Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 08. Mai 2018 - L 6 P 3/13

published on 08/05/2018 00:00
Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 08. Mai 2018 - L 6 P 3/13
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Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stralsund vom 11. Februar 2013 und der Bescheid der Beklagten vom 27. September 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 2012 aufgehoben.

Die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers werden der Beklagten auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Berechtigung der Beklagten, die Bewilligung von Leistungen nach Pflegstufe I ab dem 01. Oktober 2011 aufzuheben.

2

Der 1961 geborene, bei der Beklagten sozial pflegeversicherte Kläger leidet an den Folgen eines schweren Alkoholabusus, insbesondere an einer chronischen Pankreatitis und einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus mit schwerer Polyneuropathie. Auf seinen Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung aus August 2010 ließ ihn die Beklagte durch den MDK begutachten.

3

In dem Gutachten der Pflegefachkraft P. vom 07. September 2010 schätzte diese einen Hilfebedarf des Klägers in der Grundpflege von insgesamt 50 Minuten im wöchentlichen Tagesdurchschnitt ein (26 Minuten bei der Körperpflege, 5 Minuten bei der Ernährung und 19 Minuten bei der Mobilität), in der Hauswirtschaft mit 45 Minuten. Mit einer Abnahme des Hilfebedarfs sei bei Gewichtszunahme und Zustandsstabilisierung zu rechnen, weshalb eine Wiederholungsbegutachtung im September 2011 empfohlen werde. Welche der Angaben im Gutachten auf eigenen Beobachtungen der Gutachterin beruhten, welche auf (fremd)anamnestischen Angaben, wird im Gutachten nicht angegeben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Gutachtens Bezug genommen.

4

Die Beklagte bewilligte dem Kläger daraufhin mit Bescheid vom 16. September 2010 Leistungen wegen erheblicher Pflegebedürftigkeit im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) in der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung (Pflegestufe I) in Form von Pflegegeld ab August 2010. Eine Nachuntersuchung im September 2011 werde rechtzeitig eingeleitet.

5

Im Rahmen einer Wiederholungsbegutachtung am 20. September 2011 gab die MDK-Gutachterin Pflegefachkraft L. das Körpergewicht mit 49 kg und die Körpergröße mit 180 cm an. Der Ernährungszustand wird erneut als „optisch kachektisch“ beschrieben, der Allgemein- und Kräftezustand als mäßig. Erneut werden eine Schwindelsymptomatik mit stattgehabten Stürzen und ein lückenhaftes Kurzzeitgedächtnis beschrieben. Der Kläger fühle sich nach wie vor geschwächt und nur eingeschränkt belastbar. Gehen und Stehen bereiteten ihm nach wie vor Probleme. Die weiteren im Gutachten wiedergegebenen Untersuchungsbefunde ähneln denjenigen im Vorgutachten. Wegen gelegentlicher Stuhlinkontinenz und Neigung zu Durchfällen werde der Kläger nachts und während der Mittagsruhe mit einem „geschlossenen Inkontinenzsystem“ versorgt. Der Kläger habe angegeben, „Verrichtungen überwiegend selbstständig durchzuführen.“ Im Vergleich zum Vorgutachten sei eine Stabilisierung eingetreten. Die Gutachterin schätzte einen täglichen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 17 Minuten im wöchentlichen Tagesdurchschnitt ein (7 Minuten Körperpflege, 5 Minuten Ernährung, 5 Minuten Mobilität) bei weiterhin 45 Minuten hauswirtschaftlichem Pflegebedarf. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Gutachtens Bezug genommen.

6

Mit Bescheid vom 27. September 2011 hob die Beklagte ihren Bewilligungsbescheid vom 16. September 2010 mit Wirkung vom 30. September 2011 auf, weil nach dem Ergebnis der Wiederholungsbegutachtung eine durchschnittliche Mindestpflegezeit von mehr als 45 Minuten in der Grundpflege nicht erreicht werde. Wörtlich heißt es:

7

„Der Besserungsnachweis des MDK sagt insbesondere folgendes aus:
Herr A. gibt an, die Verrichtungen überwiegend selbständig durchzuführen. Im Vergleich zum Vorgutachten ist eine Zustandsstabilisierung eingetreten. Herr A. benötigt Hilfe beim Baden. Die tägliche Körperpflege sowie das Kämmen, das Rasieren und die Zahnpflege führt Herr A. selbständig durch. Die Toilettengänge erfolgen ebenfalls selbständig. Morgens ist bei Anlaufschwierigkeiten eine Aufstehhilfe erforderlich. Eine Begleitung innerhalb der Wohnung erfolgt nicht mehr.“

8

Somit seien wesentliche Änderungen der Verhältnisse eingetreten, die eine Einstellung der Pflegeleistungen erforderlich machten.

