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Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.
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Die Berufung der Beklagten ist jedoch nicht begründet, da das angefochtene Urteil des Sozialgerichts vom 12. Oktober 2005 rechtmäßig ist. Das Sozialgericht hat der Klägerin mit zutreffender Begründung zu recht einen Anspruch auf Gewährung von Witwenrente aus der Versicherung des verstorbenen Versicherten beginnend ab dem 4. März 1986 zuerkannt.
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Die Klägerin hat - entgegen der Auffassung der Beklagten - mit ihrem Witwenrentenantrag beim griechischen Versicherungsträger IKA vom 1. August 1986 zugleich einen wirksamen Antrag bei der Beklagten gestellt (1.), der die etwaige Verjährung von Ansprüchen unterbrochen hat (2.).
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1. Für Anträge auf Leistungen bei Alter und für Hinterbliebene gilt Art. 36 VO (EWG) Nr. 574/72. Die Bestimmung regelt, welche Stelle für die Entgegennahme eines Antrags auf Rente aus der Versicherung einer Person, die - wie der verstorbene Versicherte - nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten versichert war, zuständig ist. Grundsätzlich soll der Antrag beim Träger des Wohnorts gestellt werden. Nach dem vorliegend einschlägigen Art. 36 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 574/72 hat ein bei dem Träger eines Mitgliedstaats gestellter Leistungsantrag zur Folge, dass die Leistungen gleichzeitig nach den Rechtsvorschriften aller beteiligten Mitgliedstaaten, deren Voraussetzungen der Antragsteller erfüllt, festgestellt werden. Im vorliegenden Fall sind - ein wirksamer Antrag unterstellt - die weiteren Voraussetzungen für eine Witwenrente nach deutschem Recht zum Todeszeitpunkt des verstorbenen Versicherten - dem 4. März 1986 - wie vom Sozialgericht zutreffend geprüft, nach Maßgabe der damals geltenden Bestimmungen der §§ 1264, 1268 und 1290 Abs. 1 Satz 3 Reichsversicherungsordnung - RVO - unstreitig erfüllt. Auf die Ausführungen im Urteil des Sozialgerichts wird insoweit Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).
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Zu klären bleibt die Frage nach dem Zeitpunkt des auch gegenüber der Beklagten wirksamen Leistungsantrags. Diese Frage hat der Europäische Gerichtshof - EuGH - bereits in der Rechtssache Picard (C-335/95, Urteil vom 24. Oktober 1996, Slg. 1996 I 5637 Rn. 19 ff.) unter Auslegung der beiden einschlägigen Bestimmungen - Art. 86 VO (EWG) Nr.1408/71 (Anträge, Erklärungen oder Rechtsbehelfe, die bei einer Behörde, einem Träger oder einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats als des zuständigen Staats eingereicht werden) und Art. 36 VO (EWG) Nr. 574/72 - abstrakt klar und eindeutig beantwortet. Danach löst auch der bei einem unzuständigen Träger gestellte Leistungsantrag das Rentenfeststellungsverfahren in allen Mitgliedstaaten aus, nach deren Rechtsvorschriften Leistungen in Betracht kommen. Maßgebliches Antragsdatum ist der Tag der Antragstellung bei dem zuerst angegangenem (auch unzuständigen) Träger. Art. 36 VO (EWG) Nr. 574/72 bezweckt durch die Verwaltungsvereinfachung allein den Schutz der Antragsteller; sie werden als Hinterbliebene von Wanderarbeitnehmern nicht auf gesonderte Anträge bei allen möglichen Träger gegebenenfalls mehrerer Mitgliedstaaten verwiesen. Ein wirksam gestellter Antrag soll reichen, um sämtliche in den Mitgliedstaaten erworbenen Versichertenrechte geltend zu machen (vgl. Schlussantrag des Generalanwalts La Pergola vom 4. Juli 1996 in der Rechtssache Picard, C-335/95, Slg. 1996 I-5627 <5634 f.> Rn. 30). Einen solchen Antrag hat die Klägerin am 1. August 1986 beim griechischen Versicherungsträger IKA wirksam gestellt.
