vom 03.06.2015 zurückgewiesen worden mit der Begründung, dass eine Erinnerung nur auf die Verletzung des Kostenrechts, nicht aber auf angebliche Fehler der zugrundeliegenden Kostengrundentscheidung gestützt werden könne.
4Hiergegen hat der Kläger am 07.07.2015 "Rechtsbeschwerde" eingelegt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, er habe am 14.03.2007 mit Dr. O eine neue Gemeinschaftspraxis gegründet und am 01.07.2007 das ihm von Dr. C an der Praxiseinrichtung übertragene Miteigentum in die neue Gemeinschaftspraxis eingebracht. Die Gemeinschaftspraxis Dres. C und O sei aufgelöst und nicht mit ihm fortgesetzt worden. Er sei daher nicht Kostenschuldner geworden.
5II.
6Der Beschluss vom 03.06.2015 ist unanfechtbar. Das Rechtsinstitut der "Rechtsbeschwerde" gibt es im Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht. Der Senat wertet das Schreiben vom 07.07.2015 jedoch als Gegenvorstellung.
7Bei der Gegenvorstellung handelt es sich um einen außergesetzlichen Rechtsbehelf, der auf die Überprüfung ergangener gerichtlicher Entscheidungen durch dieselbe Instanz und denselben Spruchkörper zielt, der sie erlassen hat (BGH, Beschluss vom 09.11.2010 - IX ZA 46/10 -). Unabhängig von der Frage, ob die Gegenvorstellung auch nach Einführung der Anhörungsrüge durch Einfügung des § 178a in das SGG zum 01.01.2005 mit Anhörungsrügegesetz vom 09.12.2004 (BGBl. I, S. 3220) weiterhin generell zulässig ist (bejahend: BSG, Beschluss vom 25.02.2010 - B 11 AL 22/09 C - m.w.N.; zum Meinungsstand: Frehse in Jansen, SGG, 4. Auflage, 2012, § 178a Rdn. 6 ff), ist eine Gegenvorstellung jedenfalls ausnahmsweise in Fällen greifbarer und in der Sache nicht hinnehmbarer Gesetzeswidrigkeit statthaft.
8So liegt es hier. Die angegriffene Entscheidung beruht auf einem eindeutigen Tatsachenirrtum, über den der Erinnerungsführer mangels Beteiligung am Gerichtsverfahren den Senat nicht vor Urteilsverkündung aufklären konnte (zur Statthaftigkeit der Gegenvorstellung bei eindeutigem Tatsachenirrtum: BSG, Beschluss vom 16.07.2003 - B 13 RJ 106/03 B -). Das Gericht ging sowohl im Urteil vom 29.02.2012 als auch bei Erlass der Kostenrechnung vom 22.01.2014 davon aus, dass Dr. C für die Praxisgemeinschaft Berufung eingelegt hatte. Ihm war nicht bekannt, dass die Praxisgemeinschaft bereits vor Einlegen der Berufung aufgelöst war und Dr. C nur im eigenen Namen und weder für die Praxisgemeinschaft noch für den Erinnerungsführer handelte und handeln konnte. Die Prozessbeteiligten haben den Senat - zum Nachteil des am Verfahren nicht beteiligten Erinnerungsführers - nicht über den Zeitpunkt des Ausscheidens von Dr. C aus der Gemeinschaftspraxis bzw. deren Auflösung aufgeklärt.
9Unter Berücksichtigung des nunmehr bekannt gewordenen Sachverhalts ist die Erinnerung begründet. Da der Erinnerungsführer am Gerichtsverfahren nicht beteiligt war, kann er seine Zahlungspflicht auch im Erinnerungsverfahren überprüfen lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 30.04.1955 - VI ZR 19/54 -; BFH, Beschluss vom 04.07.1978 - VII E 9/77 -).