9

Hiergegen erhob der Kläger am 05. Oktober 2011 mit der Begründung Widerspruch, dass sich sein Gesundheitszustand keineswegs verbessert, sondern vielmehr verschlimmert habe. Er benötige jetzt auch nachts mehrfach Hilfe.

10

Die Beklagte ließ den Kläger bzw. dessen Lebensgefährtin daraufhin ein sog. Pflegetagebuch ausfüllen, welches den Zeitraum vom 14. bis zum 21. Oktober 2011 erfasst und auf welches wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.

11

In einem weiteren MDK-Gutachten (Frau S., Qualifikation unbekannt) vom 19. Dezember 2011 aufgrund einer Untersuchung am 16. Dezember 2011 wird – jeweils „nach Angaben des Versicherten“ – das Körpergewicht mit 50 kg und die Körpergröße mit 180 cm angegeben. Die weiteren Befunde ähneln denjenigen der Vorgutachten. Der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege wird mit insgesamt 16 Minuten (7 Minuten Körperpflege, 3 Minuten Ernährung, 6 Minuten Mobilität) eingeschätzt, womit „das Ergebnis des Vorgutachtens (…) bestätigt“ werde. Ausführungen zu einer Änderung der Verhältnisse im Vergleich zum Bewilligungszeitpunkt enthält das Gutachten nicht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Gutachtens Bezug genommen.

12

Mit Schreiben vom 22. Dezember 2011 hörte die Beklagte den Kläger nachträglich zur Aufhebung der Leistungsbewilligung an. Zur Frage der Änderung der Verhältnisse gab sie erneut die bereits zitierte Passage aus dem Aufhebungsbescheid wieder.

13

Der Kläger teilte hierauf mit, dass der tatsächliche Pflegebedarf höher sei, als vom MDK festgestellt. Der zusätzliche Bedarf bei Harn- und Stuhlinkontinenz werde nicht beachtet. In einer hierzu eingeholten Stellungnahme des MDK (Frau P.) heißt es lediglich, dass sich keine neuen Gesichtspunkte ergäben.

14

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 29. März 2012 zurück. Zur Frage der Änderung der Verhältnisse gab sie erneut die bereits zitierte Passage aus dem Aufhebungsbescheid wieder.

15

Hiergegen hat der Kläger am 30. April 2012 bei dem Sozialgericht Stralsund Klage erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass eine Zustandsstabilisierung nicht eingetreten sei. Sein Hilfebedarf habe sich nicht verringert.

16

Der Kläger hat durch seinen Prozessbevollmächtigten beantragt,

17

den Bescheid der Beklagten vom 27. September 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 2012 aufzuheben und ihm Leistungen der Pflegestufe I auch über den 30. September 2011 hinaus zu gewähren.

18

Die Beklagte hat beantragt,

19

die Klage abzuweisen.

20

Sie hat zur Begründung im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid Bezug genommen.

21

Das Sozialgericht hat einen Bericht des seit Oktober 2011 behandelnden Hausarztes (DM G., vom 05. August 2012) eingeholt, wonach der Hilfebedarf des Klägers etwa seit 2009 bestehe, intermittierenden Schwankungen unterliege und sich bei Gewichtszunahme und Krankheitseinsicht verringern könne. Für die meisten Verrichtungen wird ein häufiger bis ständiger Hilfebedarf benannt, wofür ein täglicher Zeitaufwand von 120 Minuten entstehe. Das (gemessene) Körpergewicht wird mit 52 kg, die (gemessene) Körpergröße mit 182 cm angegeben. Die angegebenen Beschwerden und klinischen Befunde entsprechen in etwa denjenigen in den MDK-Gutachten. In der Anlage finden sich paraklinische Befunde für den Zeitraum Oktober 2011 bis Mai 2012, wonach sich der für die längerfristige Beurteilung der Einstellung des Diabetes aussagekräftige HbA1c-Wert in diesem Zeitraum von 12,3 % auf 8,9 % verbessert hat. Der Befundbericht antwortet auf Standard-Fragen bei streitiger Leistungsbewilligung. Fragen zur Veränderung im Verlauf von 2010 nach 2011 wurden nicht gesondert gestellt.