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Die von der Beklagten dagegen im Berufungsverfahren eingewandte Argumentation, die Klägerin habe Angaben zu deutschen Rentenzeiten des verstorbenen Versicherten bei der Antragstellung am 1. August 1986 bewusst verschwiegen und damit keinen ihr gegenüber wirksamen Antrag gestellt, verfängt erkennbar nicht. Die deutschen Versicherungszeiten des verstorbenen Versicherten beziehen sich auf die Jahre von 1970 bis 1972. Der mit dem Schreiben vom 12. Juni 2003 vorgelegte Versicherungsverlauf, der wohl Bestandteil des eine Beitragserstattung ablehnenden Bescheids war, datiert vom 5. Juni 1981. Die Klägerin hat den verstorbenen Versicherten aber erst im Dezember 1985 geheiratet. Schon deshalb ist offen, ob die Klägerin bereits 1986 überhaupt Kenntnis von den zu Beginn der siebziger Jahre angefallenen deutschen Rentenzeiten gehabt hat. Aber auch wenn dies der Fall gewesen sein sollte, ist für ein bewusstes Verschweigen oder gar ein Verneinen deutscher Zeiten nichts ersichtlich. Aufgrund der Mitteilung des griechischen Versicherungsträgers IKA vom 24. Februar 2004 steht allein die Tatsache fest, dass die Klägerin sich bis Juni 2003 „niemals auf eine Versicherungszeit des Verstorbenen in Deutschland berufen hat“. Soweit die Beklagte in diese objektive Tatsache ein bewusstes „Verschweigen“ oder „Verneinen von deutschen Versicherungszeiten“ hinein interpretiert, begibt sie sich auf den Boden rechtlich nicht handhabbarer Spekulation.
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Entscheidend ist vielmehr umgekehrt, dass die Klägerin den bei der IKA gestellten Rentenantrag vom 1. August 1986 nicht ausdrücklich auf Leistungen aus der griechischen Rentenversicherung beschränkt hat. Weder Art. 36 VO (EWG) Nr. 574/72 noch Art. 86 VO (EWG) Nr. 1408/71 machen die Wirksamkeit des Antrags davon abhängig, dass er vollständig gestellt ist, wenn das Begehren - hier: Witwenrente aus allen Rechtsgründen - unmissverständlich zum Ausdruck gebracht worden ist. Art. 37 lit. a VO (EWG) Nr. 574/72 bestimmt zwar, dass dem Leistungsantrag, der unter Verwendung des mitgliedstaatlichen Formblatts zu stellen ist, die erforderlichen Nachweise beizufügen sind. Das Fehlen erforderlicher Nachweise macht im Sozialversicherungsrecht aber den Antrag nicht unwirksam. Vielmehr legt es nach § 16 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I - dem Leistungsträger die Pflicht auf, darauf hinzuweisen, dass unverzüglich klare und sachdienliche Anträge gestellt und unvollständige Angaben ergänzt werden. Das Bundessozialgericht hat diese Pflicht jüngst mit Urteil vom 4. April 2006 (B1 KR 5/05 R, JURIS) unter Bestätigung älterer Rechtsprechung wie folgt konkretisiert:
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„Die Auslegung eines Antrags - ob als Verfahrenshandlung oder als materiell-rechtliche Voraussetzung - hat sich aber danach zu richten, was als Leistung möglich ist, wenn jeder verständige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung angepasst hätte und keine Gründe für ein anderes Verhalten vorliegen (
vgl. BSG, stRspr; zuletzt: Urteil vom 5. Oktober 2005 - B 5 RJ 6/05 R -, Rn. 14, - zur Veröffentlichung vorgesehen; BSGE 74, 77 , 79 = SozR 3-4100 § 104 Nr. 11; vgl. auch BSG SozR 2200 § 182 RVO Nr. 57 S 108 f.
). Ist das von den Krankenkassen zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben auf einem Gebiet bereitgestellte Leistungsangebot für die Versicherten so unübersichtlich, dass sich im Einzelfall nicht vermeiden lässt, einen konkreten Weg aufzuzeigen, der zu den gesetzlich möglichen Leistungen führt, ist dieses geboten. Das gilt insbesondere dann, wenn sich aus dem Verhalten eines Versicherten ergibt, dass er über die gesetzlichen Möglichkeiten nicht ausreichend informiert ist (
vgl. BSG SozR 2200 § 182 RVO Nr. 57 S 108 f.
