Landgericht Wuppertal Urteil, 29. Apr. 2014 - 27 Ns-922 Js 227/13- 8/14

Gericht
Tenor
Die Berufung der Staatsanwaltschaft wird auf Kosten der Staatskasse,die auch die dem Angeklagten im Berufungsverfahren entstandenennotwendigen Auslagen zu tragen hat, verworfen.
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G r ü n d e :
2(abgekürzt gemäß § 267 Abs. 4 StPO)
3I.
4Durch Strafbefehl des Amtsgerichts Mettmann vom 23.04.2013 wurde gegen den Angeklagten wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr eine Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 50 EUR festgesetzt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen und sein Führerschein eingezogen sowie eine Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis von einem Jahr angeordnet.Nach Einspruch des Angeklagten gegen diesen Strafbefehl, den er in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung unter Verzicht auf Entschädigungsansprüche gemäß StrEG auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte, hat das Amtsgericht Mettmann durch Urteil vom 09.10.2013 den genannten Strafbefehl abgeändert (nur) dahin, dass es unter Wegfall der Entziehung der Fahrerlaubnis und Anordnung einer Sperrfrist stattdessen ein Fahrverbot von drei Monaten festsetzte. Dementsprechend hob es den Beschluss zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis auf und gab dem Angeklagten, dem die Fahrerlaubnis zu diesem Zeitpunkt seit rund neun Monaten vorläufig entzogen gewesen war, seinen Führerschein zurück.
5Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft form- und fristgerecht Berufung eingelegt mit dem Ziel der Entziehung der Fahrerlaubnis des Angeklagten und der Anordnung einer Sperrfrist.
6II.
7Infolge der wirksamen Beschränkung bereits des Einspruchs gegen den Strafbefehl sind dessen Schuldspruch sowie die ihn tragenden tatsächlichen Feststellungen in Rechtskraft erwachsen und für die Kammer bindend. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die diesbezüglichen Ausführungen in dem Strafbefehl des Amtsgerichts vom 23.04.2013 Bezug genommen.
8Gegenstand des amtsgerichtlichen Urteils war danach allein noch die Strafzumessung, und nur hiergegen – letztlich auch nur gegen die Anordnung nur eines Fahrverbots – richtete sich die Berufung der Staatsanwaltschaft.
9Deren Rechtsmittel blieb der Erfolg versagt.Bei der Strafzumessung kam die Kammer zum selben Ergebnis wie bereits das Amtsgericht.Es wird deshalb insoweit zunächst auf das amtsgerichtliche Urteil Bezug genommen.
10Die Erwägungen des Amtsgerichts werden durch die weitere Entwicklung des Angeklagten bestätigt und weiter gestützt, so dass die Kammer – jedenfalls zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung – nicht mehr feststellen kann, dass der Angeklagte zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist.
11Zwar sprechen die verfahrensgegenständlichen Taten des Angeklagten deutlich für seine Ungeeignetheit. Denn hierdurch hat er drei der vier Regelbeispiele des § 69 Abs. 2 StGB, nämlich Nrn. 1., 2. und 3., erfüllt.
12Trotz dieser Regelvermutung geht die Kammer aber davon aus, dass – jedenfalls derzeit – der Angeklagte nicht (mehr) als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet anzusehen ist.
13Beruflich hat sich der Angeklagte weiter entwickelt. Zunächst, nach bestandener Meisterprüfung, hatte er bei seinem Arbeitgeber weitergearbeitet, der ihn auch – was dessen hohe Wertschätzung für den Angeklagten belegt – während der gesamten Zeit der vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung weiterbeschäftigt hat, d.h. fast neun Monate lang, obwohl dies bedeutete, dass er als Heizungs- und Sanitärinstallateur die Kundenbesuche stets in Begleitung des Lehrlings durchführen musste, der ihn fuhr. Nachdem in der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung am 09.10.2013 die vorläufige Entziehung seiner Fahrerlaubnis aufgehoben und dem Angeklagten sein Führerschein wieder ausgehändigt worden war, konnte der Angeklagte von seinem Arbeitgeber wieder unbeschränkt eingesetzt werden. Der Lehrling indessen sollte nach Abschluss von dessen Ausbildung mangels ausreichender Arbeit nicht übernommen werden. In dieser Situation entschloss sich der Angeklagte, sein ohnehin seit längerem bestehendes Vorhaben, sich selbständig zu machen, früher umzusetzen und dafür seine alte Firma zu verlassen. Dementsprechend ist, während der Lehrling deshalb dann doch übernommen wurde, der Angeklagte seit dem 02.01.2014 als Anlagenmechaniker für Heizungsbau und Umwelttechnik als Einzelunternehmer selbständig tätig und hat sich inzwischen bereits einen Kundenstamm aufgebaut.
14Auch persönlich hat der Angeklagte eine positive Entwicklung durchlaufen. Durch die rund neunmonatige vorläufige Entziehung seiner Fahrerlaubnis ist ihm zum einen bewusst geworden, wie dringend er, insbesondere aus beruflichen Gründen, auf seinen Führerschein angewiesen ist, und dass er durch eine neuerliche Trunkenheitsfahrt seine bisherigen Erfolge ernsthaft gefährdet. Zum anderen hat er verstanden, welche Gefährdung von alkoholisierten Verkehrsteilnehmern ausgeht und wie er selbst vermeiden kann und muss, erneut alkoholisiert ein Kraftfahrzeug zu führen. Diese Erkenntnis hat er auch bereits in Verhaltensänderungen umgesetzt. So meidet er gezielt Situationen und auch persönliche Kontakte, von denen er weiß oder erwartet, dass dort Alkohol konsumiert werden wird, etwa Kneipenbesuche oder bestimmte alte Bekannte. Hierbei hat er aber auch freimütig eingeräumt, dass er zu besonderen Gelegenheiten – etwa an seinem kürzlich gefeierten Geburtstag – durchaus auch Alkohol konsumiert, dann aber dafür Sorge trägt, dass er anschließend kein Fahrzeug führt. Dabei hat er durch kritische Selbstbeobachtung auch erkannt, dass er insbesondere hochprozentige Getränke meiden muss. Um seine eigenen Einsichten und Verhaltensänderungen weiter zu stabilisieren, hat er sich zudem bereits um einen MPU-Vorbereitungskurs bei J und G in Köln bemüht.
15Seit der amtsgerichtlichen Verhandlung hat der Angeklagte seit inzwischen gut sechseinhalb Monaten wieder am Straßenverkehr teilgenommen, ohne dass neue Regelverstöße – weder Straftaten noch Ordnungswidrigkeiten – bekannt geworden wären. Auch dies spricht dafür, dass der Angeklagte derzeit nicht (mehr) als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist.
16Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

Annotations
(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.
(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.
(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.
(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.
(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.
(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.
(1) Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so entzieht ihm das Gericht die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, daß er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Einer weiteren Prüfung nach § 62 bedarf es nicht.
(2) Ist die rechtswidrige Tat in den Fällen des Absatzes 1 ein Vergehen
- 1.
der Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c), - 1a.
des verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§ 315d), - 2.
der Trunkenheit im Verkehr (§ 316), - 3.
des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142), obwohl der Täter weiß oder wissen kann, daß bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist, oder - 4.
des Vollrausches (§ 323a), der sich auf eine der Taten nach den Nummern 1 bis 3 bezieht,
(3) Die Fahrerlaubnis erlischt mit der Rechtskraft des Urteils. Ein von einer deutschen Behörde ausgestellter Führerschein wird im Urteil eingezogen.
(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.
(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.
(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.
(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.
(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.
(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag
- 1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder - 2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.