22

Das Sozialgericht hat zum aktuellen Pflegebedarf des Klägers sodann Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Pflegesachverständigen D. ohne Datum, Eingang bei Gericht am 14. Dezember 2012. Der Sachverständige schätzte im Rahmen eines Hausbesuchs am 29. November 2012 einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von insgesamt 37 Minuten (19 Minuten Körperpflege, 4 Minuten Ernährung, 14 Minuten Mobilität) ein. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Gutachtens Bezug genommen.

23

Das Sozialgericht hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 11. Februar 2013 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der angefochtene Bescheid sei rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger sei im Zeitraum ab 01. Oktober 2011 nicht erheblich pflegebedürftig, so dass er gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Leistungen der Pflegestufe I habe. Nach der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger die Voraussetzungen der erheblichen Pflegebedürftigkeit ab 01. Oktober 2011 durchgehend nicht erfülle. Der vom Sachverständigen im Bereich der Grundpflege nachvollziehbar festgestellte Hilfebedarf von täglich 37 Minuten stehe im Einklang sowohl mit den vorliegenden ärztlichen Feststellungen und Befunden, als auch mit den Begutachtungsrichtlinien. Die Bewertung des Hilfebedarfs durch den Sachverständigen weiche zwar von den in den Untersuchungen durch den MDK festgestellten Pflegezeiten nach oben ab, erreiche jedoch nicht das für die Pflegestufe I erforderliche Ausmaß.

24

Gegen den dem Kläger am 13. Februar 2013 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich seine Berufung vom 05. März 2013, mit der er sein bisheriges Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung wiederholt er im Wesentlichen seinen erstinstanzlichen Vortrag. Sein Hilfebedarf sei auch vom gerichtlichen Sachverständigen unzureichend berücksichtigt worden.

25

Der Kläger beantragt,

26

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 11. Februar 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. September 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 2012 aufzuheben.

27

Die Beklagte beantragt,

28

die Berufung zurückzuweisen.

29

Sie verweist auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung, ferner darauf, dass bei einer Reduzierung des Hilfebedarfs von 50 Minuten auf 17 Minuten von einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse im Sinne von § 48 SGB X auszugehen sei. Das gerichtliche Sachverständigengutachten habe die Einschätzung des MDK bestätigt.

30

Nach Hinweis des Senats auf die Fraglichkeit des Besserungsnachweises hat die Beklagte ergänzend ausgeführt, dass nach den Angaben zu Größe und Gewicht in den einzelnen Gutachten von einer Gewichtssteigerung, weg von einem starken Untergewicht, hin zu einem mäßigen bis leichten Untergewicht auszugehen sei. Die im ersten MDK-Gutachten als Voraussetzung für eine Reduzierung des Hilfebedarfs genannte Gewichtszunahme sei damit gegeben.

31

Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen D. vom 04. Juli 2016 eingeholt, auf deren näheren Inhalt Bezug genommen wird. Der Sachverständige ist ferner im Termin zur mündlichen Verhandlung ergänzend vernommen worden. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

32

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Der angegriffene Verwaltungsakt der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er war daher ebenso wie der ihn bestätigende Gerichtsbescheid des Sozialgerichts aufzuheben.

33

Die Entscheidung des Sozialgerichts verkennt bereits den maßgeblichen rechtlichen Prüfmaßstab, indem sie sich auf die Feststellung beschränkt, dass der Kläger die Voraussetzungen der erheblichen Pflegebedürftigkeit ab 01. Oktober 2011 durchgehend nicht erfülle. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass für die vorliegend allein zu prüfende Rechtmäßigkeit der Entziehungsentscheidung der Beklagten das Unterschreiten des für die Pflegestufe I erforderlichen Mindesthilfebedarfs zwar notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung ist. Vielmehr beurteilt sich die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entziehungsentscheidung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Hiernach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten, die sich auf § 48 SGB Abs. 1 Satz 1 X stützen, setzen mithin eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse im Sinne einer Reduzierung des Pflegebedarfs voraus. Dabei sind die zum Zeitpunkt der Aufhebung bestehenden tatsächlichen Verhältnisse mit denjenigen zu vergleichen, die zum Zeitpunkt der letzten Leistungsbewilligung vorgelegen haben, bei der die Anspruchsvoraussetzungen vollständig geprüft worden sind.