). Regelmäßig ist demnach ein Antrag vom Verwaltungsträger so auszulegen, dass das Begehren des Antragstellers möglichst weitgehend zum Tragen kommt. Die Behörde hat alle auf Grund des Sachverhalts zu seinen Gunsten in Betracht kommenden rechtlichen Möglichkeiten (innerhalb ihrer Zuständigkeit) zu erwägen und notfalls auf eine Klärung des Verfahrensgegenstands durch den Antragsteller hinzuwirken (
vgl. BSG, SozR 3-5850 § 14 Nr. 2 S 4 unter Hinweis auf § 16 Abs. 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch für Sozialleistungsanträge
).“
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Mit ihrer Einreichung des Feststellungs- und Rentenantrags vom 1. August 1986 hat die Klägerin folglich alles Erforderliche dafür getan, um die begehrte Leistung (Witwenrente) - auch - in der Bundesrepublik Deutschland beanspruchen zu können. Umgekehrt entsteht im gleichen Moment die Verpflichtung der zuständigen mitgliedstaatlichen Behörden, bei der Durchführung der Zusammenrechnungs- und Proratisierungsverfahren zusammenzuarbeiten (vgl. Schlussantrag des Generalanwalts La Pergola vom 4. Juli 1996 in der Rechtssache Picard, C-335/95, Slg. 1996 I-5627 <5632> Rn. 21).
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Unschädlich ist weiter, dass der griechische Versicherungsträger IKA als bearbeitender Träger im Sinn von Art. 41 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 574/72 weder seiner Beratungspflicht noch seiner Pflicht zur sofortigen Unterrichtung sämtlicher in Betracht kommender weiterer Leistungsträger nachgekommen ist. Denn für die Wirksamkeit des beim griechischen Versicherungsträger am 1. August 1986 gestellten Leistungsantrags kommt es auf die rechtzeitige Übersendung oder auch nur auf die Kenntnis der Beklagten nicht an, weil eine entsprechende Einschränkung dem sozialen Koordinierungsrecht der europäischen Gemeinschaft nicht zu entnehmen ist und eine solche Einschränkung darüber hinaus dem mit den Art. 36 VO (EWG) Nr. 574/72 und Art. 86 VO (EWG) Nr. 1408/71 beabsichtigten Schutzzweck des auf die Förderung der Mobilität der Arbeitnehmer ausgerichteten Rechtssystems zuwider liefe.
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Dies gilt erst recht unter weiterer Berücksichtigung der bereits vom Sozialgericht herangezogenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada über Soziale Sicherheit (BSG, Urteile vom12. Februar 2004 und 8. Dezember 2005, SozR 4-6580 Art. 19 Nr. 1 und Nr. 2), die sich der erkennende Senat zu eigen macht. Danach gilt ein im Ausland (Kanada) gestellter Rentenantrag nach Abkommensrecht zugleich als ein solcher nach deutschen Recht. Er ist auch dann gegenüber dem deutschen Rentenversicherungsträger wirksam gestellt, wenn nicht alle erforderlichen Angaben vollständig gemacht wurden, mit der Folge, dass der ausländische den deutschen Träger über die Antragstellung nicht in Kenntnis gesetzt hat. Eben diese Ausgangssituation, die Rentenbeantragung im Ausland unter Nichtangabe versicherungsrechtlich relevanter Daten, liegt auch dem Fall der Klägerin zugrunde.
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Die Tatsache, dass beabsichtigt ist, in der Durchführungsverordnung der die VO Nr. 1408/71 EWG ersetzenden Verordnung (EG) Nr. 883/2004 eine Einschränkung der Verbindlichkeit des Zeitpunkts der Antragstellung für alle Mitgliedstaaten (Art. 45 Abs. 5 des Entwurfs) dann vorzusehen, wenn der Antragsteller trotz ausdrücklicher Aufforderung nicht alle Versicherungs- und Wohnzeiten angegeben hat, die er nach den Rechtsvorschriften der anderen Mitgliedstaaten zurückgelegt hat, und dann den Zeitpunkt gelten zu lassen, zu dem er seinen Antrag vervollständigt hat oder zu dem er einen neuen Antrag bezüglich der fehlenden Zeiten einreicht (Art. 45 Abs. 6 des Entwurfs), führt zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Unabhängig davon, dass der Vorschlag für die neue Durchführungsverordnung noch gar nicht geltendes Recht ist, ergeben sich im vorliegenden Fall keine Hinweise darauf, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Antragstellung in Griechenland am 1. August 1986 vom griechischen Versicherungsträger ausdrücklich aufgefordert wurde, Versicherung- und Wohnzeiten des verstorbenen Versicherten, die er in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegt hat, anzugeben. Wie bereits dargelegt, kann allein festgestellt werden, dass sich die Klägerin vor dem 12. Juni 2003 nicht auf deutsche Versicherungszeiten des verstorbenen Versicherten „berufen“ hat. Eine Nichtangabe nach ausdrücklicher Aufforderung kann darin nicht gesehen werden.