10Zwar gilt eine Gemeinschaftspraxis - entgegen der Auffassung des Erinnerungsführers - ungeachtet der zivilrechtlichen Vereinbarungen zur Auseinandersetzung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts vertragsarztrechtlich selbst im Fall der Vollbeendigung als fortbestehend und bleibt bis zur Abwicklung ihrer Rechtsbeziehungen beteiligtenfähig i.S.d. § 70 Nr. 1 SGG. Die Gemeinschaftspraxis wird in vertragsarztrechtlicher Hinsicht als fortbestehend angesehen, solange sie noch Pflichten aus ihrem Status zu erfüllen hat oder ihr hieraus noch Rechte zustehen (BSG, Urteil vom 07.02.2007 - B 6 KA 6/06 R -; Senat, Urteil vom 13.02.2008 - L 11 KA 1/06 -). Ob der Erinnerungsführer - insbesondere aufgrund der Übernahme des Gesellschaftsanteils von Dr. C mit Vertrag vom 09.06.2007 - für die Verbindlichkeiten der Gemeinschaftspraxis Dres. C und O haftet (vgl. zum Gedanken der "Unternehmenskontinuität" BSG, Urteil vom 07.02.2007 a.a.O., Urteil vom 27.06.2007 - B 6 KA 27/06 R -; Senat, Urteil vom 13.02.2008 a.a.O.), kann jedoch dahinstehen. Denn die Gemeinschaftspraxis haftet nicht für die streitgegenständlichen Gerichtskosten. Dr. C war zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung am 14.07.2008 nicht mehr Mitglied der Gemeinschaftspraxis. Nach Auflösung der Gemeinschaftspraxis wird diese im Prozess grundsätzlich durch die nur noch gemeinschaftlich geschäftsführungsbefugten bisherigen Praxispartner vertreten, sofern nicht gegenüber dem Gericht eine abweichende Vereinbarung nachgewiesen wird. Mehrere nur gemeinschaftlich geschäftsführungs- und vertretungsbefugte Praxispartner müssen einen zur Vertretung der Gemeinschaftspraxis im gerichtlichen Verfahren bestellten Prozessbevollmächtigten auch gemeinsam bevollmächtigen (§ 73 Abs. 1 SGG; BSG, Urteil vom 07.02.2007 - B 6 KA 6/06 R -). Hier lag hingegen nur eine von Dr. C ausgestellte Prozessvollmacht vor. Dieser war nicht mehr geschäftsführungs- und vertretungsbefugter Geschäftsführer. Er konnte daher weder die Gemeinschaftspraxis noch den Erinnerungsführer vertreten. Seine Prozessführung ist auch nicht im Nachhinein von der Gemeinschaftspraxis bzw. deren Gesellschaftern genehmigt worden (§ 177 BGB).
11Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

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Fähig, am Verfahren beteiligt zu sein, sind
- 1.
natürliche und juristische Personen, - 2.
nichtrechtsfähige Personenvereinigungen, - 3.
Behörden, sofern das Landesrecht dies bestimmt, - 4.
gemeinsame Entscheidungsgremien von Leistungserbringern und Krankenkassen oder Pflegekassen.
(1) Die Beteiligten können vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht den Rechtsstreit selbst führen.
(2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Darüber hinaus sind als Bevollmächtigte vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht vertretungsbefugt nur
- 1.
Beschäftigte des Beteiligten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes); Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen, - 2.
volljährige Familienangehörige (§ 15 der Abgabenordnung, § 11 des Lebenspartnerschaftsgesetzes), Personen mit Befähigung zum Richteramt und Streitgenossen, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht, - 3.
Rentenberater im Umfang ihrer Befugnisse nach § 10 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, auch in Verbindung mit Satz 2, des Rechtsdienstleistungsgesetzes, - 4.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Angelegenheiten nach den §§ 28h und 28p des Vierten Buches Sozialgesetzbuch, - 5.
selbständige Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder, - 6.
berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder, - 7.
Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder, - 8.
Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder, - 9.
juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nummern 5 bis 8 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
(3) Das Gericht weist Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 vertretungsbefugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Das Gericht kann den in Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 bezeichneten Bevollmächtigten durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen. Satz 3 gilt nicht für Beschäftigte eines Sozialleistungsträgers oder eines Spitzenverbandes der Sozialversicherung.
(4) Vor dem Bundessozialgericht müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Als Bevollmächtigte sind außer den in Absatz 2 Satz 1 bezeichneten Personen nur die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 bis 9 bezeichneten Organisationen zugelassen. Diese müssen durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie private Pflegeversicherungsunternehmen können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe des Satzes 2 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten; Satz 3 bleibt unberührt.
(5) Richter dürfen nicht als Bevollmächtigte vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören. Ehrenamtliche Richter dürfen, außer in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2 Nr. 1, nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören. Absatz 3 Satz 1 und 2 gilt entsprechend.
(6) Die Vollmacht ist schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen. Bei Ehegatten oder Lebenspartnern und Verwandten in gerader Linie kann unterstellt werden, dass sie bevollmächtigt sind. Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden. Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, sind die Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts an ihn zu richten. Im Übrigen gelten die §§ 81, 83 bis 86 der Zivilprozessordnung entsprechend.
(7) In der Verhandlung können die Beteiligten mit Beiständen erscheinen. Beistand kann sein, wer in Verfahren, in denen die Beteiligten den Rechtsstreit selbst führen können, als Bevollmächtigter zur Vertretung in der Verhandlung befugt ist. Das Gericht kann andere Personen als Beistand zulassen, wenn dies sachdienlich ist und hierfür nach den Umständen des Einzelfalls ein Bedürfnis besteht. Absatz 3 Satz 1 und 3 und Absatz 5 gelten entsprechend. Das von dem Beistand Vorgetragene gilt als von dem Beteiligten vorgebracht, soweit es nicht von diesem sofort widerrufen oder berichtigt wird.
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Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.