34

Eine derartige Änderung ist keineswegs bereits dann anzunehmen, wenn bei unveränderten tatsächlichen Verhältnissen lediglich eine abweichende Beurteilung des resultierenden Hilfebedarfs vorgenommen wird. Dabei ist zu beachten, dass die Beklagte, die sich auf eine Änderung der Verhältnisse beruft, grundsätzlich die objektive Beweislast hierfür trägt, also für eine (positive) Abweichung des späteren Zustands von dem früheren (sog. Besserungsnachweis, vgl. BSG, Urteil vom 07. Juli 2005 – B 3 P 8/04 R). Die Annahme einer „wesentlichen" Änderung setzt zunächst voraus, dass überhaupt eine Änderung der Verhältnisse feststellbar ist. Dabei besteht insbesondere keine allgemeine Beweisvermutung des Inhalts, dass die Verwaltung ihre ursprüngliche Entscheidung rechtmäßig getroffen hat und dass die dieser Entscheidung zugrundeliegende sachverständige Feststellung des Grundpflegebedarfs zutreffend war.

35

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens vermochte der Senat eine wesentliche Änderung in dem vorgenannten Sinne nicht festzustellen.

36

Eine solche ergibt sich zunächst nicht aus der Begründung der Verwaltungsentscheidung, wonach der Kläger im Rahmen der zur Leistungsentziehung führenden Begutachtung im September 2011 angegeben habe, „die Verrichtungen überwiegend selbständig durchzuführen.“ Eine Besserung wäre hierin nur zu erkennen, wenn – diese Aussage als zutreffend unterstellt – damit eine im Vergleich zum Zeitpunkt der Leistungsbewilligung im September 2010 eingetretene Veränderung feststellbar wäre, wenn der Kläger also seinerzeit bei konkreten Verrichtungen Hilfe in Form von Unterstützung, teilweiser oder vollständiger Übernahme, Beaufsichtigung oder Anleitung (vgl. § 14 Abs. 3 SGB XI alte Fassung) nicht nur in Anspruch genommen, sondern im Sinne von § 14 Abs. 1 SGB XI alte Fassung aufgrund körperlicher oder geistiger Einschränkungen objektiv bedurft hat. Da das MDK-Gutachten aus September 2010 keine konkreten Einschränkungen in diesem Sinne beschreibt, welche sich bei der Wiederholungsbegutachtung als gebessert darstellen, und auch nicht erkennen lässt, worauf der bei den einzelnen Verrichtungen eingeschätzte Hilfebedarf gestützt wird (Angaben des Klägers, der Pflegeperson oder Beobachtungen der Gutachterin), ist die – vom Kläger im Übrigen bestrittene – Aussage, nicht näher bezeichnete Verrichtungen „überwiegend selbständig durchzuführen“, mithin nicht geeignet, die von der Beklagten angenommene Verringerung des Hilfebedarfs zu stützen.

37

Der zu fordernde Besserungsnachweis ergibt sich erst Recht nicht aus der weiteren, floskelhaften Begründung, wonach im Vergleich zum Vorgutachten „eine Zustandsstabilisierung eingetreten“ sei, da in keiner Weise deutlich wird, worin diese Zustandsstabilisierung bestehen soll. Soweit es ferner heißt, der Kläger benötige lediglich Hilfe beim Baden, nicht jedoch für die weitere Körperpflege und die Toilettengänge, handelt es sich lediglich um eine Wiedergabe der von der Zweitgutachterin vorgenommenen Einschätzung, nicht jedoch um die Feststellung einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse.