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2. Des Weiteren kann sich die Beklagte auch nicht auf eine Verjährung des geltend gemachten Anspruchs berufen. Zwar bestimmt § 45 Abs. 1 SGB I, dass Ansprüche auf Sozialleistungen in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs verjähren, in denen sie entstanden sind. Für Hemmung, Unterbrechung und die Wirkung der Verjährung haben nach der hier maßgeblichen Fassung des § 45 Abs. 2 SGB I a. F. vom 1. Januar 1976 dabei die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB - sinngemäß gegolten. Unterbrochen worden ist die Verjährung aber nach § 45 Abs. 3 S. 1 SGB I a. F. durch schriftlichen Antrag auf die Sozialleistung. Die Unterbrechung hat nach § 45 Abs. 3 S. 2 SGB I a. F. sechs Monate nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Antrag geendet.
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Die Auffassung der Beklagten, die Verjährungsvorschriften des BGB, wonach ein Verfahren zu „betreiben“ ist (§ 211 Abs. 2 S. 1 BGB a. F. = § 204 Abs. 2 S. 2 BGB n. F.), damit die Verjährungsunterbrechung Bestand hat, trägt nicht durch. Denn die Verjährungsvorschriften passen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 12. Februar 2004, B 13 RJ 58/03, BSGE 92, 159 ff. mit weiteren Nachweisen zur früheren Rechtsprechung), die sich der erkennende Senat auch in dieser Frage zu eigen macht, nicht auf das vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägte Sozialverwaltungsverfahren.
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Die mit dem Antrag vom 1. August 1986 eingeleitete Verjährungsunterbrechung hat nicht sogleich damit geendet, dass die Klägerin keine Angaben zu rentenrelevanten deutschen Versicherungszeiten des Verstorbenen gemacht hat. Auch wenn das Verfahren der Beklagten gegenüber nicht aktiv „betrieben“ worden ist, ist es nicht zum Stillstand gekommen. Denn während das zivilgerichtliche Verfahren von den Parteien „betrieben“ werden muss, hat die Verwaltung im sozialrechtlichen Verfahren von Amts wegen den Sachverhalt aufzuklären (§ 20 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - SGB X -). Das „Betreiben“ im Sinn von § 211 Abs. 2 S. 1 BGB a. F. und § 204 Abs. 2 S. 2 BGB n. F. ist daher ein spezifisches Erfordernis des vom Beibringungsgrundsatz beherrschten zivilrechtlichen Verfahrens; im sozialrechtlichen Verfahren, dem bislang - anders als etwa der Verwaltungsgerichtsordnung (vgl. § 92 Abs. 2 S. 1 VwGO) - auch eine Betreibensaufforderung fremd ist, kommt auch eine analoge Anwendung der Betreibensvorschrift nicht in Betracht.
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Der erneuten formlosen Antragstellung der Klägerin vom 12. Juni 2003 kommt daher - wie bereits vom Sozialgericht völlig zu recht erkannt - auch nach dem Wortlaut, der sich in der Wiedergabe der wesentlichen Fakten - Geburts- und Todesdatum des Versicherten, Versichertennummer und Auflistung der beigefügten Unterlagen - erschöpft, erkennbar nur eine Erinnerungsfunktion im Hinblick auf den nicht erledigten Antrag vom 1. August 1886 zu. Damit hat die am 1. August 1986 wirksam unterbrochene Verjährung bis zum Erlass des Rentenbescheids vom 5. April 2004 fortbestanden. Für den von der Klägerin für die Zeit vor dem 1. Januar 1999 geltend gemachten Rentenanspruch hat daher keine Verjährung eintreten können.
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Die Berufung hat nach alledem keinen Erfolg haben können.
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Für die Zulassung der Revision hat angesichts der gefestigten Rechtsprechung von Europäischem Gerichtshof einerseits und Bundessozialgericht andererseits kein Anlass bestanden.
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