38

Schließlich sind auch die Ausführungen der Beklagten zum Hilfebedarf im Bereich der Mobilität nicht geeignet, einen Besserungsnachweis zu tragen. Zwar wird im Zweitgutachten in der Tat lediglich eine Aufstehhilfe bei morgendlichen Anlaufschwierigkeiten für erforderlich gehalten, nicht jedoch eine Begleitung beim Gehen innerhalb der Wohnung. Der Senat vermochte diese Änderung in der Beurteilung des Hilfebedarfs jedoch nicht darauf zurückzuführen, dass sich der Hilfebedarf auch tatsächlich verringert hat. Vielmehr ist im Ergebnis der Beweisaufnahme im Termin zur mündlichen Verhandlung und nach Auswertung der aktenkundigen Gutachten die mindestens ebenso gute Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass bei unverändertem Zustand des Klägers eine andere Bewertung vorgenommen wurde. So wird in allen vorliegenden Gutachten über einen mehrjährigen Zeitraum hinweg das selbständige Gehen des Klägers als unsicher, langsam und nur mit Festhalten an Möbeln bzw. Hilfsmitteln überhaupt möglich beschrieben. Das korrespondiert mit dem vom Kläger geklagten Schwindel und den durch die Polyneuropathie bedingten Missempfindungen bzw. Taubheitsgefühlen. Im gerichtlichen Sachverständigengutachten aus Dezember 2012 werden zum hieraus resultierenden Hilfebedarf die Angaben der Lebenspartnerin und Pflegeperson des Klägers wiedergegeben: Sie beaufsichtige das Gehverhalten des Klägers, um gegebenenfalls eingreifen zu können, falls es zu einem Sturzereignis komme, ohne dass eine ständige Begleitung erfolge. Der Sachverständige setzt insoweit für das Gehen einen Hilfebedarf von 4 Minuten täglich an. Im zur Bewilligung führenden Gutachten aus September 2010 heißt es wörtlich, dass „bei größeren Unsicherheiten infolge Schwindel und stärkeren Schmerzen Begleitung erforderlich“ sei, was mit einem Hilfebedarf bei der Verrichtung Gehen von 6 Minuten täglich für „tagesformabhängige Begleitung“ Berücksichtigung fand. Im Gutachten aus September 2011 wurde hingegen kein Hilfebedarf beim Gehen gesehen, ohne dass das Gangbild als sicherer beschrieben worden wäre, als in den beiden anderen Gutachten und ohne dass irgendwelche Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Gangunsicherheiten und die Sturzgefahr im zeitlichen Verlauf zunächst ab- und dann wieder zugenommen hätten. Es liegt vor diesem Hintergrund nahe, dass trotz identischen Befunds der Hilfebedarf jeweils unterschiedlich eingeschätzt worden ist, ohne dass der Senat zu entscheiden hätte, welche Einschätzung zutreffend ist.

39

Festzustellen ist allerdings, dass das MDK-Gutachten aus September 2010 für alle überhaupt berücksichtigten Verrichtungen einen äußerst großzügigen Maßstab angelegt hat, wie dies vom Sachverständigen im Termin bspw. für die Verrichtungen Stuhlgang und Teilwäsche Unterkörper ausdrücklich bestätigt wurde. Bei seinerzeit angenommener vollständiger Kontinenz und ausreichender Beweglichkeit, um mit der Hand die Mitte der Wade zu erreichen, teilt der Senat diese Bewertung einschränkungslos. Der seinerzeit hierfür angesetzte Hilfebedarf von insgesamt 7 Minuten erscheint nicht überzeugend, sodass der vollständige Wegfall des diesbezüglichen Hilfebedarfs im Wiederholungsgutachten nicht auf einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse beruhen dürfte. Dies gilt umso mehr, als im späteren Gutachten eine Stuhlinkontinenz beschrieben wird, ohne dass sich dies in der Bewertung des Hilfebedarfs nennenswert niederschlagen würde. Es werden lediglich 2 Minuten täglich für einen zweimal täglichen Windelwechsel nach Stuhlgang angesetzt.

40

Nicht anders stellt sich die Bewertung der erforderlichen Unterstützung beim Aufstehen und Zu-Bett-Gehen dar, für welche im Erstgutachten weitere 6 Minuten angesetzt wurden. Auch hier wird nicht deutlich, weshalb der Kläger hierzu nicht selbständig in der Lage gewesen sein sollte, während das Aufstehen aus dem Sitzen mit Abstützen und erhöhtem Zeitaufwand alleine durchführbar gewesen sein soll. Die grobe Handkraft wird (anders als in den späteren Gutachten, die eine Kraftminderung angeben) als erhalten, der Faustschluss beidseits als komplett, Nacken und Schürzengriff als (verlangsamt) möglich beschrieben, ein selbständiges Gehen und Stehen als möglich, wenn auch unsicher. Diese seinerzeit festgestellten Fähigkeiten des Klägers lassen auch an weiteren Bedarfen zweifeln, die die Gutachterin etwa im Bereich der Körperpflege veranschlagt hat.

41

Der hausärztliche Befundbericht legt ebenfalls keine Besserung bis zum maßgeblichen Zeitpunkt (Widerspruchsbescheid vom 29. März 2012) nahe. Dabei ist zu berücksichtigen, dass DM G. die Behandlung des Klägers erst zeitnah zu der von der Beklagten verfügten Leistungsentziehung übernommen hat. Aus ärztlicher Sicht lag allerdings ein seit 2009 abgesehen von Schwankungen unveränderter Zustand vor. Die Einstellung des Blutzuckers verbesserte sich nach den mitgeteilten Befunden erstmals Ende Mai 2012, als ein HbA1c-Wert von 8,9 % ermittelt wurde, während der letzte Wert vor Erlass des Widerspruchsbescheides (12,0 % am 16. Januar 2012) noch auf eine äußerst schlechte Diabetes-Einstellung hindeutet. Auch die Aussage des Hausarztes, eine Besserung sei durch „Gewichtszunahme, Krankheitseinsicht“ möglich, lässt zwar vermuten, dass seinerzeit noch immer keine vollständige Abstinenz vorlag, nicht aber, dass eine Besserung bereits eingetreten war. Das gleiche gilt für die (auch hinsichtlich der Körpergröße) schwankenden Angaben zu Größe und Gewicht des Klägers, die bis auf die hausärztlich mitgeteilten offenkundig nicht auf Messungen, sondern auf Eigenangaben oder Schätzungen beruhen und somit nicht geeignet sind, eine (mittelbar für eine Besserung sprechende) Verbesserung des Ernährungszustandes des Klägers zu belegen.

42

Diese erheblichen Anhaltspunkte für eine bei Leistungsbewilligung deutlich überhöhte Einschätzung des Hilfebedarfs und das Fehlen einer wesentlichen Besserung im zeitlichen Verlauf werden durch die weiteren Ermittlungen des Senats nicht beseitigt, sondern vielmehr bestärkt. So hat der gerichtliche Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme zwar ausgeführt, dass eine Verringerung des Hilfebedarfs nicht notwendig auch eine medizinische Zustandsbesserung voraussetze. Es komme vor, dass Pflegebedürftige nach anfänglicher Resignation verschiedene Verrichtungen – wenn auch unter hohem Zeitaufwand – wieder selbständig verrichten. Der Kläger könne deshalb von September 2010 bis September 2011 tatsächlich pflegebedürftig gewesen sein. Den einzigen Anhaltspunkt hierfür sah auch der Sachverständige jedoch in der Einschätzung des grundpflegerischen Hilfebedarfs von 50 Minuten im MDK-Gutachten vom 07. September 2010.

43

Im Rahmen der Beweisaufnahme im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige dann auf Nachfrage bestätigt, dass an objektiven Änderungen sich allenfalls eine Verschlechterung (Hinzutreten von Stuhlinkontinenz) feststellen lasse, ferner dass nicht anzunehmen sei, dass es im Bereich des Hilfebedarfs beim Gehen überhaupt irgendeine Änderung gegeben hat. Zusammenfassend hat er – aus Sicht des Senats überzeugend – eingeschätzt, dass nicht eine tatsächliche Besserung, sondern die Möglichkeit wahrscheinlicher sei, dass unterschiedliche Maßstäbe angelegt wurden, indem erst sehr großzügig, später strenger begutachtet worden ist.

44

Vor diesem Hintergrund kann der Nachweis einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse im Sinne eines Besserungsnachweises nicht als erbracht angesehen werden, weshalb der Aufhebungsbescheid der Beklagten, die insoweit die objektive Beweislast trägt, rechtswidrig ist. Das gilt letztlich selbst für den (nicht bewiesenen) Fall, dass die hohe Einschätzung des Hilfebedarfs des Klägers im MDK-Gutachten aus September 2010 auf einer „schlechten Tagesform“ bei einem schwankenden Bild infolge der Pankreatitis beruht haben sollte. Ein derartiger tagesformabhängiger Hilfebedarf wäre nicht maßgeblich, da nur solche Bedarfe zu berücksichtigen sind, die bei prognostischer Beurteilung für mindestens sechs Monate bestehen, vgl. § 14 Abs. 1 SGB XI.

45

Mit der Aufhebung des Aufhebungsbescheides vom 27. September 2011 lebt die Leistungsbewilligung vom 16. September 2010 wieder auf, sodass es eines zusätzlichen Leistungsantrages, wie er erstinstanzlich gestellt wurde, nicht bedarf.

46

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

47

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

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(1) Pflegebedürftige erhalten nach der Schwere der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten einen Grad der Pflegebedürftigkeit (Pflegegrad). Der Pflegegrad wird mit Hilfe eines pflegefachlich begründeten Begutachtungsinstruments ermittelt.

(2) Das Begutachtungsinstrument ist in sechs Module gegliedert, die den sechs Bereichen in § 14 Absatz 2 entsprechen. In jedem Modul sind für die in den Bereichen genannten Kriterien die in Anlage 1 dargestellten Kategorien vorgesehen. Die Kategorien stellen die in ihnen zum Ausdruck kommenden verschiedenen Schweregrade der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten dar. Den Kategorien werden in Bezug auf die einzelnen Kriterien pflegefachlich fundierte Einzelpunkte zugeordnet, die aus Anlage 1 ersichtlich sind. In jedem Modul werden die jeweils erreichbaren Summen aus Einzelpunkten nach den in Anlage 2 festgelegten Punktbereichen gegliedert. Die Summen der Punkte werden nach den in ihnen zum Ausdruck kommenden Schweregraden der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten wie folgt bezeichnet:

1.
Punktbereich 0: keine Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
2.
Punktbereich 1: geringe Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
3.
Punktbereich 2: erhebliche Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
4.
Punktbereich 3: schwere Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten und
5.
Punktbereich 4: schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten.
Jedem Punktbereich in einem Modul werden unter Berücksichtigung der in ihm zum Ausdruck kommenden Schwere der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten sowie der folgenden Gewichtung der Module die in Anlage 2 festgelegten, gewichteten Punkte zugeordnet. Die Module des Begutachtungsinstruments werden wie folgt gewichtet:
1.
Mobilität mit 10 Prozent,
2.
kognitive und kommunikative Fähigkeiten sowie Verhaltensweisen und psychische Problemlagen zusammen mit 15 Prozent,
3.
Selbstversorgung mit 40 Prozent,
4.
Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen mit 20 Prozent,
5.
Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte mit 15 Prozent.

(3) Zur Ermittlung des Pflegegrades sind die bei der Begutachtung festgestellten Einzelpunkte in jedem Modul zu addieren und dem in Anlage 2 festgelegten Punktbereich sowie den sich daraus ergebenden gewichteten Punkten zuzuordnen. Den Modulen 2 und 3 ist ein gemeinsamer gewichteter Punkt zuzuordnen, der aus den höchsten gewichteten Punkten entweder des Moduls 2 oder des Moduls 3 besteht. Aus den gewichteten Punkten aller Module sind durch Addition die Gesamtpunkte zu bilden. Auf der Basis der erreichten Gesamtpunkte sind pflegebedürftige Personen in einen der nachfolgenden Pflegegrade einzuordnen:

1.
ab 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 1: geringe Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
2.
ab 27 bis unter 47,5 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 2: erhebliche Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
3.
ab 47,5 bis unter 70 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 3: schwere Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
4.
ab 70 bis unter 90 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 4: schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
5.
ab 90 bis 100 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 5: schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung.

(4) Pflegebedürftige mit besonderen Bedarfskonstellationen, die einen spezifischen, außergewöhnlich hohen Hilfebedarf mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung aufweisen, können aus pflegefachlichen Gründen dem Pflegegrad 5 zugeordnet werden, auch wenn ihre Gesamtpunkte unter 90 liegen. Der Medizinische Dienst Bund konkretisiert in den Richtlinien nach § 17 Absatz 1 die pflegefachlich begründeten Voraussetzungen für solche besonderen Bedarfskonstellationen.

(5) Bei der Begutachtung sind auch solche Kriterien zu berücksichtigen, die zu einem Hilfebedarf führen, für den Leistungen des Fünften Buches vorgesehen sind. Dies gilt auch für krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen. Krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen sind Maßnahmen der Behandlungspflege, bei denen der behandlungspflegerische Hilfebedarf aus medizinisch-pflegerischen Gründen regelmäßig und auf Dauer untrennbarer Bestandteil einer pflegerischen Maßnahme in den in § 14 Absatz 2 genannten sechs Bereichen ist oder mit einer solchen notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang steht.

(6) Bei pflegebedürftigen Kindern wird der Pflegegrad durch einen Vergleich der Beeinträchtigungen ihrer Selbständigkeit und ihrer Fähigkeiten mit altersentsprechend entwickelten Kindern ermittelt. Im Übrigen gelten die Absätze 1 bis 5 entsprechend.

(7) Pflegebedürftige Kinder im Alter bis zu 18 Monaten werden abweichend von den Absätzen 3, 4 und 6 Satz 2 wie folgt eingestuft:

1.
ab 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 2,
2.
ab 27 bis unter 47,5 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 3,
3.
ab 47,5 bis unter 70 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 4,
4.
ab 70 bis 100 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 5.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Pflegebedürftig im Sinne dieses Buches sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, und mit mindestens der in § 15 festgelegten Schwere bestehen.

(2) Maßgeblich für das Vorliegen von gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten sind die in den folgenden sechs Bereichen genannten pflegefachlich begründeten Kriterien:

1.
Mobilität: Positionswechsel im Bett, Halten einer stabilen Sitzposition, Umsetzen, Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen;
2.
kognitive und kommunikative Fähigkeiten: Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld, örtliche Orientierung, zeitliche Orientierung, Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen, Steuern von mehrschrittigen Alltagshandlungen, Treffen von Entscheidungen im Alltagsleben, Verstehen von Sachverhalten und Informationen, Erkennen von Risiken und Gefahren, Mitteilen von elementaren Bedürfnissen, Verstehen von Aufforderungen, Beteiligen an einem Gespräch;
3.
Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: motorisch geprägte Verhaltensauffälligkeiten, nächtliche Unruhe, selbstschädigendes und autoaggressives Verhalten, Beschädigen von Gegenständen, physisch aggressives Verhalten gegenüber anderen Personen, verbale Aggression, andere pflegerelevante vokale Auffälligkeiten, Abwehr pflegerischer und anderer unterstützender Maßnahmen, Wahnvorstellungen, Ängste, Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage, sozial inadäquate Verhaltensweisen, sonstige pflegerelevante inadäquate Handlungen;
4.
Selbstversorgung: Waschen des vorderen Oberkörpers, Körperpflege im Bereich des Kopfes, Waschen des Intimbereichs, Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare, An- und Auskleiden des Oberkörpers, An- und Auskleiden des Unterkörpers, mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken, Essen, Trinken, Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls, Bewältigen der Folgen einer Harninkontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma, Bewältigen der Folgen einer Stuhlinkontinenz und Umgang mit Stoma, Ernährung parenteral oder über Sonde, Bestehen gravierender Probleme bei der Nahrungsaufnahme bei Kindern bis zu 18 Monaten, die einen außergewöhnlich pflegeintensiven Hilfebedarf auslösen;
5.
Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen:
a)
in Bezug auf Medikation, Injektionen, Versorgung intravenöser Zugänge, Absaugen und Sauerstoffgabe, Einreibungen sowie Kälte- und Wärmeanwendungen, Messung und Deutung von Körperzuständen, körpernahe Hilfsmittel,
b)
in Bezug auf Verbandswechsel und Wundversorgung, Versorgung mit Stoma, regelmäßige Einmalkatheterisierung und Nutzung von Abführmethoden, Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung,
c)
in Bezug auf zeit- und technikintensive Maßnahmen in häuslicher Umgebung, Arztbesuche, Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, zeitlich ausgedehnte Besuche medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, Besuch von Einrichtungen zur Frühförderung bei Kindern sowie
d)
in Bezug auf das Einhalten einer Diät oder anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften;
6.
Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen, Ruhen und Schlafen, Sichbeschäftigen, Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen, Interaktion mit Personen im direkten Kontakt, Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds.

(3) Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, die dazu führen, dass die Haushaltsführung nicht mehr ohne Hilfe bewältigt werden kann, werden bei den Kriterien der in Absatz 2 genannten Bereiche berücksichtigt.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.